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Jörg Dinkelaker Aiga von Hippel (Hrsg.)
Erwachsenenbildung in Grundbegriffen
Verlag W. Kohlhammer
Dkscs \\'crk cinschlicßl1ch alkr seiner Teile ist urhcbcrn:chtll(h geschlitzt. lcdc \'cn,cndung .lllßcrhalb der cngl·n Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Vl•rlags unzul:iSSI!'.: und ~tr.ttbJr. ();i~ gilt m~hcsondcrc fur \'cn·icllal11gungcn, Übersetzungen, Mikron:rlilmungen und für die Einspeicherung und Va.1rbcitung in ckktronischcn S)"stcmcn.
1. Auflage 2015
Alle Rechte vorbehalten t> \V. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: \V. Kohlhammer GmbH. Stungart
Print: ISßN 978-3-17-022478-0
E-Book ·Formate:: pdf. ISßN 978-3-17-023924-1 cpub: ISBN 978-3-17-028793-8 mob1: ISBN 978-3- 17-028i94·5
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H f ncn -in uss auf die vcrkml fit s . . . . a tung. P cn cucn und Ubcrn1mm1 hierfür kcmcrle1
Inhalt
32 Grundbegriffe: Zugänge zur Erwachsenenbildung und zum Lernen Envachsener - eine Einleitung mit Nutzungshinweisen ........ . ... .... _ . .... . 9
/drg Di11kclnkcr c· J\iga von Hippe/
II
Adressatinnen und Teilnahme
Erw<1chscncnalter ........... .. . Bernhard Scl11nidt-Hcr1/w
• • •• „ ••• • ••• „ „ . ' •••• „ •• •• „ •••••••••••••• .
•••••••••••••• •••••• • „ •• „ ••••• • • ••••••••
25 ,- 1
Subjekt .... , . ...... ..... - . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Daniel \\'ra11a
Aneignung .. .. .. . .. . . ..... ... ....................... .... .... . . . . - - . . . . . 42 Su1a11ic Hartz
Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
/org D111kclakcr
Adressaten, Zielgruppen, Tcilnch111cnde Barbara Lindcmn1111 c~ R11dolf T1ppelt
••••.••.••••••••••. „ •••• „ •.••• ~· ···· 57
Dcutungsn1ustcr . . . . . . . . . ... . . . . . ............ ... - . • . · - ..... ........ - 66
J~nlf Arnold t:'.· lngcborg Sclzußlc:r
\\c1tcrbildungsbcte1ligung .... .. - ........... - ... - ....... ........ - . . . . . . . . 75
Jutta /fric/1 -Clnasscr1
Pädagogisches Handeln und Profession .... . ..... . . - . . ...... ... ... . .... .
Profrssion un<l Profcssionalit~lt .... ........... . ............ .. , - . .. .. ...... .
\ Volfga11s Sl'ittcr
lehren ········· · ·······-··············· ·· ··········· J iH>lllflS. 1~1:;1 ;, ·/~i·r~~.,', ·(;,:,;«,;;/, Ulric/J Kird1giiß11cr, Sven K/aibt•r. t\r11w Lnros C:-
R111/z ,\ fidwlck 0 cr1t 1 11 .. .... „ . ... ~ ········ ·· · · ······· · ··- „ ···•--.• -" • c . . . . . . . ...... . ... .
Clzris tia11c Scl11ers111111111
Ev\lt r 'll ····· · ·· · ~ ·····- ~ ············~·-„······· · • i llC C • , • • • • • • • • • • • • • • • • •
1 /11r111 K11pcr
Vcr11ctzc11 ........ . · · · · · ·· „ • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • ~
Nfrlw1ic: Fr1111z & Ti111111 C. Feld
'v\lcitcrbildungsn1.1nagc111cnt ..... • ·. · · · · · · · · · · · · - · • · - - · · - · · · · · · · - - - - · · • · ·
Strffi l~obak
85
87
93
101
110
117
12·1
6 Inhalt 7 Inhalt
III Institutionen . •. . . .. . . .. . ........ .... . · . ... . . · · . · · · · · · · . · · · . · · · . . . . 133 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
Lernorte •. . . .... •. .. .. .. . . . . .. . • .... • .. . · . . . · · · · · · · · · · · · · · . · · · · · . · · · · · 135 Knri11 Kraus Schlagwortverzeichnis . ... . . .. . .... .. .......... . .................. . .. .. .. .... 291
Kurse . • . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3 }oclie11 Kadc C:~ Sigrid 1\fo/da
l\1edien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 f.1m111ela Pictraß
Zertifikate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . 158 Bernd Kiipp/i11gcr
Programme und Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 l\li/trud Gicsekc
\Ve1terb1ldungsorganisationcn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Knri11 Dol/Jia11sc11 & )oscf Scl1rnder
IV Begründungen, Funktionen und Kontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Lebenslauf und Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Dieter Nittcl c.~ A11drcn Siewcrt
Teilhabe, Inklusion, PartLz1pation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Silke Sclircibcr-Barsclr
Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 • „ „ „ . • . „ „ „ „. „ . „ „. „ „ „ „.
Heide \ 'Oll Fe/dem
Kompetenz und Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . 20 7 Peter Kossack & Joachim Ludwig Sozialisation ••• „ • •••• •• •••••••• •• • „................. 215 Helmut Bremer . . . . . . . . . ... • .....
Kultur . . ..... . . . . ••• • •• •• • • „ • ••• • • • • c • „ ••• • ••••••••••••• „ • •• ' ••• • „ ••••
Erlrard Sc11/11tz 223
\V' 1ssen .. . . ...... • . . ••• • ••••• •• •• „ • - •• • •• •• • •• „ •• - ••••• „ • • • • • • • •••••
Sigrid No/da 231
Beruf f • „ •• • „ • „ ••••• • ••••• •••
Philipp Go11011 ••••.• •• ••• • • .••••• •• ' • • • · • · · · · . . . . . . . ' . . 238
Interkulturalität Halit Ozttirk & Ni~/: 'Kl~b:;,;,i; · · · · · · · · · ' · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · 244
V System und Reflexion . • . . . . . . . • . . . . • . . . . . • . • . . . . . . . • . . . • . . . . . . . . . . . . . 25 3
Steuerung . . . ...... . • . . M1c11nel Scl1emmmrn · · · · · · · · · · · • • · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · • · · · · · · · · · · . . . . . 255
\.Vciterbildungspolitik .. .. . . . Peter Fa11ls1ic/1 6 Erik Haberutii · · · · · · · · • · · · · · · · · · · · · · • · · · · · • · · · · · · · · · · . . . . . 263
Internationalisierung .. .. . .. • Sabine Scl1111idt-Lnuff& Reoina. E · · · · · · · · · · · · · · · · · · • · · · · · • • · · · · · · · · · · . · . . · .. 272
o gete11111eyer Erwachsenenbildungsforschung und F h 01 rf D- .1. orsc ungsmethoden 280 a or11er <.:r B11rkliard Sclutf!er • • . • . .. .. ... ... . .. ..
•
206 IV Begründungen, Funktionen und Kontexte
makr Kon1posita ausgehöhlt oder in1 Sinne ökono111ischer Verwertung gebrJucht.
\Vill man an1 Bildungsbegriff fosthaltcn, so seien die zwei Aspekte des Überschreitens der geseUschaf tlichen FunktionJlisierung und der t-.1eta-Refle:don z.citgenössischcn Denkens hervorgehoben. Lernen und Bildung können nicht allein 1m Horizont der Funkt1onserfordemisse von Gesellschaften gesehen ,,·erden und gesellschaftliche Denk- und Lcbensforn1en mussen in die Reflexion von \Veit- und Selbstreferenz einbezogen werden. Peter Faulstich führt in diesen1 Zusammenhang aus, dass sich der „ \•\/iderspruch von Bildung und Herrschaft" im Sinne Hans-Jo:ichin1 Herdorns nicht aufgdost habe, sondern sich im lebenslangen Lernen eher verschärfe (Faulstteh 2002, S.17). Bildung hat solange ihren kritischen Gehnlt nicht verloren, solange sie in ihrer transfom1atorischen Funktion gesehen werde: „Bildung durfte dann allerdings nicht nur als Aneignung der \Vissensbestande, Interpretationen und Regeln der gegenwartig bestehenden kulturellen Lebensform best1n1mt werden, sondern auch als die Fähigkeit, diese Lebensform, wenn sie sich selbst gefährdet, 1n ihren Strukturen und ihren herrschenden Regeln zu transform1erenu (Peukcrt 2000, 509). In diesem Sinn am Bildungsbegriff festzuhalten, bedeutet die zugrunde liegenden Denkprämissen einzubeziehen und beispiels,,dse die Verschärfungen sozialer Lagen durch neolibernle Strukturen im Rahmen der Erwachsenenbildung zu kritisieren.
Literatur
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f1c;rgcns, H. ( 191!6): En' ~ch,c11cnh1ldung Jls Suchb<· wcgung lhd J kilbrunn/Ohh
Kompetenz und Qualifikation
Peter Kossack & Joachim Ludwig
1 Um was geht es?
In diesem ü berblick wird /.U zeigen versucht, dass die Begriffe Qualifikation und Kompetenz ahnlich konfiguriert sind, aber Fahigkcitcn, Kenntnisse und Einstellungen unterschiedlich einbinden und in unterschiedlichen Verhältnissen zun1 Bildungsbegriff stehen. „Kompetenz" wurde in1 crwachscncnpadagogischcn Diskurs zun1 „Begriff des Jahres 2001" (Nuissl u.a. 2002, 5) erklärt. Dies ist wenig verwunderlich , da der Kompetenzbegriff Spannungsvcrhi1ltnisse urnfasst, die im Zcntrun1 crwachscnenpadagogischcr Diskurse liegen. „Das KonLept Kompetenz verspricht eine Verknupfung von wirtschaftlichen und p.1d;igog1schen /\ laßstäben, von All tagslernen und institutionalisierter \Vciterbildung. von Erfahrung5'vissen und wissenschaftlichen1 \V1ssen, von Kennen und Können, \·on Bedarfen und ßedurfnisscn" (a.a.0.). Bildungspolitisch 1~t der KornpetenzbegritT enorm Jufgeladen. Selbst 1n der wissenschaftlichen Litcralur wird Kornpetenz als „Schlüssel zur Zukunft" \'Crslanden (Erpcnbeck & \'. Rosenstiel 2003 ). Andererseits ist der pädagogische Ko1npctenzbegriff zugleich ein Omnibusbegriff, der f ur alles steht und wenig erklart. Die Definitionen sind ganz unter~ch~cdlich: Sie reichen von der Beschreibung 1nd1vidudler Disposi tionen (7" B. Sozialko111-petc:nz) bis hin zu ~itu•lliv crfolgrcichcn1 Handeln .. Der Kornpctcn/.bcgriff ist deshalb nicht nur rnhaltlich -gcgenst;indlich 1ntercssnnt. Er 151 ~ugleich ein ßci ~pid ftlr die gcsdlschaftsP~htischc Formierung wissensch.1ftlicher Begr.1ffc, ~·toddle und ·1 h~onen. lrn Folgenden ''
1rd cm Einblick 1n den 1'on1pc1enzdiskurs ~egcbcn, der insbcsonder~ dns Verhaltnis von K~rnpctrnz und Qu:1ltlik:llion in den ßlick 111rnrnt.
?ie Red~ von Kompetenren steht m einem okonomischen und bildungspolitischen Kon~ext. Ihre Vermittlung und Bilanzierung wird rn1 Rahmen europäischer und nationaler Bil~ungsprogramme als Grundlage fur Innovation und wirtschaftliches Vv'achstum gefordert. Kompetenzen gelten in der sogenannten \\fissensgesellschaft als mdiv1duellc und gesellschaftliche okonomische Ressource. Die einzelnen trlenschen sollen kompetent sein, um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein und um politisch teilhaben zu können. Organisationen und Unternehmen greifen auf Konzepte der Kompetenzerfassung zurück, ''enn sie Personal einstellen, und sie wollen Kompetenzen in der betrieblichen \\feiterbildung ent\vickeln. Auf gesellschaftlicher Ebene gelten Kompetenzen als Grundlage für gesellschaftlichen Fortschritt, okonom1sche Prosperitat und internationale Konkurrenzfähigkeit. Ein weiterer bedeutender Aspekt der Kompetenzdiskussion ist das Verhältnis von Kompecenzbcdarf und Kompetenzentwicklung. Gefragt wird, welche Kompetenzen politisch. kulturell und ökonomisd1 erforderlich werden, ob und w1e sich diese ermitteln lassen und wie sie ent1 \lickelt werden können. Auch wenn Kompetenzen häufig nach Sclbstkompctcn~, Sachkompetenz und Sozial.kompctc.nz d~ffcrenziert werden, gibt es kcmen breiten ~ons~ns über bestimmte Klassifizierungen. Dre ,Liste der Kon1petcnzen, die immer zugl~tch Koi_npetenzanfordcrungen darstellen, rst schier
dl. L. '1ethodenkompetenz, Fachkorn-unen 1C11_; tY • - son~le Kompetenz. Nlcd1enkom-petenz. per " 1
etenz. pädagogische Kompetenz, tcchmsc te p . Sclbstlernkompctt"nz usw. Vor Kompetenz, . dem Hintergrund unierschiedhc~c:r Syste.'.11a-tisierungen isc es schwer, einen ~on.sens ubc~ Bedarfe zu erzielen und auch dre Frage nac
- Kompetcnzcntwicklungskonzep-gee:1gne1en d r • d . • K npctcnzbe ane wrr ten ftir bcstunmtc: or
d
208 IV Begründungen, Funktionen und Kontexte
je nach zugrunde liegendem Kompetenzver-ständnis unterschiedlich beantwortet. .
\\leiterhin bezieht sich der Kompetenzdiskurs in der Envachscnen- und \ \Teitcrbildung sowohl auf die Lernenden als auch auf die lehrenden. Auch für lehrende werden Kon1-petenzstandards definiert und Kon1petenzen erfasst.
2 Historische Dimension
Die Ven\'endung des Kompetenzbegriffs ist jüngeren Datums und Ausdruck einer Bedeutungsverschiebung sowohl 1nit Blick auf die Venvendung des Qualifikatjonsbcgriffs als auch des Bildungsbegriffs. Er soll zwischen einem zweckfrci gedachten Bildungsbegriff und einem funktionalen Quilifikationsbegriff vermitteln (Roth 1971 ). Im ~"1ittelpunkt dieser Auseinandersetzung steht das Spannungsverhältnis der Aufklarungspädagogik zwischen .Wtenschenbildung auf der einen Seite, welche das Recht des ~1enschen auf sich selbst un1-fasst, und seiner Ausrichtung auf Brauchbarkeit und Gemeinnützigkeit bzw. in weiter verengter Form auf die Funktionalisierung des l\1enschen als Arbeitskraft auf der anderen Seite. Diese Spannung geht mindestens auf die Auseinandersetzung der Neuhumanisten rnit den Philanthropen im ausgehenden 18. Jahrhundert zunick, verdankt sich aber einer noch älteren Difforcnz. In der griechischen Antike de~ 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. galt Arbeit als Zc1ch.en der Unfreiheit Freie ?\1anner arbeite· tcn nicht, sondern folgten dem ldo-.l d p . d . " d ... „ er „ a1-. e1a , er Selbs~bildung, als einer Lebensform, m der ?er (freie männliche) Mensch zu sich findet, mdem er sich zu Gesellschaft u d S
N · ' n taat zu atu.r und Tradition rehtionicrt. Schon i~ :r Antike haben wir es also mit cinern Kon. ~t ~u tun, das Inklusion und Exklusion lc-
gn1m1ert bzw. reproduziert Zug] . h h . d z . · · e1c ersc eint as weckfre1e erstmals u" bc 1· c 1
t . r 1e1ert a s An-agomsmus zum Nütz)' h
baren . f ic en bzw. Verwert-au . Im ausgehenden 18. Jahrhundert,
also i111 Zuge der Aufkhirung und der Entstehung eines neuen n1odernen Bildungssystems taucht diese Differenz wieder auf. Padagogisch war diese Bewegung zunächst geprägt durch die Philanthropen, die sich einerseits als Auf. klarer verstanden und andererseits auf Na. turn;ihc und die Einfachheit der Lebensverhältnisse abzidtl'n. Über Erziehung sollte der Erwerbssinn und die Berufstüchtigkeit gesteigert werden. Die Neuhu1nanistcn, zu denen u. a. \.\f. v. Hurnboldt zu zählen ist, st:tzten sKh von dieser Position ab. Hier stand die allge-111ein-1nenschlichc und allseitig harmonische Bildung in1 Vordergrund. Dieses Spannungsverhaltnis wird in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. in1 Streit Z\\' ischen den Begriffen Bildung auf der einen Seite und Qualifikation auf der anderen Seite weiter fortgesetzt. \Vie diese Begriffe in der jungercn Geschichte gebraucht \\'Urden und sich ennvickelt haben, soll im Folgenden vorgestellt werden.
3 Theoretische Konzepte
Aus Sicht der Erliehungswissenschaft sind die Begriffe Kompetenz und Qualifikation theo· retische Modelle bzw. Konzepte. Theoretisch: Konzepte sind eine Art Filter, vergleichbar 111
11
eincn1 tvlikroskop urn \.Virklichkeit in den ) ' d Blick zu nehmen. Es n1acht einen Untersclue ' ob jcn1and auf die Fahigkeitcn eines Mensche'.1
mit der Brille „Kompetenz", der Brille „Quah· fikation" oder der Brille „Bildung" schaut. Nlit jeder Brille geraten andere Aspekte ~n de.~ Blick. l\1it Kornpctenz kann beispielsweise dit individuelle Handlungsweise irn sozialc'.1 Ko~-
. d . Q 1·c.1kat1on die text 1n cn Blick geraten, mit ua lll ' .. · [' ~t fur gesellschaftlich geforderte Funkt1ona 11
A b . . H.ld ' das Span· r ensprozcsse und n11t 1 ung • · . 1 . 1 M 15chhc 1· nungsverhältnis zwischen 1nc lr ei
. b k .t unter ke1t und ökonon1ischer Brauch ar ei d
F Jgen tll den1 Aspekt von l\1 undigkeit. Im 0 ff
d . ·1 1 Q l'.-.1k" tionsbcgn wer cn nun JCWe1 s c er ua 111 ... • fokus ge
u.~d der ~01~pct~nzbcgriff in _den. andcr. in ruckt ßc1de Jeweils 1n Bezug aufein
„
Kompetenz und Qualifikation
Bezug auf den Bildungsbegriff und ihren je konkreten gesellschaftlichen Kontext.
Qualifikationsbegriff
Der Qualifikationsbcgriff wird ab den 1960er Jahren als Gegenbegriff zur Bildung in Stellung gebracht Diese Bedeutung des Qualifikationsbegriffs steht einerseits irn Kontext der sogenJnntcn „realistischen Wende" in den pädagogischen \<\1issenschaften und der Bildungspolitik, also der Abwendung von den traditionellen geisteswissenschaftlichen Positionen und Begriffen - der Bildungsbegriff war hier ein zentraler Leitbegriff - sowie der Hinwendung zu einer Okonon1isicrung des Bildungssystems. Andererseits steht die Etablierung des Qualifikationsbcgriffs auch im Kontext sich verändernder gesellschaftlicher Verhältnisse. Schon Ende der l 950er Jahre steht die westliche \Veit unter dem Eindruck des SputnikSchocks (1957) und dan1it verbunden vor der Frage, ob das Bildungssystem modernen Ansprüchen genügt, u111 im \Vcttbewerb der Systeme bestehen :z.u können. 1 n den späten 1960er Jahren erlebt die noch junge Bundesrepublik ihre erste \Virtschaftskrise. In dieser gcsellschafilichen Gernengelage wird die Frage nach der Produktivität des Bildungssystems und dessen Zusan1n1enhang 111it dem ßcschäftigungssysk111 neu diskutiert und n1it dem Qualifikationsbegriff bildungspolitisch beantwortet. Der Qualifikationsbcgriff wird 1974 von ßaeihge „als Arbcitsvern1ögcn, als die Gcsarnthcit der je subjektiv-individuellen Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten, die es den1 einzelnen erlauben, eine bcstin1mte Arbeitsfunktion ~u crfullcn„ .", definiert ( ßacthgc 1974, 479). Das Ziel padagogischer Anstrengungen wird 1nit dcrn Qualifikationsbcgriff von der gesellschaftlichen Arbeitsfunktion her definiert. Ebenfalls 1974 definiert der Deutsche Bildung · · 1 K 111 srat 111 Unterscheit ung zum o -~etenzbcgriff: ,„ ". Kon1petcnzen bezeichnen en Lernerfolg i1n Hinblick auf den lernen
den selbst und seine ßcfohigung zu selbstvcr-antwortl ' J · • b 111· · 1c len1 Handeln 1111 privaten, eru
209
chcn ~tnd. gesellschaftlich-politischen Bereich. 1111 Hmbhc~ auf die Venvertbarkeit im privaten Leben, im Beruf, in der Gesellschaft ist der Lernerfolg eine Qualifikation" (Deutscher Bild~ngsrat 1?74,65). Der Kompetenzbegriff bezeichnet hier also die Fahigkeit einer Person in verschiedenen vergleichbaren Situatione~ auf eine vVeise zu agieren, mit der diese Situationen angemessen gelöst werden können. Der Qualifikationsbegriff, zumindest in der Fassung des Deutschen Bildungsrats, ist dem Kompetenzbegriff sehr nahe, aber ausdruckJich auf gesellschaftliche Venvertungssituationen (z.B. Zertifikate) bezogen. Es deutet sich hier an, dass die zunehmende Prominenz des Kompetenzbegriffs mit einem zunehmenden Interesse am produktiven Subjekt einhergeht. In1 Kontext sich verändernder Produktionsbedingungen und der mit diesen einhergehenden Veränderungen im Hinblick auf die Anforderungen an die Arbeitskräfte wandelt sich im Verlauf der 1970er Jahre der Qualifikationsbegriff. D. h„ er wird nach und nach erweiti:rt und umfasst Ende der 1970er Jahre jede Form der Identitats- und Realitätsarbeit. Er nähert sich den1 Kompetenzbegriff am stärksten in Forn1 der Schlüsselqualifikationen, kann sich aber zugleich nicht seines utilitaristischen B~deutungshofs und damit seines negativen Be1-oeschmacks entheben. Dafür scheint der Komo pctenzbegriff geeigneter,
Kompetenzbegriff
U eh 'ed zum Qualifikat1onsbcgriff, Im nters 1 d die gesellschaf dichen Anfordcrun?en an
er f; beschreibt der Arbdt(shandJungen) um asst, „ . D' k-Kom ctenzbegriff 'vVisse~sbe~tande, . en -
. p Fälugkcitcn. Fertigkeiten sowie Be weisen, ' · bes11·rnm-. d Menschen, um 111 re1tschaften ~s . , erfolgreich handeln ten sozialen S1tuat1oncn b·· ·rr betrnch
Der Kompetenz tgn zu können. Pos11ion des handeln-tet Handlungen aus derE beschreibt das Zu-
rv1 sehen heraus. ·r . den ! en . von Fähigkeiten, Fertigke1tc_n, sammensp1el . 1 ft , die ein b-tensch für \Nissen und ßere1ts~l ia ~:~ringt bzw. mitbrincrfolgreichcs Hande n m1
210 IV Begründungen, Funktionen und Kontexte
gen solL Der Qualifikationsbegriff bele~cht~t die gegenliiufige Perspektive: Er beschreibt die gesellschaftlichen Anforderungen für das Handeln in bestimn1ten Situationen, die ~tenschen erfüllen sollen. Beide Begriffe beziehen sich so gesehen auf das Handeln in Situationen - allerdings aus unterschiedlichen Perspektiven. Zentrale ~1erkmak des Kon1petenzbegriffs sind somit die Bindung an das handelnde Subjekt und die Bezogenheit auf Situationen.
Ein drittes ~1erkmal ist das Spannungsverhältnis zwischen Kon1petenz als subjektiven1 (Denk)Vern1ogen zur Entwicklung von Steuerungs- und Gestaltungsprozessen einerseits und den konkreten Situationsanforderungen andererseits: Kompetenz bezeichnet seit Cho1nsky das subjektive Vern1ögen, (Sprach) Handlungen kreativ gestaltend zu entwerfen, d. h. Anforderungen der sozialen Situation nicht nur zu bewältigen, sondern sie in der Interaktion mit anderen Nlenschen kreativ zu gestalten und zu 'eriindern - ein Gedanke den bereits Humboldt entwickelt hat {vgl. Vonkcn 2005, 20). Kompetenz umfasst einen Uberschuss an Handlungsfahigkcit gegenüber der konkreten Handlungsanforderung. In diesem kreativen und Innovation versprechenden Aspekt des Kon1petenzbegriffs wird sein besonderer Ertrag gegenuber dem relativ starren Qualifikationsbegnff gesehen. Der Begriff verweist damit auf kreative und innovative Potentiale i1n Handeln, die fur sogenannte \Vissensund Lerngesellschaften als besonders relevant bewertet werden.
Diese Spielrnume, die weit über die Situat~onsbewaltigung hinausgehen können, lassen sich gegenüber den gesellschaftlichen Anford~run~en .affirmativ oder kritisch ausgestalten_ Ein Be1sp1el fur affirmative Kompetenz ist der ber~flic~c Leistungsträger, der die bestehende be.tnebhche Praxis fortführt und kreativ optimiert. .J\tenschen, welche die fraglosen gesellschaftlichen Praxen kritisch hinterfragen und verandem möchten, sind Beispiele fur kritische Kompetenz. In den pädagogischen Kompetenzkon~.pten spiegeln sich diese affirmativen und kr1t1schen Varianten wieder. Kritische Ko1npetcnzkonzepte set1.cn Kompetenz in
Beziehung zun1 U1ldungsbcgriff und verstehen Kon1petenz als Grundlage fur Selbstbestimnn1ng unJ tvlundigkc1t {Roth 1971, 180). Heinrich Roth unterscheidet Sdbstkompetenz, Sachkon1pctenz und Sozialko1npetcnz. Eine Unterschc1c.lung, die 1n vielfachen Variationen bis heute ßestand hat und darauf verweist, dass Ko1npctcnz nicht nur\ Visscn, sondern auch Persönlichkeit und ihr Verhjltnis zur sozialen \Vdt urnfasst. In den l 970er und l 980cr Jahren wurde von Dieter Baackc ( 1973) und Erhard Schlutz ( 1984) 1nit Bezug auf Jürgen Haben11as komn1unikativcs Handeln bzw. Verständigung als eine Kon1petenz diskutiert, die es gesti.lttet, die Fraglosigkcit gesellschaftlicher Praxis durch kon1n1unikative Kompetenz kritisch zu rdlcktic:rcn. ivl it Kompetenz wird hier nicht nur S1tuationsbewi1ltigung, sondern auch kritische Situationsveränderung in1 Sinne des Bildungsbegriffs beschrieben -ganz im Sinne des aufklärerischen Gedankens, Unmtindigkeit zu ubcn\'inden. Individuelle Handlungsfähigkeit so,,ic gesell~chaftliche
Partizipations- und Gestaltungsfähigkeit sind bis heute zentrale tvterkmale kritischer Kompetenzbegriffe, die sich gegen eine Reduktion ntenschlichen Handelns auf Situat1onsbcwältigung und gegen die Reduktion auf gesellschaftlich en,•unscbte Leistungsfahigkeit entlang vordefinierter Normen sperren. Korn· petenzen sind in kritischer Perspektive Voraussetzung und Ergebnis von Bildungsprozessen als Selbst- und \Vcltvcrstandigungsprozcsse, die Kompetenz schaffen. Kon1pctenzentwicklung lasst sich in1 Kontext des Bildungsgedankens als ein Reflexionsprozess in alltaglichcn Selbstverständigungsver!)uchcn zwischen dem Subjekt und seiner ~ozialen Un1welt verstehen, der auf erweiterte gesellschaftliche Hand· lungsfahigkeit zielt
In den l 990er Jahren t retcn im Kontext verschiedener gesellschaftlicher Veränderungsprozesse Sclbstorgantsationskonzcpte in den Vordergrund des Kompeten1d1skurses. Korn· petenz als Selbstorgan1~ationsfahigkei t ist aus dic-ser Perspektive ein Konzept, das nicht nur Fähigkeiten eines Menschen ;;:ur Sclbstorga· nisation bezeichnet, sondern ,1uch ihre Ent·
Kompetenz und Qualifikation 21 1
wicklung in sclbstorganisierter Weise - insbesondere in informellen Kontexten - erworben sieht. Diese Denkfigur ist flir die beruflich-betriebliche Bildung atlraktiv, weil sie den Herausfordcn1ngen 111odcrner Arbei ts- und Produktionskonzepte zu entsprechen scheint, die mit Sub1cktivierung der Arbeit, Sclbstorganisatwn und Selbstver.11ttwortung der Bcschaftigten fur Produktionsablaufe charakterisiert werden. Kon1pctcnte Menschen gelangen demnach auch in unklaren Situation zu erfolgretehen Handlungsentscheidungen. ,Lernen im Prozess der Arbeit' wird dan1it zu eine1n l\ompctenzentwicklungsprogra1nm, in dessen Rahmen selbstorganisiert lernende ßesclüftigte ihre Kon1petcnzcntwicklung fur die Verbesserung der ArbciL~prozesse selbst in die Hand nehn1cn sollen. Die Selbstorganisationskonzepte betonen da~ Selbst und die Innerlichkeit des Menschen so stark, dass die Anf orderungcn der sozialen Situation und die mit ihnen verbundenen lbctricblichen) Interessen in Vergessenheit LU geraten drohen.
\Veit entfernt von1 kritischen \ Vdtverhaltnis stellt sich das 1'.0111pctenzkonzept der Pädagogischen Psychologie dar. Klien1e bezeichnet Kompetenzen als „kontextspezifische Leistungsdispos1t1oncn" ( Klicn1i:/Hartig 2007, 14). Der „Kon1pctenzturn" 1n der Psychologie von der Lcistungs1ne-.~ung zur Kon1petcnzmessung ist eng n1it den Forderungen der OECD nach mehr Nutzen- und Problc1nlöseoricntierung verbunden. Ll·1:.tung.s1ncssung soll auch aus Sicht der Bildungspolitik stiirkcr als bisher anwcndungs- und problc1norienticrt crfolgcn. Die Effizienz. und EffektiviWt vergleichenden ~0111pctcnz1ncssungcn 1n1 Rah111en von PISA smd pron1incntl'r Au:.druck d1cscs Kon1pctenzvcrstandnbscs. Franz \Vcincrt ( \Vcinert 2002, 27f.) definiert in d1escn1 Kontext Kompetenz. als kognitl\'l' F:1higkcit und Fertigkeit sowie soziale Bcrc1t:.ch:ift, un1 Probleme in llnterschiedhchcn Situationen erfolgreich und verantwortlich 1u lösen. Diese Kon1peten1defin1tion wird heute 111 den Kon1pctcnzdiskursen Weitgehend ge tl'ilt. Sie gilt als eine Konsensformcl. Psychologische Kompctenzkonzcpte werden auch in crw.1chsenenpadagogischen For-
schungen venvcndeL Beispielsweise wird die Lese- und Schreibkompetenz funktionaler Analphabeten mit standardisierten Testverfahren gem~sen und in drei bzw. vier Kompetenzlevels eingeteilt (vgl. Grotli.Jschen & Riekmann 2012).
Auffallig ist, dass im Rahmen des pädagogisch-psychologischen Kompetenzkonzepts keine Bezuge zum professionstheoretischen Diskurs hergestellt werden. Dort wird z.B. in Anlehnung an Oevermann und Ttctgens professionelle Kompetenz als Transformationskompctenz, d.h. als Verschrankung allgemeinen \Vlssens mit den Besonderheiten konkreter Situationen verstanden (Ludwig 2011 ). Kompetente Professionelle transformieren und übersetzen allgemeines (Theorie) vVissen zur Erklärung der konkreten Situation und für die Entwicklung von Handlun~optionen. Kritiker des \Veinert'schen Konzepts wenden ein, dass dort e111 reduzierter \Vissensbegriff zugrunde liegt, der nicht - wie im professionstheorettSchen Diskurs- \Vissen als Retlexionsfolie für Pram begreift, sondern als unmittelbar anzuwendendes Handlungswissen. Der Grund fur die Parallelität der beiden Dislairse ware dann in unterschiedlichen \\'issensbegriffen zu sehen.
4 Empirische Befunde
Die Aufgabe, Kompetenzen cmpiris~~ zu untersuchen, stellt sich sowohl in der \<\ is.~e~ -
- 1 h . der pädagogisclwn Praxis. schalt a s auc m . . , . S. ht der \Vissenschaft wird eme cmp1-
Aus 1c . . d Kompe-. 1 begründete Theoncb1I ung zu .
nsc l ·bt um die verschiedenen tenzen angestn: ' , Kompetenzkonzepte im Rahm~n der KD~mpe:
über rüfen zu konnen. ic cm tcnzforschung . pi ge gilt allgcmctn als gc-. · eh Erkenntnis a
p1ns ~ „ ische Praxis ist vor allem an ring. Die p~dagog , m . ctcnzcrfossungsmögpraxistaughchen Ko PB ProfilPass). Grund· lichkeiten tnteress1crt (d~· . ostik sind unter-
d Kompetenz 1agn · . Jage er d Fähigkcitsnweaus. schiedliche Leistungs- un
212 IV Begründungen, Funktionen und Kontexte
Die Einschätzung und t-. lessung dieser ! iveaus " 'ird sowohl zur Kompetenzentwicklung als auch zur Selcl.-tion eingesetzt. Sowohl i1n Bereich der Kompetenzforschung als auch der Kon1petenzerfussung existieren unterschiedliche Mt:thodcn und Verfahn:n (Selbst- und Fren1deinschätzung), die von den jeweils zugrunde gelegten Kon1pctenzkonzepten abh:tn
gen. In der Kon1petenzforschung werden für
psychologische Kompeten1,konzcpte fast ausschließlich messmethodisch fundierte Instrumente genutzt, z. B" im Kontext von PISA oder der Erhebung der Leseschreibleistung 11n Kontext der Alphabetisierungsforschung ( Grotli.Jschen & Rick.mann 2012). Die größte international vergleichende Untersuchung der Kompetenzniveaus Erwachsener stellt die Yon der OECD in Auftrag gegebene PIAAC-Studie dar (in Deutschland 5000 Personen z\\·ischen 16 und 65 Jahren) . Der Ertrag dieser kognitiv orientierten Instrumente wird un1so geringer, Je breiter das Kompetenzkonzept cnn,•orf en wird, z.B. wenn neben kognitiven Kompetenzen auch soziale und en1otionale Aspekte der Kon1petenz einbezogen werden sollen. In pädagogischen Kontexten \\Tl!d Ko1npetenz überwiegend mit Handlungsbegnindungen und Deutungsmustern konzipiert So fokussiert die Profcssionalisierungsforschung \'Or allem die Reflexivität von Handlungsbegründungen als professionelle Kon1petenz in padagogischen Situationen. Ftir die Untersuchung reflexiver Bezüge auf Handlungsbegründungen eignen sich weniger quantitative Messverfahren als viehnehr qualitativ-sinnrekonstruktive Verfahren (vgL z.B. in der Professionalisierungsforschung Ludwig & Schmidt-\"lenzcl 2014 ).
Für die pädagogische Praxis werden einerseits von der Wissenschaft Instrumente für die Kompetenzerfassung konzipiert. Sie nutzen überwiegend Selbstauskunft, Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzungen bzw. Kombinationen davon (vgl. Kaufuold 2006). Andererseits werden Assessments durchgeführt, in denen tiber Handlungsweisen der Getesteten auf deren Kompetenz geschlossen wird. Pro-
blen1atisch bleibt dabei, dass diejenigen vorhandenen Ko111petenzcn nicht erfasst werden, d1c in der Testsituation nicht erforderlich sind bzw. \'Oll der Testperson als nicht errorderlich betrachtet werden . Offen bleibt auch, ob der Kon1pctenLnachwc1s dauerhaft Bestand hat oder nur punktuell erfolgt (z.. B. eingeschränkt durch Prufungsa ngst ). Die Erhebu ng entlang \'On Zeitreihen w;1rc ,n1ssagckraftiger, ven,1c1st aber zugleich auf die Problcn1atik punktueller Kompetenzerfassung.
5 Internationale Bedeutung
Die Kon1petenzkonjunktur ist nicht allein ein deutsches, sondern vicln1ehr ein internationales Phanomen. Ein grundlegender Unterschied in1 Gebrauch und in der Diskussion des Kon1pctenzbcgriffs liegt in der Spezifik des deutschsprachigen Diskurses begründet In dic.sen1 werden der Qualifikations- und Kon1-pctenzbegnff in einem engen und zugleich problematischen Verhaltnis zum Bildungsbegnff verhandelt (s. o.), während die internationale Debatte, 1n1 Besonderen in der angloamerikanischen \Veit den Kompetenzbegnff pragn1atischer gebraucht. Hier findet sich dann auch \\'ieder ein Anschluss an die nationale wie auch europäische bildungspolitische Diskussion, die den Kompetenzbegriff nicht proble1natis1ert. In EU-Initiativen und Politikdoku1nenten ist das lebenslange Lernen vor allein an einen Kompetenzbegriff geknüpft . der auf die Erhöhung der Beschäftigungschancen abzielt ,
Im internationalen Kontext werden die ße· griffe Qualifikation und Kompetenz ebenfalls gebraucht. ln1 franzusisch-sprachigcn Kontext lassen sich unterschiedliche Gebrauchsweisen iin Hinblick auf den Qualifikations- und den Kompetenzbegriff unterscheiden. Qualifikation kann sich auf das a) Handeln, b) Können und c) Wissen beziehen. In der englischspra· ehigen Diskussion wird eine Reihe von Be· griffen gebraucht, die jeweils unterschiedliche
Kompetenz und Qualifikation
Rl!ichwcitcn haben. Zu diesen Begriffen gehorcn „co1npetence", „competency", „skill" und „abilit}'"· Unter „con1 petc11cc" wird einerseits das Nive.1u von Fertigkeiten (skill), \Vissen (knowlcdge) und Einstellungen (attitude) versrnndcn. d ic notwendig 1.ind, lllll ci ne Arbeit effizient zu erledigen .. Andererseits n1cint „con1-petcncc" die Fiihigkeit (ab1hty), professionell 1u handeln. „Co1npctcncy" wiederun1 bezeichnet die Fähigkeit (ability) oder Leistung (capab1lit)'), die notwendig ist, um eine bestimmte HJndlung zu realisieren bzw. bestim111tcs Verhalten zu zeigen. Neben der Diskussion dieser Konzepte in der internationalen Fachliteratur werden sie vor allem von internationalen bildungspolitisch interessierten Akteuren prominent 111 den Vordergrund gerückt. Zu diesen Akteuren zahlen die EU, die beispielsweise mit dem EQR (bzw. dem EQF, European Qualification Framework) den europa1schen Referenzrahmen fur die jeweiligen nationalen Quahfika11onsrahmcn cnt\vickclt hat , und die OECD. In der hat die „DEELSA" (das Direktorat fUr Bildung, ßesch;iftigung, Arbeit und Soziales) ein Konzept entwickelt, das cbenfalb emcn Refcrenzr,1hn1en ,·orstellt, 1nit den1 die Definition und lVlessung von Schlusselko111-pctcnzcn moglich werden soll (vgl. DEELSN OECD 2002, 6).
6 Aktuelle Problemlagen und Ausblick auf die Zukunft
Aus der Perspektive einer crw:1d1scnenp<idagogischcn f.orschung gilt es, den Gegen~land Kompctcn1 1nithilfe einer cn1pirischen ~~mpeknzror~chung, die grundlagcn- und ildungstheon:tisch orientiert ist, zu unter
suchen. Zu klaren wäre das Vcrhaltnis von Schltissclko1npctenzen und situationsbe7.os;ncn Ko1npctcn7.cn, insbesondere weil der Kornpctenzbegnff situationsbczogen definiert ;v1rd . Schließlich gilt es, Kon1pctl•nzcntw1Ckung lll ihrer Proicsshaftigke1t zu untersuchen,
213
um daran anknü r d K . picn ompetenzentwick-lung d1dakt1sch zu rahmen.
. Dieser Überblick sollte 7.eigen, dass die Begriffe Qualifikation und Kompetenz ahnlich k~nfiguriert sind, aber Fähigkeiten, Kenntnisse und Einstellungen unterschiedlich fassen. \·Va~ren_d mit dem Qualifikationsbcgriff diese Fah1gke1ten etc. von der Arbeitsfunktion her bestimmt werden, sind diese mit dem Kompetenzbegriff vom Indi,·iduum her gerahmt. Der ?esondere Ertrag des Kompetenzbegriffs liegt 1m Überschuss an Handlungsfähigkeit, der Innovation und nicht nur Situationsbewaltagung verspricht. Diese Innovation kann affirmativ oder kritisch orientiert sein. Mit der begrifflichen Urnstdlung auf „Kompetenz" geht eine Responsibilis1erung- und Flexibilisicrungs· zurnutung an die Indi"iduen einher. D. h. sie werden selbst fü r ihre Kompetenzen bzw. deren Enn,'lcklungsmveau verantwortlich gemacht. Durch die Etablierung\ on Kompetenzniveaus, wie sie mit dem Deutschen Qualifikationsrahn1en entwickelt wurden, wird zugleich sic.htbnr, wie der Kompetenzbegriff soziale Unterschiede legitimieren kann.
\Vie lange entspricht der Kompetenzbegriff noch den gesellschafilichcn Anforderungen nach Flexibilität, Innovation und individueller Verant\,·ortung? Das lässt sich nicht mit Sicherheit vorhersagen. Die \'Orhergehcnde Darstellung soll aber gezeigt haben, _dass diese ßenritTc: in der Regel nicht einfach em vorhergehendes Problem auflösen oder_ ein _Phanomen genauer fassen. Es handelt sich v1~lmchr um diskursiv·e Akte, mit denen best1mm~e Positionen vertreten werden, bestimmte Positionen andl!ren ,·orgezogen werd:n usw. G~rade auch weil es sich hier um bild~mgspohtisch gebrauchte Begriffe handelt, ist ~eren
1 . eh D"1ncnsion nicht zu unterschatzen.
Po 1t1s e 1 , _
eh . - als ob der Komp1:-Gegenwart1g s cmt e~. ' . ..
b 'ff di , nachste Zukunft weiter pragen
tenz egn t: d d · htb:ir in dem . d. N"cht zuletzt wir as s1c
wir 1 . h d den da-\~ , h n1it dem europaisc en un . .
en,uc • · 1 1 Quah-. ' 1 'ingenden nauona er mit ~usamhmc:~ \,die klassischen zertifizierten fikat1onsra mcn . . , enzmatrix zu Qualifikationen in eine Kompet
ubcrsetzcn.
214 IV Begründungen, Funktionen und Kontexte
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Sozialisation
Helmut Bremer
1 Sozialisation - um was geht es?
Sozialtsatton als einer der erz1ehungswisscnschafthchen Grundbegriffe thematisiert ganz allgemein den Prozess der Vcrgcscllschaftung, d.h. das Verh~iltnis von Individuum und Gesellschaft bzw. der Entwicklung \'On Persönlichkeit und Identität im Kontl!xt gcsdlschafthcher Bedingungen. Für die Erwachsenenbildung liegt die Relevanz von Sozialisation darin, dass dan1it einerseits auf die intendierten und nicht intendierten Erziehungs-, Lcrnund Bildungsprozesse ven,riesen wird, an die (instirut1onclle) Bildung anknupft. Andererseits wird auch ein reflexiver Blick auf die gesellschaftliche Funktion von En\l'achsenenbildung ern1öglicht. \\lahrend es auf einer wisscnsch;iftlich-analytischen Ebene um das grunds;itzlichc Verstehen von b1ogr.1phischen ProLcssen und sozialen L;iulbahnen geht, kann man f ur die prakttschc Ebene sagen, dass Konzepte wie Teilnehn1er-. Lebenswelt - oder Alltagsorientierung „ohne sozialts.1tionstheoretischc Fundierung kau1n tats;1chlich grdfen" können (\.V1ttpoth 1994, 2).
Trotz dieser un1nittdbarcn Rclev.111z fuhrt das Konzept „Sozialisation" in der Erwachsenenbildung eher ein Sch.1 ttcnd:1sei11. Das hat zum Teil dan11t zu tun, d:1ss in den einschhig1gcn Ans:it1en So1.i;1lisation lange Zeit als e111 Prozess betrachtl't wurde, der n1i t der Kindheit und Adoleszenz 1nchr oder weniger abgeschlossen ist. Das haufige Verständnis, Sozialisation sei der Proze~s. in dessen Verlauf sich Menschen zu cinl'r „sozi;il handlungsfähigen Persönlichkeit" entwickeln (Hurrelmann 1990, 14), legt nahe, dass n1it dem Er· wachscncnscin der Soz1alisationsprozess irn Grunde abgeschlossen ii.t - drückt doch „Handlungsf.ihigkeit" mehr oder n11ndcr den
E~vachsenenstatus aus. Verbreitet war also die Annahme, dass die Individuen in Kindheil und Jugend eine Art Grundausstattung erhalten, mit der sie als fertige Erwachsene in der Gesellschaft agieren. Die Vorstellung, dass Sozialisation als lebenslanger und damit für Enn1chscncnbildung bedculsamer Prozess zu verstehen ist, setzte sich erst langsam durch.
Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass in der En,rachsenenbildung verbreitet eine Affimtät fur emphatische Subjektvorstellungen vorhanden ist, die dazu führt, die biographischen Konstruktionsleistungen der Subjekte bei der Entwicklung Yon Per.sönhchkeit und Identität hen·orzuheben und die sozialen Rahmungen und Vorstrukturierungen, auf die Sozialisationskonzepte immer vcn1•eiscn, zu vcrnachlassigen.
Aktuell begri.mdct werden können Soziah· sationserfordcrnisse im Erwachsenen:ilter damit, dass ausgehend \On gesellschaftlichen, okonomischcn und technischen Entwicklungen Lebenslanges Lernen als ~otwendig propagiert und zugleich ein Erodieren der En,'erbsarbeitsmuster und der sog.. Normalbiographien konstatiert wird. Die Akteure n1üsscn sich demnach - hier wird oft auf Bc_cks Individuahsierungstheorem ( 1986) r~kurncrt - i11sgcsamt auf Diskontinuitäten ~mste~len und damil umgehen. Im Ergebnis sind diese Entwicklungen mit arbeitsweltb~ogenem Dazulernen wie auch mit biogr.1p~1~ch~n ,Ncu-· ustierungen' \'erbunden; Identltat JSI ~em~ach dann immer wieder neu herzust~llen
• 1999 161T. ). Solche ObergJngc (Keupp u.a. • . . zwischen verschiedenen sozialen Pos1tion~n , die gesellschaftlich und subj~ktiv be\b1'lilttg~
d müssen und die sich innerbal un wer en . II E "3Chsene.n-. tßerh·tlb ''On instituuone er n . 1 S at ' . k' lassen sich a s o· bildung abspielen ·onnen, zialisat ionsprozcsse fussen.
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