Palliativ versus kurativ - notfallzentrum.insel.ch · Gibt es ein spezifisches Konzept für das...

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Palliativ versus kurativ Patienten mit schweren Erkrankungen in der Praxis

Benomed 2013

Steffen Eychmüller

Universitäres Zentrum für Palliative

Care, Inselspital Bern

steffen.eychmueller@insel.ch

Neue (oder alte) Ansätze für den Hausarzt?

S.Eychmüller

Themen

• Der Notfall am Lebensende: über Erwartungen

und Ziele «late in life»

• Kurativ versus palliativ: eine sinnvolle Dichotomie?

• Das SENS- Modell als Leitstruktur

• Outcomes von problem – based approach am

Lebensende

S.Eychmüller

Beispiel Frau G., 74 J – akutes Abdomen Tumorprogression eines metastasierenden Gallenblasenkarzinoms ED 04/2012 - Stadium IVB

(Peritonealkarzinose, Omentum majus) - Infiltration des Duodenums mit sekundärer Duodenalstenose

- 18.04.12 CT Abdomen: Cholezystolithiasis mit chronischer Cholezystitis, extrahepatische

Cholestase - 19.04.12 ERCP: Plastikstenteinlage zur biliären Drainage bei Stenose im mittleren DHC

- 25.04.12 ÖGD und obere EUS: Stenose im Bereich Bulbus duodeni, Cholezystolithiasis,

Soorösophagitis, axiale Hiatushernie - 29.04.12 Gastroskopie: Antrumgastritus und Ulkus präpylorisch

- 04.05.12 Revisionslaparotomie, retrokolische Gastroenterostomie, Jejuno-Jejunostomie, Biopsien -

Patho. Uni Bern: Siegelringzelliges Adenokarzinom im Fettgewebe sowie im Peritoneum - 05/12

Einleitung einer Chemotherapie mit Cisplatin und Gemzar - letzte Chemotherapie 07.08.12 - CT

11.08.12: Vd.a. Stentdysfunktion, Zunahme der Cholestase, Vd.a. Tumorprogression im kleinen

Becken

3.Komplexe palliative Situation - Symptome: Niedergeschlagenheit und Verlust des Lebensmutes seit

Diagnose der Tumorprogredienz trotz Chemotherapie, Schwäche und Kraftlosigkeit, latente Nausea,

intermittierende Oberbauchschmerzen - Entscheidungsfindung: Versuch der Internalisierung der

externen Galleableitung, Planung eines sozialen Netzwerkes - Netzwerk: verwitwet seit 2 Jahren, lebt

allein in Einfamilienhaus, 1 Tochter (in Bern), 1 Sohn (in München), Freunde, Psychoonkologie (Prof.

Bernhard) - Support: Tochter - End of life: Nachlass geregelt, keine lebensverlängernden

Massnahmen

St.n. segmentalen Lungenembolien in sämtlichen Lappen (CT 12.06.2012) - unter Fraxiforte

4.Status nach Hepatitis B (anamnestisch 1964)

5.Nebendiagnosen: - C-Gastritis (ED 25.4.2012) - St.n. Soor-Ösophagitis (ED 25.4.2012),aktuell

erneuter enoraler Soor - Axiale Hiatushernie - Arterielle Hypertonie - Dyslipidämie - St. nach

traumatischer Pankreasruptur 1959

S.Eychmüller

Frau G – CT- Abdomen/ Becken

S.Eychmüller

Was tun – was nicht tun?

• Kurativ oder palliativ?

• Symptom- und/ oder Lebensverlängerung?

• Operative Intervention? Stent?

• Zweit- Linien – Chemotherapie?

• Schmerzmedikamente und Magensonde?

S.Eychmüller

Ziele/ Patientenbedürfnisse am Lebensende

• Symptomorientierte Behandlung

• Vertrauen in Behandlungsteam

• Gute Kommunikation

• Vermeidung unerwünschter Lebensverlängerung

• Ununterbrochene Versorgung (über die Sektoren hinweg)

• Hilfe bei Sinnfindung, Abschließen

• Vorbereitung aufs Sterben

Steinhauser et al., 2000;Heyland D, et al., 2006;

Teno and Dosa, 2006; Higginson et al., 2007

S.Eychmüller

….oder kürzer

Möglichst wenig Angst und Distress bei Patient und

Angehörigen

Möglichst viel «sense of coherence» (Antonowsky); sich

kompetent fühlen gerade in widriger Lebenslage

= Ziele der Palliative Care

S.Eychmüller

SOLL

Leiden

IST

Calman K C. Journal of medical ethics 1984; 10: 124-127.

Sense of coherence: abhängig von Erwartungen

Was kann eine medizinische Massnahme leisten?

«Kurativ»

«Palliativ»

S.Eychmüller

Themen

• Erwartungen und Ziele «late in life»

• Kurativ versus palliativ: eine sinnvolle

Dichotomie?

• Das SENS- Modell als Leitstruktur

• Outcomes von problem – based approach am

Lebensende

S.Eychmüller

Frau G auf dem Notfall

Hilft die Unterscheidung von kurativ und palliativ?

…und wem?

Gibt es ein spezifisches Konzept

für das Vorgehen bei «palliativ»?

S.Eychmüller

Definitionen

kurativ

A cure is the end of a medical condition; the

substance or procedure that ends the medical

condition, such as a medication, a surgical

operation, a change in lifestyle, or even a

philosophical mindset that helps end a person's

suffering. It may also refer to the state of being

healed, or cured.

was heilt?

S.Eychmüller

Komfortpflege

Beschwerden lindern ohne die Ursache zu

bekämpfen

Behandlung des Patienten ohne

kurativen Hintergrund

Keine lebensverlängernden

Massnahmen

Definition palliativ: Eine enorme Heterogenität

(survey UNZ, 35 Mitarbeitende)

…nicht nur bei onkologischen

Diagnosen!

S.Eychmüller

Hilfreich für die Praxis?

“On a basic level, the curative model conflicts with the notion

of a good death. Where cure is the ultimate goal, death is

the ultimate failure.»

Ellen Fox; JAMA 1997

S.Eychmüller

Finally a «battlefield» at the end of life?

Fazit:

Kurativ und palliativ

- Wird häufig und mehrdeutig

verwendet

- Ist ein Konstrukt ohne Evidenz

- Hat implizit massive

Auswirkungen aufs Vorgehen,

Erwartungen, aber auch auf

medizinischen

Führungsanspruch

- ….sollte verlassen werden

S.Eychmüller

Themen

• Der Notfall am Lebensende: Erwartungen und

Ziele «late in life»

• Kurativ versus palliativ: eine sinnvolle Dichotomie?

• Das SENS- Modell als Leitstruktur

• Outcomes von problem – based approach am

Lebensende

S.Eychmüller

Beispiel Frau G. Tumorprogression eines metastasierenden Gallenblasenkarzinoms ED 04/2012 - Stadium IVB

(Peritonealkarzinose, Omentum majus) - Infiltration des Duodenums mit sekundärer Duodenalstenose

- 18.04.12 CT Abdomen: Cholezystolithiasis mit chronischer Cholezystitis, extrahepatische

Cholestase - 19.04.12 ERCP: Plastikstenteinlage zur biliären Drainage bei Stenose im mittleren DHC

- 25.04.12 ÖGD und obere EUS: Stenose im Bereich Bulbus duodeni, Cholezystolithiasis,

Soorösophagitis, axiale Hiatushernie - 29.04.12 Gastroskopie: Antrumgastritus und Ulkus präpylorisch

- 04.05.12 Revisionslaparotomie, retrokolische Gastroenterostomie, Jejuno-Jejunostomie, Biopsien -

Patho. Uni Bern: Siegelringzelliges Adenokarzinom im Fettgewebe sowie im Peritoneum - 05/12

Einleitung einer Chemotherapie mit Cisplatin und Gemzar - letzte Chemotherapie 07.08.12 - CT

11.08.12: Vd.a. Stentdysfunktion, Zunahme der Cholestase, Vd.a. Tumorprogression im kleinen

Becken

3.Komplexe palliative Situation - Symptome: Niedergeschlagenheit und Verlust des Lebensmutes seit

Diagnose der Tumorprogredienz trotz Chemotherapie, Schwäche und Kraftlosigkeit, latente Nausea,

intermittierende Oberbauchschmerzen - Entscheidungsfindung: Versuch der Internalisierung der

externen Galleableitung, Planung eines sozialen Netzwerkes - Netzwerk: verwitwet seit 2 Jahren, lebt

allein in Einfamilienhaus, 1 Tochter (in Bern), 1 Sohn (in München), Freunde, Psychoonkologie (Prof.

Bernhard) - Support: Tochter - End of life: Nachlass geregelt, keine lebensverlängernden

Massnahmen

St.n. segmentalen Lungenembolien in sämtlichen Lappen (CT 12.06.2012) - unter Fraxiforte

4.Status nach Hepatitis B (anamnestisch 1964)

5.Nebendiagnosen: - C-Gastritis (ED 25.4.2012) - St.n. Soor-Ösophagitis (ED 25.4.2012),aktuell

erneuter enoraler Soor - Axiale Hiatushernie - Arterielle Hypertonie - Dyslipidämie - St. nach

traumatischer Pankreasruptur 1959

Frage: woran leidet diese Patientin?

S.Eychmüller

SENS – Vorgehen am Lebensende

S ymptombehandlung

E ntscheidungsfindung

N etzwerk- Organisation

S upport der Angehörigen.

Vorausplanung und Weghilfe für das Lebensende

Eine personenbezogene Planung:

Bereiche, in denen sich Patienten kompetent fühlen

Gegen Hilflosigkeit, Angst und Stress

S.Eychmüller

Worauf stützt sich SENS ab ?

• Auf der Definition der WHO von 2002

• Auf den Zielen des „Gold Standard Framework“ (GSF)

2010

• Auf den Inhalten des National Comprehensive Cancer

Network (NCCN.org) 2011

• …auf den Erfahrungen eines Qualitätsprojekts „Palliative

Betreuung“ am Kantonsspital SG seit 2006

Eychmüller, S; Therap Umschau (2)2012

S.Eychmüller

Vorausplanung 1

S ymptommanagement (Bsp.)

• Welche Probleme/Themen/ Symptome

bereiten Ihnen derzeit oder für die Zukunft

am meisten Sorgen?

• Aber auch: welche eigenen guten

Erfahrungen haben Sie dabei bereits

gemacht (Ressourcen)? Was bringt Ihnen

Energie?

S.Eychmüller

Vorausplanung 2

E ntscheidungsfindung/ End of life Vorbereitung (Bsp.)

• Was ist Ihnen ganz besonders wichtig? Womit möchten

Sie die verbleibende Lebenszeit füllen?

• Welche Ziele möchten Sie mit den (u.a. medizinischen)

Massnahmen erreichen?

• Auch: Patientenverfügung etc.

S.Eychmüller

Vorausplanung 3

N etzwerk (Bsp.)

• Wo möchte ich am liebsten sein/ bleiben? Wie

sind die örtlichen Verhältnisse (bspw. Treppen

- Lift, Zugang zu Bad/ WC, wo ist der

Hauptaufenthaltsraum, etc.)?

• Von wem kann ich Unterstützung erwarten,

erbitten?

• Auch: „Rettungskette“ für Notfall

• Vorausplanung weiterer Varianten der

Betreuung (bspw. Pflegeinstitution) ?

S.Eychmüller

Vorausplanung 4

S upport (Bsp.)

• Machen Sie sich Sorgen um Ihre Familie/

Angehörigen?

• Woher bekommt Ihre Familie/

Angehörigen Unterstützung und Energie?

S.Eychmüller

Sense of coherence: das Arbeitsblatt

S.Eychmüller

Gemeinsame Vorausplanung: Der Runde Tisch

• Der link zum Sohn….

S.Eychmüller

Frau G. - Versuch Summary

S: Inappetenz, zunehmende Schwäche; Angst vor Sterben

E: solange wie möglich zuhause; keine 2nd line Chemo; ggf.

Stent bei Rektum/ Sigma-Kompression

N: die Tochter in der Nähe; das Haus

S: Support für die Tochter

S.Eychmüller

Themen

• Der Notfall am Lebensende: Erwartungen und

Ziele «late in life»

• Kurativ versus palliativ: eine sinnvolle Dichotomie?

• Das SENS- Modell als Leitstruktur

• Outcomes von problem – based approach am

Lebensende

S.Eychmüller

Outcome bei Frau G

Auf Palliativstation:

• Konservative Ileus- Behandlung mit Magensonde,

Steroide, Analgetika

• Einsetzen der Darmtätigkeit nach 2 Tagen

• Keine weiteren Interventionen

• Vorausplanung gemäss SENS mit Familie

zuhause

• Rückkehr nach Hause mit Support HA und SEOP

für 2 Monate

• Wichtige Zeit für sehr viele Gespräche Mutter/ Tochter

Re- Hospitalisation bei erneutem Ileus und Dyspnoe;

verstirbt nach 3 Tagen.

S.Eychmüller

Was bringt SENS ?

- Komplementär zum diagnose- orientierten

Vorgehen

- Rascher Überblick über das „Leiden“ incl.

Priorisierung – auch für Betroffene («Regie», Teil

vom Team, sense of coherence)

- Verbesserte Kommunikation wichtiger

Berufsgruppen, Betreuenden und den

Betroffenen

- Einfache Dokumentation, u.a. auch für Runden

Tisch (vgl. Behandlungsplan Solothurn)

- Verminderung von Notfall- Hospitalisationen

S.Eychmüller

Evidence-based: Vorausplanung bringt es

Temel, Greer et al., NEJM. 2010

S.Eychmüller

• 627 Patienten mit fortgeschrittenem Ca

• Longitudinale Studie „baseline“ bis Tod

• In 31% Assessment zum Thema Lebensende

Kosten 35% niedriger als bei Patienten OHNE Assessment

„The multimillion dollar- conversation“

frühzeitiges palliatives Assessment ist gold-wert

Zhang et al, Arch Intern Med. 2009;169(5):480-488

S.Eychmüller

Gesellschaft

Vulnerable Gruppen

Acute care

Sensibilisierung

Vorausplanung

Antizipation

Crisis management

Vom Notfall – Management zur Antizipation:

eine Domäne für den Hausarzt?

S.Eychmüller

Vorbereitung nicht erst in letzter Minute –

weniger Erwartung an die Wundermedizin

32

http://www.pilotlight.org.au/Dying-to-Know

People study for

weeks for a birth

Why not study for a

death?

S.Eychmüller

I have a dream:

stopp curative and palliative

Diagnose- spezifisches Vorgehen

UND

Problemorientiertes, vorausschauendes

Vorgehen

= Spitzen- Care, nicht nur am Lebensende

S.Eychmüller

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !

Im Normalfall

kein Notfall !

S.Eychmüller

Folgen der Dichotomie kurativ/ palliativ

Kurativ bedeutet

- Wissenschaftlich, evidence based

- Hohe Anerkennung; «Akut», Spitzenmedizin

- Viel Notfall

- Prioritäre Allokation von Finanzmitteln («alles tun»)

- Grosser Anteil bei Bildungsschwerpunkten; Karrieren

Palliativ bedeutet

- «soft data»

- Wenig Anerkennung; «chronic», Pflege

- Wenig Notfall, wenig Finanzmittel

- Geringer Anteil Bildungsschwerpunkte; wenig Prestige

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