Erste Erfahrungen mit der endoskopischen Versorgung von Wirbelsäulenfrakturen mit Knochenspan und...

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In der Argumentation um den günstig-sten anatomischen Zugang für die ope-rative Behandlung von Wirbelsäulen-verletzungen hat neben biomechani-schen Gesichtspunkten auch das Krite-rium der Zugangsmorbidität natur-gemäß einen hohen Stellenwert [2].Unbestritten wird über eine kombi-nierte dorsoventrale Versorgung akutdie größtmögliche Stabilität erzielt undfür den weiteren Verlauf ein erneutesZusammensintern des Frakturbereichsam wirksamsten verhindert. Für diezahlenmäßig überwiegenden Fraktu-ren des thorakolumbalen Übergangsmit den am häufigsten betroffenenWirbeln BWK 12 und LWK 1 wird diefür die ventrale Versorgung notwendi-ge Thorako-Phreniko-Lumbotomie [4]von vielen Unfallchirurgen jedoch alsunverhältnismäßig aufwendig angese-hen und nach Möglichkeit vermieden.

Seit einigen Jahren wird kasuistischüber endoskopisch kontrollierte ven-trale Eingriffe an der thorakalen undlumbalen Wirbelsäule berichtet, wobeivorzugsweise degenerative Indikatio-nen, wie z. B. Bandscheibenresektio-nen, behandelt worden sind [5]. 1995ist der erste Atlas zur minimalinvasi-ven Wirbelsäulenchirurgie erschienen,der die gängigen Techniken unter lapa-roskopischer und auch thorakoskopi-scher Technik beschreibt [7]. Den Ent-

wicklungen der minimalinvasiven Chir-urgie folgend werden derzeit auch fürden traumatologischen Indikationsbe-reich operationstechnische Lösungengesucht, die eine Versorgung unter Ver-ringerung der zugangsbedingten Bela-stung erlauben [3].

Im folgenden wird über die klini-schen Erfahrungen mit der endosko-pisch kontrollierten Versogung vonFrakturen und Luxationen der Brust-und Lendenwirbelsäule an 100 Patien-ten berichtet.

Operatives Vorgehen

Die Operation gliedert sich prinzipiell in dieSchritte Reposition, Resektion, ggf. mit spinalerDekompression, Knochenimplantation undPlattenspondylodese. Die Reposition der Fehl-stellung erfolgt dabei entweder durch einen vor-hergehenden dorsalen Ersteingriff, wie er vor-zugsweise im thorakolumbalen Bereich zumEinsatz kommt, oder durch indirekte Manipula-tion mittels Zug und lokalem Druck auf dieDornfortsätze, wobei diese Technik bei der Ver-sorgung frischer Frakturen der Brustwirbelsäu-le erfolgreich angewendet wird

Die Resektion umfaßt immer die Entfernungder verletzten Bandscheibe sowie verletzungs-adaptiert teilweise des verletzten Wirbelkörpers,wobei bei dorsaler Kompression der Spinalka-nal débridiert und freigelegt wird. Durch Im-plantation eines passgenau zugerichteten auto-logen Beckenkammspans wird Druckstabilitätgewährleistet und die Fusion induziert. DiePrimärstabilisierung und Sicherung werden durcheine ventrale Plattenosteosynthese mit einemwinkelstabilen Titanimplantat übernommen.

Die Operation erfolgt in Seitenlage unterseitengetrennter Beatmung der rechten und lin-ken Lunge. Wegen der Eigenstabilität des Brust-korbs ist eine Überdruckdistension des Operati-onsraums nicht notwendig. Operiert wird über

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] :S19–S22 © Springer-Verlag 2000

Erste Erfahrungen mit der endoskopischen Versorgung von Wirbelsäulenfrakturen mit Knochenspan und Platte

Volker BührenBerufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau

Prof. Dr. V. Bühren, Ärztlicher Direktor der Be-rufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau,Prof.-Küntscher-Straße 8, D-82418 Murnaue-mail: buehren@bgu-murnau.de, Tel.: 08841-482201, Fax: 08841-482203

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Zusammenfassung

Die Methode der endoskopischkontrollierten Versorgung von Wir-belsäulenfrakturen umfaßt dieBandscheibenresektion und parti-elle Korporektomie mit spinalerDekompression bei Bedarf, die Interposition eines trikortikalenKnochenblocks und die abschlie-ßende ventrale Plattenspondylo-dese. Bisher konnte diese Versor-gung bei 100 Patienten mit Ver-letzungen der thorakalen Wirbel-säule und des thorakolumbalenÜbergangs durchgeführt werden.Es traten dabei keinerlei schwer-wiegende Komplikationen auf, Kon-versionen zur offenen Technik wa-ren nur 2mal notwendig. Im Ver-gleich zur offenen Standardmetho-de bestanden deutliche Vorteile imHinblick auf die Verringerung derZugangsmorbidität, objektivierbaran einer kürzeren Beatmungs- undIntensivdauer sowie einer Redukti-on des postoperativen Schmerz-mittelbedarfs.

Schlüsselwörter

Minimalinvasive Wirbelsäulenfu-sion · Thorakoskopie · Endoskopi-sche spinale Dekompression · Ven-trale Plattenspondylodese

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insgesamt 4 Inzisionen von 15–20 mm Länge.Der erste Trokar wird in Minithorakotomietech-nik eingebracht, um Verletzungen des Lungen-parenchyms zu vermeiden. Bei Bedarf kann derthorakale Zugang durch Zwerchfellschlitzungnach kaudal bis zum 3. Lendenwirbelkörper er-weitert werden, der dank des weit hinunterrei-chenden Lungenrecessus auch instrumentiertwerden kann [1]. Unter Nutzung der beschrie-benen Technik können alle Wirbel im Bereichvon BWK 3–LWK 3 versorgt werden.

Der Resektionsschritt erfolgt unter Zuhilfe-nahme langer Ausführungen von Meißeln,scharfen Löffeln, Rongeuren, Stanzen und Mo-torfräsen. Nach entsprechender Freipräparationwerden die notwendige Interponatlänge ausge-messen und ein Beckenkammspan trikortikal

entnommen. Dieser Span wird an einem spezi-ellen Befestigungsgerät gesichert und in Press-fit-Technik eingeschlagen. Anschließend wirdmit einer gängigen Wirbelsäulentitanplatte, diefür die endoskopische Technik modifiziert wur-de, die Spondylodese instrumentiert.

Patienten und Ergebnisse

Über 2 Jahre, seit Mai 1996, wurden100 Patienten mit 104 Frakturen ver-sorgt. 70% der Patienten waren männ-lich, das Durchschnittsalter betrug 35Jahre. Instrumentiert wurden Fraktu-

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First experiences with endoscopic care for spinal fracture involving bone chip and plate

V. Bühren

Abstract

Endoscopically controlled care offractures to the spine includes discresection and partial corporecto-my, the interpositioning of a tri-cortical bone graft if required, andfinally anterior plate spondylode-sis. Until now, this method of treat-ment has been used for 100 pa-tients with thoracic and thora-columbar injury. No major compli-cations of any kind appeared, andshifting to open surgery was re-quired only twice. Compared tothe usual, open surgical methods,this endoscopic form of treatmentshowed a marked reduction in ap-proach morbidity, seen objectivelyin shorter durations of respirationand intensive care, and a reductionin postoperative painkillers.

Key words

Minimally invasive spinal fusion ·Thoracoscopy · Endoscopic spinaldecompression · Anterior platespondylodesis

Abb.1. Seitliche CT-Rekonstruktionen einer Flektionsdistraktionsverletzung LWK 2 mit Frakturdes Dornfortsatzes und Zerstörung der Bandscheibe L 2/L 3. Es handelt sich um einen 40jährigenPatienten mit inkompletter Querschnittsymptomatik im Sinn linksbetonter Sensibilitätsstörungen

Abb.2a–c. Weiterer Verlauf mit notfallmäßiger Reposition und Stabilisierung über dorsalen Fixa-teur interne von L 1 auf L 3 (a), 5 Tage später endoskopisch kontrollierte ventrale Ausräumung derBandscheibe L 2/L 3 mit Spaninterposition und monosegmentaler Stabilisierung L 2 auf L 3 mit Ti-tanplatte (b), bei wiederholtem sterilem subkutanem Serom offene Revision und gleichzeitige Ent-fernung des Fixateur interne 4 Wochen nach dem Ersteingriff, auch in der Kontrolle nach 3 Mona-ten weiterbestehend gut reponierte Stellung (c)

a b c

ren von BWK 4 bis einschließlichLWK 3. Zahlenmäßig überwog derthorakolumbale Übergang, wobei L 1mit 30% der Fälle am häufigsten be-troffen war. Die Hälfte der Fälle wurdeals Berstungsfraktur des Typs A klassi-fiziert, hochgradige Instabilitäten vomTyp B und Komplexinstabilitäten vomTyp C betrafen 45% der Fälle, 5 Pati-enten wiesen rein diskoligamentäreLäsionen auf.

Eine Querschnittlähmung fand sichbei 20% der Patienten, vorwiegend beiLäsionen im Brustwirbelbereich. 45%

der Patienten, vorzugsweise bei thora-kolumbalen Läsionen, wurden kombi-niert von dorsal und ventral instrumen-tiert, wobei in der Regel die notfall-mäßige Versorgung am Unfalltag mit-tels Fixateur interne und die ventraleendoskopische Stabilisierung elektivim Abstand von einigen Tagen durch-geführt wurden (Abb.1–4).

Bei der Hälfte der Patienten konntedie ventrale Fusion auf 1 Segment be-grenzt bleiben. Eine Resektion derWirbelkörperhinterwand wurde bei 1⁄4der Patienten durchgeführt. Der durch-

schnittliche Blutverlust lag bei 400 ml,in 7 Fällen betrug der Blutverlust > 1000 ml. Die mittlere Operationszeitbetrug 4 h mit einer deutlichen Ten-denz zur Verkürzung entsprechend ei-ner Lernkurve. Derzeitig wird für einemonosegmentale Versorgung ohneausgedehnte Zwerchfellpräparation ei-ne Schnittzeit von 2 h veranschlagt,Hinterkantenresektionen und Instru-mentationen im Bereich L 3 benötigenlängere Operationszeiten.

Lediglich bei 2 Patienten mußte aufein offenes Verfahren übergegangenwerden, wobei in 1 Fall eine reichlicheBlutung aus der Knochenresektion ei-ne offene Tamponade notwendig er-scheinen ließ. Im 2. Fall bestand eineVerklemmung einer Plattenschraube,die sich endoskopisch nicht behebenließ. Gravierende Komplikationen tra-ten nicht auf. 2 Schraubenlockerungenführten jeweils nicht zur Redislokationder Fraktur, in 1 Fall wurde eine endo-skopische Revision durchgeführt. 3Nervenirritationen traten lediglichvorübergehend auf. In 1 Fall wurde einanhaltender Serothorax thorakosko-pisch revidiert. Infekte waren in derSerie nicht zu beklagen.

Diskussion

In der eigenen Klinik hat sich die vor-beschriebene Methode bewährt und istnunmehr zum Standardverfahren ge-worden. Die Nachteile liegen im ho-hen operationstechnischen Aufwand,wobei der Zeitbedarf mit steigenderÜbung offensichtlich im Hinblick aufdie offene Technik vollständig kom-pensierbar erscheint. Entwicklungs-bedarf besteht hinsichtlich einer mini-malinvasiven Repositionsmöglichkeit,vorzugsweise der thorakolumbalenFrakturen, die derzeit nur konventio-nell über Fixateur möglich ist.

Die Vorteile der Methode liegen inder Minderung der Zugangsmorbidität,die sich in einer verringerten postope-rativen Beatmungs- und Intensivzeitsowie in einem deutlich geringerenSchmerzmittelverbrauch objektivierenläßt. Die bisher zu registrierendenKomplikationen waren selten und allenicht schwerwiegend [6]. Die Methodebesitzt noch ein außerordentliches Ent-wicklungspotential. Nach eigener Ein-schätzung wird sie in Zukunft nicht nur

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Abb.3. Seitliche CT-Rekon-struktion, die die Lage des einge-falzten Spans im Bandscheiben-fach L 2/L 3 zeigt

Abb.4. CT-Schnitte von LWK 2 und LWK 3 mit regelrecht liegenden Schrauben und zentral ein-liegendem trikortikalem Beckenkammspan, gut erkennbar sind die perforierenden Bohrungen desSpans, die die Einheilung beschleunigen sollen

in Konkurrenz zu den herkömmlichenoffenen Methoden stehen, sondern we-gen der hervorragenden Übersichtauch die überlegene Alternative zu denneuerdings vorgestellten Verfahrenüber minimiert offene Zugänge bilden.

Literatur

1. Beisse R, Potulski M, Bühren V (1998) Dasendoskopisch kontrollierte Zwerchfellsplit-ting. Unfallchirurg 101 :619–627

2. Bühren V, Braun C (1993) Ventrale Fusion-sosteosynthese bei Frakturen der Brust-wirbelsäule. Operat Orthop Traumatol 5 :245

3. Bühren V, Beisse R, Potulski M (1997) Min-imalinvasive ventrale Spondylodesen beiVerletzungen der Brust- und Lendenwirbel-säule. Chirurg 68 :1076

4. Feil J, Wörsdörfer O (1992) Ventrale Stabil-isierung im Bereich der Brust- und Lenden-wirbelsäule. Chirurg 63 :856

5. Mack MJ, Regan J, Bobechko WP, Acuff TE(1993) Application of thoracoscopy for dis-eases of spine. Ann Thorac Surg 56 :736

6. McAfee PC, Regan JR, Zdeblick T, Zucker-mann J, et al (1995) The incidence of com-plications in endoscopic anterior thoracolum-bal spinal reconstructive surgery. Spine 10 :1624

7. Regan JJ, MacAfee P, Mack M (1995) Atlasof endoscopic spine surgery. Quality MedicalPublishing, St Louis

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