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Advent: Zwischen Erinnerung und Sehnsucht
Wort zum Tage im Deutschlandradio Kultur
Woche vom 28. November bis 3. Dezember 2005
Autorin: Bergit Peters, Schwerte
Bergit Peters
Montag, 28. November 2005
Sehnsucht und Erinnerung prgen in besonderer Weise den Charakter der
Adventszeit. Ihren Beginn haben Christinnen und Christen am gestrigen Sonntag ge-
feiert.
Von welcher Erinnerung und von welcher Sehnsucht ist die Rede? Theologisch ge-
sprochen ist es die Erinnerung an Gottes Kommen in diese Welt, an seine Mensch-
werdung in Jesus von Nazaret. Und es ist die Sehnsucht nach seinem zweiten
Kommen, der Wiederkunft Gottes am Ende der Zeiten.
Vielleicht berlegen Sie gerade, ob es sich fr Sie lohnt, weiter ber dieses Thema
nachzudenken? Ich finde ja, denn beim Sprechen von Sehnsucht und Erinnerung
geht es letztlich um Ihr Leben im Hier und Jetzt! Und dem knnen Sie sich ebenso
wenig entziehen wie dem vorweihnachtlichen Rummel des Weihnachtsfestes von
September bis Dezember. Ganz gleich, ob Sie glubig oder unglubig sind, ob arm
oder reich, jung oder alt, vom adventlichen Getmmel bleibt niemand verschont, der
sich im letzten Jahresquartal auf die Strae begeben muss. Und genauso wenig wie
Sie sich der Allgegenwart des Weihnachtsfestes entziehen knnen, wird es Ihnen
gelingen, sich Ihrer Erinnerungen und Sehnschte zu entziehen.
Menschliches Leben ist ausgespannt zwischen Sehnsucht und Erinnerung. Und erst
die Bewegung zwischen beiden Polen lsst den Aufbruch in neue Lebenswelten
gelingen.
Die persnliche Erinnerung hilft mir bei der Vergewisserung meiner eigenen Identitt.
Denn nur, wenn ich wei, wo ich herkomme, kann ich Wurzeln schlagen in der
Gegenwart. So schaffe ich eine Grundlage fr meine Sehnschte, indem ich mein
gegenwrtiges Leben verwurzele und mehr zu mir selbst finde.
Dieses vitale Wechselspiel zwischen Erinnerung und Sehnsucht steht immer auch in
der Gefahr zum Stillstand zu kommen. Denn das Leben ist in dieser unheilen Welt
vielen Gefhrdungen ausgesetzt. Der Dichter Erich Fried formuliert diese Erfahrung
in poetischen Bildern:
Bergit Peters
Bevor ich sterbe Noch einmal sprechen von der Wrme des Lebens damit doch einige wissen: Es ist nicht warm aber es knnte warm sein Bevor ich sterbe noch einmal sprechen von Liebe damit doch einige sagen: Das gab es das muss es geben Noch einmal sprechen vom Glck der Hoffnung auf Glck damit doch einige fragen: Was war das wann kommt es wieder?1
Fr den heutigen Tag wnsche ich Ihnen, dass gerade Ihre persnlichen
Erinnerungen an wrmende, liebevolle und glckliche Ereignisse in ihrem Leben eine
adventliche Vorfreude wecken!
1 aus: Lebensschatten, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1981. 17 Zeilen. zitiert aus: Die Mitarbeiterin 4/2001, KlensVerlag, Dsseldorf, S. 20.
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Bergit Peters
Dienstag, 29. November 2005
Haben Sie schon alles oder fehlt Ihnen noch etwas? Meine Nachfrage gilt nicht nur
Ihren diesjhrigen Weihnachtseinkufen. Sie ist grundstzlicher gemeint: Sind Sie
restlos zufrieden mit sich und der Welt oder kennen Sie Momente in Ihrem Leben, in
denen sich dieses nagende Gefhl in Ihnen ausbreitet, es msste doch mehr als
alles geben?
Ich mchte Ihre innere Stimme der Sehnsucht wachrufen. Vielleicht werden Sie jetzt
skeptisch und berlegen, ob es berhaupt klug sei, auf diese innere Stimme der
Sehnsucht zu hren. Denn je mehr Sie Ihren Wnschen Raum geben, umso mehr
knnten diese auf Verwirklichung in Ihrem Leben drngen.
Und genau hier liegt der eigentliche Knackpunkt: Das Verhltnis von Wnschen und
zur Verfgung stehender Kapazitten stimmen nicht berein. Kurz gesagt: Der
Mensch ist ein Wesen mit unendlichen Wnschen, dem jedoch nur eine endliche
Lebenszeit zur Verfgung steht. Eben weil der moderne Mensch in seiner Lebenszeit
immer zu viel will, hat er stets zu wenig von ihr.
Diese zutreffende Beobachtung fhrt mich zu der Frage, ob es besser sei, die innere
Stimme der Sehnsucht zu ignorieren, um wunsch-los und damit vermeintlich glcklich
zu sein, als unter der mangelnden Erfllung der groen Trume zu leiden? Sich lie-
ber zufrieden geben mit der kleinformatigen Erfllung einer halbierten Sehnsucht auf
ein bisschen Frieden, ein kleines Glck und ein wenig Liebe?
Vorsicht, geben Sie Ihre unabgegoltenen Trume und Ihre groe Sehnsucht nach
dem Mehr als alles nicht so schnell auf!
Es knnte doch sein, dass Ihre Sehnsucht Sie in die Nhe zu einem verborgenen
Schatz in Ihnen selbst fhrt. Die biblische Tradition deutet diese Sehnsucht nach
dem kostbaren Schatz, nach dem Mehr im Leben als spirituelle Sehnsucht. Es ist die
Sehnsucht, Gott ganz nahe sein zu wollen. Im Psalm 42 wird diese Sehnsucht in
Worte gefasst:
Meine Seele, warum bist du betrbt
Bergit Peters
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
meinem Gott und Retter, auf den ich schaue.
(PS 42,12)
Diese Ahnung der Gottesbegegnung wertet die kleinen Wnsche im menschlichen
Leben nicht ab. Sie befreit jedoch davon, den Dingen im Leben nachzujagen, die
letztlich doch keine Erfllung bringen. Die Ahnung des schon vorhandenen inneren
Schatzes lsst gelassener mit allem umgehen, was im Leben hetzt. Denn letztlichen
Halt im Leben gibt Gott. Das sagt mir meine tiefste Sehnsucht. Und deshalb wird sie
sich immer wieder zu IHM hin ausstrecken.
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Bergit Peters
Mittwoch, 30. November 2005
Die Zeit des Advent ist die Zeit der Wnsche und Trume. Es ist eine geheimnisvolle
Zeit, in der Menschen manchmal eine Ahnung von etwas Grerem erfasst. Die
innere Stimme der Sehnsucht, die an den verborgenen Schatz im eigenen Leben
erinnert, wird vielleicht intensiver gehrt als sonst: Das ist noch nicht alles. Da steht
noch etwas aus. Diese Stimme der Sehnsucht zu vernehmen, ist ein Zeichen von
Lebendigkeit. Sie drngt in eine Suchbewegung, hin zu einem Leben in Flle. Es ist
die Sehnsucht nach einem guten und gelungenen Leben. Letztlich geht es darum,
heil zu werden, und die zu werden, als die ich gedacht bin. Und dieses Wissen, wer
ich, wer Sie letztlich sind, es wartet noch auf uns. Doch wer wird es sagen?
Eine Antwort finde ich in dem Gedicht der 1909 in Kln geborenen Lyrikerin Hilde
Domin. Es trgt den Titel Sehnsucht.
Die Sehnsucht
lsst die Erde durch die Finger rinnen
alle Erde dieser Erde
Boden suchend
fr die Pflanze Mensch1
Personifiziert begibt sich hier die Sehnsucht auf die Suche nach mglichen Trgerin-
nen und Trgern. Sie bereitet den notwendigen Nhr- und Wachstumsboden, indem
sie alle Erde dieser Erde feinfhlig siebend durch ihre Finger rinnen lsst.
Welch herausfordernder Gedanke, dass die Sehnsucht den Menschen, diese un-
bestndige Pflanze, schwankend zwischen Liebe und Hass, zwischen Frsorge und
Zerstrung als ihren Trger whlt. Zu verstehen ist dies letztlich nur im Geheimnis
der Liebe. Denn Liebe und die Sehnsucht nach dem geliebten Menschen gehren
zusammen.
Fr Christinnen und Christen wird diese Suchbewegung der Sehnsucht zum Bild fr
die Sehnsucht Gottes zu den Menschen. Gott sehnt sich nach dem Menschen! Ein
1 Hilde Domin, Gesammelte Gedichte, Frankfurt 1987, S. 337. 5 Zeilen
Bergit Peters
gewagter Gedanke? Den tiefsten Ausdruck findet Gottes sehnsuchtsvolle Liebe in
seiner Menschwerdung in Jesus von Nazaret. In Jesus berwindet Gott jegliche
Distanz zum Menschen, indem er einer von ihnen wird. So trgt Jesus in einer
Person das unverwechselbare Antlitz von Gott und Mensch. In der Beziehung zu ihm
vermgen die Menschen immer weiter fortzuschreiten im Geheimnis der eigenen
Menschwerdung. In der Jesusbegegnung werden sie selbst zu dem Menschen wie
Gott sie gedacht hat.
Die Sehnsucht
lsst die Erde durch die Finger rinnen
alle Erde dieser Erde
Boden suchend
fr die Pflanze Mensch
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Bergit Peters
Donnerstag, 01. Dezember 2005
Je mehr wir verstehen,
dass nichts so leicht
zu machen ist
wie ein Fehler,
um so mehr wchst
die Sehnsucht danach,
dass wir freinander endlich
bessere Auslegungen sind,
dass nicht so viel
weiter verstellt ist,
dass wir mehr vom Leben
vor dem Tod spren.1
Der Karlsruher Lyriker Walter Helmut Fritz findet in diesen Versen seines Gedichts
Sehnsucht ein gelungenes Bild fr die Ur-Sehnsucht der Menschen nach einem
verstndnisvollen Umgang miteinander: dass wir freinander endlich bessere
Auslegungen sind. In diesem lyrischen Bild wird die Sehnsucht nach einem tieferen
Verstanden- und Angesehen-werden formuliert. Mit einem Wort: Es ist die Sehnsucht
nach Liebe. Und die Erfllung dieser Liebessehnsucht treibt Menschen immer wieder
in die Bewegung hin zu einem Du, verbunden mit der Hoffnung anzukommen.
Oftmals fhrt diese Suche jedoch zu unheilvollen Verstrickungen, zu Fehlern, die
gemacht werden und verhindert so da wir mehr vom Leben vor dem Tod spren.
Die Quelle, die menschlichen Lebensdurst stillen kann, muss offenbar noch tiefer
liegen.
Wo kann ich diese Quelle finden? Wo findet meine Sehnsucht nach Liebe und Leben
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