Kepler-Symposion Linz 1980

Preview:

Citation preview

262 Dokumentation und Information

Michele Maylender: Storia delle Accademie d'Italia. Bologna 1926. In seinern Referat ,,Akademien, gelehrte Societaten bei Gottfried Wilhelm Leibniz". Reinhart Koselleck: Kritik und Krise. Ein Beitrag zur Pathogenese der biirgerlichen Welt. Freiburg/ Munchen 1959,* 1971.

Dr. Bernd Roeck MiIchstraOe 1 D-8000 Miinchen 80

Kepler-Symposion Linz 1980

Schon 1971 war aus Anlafi des 400. Geburtstages in Linz ein Kepler-Symposion abgehal- ten worden; 1980 bot das 350. Todesjahr erneut Gelegenheit, sich des groden Astronomen, des Jeutschen Pythagoras" (Max Caspar), zu erinnern. In den Stadten von Keplers Wir- ken fanden Veranstaltungen statt, deren wohl bedeutendste vom 25. bis 28. September 1980 wieder in Linz - Kepler hatte dort 16 Jahre seinen Wohnsitz - iiber die Bfine ging. ,uber die Buhne' ist dabei mehr als Redewendung, denn zusatzlich zu den zwolf Refera- ten und der abschliefienden Podiumsdiskussion im Kaisersaal des Stiftes Kremsmunster fanden Konzerte statt, die in Zusammenhang mit Kepler standen: Zum einen musizierten tschechische und osterreichische Ensembles Musik aus Keplers Zeit, zum anderen gelangte Paul Hindemiths kaum gespielte Kepler-Oper Die Harmonie der Welt (Slowakisches Phil- harmonisches Orchester und Chor, Solisten, Dirigent: Kurt Woss) im Brucknerhaus zu grofiartiger konzertanter Aufffirung. Als Veranstalter fungierte (in vorbildlicher Weise) die Linzer Veranstaltungsgesellschaft, die das Symposion in ihr renommiertes Bruckner- Fest eingliederte; Koordinator des Symposions sowie Herausgeber der demnachst im Druck erscheinenden Referate war Rudolf Haase, Leiter des Instituts fur harmonikale Grundlagenforschung der Wiener Hochschule fur Musik und darstellende Kunst. Die Ein- bindung in den bereits zur Tradition gewordenen und gesicherten Rahmen des Bruckner- Festes fuhrte nicht nur zu einem erfreulich guten Besuch des Symposions (durchschnitt- lich 100 Horer), sondern sicherte der Veranstaltung auch ein entsprechendes Presse- Echo.

Sechs Referenten aus der Bundesrepublik, fiinf aus Osterreich und der Schweizer Rubeli waren es, welche nicht so sehr Keplers herausragende astronomische und mathematische Leistungen behandelten, sondern weniger bekannte Aspekte in den Mittelpunkt ihrer Aus- fuhrungen stellten beziehungsweise auf Fortwirken oder die Stellungnahme der Zeitgenos- sen zu Kepler eingingen. Ein Fortwirken besonderer Art hatte Alfred Rubeli als Referats- thema gewahlt: ,,Keplers Harmonik in Hindemiths Oper ,Die Harmonie der Welt'.'' In die- sem Einfuhrungsvortrag zur- Auffuhrung der Hindemithschen Kepler-Oper erlauterte Rubeli die Entstehungsgeschichte der Oper (komponiert 1956/57 in nur 9 Monaten, 1957 uraufgefuhrt), die einer Symphonie gleichen Namens (komponiert in 2 Monaten, 1952 uraufgefuhrt) entwachsen ist, welche die boethianischen Satztitel musica mundana, mu- sics humana und musica instrumentalis tragt. Rubeli, als Hindemith-Schder pradestiniert, wies lebendig, anschaulich und auch fur Nicht-Musiker fadlich Zusammenhange zwischen Kepler und Hindemith nach, wobei er als gemeinsames Charakteristikum die Kombination aus innerer Begeisterung und sachlicher Arbeit aufzeigte. Hindemith hat jedenfalls die geschichtlichen, astronomischen und philosophischen Gegebenheiten genau studiert, was man - sofern man sich in der glucklichen Lage befand, in der Partitur oder dem Textbuch

Dokumentation und Information 263

mitlesen zu konnen - bei der Auffiihrung der Oper verfolgen konnte. Der Nurnberger Musikwissenschaftler Michael Dickreiter, der 1973 mit einer Arbeit

Kepler als Musikwissenschaftler promoviert hatte, behandelte das dritte Buch der Welt- harmonik, die Musiktheorie. Angesichts dieser selten dargelegten Komponente des kepler- schen Denkens erscheint ein etwas ausfuhrlicheres Eingehen auf Dickreiters Referat gerechtfertigt. Dickreiter knupfte an die beiden Wesensstrome der Musik an: erstens die mathematisch-spekulative, pythagoreisch-platonisch-boethianische, die Ordnung, Harmo- nie und Schonheit intendiert und, gelegentlich in Form einer Urbild/Abbild-Theorie, kosmische und musikalische Harmonie in Analogie sieht; zweitens die praxis-nahere psy- chologische Musikdeutung. Fand in der Renaissancezeit eine gegenseitige Erganzung bei- der Stromungen statt, so zeigt sich im 17. Jahrhundert eine Akzentuierung insofern, als die Mathematiker grofies Interesse an der Musik zeigen. Kepler, der Universalgelehrte, wei8 - fur damalige Verhaltnisse beinahe selbstverstandlich - uber Schwingungsverhalt- nisse und musiktheoretische Grundlagen bestens Bescheid; sie sind fur ihn als Harmoniker Subaspekt des einen umfassenden Gesetzes, das per analogiam in den mathematischen Naturwissenschaftsdisziplinen gilt. Die Musik erscheint also fur Kepler vor dem traditio- nellen Hintergrund des mittelalterlichen Quadriviums, wobei die Proportionen der zahlge- bundenen Wissenschaften dem Kosmos Ordnung und Schonheit verlehen und erkennbar werden, besser: sich zu erkennen geben in den Bewegungen der Gestirne, in der mensch- lichen Psyche, in der Musik, in geometrischen Figuren und so fort. In der Seele sind die Harmonien urbildlich vorhanden; auch sonst sind Harmonien, das sind (kon-)sonante In- tervallproportionen, immer vorgeordnete Urbilder, niemals Abbilder. In der mittels mathematischer Verfahren gezeigten Trennung zwischen kon- und dissonanten Interval- len besteht die wesentliche Erweiterung, die Keplers Harmonieverstandnis gegenuber dem neuplatonisch-prokleischen auszeichnet. Kepler sieht sich diesbezuglich als echter Neue- rer: ,,Nachdem man zweitausend Jahre nach ihnen suchte, bin ich, wenn ich mich nicht tausche, der erste, der sie aufs genaueste darstellt" (Vorrede zum 3. Buch der Weltharmo- nik). Neben Oktav, Quint und Quart sind Terzen und Sexten als Konsonanzen voll aner- kannt.

Dickreiter, der auch konkret aufzeigte, wieweit Kepler von Jugend auf mit dem Musik- leben seiner Zeit konfrontiert wurde, ging dann auf die vier wesentlichsten Punkte in Kep- lers musiktheoretischen Ausfuhrungen ein: 1. die (mitteltonige) Temperatur (Schlicks) und das (naturlich-harmonische) Tonsystem; 2 . die Moduslehre (als Ubergang zum Dur/Moll-System); damit zusammenhangend die

von Kepler innovatorisch formulierte 3. Melodielehre; sowie die Unterscheidung 4. durus/mollis, welche - am beginnenden Generalbafizeitalter, also in der Ubergangszeit

von Poly- zu Monophonie - unserem modernen Dur/Moll-Begriff entspricht, allerdings nur sofern es sich um Tonleitern handelt, nicht aber auch bei Akkordbildungen. Nicht zu Kepler als Musiktheoretiker, sondern als Harmoniker nahm der Symposionslei-

ter (und Musikwissenschaftler) Rudolf Haase Stellung, indem er die ,,Bedeutung von Analo- gie und Finalitat fur Kepler und die Gegenwart" behandelte. Haase stellte sich gegen die kausale Denkweise als alleinige Moglichkeit naturwissenschaftlichen Forschens und ruckte andere Denkstile - per analogiam und nach der Finalursachlichkeit -, wie sie bei Kepler vorherrschend sind, in den Mittelpunkt. Kepler, der ,,die Analogien als zuverlassigste Lehrmeister, die um alle Geheimnisse der Natur wissen", liebt, zeigt Analogien auf, die Astronomie, Musiktheorie und Mathematik verbinden und auf einen gottlichen Schop- fungsplan verweisen. (Heute spielen Analogien im naturwissenschaftlichen Weltbild keine oder kaum eine Rolle; die harmonikale Grundlagenforschung konnte eine komplementare Vervollstandigung der naturwissenschaftlichen Einseitigkeit bieten.)

264 Dokumentation und Information

Kepler bildete Analogien zu den musikalischen Grundlagen, die keine Zufalligkeit oder Konvention sind, sondern naturwissenschaftlich ableitbare und erklarbare Phanomene. Dadurch hangen diese Analogien nicht in einem luftleeren Raum, sondern sind direkte Fortsetzung anerkannter und als gesichert geltender Naturgesetze. Analogiedenken und harmonikaler Idealismus hat Kepler bei den Astronomen und Physikern freilich mehrheit- lich Schwierigkeiten und Ablehnung eingebracht (siehe auch Beitrag Krafft).

Harmonikale Proportionen sind an exponierten Stellen der Natur vorfindbar, wie zum Beispiel die Uberschrift zum 9. Kapitel im 5. Buch der Weltharmonik zeigt: ,,Dafi die Exzentrizitaten bei den einzelnen Planeten ihren Ursprung in der Vorsorge fur die Harmo- nien zwischen ihren Bewegungen haben." Hier wird das teleologische Denken sichtbar, welches den Zielen der Schopfung nachspurt.

Nicht nur das Analogie-, auch das finale Denken fuhrt seit der Barockzeit ein eher stief- mutterliches Dasein im Verband wissenschaftlicher Methoden. Haase, bedeutendster Ex- ponent der harmonikalen Grundlagenforschung, zeigte aber anhand einiger harmonikaler Untersuchungen die Moglichkeit des Analogie- und Finaldenkens auf und betonte dar- uber hinaus sowohl die ethische Komponente einer solchen Wissenschaftshaltung wie auch religiose Ausblicke, welche die alte Idee eines Weltschopfers noch lange nicht als Jiber- holt" erscheinen lassen.

Auch Haases Assistent, der Musiker und Komponist Werner Schulze, klammerte in sei- nem Vortrag die Musik aus und referierte uber ,,Mathematkche und philosophische Grundlagen der Keplerschen Staatstheorie", die, obzwar auf platonischem und aristoteli- schem Fundament gebaut und sich vor allem auf Jean Bodin beziehend (siehe auch Bei- trag Bialas), als eigenstandige Weiterentwicklung des tradierten Gedankenguts in Richtung auf eine harmonikale Staatslehre angesehen werden mufi. Kepler bietet aber keine syste- matische und grofiangelegte Staatstheorie, sondern lafit im Anhang zum 3. Buch der Welt- harmonik gleichsam nur anklingen, wie in der Praxis gesellschaftlicher Strukturen Men- schen sich harmonisch und schopfungsgemafi verhalten konnen. Kepler bezieht sich dabei auf die alte Lehre von den mathematischen Medietaten und sieht in der (harmonischen) Mitte - in gut griechischem Ineinsdenken von Ethik und Politik - Norm-Ziel von staat- licher Ordnung und individuellem Verhalten. Er halt sich dabei nicht an Platons geome- trische oder Bodins harmonische Proportion, sondern an die harmonikale, die er aller- dings unter dem Namen ,,harmonische" fuhrt. Die harmonisch(-harmonikale) Folge mufi sinnvolle, das heifit musikalische Konsonanzen zeugende Proportionen ergeben; die Be- dingung der Moglichkeit von klanglicher Erfahrbarkeit wird dadurch recht eigentlich transzendentale Voraussetzung fur die Wahrheit mathematischer Gebilde.

Man darf nicht vergessen, dafi diese auf harmonische Ordnung ausgerichtete Staatslehre in einem Jahrhundert verfafit wurde mit einem 30-jahrigen Krieg, der sicherlich der schlimmste war, den Mitteleuropa bis damals je erlebt hatte. Aus den Erfahrungen fried- losen Daseins - zu Keplers Lebenszeit fanden insgesamt 19 (!) Kriege statt - ringt Kepler vehement um eine humanistische Friedensidee. Volker Bialas, der ,,Keplers Beitrag zur Friedensidee im 17. Jahrhundert" untersuchte, legte dar, wie der Friedensgedanke sogar Kriegsabsichten gegen (unglaubige) Volker implizierte und Kreuzzug-Plane gegen die Tur- ken nicht nur legitimierte, sondern gar wachrief. Die Begriffe ,,Recht", ,,Friede" oder ,,Toleranz" waren durchaus noch nicht die heutigen. Keplers Position war gleichsam die einer Vermittlertatigkeit zwischen den drei Religionen (siehe auch Beitrage List und Ha- mann); ein von Liebe getragenes sittliches Gesinnungs-Verhalten ist fur ihn wichtigste Friedensbedingung. Kepler hatte dazu vie1 aus seiner eigenen Glaubigkeit stammende Kraft: Sogar dem Linzer Pfarrer Hitzler, der ihn vom Abendmahl ausgeschlossen und damit schwer getroffen hatte, erwies er sich in christlicher Menschenachtung verbunden, als er ihm die Rudolphinischen Tafeln zusandte. Bialas sah in Keplers Bemiihung eine

Dokumentation und Information 265

Parallele zur Schrift Querelapacis des Erasmus von Rotterdam, und zwar in der Ruckschau auf die Antike und die stoische Weltordnung. Vor allem aber lehnt sich Kepler an Jean Bodin (siehe auch Beitrag Schulze) an, wenn er einen harmonlkalen staatstheoretischen Kosmos entwickelt (ohne allerdings dessen religionsphilosophische Gedanken uber eine friedvolle Einung aller Religionen zu kennen; Kepler ging es vielmehr um die Befriedung der Gegensatze innerhalb der zerspaltenen Christenheit).

Martha List (Kepler-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften) behandelte ein verwandtes Thema: ,,Johannes Kepler, Christ in schwerer Zeit". Sie ging auf die Glaubenskampfe des 16. und 17. Jahrhunderts ein, die alle drei ,,Parteien" - Lu- theraner, Calvinisten, ein im Umbruch befindlicher Katholizismus mit den Jesuiten im Gefolge - in einem steten Reformations- und Gegenreformationskampf schwer getroffen haben. Kepler, der im Glaubensstreit immer eine versohnliche Haltung einnahm, erlebte in den Stadten seines Wirkens die Glaubensspaltung von allen Seiten mit: im katholischen Wed der Stadt (wo sein GroBvater, der mit dem die Reorganisation des Katholizismus vor- antreibenden Salzburger Hofrat J. B. Fickler verschwagert war, Burgermeister gewesen ist); im evangelischen Leonberg; in Graz, als dort die Gegenreformation ihren Hohepunkt erreicht und Kepler aus den Diensten entlassen wird, weil er sich weigert, katholisch zu werden; in Prag, wo er eine Sphare der Toleranz erleben durfte; in Linz, wo er wieder vom Glaubenshader umgeben war.

Giinther Hamann fiihrte das Thema weiter und sprach uber ,,Kepler, das Haus Habs- burg und die katholische Kirche". Kepler, katholisch getauft, evangelisch erzogen, stand zwischen den Fronten. Das ganze Leben begleiteten ihn die Annaherungsversuche der katholischen Seite, zumal der Jesuiten, die aber stets in vornehmer, niemals gegenrefor- matorisch-erpresserischer Weise erfolgten. Diese VorstoBe waren verstandlich, da man von den Schwierigkeiten wuDte, die Kepler in seiner wurttembergischen Heimat bei befreun- deten ,,Glaubensbriidern" hatte aufgrund seiner Ablehnung der lutherischen Orthodoxie (Konkordienformel). Aber nicht nur mit dem Stuttgarter Konsistorium bestanden Aus- einandersetzungen, sondern auch mit dem Linzer Stadtpfarrer Hitzler, die bekanntlich zur Exkommunizierung Keplers fuhrten. Kepler weigerte sich stets, den Radikalismus des Pro- testantismus, der ihm selbst vie1 personliches Leid einbrachte, mitzumachen. Von den Re- prasentanten der katholischen Seite muBte er insgesamt ein besseres Bild gewinnen, vor allem von den Vertretern des Hauses Habsburg - das habsburgische Erzhaus ist durch drei Kaiser mit Leben und Schaffen Keplers verbunden -, von welchen er Forderung erfuhr und denen er auch immer besonderen Respekt entgegenbrachte.

Hamann, selbst evangelisch, scheute nicht vor Seitenhieben auf den radikalen Protestan- tismus zuruck, der oft nichts als blinde Zerstorungswut auf breitester Basis war, angefan- gen von der religiosen ,,Intimsphare" des Individuums (Taufe, EheschlieBung) bis hin zu politischen Auseinandersetzungen. Hamann spricht von einem ,,militant-burokratisch- intoleranten Luthertum"; er will KorrekTure'n bei der bisherigen Kepler-Geschichtsschrei- bung anbringen und betont, daB die in der Zeit der Gegenreformation praktizierten Ver- fahren relativ gesehen werden sollten, relativ auch im Vergleich mit den Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts. Man folgte mit Spannung und nicht ohne Betroffenheit den oft iro- nischen Aus f~rungen , die von haufigen Parallelsetzungen zum ProzeB gegen Galilei begleitet wurden.

,,Der HexenprozeB der Katharina Kepler" lautete das Thema des Referats von Hel- muth Griissing, der sich damit einem der dunkelsten Kapitel der abendlandischen Ge- schichte widmete. Der Hohepunkt der Hexenverfolgungen fallt mit der Zeit des 30jahri- gen Krieges zusammen. Generell ist der Hexenwahn als exaltierter Frommigkeitstypus aufzufassen, wobei der Mensch, von der realen Macht des wirkenden Bosen uberzeugt, in Hexenvorstellungen die Chance eines Ventils vorfand, das Bose konkret fassen und dem-

266 Dokumentation und Information

zufolge auch zerstoren zu konnen. 1615-1621 spielte sich der Proze8 gegen Keplers Mutter ab, geheftet an den Anklage-

punkt nach $ 109 des Strafgesetzbuches Karls V. von 1532, wonach die Keplerin anderen Menschen durch Zauberei Schaden zugefugt habe. Grossing beschrieb sodann in fesselnder Weise die ,,Hexe" Katharina Kepler ,,in ihrer menschlichen Umwelt" und die Argumenta- tionsbasis des Sohnes, der - vielleicht selbst an die Existenz von Hexen glaubend - beweisen muBte, daB die Anschuldigungen der Anklager nichts als haltlose bose Verleum- dungen sind. Es kam freilich nicht von ungefahr, dai3 Katharina Kepler in einen Strudel boser Verleumdungen geraten war: cholerisches Temperament, soziales Aufienseitertum und Eigenbrotelerei waren fur sie kennzeichnend. Man bezichtigte sie des Schadenzaubers, der Viehverhexung und anderer Delikte. Aufgrund der Verteidigung durch ihren Sohn und aufgrund des Urteils der juridischen Fakultat der Tubinger Universitat blieb ihr bekanntlich das Schlimmste erspart.

Drei Vortrage waren astronomischen Themen gewidmet: Felix Schmeidler legte dar, inwiefern Kepler und Galilei uber die Unvollkommenheiten der copernicanischen Lehre hinausgelangten, indem sie dort ansetzten, wo Copernicus in Einzelfragen keine oder eine nur unbefriedigende Antwort gegeben hatte. Galileis Verdienst war es, da8 er das Gesetz von der Tragheit bewegter Materie erkannte. Allerdings hat Galilei nirgends die Ellipsen- form der Planetenbahnen erwahnt und an der aristotelischen These von den Kreisbahnen festgehalten. Obzwar Galilei und Kepler in freundschaftlichem Briefwechsel standen, hat jeder nur einen Teil der Wahrheit erfafit (deren Zusammenfassung erst im 17. Jahrhundert Isaac Newton gelang; siehe auch Beitrag Krafft). Interessant ist die von Schmeidler ver- tretene Meinung, daB Galilei der katholischen Kirche - die er gemaB einiger Autoren vor einem gro8en naturwissenschaftlichen Irrtum bewahren wollte - sicher ferner gestanden ist als Kepler.

Jiirgen Hiibner behandelte Kepler in Zusammenhang mit den ,,theologischen Vorbe- halten zum copernicanischen System". Die Lehre vom StilIstand der Erde und Umlauf der Some ist in der Bibel mehrmals beschrieben, weshalb die Theologen des 16. und 17. Jahr- hunderts angesichts des copernicanischen Systems in eine Zwickmiihle gerieten. Das Rich- tige an den mathematischen Berechnungen des Copernicus verstand man als Hypothese und hielt es getrennt von der biblischen Wahrheit (womit man allerdings das Anliegen Copernicus' total verfehlte, dem es um eine Synthese aus mathematischer Berechnung iind physisch-metaphysischer Grundlage gegangen war). Eine solche doppelte Wahrheit konnte keinesfalls letztgiiltig befriedigend sein. Kepler, der seine astronomische Arbeit als Dienst am Buch der Natur eigentlich Gott widmete, mui3te die Vereinbarkeit von Hei- liger Schrift und neuer Astronomie zeigen. Beschreibung der Naturgesetze ist - nicht nur fur ihn - Nachzeichnen der Gedanken Gottes, und dieses theologisch begriindete Wissen- schaftsethos, diese Zugehorigkeit der pietas zur Wissenschaftshaltung, war sicher maB- gebend dafur, daB das Konsistorium in Stuttgart - mit Kepler in der Abendmahlsfrage alles andere als einhelliger Meinung - ihn geradezu zu einer umfangreichen Darlegung des copernicanischen Systems aufforderte. Freilich galt das Interesse der lutherischen Theo- logen einer zwar beachtenswerten, aber doch nur einer Hypothese, nicht jedoch der copernicanischen Theorie als physikalischer Realitat. Die theologischen Vorbehalte zum copernicanischen System, die von heute auf morgen nicht auszuloschen waren, vermochte auch Kepler nicht auszuschalten.

DemgemlB erlebten ,,Keplers Gesetze im Urteil des 17. Jahrhunderts" - so der Titel des Vortrags von Fritz Krafft - ein wechselvolles Schicksal. Erst dadurch, dafi Newton die Kepler-Gesetze in die hohere physikalische Systematik einer umfassenden philosophia naturalis einbezog, wurden Keplers Planetengesetze (im Zuge der Anerkennung der New- tonschen Physik) voll anerkannt. Zu Lebzeiten Keplers war er selbst allerdings der einzige,

Dokurnentation und Information 267

der die Gesetze offentlich nannte. Es verdient Beachtung, dat3 nicht blot3 traditionelle Ar- gumente gegen die Kepler-Gesetze vorgebracht wurden, sondern dat3 sie auch von seiten der neuen Physik Galileis und Cartesius' in Frage gestellt wurden. Krafft ging auf die alte Astronomie ein (bis Eudoxos, Aristoteles, Hipparchos, Ptolemaios) und auf die wichtig- sten Veranderungen derselben vor Kepler (zum Beispiel durch Nikolaus von Kues). Die physikalischen Anschauungen hatten sich - trotz der Wandlungen im astronomischen Weltbild ~ seit Aristoteles kaum geandert, so dat3 eine Unvereinbarkeit zwischen Physik und Astronomie aufgebrochen war. Kepler ging es darum, Astronomie und Physik in einer neuen physica coelestis zu vereinen (nur so konnte es gelingen, astronomisches Hypotheti- sieren, wie es in vielfaltiger Weise nicht nur von Astronomen betrieben wurde, zu verifizie- ren).

Der Keplersche Harmoniebegriff (des Mysterium Cosmographicum) wurde, sogar vom Danen Tycho Brahe, abgelehnt, weil er ein a priori setzte, was in einer Zeit bevorzugter a posteriorischer Beobachtungen mit3fiel. Wie sehr die pythagoreisch-harmonikale Idee eines durchgehend geordneten Kosmos aber hilfreich war, sieht man beispielsweise daraus, daB Kepler die ersten beiden Gesetze, die an der Marsbahn gewonnen worden waren, auf alle Planeten ubertragen konnte, ohne Nachmessungen vornehmen zu mussen.

Krafft legte dar, wie nach Vorarbeiten von Robert Hooke, Rend Descartes und Chri- stian Huygens durch Isaac Newtons Philosophiae naturalis principia mathematica, der um- greifenden Theorie einer allgemeinen Gravitation, eine Bestatigung der Kepler-Gesetze erfolgte. Somit kann man erst ab ca. 1730, als die Newtonsche Theorie sich durchsetzte, auch von einer vollen Anerkennung der Kepler-Gesetze sprechen.

Uber ,,Kepler als Kartograph" referierte Erich Woldan. Grundsatzlicher Tenor seiner Ausfuhrungen war, dat3 Kepler, von dem eine Weltkarte in den Rudolphinischen Tafeln stamrnt, einer der bedeutendsten Kartographen seiner Zeit gewesen ware, hatte er nur mehr Zeit fur seine diesbezuglichen Forschungen aufbringen konnen.

Alles in allem beleuchtete dieses Symposion einen universalen Forscher und Denker in der Vielfalt seiner Denkbemuhungen.

Werner Schulze Karlsplatz 3 / l b A-1010 Wien

Arbeitsgesprach: Heilberufe und Kranke im 17. und 18. Jahrhundert. Die Quellen- und Forschungssituation

Vom 20. bis zum 24. Oktober 1980 fand unter Leitung von Dr. Johanna Geyer-Kordesch, Oxford, und Dr. Wolfgang Eckart, Miinster, in der Herzog August Bibliothek Wolfenbiittel das erste medizinische Arbeitsgesprach zum Thema ,,Heilberufe und Kranke im 17. und 18. Jahrhundert" statt.

Gedacht war hierbei an einen internationalen Austausch ausgewahlter aber auch charakteristischer Forschungsbereiche, die die neuesten Ansatze der Medizingeschichte reprasentieren sollten. Teilnehmer aus fiinf verschiedenen europaischen Staaten (England, Holland, Italien, Osterreich, Deutschland) und den USA stellten durch umfangreiche und vorab bereits in Umlauf gegebene Aufsatze und in der Diskussion ihre jeweiligen For- schungsgegenstande vor.

Recommended