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DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hintergrund/Feature Dienstag, 6. Juni 2006 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr
Match und Macht
Fußballstadien
Von Ulrich Land
Co-Produktion WDR/DLF/SWR
URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. � Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript -
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Atmo: Trompete
Fußballfans singen „Attacke“
Musik: Stealing Fat
Groundhopper:
Strahov-Stadion Prag, Jan Brydelstadion Brügge, Stadion Laugardalsvöllur
Reykjavik. Du lässt kein Wochenende aus, schaffst in fünf Tagen sechs Spiele in drei
verschiedenen Ländern. Stattliche 174 Grounds in den letzten Jahren gesammelt
und 24 Länderpunkte. "Eurohopper", Kategorie "Profi". Kein Stadion zu weit, kein
Spiel zu unbedeutend.
Geräusch: Plattennadelkratzer
Musik: Jason Forrest: War Photographer
Zitator:
Match und Macht
Fußballstadien
Ein Feature von Ulrich Land.
Atmo: Hubschrauber über dem Gelände vor der Münchne r Arena
Musik: In the Sweet Bye
O-Ton: Uwe Seeler
Jedes WM-Stadion hier in Deutschland ist auf seine Art absolut topp!
Zitator:
Uwe Seeler.
O-Ton: Uwe Seeler
Was die Stadien angeht, sind wir schon Weltmeister!
Musik: War Photographer
Atmo: Stadion Fangesänge
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Arena:
In Deutschland wurde seit der Weltmeisterschaft ´74 kein neues Stadion mehr
gebaut. Seit aber im Juli 2000 die WM an Deutschland vergeben wurde, wurden über
ein Dutzend Fußballstadien neu oder höchst aufwändig umgebaut.
Zitator:
Gesamtinvestitionen: anderthalb Milliarden Euro.
Arena:
Die neuen Fußballtempel sollen als potenzielle Exportschlager der angeschlagenen
deutschen Bauindustrie dienen. Die Olympiade in China und die WM 2010 in
Südafrika stehen bevor!
Geräusch: Fußball
Zitator:
"Da wir nicht voll auf Niederlage spielen, spielen wir voll auf Sieg." (Berti Vogts)
Atmo Fußballfans singen „Attacke“
Musik: Etienne de Crecy: Prix Choc
Arena:
In den letzten Jahren hat sich bei der Finanzierung von Fußballstadien ein
entscheidender Paradigmenwechsel vollzogen. Wurden die Baukosten früher
ausschließlich von der öffentlichen Hand getragen, so ist inzwischen der Anteil von
privatwirtschaftlichen Investoren signifikant gestiegen! Der Neubau des Parkstadions
in Gelsenkirchen für die WM ´74 wurde beispielsweise zu 100 % öffentlich finanziert;
der knapp 140 Millionen teure Bau der Schalke-Arena dagegen wurde fast
ausschließlich durch Investoren aus der Privatwirtschaft bezahlt. Dennoch werden
die öffentlichen Kassen auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene immer noch
durch Bürgschaften, vor allem aber durch die Bereitstellung der
Verkehrsanbindungen, in die Pflicht genommen.
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O-Ton Wolfgang Pehnt
Und selbst das, was also von den Sponsoren da rein gesteckt wird, das unterliegt
nicht mehr der Steuer ...
Zitator:
Wolfgang Pehnt, Architekturhistoriker
O-Ton Wolfgang Pehnt
Also insofern werden auch diese Veranstaltungen von uns Steuerzahlern, als der
größten Fußballgemeinde überhaupt, getragen. Also ganz so uneigennützig,
abgesehen vom Werbeeffekt, sind natürlich auch diese Sponsoren-Leistungen nicht.
O-Ton Christoph Ingenhoven
Man verkauft die Rechte, man verkauft den Namen des Stadions, das sind ja ganz
komplizierte Vermarktungsstrategien
Zitator:
Christoph Ingenhoven, Architekt
O-Ton Christoph Ingenhoven:
Natürlich nehmen die Namensgeber, die Rechteabnehmer, auch das Management
des Fußballclubs, auch die finanzierenden Banken usw. dann Einfluss auf die
Architektur, also bei diesen so genannten Arena-Projekten, die sich allerdings auch
dem Fußball natürlich sehr, sehr stark unterordnen.
Geräusch: Plattennadelkratzen
Musik: Howard Shore: The Prophecy
Groundhopper:
Aus den Maulwurfgängen der U-Bahn ans Licht gestiegen, aufgetaucht zwischen
röhrenden Autobahnen und graugrauem Gewerbegebiet. Da plötzlich taucht es linker
Hand auf: das silbrig-weiße Sitzkissen, zerfurcht von Steppnähten, die die
Oberfläche in unzählige Luftsäcke teilen und mit einem Netz überziehen, auf dass es
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nicht abhebe und davon schwebe. Man hat dir einen Sitzplatz direkt am oberen Rand
verpasst. Dort, wo der Deckel auf diesem leuchtenden LKW-Reifen aufliegt. Die
Tribünenwände so steil, dass du dich am liebsten anseilen würdest. Ganz da unten:
der heilige grüne Rasen. Das Spiel selbst: eine Winzigkeit. Nur die Reklame-
Buchstaben auf den Banden, den Videoscreens und Tribünenbrüstungen lassen sich
mühelos entziffern. Ein silbrigweißes Elementarteilchen rollt verloren wie auf einem in
Pixel zerfallenen Bildschirm übers Feld.
Musik: Jason Forrest: War Photographer
Arena:
Mittelpunkt 1:
Zitator:
"Glamour und Spiele"
Arena:
FIFA-WM-Stadion München. Oder: Die Welt zu Gast bei Freunden
Geräusch: Pfeife
Atmo: Fangesänge
Arena:
Die neue Form der Finanzierung zieht einen nicht weniger wichtigen
Paradigmenwechsel in der Stadionarchitektur nach sich: Während die Welt sich
globalisiert, werden die Stadien zu abgeschlossenen Räumen. Tosender
Gebrüllkokon, während draußen die Grenzen fallen. Obwohl die
Fußballweltmeisterschaft 2006 mit ihrer angestrebten weltoffenen Heiterkeit
eigentlich eher in offene Stadien nach dem Muster des antiken Olympia passen
würde, weisen fast alle neuen WM-Arenen die Architektur steilwandiger,
geschlossener Kessel auf.
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O-Ton Wolfgang Pehnt
Wobei definitiv das römische Modell, also das Modell Kolosseum, sich durchgesetzt
hat. Also die große geschlossene Anlage mit der Arena, auf die sich alle Blicke hin
richten, die umlaufenden Sitzordnungen, die in verschiedene Ränge gegliedert sind,
und ein relativ hoher Maueraufsatz.
Musik: Einzug der Gladiatoren
Zitator: •
Amphitheatrum Novum, erbaut von Kaiser Vespasian, später Kolosseum genannt.
Die Anordnung von Eingängen, Treppen und Umläufen im Traggerüst gilt bis heute
als Vorbild für die Zugangsbereiche moderner Großstadien; die Zuschauerränge
können sich in knapp einer Viertelstunde mit bis zu 50.000 Menschen füllen und in
fünf Minuten wieder leeren. Gigantisches Sonnensegel, Vorläufer der Falt- und
Foliendächer moderner Stadien, massive Fassaden in grauem und gelbem Travertin,
die Zuschauersitzstufen marmorverkleidet, vier Geschosse mit Arkadengalerien.
Arena:
Die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron haben die neue Münchner
Fußballarena entworfen.
O-Ton - junge Bayerin
Schaut hässlich aus! Es ist ein großer Koloss. Aber innen drin wird's hoffentlich
besser.
O-Ton - Bayer
Es erinnert ein bisschen an diese amerikanischen Footballstadiums, weil's halt auch
sehr geschlossen ist, fehlt jede Offenheit, ist abgekapselt nach außen, und durch
diese Komplett-Plane hat es auch wiederum etwas sehr Fokussiertes, sehr
Zentriertes.
O-Ton Christoph Ingenhoven
Die ganze Weite, die Leichtathletikstadien mit sich gebracht haben, die ist jetzt da
raus, also reine Fußballstadien, und das bestimmt die Architektur natürlich.
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Zitator:
Christoph Ingenhoven. Trotz seines internationalen Renommees sowohl bei den
Ausschreibungen für die WM-Stadien in Südkorea als auch jetzt in Deutschland mit
seinen avantgardistischen Entwürfen abgeblitzt.
O-Ton Christoph Ingenhoven
Von Olympia aus angefangen in Griechenland bis zu eben den großen berühmten
Stadien, 36er Olympiastadion und das 72er Olympiastadion beispielsweise, sind
alles ovale Stadien, die also sehr, sehr offen sind und je nachdem eben
großherrschaftliche oder fröhliche Inszenierungen erlaubten. Da kann man auch
geteilter Meinung dazu sein. Das erlauben die eigentlich alle nicht mehr. Die
erlauben eigentlich eine wahnsinnige Kesselatmosphäre, die ist scheinbar auch sehr
beliebt und begehrt, und dann wird also mit der Trommel sozusagen der Rhythmus
vorgegeben.
Musik: Paul Clarvis: Powerhouse
O-Ton Wolfgang Pehnt
Räumliche Nähe ist ja eigentlich das, was jemanden überhaupt nur noch veranlassen
kann, in das Stadion zu gehen. Denn sonst sehe ich ja alles besser auf meinen
Fernsehschirm. Da habe ich also die Detailaufnahmen, da sehe ich, wie Ronaldinho
mit dem Fußball dribbelt, was ich also auf der großen Distanz, die auch in den
Hexenkesseln noch herrscht, höchstens mit dem Fernrohr sehen könnte.
Atmo: Fangesang
Arena:
Die Fans werden zusammengeschweißt zur Erregungsgemeinschaft. Zu zwei
konkurrierenden Erregungsgemeinschaften!
O-Ton Uwe Seeler
Die Stimmung ist natürlich sensationell, selbst wenn nur 15.000 drin sind, weil
natürlich, wenn die schreien, das alles im Stadion bleibt und zurückhallt.
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Zitator:
Uwe Seeler, Nationalspieler der 60er Jahre, seinerzeit einer der besten Mittelstürmer
der Welt.
O-Ton Uwe Seeler
Die früheren Stadien waren wunderschön, und wir kannten nichts anderes, für uns
war es fantastisch, die waren aber offener, und natürlich dadurch war die Stimmung
nicht so im Stadion zu halten.
O-Ton Christoph Ingenhoven
Das ist das konzentrierte Power-Erlebnis, 360 Grad Fußball, ja, stereo-surround, ich
weiß nicht was. Mega! Das hat schon was Überwältigendes! Auch im negativen
Sinne was Überwältigendes. Dem kann sich auch kaum jemand entziehen. Das ist
vielleicht auch eine der emotionalen Wirkungen, die diese großen Stadien haben,
also man verliert schnell auch die kritische Distanz.
Musik: Marti/Angulo/Seeger: Guantanamera
Arena:
Das Münchner Olympiastadion von 1972 wartete mit einer so gewagten wie
eleganten Zeltdachkonstruktion auf, die dem Spielfeldgrundriss eine
Kurvendiskussion auferlegte. Die Parabeläste, weichen Kurven, gebogenen
Schrägen des Daches überlagerten die strengen Kanten der Horizontalen. Ein
Stadion, das es wagte, der puren Funktionalität einen kreativen Überbau
abzutrotzen.
O-Ton Christoph Ingenhoven
Es war eine ungeheure gemeinsame Anstrengung dahinter, sich, also die
Bundesrepublik Deutschland damals, keine 30 Jahre nach dem Krieg, eigentlich als
demokratisch, heiter, locker, cool zu inszenieren. Und das ist eigentlich auch
gelungen. Und man sieht dem Stadion diese Anstrengung nicht an.
Musik: Paul Clarvis: Powerhouse
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Arena:
Die neue Münchner Fußballarena dagegen folgt der reinen Lehre, leistet die
gestrenge Fokussierung auf König Fußball.
O-Ton - junge Bayerin
Ein großer Koloss. Das ist so ein Klotz, des schaut nit schön aus.
Atmo: Torgebrüll und Nachwehen
O-Ton Christoph Ingenhoven
Ich würde das mal so ne Art “Superrealismus” nennen, der dahinter steckt. Also man
wehrt sich letzten Endes nicht mehr gegen diese Stellung des Stadions als
Vermarktungsmaschine, man wehrt sich auch nicht gegen die Unmöglichkeit, eine
außergewöhnliche Konstruktion unterzubringen, ganz im Gegenteil: Man verkleidet
eigentlich dieses an sich, sagen wir mal, konventionell konstruierte Betonstadion, das
also keine Außergewöhnlichkeit ansonsten besitzt, umhüllt das Ganze jetzt aber mit
einer durchaus außergewöhnlich gut und fein konstruierten Hülle, die also rot und
blau leuchtet und das dann auch noch wieder bezieht auf die beiden Fußballclubs,
die ja die Finanzierer und die Bespieler sozusagen dieses Stadions sind.
Musik: Howard Shore: The Shadow of the Past
Groundhopper:
Samstagmorgen, verdammt früh. Noch Stunden bis zum Spiel. Die Parallelwelt ist
noch längst nicht wach. Bloß ein einsamer Techniker, der gerade zum Kontrollgang
ansetzt. Du überredest ihn, dich mitzunehmen. Ob du denn schwindelfrei wärst?
Sicher. Also hoch auf den Catwalk. Laufsteg in schwindelnder Höhe, quer durch
dieses stählerne Dachgebälk, das den Himmel über Schalke hält. Vorbei an
Scheinwerferbatterien, Lautsprecherboxen und Schaltkästen. Quer durchs
Stützkorsett des vergilbten Baldachins über diesem Zwitter aus Open-Air-Arena und
Turnhalle. Rohre, Röhren, Stäbe, Stangen, als hätten die Fußballgötter Mikado
gespielt. Ein Dachstuhl-Labyrinth, das den Himmelsausschnitt überm Fußball-Geläuf
verstellt.
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Musik: Jason Forrest: War Photographer
Arena:
Mittelpunkt 2:
Zitator:
"Event und Spiele"
Arena:
Oder: fußballflankierende Maßnahmen „Auf Schalke“
Geräusch: Pfeife
Atmo: Kontrollgang auf dem Catwalk
O-Ton Ulrich Dargel
"Die Welt zu Gast bei Freunden", und wir haben hier eine Gaststätte eingerichtet, wo
sich jeder Gast wohl fühlen kann. Hier haben wir das Kolosseum der Moderne! Das
Kolosseum des Altertums steht in Rom, und das moderne Kolosseum steht hier in
Gelsenkirchen.
Zitator:
Ulrich Dargel, Architekt und technischer Leiter der Arena „Auf Schalke“
Arena:
Von den zwölf Austragungsstätten der WM 2006 sind neun Stadien ausschließlich
dem Fußball gewidmet. Von den Fans gefeiert, sind sie mit dem Abstand kühler
Vernunft betrachtet: ein Wahnsinn. Fußballstadien sind die öffentlichen Gebäude mit
der extremsten Differenz zwischen Ruhe und Action. Für eine einzige Sportart
werden Riesenarenen an den Rand der Städte gepflanzt, die zum Teil nur alle zwei
Wochen einmal bespielt werden, dann nämlich, wenn, in welcher Liga auch immer,
ein "Heimspiel" angesagt ist.
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O-Ton Peter Peters
Das ist ja der große Nachteil der alten Stadiongeneration gewesen, dass in diesen
Stadien viele Veranstaltungen einfach langweilig waren, weil keine Stimmung
aufkam, weil die Entfernung vom Publikum zum Ort des Geschehens, zum
Innenraum viel zu weit war.
Zitator:
Peter Peters, Schalker Geschäftsführer
O-Ton Peters
Das betrifft ja im Übrigen auch Konzertveranstaltungen, die nie eine solche
Kompaktheit, eine solche tolle Atmosphäre haben wie in einer engen Halle.
Arena:
Die Südtribüne der Arena auf Schalke wurde als Brückenkonstruktion gebaut, damit
der Rasen drunter durch geschoben und an die Luft gesetzt werden kann.
Musik: Verdi: La Traviata
O-Ton Peter Peters
In der Konzertserie 2004 mit Grönemeyer, Robbie Williams, Bruce Springsteen, da
hat die Arena ihre volle Kraft entfaltet!
Arena:
Auch in Sachen Multifunktionalität steht das Kolosseum Modell. Dort ließ sich die
Arena in den Anfangsjahren sogar noch fluten, um Seeschlachten darzustellen.
O-Ton Funke
Bon Jovie oder Robbie Williams.
O-Ton Peter Peters
Aber auch natürlich unsere Ausflüge ins klassische Segment mit den Opern!
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Arena:
Später befand sich unter dem hölzernen Manegenboden – neben den Käfigen für die
Bestien und den Zellen für die todgeweihten Gladiatoren – eine höchst aufwendige
Technik, die die Bühne über komplexe Seilzugkonstruktionen binnen Minutenfrist in
Wald- oder Wüstenlandschaften verzaubern konnte.
O-Ton Peter Peters
Die Biathlonveranstaltung: Winterlandschaft, Glühweintrinken, bisschen Party
machen.
Zitator:
"Ich würde sogar sagen", sagt Architekt Jacques Herzog in der Süddeutschen
Zeitung, "dass die Fußballstadien die Opernhäuser von heute sind."
Atmo: Fangesänge
O-Ton Wolfgang Pehnt
Auf der einen Seite schafft man alle Bedingungen, dass die Leute sich auf 180 Grad
bringen, eine möglichst angeheizte, aufgeheizte Atmosphäre, und auf der anderen
Seite ist man entsetzt, wenn die Rowdies zuschlagen und ihre Kampfgesänge
anstimmen und dann nachher auch noch zu Taten übergehen. Die Hooligans.
Arena:
Stichwort: Deeskalation von Gewalt.
Zitator:
Getreu dem Motto des Kolosseums: "Panem et circenses.“ Brot und Spiele.
O-Ton Wolfgang Pehnt
Also die großen Schlachten anschließend sind ja bisher nun eher noch die
Ausnahme. In gewisser Weise, denke ich, ist schon das Stadion der Ort, der das
Schlachtfeld abgelöst hat.
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Zitator:
Wolfgang Pehnt.
O-Ton Wolfgang Pehnt
Man ist konfrontiert in großer räumlicher Nähe mit den Gegnern, die nicht Feinde
sein müssen, und sieht, wie nach gemeinsamen Regeln Auseinandersetzungen
ausgetragen werden. Also es ist eine vage Hoffnung, dass sich daraus so etwas wie
ein Verständnis für Fairplay entwickeln könnte.
O-Ton Peter Peters
Die Kriminaldelikte sind auf Grund der Modernität, auf Grund der Sauberkeit, auf
Grund des hohen Komforts erheblich zurückgegangen.
Zitator:
Peter Peters.
O-Ton Peter Peters
Das heißt, wenn Sie ein sauberes, wenn Sie ein sicheres Stadion mit einem hohen
Komfort bauen, verhalten sich auch Menschen anders. Es findet dort kein
Vandalismus mehr statt.
Arena:
Stichwort: Komfort und Spiele. 100.000 Polizisten, 10.000 private Sicherheitskräfte,
7.000 Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter werden bei der WM dabei sein. Die
Stadien sind ausschließlich mit Sitzplätzen ausgestattet, die alle von
Überwachungskameras erfasst und herangezoomt werden können. Und zum ersten
Mal bei einer Fußball-WM wird die so genannte RFID-Technologie eingesetzt:
Zitator:
Radio-Frequenz-Identification
Arena:
Jedes Ticket ist mit einem Mikrochip versehen, auf dem Name, Adresse,
Ausweisnummer und weitere personenbezogene Informationen zum jeweiligen
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Ticketbesitzer gespeichert sind. Die mitteilsamen Eintrittskarten werden bei den
Drehkreuzen am Stadioneingang automatisch gelesen und mit in- und ausländischen
Hooligan-Datenbanken abgeglichen. Datenschutzbeauftragte haben sich so
vehement wie erfolglos gegen den Einsatz dieser Technologie ausgesprochen, da
sie die Einschränkung der Persönlichkeitsrechte fürchten.
Atmo: Fangesang
Arena:
Der Gewaltentladung und –eindämmung scheint die Kesselatmosphäre der neuen
Stadien entgegen zu kommen. Der Fokus der so genannten Aggressions-
"Entweichung" soll räumlich eng begrenzt werden. Die Power soll sich in den Stadien
ausagieren - und nicht außerhalb. Abgeschottete Entladestationen, geschlossene
Inseln des Gebrülls.
Musik: LCD Soundsystem: On Repeat
Arena:
Da jedoch Fairplay-Erziehung durch Triebabfuhr offenbar nicht immer erfolgreich ist,
ist die WM 2006 ein nicht unbeträchtliches Versicherungsunterfangen.
Zitator: •
Von Haftpflichtschäden bei Spielern, Betreuern und Zuschauern über den mit
350.000 Euro versicherten WM-Pokal und Verlusten für die Werbewirtschaft, wenn
ein Fußballstar aufgrund von obszönen Gesten als Werbeträger nicht mehr zu
gebrauchen ist, bis hin zum Totalausfall der WM.
Arena:
Gegen diesen GAU ist das Organisationskomitee des Deutschen Fußballbundes mit
158 Millionen Euro versichert. Die Police zum Preis von 5 Millionen Euro schließt
selbst terroristische Anschläge mit ein: das einzig wirkliche Großrisiko, das nach
Ansicht der Assekuranzunternehmen die Weltmeisterschaft noch gefährden könnte.
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O-Ton Honeff (Schalke-Polizei)
Das Ganze ist natürlich so als eine Grundbesorgnis im Hintergrund, obwohl wir keine
Hinweise darauf haben. Wir sind gut vorbereitet, aber ausschließen kann man solche
Dinge natürlich nicht.
Arena:
Was die handfesten Folgen eines Terroranschlags auf ein Stadion angeht, so sind
zumindest mögliche Sachschäden durch Versicherungen abgedeckt. Für eventuelle,
vorsichtshalber gar nicht erst auszumalende Personenschäden indes steht kein
"Risikoträger" gerade.
Geräusch: Hubschrauber
Musik: Queen, "We are the Champions" + "We will roc k you"
Arena:
Stichwort: Stadion als Massenphänomen
O-Ton Christoph Ingenhoven
Also ich war in Stadien immer etwas ängstlich. Muss ich ganz ehrlich sagen. Ich kann
mich an ein Stadionerlebnis erinnern, Rolling-Stones-Konzert ’81 im Müngersdorfer
Stadion, da waren die Ränge alle voll, und das Spielfeld war voll. Und wenn man
dann so vielleicht 20.000 Leute auf dem Spielfeld hat und die sich dann bewegen,
und zwar nach vorne auf die Bühne zu, plötzlich, dann – also ich musste da immer
raus! Ich bin auf die Ränge ausgewichen. Also das hat mich jedenfalls immer eher
überfordert. Immer auch so’n bisschen am Rande des Unheimlichen.
Zitator:
Architekt Christoph Ingenhoven. Und Wolfgang Pehnt, Architekturhistoriker:
O-Ton Wolfgang Pehnt
Also ich meine ja, diese großen Arenen dienen einmal der Triebabfuhr, weil das
Spiel, das also nach geordneten Regeln sich vollzieht, eine Auseinandersetzung ist,
die, jedenfalls wenn alles gut geht, in friedlichen Formen vor sich geht und wo man
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also seine Affekte voll ausleben kann, aber schließlich doch an die Regeln gebunden
ist.
O-Ton Klaus Theweleit
Man investiert möglichst viel Emotionen in das, was da abläuft: Ah, gut gespielt oder
unerwarteter Pass, toll, und du Arschloch! Dieser Brei brodelt da ja die ganze Zeit.
Zitator:
Klaus Theweleit.
O-Ton Klaus Theweleit
Dieses emotionale Kochen, was dann so seine Ausbrüche hat bei ner vergebenen
Chance, aaah, wo alle plötzlich die Arme hoch reißen, das sind ja richtige
Emotionswellen. Das ist ne Sorte Verflüssigung. Und ne Sorte Grenzauflösung.
Atmo: wildes Publikumsgekreische
O-Ton Christoph Ingenhoven
Das Äußerste an Anstrengung, was man sich abverlangen kann, ist, sich sozusagen
gegen diese Masse zu wehren! In diesen Riesenstadien, die also so steil sind, sich
da zu erheben und zu sagen: Also, ihr könnt mich alle mal und ich gehe jetzt, ist
schon ein Akt großer Verweigerung.
O-Ton Wolfgang Pehnt
Diese großen Stadien haben ja auch ein demokratisches Element, insofern also die
Bewunderer des Fußballs durch alle Schichten gehen. Klar, also die demokratische
Gleichbehandlung hört auf in dem Moment, wo ich diesen Kranz der VIP-Logen
betrete. Immerhin, sie werden alle in einer gemeinsamen Veranstaltung unter einem
gemeinsamen Dach zusammengeführt. Das ist das große Kollektiv, das da
triumphiert und sein Räusche feiert.
Arena:
Die FIFA-Spitzenfunktionäre ließen es sich nicht nehmen, sechs Wochen vor der WM
umfangreiche Umbaumaßnahmen bei den VIP-Tribünen zu fordern, damit sie genau
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auf Höhe der Mittellinie sitzen. Die Dortmunder WM-Arena lehnte das Ansinnen ab,
da es das Fluchtweg-Konzept gefährden würde. In München hingegen gab man klein
bei und schraubte für die FIFA-Chefs VIP-Tribünen-Sessel in den Mittelgang.
Musik: Howard Shore: Foundation of Stone
Groundhopper:
Du kneifst die Augen zusammen, versuchst einen Blick zu werfen durch die Fenster
des schmalen Zwischengeschosses da oben auf halber Höhe. Aber nichts, kannst
beim besten Willen nichts erkennen. Auch auf Schalke ist vom Stadioninneren aus
dieser gläserne Sehschlitz nicht zu durchdringen.
Arena:
Wenn die Temperaturen einigermaßen erträglich sind, schiebt man in den Logen und
Lounges der Business-Class vielleicht sogar die Glastüren auf, um den Fans beim
Jubeln zuzusehen. Und manchmal – in gähnend langweiligen Spielphasen – schallt
von unten despektierliches Gebrüll hoch:
GROUNDHOPPER und ZITATOR:
"Ihr seid bloß zum Fressen hier!!"
Atmo: Pfiffe + Publikumsgebrüll
Musik: In the Sweet Bye
O-Ton Uwe Seeler
Die meisten Fans wollen kein Schickimicki-Essen, sondern zum Sport gehört auch
rustikales Essen, da wird schon manchmal in den Stadien für mich übertrieben, für
mich gehört eine Wurst, eine Bratwurst oder eine Knackwurst; dazu, das ist so,
vielleicht auch ein bisschen Kartoffelsalat.
Arena:
Über der Logen-Ebene dann die Ränge unterm Dach, dort, wo der Abstand zum
Spielfeld am größten ist. Hier sitzen die eher distanzierten Skeptiker, Lehrer mit ihren
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Söhnen, Ruheständler und Verwalter. Stadionbesucher, die sich über sich selbst
erschrecken, wenn sie sich für einen kurzen Augenblick im Torgebrüll auflösen.
Atmo: brüllender Fans-Kanon - "Baaayyyern. Baaayyye rn!"
O-Ton Wolfgang Pehnt
Diese Stadien sind Kollektoren, wie Sloterdijk sagt, geworden, indem also
Massengefühle gepflegt und erzeugt werden. Aber brauchen wir nicht solche Orte,
wo die Triebabfuhr funktioniert, und brauchen wir nicht vielleicht auch Orte, wo viele
Menschen sich mit etwas identifizieren, das nicht unbedingt gefährlich ist?!
O-Ton Frankfurter
Auf Schalke in der Arena, wenn die noch das Dach zu haben, dann ist da drinnen so
ein Lärm, da fliegen dir die Ohren weg!
O-Ton Wolfgang Pehnt
Also wenn diese Welle der Emotionen oder dieser kollektive Seufzer durch die ganze
Runde geht oder dann diese inszenierten Tonwellen, in denen die Fans sich
zusammenfinden, das ist ein Moment der Identifikation aller mit allen, den man ja
sonst in dieser heutigen Zivilisation kaum mehr erlebt. Vielleicht Gott sei Dank nicht
mehr sonst erlebt. Aber hier ist das noch da. Und hier wird dieses Bedürfnis, das
sicherlich eines ist, noch befriedigt.
Musik: Howard Shore: The White Rider
Groundhopper:
Du gehst langsam durch die Gittersperren im viel zu hoch geratenen Osttor, das
seine olympischen Ringe in den grauen Himmel über Berlin streckt. Starrst auf den
ausladenden Rundbau: Hunderte von rechteckigen Säulen. Massiver Stein. Natur
gebändigt, in Quader gebannt, mit Macht und Kraft zusammengestaucht. Die
Quadratur des Stadions. Rundrum aufgereiht: kantige Stempel,
zusammengenommen wie das Rädchen von einer riesigen Armbanduhr. Als wenn
einer die Zeit zurück drehen wollte.
19
Musik: Howard Shore: Evenstar
Dann der erste Schritt ins Stadion selbst. Wie weggeblasen, die Klotzigkeit der
Säulenbrocken! Doch am Monströsen vorbeigeschrammt. Vor dir eine elegant flache
Obstschale. Blauer Tartangürtel ums Grün geschlungen. Die Sitzreihen steigen ganz
langsam abwärts, halten ehrfürchtig Abstand vom Spielfeld. Und trotzdem gibt’s hier
keinen einzigen Stein, der nicht weiß, wo er hingehört. Nichts, was aus der Reihe
tanzt. Kein Grashalm, der sich durch die Ritzen der Steinplatten wagt.
Musik: Jason Forrest: War Photographer
Arena:
Mittelpunkt 3:
Zitator:
"Konsum und Spiele"
Arena:
Olympiastadion Berlin. Oder:
Zitator:
"So kam ich unter die Deutschen."
Geräusch: Pfeife
Atmo: Atmen
Arena:
Eine der wenigen Ausnahmen bei der Nebennutzung von Fußballstadien gelang der
Berliner Schaubühne, als sie mit nicht-massentauglicher Kultur ein ganz neues
Publikum ins Stadion lockte: ...
Zitator:
1977, "Winterreise", mit Texten von Friedrich Hölderlin.
20
O-Ton Gerd Wameling
Hyperions “Rede an die Deutschen” war natürlich der politische Kontrapunkt zu
diesem Stadion.
Zitator:
Schauspieler Gerd Wameling, damals Mitte 20.
O-Ton Gerd Wameling
Dieses Hitler-Olympiastadion gegenüber diesem empfindsamen Hölderlin mit seinen
Texten über die Deutschen!
Zitator:
"So kam ich unter die Deutschen. Ich forderte nicht viel und war gefasst, noch
weniger zu finden. Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst
durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls,
verdorben bis ins Mark. Beleidigend für jede gutgeartete Seele, dumpf und
harmonielos.
O-Ton Gerd Wameling
Ich weiß genau, dass die letzte Vorstellung am 13. Dezember war und dass an
diesem Tag – ich mein, das hieß ja “Winterreise” –, und dass an diesem Tag, als wir
die Vorstellung begannen, es langsam anfing zu schneien, und als wir fertig waren,
war alles weiß! Das gesamte Stadion, der Rasen, wir in unseren Kostümen, und es
war – also mir lief wirklich der Schauder über den Rücken! Es war unglaublich. Das
kann man nirgendwo erreichen. Nein.
O-Ton Winterreise:
Ich kann kein Volk mir denken, das zerrissner wäre wie die Deutschen ...
O-Ton Gerd Wameling
Der Hyperion, der durch dieses Stadion da raste, verschiedene Punkte hatte, die er
anlief, an denen dann Begegnungen waren; z.B. Diotima war eine Frau im
Regenmantel, die immer auf ein Tor schoss; ich hab das nicht so genau begriffen,
warum das so war, aber es war äußerst spannend! Wir mussten 10.000 Meter laufen
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während der Vorstellung. Und in dem Nicht-Atem, den man nur mehr hatte, kam
dann der Text raus.
O-Ton Winterreise:
Oh ewiges Irrsal, wann reißt der Mensch aus deinen Ketten sich los, wir wollen
wachsen...
O-Ton Gerd Wameling
Und dann musste ich tot zusammenbrechen und lag aber dummerweise in einer
Regenpfütze! Und ich hatte so eine Achtung, so einen Respekt vor diesem Theater,
dass ich wirklich eine halbe Stunde in der Pfütze lag, mein Mantel, den ich da
anhatte, sich langsam voll saugte mit dem Wasser, aber ich hab gedacht, ich darf
mich auf keinen Fall bewegen, und habe dann auch gedacht, also jetzt kriegste ne
Lungenentzündung, und dann war’s das. Es war ja Dezember!
O-Ton Winterreise:
Und darum fürchten sie auch den Tod so sehr, weil Höheres sie nicht kennen als ihr
Machwerk, das sie sich gestoppelt.
Musik: G. Trede: Soccer Fans
Arena:
Das WM-Finale wird im Berliner Olympiastadion stattfinden, das im Dutzend der
Weltmeisterschaftsstadien mit seiner architektonischen Offenheit im Innern noch am
ehesten ans alte Olympia erinnert.
O-Ton Volker Kluge
Die NSDAP und Hitler waren nicht positiv eingestellt zur olympischen Idee, es war
ihnen zu international, Spiele, bei denen auch Schwarze, damals Neger genannt, an
den Start gingen, an denen Juden teilnehmen konnten, also damit wollte man
eigentlich nichts zu tun haben. Man hat sie sogar bekämpft.
Zitator:
Volker Kluge, Berliner Stadionchronist.
22
O-Ton Volker Kluge
Hitler hat also im März 1933 sich dann positiv dafür entschieden. Natürlich setzt er
auf diese Propagandawirkung, etwas Spektakuläres zu machen, um die Welt zu
beeindrucken und sicherlich auch, um über den Charakter des eigenen Regimes
hinwegzutäuschen.
Arena:
Hitler wollte für "sein" Stadion eine Architektur, die es als herausragende
Machtmetapher ausweisen würde. Er beauftragte seinen Stararchitekten Albert
Speer, den hellen, mit viel Glas versehenen Entwurf der Brüder March zu
überarbeiten.
O-Ton Volker Kluge
Dann wurden die Säulen vertieft, sie wurden etwas mächtiger gemacht, der Sims
oben sozusagen wurde etwas gewaltiger, so dass also der Eindruck des Stadions
von außerhalb doch bedeutend stärker war.
Atmo: Olympiastadion innen, Arbeiten mit der Flex
Arena:
Die nur halbherzige Zurichtung des Berliner Olympiastadions – Kolossalfassade nach
außen, innen frei atmend wie das Stadion im alten Olympia – war wahrscheinlich ein
taktisches Kalkül Hitlers.
O-Ton Volker Kluge
Hitler und seine Kohorten mussten Rücksicht nehmen auf die internationale
Öffentlichkeit, aber für ihn ist es ein Frieden auf Zeit gewesen, und der eigentliche
Einfluss, der entstanden ist, ist vor allem für viele junge Deutsche, dass viele dort
sozusagen also so fasziniert waren von diesem Siegestaumel, dass sie dann schon
in das nächste Dilemma gestolpert sind. Immer in dem Glauben, also wir sind die
größten!
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O-Ton Klaus Theweleit
Das Stadion als Auftrittsfläche, Ehrentribüne, Sondertribüne, von Hitler bis Mussolini
bis Stalin, und die demokratischen Führer sind auch nicht ganz schlecht darin oder
versuchen sich wenigstens da sehen zu lassen, an bestimmten Stellen
aufgenommen zu werden, das gab es im antiken Sportstadion nicht. Der politische
Machthaber trat nicht auf. Da ging es zwar sehr hart zu, die Wettkämpfer konnten
sogar im Boxkampf so weit gehen, dass einer getötet wurde, aber auf der andern
Seite war’s der Moment, wo die laufenden Kriege unterbrochen wurden! Wo also
auch die Angehörigen verschiedener Städte, die im Krieg miteinander lagen, das
aussetzten und bei Olympia sportlich gegeneinander antraten.
Arena:
Bis in die jüngste Vergangenheit hinein lassen sich Fußballstadien als Mätressen der
Macht missbrauchen. Vorzugsweise als Gefangenenzwischenlager und
Todesstätten.
Musik: Martin Todsharo: Minks
Zitator:
Im Kongo massakrierte 1964 Mobutus Armee im Stadion der Stadt Kisangani 2.000
Menschen.
Musik-Atmo-Mix
Zitator:
In Chile wurden am 11. September 1973 im Zuge des Pinochet-Putsches einige
tausend Menschen im Fußballstadion von Santiago inhaftiert und gefoltert, und
Hunderte wurden umgebracht. Unter anderem auch der Liedermacher Victor Jara,
dem man hier die Hände brach, damit er nicht mehr Gitarre spielen konnte. Wenige
Tage später wurde er im Stadion exekutiert.
Zitator:
Noch vor wenigen Jahren war es in Afghanistan unter den Taliban an der
Tagesordnung, dass Männer wie Frauen im Stadion exekutiert wurden – erhängt,
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erschossen, guillotiniert. Vor johlenden Massen. Wie die illegalen Videoaufnahmen
der BBC-Reporterin Saira Shah aus dem Jahr 2001 belegen. In China sind
Massenhinrichtungen in Fußballstadien ein beliebter “Breitensport”, bis auf den
heutigen Tag! In der Provinz Ostturkistan beispielsweise sollen Hinrichtungen so
genannter "Terroristen" im Zweiwochenrhythmus durchgeführt werden.
Musik: In the Sweet Bye
O-Ton Uwe Seeler
Fußball ist für mich heute eine Erlebniswelt. Heute gehen Leute in die Stadien, um
essen zu können und trinken zu können, eine Erlebniswelt zu erleben und natürlich,
wenn es geht, auch noch ein ganz gutes Spiel.
Zitator:
Uwe Seeler.
O-Ton Uwe Seeler
Aber wir müssen aufpassen, dass das Spiel nicht nebensächlich wird.
Arena:
Schließlich gibt es keinen Ort auf dieser Welt, wo in derart kurzer Zeit auf derart
begrenztem Raum derart viel Geld ausgegeben und eingenommen wird wie im
Fußballstadion.
Geräusch: Fußball
Arena:
Sportökonomen wollen ausgerechnet haben, dass Deutschland in vier Wochen
Weltmeisterschaft einen volkswirtschaftlichen Gewinn, einen so genannten
"Wohlfahrtszuwachs", von mindestens anderthalb Milliarden Euro zu erwarten habe.
Ebenso viel, wie in die WM-Stadien investiert wurde. Und: Bis ins Jahr 2010 werde
der WM-Schub für das Bruttoinlandsprodukt anhalten und insgesamt ein Plus in
Höhe von 8 Milliarden Euro einbringen!
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O-Ton Wolfgang Pehnt
Also ich meine ja …
Zitator:
Wolfgang Pehnt
O-Ton Wolfgang Pehnt
… dass die reine Fußballarena inzwischen einerseits auf dem Spielfeld sich auf den
einen Zweck Fußball zu bewegt hat, wo alle leichtathletischen Sachen rausgeworfen
sind, während auf der anderen Seite in allem, was also die Publikumsräume angeht,
eine Fülle von anderen Funktionen mit aufgenommen worden ist. Also da gibt es
Hotels, da gibt es einen Supermarkt, und in Gelsenkirchen gibt es sogar eine
Kapelle, wo Sie sich trauen lassen können.
Musik: Corporate World
Arena:
Selbst die eindimensional auf Fußball zugeschnittenen Stadien sind multifunktional.
Im Sinne der Markenvermarktung. Fußballstadien stellen sich nicht nur als
Projektionsfläche für die Siegesträume der Mannschaften und des Publikums zur
Verfügung, sondern auch als permanente Werbefläche. Jeder Spieler, jede Bande,
jede Tribünenbalustrade dient dem Product-Placement.
Musik: In the Sweet Bye
Arena:
Und es ist ein nicht ganz unerheblicher Nebeneffekt der Kesselarchitektur, dass man
auf diese Weise die Zuschauer nicht nur näher ans Spielfeld, sondern auch näher an
die Werbung holt.
O-Ton Wolfgang Pehnt
Die Kamera hat keine Möglichkeit, irgendwo anders rum zu schweifen; wenn sie die
Vorgänge fassen will, und dazu ist sie ja da, dann gerät ihr automatisch auch die
entsprechende Werbung mit ins Blickfeld.
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Musik: Corporate World
Arena:
Auch der TV-Gemeinde kann man durch die neue Stadionarchitektur ein
geschlossenes und schlüssiges Welt- und Werbebild liefern.
Arena:
Dergleichen Werbeerfolge bewacht bei der WM der Weltfußballverband mit
Argusaugen!
Musik: Corporate World
O-Ton Uwe Seeler
Die FIFA braucht auch Geld, und heute sind sie scharf dahinterher, ob nicht sich
einer in die Werbung schleicht! Manche wollen ja dann aufspringen aufs Trittbrett und
dann mitfahren. Und da passen die enorm auf.
Arena:
Damit die Kameras nicht unbezahlte Werbung ins unrechte Licht rücken, muss für die
Weltmeisterschaft jeder fremde Aufkleber in den Stadien von der Wand gekratzt
werden, um den 16 zugelassenen WM-Sponsoren hinreichend Werbeeffizienz zu
sichern. Die Stadien müssen für die vier Wochen WM sogar fifa-kompatibel
umgetauft werden.
O-Ton Peter Peters
Die sind alle umbenannt worden auf "Fifa WM-Stadion Gelsenkirchen", München,
Dortmund.
Zitator:
Geschäftsführer Peter Peters von Schalke.
O-Ton Peter Peters:
Und wir haben natürlich das sehr bedauert, weil nun der große Imagefaktor, der
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natürlich mit dem Namen “Auf Schalke“ verkörpert wird, dass diese Botschaft nicht
mehr weltweit versendet wird.
Musik: Huber/Dorfmeister: Gute Laune
Arena:
Sobald der Rauch der WM abgezogen ist, schmücken sich die Arenen wieder mit
den mäßig poetischen Namen großer Versicherungen, Brauereien, Internetanbieter
oder Energiekonzerne. Das so genannte Naming-Right ist längst zu einer
sprudelnden Finanzquelle geworden. Je nach Bundesliga-Platzierung der
Heimmannschaft können die Betreiber-Gesellschaften zwischen 600.000 und
sechseinhalb Millionen Euro jährlich einnehmen, wenn sie ihr Stadion auf den
Namen des Hauptsponsors taufen. Dieser kann als Gegenleistung nicht nur mit dem
Imagegewinn, sondern auch mit kostenloser Werbung in redaktionellen Beiträgen bei
Funk, Fernsehen und Printmedien rechnen. Nach Untersuchungen der
Fachhochschule Heilbronn findet beispielsweise der Name der Hamburger AOL-
Arena an Bundesligaspieltagen so oft Erwähnung in regionalen und überregionalen
Medien, dass es einem Werbewert von jährlich fast 3 Millionen Euro entspricht.
Annähernd die gleiche Summe, die AOL pro Jahr an die Stadionbetreiber in
Hamburg zahlt.
Atmo: rhythmische Fangesänge
O-Ton Wolfgang Pehnt
In gewisser Weise, denke ich, ist schon das Stadion, ist schon die Arena der Ort, der
das Schlachtfeld abgelöst hat, und man kann nur hoffen, dass es das auch weiterhin
tun wird.
Atmo: Fußballfans
O-Ton Klaus Theweleit
Also wenn eine Machtdemonstration da stattfindet, dann würde ich sagen, es ist die
Macht des Publikums, die untermauert wird durch die Stadionarchitektur. Dass die
Leute sich erleben in diesem Ereignis, das sie selber zum Teil mitgestalten. Denn sie
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wissen, dass, wenn ihre eigene Mannschaft gut spielt oder schwächelt und braucht
Unterstützung, und sie kriegen das fertig, dieses Meeresbrausen der Stimmen, und
sie merken, das springt auf die Spieler über und die Spieler spielen besser, dann
sind sie ja Teil dessen, was da produziert wird. Da erleben die Zuschauer, glaube
ich, sich auch eher als eine Sorte Macht, die den Trainer tragen kann. Aber dann
auch die Macht, die ihn kippen kann: Sowieso raus! Im Sprechchor. Und wenn das
zu lange geht, dann hat das eine materielle Macht! Weil die Vereinsführungen
merken, es kommen weniger Leute, wenn das so weitergeht, bleiben soundso viel
Tausend weg, und die ganze Stimmung kippt. So viel Macht hat das Publikum
durchaus. Ne plebiszitäre Macht.
Musik: Howard Shore: A Journey into the Dark.
Groundhopper:
Paar Sekunden noch bis zum WM-Anpfiff, da stehst du auf. Wendest dich ab, bevor
dich das Spiel packt und du zum brüllenden 60.000stel wirst. Ziehst dich in die
eigenen vier Wände zurück. Ohne dieses gigantische Rauschen, ohne den Geruch
von aufgewühltem Rasen, Hexenkessel eingefroren. Eingeschmolzen auf der
Mattscheibe. Im Fernsehen wirft ein Stadion keine Punkte mehr auf der Groundlist
ab. Auf dem Weg in den Keller kramst du die alte Lederpille aus der Kiste, ziehst auf
die Parkwiese und kickst drauf los! Jedem Quadratmeter Rasen seine eigene
Weltmeisterschaft!
Geräusch: Plattennadelkratzer
Musik: Gerry and the Pacemakers: You’ll never walk alone
Arena: Match und Macht. – Fußballstadien
Zitator: Von Ulrich Land
Arena: Es sprachen: Sandra Schwittau, Fabian Sattler und der Autor
Technische Realisation: Theresia Singer
Regieassistenz: Michael Ogrizek
Regie: Martin Zylka
Redaktion: Gisela Corves.
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Und den Ball schön flach halten. Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks mit
dem Deutschlandfunk und dem Südwestrundfunk, 2006
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