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Musikalische Quellenforschung, beginnend mit der Zeit Joseph HaydnsAuthor(s): ALEXANDER WEINMANNSource: Fontes Artis Musicae, Vol. 26, No. 1 (1979 Januar-März), pp. 4-16Published by: International Association of Music Libraries, Archives, and Documentation Centres(IAML)Stable URL: http://www.jstor.org/stable/23505294 .
Accessed: 15/06/2014 16:36
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4 Alexander Weinmann: Musikalische Quellenforschung
Anonymes
Abrégé des règles de composition ... - [1777] et non [c. 1780]. Convention . .. Det nye musicaliske Selskab .. . Convention imellem det nye musi
caliske Selskab udi Kiobenhavn, antagen den 24 april 1768. - (Kijbenhavn, 1768).
In-4, 13 p. DK Km
Zween Briefe von Gleim und Jacobi, Des letzteren Oper: Die Dichter betreffend. —
Halberstadt, Johann Heinrich Gross, 1772. In-8, 20 p. D DÜ1 Der von dem Mercurius . . . Ajouter le sigle, qui manque: D G.
Instruccion para la Concurrencia de Los Bayles en Mascara, en el Carnaval de Barce
lona del ano 1798, de Orden del Gobierno. — Barcelona, Juan Francisco Piferrer,
[1798], In-8, 36 p. DS Lettre à un journaliste françois, contenant réponse à un article du Courier de l'Europe du 10 juin dernier, touchant le Te Deum de M. Floquet [Signé: Pro Veritate], -Londres, Mil. In-8, 16 p. F Pn
Moyens de diviser les touches . . . Transférer sous: CRYSEUL (G. de)
Remarques au sujet de la lettre de M. Grimm ... — ajouter en note-, (attribué parfois à
l'abbé Raynal). Traicté de musique contenant une théorique succinte . . . L'auteur est: Adrian LE
ROY.
ALEXANDER WEINMANN (WIEN)"
Musikalische Quellenforschung, beginnend mit der Zeit Joseph Haydns Die Einladung seitens des Joseph Haydn-Institutes zu einem Vortrag über meine musi
kalischen Quellenforschungen in der Zeit Joseph Haydns mußte sich auf einen etwas
größeren Zeitraum erstrecken, der einerseits meinem zeitlich etwas ausgedehnteren Ar beitskreis entspricht, andererseits sich mehr auf den österreichischen Raum ausgerichtete Tätigkeit bezieht.
Da das vorgegebene Thema meine eigenen Forschungen behandeln sollte, war nicht zu
vermeiden, daß ich mich in manchen Passagen der Ichform bedienen mußte, wiewohl mein Bestreben immer dahingeht, rein Persönliches dem Sachlichen unterzuordnen. Im merhin bedarf die Schilderung meines fachlichen Werdeganges einiger kurzer Sätze. Ich komme von der Musik an sich her, nicht von der Wissenschaft. Als ausübenden Musiker interessierten mich nicht nur die Noten, aus denen gespielt wurde, sondern zunehmend auch das historische Material, davon gab es in den 30er Jahren im Antiquariatshandel, bei
* Dr. Weinmann delivered the address on 5 May 1978 at the Joseph-Haydn Institut (Köln).
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Alexander Weinmann: Musikalische Quellenforschung 5
zahlreichen Trödlern und Altpapierhändlern noch eine ganze Menge — und zu billigen Preisen. Zusammen mit meinem ebenso interessierten Bruder wurden solche Firmen eifrig
frequentiert und damit der Grundstein zu recht respektablen Sammlungen gelegt, freilich
nur im Rahmen begrenzter finanzieller Möglichkeiten in dieser „schlechten" — guten alten Zeit. Auf diese Weise glückte mancher besondere Kauf wie der der Erstausgabe von
Schuberts Schöner Müllerin um den Betrag von zehn Schilling, dem heute ca. 200 S
entsprechen; die vom Komponisten signierte Erstausgabe des Erlkönig um 50 Schilling, und zahlreiche andere Kostbarkeiten aus Katalogen oder in Konvoluten des Wiener Doro
theums. Als eimmalige Rarität erwies sich für meinen Bruder der Erwerb des Klavieraus
zuges des Freischütz mit den Stichen von Moritz von Schwind, die ein Wiener Sammler
vor dem ersten Weltkrieg um den runden Betrag von 6000 Goldmark verkauft hatte. Der
Preis für diese Zimelie war selbst für uns erschwinglich: 25 Schilling. Der Hang zum Sammeln ist wohl ein wichtiger Kulturtrieb der Menschheit. Ohne mich
in statistische Bereiche zu verlieren, — je differenzierter solche wissenschaftlichen Statisti
ken auftreten, desto falscher werden sie — glaube ich, daß den meisten Menschen ein
Sammeltrieb innewohnt, wenngleich ihn viele aus Mangel an Zeit oder Gelegenheit wieder
verkümmern lassen. Freilich bleibt systemloses Sammeln wertlos oder es wird zum Ge
schäft, übrigens ganz unabhängig vom Wert des Sammelgebietes selbst. Weise Beschrän
kung und sinnvolle Spezialisierung machen den eigentlichen Wert einer Sammlung aus; so
mag selbst eine Sammlung von Biertassen zu fruchtbaren Ergebnissen führen, hingegen eine noch so zahlreich bestückte Anhäufung von Unterschriften von Künstlern, Politikern
und „very important persons" recht zweifelhaft bleiben. Nun, solche Erkenntnisse wur
den schon vielfach geäußert und beschrieben, eigenes Erleben steht freilich immer hoch
über allem Erlernten oder Angelesenen. Erwies sich bald so das Sammeln als Selbstzweck als unfruchtbar und warf die Frage
nach den wissenschaftlichen Grundlagen auf, so rückte der Begriff Musikbibliographie von
selbst ins Blickfeld. In höchst unkonventioneller Weise, aber ebenso effizient, wandte ich
mich bald an Prof. Otto Erich Deutsch mit meinen Anliegen, womit ich wohl den kom
petentesten Lehrmeister getroffen hatte. Die Zusammenarbeit mit ihm, die nicht einmal
durch die Wirren des zweiten Weltkrieges Einbuße erlitt, wies dann den weiteren Weg, das
Sammeln erhielt seine wissenschaftliche Sanktion. Ein solches sich von selbst ergebendes
Hingeführtwerden auf ein spezielles Forschungsgebiet scheint mir wesentlich mehr Erfolg zu versprechen als der völlig unpersönliche Weg eines von außenher erfolgten Hinweises
auf ein Spezialstudium, von dem man nie weiß, ob es einen auf die Dauer auch wirklich
interessiert.
Nach dem zweiten Weltkrieg nahm für mich die Spezialisierung auf die Belange des
Alt-Wiener Musikverlages konkrete Formen an, während mein Bruder seine Tätigkeit auf
Franz Schubert ausrichtete. Uns beiden gemeinsam war das Anliegen der genauen Datie
rung der Musikdrucke zwischen 1750 und ca. 1850 und der Aufklärung der vielfach recht
komplizierten Verhältnisse im Verlagswesen der österreichischen und deutschen Firmen.
Hatte ich bereits vor 1938 mit O.E. Deutsch eine tabellarische Liste von datierten Platten
Nummern erarbeitet, erwies sich für mich der Gedanke an vollständige Verlagsverzeich nisse immer zwingender, was O.E. Deutsch zunächst als etwas problematisch erklärte, als
wertvolle Hilfe für die gesamte Musikforschung späterhin doch anerkannte. Zugegeben, es
handelt sich um eine Hilfswissenschaft, von den zünftigen Musikern etwas von oben herab
angesehen, doch damit wurde klar, daß eine konkrete allgemeine Quellenforschung ein
brauchbares Instrument jeder Musikforschung darstellt. Im übrigen muß ich betonen, daß
sich meine eigene Tätigkeit und der Bericht darüber in der Hauptsache auf die Primär
quellen erstreckt; freilich wird man bei der Ausarbeitung häufig auch genötigt sein, Se
kundärquellen wie Briefe, zeitgenössische Artikel u.a. heranzuziehen, da ja sonst jeder
neue Fund im luftleeren Raum stünde, was wohl kaum der Zweck der Übung wäre.
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6 Alexander Weinmann: Musikalische Quellenforschung
Mit den inzwischen 17 verschiedenen Verlagsverzeichnissen von Wiener Firmen1 waren
nun nicht nur Werke der großen Meister erfaßt, die das bisherige Hauptziel der Forschung
bildeten; es kam ebenso das Oeuvre der sogenannten Kleinmeister ans Licht, was zu oft
überraschenden Resultaten führte, sowohl was die Quantität als auch die Qualität anlangt. Nicht selten boten sich damit auch Rückschlüsse auf verschollene oder vergessene Werke
der Großen an oder auf bisher unbekannte und wichtige Ausgaben. Die Verzeichnung aller erschienenen Drucke, auch die von unbedeutendsten Komponisten, fiel damit von
selbst an, und viele davon konnten sich als wertvoll für die Verlagsforschung oder ein
Gesamtbild der Musikkultur einer gewiß nicht unwichtigen Epoche der Musik erweisen.
Hand in Hand mit dem genannten Vorhaben, das eine Arbeitsleistung von mehreren
Jahrzehnten darstellte, galt es auch, die Anzeigen des Wiener Diariums und der Wiener
Zeitung in ihrer Gesamtheit zu erfassen, und dies für die Zeit zwischen 1760 und 1860.
Diese Regesten füllten zwei Bände eines beidseitig engbeschriebenen Manuskripts und
enthalten annähernd jeden in Wien erschienenen Musikdruck nicht nur aller Musikverlage, sondern auch Privatdrucke und in Selbstverlag hergestellte Werke. Daß damit nicht nur
eine genaue Datierung aller Erscheinungen ermöglicht wird, ist nicht weniger wichtig als
die Kontrolle, welche die Gegenüberstellung jedes vorhandenen Stückes mit dem Tage der
Erstveröffentlichung bietet.
Das Echo auf diese Verlagsverzeichnisse war zunächst eben nicht überwältigend, wurde
erfreulicherweise in neuerer Zeit auch für Arbeiten an Forschungen über deutsche Verlags firmen aufgegriffen. Allein die zweite Auflage des Kataloges Artaria & Co. erschien so
eben auf dem Markte. Von den fehlenden Verzeichnissen der beiden umfangreichsten Firmen ist der erste Band des Verlages Chemische Druckerey — S.A. Steiner — Haslinger derzeit im Druck und die beiden anderen in Arbeit. Die Erstellung des Kataloges Diabelli
als Hauptverlegers von Franz Schubert übernahm mein Bruder, der indessen im Verlaufe
der Vorarbeiten starb.
Alles in allem ist eine Vollständigkeit nur bei wenigen Verlagsverzeichnissen erreicht, da doch bisher noch keineswegs alle Musikdrucke aufzufinden waren und manche klaf
fende Lücken verschuldeten. Trotz allem erscheint mit diesen Arbeiten ein nicht un
wesentlicher Beitrag zur modernen Quellenforschung geleistet. Freilich bezogen sich bis
her sämtliche Aktivitäten nur auf Musikdrucke, die ja von Beethoven an das Hauptkontin gent bei der Veröffentlichungspraxis darstellen. Ich entsinne mich noch genau an die
Aufforderung von H.C. Robbins Landon, doch auch die Handschriften in meinen Tätigkeits bereich einzubeziehen und eine Untersuchung über die Kopistenfrage anzustellen. Dem mußte ich entgegenhalten, daß mir dazu die Zeit fehle, hauptsächlich aber die Geldmittel, welche eine solche Forschung bedingen. Die öffentliche Hand verschließt sich aber sol chen („nutzlosen") Forderungen. Da es auf meinem damaligen Hauptgebiet, den Musik
drucken, noch eine gewichtige Anzahl zu bewältigen gab, mußte ich wohl oder übel den Bereich der handschriftlich überlieferten Musik noch offen lassen.
Eines dieser noch stiefmütterüch behandelten Probleme bildete die Forschung nach den Kleinmeistern der Musik, die doch sozusagen das große Feld jeder Geschichtsbildung darstellen, über dem sich die großen Genies zwar sichtbar emporheben, dem sie aber doch selbst entstammen und ihre eigenen Grundlagen verdanken. Wer würde die gegenseitigen Befruchtungen und Wechselbeziehungen leugnen wollen?
Hier läßt die Musikforschung manche besonderen Unterlassungssünden erkennen, die wohl immer wieder Bach, Händel, Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert betreut, ihre
Zeitgenossen geringeren Ansehens aber nur nebenbei erwähnt oder gänzlich ignoriert. Namen wie J.A. Steffan, J. Wanhal, G. Albrechtsberger, Johann Josef Rosier und viele
1 Beiträge zur Geschichte des Alt-Wiener Musikverlages, Reihe 2: Musikverlage (seit Folge 6: Wien,
Universal-Edition).
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andere figurieren mehr am Rande und kommen so kaum zu Wort. Leopold Kozeluch fand
immerhin von tschechischer Seite her in Dr. Milan Postolka einen Verfasser von dessen
Biographie und Werkverzeichnis2, Rosier zum Beispiel aber ist entweder völlig vergessen oder wird immer wieder mit Anton Rosetti-Rösler verwechselt. Die Qualität seiner Arbeit
brachte es mit sich, daß eine kleine Partita mit drei Bassetthörnern unter Mozarts Namen
Anklang fand und der erste Satz eines Klaiverkonzertes lange Zeit Beethoven zugeschrie ben wurde. Ganz besonders übel wurde einem Komponisten namens Georg Druschetzky
mitgespielt, indem man ihn einfach gar nicht zur Kenntnis nahm; ich bin seit langem
bemüht, diesen gewiß nicht unbedeutenden Kleinmeister durch Herausgabe seiner Werke
und Anlage eines Werkkatalogs der Vergessenheit zu entreißen.
Eine entsprechende Ausweitung der Quellenforschung ergab sich durch die Gründung
des RISM, mit dem ein „Eitner" auf modern wissenschaftlicher Basis entstehen sollte. Die
Ausdehnung seiner Tätigkeit auf alle Kulturländer der Welt ließ ein quantitatives Anwach
sen des anfallenden Materials erwarten, dem sich jedoch manche Hemmnisse entgegen
stellten. Zunächst bildete die Zeitbegrenzung auf ca. 1800, die bei Eitner vertretbar war,
fünfzig Jahre später doch eine kaum tragbare Terminisierung, ganz abgesehen davon,
daß sie sich als musikhistorisch völlig sinnwidrig erwies. Der zweite Hemmschuh waren die
qualitativ sehr unterschiedlichen Lieferungen aus den einzelnen Ländern, von denen sich
manche kaum oder gar nicht an die Aufnahmevorschriften hielten und daher kaum zu
verwertendes Material lieferten. Da außerdem mit dem Druck der alphabetischen Reihe
schon zu früh begonnen wurde, mag dies zu einer beachtlichen Supplementenreihe führen.
Für die Landesleitung Österreich war ich selbst allein fast ausschließlich tätig, ein
Umstand, der erklärt, daß die Aufnahmen der reichen Bestände dieses Landes von einem
Abschluß noch recht weit entfernt sind. Wohl sind die drei großen Bibliotheken, Öster
reichische Nationalbibliothek, Gesellschaft der Musikfreunde und Wiener Stadt- und
Landesbibliothek, was die Drucke anlangt, restlos erfaßt, kleinere Archive, Privatbesitz
und zahlreiche Stifte und Klöster ebenso, die meisten Pfarrarchive aber harren noch ihrer
Auswertung. Bei der Arbeit an den Klösterarchiven kam noch ein wichtiges Moment hinzu, die
Aufnahmen der Handschriften. Diese Bestände sind insgesamt gemischt aufgestellt, eine
Trennung beider Sparten hätte eine doppelte Arbeit verursacht, weshalb ich mich ent
schließen mußte, die gesamten Bestände in einem Arbeitsgang aufzunehmen, die Hand
schriften sozusagen „im Vorgriff". Inzwischen wurde durch das RISM auch die Aufnahme
der Handschriften installiert, womit ich durch meinen „Vorgriff" sozusagen aufholen
konnte. Handschriften sind unbedingt mit Incipits aufzunehmen und vielen weiteren zur
Identifizierung zweckdienlichen Angaben. Die Erstellung von diesbezüglichen Aufnahme
regeln führte in Kassel freilich zu äußerst komplizierten Vorarbeiten und dem Entschluß,
alle Handschriften nicht mehr in Buchform zu veröffentlichen, sondern nur auf Abruf in
EDV-Codifizierung zu archivieren und bereitzuhalten. Man betrachtet dies im Hinblick
auf die mehrfach größere Anzahl der Handschriften als finanziell unabdingbar (ich kann
mich dafür nicht begeistern!).
Diese Bemerkung in Klammern erfordert doch irgendwie eine Erklärung. Mir lag der
Katalog der Bestände der Loretto-Kirche in Prag3 vor, dessen zweiter Teil bereits in
Computer-Schrift abgefaßt war. Ich hatte damals mit Professor Barry S. Brook, dem
Erfinder und Ausarbeiter dieser Code-Schrift4, ein gemütlich-freundschaftliches Treffen,
2 M. Postolka, Leopold Kozeluh, Zivot a Dilo (Praha 1964, Stâtni Hudebm Vydavatelstvi). 3 O. Pulkert, Domus Lauretana Pragensis. Catalogus collectionis operum artis musicae, no. 1 in the
series Catalogus artis musicae in Bohemia et Moravia cultae, Artis musicae antiquioris catalogorum
(Prag 1973). Die Sammlung befindet sich jetzt in der Stadt Zitenice, im Pobocka Stâtniho Archivu v
Litomericich. 4 S. Barry S. Brook, The Simplified Plaine and Easie Code System for Notating Music, a Proposal for
International Adoption, in: Fontes artis musicae 12 (1965), S. 156-60.
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8 Alexander Weinmann: Musikalische Quellenforschung
und erklärte ihm freimütig, daß ich nach zehn Minuten Lesung solcher Hieroglyphen
Kopfweh bekomme; ein gewöhnliches Incipit würde mir in Sekundenschnelle zum klaren
Begriff, ein „2153864", bezogen noch auf die Tonart C, würde zum Alptraum. B.S.
Brook lächelte und entgegnete mir nur, er als Erfinder dieses Codes habe keine Schwierig keiten. Möglich, daß eine „neue Musik" mit „132457683261" die Welt erobern mag; meiner Meinung nach sollte man unsere liebe „alte Musik" nicht in ein solches Prokrustes
bett spannen. Aber vielleicht sind wir sowieso schon am Ende.
Nach dieser kleinen Abschweifung zurück zum Thema. Quellenforschung an und für
sich ist ganz besonders an die jeweiligen historischen Gegebenheiten gebunden, vor allem
die musikalische. Und diese ist ihnen für unseren Bereich nun gründlichst in bösestem
Sinne unterworfen worden. Erst gegen Ende von Joseph Haydns Lebenszeit gab das
römisch-deutsche Kaisertum endgültig seinen Geist auf, das ein zwar lockeres, aber immer
hin doch bestehendes Kulturgebiet umfaßte. Die Teilung in einen deutschen und einen
österreichischen Raum wurde immer sinnfälliger, obwohl sie auch schon früher latent
vorhanden gewesen war.
Nicht von ungefähr ging nun auch die musikalische Klassik zu Ende, im deutschen
Raum kam die Romantik zum Tragen. Österreich, der Vielvölkerstaat, verlor damit ir
gendwie an Boden, konnte aber mit seinen multinationalen Gegebenheiten in anderer
Weise solchen Entwicklungen Paroli bieten; es blieb weiterhin „Musikland", und dies bis
in unsere Tage. Damit ist freilich nur das unselige Jahr 1918 gemeint, das Österreich, diese
Keimzelle eines vereinigten Europa, völlig zertrümmerte — heute weinen ihm Freund wie
Feind nach. Die weitere Entwicklung ist zu bekannt, als daß sie näher beleuchtet werden
müßte. Für die Quellenforschung bildet sie unleugbar die Katastrophe Nr. Eins.
Diese politischen Aspekte zementierten nun — verzeihen Sie diesen zwar fürchter
lichen, aber doch treffenden Terminus — den Unterschied des deutschen und österreichi
schen Raumes der Musikkultur in besonderer Art. Aber auch da gibt es Bipolaritäten: So
sehr die Musik auch eine internationale Kunst darstellt, ebensosehr weist sie immer wieder
ihre nationalen Façetten auf; die Kunst der Renaissance bringt Madrigale auf italienisch, französisch und deutsch, heute finden Japaner Zugang zu abendländischer Musik, oder
wir sehen, wie Amerika sich an Europa orientiert und es andrerseits selbst beeinflußt.
In quellenkundlicher Hinsicht tritt der Unterschied zwischen dem deutschen und öster reichischen Raum, je weiter man in die Materie eindringt, immer deutlicher ins Bewußt
sein. Beim deutschen zeigt sich eine deutliche Tendenz zur Annäherung an Frankreich
und England, die ja bei der Entwicklung eines modernen Musikverlagswesens doch um
gute hundert Jahre voraus waren. So kam es, daß die Frühwerke von Haydn, Wanhal u.a.
in Frankreich publiziert wurden; auf die Werke der Mannheimer erhielt der aus flämi
schem Geblüt stammende Verleger Anton Huberty in Paris ein königliches Privileg, und
nur zögernd begann sich in Deutschland selbst ein Verlagswesen zu entwickeln angefangen mit Breitkopf, Boßler, J.J. Lotter, André und wie die Firmen alle heißen mögen. Die frühe Blüte des italienischen Musikverlages ist für unseren Bereich natürlich auszuklam
mern, wo sie sich ja bereits im Stadium des Welkens befand. Im Barock war das Oeuvre Händeis fest in englischen Händen, während J.S. Bach noch kein nennenswerter Musik
verlag zur Verfügung stand. Erst das Aufkommen der Klassik brachte dem gesamten
Verlagswesen die durchschlagenden Impulse zu einer Entwicklung in Richtung erstmaliger
Höhepunkte, dies übrigens gleichzeitig für Deutschland und Österreich.
Wieder können wir die ganze Zeit vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis 1945 als
forschungsmäßig bekannt überspringen, es mag nur als erwähnenswert angemerkt werden, daß mit dem Aufkommen der neuen Drucktechniken Kupferstich und Lithographie die
handschriftliche Überlieferung nach Beethoven rasch an Bedeutung einbüßte.
Der deutsche Raum erlebte dann im Jahre 1945 seine Katastrophe, als nicht nur
gewichtige Gebiete an den Osten fielen, sondern auch mitten durch deutsches Gebiet eine
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Alexander Weinmann: Musikalische Quellenforschung 9
Barriere errichtet wurde, und die gegensätzlichen politischen Systeme auch kulturell eine
künstliche Mauer etablierten. Mit gewisser zeitlicher Verschiebung gingen die Gescheh
nisse auch im österreichischen Raum vor sich. Die Zertrümmerung der Donaumonarchie
hatte noch nicht die Perfektion einer vollständigen Abkapselung der Nationalstaaten zur
Folge, die dann nach 1948 durch den ideologischen Trennstrich Ost-West endgültig ein
trat.
Mit alledem waren der Quellenforschung recht massive Hemmschuhe angelegt, doch
muß andrerseits betont werden, daß es dem RISM dann doch gelang, diese Hindernisse
aus dem Weg zu räumen und auch den Osten zu veranlassen, sich an den internationalen
Lieferungen zu beteiligen. Im österreichischen Bereich kam erfreulicherweise eine äußerst
geschickt eingeleitete Aktivität zu erfolgreichem Abschluß. Im Rahmen des Institutes für
österreichische Musikdokumentation (IÖM) wurde zwischen Österreich, Ungarn und der
Tschechoslowakei ein Abkommen für den Quellenaustausch dieser Länder beschlossen, das praktisch den Kulturraum der ehemals zusammengehörigen Länder umfaßt. Ungarn und die Slowakei gingen damit voran, jüngst erfolgte auch die Sanktion seitens der Prager Zentrale für Böhmen und Mähren. Dieser Austausch ist nicht nur auf die Werke der
Komponisten der Partner ausgerichtet, sondern umfaßt auch die jeweiligen Verleger, den
Werkinhalt, die Schauplätze und Widmungen. Ein Beispiel: Österreich liefert nach Buda
pest zunächst alle Werke ungarischer Komponisten und Verleger aus seinem Besitze, wei
ters Werke, die sich auf ungarische Schauplätze beziehen wie Musiken zur Krönung von
Angehörigen des österreichischen Kaiserhauses als Könige von Ungarn, dann auch viele
Komponisten, die ungarischen Notablen gewidmet waren, schließlich noch Kompositio
nen mit ausgesprochen ungarischem Charakter wie Schuberts Divertissement à l'Hongroise
oder Brahms' Ungarische Tänze.
Gezielte und generelle Quellenforschung
Quellenforschung an sich läßt sich auf verschiedenen Wegen betreiben: der eine geht
auf singulare Ziele zu und betrifft einzelne Komponisten, Werkgruppen, lokale und tem
porale Gegebenheiten, Verlage, Kopisten, oder wie immer solche konkrete Zielsetzungen
heißen mögen. Der zweite Weg führt in generelle Bereiche, also die allgemeine Forschung,
wie sie z.B. im RISM geplant und verwirklicht wird. Im Grunde genommen unterscheiden
sich beide Forschungsarten nur durch die Methode. In jedem Einzelfall bleibt für die
Effizienz die Wahl der Methode bestimmend, was freilich oft nicht im voraus zu be
urteilen ist. So ist der Forscher häufig darauf angewiesen, den generellen Weg einzu
schlagen, d.h. die Ergebnisse der allgemeinen Forschung zu untersuchen, ob sich hier
vielleicht schon Lösungen fraglicher Probleme anbieten. Andrerseits wird die Forschung
nach der zweiten Methode immer ihre eigenen, neugewonnenen Erkenntnisse auf die
Spezialforschungen genau abstimmen müssen und dies in ihr System einzubauen haben.
Dies klingt theoretisch alles wohl etwas kompliziert, läßt sich in der Praxis jedoch viel
leichter und einfacher verwirklichen. Das Zauberwort heißt schlicht: Zusammenarbeit in
kollegialem Sinne, persönliche Eitelkeiten zurückzustellen und objektive Wahrheitsfin
dung als oberstes Gebot zu betrachten. Wird es je dazu kommen? Wissenschaftler sind
auch nur Menschen, immerhin ist die Wahrung wissenschaftlicher Ethik wichtiger und
sympathischer als jeder Computer. Die allgemeine Quellenforschung als zweite Methode in obigen Zeilen theoretisch be
handelt, ist als Anliegen des Internationalen Quellenlexikons der Musik freilich auch einer
Deutung durch einprägsame konkrete Beispiele besonders bedürftig. Sie sollen als Aus
wahl österreichischer Funde auch für deutsche und internationale Belange stellvertretend
verzeichnet werden. Manche hier nicht erwähnten Ergebnisse wurden Anthony van Hobo
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10 Alexander Weinmann: Musikalische Quellenforschung
ken für Joseph Haydn, der Neuen Mozart-Gesamtausgabe, der 6. Auflage des Kochel,
der Neuen Schubert-Ausgabe und anderen Interessenten geliefert und dankbar quittiert.
Beispiele mannigfacher Art mögen über die Ergebnisse nach der beschriebenen zweiten
Methode der Quellenforschung berichten, sie näher beleuchten und ihre praktische Aus
wertung bekanntmachen. Es bedarf wohl keiner besonderen Betonung, daß die Arbeit an
solchen Funden die Mühe und gelegentliche Monotonie der Verzeichnung immer wieder
wettmacht. Freude und Genugtuung über erfolgreiche Resultate bewirken auf diese
Weise Auftrieb für weiteres Arbeiten.
Im Stift Seitenstetten in Nieder-Österreich fand sich die Abschrift einer Serenata für
Kammerorchester von Leopold Mozart, die erste und bisher einzige von dreißig solchen
Werken, die Mozarts Vater nach eigener Aussage komponiert und in die er „Stücke für
Soloinstrumente" eingebaut hatte. Vorliegende Serenata enthielt tatsächlich Sätze für
Solotrompete und -posaune; die beiden für Trompete waren bereits durch ein Autograph der Bayerischen Staatsbibliothek in München bekannt, drei Sätze für Posaune aber ein
neuer Fund. Die Abschrift dieser Solostimme weist als besonders dokumentarisch Leo
pold Mozarts autographe Bemerkung auf: „Bei Fehlen eines guten Posaunisten kann es
auch ein guter Violinist auf der Viola spielen". Die Serenata im ganzen wie auch die
Konzerte für beide Instrumente erschienen bereits im Verlag Eulenburg/Zürich; erstere ist
als Erstaufführung in Salzburg geplant, die Konzerte wurden bereits auf Schallplatte
eingespielt.
Seitenstetten besitzt noch weitere bemerkenswerte Schätze, so z.B. zwei Oboe-Kon
zerte von Georg Druschetzky, deren Stimmenabschrift der damalige musikliebende Abt
1790 in Wien ankaufte. Auch sie wurden bereits bei Eulenburg/Zürich ediert, eines davon
in einer Matinée im Eisenstädter Schloß Esterhazy aufgeführt und durch den Österreichi
schen Rundfunk auf Band mitgeschnitten.
Im gleichen Archiv fand sich überraschenderweise eine bisher unbekannt gebliebene
Schubert-Sammlung, die ein ambitionierter Pater des Klosters, Leopold Puschl, in fünfzig
jähriger Tätigkeit angelegt hatte und sich damit als ersten Schubert-Bibliographen auswies.
In seiner Abschrift kam der unbekannte Chor Das Grab von Franz Schubert nach dem
Text von Johann Gaudenz von Salis-Seewis zutage, den der Komponist bereits in vier
maligem Anlauf vertont hatte; diese fünfte Fassung stellte nun die endgültige Form dar, die keiner weiteren Echtheits-Dokumentation bedurfte: vom ersten Takt an war es ein
echter Schubert! Der Chor wurde von Doblinger in Wien in Verlag genommen und vom
Chor des Österreichischen Rundfunks sofort der Öffentlichkeit vorgestellt. Auch Joseph Haydn ist mit einem Autograph im Musikarchiv Seitenstetten vertreten —
eines seiner mutmaßlichen Werke wurde von Robbins Landon übersehen: Commoedie -
Arie a 5 Vocibus, 2 Violinis, Viola e Violone Auth. Giuseppe Haydn erwiesen sich als
Kompositionen zu dem Singspiel Die reisende Ceres von P. Maurus Lindemayr. Ich gab die gefundenen Vorlagen an Frau Professor Eva Badura-Skoda zur Auswertung ab; der
schöne Fund aus dem Jahre 1971 wurde endlich am 6. August 1977 anläßlich der Salz
burger Festspiele in Hellbrunn mit großem Erfolg aufgeführt und von der Universal Edi
tion zur Herausgabe angenommen. Wiewohl die Autorschaft Joseph Haydns noch nicht
ganz einwandfrei zu beweisen war, ist das Werk als solches interessant genug, um der
Vergessenheit entrissen zu werden.
Demgegenüber steht F.X. Süßmayer als Komponist des Singspieles Hans von der Grueb
fest, dessen autographe Partitur sich ebenfalls in Seitenstetten befindet. Eine vollständige Stimmenabschrift scheint zu beweisen, daß diese „Operette" auch in klösterlichem Be reich aufgeführt wurde. Das Libretto stammt ebenfalls von dem Mundartdichter Maurus
Lindemayr, einem Lambacher Benediktinerpater, und liegt in dessen Sämmtlichen Dich
tungen im Druck vor. Hier gibt es übrigens die weiteren Titel: „Der ernsthafte Spass oder: Der versoffene Hans, auch: So bessert man Trunkenbolde". Die Niederschrift ist mit 1776
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Alexander Weinmann: Musikalische Quellenforschung 11
angegeben, Süßmayrs Partitur wurde im März 1787 vollendet. Ursprünglich lag sie im Stift
Lambach, wie wir einem Brief des Komponisten an den dortigen Abt entnehmen können, der von Wien aus um die Übersendung der Partitur ersucht, die er für eine geplante
Aufführung vor dem Kaiserhaus benötigt. Besonders interessant ist die Erwähnung Süß
mayrs, er habe das Werk „unter Mozarts Anleitung komponiert". All dies scheint meine
Pläne für eine Wiederaufführung und eventuelle Ausgabe im Druck zu rechtfertigen. Auch die Bestände des Musikarchivs im Stifte Melk waren recht ergiebig. Unter einigen
Stößen unvollständiger Handschriften fand sich ein handschriftlicher thematischer Kata
log mit dem Titel „Cataloghi delle Sinfonie, etc.", der offensichtlich nach dem Muster
von Breitkopfs „Cataloghi" angelegt wurde. Ich machte mir die Mühe einer vergleichen den Gegenüberstellung mit den noch heute vorhandenen Beständen und konnte feststel
len, daß sich diese weitgehend decken. Bisher gelang es noch nicht, den Schreiber dieser
thematischen Kataloge zu identifizieren; die darin angegebenen Werke reichen bis unge fähr 1817, da sich die ersten Werke Rossinis darin vorfinden. Der Schreiber muß zu dieser
Zeit, wie die etwas zittrige Schrift andeutet, ein alter Mann gewesen sein, die sorgfältige Korrektheit aller Angaben weist ihn jedoch als besonders gewiegten Kenner der Materie
aus. Ob es nun Abbé Maximilian Stadler, Albrechtsberger oder einer der Stiftsgeistlichen
war, muß noch offen bleiben.
Diesem handschriftlichen thematischen Katalog verdanken wir die Kenntnis von einem
bisher unbeachteten Komponisten in der Person eines älteren Bruders von J.G. Albrechts
berger mit dem Namen Anton. Nach Angabe auf dem Titel eines Textbuches war er
bischöflicher Kapellmeister in Wiener Neustadt gewesen, seine Geburtsdaten ließen sich in
der Pfarre St. Martin in Klosterneuburg leicht eruieren. Zur vollständigen Aufklärung der
Sachlage ist etwas weiter auszuholen: Die Bestände des Melker Stiftsarchivs wurden in
diesem Jahrhundert neu geordnet und mit neuen Umschlägen versehen, eine Arbeit, die
einem schönschreibenden Alumnen anvertraut wurde. Fatalerweise wurden dabei die al
ten Umschläge „als nun überflüssig" weggeworfen, alles in allem eine bibliographische Greueltat. Im speziellen Fall gab es dabei zwei dreistimmige Divertimenti, deren Kompo nist als mit dem Namen Albrechtsberger angegeben wurde (ohne wenigstens mit den
abgekürzten Buchstaben J.G.). Bei der Konfrontation mit den handschriftlichen Cataloghi
ergab sich nun bei diesen Stücken als ausdrücklich unterstrichener Vorname Anton, was
wieder den Schreiber der Cataloghi als gewissenhaften Kenner auswies. Als nette Quer
verbindung zu dem obenerwähnten P. Maurus Lindemayr kamen noch zwei Lieder in
oberösterreichischer Mundart zutage, wovon sich Autographe bei der Gesellschaft der
Musikfreunde vorfanden. Eines davon ist wieder eine Dichtung des Lambacher Paters: Die
bösen Zeiten, in der er sich mit den soziologischen Gegebenheiten des Bauernstandes in
mundartlichen Versen auseinandersetzt.
Auch dem Zisterzienserstift Lilienfeld verdanken wir einen hübschen Fund. Es han
delte sich um eine Concertante für Viola mit einem kleinen Begleitensemble „Autore
incerto". Ich nahm das Werk auf und fertigte ein Repro aller Stimmen an, und da mir die
Sache keine Ruhe ließ, sandte ich das Incipit an Professor Jan la Rue, von dem ich wußte,
daß er sinfonische und konzertante Musik verzeichnet hatte. Geduld ist bei solchen Din
gen oberstes Gebot, sie lohnte sich in diesem Falle wahrlich. Nach geraumer Zeit erhielt
ich aus Amerika die präzise Auskunft, daß dieses Incipit einem Fagottkonzert von Johann
Wanhal zugehört, das sich in der Berliner Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz be
findet. Das Foto davon bekam ich umgehend, und der Vergleich mit der Lilienfelder
Handschrift ergab, daß Wanhal selbst eine Version des Konzertes für Viola für einen
Solisten hergestellt haben mußte, der ihm damals zur Verfügung stand. Die instrumenten
gerechte Umarbeitung von Fagott auf Viola konnte nur vom Komponisten selbst stam
men. Dieses Konzert wurde 1977 durch den Sender Burgenland des Österreichischen
Rundfunks in einer Matinée im Schloß Esterhazy in Eisenstadt aufgeführt und erschien im
Druck bei Doblinger.
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12 Alexander Weinmann: Musikalische Quellenforschung
Bei der Quellenforschung hat die moderne Trennung zwischen Beruf und Freizeitge
staltung keine Geltung. Jeder Beamte hat seine Dienststunden, an die sich das Publikum
zu halten hat. Briefe, Telegramme und sonstige Möglichkeiten der Kommunikation wer
den prinzipiell nur innerhalb der Amtsstunden erledigt — oder auch nicht. Wie es mit den
Handwerkern steht, wissen wir alle nur zu gut. Musikbibliographische Belange wie auch
alle anderen wissenschaftlichen, kulturellen oder künstlerischen Anliegen unterliegen sol
chen Begrenzungen kaum, höchstens, daß sie wie z.B. der Opernbetrieb durch die Ge
werkschaften empfindliche Störungen erleiden. Bei der Forschung muß man schon ständig
parat sein, um nicht oft ganz große Versäumnisse zu riskieren, die man niemals mehr
aufholen kann. Wachsam Augen und Ohren offenzuhalten gehört zum alltäglichen Pflich
tenkreis, nicht nur an den Wochenenden oder am Abend, sondern selbst im Urlaub. Zur
Auflockerung meiner Berichte, die doch nicht zu langweilig oder ermüdend wirken sollen, sei mir gestattet, die Geschichte eines Fundes zu erzählen, der weit abseits vom RISM und
auch von meinen Verlagsverzeichnissen zustandekam, mit denen er letzten Endes doch
wieder Zusammenhänge aufweist.
Meine Beziehungen zur Viola-Forschungsgesellschaft und ihrem Präsidenten, Prof.
Franz Zeyringer, ließen mir vor ca. zwei Jahren einen Brief von diesem ins Haus flattern, in dem er mir ankündigte, daß er im Juli den Besuch einer amerikanischen Dame erwarte, mit der er von seinem heimatlichen Städtchen Pöllau nach Bonn zu reisen vorhabe. Diese
Dame habe auch den Wunsch geäußert, mit mir in einer interessanten Sache Kontakt
aufzunehmen. Ich verbringe seit langen Jahren meinen Urlaub immer in Bad Aussee und
antwortete ihm, daß wir uns dort eventuell treffen können. Meine begreifliche Neugier wurde mit dem Schreiben, mit dem mir der 15. Juli als Tag der Zusammenkunft mitge teilt wurde, teilweise gestillt, teils noch weiter angeheizt: Es handle sich um einen Druck für Viola d'amour von Anton Huberty. Dessen Verlagsverzeichnis ist ja längst erschienen,
Huberty war ein prominenter Pariser Musik-Verleger, Bassist an der Pariser Oper und
„Viola d'amour-Meister"; er ging später nach Wien, wo er seine verlegerische Tätigkeit fortsetzte und damit eigentlich den Anstoß zur Entwicklung des Wiener Musikverlages gab. Aus Altersgründen war es ihm nicht mehr vergönnt, seinen Plänen zum Durchbruch zu verhelfen.
Die Erstellung des Verlagsverzeichnisses Huberty gestaltete sich recht schwierig, da ja auch der Pariser Verlag sowie seine Beziehungen zu Torricella, Hohenleitter und Artaria & Co. in Wien zu berücksichtigen waren. In allen seinen Katalogen und Verzeichnissen gab es indessen keinerlei Hinweis auf einen Druck für Viola d'amour, einzig und allein Gerber, 1/5.670, erwähnt, daß „Huberti 1 780in Wien Viola d'amour-Stücke stechen ließ (!)". Fétis
IV/5.377 übernimmt diese Notiz (jedoch verstümmelt) und verlegt die Herausgabe des Werkes ins Jahr 1760; damals weilte Huberty aber noch in Paris.
Meine Erwartungen waren somit recht hochgespannt, ich muß gestehen, daß ich doch eher einen Pariser Druck zu sehen zu bekommen glaubte. Pünktlich um 10 Uhr fand dann das Treffen in einer Ausseer Kaffee-Konditorei statt, Präsident Zeyringer stellt mir Frau Louise Goldberg aus Amerika und ihre Freundin, eine Viola d'amour-Virtuosin vor, die in Bonn ein Konzert geben sollte. Zu meinem größten Erstaunen wurde mir dann der Noten druck gezeigt, richtiger das Xerox einer Wiener Ausgabe der Viola-d'amour-Stücke von
Huberty aus seinem Wiener Verlag, gestochen von ihm selbst (nicht wie Gerber angab, daß er sie stechen ließ). Sie enthält teils zeitgenössische Werke im Arrangement für dieses
Instrument, teils Originalstücke von Huberty selbst, die übrigens immer mit einem großen „H" gekennzeichnet sind. Diese sensationelle Ausgabe ist mithin bisher in diesem einzigen Exemplar erhalten; nach nunmehr 196 Jahren wurde sie in der Sibley-Library in Roche ster (New York) von Frau Goldberg aufgefunden. Diese von Eastman Kodak ins Leben gerufene Bibliothek dürfte sie nach dem ersten Weltkrieg in Europa angekauft haben. Hoffentlich wird den Verhandlungen Erfolg beschieden sein, die Herausgaberechte dieses
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Alexander Weinmann: Musikalische Quellenforschung 13
Unikates wenn schon nicht für Österreich, wo es eigentlich hingehörte, so doch wenig stens für Europa zu erwirken.
Methoden der Quellenforschung
Methoden der Quellenforschung ließen sich bisher und werden sich wohl auch in Zu
kunft kaum allgemeingültig erstellen lassen. Schon im Hinbück auf die Zielrichtung ist jeder Einzelfall anders gelagert und darum individuell zu behandeln. Auf der Suche nach
den Werken bestimmter Komponisten spielt die Streuung über die gesamte Kulturwelt
eine der Bedeutung des Autors entsprechende Rolle. Nach verlorenen oder unbekannten
Werken Haydns, Mozarts oder Beethovens ohne Anhaltspunkte zu suchen wäre ein reich
üch naives Unterfangen. Aber auch die Methode mancher Forscher, mittels Fragebogen von allen bedeutenden Archiven ihre Bestände an Werken bestimmter Komponisten ge liefert zu verlangen, ist als Zumutung an den Aufgabenbereich der Bibliotheken und an die Arbeitskraft ihrer Beamten nicht vertretbar. Das gleiche gilt für Fragen nach bestimm ten Werkgruppen wie zum Beispiel Konzerte für Posaune oder Oboe, Trios für Flöte, Vio
linen und Baß oder ähnüches, das wären an und für sich schon wieder Forschungsaufträge. Bei meiner Arbeit an einem thematischen Verzeichnis der Werke Johann Wanhals kann
ich ein Lied von den Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens singen, hätte es aber
nie gewagt, solche Pauschalaufträge zu geben. In den für Wanhal zuständigen Bibliotheken
hieß es eben selbst zu arbeiten und alles Nötige zusammenzutragen. AU dies gilt zudem nur für die großen Archive der ganzen Welt, nicht aber für Klöster
archive, private Sammlungen oder Pfarrarchive, die wohl manche unbekannte Schätze
bergen, aber meist keine Kataloge aufweisen, nicht selten auch gänzüch ungeordnet ein
Schattendasein fristen. Die allgemeine QueUenforschung muß sich, wie schon oben be
merkt, nach der zweiten Methode orientieren, der generellen, wie sie sich durch das RISM
verwirkücht sieht. Auch da ist nicht alles so einfach, wie es auf den ersten Bück erschei
nen mag. Schon der Aufbau der großen öffentüchen Bibliotheken weist grundsätzüche Verschiedenheiten auf, wie es den historischen Gegebenheiten und Zielsetzungen ent
spricht. Nehmen wir als Beispiel die großen Wiener Archive. Die Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibüothek fußt auf den Grundlagen der ehemaligen K.k. Hof
bibüothek, denen sie ihre gewichtigsten Bestände verdankt, die Wiener Stadt- und Landes
bibüothek ist bedeutend jüngeren Datums und mehr lokal auf Wien ausgerichtet. Das
Archiv der Geseüschaft der Musikfreunde, ursprüngüch als reine Sammlung für den Kon
zertgebrauch gedacht und angelegt, entwickelte sich im Verlaufe von Jahrzehnten zur
bedeutenden wissenschaftüchen Fundgrube, was eine Neuorientierung in ihrem Aufbau
erforderüch machte. Ähnlich verhält es sich in allen Ländern der ziviüsierten Welt, ob es
sich nun um Deutschland, Frankreich, Itaüen, England oder Amerika handelt. Jedes
dieser Länder bemüht sich um die mögüchst lückenlose Erfassung seiner Bestände mit
mehr oder weniger Erfolg. Österreich z.B. ist im Begriffe, einen Zentralkatalog seiner für
das RISM geüeferten Drucke und Handschriften zu erstellen.
Das Queüengut aüer dieser großen Bibliotheken steht der Öffentlichkeit zur Benützung
offen, wovon auch in zunehmendem Maße Gebrauch gemacht wird. Umgekehrt nimmt
dabei die Mögüchkeit der Entdeckung neuer Funde sinngemäß ab. Solche sind eher von
der Erschüeßung neuer Fundorte zu erwarten, kleinerer Archive, den Bibüotheken alter
Adelssitze und der Klöster und Stifte, vielfach auch der bisher noch kaum herangezoge nen Pfarrarchive, die erstaunücherweise neben geistüchen Werken viel profanes Musizier
gut unbeachtet beherbergen. Hier gilt es nun, trotz mancher Schwierigkeiten, die sich in den Weg stellen, den Hebel anzusetzen. Vor allen Dingen mag zu bedenken sein, daß die
Einleitung eines Schriftverkehrs in den seltensten Fäüen zielführend sein wird; entweder
bekommt man überhaupt keine Antwort oder man findet wenig Verständnis oder gar
keines für sein Anüegen, da die für solche Archive Zuständigen fachüch uninteressiert sind
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14 Alexander Weinmann: Musikalische Quellenforschung
und über die vorhandenen Bestände schlicht und einfach nicht Bescheid wissen. Hier ist
also der persönüche Einsatz unbedingt erforderlich. Wie man sich diesen Zugang ver
schafft, hängt von beiden Teilen ab, vom Geschick des Besuchers und der Zugänglichkeit des betreffenden Pfarrers, Archivverwalters oder einer sonst maßgebenden Persönlichkeit.
Mir selbst gelang es fast immer, ohne besondere Empfehlungsbriefe seitens der Landeslei
tung des RISM Zutritt und Erlaubnis für die erbetene Tätigkeit zu erlangen, manchmal
unter recht komischen Begleitumständen. So stellte mir der Probst eines Stiftes auf die
vorgebrachte Bitte die naive Frage: „Gelten S', Sie stehl'n uns aber nichts? !" Es stellte
sich heraus, daß einmal ein Verbrecher in der Kutte eines Dominikanerpaters das Musik
archiv „bearbeitet" und um etliches erleichtert hatte. Für solche Kautelen muß man wohl
Verständnis aufbringen und darf sie nicht krummnehmen.
Hat man nun die Erlaubnis zur Aufnahme des Archivs erwirkt, ist man einem gänzlich unbekannten Novum konfrontiert. Da gibt es nun mehrere Möglichkeiten, als seltenste
wird man eine katalogmäßig erfaßte Sammlung vorfinden; aber wenn ein Katalog exi
stiert, ist es geboten, die Bestände vom Exemplar her selbst zu katalogisieren und erst
hernach seine eigenen Aufnahmen mit dem vorhandenen Katalog abzustimmen, wodurch
man Fehlbestände und falsche Verzeichnungen festzustellen in der Lage ist. Das Gleiche
gilt für eventuell vorhandene ältere Inventare, wo die Divergenzen freilich zahlreicher sein
werden. Häufig aber wird man auf völlig ungeordnetes Material stoßen, dessen Aufnahme
dann eigentlich objektiver ausfallen mag. Ihre Inventarisierung wird sich für jeden beson
deren Fall verschieden zu gestalten haben.
Ausgerüstet mit diesem Quellenmaterial begibt man sich dann, nach kürzerer oder
längerer Zeit, zuhause oder an seiner Dienststelle an die eigentliche Arbeit, wo man ja das
wissenschaftliche Rüstzeug zur Hand hat. Die Aufnahme der Drucke wurde ja nach be stem Wissen und Gewissen vorgenommen, es gilt also nur festzustellen, ob man von jedem Werk die Erstausgabe, Nachdrucke oder Raubdrucke vor sich hat. Bei den Handschriften
wird man zur Identifizierung die Angabe der Incipits benötigen, auch Widmungen, Besitz vermerke und jeweilig besonders markante Einzelheiten zur Bestimmung anführen. Die
Datierung solcher Handschriften bietet ein besonderes Problem; Angaben wie „Ende 18.
Jahrhundert" oder „1800—1825" sind wenig zielführend und in den meisten Fällen oft
ärgerlich. Hier muß man häufig die Wasserzeichen zu Hilfe nehmen, was dann nochmalige Besuche der Fundorte nötig macht.
Hand in Hand mit der etwas ausführlicher behandelten allgemeinen Quellenforschung, die besonders durch das RISM ihre Verwirklichung findet, bieten sich im Vollzuge dieser
Arbeiten immer wieder Fälle von speziellen Zielsetzungen an, sei es nun in Richtung nach
einzelnen Komponisten, lokalen Gegebenheiten oder sonstigen Motivationen. Fast jedes Musikarchiv weist solche Schwerpunkte auf, die es dann wahrzunehmen gilt. Entweder
bleibt einem selbst die Zeit, solchen Dingen nachzugehen und SpezialStudien zu verfassen; andernfalls müßte man doch die wissenschaftliche Mitwelt darüber informieren und sie zur
Weiterverfolgung solcher Themengruppen anregen. Es wäre freiüch auch die Aufgabe aller
Universitätsinstitute, derartige Hinweise aufzugreifen und ihrem Studienplan einzuord
nen. Der Themenkreis an Dissertationen könnte damit an Wirklichkeitsnähe nur ge winnen.
Statt mehr darüber zu sagen möchte ich einige Beispiele aus eigener Erfahrung anbie
ten. Den Fund der wichtigen Schubertsammlung im Stift Seitenstetten trat ich sofort an meinen Bruder ab, der sie als Experte in einer ausführlichen Arbeit behandelte; posthum erscheint diese nun im Rahmen der Publikationen der Akademie der Wissenschaften. Ein zweites Thema bot sich mit Funden aus dem Stift Herzogenburg und der Pfarre Haitzen dorf an: Die Beziehungen zu den gräflichen Familien Breuner und Esterhazy gestalteten sich maßgebüch für Schuberts zweimaligen Aufenthalt im damals ungarischen Zseliz. Die
Veröffentlichung auch dieses Buches meines Bruders noch im Rahmen des Schubertjahres bildet eines meiner dringlichsten Anliegen.
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Alexander Weinmann: Musikalische Quellenforschung 15
Beinahe hätte ich die Erwähnung eines besonderen Faktums vergessen: gar nicht so sel
ten kommt nämlich auch der Zufall der Quellenforschung zu Hilfe, mitunter in ganz groß
artiger Weise. So fand sich im Archiv des Wiener Schubertbundes eine ganz unscheinbare
Ausgabe von Beethovens Klaviersonate op. 111 aus dem Verlag Cappi & Diabelli in Wien, die gegen nicht weniger als zwanzig autographe Bleistiftkorrekturen Beethovens aufwies.
Dies war nun wirklich ein sensationeller Fund von hoher wissenschaftlicher Bedeutung und ebensolchem materiellen Wert. Gerade diese Sonate, in erster Auflage bei Schlesinger in Paris erschienen, bietet zahlreiche Probleme hinsichtlich eines authentischen Notentex tes. Hubert Unverricht veröffentlichte bereits 1960 in der Musikforschung eine gründliche Untersuchung unter dem Titel Die Eigenschriften und die Originalausgaben von Werken
Beethovens in ihrer Bedeutung für die moderne Textkritik; für Beethovens op. 111 gibt ihm das Exemplar Diabelli des Schubertbundes die Bestätigung seiner Vermutungen und
neue Fakten. Sich mit solchen Funden in Stolz zu blähen wäre wohl wenig angebracht, immerhin wird man sich in dankbarer Freude stets daran erinnern.
Ein ganz anders geartetes Problem liegt in der Person und dem Wirken eines Mannes
wie J.P. Gotthard vor. Schon sein Name ist mit Rätseln belastet, die wenigsten wissen, daß er als Johann Bohumil Pazdirek geboren wurde. Er trat als Komponist mit vielen —
heute vergessenen -
Kompositionen hervor, führte einen zwar kurzlebigen, aber insoferne
bedeutsamen Musikverlag, als er auf Betreiben von Johannes Brahms zahlreiche Werke
Franz Schuberts in späten Erstausgaben veröffentlichte. Schließlich verfaßte er zusammen
mit seinem Bruder noch das vielbändige Universal-Handbuch der Musikliteratur, wieder
unter seinem ehemaligen Namen. Sein Wirken als Musikbibliograph steht für mich im
Vordergrund, aus der Verlassenschaft seiner beiden Töchter gelangten neben vielen seiner
Kompositionen nun auch wichtige Handschriften ihres Vaters als Geschenk an die Musik
sammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, die sich als wichtige Dokumente sei ner verlegerischen Tätigkeit herausstellten.
Schließlich fanden sich noch bei der Gesellschaft der Musikfreunde viele seiner Kom
positionen, die noch der Katalogisierung harren. Mit alldem schließt sich der Kreis seines
gesamten Nachlasses zu sicherer Vollständigkeit. Für die Zukunft wird sich sein „Leben und Werk" als Forschungsaufgabe nötig erweisen, sein Wirken als Musikverleger möchte
ich im Rahmen meiner Beiträge zum Alt-Wiener Musikverlag mir noch selbst vorbehalten.
Mit diesen letzten Berichten sind wir bereits von der Quellenforschung an sich in den
Bereich der daraus resultierenden Aufgaben vorgestoßen. Forschung jeder Art bleibt un
fruchtbar, wenn sie in tote Archivierung mündet, all diese Ergebnisse erweisen ihren Wert
erst, wenn man sie in der Praxis wieder zu neuem Leben erweckt, sie der Musikausübung zugänglich macht, die Entwicklung unserer „holden Kunst" auch aus historischer Sicht
transparent gestaltet und damit auch der Musikpädagogik neue Aspekte zuführt. Die mit
vorliegenden Erwägungen angeschnittenen Aufgabenbereiche lassen sich in ihrer Gesamt heit aus heutiger Sicht noch kaum abschätzen, sollten immerhin zu weiterem Nachdenken
und Überlegen anregen. Ein konkretes Beispiel hierfür bilden Hofrat Leopold Nowaks Studien zu einer Musiktopographie Niederösterreichs5, die im Gegensatz zu der Existenz
einer österreichischen Kunsttopographie noch fehlt. Mit der Anweisung für die Durchfüh
rung dieser Aufgaben werden verdienstüche Hinweise in dieser Richtung weit hinaus über
die lokal begrenzte Themenführung in allgemeine Bereiche geliefert. Eine besondere Ausweitung aller betreffenden Fragen bieten die modernen Medien
Schallplatte und Tonband an. Damit erhalten an sich vielleicht steril erscheinende For
schungen pulsierendes Leben, totes Papier wird zu anschaulicher und hörbarer Wirklich
keit. Diese Entwicklung ist bisher in ihrer gesamten Tragweite noch kaum abzusehen,
5 L. Nowak, Studien zu einer Musiktopographie Niederösterreichs, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich und Wien, Neue Folge 29 (1944/48), S. 394—410.
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16 Alexander Weinmann: Musikalische Quellenforschung
vorläufig wird sie noch weitgehend in industriellem Betrieb wahrgenommen; immerhin
bleibt zu hoffen, daß durch entsprechende Gesetze auch den Belangen der wissenschaft
lichen Quellenforschung ohne Profitinteressen Rechnung getragen wird. Über derartige Probleme abzuhandeln ist schon eine Sache weiterer Studien, wirtschaftlicher und sogar
politischer Faktoren.
Abschließend hoffe ich Verständnis dafür zu finden, daß ich meinen Bericht etwas
abseits von allzu wissenschaftlichem Getue abfaßte und ihn in locker aufgelöster Form
darbot. Strenge Wissenschaft emanzipiert sich vom Menschlich-Persönlichen, was gerade bei der Musik so besonders kraß in Erscheinung tritt. Was sagen uns denn so gründlich
gescheite Form-Analysen von Werken großer Meister? Da schlage ich mir auf dem Klavier
ein paar Einleitungstakte zu einem Schubertlied an — und erlebe eine Welt für sich.
Mit der Auffindung einer neuen, unbekannten Quelle wird mir eine Genugtuung zuteil, deren Weitergabe sich in jedem Falle lohnt. Und die sich aus alldem ergebenden Auf
gabenbereiche bleiben nicht totes Archivmaterial, sondern weisen in eine Zukunft, der wir
damit Anregungen und neue Hoffnungen und Impulse an die Hand geben.
The author's collection of historical musical editions created the possibility for research in music
bibliography on a scientific basis. Encouragement was received from Otto Erich Deutsch. After World War II the author began specialization in early Viennese music firms and published complete lists of their production. One result of this work is to indicate the importance of the works of second-rank
composers. His work as director of the Austrian RISM branch was at first restricted to printed music, but later expanded to include mss in church and private archives. Difficulties of the historical
approach and its influences on working methods are discussed. Specific and general source research are
compared. Detailed results of research and concrete models of such work are described, and their relation to modern media (e.g., discs and tapes) are indicated.
Grâce à la collection des éditions musicales historiques de l'auteur, la bibliographie musicale à base scientifique s'est mise en évidence. Otto Erich Deutsch offrait ses encouragements. Après la 2eme guerre mondiale, l'auteur commença la spécialisation dans l'édition ancienne viennoise de musi
que et publia des catalogues complets de sa production. Ce travail montre, entre autres choses, l'im
portance des œuvres des petits-maitres en musique. Sa direction de la section autrichienne du RISM visait au début uniquement la musique imprimée, mais comprenait plus tard également des manuscrits d'archives monastiques et privées. Les difficultés de la méthode historique et ses influences sur la façon de travailler sont discutées. Les méthodes de recherche spécifiques et générales sont comparées. Des résultats détaillés de recherche et des processus concrets de travail sont décrits, et leurs rapports avec les moyens modernes de communication (e.g., les disques et les bandes sonores) sont indiqués.
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