Jerabeks Pionierarbeit Die Geschichte eines Soldaten › de › media ›...

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Samstag/Sonntag, 15./16. September 2012 Nr. 215 / Seite 3LOKALES

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ELLINGEN – In Ellingen daheim, in derBundeswehr zu Hause und in Neapelstationiert. Manfred Jerabek, 51 Jahrealt, hat bei der Bundeswehr eine ein-drucksvolle und eigentümliche Karrierehingelegt. Derzeit ist er die rechte Handeines Vier-Sterne-Admirals am NATO-Stützpunkt in Neapel. Seine wohl letztegroße Aufgabe, bevor er in den Ruhe-stand geht. Dann wird er zusammenmit seiner Frau in die alte Heimat nachEllingen ziehen. Die Bilanz eines unge-wöhnlichen Lebens als Soldat.

Seit 33 Jahren ist Manfred Jerabekbei der Bundeswehr. Als er im Januar1980 am Ellinger Bahnhof stand, umseinem Einberufungsbescheid zu fol-gen, hätte sich der damals 18-Jährigenicht träumen lassen, wohin seine be-rufliche Reise führt. Als der Schreiner-geselle seine Karriere bei der Bun -deswehr begann, gründen sich dieGrünen, Ronald Reagan gewinnt inden USA die Wahlen und Deutschlandwird zum zweiten Mal Fußball-Euro-pameister. Jerabek verpflichtet sichals Soldat auf Zeit. Aus den geplantenvier Jahren werden Jahrzehnte.

Als Fallschirmjäger entschied ersich früh für die Unteroffizier- unddann für die Feldwebellaufbahn, spä-ter für ein Leben als Berufssoldat.Deutschlandweit war er in Führungs-und Ausbildungspositionen statio-niert. 1995 geht er im Rahmen der UN-Mission „PROFOR“ nach Kroatien. ImJahr 2000 beginnt seine internationaleLaufbahn als deutscher Verbindungs-feldwebel an einer amerikanischen In-fanterieschule.

„Ein Traumposten“ für den passio-nierten Sportler, Fallschirmjäger undehemaligen Soldaten einer Spezial -einheit. „Jede Woche Schießen, jedeWoche Fallschirmspringen. Im inter-nationalen Austausch voneinanderlernen“, erinnert er sich gerne an dieZeit in Georgia. Er macht einen gutenJob und die Bundeswehr bietet ihmeine Ausbildung an der US Army Ser-geants Major Academy in Fort Blissan. Dort versammelt die Army ihreSpitzenunteroffiziere – mit dem Ziel,sie zum „Command Ser geant Major“zu machen, dem Berater der Komman-deure. Zehn Monate dauert der Lehr-gang. 5.55 Uhr Antreten, 6.00 Uhr

Flaggenparade, Sport, Duschen,Essen, um 9.00 Uhr beginnt der Un-terricht. Führungslehre, Administra-tion, Militärische Operationen, effi-zienter Umgang mit Ressourcen oderLänderkunde stehen auf dem Pro-gramm. Der Ellinger schafft die Aus-bildung und bleibt als Ausbilder ander Akademie. Ein deutscher Bun-deswehr-Angehö riger, der die Eliteder amerikanischen Unteroffiziereausbildet – eine Seltenheit.

Wissen wo die Heimat istJerabeks Frau Krimhilde ist in den

Jahren in den Staaten an seinerSeite. Ihren Hauptwohnsitz in Ellin-gen geben die beiden aber nie auf.„Es ist gut zu wissen, wo die Heimatist, wenn man so viel unterwegs ist“,berichtet der 51-Jährige mit einergewissen Sehnsucht. Vor der Bun-deswehr kickte Jerabek für den SCStirn, machte Judo beim FC/DJKWeißenburg und sicherte Damen,Könige und Bauern beim Schachver-ein in Ellingen. Heute bleibt nurnoch Zeit für das Laufen. Wenn sienicht gerade im Ausland sind, ver-bringen sie ihre freie Zeit in der El-linger Heimat.

Nach acht Jahren in den USA zoges ihn zurück nach Deutschland. Fürdie Bundeswehr eine Herausforde-rung. Was sollten sie mit einem deut-schen Command Sergeant Major ma-chen? Eine Position, die es bei derBundeswehr gar nicht gibt. Jerabekgeht auf ei genen Wunsch für ein hal-bes Jahr nach Afghanistan. „Soetwas hatte ich noch nicht gesehen.Das sollte meine Soldatenlaufbahnabrunden“, erzählt der Ellinger. Alsmilitärfachlicher Berater des Trup-penpsychologen arbeitet er in Mazar-e Sharif. Er ist überall, wo es brennt.Versucht, zusammen mit einer Psy-chologin die seelischen Wunden derSoldaten zu heilen. Das halbe Jahrhinterlässt auch bei ihm Spuren.

Jerabeks Weg führt ihn zurücknach Deutschland. Die Bundeswehrhatte eine passende Sonderverwen-dung gefunden. Der Ellinger wirdnach Garmisch-Partenkirchen andas Marshall Center versetzt, das eu-ropäische Zentrum für Sicherheits-

studien. Das aber bleibt eine Über-gangslösung. Der 51-Jährige bewirbtsich als Command Sergeant Major imJoint Force Command (JFC) der NATOin Neapel.

Manfred Jerabek wusste, dass ergute Chancen hatte. „So viele pass tennicht auf das Stellenprofil. Auslands-verwendung, Sprachkenntnis, Ausbil-dung . . . Ich wusste, dass, wenn ichmich bewerbe, ich vorne dabei seinwerde.“ Er hatte recht. Die NATOgreift dankbar zu und beschert demBerufssoldaten einen Höhepunkt sei-ner Karriere. Seit Juli 2011 ist er alsBerater des amerikanischen Komman-deurs, einem Vier-Sterne-Admiral inNeapel, stationiert. Er ist zuständigfür Führung, Ausbildung und Trainingder NATO-Unteroffiziere.

Jerabek ist viel unterwegs. In seinerFunktion gehört es dazu, sich auf demLaufenden zu halten. Im vergangenenMonat besuchte er den Kosovo, woderzeit rund 700 deutsche Soldatenihren Dienst tun. Seine Besuche nutztder Oberstabsfeldwebel auch für Vor-träge. „Viele junge Soldaten wissengar nicht genau, was noch alles mög-lich ist“, erzählt er. Die Karriere desehemaligen Schreinergesellen ist dafürein gutes Beispiel.

Die Soldaten sind beeindruckt vondem Franken, der an seiner grauenUniform ziemlich viele Ehrungenträgt. Drei Jahre noch und er wirddiese Uniform in den Kleiderschrankhängen und endgültig nach Ellingenzurückkehren. Bis dahin bleibt erin Neapel. Der 51-Jährige ist jetzt alsAnge höriger der deutschen Bundes-wehr, der von der US-Armee ausgebil-det wurde, zuständig für die Unterof-fiziere der NATO-Truppen im italieni-schen Neapel. Diese Entwicklung warnicht vorauszusehen – weder für Je-rabek noch den erfahrensten Berufs-berater der Bundeswehr.

ANDREA SCHULZEDie Autorin ist Kapitänleutnant und derzeit

als Presseoffizier des 32. Deutschen Einsatz-kontingentes KFOR im Kosovo. In Deutschlandist die 30-Jährige seit 2009 in Nürnberg als Ju-gendoffizier und Referentin für Sicherheitspoli-tik, stationiert. Sie ist seit 2001 bei der Bundes-wehr, versah auf der Gorch Fock und der Fre-gatte Mecklenburg-Vorpommern Dienst. ImVorjahr war sie in Afghanistan tätig.

ELLINGEN/MAZAR-E SHARIF –In der Bundeswehr hat Manfred Jera -bek Karriere gemacht (siehe nebenste-henden Bericht), für Aufsehen hat erin diesem Jahr aber mit einem Buchgesorgt. Der Ellinger versammeltsämtliche in Afghanistan gefallenendeutschen Soldaten und Polizistenund würdigt ihre Verdienste. Wederdie Bundeswehr noch das Verteidi-gungsministerium hatten das bishergeschafft.

Das Buch hat einen schwarzen Ein-band und trägt schon auf den erstenBlick Trauer. Um Sinn und Zweck desBuches zu ergründen, braucht mannicht lang zu blättern. „Mit diesem

Buch werde ich hoffentlich denGrundstein für eine längst überfälligeDiskussion und Anerkennung auch inder Öffentlichkeit legen“, heißt es imVorwort. „Dies ist mein einziges Ziel“,schreibt Jerabek.

Anerkennung – die zentrale Voka-bel des Ellinger Oberstabsfeldwebels.Über Sinn und Unsinn des Afgha -nistan-Einsatzes will er nicht disku-tieren, es geht ihm um anderes. Nichtdie Bundeswehr hat entschieden,Krieg zu führen, sondern der DeutscheBundestag. Er schickte die Armee anden Hindukusch. Seitdem führen dieSoldaten dort – im Auftrag der gesam-ten Bundesrepublik – ihren Auftragaus.

Mit Gefahr für Leib und Leben, wieJerabek eindrucksvoll zeigt. Der Ellin-ger fordert Anerkennung für sei-ne Kameraden ein. Anerkennung füreinen harten, schwierigen und gefähr-lichen Job: nicht mehr, allerdings auchauf keinen Fall weniger.

52 Soldaten und drei deutsche Poli-zisten sind seit 2002 im Zuge des Af-ghanistan-Einsatzes ums Leben ge-kommen, darunter Gefallene und Ver-unglückte sowie einige Selbstmorde.Oberstabsgefreiter Alexej Kobelew istdas vorerst letzte Opfer. Er wurde imJuni 2011 bei einem Sprengstoffan-

schlag nahe Kundus getötet. Seit Je -rabek sein Buch veröffentlicht hat, gabes keine deutschen Opfer mehr. DerEllinger sähe es gerne, wenn das sobliebe.

Im Gespräch mit dem WeißenburgerTagblatt erzählt er, was den Anspornzu dem Buch gegeben hat. Karfreitag2010 in Kundus: Ein junger Stabsge-freiter wird bei Kämpfen schwer ver-letzt. Er verliert ein Auge. Einige Mo-nate später spricht Manfred Jerabekmit dem Mann. Was er erfährt, scho -ckiert ihn. Der Stabsgefreite erzähltzu Hause, dass er sein Auge bei einemAutounfall verloren habe. Jerabek willwissen, warum. Der Mann antwortet

ihm: Als er zu Hausedie Wahrheit er-zählte, antworteteihm eine Bekannter:„Selber schuld.“

Das alte Thema.Wie geht die Heimatmit den Soldatenum, die vom Kriegs-einsatz gezeichnetund trau matisiertzurückkehren? Ver-gangene Woche erstnahm sich ein Tatortdieses Themas anund provozierte eineStellungnahme desVerteidigungsmini-sters Thomas deMaizière. Die imTatort geschildertenZustände der heim-kehrenden Soldatenseien „un -realistisch“.

Derselbe Minister,der in diesem Jahreinen seiner Mitar-beiter bei ManfredJerabek anrufenließ, um ihm seinenDank auszurichtenfür das schöne Buch.Man habe so etwasschon lange geplant,bisher sei aber nochnichts daraus ge-worden. Ob diesebeiden Ins titutionen

nicht hätten schaffen können, waseinem einzigen Mann in seiner Freizeitgelang? Der Autor zuckte die Achseln.

Die Bundeswehr hat er nicht offi-ziell um Hilfe gebeten bei seinen Re-cherchen. Das Buch ist sein Privatpro-jekt, im Selbstverlag erschienen. DieInformationen besorgte er sich im In-ternet, bei Medien und vor allem vor Ort bei den beteiligten Einheitenin Afghanistan.

Jedem der 55 Toten hat er eine Sei-te in dem Buch gewidmet, er listetNamen, Alter, Todestag, militärischenRang, Regimentszugehörigkeit und dieArt und Weise des Todes auf. Die Bil-der sind oft von schlechter Qualität, in wenigen Fällen fehlen sie ganz. „Ichhabe die Bilder alle im Internet ge-sammelt“, erzählt Jerabek. Er wollekeinesfalls die Angehörigen mit sei-nem Projekt behelligen.

So ist es im Wesentlichen ein Buchfür Soldaten geworden, die in Afgha-nistan waren. Eines, das sie an einengefährlichen Einsatz erinnert, an be-kannte Orte und natürlich vor allemdaran, dass andere nicht lebend in die Heimat zurückkehrten. Der zivilenWelt aber mag es einen Anstoß geben,ob sie im Umgang mit den Afghanis -tan-Rückkehrern alles richtig macht.

JAN STEPHAN

Die Toten der Bundeswehr in Afghanistan

Jerabeks PionierarbeitDer Ellinger hat erstmals alle Todesopfer am Hindukusch aufgelistet

Was der Bundeswehr nicht gelang, schaffte ein Privatmann:Manfred Jerabek listete die deutschen Opfer des Afghani-stan-Einsatzes auf. Der Verteidigungsminister bedankte sichbei ihm.

Stationen einer Karriere bei der Bundeswehr: Nach seinen Jahren in den USA war Jerabek ein halbes Jahr in Afghanistan als Berater der Truppenpsychologen stationiert. Sein letzten großen Posten trat der 51-Jährige 2011 an. Er ist nun Berater eines amerikanischen Vier-Sterne-Admirals am NATO-Stützpunkt in Neapel.

Vom Schreiner-Gesellen zur rechten Hand des Admirals

Die Geschichte eines SoldatenDer Ellinger Manfred Jerabek hat eine seltsame, aber erfolgreiche Karriere bei der Bundeswehr gemacht

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