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Transfer und Transferieren.Anleitungen zum

Interkomprehensionsunterricht

Mehrsprachigkeit in Linguistik und DidaktikDozent: Prof. Dr. H.G. Klein

WS 06/07

08.11.06Referentin: Ariane Prostka

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Übersicht

1. Lerntheoretische Grundlegung

2. Von der Einzelsprachanalyse zur Mehrsprachenanalyse

2.1 Gießener Interkomprehensionsmodell

2.2 Transfer

3. Methodische Überlegungen zum Lehren und Lernen durch Interkomprehension

4. Zum Aufbau von Interkomprehensionssequenzen

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1. Lerntheoretische Grundlegung

Lernen ist ein individueller Vorgang Input und Intake sind abhängig von individuellem Vorwissen, Motivation

und Einstellungen Beim Lernen werden relevante Sinneinheiten miteinander verknüpft

Was ist relevant?

Menschliche Wahrnehmung wird durch zwei Filter selektiert: Perzeptionsfilter: Sinn machende Einheiten werden wahrgenommen Relevanzfilter: Selektion, welche Informationen der mentalen

Verarbeitung zugeführt wird Vorwissen wichtig, damit besonders viele sinnvolle Einheiten zur

Verfügung stehen

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Lerntheoretische Grundlegung

Gilt für alle Lerngegenstände, besonders für Sprachen Sprache ist hochgradig systematisch

(Saussure: „langue est un système“)

Gilt für kindersprachlichen Spracherwerb und auch fremdsprachlichen Spracherwerb

Netzwerkmetapher: mentale Netzwerke innerhalb einer Sprache plurilinguale Netzwerke

Vergleich von Sprache mit Schachspiel Die gesamte Wissensstruktur muss neu geordnet werden,

sobald neue (Er-) Kenntnisse hinzu kommen

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Lerntheoretische Grundlegung

Interlinguale Korrespondenzregeln zwischen verschiedenen Sprachen

Spracherwerb kann positive Effekte auf bereits erlernte Sprachen haben.

Vorwissen muss so aktiviert werden, dass die Schemata, die zwischen Ausgangssprache und Zielsprache liegen, verbunden werden können.

Wissen wird transferiert

Mehrsprachigkeitsdidaktik = Transferdidaktik

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2. Von der Einzelsprachen- zur Mehrsprachenanalyse

Modell des Mehrsprachenerwerbs:

Gießener Interkomprehensionsmodell

1. Spontangrammatik

2. Mehrsprachenspeicher

3. Didaktischen Monitor

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Gießener Interkomprehensionsmodell:

Spontangrammatik

Entsteht bei erstem Kontakt mit „neuer“ Sprache

(neue Sprache muss transparent und interkomprehensibel sein)

Spiegelt Identifikations- und Interlinguale Korrespondenzmuster

Lerner stellt spontan Hypothesen über Ähnlichkeiten und Unterschiede auf

Hypothesengrammatik

Wird fortlaufend modifiziert Vorgänge werden im Kurzzeitgedächtnis gespeichert

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Gießener Interkomprehensionsmodell: Mehrsprachenspeicher

Wissen aus der Spontangrammatik wird in das Langzeitgedächtnis überführt

Erfahrungen mit Sprache Sprachdaten Lernermotivation

Grundlage der Sprachlernkompetenz

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Gießener Interkomprehensionsmodell: Didaktischer Monitor

Lernsteuerung Menge der Sprach- und Lerndaten, die den

Perzeptionsfilter passieren wird erhöht durch Sensibilisierung

Mentale Verarbeitungsbreite und –tiefe wird erhöht Mehr lernrelevante Informationen werden gespeichert

Durch Lernsteuerung kann der Zugriff auf Sprachdaten erhöht werden

trägt zur Automatisierung interlingualer Transferroutinen bei

Transfer ?

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2.2 Transfer in der Interkomprehensionsdidaktik

Verschiedene Transferpotenziale: Transferbasen aus Muttersprache

Lerner müssen meist erst sensibilisiert werden

Transferbasen zwischen nahverwandten Sprachen Je höher der Ähnlichkeitsgrad, desto häufiger erfolgt

interlingualer Transfer

Lernersteuerung (durch die Lehrenden) spielt eine große Rolle, um die Transferpotenziale nutzen zu können

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Transfervektoren

Transfervektoren / -richtungen:

innerhalb des zielsprachlichen Systems innerhalb des ausgangssprachlichen Systems zwischen Ausgangssprache(n) und Zielsprache von Lernerfahrungen mit und zwischen unterschiedlichen

Sprachen

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Transferdomänen

Formtransfer Inhalts- oder semantischer Transfer Funktionstransfer Pragmatischer Transfer Didaktischer Transfer

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Transferdomänen

Formtransfer: Intra- und interphonologische Regularitäten und

Unterschiede Intra- und intergraphemische Regularitäten und

Unterschiede Interphonetische und interphonologische Merkmale

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Transferdomänen

Inhalts- oder semantischer Transfer: Kernbedeutungen erkennen, und die Mehrfachbedeutungen

interlexematischer Serien erweitern Welche Kernbedeutung haben Genie und Ingenieur

gemeinsam?

Funktionstransfer Grammatikalische Regularitäten aufbauen

Ähnlicher Gebrauch des subjonctif im Französischen, Spanischen und Italienischen

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Transferdomänen

Pragmatischer Transfer Sensibilität für kommunikative Konventionen und interkulturelle

Pragmatik

Didaktischer Transfer Durch Vergleiche der Sprachen für das didaktische Monitoring

sensibilisieren Beruht auf Erfahrung mit dem Lernen von Sprachen

Alle Transferkategorien werden bei Rezeption und Produktion angewendet

FSU sollte Lernen von Sprachen an sich zum Thema machen

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Bezugsebenen für Übungen des Interkomprehensionstransfer

Übungen zur Wortkomposition

Stamm, Derivation, Prä- und Suffigierung, interlinguale Serienbildung (Grammar, Grammatik, grammaire,…)

Semantischen Zuordnung To have a genius for, ein Genie, le petit génie…

Bedeutungserweiterung, - verengung, - verlagerung) Morphosyntax

Zwischensprachlicher Vergleich von Formen, Funktionen, Aspekten Drückt der Konjunktiv in den romanischen Sprachen stets dasselbe

aus? Lernbewusstheit

Wie wurde der Lernvorgang gestaltet?

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Sprach- und lernbewusstheitsbildende Verfahren

Datengetrieben bottom up

- geht von Beobachtung des Lerngegenstandes aus

- Lerner findet Lernwege

(learning by doing / entdeckendes Lernen)

nachhaltiger

Konzeptgeleitet top-down

- Regularitäten werden vorgesetzt, angewendet

imitiert

Nur schwache Verarbeitungstiefe

bottom up als Ansatz für Interkomprehension!

Je weniger Hilfen gegeben werden, desto stärker die Motivation

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Lernbewusstheit …kann gefördert werden durch

Spracherwerbs- und Sprachlernbiographie (Portfolio)

Laut-Denk-Protokolle Dem Lerner sein eigenes Handeln bewusst machen

Persönliche Lernerwörterbücher In Stichwörtern werden die eigenen, sprachbezogenen Prozesse

reflektiert

Lernprotokolle Eigene Lernhypothesen für Lernerfolg oder Misserfolg Das Wachstum von Lernbewusstheit und Lernkompetenz werden

dokumentiert

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Lernbewusstheit …kann gefördert werden durch

Mehrsprachen-Lehrperspektive

Sprachproduktion in einer „unbekannten“ Zielsprache Erweiterung der Laut-Denk-Protokolle Sichtbarmachen der Lernhypothesen des Lerners Tentatives Schreiben Einsicht in die Lernersprache

Lern- und Lehrevaluation Produktevaluation: Wie ist der Lernstand? Prozessevaluation: Wie wurden die Lernziele erreicht? Gesamtevaluation: Ist das Ergebnis insgesamt zufrieden stellend?

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3. Methodische Anleitungen

Lenkung der Informationsverarbeitung, z.B. durch pre-reading activities

Paralleltexte

Plurilinguale Interlineartexte Identifikationsübungen

Interlinguale (Re-)Identifikationsregularitäten) / Korrespondenzmuster

Wortschatz / Syntax Kernsatztypen

Care sunt caracteristicile dansului popular românesc?

Quelles sont les caractéristiques de la danse populaire roumaine?

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Methodische Anleitungen

Wörterbücher und NachschlagegrammatikenWachstum an Sprachenbewusstheit fördert die Neugierde Eigene Hypothesen überprüfen

Serienbildungen Zuordnung von translingualen Phänomenen(e. trouble, f. turbulences, f. trouble)

Eselsbrücken Interlinguale Ähnlichkeiten können stützend wirken

Fehlerprophylaxe Erstellung von Listen „falscher Freunde“ Aufbau mentaler Kontrastprogramme zwischen eng verwandten

Sprachen

Verweilen und Beschäftigen mit Phänomen Einprägung

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4. Zum Aufbau von Interkomprehensionssequenzen und Textauswahl

Methode hat ein hohes Motivationspotenzial, da der Lerner bereits authentische Texte lesen kann bereits über ein beachtliches Wissen verfügt Texte auswählen kann, die sich inhaltlich an seinem Interesse orientieren

- Ziel der Interkomprehension ist das dekodieren sprachlicher Botschaften und nicht die thematische Schwierigkeit

- Je mehr Transferbasen im Verhältnis zum gesamten Text enthalten sind, desto leichter ist er zu entschlüsseln

- Es werden ausschließlich nicht-lehrintentionale Texte verwendet, die von dem Lerner immer wieder Lernfortschritte verlangen.

- Diese müssen überprüfbar und reorganisierbar sein - Progression erfolgt über die pädagogische Arbeit am Text, nicht durch den Text

an sich

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Erarbeitung der Zielsprache: von der Spontangrammatik zur

Grammatikographie der Lerner

Die Abfolge der grammatischen Themen bleibt dem Lerner überlassen

Prinzip: Nur das Erklären was zur erfolgreichen mentalen Verarbeitung einer Botschaft / Textes

relevant ist Was vom Lerner eingefordert wird

Das Frageinteresse des Lerners steht im Vordergrund

Progression könnte dem Lerner überlassen werden, indem er Schritt für Schritt die Hypothesengrammatik aufstellt und diese laufend überprüft

Es können dem Lerner trotzdem Hilfestellungen gegeben werden:

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Hilfestellungen zur Erstellung der Hypothesengrammatik

Ungeübten Lernern kann ein Raster zur Verfügung gestellt werden, dass ungefähr die folgenden Kriterien enthält:

Morphosyntax: Konstruktion der Nominalphrase (Begleiter, Genus, Formenstand der

Nomen, Adjektive, Konkordanzregeln, Präpositionen) Konstruktion der Verbalphrase (Konjugationsmuster und Verbformen,

Unregelmäßigkeiten, Konkordanz, Adverbien, Präpositionen, Aktiv / Passiv, Modi, Zeiten

Konstruktion der Verknüpfungen (Relativpronomen, Konjunktionen, Interrogativa)

Lexik: Interlinguale Korrespondenzregeln Intralinguale Korrespondenzregeln

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Schlussbemerkung:

Die Mehrsprachigkeitsdidaktik will im Unterricht Wissen vernetzen.

Die von einem Lerner aktivierten Sprachen sind beim Erlernen einer neuen Sprache unbedingt mit einzubeziehen, da diese die Transferleistungen zum größten Teil erst ermöglichen.

Die Übungen zum sprachlichen Transfer sollten helfen- die Spontangrammatik zu organisieren- für intra- und interlinguale Transferbasen zu sensibilisieren- Sprachvergleiche zu initiieren- Sprach- und Lernbewusstheit zu erzeugen, sowie für Lernstrategien

und -techniken zu sensibilisieren

Mehrsprachendidaktik ergänzt die Fremdsprachendidaktik!

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Quelle:

Meißner, Franz-Joseph: Transfer und Transferieren. Anleitungen zum Interkomprehensionsunterricht, in: Klein / Rutke, D. (Hg.): Neuere Forschungen zur Interkomprehension, Aachen 2004, S. 15 – 37.

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