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Marta, Marina
Stück in 4 Szenen
von
Ana-Maria Bamberger
DESCH THEATERVERLAG MÜNCHEN
(2D, 1 Dek)
© Ana-Maria Bamberger 1
Sinopsis:
Marta sitzt im Dämmerlicht ihrer Wohnung und wartet auf Marina, ihre Tochter, die sie mit dem Nötigsten versorgt. Die alte Frau hat ein beschwerliches Leben als Krankenschwester und betrogene Ehefrau hinter sich. Marina sollte es einmal besser haben. Sie ist Ärztin geworden, mit einem Kollegen verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn.Doch der Schein trügt. Weder ist Marina in Beziehung und Beruf so glücklich wie sie es vorgibt zu sein, noch ist die bis fast zum Schluss in ihrem Sessel verharrende Marta auch nur ansatzweise geistig ins Abseits geraten. Obwohl räumlich auf ihre Wohnung beschränkt, reichen Martas hochempfindliche Antennen weit über ihr enges Dasein hinaus. Und sie wittert Gefahr. Keinesfalls will sie zulassen, dass Marina das gleiche widerfährt wie ihr, dass sie sich in den gleichen Lebenslügen verfängt, wie sie es getan hat. Beißender Sarkasmus, feiner Humor, tiefe Menschenkenntnis und in den überraschendsten Momenten auch sehr viel Zärtlichkeit - Marta zieht alle Register, um Marina aus ihrer uneingestandenen Notlage zu befreien. "Marta, Marina" ist ein temporeicher Schlagabtausch, ein Blick in die Abgründe der Alltäglichkeit und ein Hochlied auf die Liebe zugleich. In dieser brillant einfachen Komödie wird jede Frau - sei sie Mutter, Tochter oder beides - etwas von sich selbst entdecken. Und die Männer? Ihnen bleibt nichts anderes übrig als staunend und amüsiert danebenzustehen und wieder einmal zu erkennen, wie holzschnittartig ihre Vorstellungen von der weiblichen Seele doch sind. (Desch Theaterverlag)
Produktionen:
Nach einer gefeierten Tournee in Kanada im September 2004 (Karma Productions Toronto) hatte "Marta, Marina" im Oktober 2004 Premiere im Bukarester Theatrum Mundi. Olga Tudorache, Rumäniens größte Bühnenschauspielerin, übernahm Hauptrolle und Regie. Die Aufführung wurde ein Riesenerfolg bei Publikum und Kritik und wurde zu zahlreichen Gastspielen eingeladen, darunter auch nach Düsseldorf (November 2006).
Im Oktober 2007 wurde in Bukarest das neue Metropolis Theater mit einer Galaaufführung dieser Inszenierung eröffnet, die hier Premiere feierte und seit dem vor ausverkauftem Haus gespielt wird. Im Mai 2008 wurde diese Aufführung im Theater-Top Bukarest des Q-Magazin als die Top 1 Aufführung auf Bukarester Bühnen ernannt. Die im Februar 2009 wiederaufgenommene Inszenierung ist bis Ende der Saison 2008/2009 zu zahlreichen Gastspielen eingeladen. Die Hauptdarstellerin Olga Tudorache wird im April 2009 mit dem UNITER Excellency-Award 2009, der höchsten Ehrung im rumänischen Theater, ausgezeichnet.© Ana-Maria Bamberger 2
Weitere erfolgreiche Inszenierungen: Rossstall-Theater München (Februar 2008) und Nationaltheater Al. Davila Pitesti (September 2008). Letztere Inszenierung wurde im Dezember 2008 zu dem Internationalen Theaterfestival für Studiotheater Pitesti eingeladen und brachte der Hauptdarstellerin Ileana Zarnescu den Spezialpreis der Jury für die Rolle „Marta“ ein. Im März 2009 gastierte sie im renommierten"Nottara"-Theater in Bukarest.
Autorin:
Ana-Maria Bamberger wurde am 12.11.1966 in Bukarest geboren, wuchs zweisprachig auf, studierte Medizin, arbeitete dann an den National Institutes of Health in Bethesda (USA) sowie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und wurde zunächst durch Publikationen zur medizinischen Forschung bekannt. Seit 2003 ist sie auch als Theaterautorin tätig. Ihre kongeniale künstlerische Zusammenarbeit mit Rumäniens größter Schauspielerin, Olga Tudorache, die gleich in ihrem ersten Stück die Hauptrolle übernahm und sie zu weiteren Stücken inspirierte, wird als einmalig im rumänischen Theater angesehen. Ana-Maria Bamberger schreibt psychologisch subtile und zugleich spannende Kammerspiele, bei denen "hinter bissigem Sarkasmus eine tiefe Ernsthaftigkeit sichtbar wird" (Süddeutsche Zeitung). Ihre Stücke wurden bereits international sehr erfolgreich aufgeführt, zu zahlreichen Festivals und Gastspielen in Europa, Israel, den USA und Kanada eingeladen und mehrfach ausgezeichnet. Die facettenreichen Hauptrollen ermöglichten den Darstellerinnen Kreationen, die mit renommierten Preisen belohnt wurden.
Mehr Informationen unter: www.ana-maria-bamberger.com
Pressestimmen zu “Marta, Marina“:
Produktion: Nationaltheater Al. Davila, Pitesti (September 2008)
Das Stück erzählt von den ebenso alltäglichen wie unvermeidlichen Auseinandersetzungen zwischen einer Mutter und einer Tochter, aber es zeigt auch die unendliche Zärtlichkeit und die unzerstörbare Verbindung zwischen ihnen. Die Ausgangssituation ist einfach: die Tochter besucht ihre alte Mutter und bringt ihr, was diese zum Leben braucht, darunter auch Fisch mit Erbsen (rumänischer Titel des Stücks). In diese einfache Geste ist ein ganzes psychologisches Netz eingewoben, mit Rückblenden aus dem Leben beider (...) Wir
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sind überwältigt von den zahlreichen Momenten feinen Verständnisses und delikater Zärtlichkeit. Die Mutter wird selbst wieder zum Kind, in den Händen ihrer sich kümmernden Tochter, die sie duscht, die ihr das Haar bürstet - ein regelrechter Rollentausch.(Simona Chițan, Evenimentul Zilei "Unser aller Mutter“, 14. Dezember 2008)
Ein schöner zeitgenössischer Text (...) Kurze Repliken, nicht selten verletzend, Ausdruck der Machtlosigkeit und zugleich auch des Versuchs, diese aufzuheben, die Leere zu füllen und das Gespräch wieder herzustellen, das Gespräch zwischen Mutter und Tochter, den Personen dieses Stücks.(Laura Ion, Agenda Culturala Liternet, 20. November 2008)
Produktion: Metropolis Theater, Bukarest (Oktober 2007)
In diesem Stück von Ana-Maria Bamberger geht es um eine Geschichte aus unseren Tagen, eine Geschichte voller Zärtlichkeit, eine Geschichte über die weibliche Seele und deren Abgründe. (...) Es ist ein Drama der Inkompatibilität, mit einem scheinbar einfachen Plot, sehr authentisch, mit Verve und einem außerordentlichen Gespür für das Dramatische geschrieben.(Adevarul – Theater, 12. Januar 2008)
Die Geschichte von Marta und Marina wird sehr wahrhaftig erzählt, gleichzeitig sehr intensiv, mit komischen und dramatischen Akzenten, mit ironischen Nuancen, gelegentlich an der Grenze zum Sarkastischen, doch mit Klarsicht und Natürlichkeit. (...) Dieser Text wurde ganz offensichtlich von jemandem geschrieben, der die Sensibilitäten und Abgründe des Weiblichen kennt, die ihren Ausdruck weniger im Sprachlichen oder im Dialog finden, als vielmehr in der Handlung und den Emotionen. (...) Die dynamische Interpretation und die Momente bedeutsamen Schweigens bringen eine Aufführung hervor, die niemals langweilt, und in der es um Inkompatibilität und eine in höchstem Maße fehlgesteuerte Kommunikation geht. Das Stück gastierte auch in Düsseldorf, wo es ebenfalls großen Anklang fand und mit lang anhaltendem Applaus belohnt wurde. (Andra Dumitrescu – Theater/FinanzWoche Bukarest, 10. Dezember 2007)
Marta, Marina, Metropolis Theater: Ein scheinbar einfacher Text, geschrieben von Ana-Maria Bamberger, die Geschichte zweier Frauen, Mutter und Tochter, die eine gespielt von Olga Tudorache, die andere von Tamara Cretulescu, ein sehr einfaches Bühnenbild (ein spärlich eingerichtetes Zimmer), nur wenige Hintergrundgeräusche, und das Resultat: eine absolut beeindruckende Aufführung!(Cristiana Gavrila – Time Out Bukarest, 16. Oktober 2007)
In Marta, Marina spielt Olga Tudorache eine ältere, nicht selten tyrannische Mutter, die eine späte Versöhnung mit ihrer Tochter feiert (...) Die Repliken der
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alten Dame sind so schneidend wie witzig. Zwei Worte, ein Blick, und die Tochter ist in die Ecke gedrängt. Schnell merkt der Zuschauer jedoch, dass die harte und mitleidlose Haltung der Alten nur ein Schild ist, hinter dem sich der Schmerz und die Einsamkeit einer Frau verbirgt, die es nicht verstanden hat, die ihrigen zusammenzuhalten. Die verbale Aggression und der korrodierende Humor sind in Wirklichkeit ihre Weise, ihrer Tochter „Ich liebe dich“ zu sagen. Doch auch die Tochter – exzellent gespielt von Tamara Cretulescu - führt ein Leben voller Probleme und Frustrationen, bedingt durch Schüchternheit, Unsicherheit und der Unfähigkeit, Entscheidungen zu fällen. Obwohl im Grunde ein Drama, lacht man doch sehr viel in diesem Stück. (Gabriela Lupu, Cotidianul – Cultura, 13. Oktober 2007)
Produktion: Rossstalltheater München/Germering (Februar 2008)
Um die Aufmerksamkeit der Zuschauer in einem Zweipersonenstück einen ganzen Abend lang wirklich zu fesseln, braucht es zwei ausdrucksstarke Schauspieler. Inge Köppl und Irma Wachter gelingt dies in der neuesten Inszenierung „Marta, Marina“ von Regisseur Willi Hörmann im Germeringer Rossstalltheater im wahrsten Sinne des Wortes „spielend“. Sie sind Marta und Marina, zwei Frauen die den ewigen Kampf zwischen Mutter und Tochter ausfechten, der auch dann nicht endet, wenn die eine alt geworden und auf die Hilfe der Jüngeren angewiesen ist. (... )Hinter bissigem Sarkasmus wird eine tiefe Ernsthaftigkeit sichtbar. Denn die Kritik der Mutter an ihrer Tochter, einer erfolgreichen Anästhesistin, geht sehr viel weiter. Aus sicherer Quelle weiß sie, dass Marina von ihrem Mann betrogen wird. Doch anstatt der Tatsache ins Auge zu sehen und die Konsequenzen zu ziehen, versteckt sich Marina vor der Wahrheit. Sie verschanzt sich hinter der Fassade einer heilen Familie. (...)Während dreier Besuche der Tochter gelingt es Marta zu zeigen, warum sie einst an der Lebenslüge festgehalten hat. Und so weicht Marinas tiefer Hass auf den Vater nach und nach einer aufrechten Bewunderung der Mutter. Der vierte und letzte Besuch entlässt den Zuschauer mit der Ahnung auf eine Positive Wende. Modisch gekleidet und mit neuer Frisur eröffnet Marina, sich von ihrem Mann getrennt zu haben. Nicht nur Marta darf an dieser Stelle jubeln. Auch das Publikum darf zu Recht begeistert applaudieren. Mit dieser Inszenierung hat der Rossstall bewiesen, dass er eine ernstzunehmende Bühne ist, die den Mut und die passenden Darsteller hat, um auch tiefer gehende Stücke überzeugend zu präsentieren.(Ann-Katrin Grosse – Süddeutsche Zeitung, 3. März 2008)
Eine sehr gelungene Premiere hatte das Roßstall-Theater mit seinem neuen Stück „Marta, Marina oder Tee mit Rum“. Inge Köppl und Irma Wachter spielten ihre Rollen so konsequent wie leidenschaftlich und schafften es, das schwierige Thema der Mutter-Tochter Beziehung gut schauspielerisch ausgewogen zu vermitteln. (...) Eine grandiose Leistung, vor allem wenn man bedenkt, dass Inge Köppl bereits 83 Jahre alt ist „Es ist eine tolle Rolle“, schwärmte sie nach der Premiere. (...) Mutter und Tochter erkennen die Parallelen ihrer Leben und lernen sich zu verstehen. Die
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Tochter trennt sich von ihrem Mann und wiederholt – zumindest im Rahmen des Stückes – nicht die Fehler der Mutter, hat den Mut, aus ihren Verstickungen von Lebenslügen auszubrechen. Trennung ist auch heute noch kein Happy End im klassischen Sinne, aber eine Chance zum Neuanfang und zur Versöhnung. Es ist ein Ende und ein Stück zum Nachdenken – auch über die eigene Lebenssituation.(Ruth Gemeinhardt – Münchner Merkur, 25. Februar 2007)
Tournee: Düsseldorf (November 2006)
Der Dialog zwischen Mutter und Tochter findet auf mehreren Ebenen statt: einer oberflächlichen, scheinbar mit banalen Alltäglichkeiten beschäftigten, einer weiteren, in der ein intimer Streit ausgefochten wird ohne je bis zum Äußersten getrieben zu werden, und einer tiefen, entscheidenden, die aufwühlt und in der Schlüsselszene des Stücks jäh an die Oberfläche geschleudert wird, in einem Moment der Wahrheit, die bis dahin unausgesprochen zwischen ihnen stand. Eine Szene fast ohne Worte aber von einer ungeheuerlichen innerlichen Intensität. (Andrei Baleanu, Deutsche Welle-Kultur, 28. November 2006)
Produktion: Theatrum Mundi, Bukarest (Oktober 2004)
Das Stück ist mit Verve geschrieben, mit tiefem Verständnis für die weibliche Seele, mit bitterem Humor, mit ungeheurer Klarsichtigkeit. Und mit viel Zärtlichkeit für seine Heldinnen und die Unwegsamkeiten, mit dem sie es in ihrem kärglichen Leben zu tun haben.(Silvia Kerim, Formula As/Kultur-Theater, Oktober 2004)
"Marta, Marina" stammt von einer jungen Autorin, die über das seltene Talent verfügt, das Wahrhaftige zu erspüren, und zwar sowohl in den Charakteren ihrer Figuren als auch im Dialog zwischen ihnen. Zugleich spürt man die in die Tiefe gehende Sensibilität der Autorin für das existentielle Drama unseres Lebens, welches ihre Figuren mitten im Alltag antrifft, ganz unspektakulär und dafür umso intensiver. (Cronica Romana, 27. November 2004)
Die nur scheinbar alltäglichen Gespräche der beiden Frauen entfalten sich in einem einfachen Dekor, einer Kellerwohnung oder einem kleinen Appartment. Doch das Stück selbst besitzt die seltene Qualität, eine Handvoll reinen, sich in verdichteter Echtzeit abspielenden Lebens darzustellen.(Adriana Mocca, Curierul Romanesc, November 2004)
Ich glaube, dass sich jede Mutter in dieser Marta wieder findet, die so wahrhaftig, so einfach und gleichzeitig so frisch und neu von der wahren Grande Dame des rumänischen Theaters dargestellt werden kann.(Alina Anea, Cronica Romana, 8. Februar 2005)
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MARTA, MARINA
Aufführungsrechte:
Desch Theaterverlag München
www.theater-verlag-desch.de
Personen:
Marta
Marina, ihre erwachsene Tochter
Dekor:
Martas Wohnung
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1. Szene
Martas Wohnung.
Marta in einem Sessel, eine Decke über den Knien, liest.
Man hört, wie die Haustür mit dem Schlüssel geöffnet wird. Marta
schaltet schnell das Licht aus, legt das Buch zur Seite, schliesst
die Augen, neigt den Kopf und stellt sich schlafend.
Die Tür öffnet sich und Marina tritt ein. Sie ist sehr unvorteilhaft
gekleidet, unfrisiert, ungeschminkt. In beiden Händen
Einkaufstüten aus dem Supermarkt.
Marina: (von der Tür) Ich bin da-a!
Marta: (stellt sich weiter schlafend, antwortet nicht)
Marina: (kommt herein, gibt der Tür einen Tritt, so dass sie mit
lautem Knall zufällt, schaut zu Marta)
Marta: (zuckt beim Knall der Tür leicht zusammen, aber verharrt
mit fest geschlossenen Augen in ihrer Position)
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Marina: Das ist ja stockdunkel hier! (schaltet das Deckenlicht ein
– grelles Licht durchflutet den Raum; geht, mit den Einkaufstüten
in den Händen, zur Martas Sessel, schaut sie an, dann, sehr laut):
Mutter! Ich bin da-a!
Marta: (öffnet ein Auge, dann das andere, schaut sie ein wenig
schräg an) Das seh' ich.
Marina: Was tust du da? Sitzt du schon wieder im Dunkeln?
Marta: Ich sitz' nicht im Dunkeln. Ich habe geschlafen.
Marina: Um diese Zeit?
Marta: Um diese Zeit, warum nicht? Was soll ich sonst machen?
Marina: Ich weiss nicht. Du könntest lesen, zum Beispiel...
Marta: “Du könntest lesen, zum Beispiel”... (schroff) Bist du
gekommen, um mir Vorschriften zu machen?
Marina: Nein. Ich habe dir etwas mitgebracht... (hebt die Tüten
hoch; in einem süsslichen Ton): Leckerei-hein!
Marta: (äfft sie nach) “Leckerei-hein”! Was denn für “Leckerei-
hein”?
Marina: (stellt die Tüten auf den Tisch, holt die Sachen einzeln
heraus und hält sie Marta hin) Brot... Butter... Käse... Erbsen...
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Marta: (angeekelt) Erbsen?!
Marina: (beleidigt) Du hast doch gesagt, ich soll dir Erbsen
mitbringen? Du hast gesagt: Bring' mir auch ein paar Dosen
Erbsen mit. Hast du das gesagt oder nicht?
Marta: Kann sein, ich kann mich nicht erinnern.
Marina: (versucht sich zu beherrschen und zu ihrem süsslichen
Ton zurückzufinden) Ein Makrelchen...
Marta: Was? Fisch?!
Marina: Warum nicht?
Marta: (breitet theatralisch die Arme aus) Fisch!!
Marina: (schaut sie an, kann sich kaum noch kontrollieren)
Warum nicht?!
Marta: (sagt einige Sekunden lang nichts; dann, schnaubend)
Fisch... mit Erbsen!!!
Marina: (endgültig beleidigt) Gut... Wenn du ihn nicht willst,
nehme ich ihn wieder mit. (legt das Päckchen mit dem Fisch
zurück in die Tüte)
Marta: Nein, nein, du kannst ihn hier lassen... wenn du ihn schon
'mal mitgebracht hast.
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Marina: (zögert, ist sich nicht sicher, wie sie reagieren soll) Willst
du ihn oder nicht?
Marta: Was bleibt mir übrig? Du hast Fisch mitgebracht, also esse
ich Fisch. (Marina packt weiter aus, schweigend, holt auch das
Päckchen mit dem Fisch wieder heraus, legt es auf den Tisch;
Marta hält sich einen Moment lang zurück, schnaubt dann von
neuem): Unglaublich... Fisch mit Erbsen! Fisch... mit Erbsen!!!
Marina: Ist gut, fertig, ich nehme ihn wieder mit.
Marta: Nein, nein lass ihn ruhig hier... (einige Sekunden lang
schweigen beide; dann, in einem friedfertigeren Ton) Was hast du
sonst noch mitgebracht?
Marina: (hält noch den Fisch in der Hand, versucht sich zu
beherrschen): Fisch.
Marta: Fisch, gut. Leg' ihn dort hin.
Marina: (legt den Fisch auf den Tisch)
Marta: Und... was noch?
Marina: (versucht wieder zu ihrem süsslichen Ton
zurückzufinden; holt eine Flasche Wein heraus) Ein Fläschchen
Wein... (zeigt ihr die Flasche)
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Marta: Ein Fläschchen Wein... Gut, gut... (Marina ist inzwischen
mit dem Wein in der Hand zu Martas Sessel gekommen, Marta
schaut ihn genauer an): Rot?!!!
Marina: (unsicher) Ja... Es ist ein Bordeaux...
Marta: Mag sein. Aber er ist rot! Rot!!
Marina: (verliert die Fassung) Und was, wenn er rot ist?
Marta: (antwortet nicht, schliesst die Augen und stellt sich wieder
schlafend)
Marina: (baut sich vor Martas Sessel auf, die Flasche in der Hand,
hebt sie drohend) Mutter!
Marta: (öffnet die Augen, erschrocken) Was?
Marina: Und was, wenn er rot ist?
Marta: “Und was, wenn er rot ist"? Ich kann dir sagen “was, wenn
er rot ist”: er passt nicht zu Fisch! Er passt noch nicht einmal zu
Fisch mit Erbsen! So. Jetzt weisst Du's.
Marina: (lässt den Arm sinken) Ist gut... macht nichts... ich nehme
ihn wieder mit (geht zum Tisch, legt den Wein zurück in die Tüte)
Ich trinke ihn selbst... mit Sascha.
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Marta: Ihm kannst du ja Rotwein zum Fisch geben, deine Sache...
Aber frag' dich hinterher nicht, warum er fremdgeht!
Marina: Mutter!
Marta: 'Schuldigung... (nach einer Weile, in der Marina die Tüten
weiter auspackt): Lass ihn doch lieber hier, den Wein...
Marina: (erschöpft) Ich lass ihn hier...
Marta: So... Und was hast du sonst noch mitgebracht?
Marina: Das kannst du nachher sehen, wenn ich wieder weg bin.
Es liegt alles auf dem Tisch, der Fisch ist im Kühlschrank...
Marta: Schokolade?
Marina: (erschrocken) Schokolade?!
Marta: (enttäuscht) Hast du vergessen...
Marina: Habe ich vergessen, ja. Schokolade habe ich vergessen.
Marta: Lieber hättest du den Fisch vergessen! Oder die Erbsen!
Marina: Ich bring' dir nächstes Mal Schokolade mit.
Marta: Hast du letztes Mal auch gesagt...
Marina: Hab' ich? Weiss ich nicht mehr. Du hättest mich daran
erinnern sollen.
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Marta: Ich hätte dich daran erinnern sollen? Wie denn? Ich habe
es dir gesagt, was soll ich sonst noch tun, vor dir auf die Knie
fallen? Lass' 'mal, ich werde Vicky fragen, die merkt sich das.
Wenn meine eigene Tochter sich das nicht merken kann, Vicky
merkt es sich.
Marina: Dann soll dir doch Vicky alles bringen, warum fragst du
nicht sie? Soll sie doch für dich einkaufen, ich lass' dir Geld da...
(sucht nach ihrem Portemonnaie)
Marta: (beleidigt) Vicky hat keine Zeit für so 'was!
Marina: Was soll das denn heissen? Was hat sie denn zu tun? Sie
ist doch Rentnerin, und gut zu Fuss... Ich habe keine Zeit, das ist
die Wahrheit.
Marta: Ja, du hast keine Zeit, genau das ist es. Wenn du keine Zeit
hast, warum kommst du dann überhaupt noch?
Marina: Mutter, müssen wir immer wieder an der gleichen Stelle
landen? Du weisst ganz genau, dass ich keine Zeit habe. In dieser
Woche hatte ich drei Nachtdienste in der Klinik, ich weiss gar
nicht mehr, wann ich meinen letzten freien Tag hatte...
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Marta: Das ist eben dein Fehler, Zeit müsstest du dir schon
machen. Siehst du, darum betrügt dich Sascha. Darum, und weil
du ihm Rotwein gibst... zum Fisch.
Marina: Mutter!
Marta: Was “Mutter”? Ist es nicht so? Oder bist du die einzige, die
es nicht weiss? Die es noch nicht bemerkt hat? Eine Frau weiss es
immer, wenn ihr Mann sie betrügt...
Marina: Mutter, wenn du nicht aufhörst, gehe ich.
Marta: Deine Sache. Geh' doch. Vielleicht gehst du und kaufst dir
einen anständigen Rock. Und geh' auch zum Friseur!
Marina: Gut. Ich bin schon weg (geht zur Tür).
Marta: He, warte... Ich sag' das alles doch nur zu deinem Besten.
Ich hab' dir doch von Anfang an gesagt: lass' die Finger von
diesem Idioten. Allein was er für Stielaugen bekommt (imitiert
ihn, übertreibt dabei maßlos, nimmt die Finger zu Hilfe), solche
Stielaugen bekommt er, sie rotieren sogar, wenn er einen Rock
sieht (schaut sie kurz an): natürlich nicht so einen, wie deinen...
Aber es gibt auch andere...
Marina: Mag sein. Sein Problem.
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Marta: Es ist eben nicht sein Problem, er ist nämlich dein Mann!
Insofern ist es eher dein Problem!
Marina: Gut, dann ist es eben mein Problem. Aber nicht deins.
Marta: Doch, auch meins, weil du meine Tochter bist, gut oder
schlecht, ich hab' dich auf diese Welt gebracht, und es ärgert
mich, wenn ich sehe...
Marina: Wenn du siehst?! Was siehst du denn?! Du siehst von hier
aus, was Sascha tut, ja?! Jetzt wirst du auch noch zur
Hellseherin?!
Marta: (etwas ruhiger) Was ich nicht sehe, das höre ich. Und zwar
auch von hier. Sehr gut sogar.
Marina: Und was hast du gehört, bitteschön? Ist es im Fernsehen
gewesen?
Marta: Welches Fernsehen? Der Fernseher funktioniert seit über
zwei Wochen nicht mehr, er macht nur noch Streifen, noch nicht
einmal der Ton funktioniert mehr. Du hast gesagt, du würdest mir
jemanden schicken, der ihn repariert...
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Marina: Das werde ich auch. Ich kenne jemanden, aber der ist
noch im Urlaub, er kommt Ende der Woche zurück, ich habe mit
seiner Frau gesprochen.
Marta: Da sieh' mal einer an. Und wohin ist er allein in den
Urlaub gefahren? Betrügt der seine Frau auch?
Marina: Fängst du schon wieder an?!
Marta: Nein, ich fang' nicht an, ich hab' gar nicht aufgehört.
Marina: Nein?
Marta: Nein.
(Einen Moment schweigen beide.)
Marta: (in einem anderen Tonfall) Komm, Liebes, mach' uns doch
einen Tee... Tu' auch ein bisschen Rum hinein, es ist noch etwas
im Schrank. Und setz' dich ein bisschen zu mir, und ich erzähl'
dir, was ich gehört habe. Dann kannst du selbst urteilen, ob ich
Recht habe oder nicht.
Marina schaut sie wenig überzeugt an, geht dann aber in die
kleine Küche nebenan und macht Tee.
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Marta: Und wie läuft's in der Klinik?
Marina: Nicht so gut.
Marta: Und wieso nicht? Deswegen wollte ich doch, dass du
Ärztin wirst, damit es dir gut geht. Nicht wie mir, ich hab' mich
das ganze Leben lang abgerackert, als Krankenschwester, hol' die
Flasche, nimm' die Flasche, hol' die Flasche... Welche Flasche,
sage ich lieber nicht. Du brauchst dir die Hände nicht schmutzig
zu machen, du musst die Leute nur einschläfern und aufwecken...
Ein prima Beruf, die Anästhesie.
Marina: Kann sein... wenn dieser Banthien nicht wäre.
Marta: Was? Professor Banthien? Der arbeitet noch? Meine Güte,
der war doch zu Zeiten deines Vaters schon da, gut, er war zehn
Jahre jünger als er, aber trotzdem: er müsste doch jetzt
ungefähr... Wie alt 65? 66?
Marina: Er ist 64, und er denkt gar nicht daran, sich pensionieren
zu lassen. Und er ist stur und tyrannisch... und ausserdem...
Marta: Was?
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Marina: Egal, nichts, warum soll ich dir meine Probleme auch
noch aufladen. Du verstehst das sowieso nicht...
Marta: Aha, ich versteh' das sowieso nicht! Das glaubst du, dass
ich das nicht verstehen kann! Aber dass es dir nicht gut geht, das
verstehe ich...
Marina: Und woher?
Marta: Schau' dich doch an. Wie du aussiehst... Dieser Lumpen
von einem Rock, von der Bluse ganz zu schweigen, und die Haare
erst.. Du siehst aus wie eine Vogelscheuche... Und diese Ringe
unter den Augen, die sind ja noch größer als bei mir...
Marina: Kann sein. Ich hab' dir doch gesagt, dass ich müde bin.
Marta: Und ich versteh' nicht, warum du drei Nachtdienste in
einer Woche machen musst. Das ist doch nicht normal.
(Marina ist fertig mit dem Tee, stellt ihn auf ein Tischchen und
setzt sich neben Marta; eine Weile trinken beide schweigend
ihren Tee)
Marina: Und was wolltest du mir sagen?
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Marta: Weiss ich nicht, wollte ich dir 'was sagen?
Marina: Mutter!
Marta: Ich weiss es wirklich nicht mehr. Wahrscheinlich hast du
mich unterbrochen, du unterbrichst mich ja dauernd...
Marina: Nein, ich habe dich nicht unterbrochen. Du hast mir
gesagt, ich soll einen Tee machen, wir trinken ihn und du sagst
mir, was du gehört hast...
Marta: Was ich gehört habe?! Was soll ich gehört haben?
Marina: Ich weiss es nicht. Woher soll ich das wissen? Was du
von... Sascha gehört hast... oder so.
Marta: Ah... dann sag' das doch gleich! Ich dachte, du wolltest das
gar nicht hören... (trinkt einen Schluck Tee)
Marina: Also?
Marta: Warte, nicht so schnell, sonst verbrenn' ich mich noch mit
dem Tee... Viel zu heiss hast du ihn gemacht (pustet übertrieben
in die Tasse) Also, ich habe gehört, dass... sag' 'mal, ist dein Mann
eigentlich zuhause?
Marina: Ob er zuhause ist?
Marta: Bist du schwerhörig? Ja, zuhause?
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Marina: Nein, ist er nicht.
Marta: Und wo ist er?
Marina: Er ist weg.
Marta: So, so... Ist er nicht vielleicht in... Berlin?
Marina: (erstaunt) Doch, woher weisst du das?
Marta: (voller Genugtuung) Siehste...
Marina: Was soll ich sehen?
Marta: (antwortet nicht, pustet in den Tee, nimmt laut schlürfend
einen Schluck)
Marina: Was soll ich sehen?
Marta: (schnaubt voller Genugtuung, trinkt schlürfend ihren Tee)
Marina: (hat ihren Tee ausgetrunken, stellt die Tasse beiseite,
steht auf, ohne Marta anzusehen, die sie jedoch aus dem
Augenwinkel beobachtet; richtet ihren Rock, bringt ihre Tasse
zurück in die Küche)
Marta: (trinkt weiter ihren Tee)
Marina: (geht in Richtung Tür) Gut, ich geh' dann. (öffnet die Tür)
Marta: (mit der Nase in der Teetasse) Sascha ist in Berlin... mit
Sylvia. (mit Genugtuung): So. Jetzt weisst du's.
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Marina: (unentschieden, die Klinke in der Hand, sagt nichts;
schliesst dann die Tür, geht zurück zu Marta und setzt sich)
Marta: (hat ihren Tee ausgetrunken, stellt die Tasse auf dem
Tischchen ab) Nicht schlecht... Gut, dass ich noch den Rum hatte.
(schauen sich herausfordernd an): Was ist?
Marina: Nichts. Was soll sein?
Marta: Dann ist ja gut. Du hast Recht, ist ja schliesslich deine
Sache und nicht meine.
Marina: Bist du sicher?
Marta: (ändert den Tonfall) Ja, Liebes, ich bin sicher. Es ist so wie
ich dir sage. Dieser Schwachkopf von einem Mann ist nach Berlin
gefahren...
Marina: (unterbricht sie, eine Spur Hoffnung in der Stimme) Er ist
bei einem Kongress...
Marta: Kongress, von wegen! Das ist, was er dir erzählt, und du
glaubst ihm auch noch...
Marina: Nein, es ist wahr, dort findet ein Chirurgie-Kongress
statt, es sind auch noch andere aus der Klinik dort.
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Marta: Mag sein, aber was hat das damit zu tun? Glaubst du,
dieser Kongress hält ihn davon ab, zu... (macht eine obszöne
Geste)
Marina: Mutter!
Marta: Mutter, Mutter, aber so ist es doch!
Marina: Woher weisst du das?
Marta: Ich habe meine Quellen. Die ich nicht verrate.
Marina: Was für Quellen?
Marta: Die ich nicht verrate, hörst du nicht? Kann dir doch egal
sein. Wichtig ist nur, dass es wahr ist... und du hattest keine
Ahnung...
Marina: Ach, weisst du... Die Leute reden allen möglichen
Schwachsinn. Wenn ich mir das immer hätte anhören sollen...
Marta: Vielleicht hättest du es dir tatsächlich anhören sollen.
Zumindest ab und zu.
Marina: Du sagst mir aber nicht, woher du es weisst?
Marta: (schüttelt heftig den Kopf)
Marina: (steht auf) Gut. Dann erwarte auch nicht, dass ich dir
glaube. (geht zur Tür) Ich gehe, es ist spät geworden.
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Marta: Geh' doch, du hast ja zuhause zu tun... du musst auf
Sascha warten.
Marina: Meine Sache.
Marta: Habe ich etwas anderes behauptet?
Marina: (von der Tür aus) Gut, ich geh' dann.
Marta: Frag' doch in der Klinik nach. Ruf' an und frag', ob Sylvia
da ist, und wenn nicht, dann frag', ob sie nicht vielleicht auch bei
diesem "Kongress" ist... Wenn du mir nicht glaubst. Oder
vielleicht fragst du sie selbst, übermorgen, wenn sie
zurückkommt, vielleicht sagt sie's dir ja, sie ist doch deine
Freundin, nicht wahr?
Marina: (von der Tür aus) Tschüss!
Marta: Warte! Wann kommst du?
Marina: (denkt einen Moment nach) Montag... glaube ich.
Marta: Erst Montag?
Marina: Mutter, heute ist Freitag... Montag ist in drei Tagen. Du
hast alles was du brauchst bis dahin.
Marta: Von mir aus kannst du auch Dienstag kommen.
Marina: Gut, dann komme ich Dienstag. (geht hinaus)
© Ana-Maria Bamberger 24
Marta: (ruft ihr hinterher) Und sag' mir, was du herausgefunden
hast!
Marina: (hat die Tür geschlossen, ohne zu antworten)
Nachdem sie sich versichert hat, dass Marina gegangen ist,
schaltet Marta die Lampe neben dem Sessel wieder ein,
arrangiert die Decke auf ihren Knien, hebt ihr Buch vom Boden
auf und liest weiter, wo sie stehengeblieben war.
Dunkel
© Ana-Maria Bamberger 25
2. Szene
Martas Wohnung, Montag.
Marta in derselben Position wie zu Beginn, liest.
Der erste Teil der Szene wiederholt sich fast identisch.
Man hört, wie die Haustür mit dem Schlüssel geöffnet wird. Marta
schaltet schnell das Licht aus, legt das Buch zur Seite, schliesst
die Augen, neigt den Kopf und stellt sich schlafend.
Die Tür öffnet sich und Marina tritt ein. Sie trägt die gleichen
unmodischen Sachen wie in der ersten Szene. In beiden Händen
Einkaufstüten aus dem Supermarkt.
Marina: (von der Tür) Ich bin da-a!
Marta: (stellt sich weiter schlafend, antwortet nicht)
Marina: (kommt herein, gibt der Tür einen Tritt, so dass sie mit
lautem Knall zufällt, schaut zu Marta)
Marta: (zuckt man beim Knall der Tür leicht zusammen, aber
verharrt mit fest geschlossenen Augen in ihrer Position)
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Marina: Das ist ja stockdunkel hier! (schaltet das Deckenlicht ein
– grelles Licht durchflutet den Raum; geht, mit den Einkaufstüten
in den Händen, zur Martas Sessel, schaut sie an, dann, sehr laut):
Mutter! Ich bin da-a!
Marta: (öffnet ein Auge, dann das andere, schaut sie ein wenig
schräg an) Das seh' ich.
Marina: Was tust du da? Sitzt du schon wieder im Dunkeln?
Marta: Ich sitz' nicht im Dunkeln. Ich habe geschlafen.
Marina: Um diese Zeit?
Marta: Um diese Zeit, warum nicht? Was soll ich sonst machen?
Marina: Ich weiss nicht. Du könntest lesen, zum Beispiel...
Marta: “Du könntest lesen, zum Beispiel”... (schroff) Bist du schon
wieder gekommen, um mir Vorschriften zu machen?
Marina: Nein. Ich habe dir etwas mitgebracht... (hebt die Tüten
hoch; in einem süsslichen Ton): Leckerei-hein!
Marta: (äfft sie nach) “Leckerei-hein”! Was denn für “Leckerei-
hein”?
Marina: (stellt die Tüten auf den Tisch, holt die Sachen einzeln
heraus und hält sie Marta hin) Brot... Butter... Käse...
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Marta: Erbsen...
Marina: (erschrocken) Nein! Erbsen habe ich nicht mitgebracht...
Marta: Nein? Und warum nicht?!
Marina: Wieso, nach dem Ausbruch von Freitag...
Marta: Ah, aber die waren doch sehr gut, die Erbsen...
Marina: Ich bring' dir nächstes Mal wieder welche mit, wenn sie
dir so gut gefallen haben. (greift in die Tüte) Dieses Mal habe ich
dir...
Marta: Was?
Marina: (holt eine Konservenbüchse aus der Tüte) Grüne Bohnen!
Marta: (schnaubt unzufrieden)
Marina: Was denn?!
Marta: Nichts, nichts, was soll ich dazu sagen...
Marina: Was du dazu sagen sollst? Was auch immer, aber spuck's
aus, wenn du schon damit anfängst...
Marta: He! Wie redest du mit deiner Mutter?!
Marina: (etwas erschrocken) Wie denn?
Marta: (antwortet nicht, schnaubt)
Marina: Wie rede ich?!
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Marta: Wie du redest, wie du nicht redest, wenn du schlechte
Laune hast, dann bleib' lieber zuhause.
Marina: (antwortet nicht, holt die übrigen Einkaufssachen aus der
Tüte und stellt sie auf den Tisch)
Marta: Sag' 'mal... wir war's denn in Berlin?
Marina: In Berlin?
Marta: In Berlin. Sascha. Wie es war. Hast du ihn gefragt?
Marina: (antwortet nicht, hat die Tüten ausgepackt, streicht sie
glatt und faltet sie zusammen)
Marta: (schaut sie an) Warum faltest du die Tüten zusammen?
Marina: (hält inne, legt die Tüte auf den Tisch, ohne sie zu falten)
Marta: Hörst du nicht, was ich dich frage?
Marina: (nachgiebig) Was? (setzt sich erschöpft auf einen Stuhl
neben den Tisch)
Marta: Nichts. (nach einer Weile) Was gibt's Neues in der Klinik?
Marina: Was soll es geben?
Marta: Woher soll ich das wissen?
Marina: Ich weiss es nicht. Was genau interessiert dich?
Marta: Ich versuche, eine Unterhaltung mit dir zu führen...
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Marina: Danach ist mir im Moment nicht so...
Marta: Das sehe ich. (ändert den Ton) Gestern war Victor hier...
Marina: Ja? Und?
Marta: Und was?
Marina: (gibt sich Mühe) Wie fandest du ihn?
Marta: Gut... Er sieht sehr gut aus... fantastisch. (schaut sie
kritisch an) Man würde gar nicht sagen, dass er dein Sohn ist!
Marina: (reagiert nicht)
Marta: (insistiert) Ja, er sieht dir gar nicht ähnlich... Aber auch
deinem Sascha nicht, Gott sei Dank! Eher mir! Ja! Und deinem
Vater etwas... Genau, irgendwie hat er mich an Peter erinnert, er
hatte so etwas... ich weiss es nicht.
Marina: Victor hat dich an Vater erinnert?
Marta: Und warum nicht?
Marina: (nach einer Pause) Darum. Weil mein Vater der
allerletzte Mensch ist, von dem ich mir wünsche, dass Victor ihm
ähnelt.
Marta: Und warum, wenn ich fragen darf?
Marina: Warum? Du fragst mich warum?!
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Marta: Ja. Ich frag' dich warum. Ist das verboten?
Marina: Nein, das ist nicht verboten. Es ist... sinnlos.
Marta: Und warum soll das sinnlos sein?
Marina: Einfach so. Das ist es nun 'mal.
Marta: Und warum, wenn ich fragen darf?
Marina: Komm, lass uns jetzt nicht damit anfangen, o.k.?
Marta: Und warum nicht? Das interessiert mich wirklich. Warum
soll Victor deinem Vater nicht ähneln?
Marina: Weil...
Marta: Ich höre.
Marina: Nein, lass' 'mal, es ist unwichtig. Lassen wir Vater in
Frieden ruhen. Lassen wir's einfach.
Marta: Lassen wir überhaupt nicht. Ich höre.
Marina: Du weisst es wirklich nicht?
Marta: Was soll ich wissen? Sag's schon. Sag' es, wenn du schon
damit angefangen hast. Sprich es aus. Warum soll Victor deinem
Vater nicht ähneln?
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Marina: Weil es... für mich keinen anderen Menschen gibt, den ich
so... verabscheut habe wie Vater, deswegen. Bist du jetzt
zufrieden?
Marta: Du hast ihn... was hast du gesagt... du hast ihn
VERABSCHEUT?! Du hast ihn... VERABSCHEUT?!
Marina: (sehr ruhig) Du hast genau gehört, was ich gesagt habe.
Marta: Und warum, wenn ich fragen darf, hast du deinen Vater...
VERABSCHEUT? Warum?
Marina: Das weisst du nicht?
Marta: Nein, das weiss ich nicht.
Marina: (zündet sich eine Zigarette an)
Marta: Seit wann rauchst du wieder?
Marina: Seit Freitag.
Marta: Also los, sag's mir. Und blas' den Rauch in die andere
Richtung, du weisst, das ich das nicht vertrage.
Marina: Es gibt nichts zu sagen.
Marta: Gibt es doch. Sag' mir bitte, warum du meinst, deinen
Vater "verabscheut" zu haben. Sag' es mir (wedelt mit der Hand,
um den Rauch loszuwerden, schnaubt missmutig)
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Marina: Meintest du nicht, dass eine Frau immer weiss, wenn ihr
Mann sie betrügt...
Marta: Das habe ich gesagt?
Marina: Ja. Hast du.
Marta: So ist es auch. Jede ausser dir, natürlich...
Marina: Du zum Beispiel?
Marta: Ich?!
Marina: Du.
Marta: (schweigt einen Moment, dann) Ich hab' dich doch
gebeten, den Rauch nicht in meine Richtung zu blasen, oder?
Marina: (drückt die Zigarette aus) Ich bin schon fertig. (eine
Weile schweigen beide) Hast du es wirklich nicht gewusst?
Marta: Was gewusst?
Marina: Ach, egal... Ist nicht weiter wichtig...
Marta: Ist es doch. Was meinst du, dass ich nicht gewusst habe?
Marina: Was ich meine, dass...?
Marta: Ja. Was du meinst, dass ich nicht gewusst habe.
Marina: Wie... Vater wirklich war. Wie er gelebt hat, wie er sein
Leben geführt hat. Was über ihn geredet wurde... in der Klinik...
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Marta: Ja? Was wurde denn geredet? Ich dachte, es interessiert
dich nicht, was die Leute so reden...
Marina: Es war nicht nur Gerede...
Marta: Nein? Was dann? Hast du es mit deinen eigenen Augen
gesehen?!
Marina: (schweigt; zündet sich noch eine Zigarette an)
Marta: (hustet demonstrativ) Mir brennen die Augen! (wedelt
übertrieben mit den Händen)
Marina: (reicht ihr das Päckchen mit den Zigaretten) Nimm doch
auch eine.
Marta: Das fehlte noch...
Marina: Wenn du auch eine rauchen würdest, würde dich der
Rauch weniger stören.
Marta: Ach, hör doch auf damit! Sag' mir lieber, was du mir sagen
wolltest.
Marina: Ich wollte nichts sagen...
Marta: Doch, wolltest du, sonst hättest du gar nicht damit
angefangen. Und wenn du schon damit angefangen hast, dann
sag' es auch zu Ende.
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Marina: Was macht das jetzt noch für einen Sinn?
Marta: Macht es. Sprich. Und blas' den Rauch in die andere
Richtung.
Marina: Wenn du darauf bestehst... Seit ich mich erinnern kann...
seit dem ersten Mal, als Vater mich mit in die Klinik genommen
hat... ich glaube ich war so zwölf Jahre alt.... Einmal nahm er mich
mit, an einem Sonntag, es war ein schöner Tag anfang Mai, ich
kann mich noch genau erinnern... Wir gingen also in die Klinik,
alle Leute grüssten ihn, ich war so stolz auf ihn... Er zeigte mir
sein Büro... Das Büro, in dem jetzt Banthien sitzt. Warst du 'mal
dort?
Marta: Was habe ich bei deinem Vater in der Klinik zu suchen?
Marina: Sicher, was hast du dort zu suchen?
Marta: Sicher, was habe ich dort zu suchen?
Marina: Es ist ein riesiges Büro, viel zu gross für einen einzigen
Menschen. Wie auch immer... Es gefiel mir. Ich fühlte mich
wichtig... als wäre es irgendwie auch... meins gewesen. Es war
Sonntagnachmittag, es war sehr still, ich war mit ihm allein, so
selten hatte ich ihn 'mal für mich... Ich tanzte im Büro auf und ab,
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als wäre es ein Ballsaal, ich lief von der einen Ecke zur anderen
und fühlte mich grossartig.... Bis...
Marta: Bis?
Marina: Bis es an der Tür klopfte, ein leises Klopfen, kaum zu
hören, nur ein einziges Mal, ohne auf eine Antwort zu warten, so
ein Klopfen, das gar nicht um Einlass bittet... Die Tür öffnete sich
und herein kam... (hält inne, schaut Marta an)
Marta: Na, wer kam herein?
Marina: Eine... eine Frau. Eine Frau, die ich sehr gut kannte. Die
ich so gut kannte, dass mir zu Beginn gar nicht bewusst wurde,
dass...
Marta: Was wurde dir nicht bewusst?
Marina: (zündet sich noch eine Zigarette an) Es war mir zu
Beginn gar nicht bewusst, dass sie dort gar nichts zu suchen
hatte, in der Klinik, an einem Sonntagnachmittag... Sie kam
herein, sie sah mich nicht gleich, sie ging direkt zu ihm, aber er
drehte sich zu mir um und unsere Blicke trafen sich... Auch sie
drehte sich zu mir um. Einen Moment blieb sie so stehen, sie
wusste nicht, was sie tun sollte, dann kam sie zu mir, küsste mich,
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fragte mich nach dir... Als wäre das alles ganz normal, als wäre
ihre Anwesenheit dort die normalste Sache der Welt, so wie sie
manchmal zu uns nach Hause kam, zu dir... (nach einer langen
Pause) Deine Freundin Victoria. "Vicky".
Marta: (zuckt mit den Schultern; schweigt, dann) Ich weiss.
Marina: Du wusstest das?!
Marta: Ja. Es tut mir Leid, dich enttäuschen zu müssen. Natürlich
wusste ich das. Was dachtest du denn?
Marina: Ich weiss nicht, gar nichts habe ich gedacht. Lange habe
ich vorgehabt, es dir zu sagen, aber ich konnte nicht... Immer
wenn sie zu uns kam, wenn ich sie sah, wie sie mit dir sprach, ich
sah euch zusammen, und ich habe mich so... geekelt. Vor ihr, vor
mir, vor dir... und vor allem vor ihm. Und ich dachte, dass ich es
dir sagen müsste, dass du wissen solltest...
Marta: Und? Warum hast du es mir nicht gesagt?
Marina: Weiss ich nicht. Am Anfang war es Angst, wahrscheinlich.
Angst, was dann passieren würde. Dass du und Vater... dass ihr
euch trennen würdet... Später...
Marta: Später?
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Marina: Später habe ich mich dann irgendwie... daran gewöhnt.
Sie war im übrigen nicht die einzige.
Marta: Nein, war sie nicht. Natürlich war sie das nicht.
Marina: Und du wusstest das die ganze Zeit?!
Marta: (nickt)
Marina: Du wusstest also auch von... Sarah?
Marta: Welche von ihnen? Madam Banthien oder die letzte, das
junge Ding, von dem er kam, als er sich mit dem Auto überschlug?
Marina: (nach einer Pause) Darf ich dich etwas fragen?
Marta: Darfst du. Wenn du vorher noch einen Tee kochst... Du
weisst ja, der Rum ist in dem kleinen Schränkchen...
Marina: (steht auf, geht in die Küche und kocht Tee)
Marta: Und wie läuft's in der Klinik?
Marina: Nicht so toll.
Marta: Und warum nicht?
Marina: Willst du's wirklich wissen?
Marta: Mhm.
Marina: Ich hab' Probleme mit Banthien.
Marta: Was denn für Probleme?
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Marina: Ach, nichts.
Marta: Wenn es nichts ist, dann ist ja gut. Solche Probleme
möchte ich auch 'mal haben.
Marina: Das glaube ich kaum...
Marta: Dann sag's.
Marina: Banthien hat... er hat einen Fehler gemacht. Gut,
vielleicht war auch etwas Pech dabei... Eine Patientin ist
gestorben, eine wichtige, eine von seinen Privaten... und... wie
auch immer, ich kann's dir jetzt nicht so genau erklären, auf jeden
Fall versucht er jetzt, die Sache auf mich zu schieben.
Marta: Grossartig! Und warum gerade auf dich?
Marina: Wer weiss? Vielleicht um Vater etwas heimzuzahlen?
Marta: Im Jenseits?
Marina: Hier, im Jenseits, ist doch egal. Auf jeden Fall hat er das
OP-Protokoll geändert und meinen Namen dort eingetragen, so
als wenn ich verantwortlich gewesen wäre...
Marta: Wieso das denn?
Marina: Ich hatte in der Nacht Dienst, aber ich hatte mit dieser
Patientin überhaupt nichts zu tun, ich war für den anderen Saal
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zuständig.... Na ja, ist auch egal. Aber es könnte sein, dass ich da
nicht mehr arbeiten kann.
Marta: Und es gibt keinen, der...?
Marina: Der was?
Marta: Der sich hinstellt und sagt, dass es nicht so war, dass es
eine Lüge ist!
Marina: Also, das hätte eigentlich der Chirurg machen müssen,
der operiert hat, der Doktor Schwindler...
Marta: Guter Name!
Marina: Richtig! Der hat auf jeden Fall schon gesagt, dass er sich
da nicht einmischen will, dass ihn die Probleme der Anästhesisten
nichts angingen, und wir sollen das unter uns lösen. Dann war da
noch eine Studentin, die PJ-lerin, die während der OP Haken
gehalten hat, aber die ist gar nicht mehr in der Klinik. Und die
OP-Schwester wurde ganz überraschend auf Banthien’s
Empfehlung befördert, kurze Zeit nach dieser Geschichte war sie
dann ganz plötzlich Oberschwester, von der habe ich also auch
nichts zu erwarten... Der einzige, der versucht, etwas für mich zu
tun, ist Robert Schütz, unser Oberarzt. Er will ein Memorandum
© Ana-Maria Bamberger 40
ans Ministerium schicken, jetzt wo es klar ist, dass die Familie
der Patientin klagen will... Aber es ist so eine Sache, sich mit dem
Chef der Klinik anzulegen, weisst du, und dann noch mit so einem
wie Banthien. Ich habe Robert gesagt, er soll es lieber lassen,
nicht dass er da auch noch mit hineingerät... Mir kann sowieso
niemand mehr helfen.
Marta: Robert Schütz? War das nicht ein Studienkollege von dir?
Marina: (nach kurzem Zögern) Doch, war er, und was tut das zur
Sache?
Marta: Das tut nichts zur Sache, nur dass mir der Name
irgendetwas sagt, war er nicht auch ein paar Mal bei uns?
Marina: Weiss ich nicht mehr, vielleicht war er 'mal bei uns, und?
Warum ist das wichtig?
Marta: Ist es, wenn ich mich schon daran erinnere. Und ich meine
mich auch zu erinneren, dass er dir damals ganz gut gefiel, oder?
Marina: Ach, Unsinn, woher denn?
Marta: Er gefiel dir nicht?
Marina: Das habe ich nicht gesagt. Aber ich weiss nicht, woher du
so genau wissen willst, was mir damals gefiel und was nicht...
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Egal, als Robert an unsere Uni wechselte, war ich schon mit
Sascha befreundet... du siehst also...
Marta: Was soll ich sehen?
Marina: Dass es nicht von Belang ist.
Marta: Ich sehe... das du eine dumme Gans bist, dass sehe ich.
Und was zum Teufel machst du mit diesem Tee da, trinken wir
den heute noch oder nicht?
Marina: (bringt den Tee, beide trinken)
Marta: (nimmt einen Schluck, verzieht das Gesicht) Er ist kalt.
Marina: Mag sein.
Marta: (versucht es noch einmal) Er ist aber wirklich richtig kalt.
Marina: Und - was willst du?!
Marta: Nichts, was soll ich schon wollen.
Marina: Ich geh' dann 'mal... Es ist spät geworden.
Marta: Gut. Geh', und mach' deinem Sascha... Fisch mit Erbsen,
oder was auch immer.
Marina: Er hat gesagt, er kommt heute später, ich soll nicht mit
Essen auf ihn warten...
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Marta: Habe ich's dir nicht gesagt! Hast du ihn übrigens gefragt,
wie es in Berlin war?
Marina: Was soll ich ihn fragen? Er hat es mir von allein erzählt...
Marta: Ja? Und was hat er dir erzählt?
Marina: Was hat er mir erzählt... Wie es war, wer noch da war,
was so diskutiert wurde.
Marta: Was über den Arsch diskutiert wurde!
Marina: Mutter...
Marta: Was denn, ist es nicht so?
Marina: Und wenn es so wäre? Ah, jetzt fällt mir wieder ein, was
ich dich fragen wollte, als du mich zum Teemachen geschickt
hast...
Marta: Was?
Marina: Wenn du es die ganze Zeit wusstest... das mit Vater,
meine ich...
Marta: Ja, das wusste dich, und was?
Marina: Wieso hast du nie daran gedacht, ihn...?
Marta: Ihn was...?
Marina: Weiss ich nicht, ihn zu verlassen, vermutlich...
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Marta: Und warum glaubst du, dass ich nie daran gedacht habe?
Marina: (will etwas sagen, öffnet den Mund, in dem Moment
klingelt ihr Handy, ein durchdringender Ton, wie ein Alarm)
Marta: Du hast 'was angezündet! Ich hab' dir gesagt du sollst
nicht rauchen!
Marina: Es ist das Telefon. (antwortet) Hallo?... Bei Mutter, wo
sonst? ... Hast du nicht gesagt, du würdest später kommen? ...
Gut, ich komme... In zehn Minuten... spätestens in einer
Viertelstunde. (legt auf)
Marta: (äfft sie nach) "In zehn Minuten"... Was? Er ist schneller
fertig bei der anderen und jetzt zitiert er dich nach Hause, damit
du ihm doch das Essen hinstellst?
Marina: (ist aufgestanden, hat ihre Sachen eingesammelt, geht
zur Tür) Ich bin dann weg...
Marta: Geh', geh' doch, sieh' zu ... Stell ihm das Essen hin, wasch'
ihm die Socken... dein Problem.
Marina: (von der Tür) Ich komme also Mittwoch wieder...
Marta: Von mir aus kannst du auch Donnerstag kommen.
Marina: Tschüss. (geht hinaus)
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Marta: (antwortet nicht; nachdem Marina gegangen ist, hebt sie
ihr Buch vom Boden auf und liest weiter, wo sie stehengeblieben
war).
Dunkel
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3. Szene
Martas Wohnung, Donnerstag.
Marta döst in ihrem Sessel, das Licht ist dieses Mal aus. Man hört
den Schlüssel in der Tür, Marina tritt ein, genau so angezogen
wie zuvor, Einkaufstüten in den Händen. Dieses Mal ist sie jedoch
sehr leise und schliesst die Tür geräuschlos.
Marina: (geht auf Zehenspitzen zum Sessel, in dem Marta schläft;
schaltet das Licht ein, dann, laut): Stellst du dich schon wieder
schlafend?
Marta: (schreckt auf; nach einem Moment, in dem sie Marina
desorientiert anschaut) Nein. Dieses Mal habe ich wirklich
geschlafen.
Marina: (hebt die Tüten an, um sie ihr zu zeigen, geht dann zum
Tisch, um hervorzuholen, was sie eingekauft hat) Ich habe dir
etwas mitgebracht... Lecke...
Marta: (unterbricht sie) Ach, lass doch... Ich kann mir das jetzt
nicht anhören. Hol doch alles 'raus und leg's auf den Tisch.
© Ana-Maria Bamberger 46
Marina: Aber was ist denn heute mit dir los? Geht's dir nicht gut?
Marta: Nein, geht's mir nicht.
Marina: Und warum nicht?
Marta: Wart's nur ab, bis du 75 bist...
Marina: 74.
Marta: 74, 75, sowieso alles Mist.
Marina: Wenigstens hast du's bis dahin geschafft, das ist doch
schon 'mal was.
Marta: Wer weiss.
Marina: (ist fertig mit auspacken, glättet und faltet die Tüten)
Marta: Was soll das denn werden?! Faltest du schon wieder die
Tüten?
Marina: Und - was stört dich daran?
Marta: Es stört mich eben.
Marina: Warum?
Marta: (hebt an, aber es fällt ihr nichts ein, schnaubt) Ich weiss
nicht, es hat so 'was... Es stört mich eben, reicht das nicht?
Marina: Nein, das reicht nicht.
© Ana-Maria Bamberger 47
Marta: Gut, dann falte sie eben, mein Kind, wenn du meinst, dass
es dir hilft, falte sie von mir aus so oft du willst... Was hast du mir
mitgebracht?
Marina: Ich dachte du wolltest das nicht hören...
Marta: Ich hab mich umentschieden.
Marina: Brot... Butter... Käse. Wein. Tomaten. Schokolade...
Marta: Schokolade? Du hast mir Schokolade mitgebracht?
Marina: Ja, habe ich.
Marta: (gerührt) Sie hat mir Schokolade mitgebracht... Los, gib'
sie her, wir essen sie zusammen. Was für welche?
Marina: Zartbitter. (erschrocken) Wolltest du eine andere?
Marta: (denkt kurz nach, ob sie etwas dazu sagen soll, dann)
Nein, nein, Zartbitter ist sehr gut, ganz wunderbar... gib' sie
schon her.
Marina: (gibt ihr die Schokolade, Marta öffnet sie, probiert ein
Stückchen)
Marta: Ist wirklich gut.
Marina: Ich freue mich.
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Marta: Und - was gibt's Neues? Wie ist es dir ergangen? Ich
dachte, du würdest gestern kommen.
Marina: Du hast doch selbst gesagt, ich kann auch Donnerstag
kommen.
Marta: Und wenn schon? Das heisst doch lange nicht, dass du
auch Donnerstag kommen sollst!
Marina: (lacht) Nein?
Marta: Nein. (schaut sie an) Irgendwie siehst du ein kleines
bisschen besser aus... Angezogen bist du immer noch wie Sau,
und beim Friseur bist du auch nicht gewesen, aber trotzdem,
irgendetwas ist anders...
Marina: Mag sein.
Marta: Ist etwas passiert?
Marina: Nein, nichts, nur...
Marta: Los, sag's schon... nimm' dir auch ein Stückchen
Schokolade, sonst ess ich sie noch ganz auf... Nimm. Sag.
Marina: (isst ein Stückchen Schokolade, dann) Gestern ist die
Antwort vom Ministerium gekommen.
Marta: Welche Antwort? Welches Ministerium?
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Marina: Die Antwort auf das Memorandum von Robert. Über die
Patientin von Banthien, die...
Marta: Ich weiss, mein Kind, so verkalkt bin ich nun auch wieder
nicht. Du hast es mir ja erzählt. Aber ich dachte, du wolltest nicht,
dass er's macht...
Marina: Ich wollte nicht, aber er hatte es schon gemacht und auch
schon hingeschickt. Ohne es mir zu sagen. Und gestern ist die
Antwort gekommen... und...
Marta: Und...
Marina: Es sieht gut aus... Das heisst, nicht schlecht.
Marta: Bravo! Das heisst - für ihn!
Marina: Ja... Es sieht sogar so aus, als hätte Banthien entschieden
sich zurückzuziehen, man sagt, dass er noch vor Ende des Monats
seinen Antrag auf Pensionierung einreichen wird... Was bedeutet,
das wäre erledigt.
Marta: Das ist doch toll! Und? Hast du nicht gefeiert?
Marina: (verlegen) ... doch. Deswegen konnte ich auch gestern
nicht kommen... Robert hat mich eingeladen, um zu...
Marta: Um zu...
© Ana-Maria Bamberger 50
Marina: Um zu feiern.
Marta: Und bist du hingegangen?
Marina: Ja, ich bin hingegangen.
Marta: (schaut sie erschrocken an) So, mit dem Rock?!
Marina: Nein, gestern hatte ich den schwarzen an...
Marta: Noch schlimmer!
Marina: Mutter!
Marta: Mutter hin, Mutter her! Wenn du glaubst, dass das nicht
zählt... dann liegst du falsch, glaub' mir. Alle Männer, ganz gleich
wie intelligent sie sind oder was sonst, gucken trotzdem als erstes
darauf...
Marina: Aber was hat das mit Robert...
Marta: Und was hat Sascha gesagt? Oder hast du ihn auch
mitgenommen?
Marina: Nein, ich habe ihn nicht mitgenommen, er ist in Bonn, er
kommt morgen zurück. Sascha weiss von dieser ganzen
Geschichte mit Banthiens Patientin gar nichts, und ich würde dich
bitten, es ihm auch nicht zu sagen.
© Ana-Maria Bamberger 51
Marta: Ich?! Ich soll Sascha was sagen?! Ich glaube, das letzte
Mal, wo ich deinen lieben Sascha gesehen habe, war bei eurer
Hochzeit! Und auch da habe ich keine zwei Worte mit ihm
gewechselt...
Marina: Nein hast du nicht.
Marta: Willst du nicht einen Tee machen?
Marina: Mach' ich. (geht in die Küche und macht Tee)
Marta: Weisst du schon, dass Vicky sich das Bein gebrochen hat?
Marina: Nein, woher soll ich das wissen?
Marta: Na, dann weisst du's jetzt. Sie hat sich das Bein
gebrochen. Ist die Treppe 'runtergefallen.
Marina: Geschieht ihr recht!
Marta: Warum bist du so schlecht? Sie ist doch auch nur eine
arme alte Frau...
Marina: Ich verstehe dich wirklich nicht.
Marta: Und warum nicht, bitte schön? Was, nur weil...
Marina: Nur weil sie dich betrogen hat...
Marta: Aber sie hat mich doch gar nicht betrogen!
© Ana-Maria Bamberger 52
Marina: Was soll das heissen, sie hat dich nicht betrogen? Ich
hab's dir doch erzählt...
Marta: Ja, gut, sie war mal eine Zeit lang mit deinem Vater
zusammen. Vier Monate, um genau zu sein. Und wenn schon?
Betrogen hat sie mich nicht. Er ja. Vicky nicht.
Marina: Was soll das heissen?! Was ist das denn für eine Logik?!
Sie haben dich miteinander betrogen, was machst du dir für
Illusionen?
Marta: Nein. Vicky hat mich nicht betrogen. Sie hat es mir vom
ersten Augenblick an erzählt, seit... seit diese Geschichte eben
angefangen hat.
Marina: Sie hat es dir erzählt?!
Marta: Ja. Sie ist zu mir gekommen und hat es mir gesagt, und sie
hat mich gefragt, was sie machen soll, und dass sie tun würde,
was ich sage.
Marina: Was meinst du...? Was soll das heissen, sie würde tun,
was du sagst?!
Marta: Genau wie ich es sage. Sie erzählte mir, dass sie sich in
deinen Vater verliebt hätte, und er auch in sie, und dass ... dass
© Ana-Maria Bamberger 53
sie die Sache aber aufgeben würde, wenn ich darunter litte. Das
hat sie mir erzählt.
Marina: Und... was hast du dazu gesagt?
Marta: Kommst du endlich mit diesem Tee? Sonst wird er wieder
kalt.
Marina: (bringt den Tee, giesst ihn ein, beide trinken)
Marta: Dieses Mal ist er gut... Mmm... aber es ist kein Rum drin!
Marina: Es ist kein Rum mehr da.
Marta: (schnaubt) Das wäre auch zu schön gewesen: nicht zu
heiss, nicht zu kalt, und dann auch noch mit Rum! Aber wenn du
beim letzten Mal gesehen hast, dass kein Rum mehr da war,
warum hast du dann keinen neuen mitgebracht?
Marina: Letztes Mal, war noch - schau' - soviel (zeigt ihr, dass es
viel war) in der Flasche. Also muss irgendjemand anders ihn...
verbraucht haben. Vicky vielleicht!
Marta: (schnaubt aufgebracht) He! Hast du nicht gehört, dass sie
sich das Bein gebrochen hat? Sie liegt bei euch in der Klinik mit
sooo einem Gips... (beschreibt mit den Händen ein Gips von
riesigen Ausmassen)
© Ana-Maria Bamberger 54
Marina: Sie haben sie ganz eingegipst!
Marta: (reduziert die Dimension ein wenig) Ich wollte dich
sowieso bitten, 'mal bei ihr vorbeizuschauen, um zu sehen wie es
ihr geht, ob sie etwas braucht... Sie liegt in der Unfallchirurgie...
Marina: Ich habe keine Zeit.
Marta: Bitte.
Marina: Was hast du ihr gesagt?
Marta: Was ich ihr gesagt habe? Ich hab' gesagt, wie Leid es mir
tut, dass sie sich das Bein gebrochen hat, Scheisstreppe und so
weiter... was man eben so sagt in solchen Situationen.
Marina: Nicht jetzt, damals. Als sie dir von Vater erzählte...
Marta: Damals... Damals habe ich ihr gesagt, sie soll sich keine
Sorgen machen, nicht meinetwegen jedenfalls. Dass es mir sogar
lieber ist, wenn er es mit ihr tut als mit einer anderen. Das habe
ich ihr gesagt.
Marina: Und... stimmte das?
Marta: Ja. Das stimmte. Was du nämlich nicht weisst, ist, dass...
(schlürft den Tee) Wirklich schade, dass kein Rum drin ist!
Marina: Ist, dass...
© Ana-Maria Bamberger 55
Marta: Dass ich deinen Vater nicht geliebt habe.
Marina: Du hast ihn nicht geliebt? Warum hast du ihn dann
geheiratet? Wegen des Geldes konnte es ja wohl nicht sein, er
hatte ja keins. Am Anfang jedenfalls nicht.
Marta: Ah, am Anfang habe ich ihn geliebt... auf eine bestimmte
Art. Aber was wusste ich damals schon, ich war ein Kind, gerade
'mal zwanzig Jahre alt. Aber später... war's dann vorbei.
Marina: Was meinst du damit... es war vorbei?
Marta: So. Es war vorbei, ganz einfach. Aus und vorbei. Nach der
ersten... (deutet mit den Händen an, dass es um eine Frau geht),
die keinesfalls Vicky war, sie war auch nicht die zweite, noch
nicht 'mal die dritte... Aber für mich war es schon nach der ersten
vorbei. Deswegen konnte ich auch... (schlürft) Es war wirklich
kein Tropfen mehr da, nicht einmal auf dem Boden der Flasche?
Marina: Es war noch nicht 'mal mehr die Flasche da! Deswegen
konntest du was?
Marta: Ihn aushalten. Aushalten, ohne dass es mir etwas
ausmachte.
Marina: Und trotzdem verstehe ich nicht...
© Ana-Maria Bamberger 56
Marta: Was zum Teufel verstehst du nicht?! Wenn du nicht liebst,
macht es dir nichts aus. Fertig. Das ist sehr einfach.
Marina: Das habe ich verstanden. Was ich trotzdem nicht
verstehe ist... warum...
Marta: Warum ich ihn nicht verlassen habe? Das verstehst du
nicht?
Marina: Ja.
Marta: Und du? Warum verlässt du Sascha nicht, hm?
Marina: Das ist nicht das gleiche!
Marta: Ach komm, hör doch auf! Es ist genau das gleiche. Ich
habe ihn nicht verlassen, weil... das eben nicht so einfach ist. Weil
ich wollte, dass du eine Familie hast... Egal. Das ist alles
Vergangenheit. Warum zum Teufel haben wir jetzt überhaupt
damit angefangen... Sag' du mir doch lieber: was hält dich bei
Sascha? Und sag' mir nicht, dass du ihn liebst.
Marina: Ich weiss nicht...
Marta: Ah, wenn du ihn nämlich liebst, ja dann ist das was
anderes... dann bist du wirklich noch viel dümmer als ich dachte!
© Ana-Maria Bamberger 57
Marina: Ich weiss es nicht, ich hab' nicht mehr darüber
nachgedacht... schon sehr lange nicht.
Marta: Na, dann denk' mal nach.
Marina: Was, jetzt?!
Marta: Jetzt, ja. Ja oder nein? Was könnte einfacher sein als das?
Marina: Es ist nicht einfach.
Marta: Doch, ist es. Ja oder nein.
Marina: (nach einer langen Pause, in der Marta die Augen
schliesst und Marina ein paarmal durch das Zimmer auf un ab
geht) Nein.
Marta: (schreckt hoch) Nein? Was nein?! Du hast mich
aufgeweckt!
Marina: Nein, ich glaube nicht, dass ich ihn noch liebe.
Marta: Siehste. Und nun?
Marina: (zuckt mit den Schultern, hilflos) Victor...
Marta: Victor, Blödsinn. Victor ist 25 Jahre alt und du siehst ihn
zweimal im Jahr. Und eines Tages wird er dich fragen, so wie du
mich jetzt fragst: warum hast du ihn nicht verlassen, wenn du
wusstest, dass er dich betrügt...
© Ana-Maria Bamberger 58
Marina: (entsetzt) Aber Victor weiss doch nichts davon!
Marta: Er weiss nichts davon! Sag mal, in welcher Welt lebst du
eigentlich? Er weiss es, natürlich weiss er es. Genauso wie du es
auch wusstest. Ausserdem...
Marina: Ausserdem...
Marta: Komm, Kind, ich werde langsam müde, geh' jetzt 'mal
lieber... (neigt den Kopf zur Seite, als wollte sie ein Nickerchen
machen)
Marina: Du willst doch jetzt nicht schlafen!
Marta: Und warum nicht?
Marina: Sag' mir doch was du sagen wolltest!
Marta: Ich weiss es nicht mehr, ich weiss es wirklich nicht mehr...
Marina: Du weisst es ganz genau, und ich gehe nicht, bevor du es
nicht sagst.
Marta: Deine Sache, du kannst ja hier schlafen, wenn du willst.
Ich... (schliesst die Augen)
Marina: (schüttelt sie) Du wirst jetzt nicht schlafen! Sag's!!
Marta: Aber ich habe versprochen, es nicht zu sagen...
Marina: Wem hast du das versprochen?
© Ana-Maria Bamberger 59
Marta: Ich hab’s eben verspochen.
Marina: Es ist egal, was du versprochen hast... (steht auf und geht
unruhig auf und ab) Sag's schon.
Marta: Gut, ich sag's dir, aber hör auf, hin- und herzurennen, mir
ist schon ganz schwindelig. Setz dich hin, dann sag ich's dir.
Marina: (setzt sich) Los.
Marta: (schaut sie an) Hast du denn jetzt gänzlich deinen Humor
verloren!
Marina: Ja. Aber schon lange, nicht erst jetzt. Los.
Marta: Mmm...
Marina: Du kommst mir nicht davon, nur dass du's weisst.
Marta: Ich weiss.
Marina: Also rück' endlich damit 'raus.
Marta: Aber du lässt mich ja nicht!
Marina: Komm.
Marta: Mmm... Also gut, es ist so: diese Sache mit Berlin und mit
Sylvia...
Marina: Ja, ich höre...
© Ana-Maria Bamberger 60
Marta: Die weiss ich von... Victor. So jetzt weisst du's. Aber verrat
mich nicht...
Marina: Von Victor?!
Marta: Ja. Von Victor. Du siehst also...
Marina: Was soll ich sehen?
Marta: Ach, lassen wir das... Komm, geh' jetzt, ich bin wirklich
müde.
Marina: (steht auf, sammelt ihre Sachen ein) Kann ich dich noch
etwas fragen?
Marta: Hast du mich nicht schon genug gefragt?
Marina: Also gut, lassen wir es. Ich bin weg...
Marta: Frag' mich.
Marina: Eine einzige Frage nur, wenn du nicht willst, brauchst du
nicht zu antworten...
Marta: Eben wollte ich auch nicht!
Marina: Nein, jetzt musst du es wirklich nicht, wenn du nicht
willst...
Marta: Was?
Marina: Du hast Vater nicht geliebt...
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Marta: Nein. Das war die Frage?
Marina: ... aber vielleicht... jemand anderes?
Marta: Jemand anderes?
Marina: Ja, jemand anderes. Hast du niemand anderes geliebt?
Marta: Und was nützt es dir, wenn ich's dir sage?
Marina: Ich weiss nicht, vielleicht nützt es mir...
Marta: Das glaube ich kaum.
Marina: (bleibt noch ein paar Sekunden in der Mitte des Raums
stehen, wartet ab, ob Marta noch etwas sagt; geht dann zur Tür;
von der Tür aus) Ich komme dann... Sonntag wieder, glaube ich,
passt dir Sonntag?
Marta: Erinnerst du dich noch an... Dr. Weiss?
Marina: Dr. Weiss? Der Kinderarzt?
Marta: Der Kinderarzt, ja.
Marina: Natürlich erinnere ich mich an ihn... sehr gut erinnere ich
mich an ihn, er war so sanft, und liebevoll... (es wird ihr klar, was
Marta ihr gesagt hat) Du meinst: er? Ihn hast du...
Marta: Sonntag passt mir sehr gut. Montag auch...
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Marina: Ja. (schliesst die Tür; Marta schliesst die Augen; nach
einem kurzen Augenblick kommt Marina zurück) Mutter?
Marta: Was? Du hast mich erschreckt!
Marina: Ach, nichts. Entschuldige...
Marta: Du bist wegen 'nichts' zurückgekommen?
Marina: Was ist mit...
Marta: Mit?
Marina: Mit ihm. Was ist mit ihm passiert? Mit Dr. Weiss? Eines
Tages ist er nicht mehr zu uns gekommen, daran erinnere ich
mich. Ich glaube, ich war sieben Jahre alt, ich hatte gerade mit
der Schule angefangen, und er kam nicht mehr zu uns... Das
wollte ich dich immer schon fragen.
Marta: Es ist passiert, dass er... gestorben ist, das ist passiert.
Marina: (einen Moment lang sagt sie nichts, steht in der Tür und
schaut Marta an; dann, flüsternd) Das tut mir Leid...
Marta: Was hast du gesagt?
Marina: (räuspert sich, dann, etwas lauter) Ich habe gesagt, dass
es mir Leid tut...
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Marta: Tja. So ist das nun 'mal. Das Leben richtet sich nicht nach
dir... Komm, geh' jetzt, ich bin müde.
Marina: Gut, ich geh' dann... Wir sehen uns Sonntag. (schliesst
die Tür)
Marta: Oder Montag...
Dunkel
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4. Szene
Martas Wohnung, Samstag.
Marta in ihrem Sessel, schläft. Man hört den Schlüssel in der Tür,
Marina tritt ein. Sie sieht sehr gut aus, ist elegant gekleidet. Sie
trägt keine Einkaufstüten.
Marta: (entsetzt) Wer ist da?
Marina: Erschrick dich nicht. Ich bin's.
Marta: Welcher Tag ist heute?
Marina: Samstag.
Marta: Samstag. Das dachte ich auch. (sieht Marina an) Hey, lass'
dich anschauen, komm 'mal her. (Marina kommt näher, aber
Marta sieht sie immer noch nicht gut genug) Nein, nicht dorthin.
Komm her, schau', hier zu mir. Und mach das Licht an (Marina
schaltet das Licht ein; Marta schaut sie lange an) Hey... Nicht
schlecht...
Marina: Ich bleibe nicht lange... Ich bin nur gekommen um dir zu
sagen, dass...
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Marta: (schaut sie weiter an) Nicht unbedingt der Farbton, der dir
am besten steht, aber es geht... es geht!
Marina: ... dass ich gestern Sascha verlassen habe.
Einen Augenblick schauen sich beide schweigend an. Dann erhebt
sich Marta plötzlich aus ihrem Sessel. Eine Sekunde lang stehen
sich beide gegenüber, Auge in Auge. Marta streckt die Hand aus,
streicht Marina leicht über die Wange, drückt sie dann auf den
Sessel und geht leichten Schrittes in die Küche.
Marina: Wo gehst du hin?
Marta: Tee kochen. Mit Rum!
Ende
© Ana-Maria Bamberger 66
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