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Wege aus der Krise
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Leben heißt handeln
Wege aus der Krise
VERKEHR Bäume fallen für Flughafen
TROPENWALD
Jatropha - kein Wunder!
ENERGIE Finnische Atomkraft
magazin
2.95 € · ISSN 1437-7543 · Nr. 100/1.2009
Seite 24
Seite 6
Seite 28
6 Wandel des Lebensstils
10 Um-Steuern
Frankfurter Flughafen: Bürgerrechte abgeholzt 14
Widerstand im Hüttendorf 17
Alles muss raus! Kein Börsengang der Bahn 20
Umweltzone und Feinstaubaktion 22
Fahrradkuriere: Bis zur Hölle und zurück 24
Mit Atomstrom auf vier Rädern 26
Wie weit fährt ein Auto mit 280 Broten? 27
Tour de Natur 30
28 Jatropha - kein Wunder!
Nr. 100/1.09
Foto: Le Qrier
Foto: Peter Gerhardt
2
Foto: Sibylle Anneck
31 Stromsparen für Fortgeschrittene
32 Atomkraft in Finnland
Vielfalt erleben und Mission Blue Planet 13
12 Zum Gemein-Wohl - Finanzkrise
3
Seite 40
Seite 38
Seite 34
38 Biokost und Ökokult
40 Der gekaufte Staat: Bananenrepublik Deutschland
42 Klimakriege: Düstere Aussichten
44 Sei kein Frosch – Hilf uns!
44
46 Menschen für Ziele gewinnen
Nr. 100/1.09
34 Papierflut am Nikolaustag
35 Stromnetze in die öffentliche Hand!
35 Nikolaus-Rute für RWE-Chef
35 Auf Ökostrom umsteigen
43 Sudan: Der erste Klimakrieg?
Foto: Rudolf Fenner
Arnika: Umweltschutz grenzenlos 38
Foto: Fraport
4 Nr. 100/1.09
Liebe Leserinnen und Leser!
Redaktions-Kuchen zur Feier des 100. ROBIN WOOD-Magazins
1982 gründeten Umwelt-AktivistInnen ROBIN WOOD,
um sich für den Schutz der Wälder zu engagieren.
1983 erschien das erste ROBIN WOOD-Magazin, im
Februar 2009 wurde die 100. Ausgabe gedruckt. Für
die Redaktion ein Grund zu feiern, besonders weil
uns im Laufe der Jahre so viele Menschen unterstützt
haben: mit tollen Fotos und mit vielen engagierten
Artikeln. Die Themen sind uns nie ausgegangen und
gerade heute ist das Engagement für die Umwelt
wichtiger denn je. Viele PolitikerInnen und Wirt-
schaftsbosse wollen uns glauben machen, dass in
Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrise Umwelt-
schutz verzichtbarer Luxus sei. Dass es aber gerade
heute mehr denn je darauf ankommt, die Klimakrise
und die Wirtschaftskrise gleichzeitig zu lösen, erfah-
ren Sie im Titel dieser Ausgabe.
„Und wir werden bei allem, was wir tun, nicht alte
Fehler wiederholen und Wirtschaft und Umwelt ge-
geneinander ausspielen. Wirtschaft und Klimaschutz,
Klimaschutz und Wirtschaft – das geht zusammen,
wenn man es nur will. Und wir wollen es“, hatte
Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache
noch gedrechselt. Aber dass es sich dabei doch nur
um ein Lippenbekenntnis handelt, ist im neuen Jahr
schnell klar geworden. So hat die Regierung eine
Abwrackprämie beschlossen, ohne wichtige Rege-
lungen für den Klimaschutz zu treffen. Oder mit der
Neuregelung der Kfz-Steuer möchte sie vor allem die
großen Spritfresser vor einer allzu großen Steuer-
erhöhung verschonen.
Und auch in Frankfurt wird ohne Rücksicht auf
Mensch und Klima der Flughafen weiter ausgebaut
- und dass obwohl immer weniger Menschen fliegen
und die Frachtzahlen weiter sinken. Monatelang
haben AktivistInnen von ROBIN WOOD im Kelster-
bacher Wald ausgeharrt, um den Bannwald vor dem
Kahlschlag zu schützen. Mehr dazu erfahren Sie
unter der Rubrik Verkehr in dieser 100. Ausgabe.
Mit umweltfreundlichen Grüßen für die Schwedt/
Berliner Redaktion Ihre
Nr. 100/1.09 5
titel
Nr. 100/1.096
7
titel
Der Anteil erneuerbarer Energien an der
Stromerzeugung wächst doppelt so
schnell als selbst die größten Optimisten Mitte
der 90er geahnt hätten. Der Raumwärme-
bedarf je Quadratmeter hat sich um neun
Prozent verringert. Bio- und Fairtradeprodukte
werden inzwischen sogar in Discountern ver-
kauft, die Marktanteile wachsen rasant. Und
der Nachhaltigkeitsbegriff ist in aller Munde.
Wurde Deutschland zukunftsfähiger?
Den vielen Anstrengungen und Erfolgen
zum Trotz hat sich der Fußabdruck unserer
Exportnation nicht verringert. Zwischen 1995
und 2005 ist der Primärenergieverbrauch nicht
wie in der ersten Studie „Zukunftsfähiges
Deutschland“ erhofft um 30 Prozent bis 2010
gesunken, sondern um 1,4 Prozent gestiegen
und täglich werden in Deutschland immer
noch weit über 120 Hektar Fläche versiegelt,
während man die absolute Stabilisierung
für notwendig hielt. Die Vielfalt an Tieren
und Pflanzen schwindet und inzwischen ist
amtlich, was man Mitte der 90er nur geahnt
hat: Das Fördermaximum für Öl wurde er-
reicht. Während weltweit der Energiehunger
zunimmt, wird von nun an die Fördermenge
sinken.
Gleichzeitig führen uns die prosperierenden
Wirtschaftsnationen wie China, Indien oder
Brasilien deutlicher denn je vor Augen, dass
unser Lebensstil nicht verallgemeinerbar ist.
Vier Erden wären notwendig, wenn alle Men-
schen so leben würden wie wir.
Vor diesem Hintergrund haben sich der Bund
für Umwelt und Naturschutz Deutschland
(BUND) und die evangelischen Entwick-
lungsorganisationen „Brot für die Welt“
und Evangelischer Entwicklungsdienst (EED)
zusammengetan, um eine neue Debatte zum
„Zukunftsfähigen Deutschland“ anzustoßen.
Beauftragt wurde mit der gleichnamigen Stu-
die das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt,
Energie.
Ende der Wachstumsideologie
Wie soll es nun weitergehen? Augen zu und
durch. Diesen Eindruck vermitteln zumindest
die Wirtschaftspolitiker. Wirtschaftswachstum
wird nicht nur in Deutschland als Allheil-
mittel gepriesen, für Wohlstandswachstum,
zusätzliche Arbeitsplätze, Armutslinderung
und vieles mehr. Nichts davon lässt sich ohne
weiteres mit einem steigenden Bruttoinlands-
produkt verbinden. Die Sockelarbeitslosigkeit
ist beständig angestiegen und vom Wohl-
standswachstum profitierten in den letzten
Jahren nur die Superreichen.
Besonders schlecht bestellt ist es um das über-
geordnete Ziel ökonomischer Lehrbücher, die
„Finanzkrise“ war das Wort des Jahres 2008. Der Zusammenbruch der Invest-mentbanker-Glücksspirale hat 1.500 Milliarden Euro an Werten vernichtet, sagt der internationale Währungsfonds. Statt jetzt auf nachhaltige und umweltschonende Zukunftsinvestionen zu setzen, plant die Bundesregie-rung als Wege aus der Wirtschaftskrise eine Abwrackprämie für Altautos und den ungebremsten Straßenbau. Dabei hat gerade der Wachstumswahn uns in diese Krise bugsiert. Die neue Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie macht sich für eine Abkehr vom Neoliberalimus stark und plädiert dafür die Dynamik von Märkten als Motor für mehr Ökologie und Fairness zu nutzen.
Die Schauspielerin Angelika Bartsch spart Energie, fährt in der Stadt nur Fahrrad und ist Weltmeisterin im Re-cyceln. Ihr Hauptanliegen ist aber das Sparen von Heizenergie und so lässt sie im Winter ihre Heizung aus. Die Winter sind schon längst nicht mehr so kalt, besonders in der Kölner Innenstadt. In ihrer Wohnung zieht sie sich warm an. Für Gäste liegen Wolldecken bereit, so dass der Abend bei einem Glas Rotwein noch gemütlicher wird
Wandel des Lebensstils
Nr. 100/1.09
Zukunftsfähiges Deutschland in globaler Verantwortung
Fotos: Sibylle Anneck
8
titel
Steigerung der Lebensqualität. Denn in
Deutschland wie auch in den anderen In-
dustrieländern stagniert seit Jahrzehnten
die Lebenszufriedenheit trotz beständig
wachsendem Bruttoinlandsprodukt.
Deshalb und weil eine Minderung des
absoluten Ressourcenverbrauchs bei
gleichzeitigem Wirtschaftswachstum
unmöglich erscheint, plädieren die
Autoren der Studie für ein Ende der ge-
genwärtigen ebenso zerstörerischen wie
bornierten Wachstumspolitik.
Politik vor Macht
Sodann macht sich die Studie für eine
Abkehr vom Neoliberalismus stark.
Schneller als die Wuppertaler wohl
geahnt haben, ist diese Forderung durch
die Entwicklung auf den Finanzmärkten
auf einen Spitzenplatz der politischen
Agenda in Deutschland und der Welt
gerückt. Und tatsächlich: In einer Zeit, in
der das Schicksal von Mensch und Natur
auf des Messers Schneide steht, ist es
unerlässlich, Dynamik von Märkten als
Motor für mehr Ökologie und Fairness
zu nutzen.
Es ist Sache der Politik, die Marktpro-
zesse nach Maßgabe des Allgemein-
wohls zu gestalten. Eine ökosoziale
Marktwirtschaft lässt sich nicht ins Werk
setzen, ohne die Priorität der Politik ge-
genüber der Wirtschaft zurückzugewin-
nen. Das gilt auch auf internationalen
Handlungsfeldern. So verbietet sich der
Export subventionierter Agrarprodukte
in arme Länder. Von Unternehmen sind
die Einhaltung international anerkannter
Menschenrechte sowie ökologischer
Mindeststandards einzufordern.
Mit ihrer Forderung nach einem gleichen
CO2-Pro-Kopf-Emissionsvolumen von
zwei Tonnen avancierte Angela Merkel
zur Klimakanzlerin. Damit griff sie das
Umweltraumkonzept der ersten Studie
auf und formulierte ambitioniert: „Der
Klimawandel ist die größte Herausfor-
derung der Menschheit.“ Nur ein Jahr
später folgt nun der Rückfall auf alte
Vorurteile und die Kanzlerin verkündet,
dass Klimaschutz keine Arbeitsplätze
kosten dürfe. Zweieinhalb Tonnen
Yourdes aus Köln fährt bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad – auch richtig weite Strecken. „Wenn man sich warm anzieht, geht alles“, meint er
Nr. 100/1.09
Im Titel dieser Ausgabe veröffentli-chen wir Fotos von der Journalistin Sibylle Anneck. Sie hat für das RO-BIN WOOD-Magazin Menschen in Köln befragt, die berichten wie sie sparsam mit Energie umgehen, Kontakt: s.anneck@web.de.
9
titel
schwere Pkw erhalten Steuererleich-
terungen, die Deutsche Industrie wird
vom Emissionshandel verschont und die
Betreiber von Kohlekraftwerken sollten
die Zertifikate kostenlos erhalten. Dabei
haben nicht zuletzt die überschweren
Fahrzeuge die Krise der Automobil-
industrie erst möglich gemacht, wird
Strom aus Kohle in zehn Jahren teurer
sein als aus regenerativer Erzeugung.
Der Rückfall zur alten Konfrontation von
Umweltschutz und Wirtschaft ist umso
bedauerlicher als er doch wider besseres
Wissen kommt. Schließlich hat allein der
Ausbau erneuerbarer Energien Hun-
derttausende Arbeitsplätze geschaffen
und jeder weiß, die Finanz- und Wirt-
schaftskrise wird vorüberziehen, aber die
Klimakrise bleibt.
Freilich ist der Kurswechsel zur grü-
nen Marktwirtschaft nicht ohne einen
Wandel des Arbeitsmarktes zu haben.
Das war während der Transformation der
Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft
so und ist auch diesmal unvermeidlich.
Während Arbeitsplätze in der Industrie
abgebaut wurden, entstanden neue im
Dienstleistungsbereich. Bezeichnend:
Mitten in der Autokrise treibt Bosch
die Diversifizierung des Konzerns voran
und investiert 530 Millionen Euro in ein
neues Solarzellen-Werk. Über tausend
neue Arbeitsplätze sollen entstehen.
Arbeit fairteilen
Soll vermieden werden, dass Umwelt-
und Wirtschaftspolitik weiter gegen-
einander ausgespielt werden, muss ein
tragfähiges Konzept zur Lösung der
Arbeitslosenproblematik auf den Tisch.
In der Studie wird vorgeschlagen, die
zur Verfügung stehende Erwerbsarbeits-
zeit gerechter zu verteilen. Denn die
Arbeitslosigkeit hat nicht zugenommen,
weil uns die Arbeit ausgeht. In Summa
ist das Arbeitsvolumen in Deutschland
stabil geblieben. Vielmehr ist die Zahl
der Arbeitswilligen um einige Millionen
gestiegen.
Wäre das zur Verfügung stehende
Arbeitsvolumen gerecht verteilt, das
entspräche einer durchschnittlichen Ar-
beitszeit von 30 Stunden in der Woche,
ließe sich zumindest rechnerisch das
Problem leicht beheben. Gelingen kann
Nr. 100/1.09
das mit einer langfristigen Strategie, die
auch umfassende Bildungs- und Qualifi-
zierungsmaßnahmen beinhaltet. Den ar-
beitspolitischen Wortführern scheint di-
ese Einsicht schwer zu fallen, ebenso wie
die Abkehr von der Wachstumsideologie
als Rezept zur Minderung der Arbeitslo-
sigkeit. Obgleich ganz offenkundig drei
Jahrzehnte Wirtschaftswachstum, im
Ergebnis nur einen beständigen Anstieg
der Sockelarbeitslosigkeit vorweisen
kann.
Es mag schwer vorstellbar erscheinen,
dass Millionen freiwillig weniger arbeiten
und Einkommensverluste akzeptieren.
Jedoch sprechen zahlreiche Vorteile für
eine Fairteilung der Arbeit. Denn die
Lebenszufriedenheit und Arbeitsmotiva-
tion steigt bei Menschen, die ihre freie
Zeit ausgebaut haben. Ihnen gelingt die
Balance zwischen Arbeit und Freizeit.
Sie verbringen mehr Zeit mit Freunden
und Familie. Dadurch verbessern sich das
Wohlbefinden und die Gesundheit.
Zugleich könnte sich auch der Naturver-
brauch durch eine Politik der Arbeitsfair-
teilung verringern. Denn wäre Arbeits-
losigkeit nur noch ein Randthema,
die Auswirkungen wären auch bis zur
kommunalen Ebene spürbar. Zahlreiche
Investitionen wie etwa in fragwürdige
Gewerbeparks oder Straßenbau könnten
nicht mehr mit dem Arbeitsplatzargu-
ment durchgedrückt werden.
Achtsam leben
Doch nicht nur bei der Arbeitszeit, son-
dern allenthalben ist der Wandel unseres
Lebensstils erforderlich. Die Rechnung
ist ganz einfach. Damit sich ausgetüf-
telte Energiesparkonzepte, hochwerte
Gebäudedämmung oder Ingenieurskunst
im Automobilbau ressourcenschonend
auswirken können, gilt es zu verhindern,
dass Effizienzerfolge durch beständigen
Komfortzuwachs kompensiert werden.
Es ist an der Zeit, dass wir über Limits
diskutieren, für Tempo, Flächen, Sprit-,
Öl- oder Stromverbrauch. Kühlschränke
und Wohnungen dürfen nicht immer
größer, Autos müssen leichter werden.
In der Begrenzung des individuellen Kon-
sum- und Nutzungsverhaltens oder der
angebotenen Produkte liegt die eigent-
liche Herausforderung. Vergleichsweise
leicht fällt uns die Entwicklung innova-
tiver Technologien.
Die Ökologische Industriepolitik hat
sich durchgesetzt. Längst hat man ihr
wirtschaftliches Potential erkannt und
etwa durch das Erneuerbare Energien
Gesetz oder Sanierungsprogramme
boomende Arbeitsmärkte und Technolo-
giesprünge ermöglicht. Damit sich diese
Strategie in sinkendem Naturverbrauch
widerspiegelt, ist es höchste Zeit, eine
Ökologische Lebensstilpolitik auf den
Weg zu bringen. Einen Kurswechsel für
Deutschland.
Dr. Michael Kopatz ist wissenschaft-
licher Mitarbeiter am
Wuppertal Institut für Klima,
Umwelt, Energie in der
Forschungsgruppe Energie-,
Verkehrs- und Klimapolitik
Döppersberg 19, 42103 Wuppertal
Tel.: 0202/2492-148 Fax: -250
michael.kopatz@wupperinst.org
Zukunftsfähiges Deutschland
in einer globalisierten Welt
Eine Studie des Wuppertal Instituts
für Klima, Umwelt, Energie
Fischer Taschenbuch Verlag, 2008
655 Seiten, 14,95 Euro
ISBN: 978-3-596-17892-6
10
titel
? Mit der Finanzkrise ist Neoliberalismus out und die soziale Marktwirtschaft in aller Munde. Aber ist damit auch eine ökologische Marktwirtschaft gemeint?
! Wir freuen uns, dass unsere Ideen zu
einem Umbau der Marktwirtschaft zur
Zeit so gefragt sind. Allerdings wird
gerade darum gerungen, mit welchen
Maßnahmen die Wirtschaftskrise am
besten gemeistert werden kann: Die ei-
nen bestehen darauf, dass nur altherge-
brachte Wirtschaftskonzepte zur Krisen-
bekämpfung taugen, und Umweltschutz
in der Krise hintan stehen muss. Die
anderen sehen durchaus Chancen, dass
gerade eine ökologisch-soziale Markt-
wirtschaft uns auf einen zukunftsfähigen
Weg aus der Krise führen wird. Obama
geht mit seinen bisherigen Vorschlägen
durchaus in die richtige Richtung: Statt
in teure Energieimporte, die mit Waffen-
Nr. 100/1.09
gewalt gesichert werden müssen, will er
vermehrt in Erneuerbare Energien und
Energieeffizienz investieren.
? Welche Maßnahmen schlägt das FÖS vor?
! Wir sehen, dass zur Zeit einige Krisen
wie z.B. die Klimakrise, die Energie-
krise und die Finanzkrise kumulieren.
Gleichzeitig bietet sich uns die einmalige
Chance, diese Krisen über geeignete
staatliche Investitions- und Anreizpro-
gramme gleichzeitig zu lösen! Wenn
der Staat nun kräftig Geld in die Hand
nimmt, um die Wirtschaft anzukur-
beln, dann muss er das nutzen, um die
Wirtschaft ökologisch zu modernisieren.
Der Weg zu mehr Energieeffizienz muss
weitergegangen werden, also hin zu
mehr Gebäudesanierung und weg von
Sprit schluckenden Autos. Es ist gut
und wichtig, dass z.B. das Erneuerbare
Energien Gesetz weiter fortgeführt wird.
All diese Maßnahmen führen zu mehr
Klimaschutz aber auch zu mehr Arbeits-
plätzen in Deutschland.
Die zusätzlichen Ausgaben sollten
aber zumindest teilweise durch höhere
Umweltsteuern und den Abbau um-
weltschädlicher Subventionen gegen-
finanziert werden. So können wir die
Neuverschuldung in Grenzen halten und
zusätzliche Innovationsanreize geben.
? Sollten Subventionen generell abge-schafft werden?
! Nein, in einer ökologisch-sozialen
Marktwirtschaft haben auch Subven-
tionen als Bestandteil der politischen
Rahmenbedingungen ihren Platz. Wenn
der Markt bei der Entlohnung gesell-
schaftlich sinnvoller Tätigkeiten versagt,
kann der Staat durchaus unterstützend
tätig werden. Im Moment zahlt der Staat
aber jährlich rund 34 Milliarden umwelt-
schädliche Subventionen!
Um-SteuernUnsere Wirtschaft ist in der Krise. Damian Ludewig vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) erklärt, wie zur Bewäl-tigung der Krise ökologisch und sozial umgesteuert werden muss. Mit ihm sprach Christiane Weitzel.
Bisher gibt es keinen finanziellen Anreiz
für ökologisches Handeln. Zur Zeit ist
es doch so, dass wer sich ethisch und
moralisch korrekt verhält, auch noch
draufzahlen muss. Das beste Beispiel
dafür ist der Einkauf im Bioladen, der
viel teurer ist, als beim Discounter. Wir
brauchen also beispielsweise Prämien
für den Umstieg auf Ökolandbau, der
bisher in Deutschland nur fünf Prozent
der Agrarfläche ausmacht. Heute fließen
aber 95% der Agrarsubventionen in
konventionelle Landwirtschaft! Der
konventionelle Landbau verursacht aber
über Naturverbrauch, Überdüngung,
Erosion und Pestizidbelastung jede
Menge externe Kosten, die von der
Gesellschaft getragen werden müssen.
Beim Biolandbau fallen diese externen
Kosten nicht an – im Gegenteil, die Öko-
Landwirtschaft hat positive Effekte auf
die Böden und leistet einen wichtigen
Beitrag für eine gesunde Ernährung. Das
müsste über Prämien honoriert werden.
? Die deutsche Automobilbranche ist in der Krise. Sollte der Staat eingreifen?
! Wir wollen nicht, dass im Zuge der
Finanzkrise die Automobilbranche
Damian Ludewig ist Diplom-volkswirt und seit April 2008 Geschäftsführer des Forums Öko-logisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) in Berlin. Er vertritt außer-dem das FÖS und den Deutschen Naturschutzring im Sprecherrat der Klima-Allianz, foes@foes.de, www.eco-tax.info
Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) wurde aus
dem Umfeld des Wuppertal Instituts
für Klima, Umwelt, Energie gegründet.
Das FÖS setzt sich für die Weiter-
entwicklung der sozialen Marktwirt-
schaft zu einer ökologisch-sozialen
Marktwirtschaft ein. Dazu sollen
verstärkt ökonomische Instrumente
wie Umweltsteuern, Zertifikate oder
der Abbau umweltschädlicher Sub-
ventionen zum Einsatz kommen Die
Mitglieder sind vorwiegend Wissen-
schaftler, Unternehmer und Politiker.
Mit Studien für NGOs oder Gutachten
für Ministerien und Workshops und
Konferenzen engagiert sich das FÖS
für eine marktwirtschaftliche Umwelt-
politik. Im September 2008 hat das
FÖS den europäischen Dachverband
Green Budget Europe (GBE) gegründet.
Im GBE haben sich 15 Partner zusam-
mengeschlossen, um gemeinsam mit
ökonomischen Instrumenten mehr Um-
weltschutz in Europa durchzusetzen.
11
titel
Nr. 100/1.09
Marlies Anneck ist 1935 geboren und hat als Kind die Kriegs- und Nachkriegszeit in Köln erlebt. Für sie ist Energiesparen eine Selbst-verständlichkeit. Besonders mit Heizenergie geht sie sparsam um und zieht sich im Winter warm an. Im leichten Hausanzug bei 22 Grad Celsius vor dem Fernse-her zu sitzen, ist ihr vollkommen fremd
komplett den Bach runtergeht. Aber wir
wollen die Branche auch nicht einfach
pauschal stützen wie die Regierung
sondern weiterentwickeln. So wird mit
der von der Bundesregierung geplanten
Abwrackprämie für Altautos nur der
Konsum angekurbelt. Wir plädieren für
eine ökologische Lenkung. Also nur wer
mit seinem neuen Auto 25 Prozent weni-
ger verbraucht, als mit dem alten, sollte
in den Genuss einer Prämie kommen.
Und für Spritschlucker sollte es gar kein
Geld geben – den Kauf eines Porsche
Cayenne mit einem CO2-Ausstoß von
358 g/km muss der Staat wirklich nicht
fördern!
Außerdem denken wir darüber nach,
wie Menschen, die sich keinen Neuwa-
gen kaufen, weil ihr altes Auto sowieso
sparsam ist oder die gar keinen Pkw
besitzen, auch von der Prämie profitieren
könnten – z.B. indem sie eine verbilligte
BahnCard 100 erhalten.
? Was hält das FÖS von der Idee der Regierung, beim Kauf eines Neuwagens die Kfz-Steuer zu erlassen?
! Das ist auch nur ein Konsumanreiz
ohne ökologische Effekte. Wir brauchen
eine echte Reform der Kfz-Steuer. Hier
muss die Bundesregierung endlich ihre
Hausaufgaben machen! Diese immer
noch hubraumorientierte Steuer muss
endlich umweltgerecht reformiert wer-
den, mit einem klaren Bonus-Malus-Sys-
tem. Es reicht nicht, umweltfreundlichere
Fahrzeuge zu verbilligen, Klimakiller
müssen deutlich teurer werden. Gleich-
zeitig wäre es wichtig, dass bei einer
Kfz-Steuer nicht nur der CO2-Ausstoß
sondern auch das Fahrzeuggewicht und
die -fläche berücksichtigt würden. So
entstünde zusätzlich ein Anreiz zum Bau
kompakterer Fahrzeuge, die knappe
Straßen- und Parkflächen schonen
würden.
Außerdem ist die Kfz-Steuer im europä-
ischen Vergleich in Deutschland viel zu
niedrig und müsste erhöht werden. Um
einen größtmöglichen Lenkungseffekt
hin zu Sprit sparenden Modellen zu
erzielen, ist eine deutliche Anhebung
für Fahrzeuge mit hohem CO2-Ausstoß
notwendig.
? Die Wirtschaftskrise wird sicherlich die soziale Situation zusätzlich verschärfen. Macht ihr euch Gedanken um die sozi-alen Folgen eurer Vorschläge?
! Grundsätzlich schlagen wir im Moment
ohnehin nur Maßnahmen vor, die sozial
Schwächere kaum treffen, weil sie weder
Vielflieger sind, noch teure Dienstwa-
gen fahren. Zusätzlich diskutieren wir
aktuell die Idee eines Ökobonus. D.h. die
zusätzlichen Einnahmen, die der Staat
durch unsere Vorschläge erzielt sollen
pro Kopf an die Bevölkerung zurück
gegeben werden. Dann ist auch klar,
dass es sich um ökologische Anreize und
nicht um Abzockerei handelt. Von einem
Ökobonus würden Familien mit vielen
Kindern, Geringverdiener etc. besonders
profitieren. Außerdem halten wir in
Zukunft eine Progression bei der Strom-
steuer für wünschenswert. So werden
geringe Stromverbräuche ent- und hohe
zusätzlich belastet.
? Welche Projekte plant ihr für die Zukunft?
! In diesem Jahr werden wir eine Studie
zum Thema Neuregelung der Besteu-
erung von Dienst- und Firmenwagen
erstellen, denn die bisherige Regelung
ist weder ökologisch noch sozial. Mehr
als 60 Prozent der Neuzulassungen bei
Pkw sind Dienst- und Firmenwagen.
Über eine Bonus-/Malusregelung sollten
Firmenwagen mit niedrigen Verbrauchs-
werten gefördert werden. Wer von 2009
bis 2011 ein Fahrzeug im Zielkorridor
von 130 bis 140 g CO2/km erwirbt, kann
weiterhin alle Kosten voll absetzen. Wer
künftig Klimaschleudern kauft, sollte
nur noch einen Teil der Anschaffungs-
und Treibstoffkosten steuerlich gelten
machen können. Ab 2011 müssten die
Zielwerte auf 100 g CO2/km für Neuwa-
gen abgesenkt werden.
2009 wird mit den Europa- und Bun-
destagswahlen und der Klimakonferenz
in Kopenhagen ein turbulentes Jahr, in
dem es besonders wichtig wird, darauf
zu drängen, dass von der Politik die Wei-
chen in Richtung einer ökologischen und
sozialen Marktwirtschaft gestellt werden.
12 Nr. 100/1.09
merk-würdiges
Zum Gemein-Wohl - Finanzkrise
Sie nennt sich eine Wissenschaft, die Wirtschaftswissen-
schaft. Und wohl noch nie hat sich eine Wissenschaft so
blamiert, wie die Ökonomie in der aktuellen Wirtschaftskrise.
Keiner der Fachleute war in der Lage, die dramatischen Er-
eignisse auch nur annähernd vorauszusehen, außer vielleicht
einigen Exzentrikern und Laien, wie z.B. der globalisierungs-
kritischen Organisation attac. Niemand aus dieser etablierten
Wissenschaft ist in der Lage zu sagen, was jetzt zu tun sei.
Keiner weiß, wie es weitergehen soll. Da zuckte auch der
„Wirtschaftsweise“ Bert Rührup in einem Fernsehinterview nur
resigniert mit den Schultern.
Trotzdem wird gehandelt. Als Maßnahme gegen die Krise
wird allenthalben versucht, billiges Geld in den Markt zu
pumpen. Innerhalb von nur vier Tagen stellte die Bundesre-
gierung Bürgschaften von 500 Milliarden Euro zur Verfügung.
Die Umsetzung einer Kindergelderhöhung von 10 Euro pro
Kind dagegen dauerte über zwei Jahre, weil dieser unge-
heuere Betrag den Bundeshaushalt zu kippen drohte. Und
der Lokführerstreik Anfang 2008 bedrohte die Stabilität der
gesamten Bundesrepublik, verursachte er doch angeblich
einen volkswirtschaftlichen Schaden von sage und schreibe
50 Millionen Euro.
Dabei wird völlig übersehen, dass wir vor noch viel größeren
Herausforderungen stehen. Die Schäden der Klimakatastro-
phe werden weltweit bei bis zu 14.000 Milliarden US Dollar
liegen - jährlich. So prognostiziert es der Report des britischen
Wissenschaftlers und ehemaligen Chefökonom der Welt-
bank Nicolas Stern. Und das ist nur der finanzielle Schaden.
Menschliches Leid ist da noch nicht mit eingerechnet.
Wo, so fragt man sich, bleibt hier das entschlossene Handeln
der „eisernen Klimakanzlerin“? Nachdem sie zunächst große
Forderungen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes an die EU und
ihre Mitgliedstaaten gestellt hat, erkämpft sie mittlerweile
Ausnahmen und Sonderbehandlungen für die deutsche In-
dustrie. Deutsche Autokonzerne könnten den Spritverbrauch
nicht so stark senken, heißt es da, weil doch in Deutschland
große Autos gebaut würden – welche Logik! Deutsche
Industrieunternehmen würden durch den vorgesehenen CO2-
Zertifikatehandel benachteiligt und sollten davon freigestellt
werden, usw. Und jetzt heißt es auch noch Klimaschutz koste
Geld und zunächst müsse man sich darauf konzentrieren,
dass die Wirtschaft wieder laufe. Dabei ist doch offensicht-
lich Geld genug vorhanden – aber wohl nur, um Banken zu
sanieren.
Auch für Frau Merkel, wie schon für die Kanzler vor ihr, ist
der Schutz des Klimas offensichtlich nicht wirklich wichtig.
Als Werbestrategie mag Klimaschutz ja interessant sein. Da
gibt es hübsche Fotos der Kanzlerin vor grönländischen Glet-
schern in Hochglanz-Zeitschriften. Aber sich ernsthaft darum
zu bemühen hieße ja, sich mit mächtigen Lobbyverbänden
anzulegen. Das mag sie sich denn doch nicht zumuten.
Werner Brinker, Darmstadt
anze
ige
13
jug
en
dse
ite
Nr. 100/1.09
Vielfalt erleben
Mission Blue Planet: Verlosung des Klimaquiz
Zum 11. GEO-Tag der Artenvielfalt im Juni 2009 ruft
GEO in Kooperation mit der Deutschen Wildtier Stiftung
Schüler und Schülerinnen aller Altersklassen auf, ein
„Stück Natur“ vor der eigenen Haustür möglichst genau
zu untersuchen und die Ergebnisse anschließend zu doku-
mentieren: Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt.
Eingereicht werden können Textmappen, Installationen
von Fundstücken, Bilder, Fotos, Videos und Internet-Prä-
sentationen.
Teilnehmen können Gruppen von Schülerinnen und
Schülern jeden Alters - Klassen, Bio-AG‘s, Leistungskurse
oder kleinere und größere Schülergruppen verschiedener
Klassen. Die Arbeit sollte von LehrerInnen und/oder Exper-
tInnen unterstützt werden. Das Juryteam der Deutschen
Wildtier Stiftung, des Ernst Klett Verlags und von GEO
wird die ideenreichsten und sorgfältigsten Arbeiten (Pla-
nung, Durchführung, Auswertung des Projekts) prämie-
ren. GEO wird die Sieger im Herbst 2009 vorstellen.
Auch dieses Mal gibt es im Rahmen des Schülerwettbe-
werbs wieder attraktive Preise zu gewinnen: Zum Beispiel
eine Klassenfahrt ins Wildtierland ans Stettiner Haff und
viele Sach- oder Buchpreise. Für kleine Gruppen (zwei bis
fünf Schüler), die außerhalb ihrer Schulklasse eine eigene
Aktion durchführen, vergibt die Redaktion GEO einen „Ex-
pertenpreis“. Die GewinnerInnen werden zur Teilnahme
an der GEO-Hauptveranstaltung 2010 eingeladen.
Warum steht die Luft unter Druck? Wozu braucht man
Gletschereis? Welchen Nachteil hat Strom? Diese und
weitere rund 1000 Quizfragen zu den Themen Erde, Klima,
Wetter und Energie lassen sich in der Neuauflage des
größten Klimaquiz auf CD - Mission Blue Planet - finden.
Das Quiz der Kampagne „Klima sucht Schutz“ vermittelt
die aktuellen Erkenntnisse des Weltklimarates in einer
besonders für Kinder und Jugendliche geeigneten Weise.
Der Clou dabei: Nach Beantwortung jeder Frage erfahren
die SpielerInnen über Bilder, Grafiken, Texte und Video-
sequenzen mehr zum Thema. JedE SpielerIn kann je nach
Vorwissen aus drei Schwierigkeitsstufen auswählen. Für
9,50 Euro kann die Klimaquiz-CD über www.mission-blue-
planet.de bestellt werden.
Das ROBIN WOOD-Magazin verlost fünf Exemplare
des Klimaquiz auf CD unter allen EinsenderInnen, die
eine Postkarten an das ROBIN WOOD-Magazin, Lin-
denallee 32, 16303 Schwedt, Stichwort „Mission Blue
Planet“ schicken. Viel Glück!
Wohin soll euer Beitrag (Berichte, Dokumentationen etc.)
geschickt werden? An die Redaktion GEO, Tom Müller,
Schülerwettbewerb 2009, 20444 Hamburg. Mehr Infos fin-
det ihr unter www.geo.de/artenvielfalt, Stichwort „Schü-
lerwettbewerb“. Einsendeschluss ist der 9. Juli 2009.
Foto: GEO/B. Dinkel
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Nr. 94/3.0714 Nr. 100/1.09
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Bürgerrechte abgeholzt
Seit dem 20. Januar lässt Fraport den Kelsterbacher Wald für den Ausbau des Frankfurter Flughafens roden. Zehn Hektar Wald fallen durchschnittlich an einem Tag. Für die Rodungsmaschinen macht es keinen Unterschied, ob sie sich durch eine Plantage oder einen „für das Gemeinwohl unersetzlichen“ - so das hessische Forstrecht – „Bannwald“ fressen. Fünf Tage zuvor hat das Verwaltungsgericht Kassel Eilanträge gegen die Rodung abgewiesen, am 18. Januar ergaben die hessischen Neuwahlen eine schwarz-gelbe Mehrheit.
Fraport lässt den Kelsterbacher Wald roden
Der Spitzenkandidat der FDP, Jörg-Uwe Hahn,
ist Mitglied im Aufsichtsrat der Fraport und
hatte vor einem Jahr eine Koalition mit der
SPD kategorisch ausgeschlossen. Damit fingen
die „hessischen Verhältnisse“ an. Zwischen
den Jahren hatte das Regierungspräsidium
Darmstadt entschieden, Fraport „vordringliche
Arbeiten“ auf rund 90 genau ausgewiesenen
Hektar im Kelsterbacher Wald durch eine
„vorzeitige Besitzeinweisung“ zu ermöglichen,
obwohl dieser Wald noch der Stadt Kelster-
bach gehört und diese gegen den Bau einer
vierten Landebahn auf Kosten von 250 Hektar
Wald klagt.
Im Dezember wurde ein Schreiben der Fraport
an das Regierungspräsidium Darmstadt be-
kannt, in dem das Unternehmen nachdrücklich
fordert, die beantragte Besitzeinweisung mit
Wirkung vom 12. Januar 2009 zu erteilen,
um „entsprechend der Absprache mit dem
Hessischen Verwaltungsgerichtshof unmittel-
bar ab Zustellung der Eilbeschlüsse“ mit der
Rodung beginnen zu können. Aufgrund dieser
„Absprachen“ erfolgte Befangenheitsanträge
gegen die Kassler Verwaltungsrichter wurden
abgelehnt.
Einen Tag nach Beginn der Rodung präsentie-
ren der Kelsterbacher Bürgermeister Manfred
Ockel, SPD, und der Fraport-Vizechef Stefan
Schulte ein „Eckpunkte-Papier“: Die Stadt
verkauft ihren Wald und weitere Flächen an
Fraport und zieht ihre Klagen gegen den Flug-
hafenausbau zurück. Dafür verspricht Fraport
der Stadt ein „Paket mit einem Finanzvolumen
von über 30 Millionen Euro“. Die Hälfte davon
ist für den Lärmschutz (den Fraport sowieso
zahlen muss), ein Bach wird renaturiert, es
gibt ein paar Praktikumsplätze, Kooperationen
mit Schulen und Kindergärten, „politische
Landschaftspflege“. Der Bürgermeister von
Kelsterbach ist gelernter Landschaftsgärtner
und seit 1998 Geschäftsführer der gemein-
nützigen GmbH Regionalpark RheinMain, die
sich höflich bei ihrem Hauptsponsor Fraport
bedankt.
Nun erfordert auch in der 14.000-Einwoh-
ner-Stadt Kelsterbach eine so weit reichende
Entscheidung wie der Verkauf mehrerer
hundert Hektar Grund und der Verzicht auf
Prozessrechte die Zustimmung der kom-
munalen VertreterInnen. Dass diese bei der
nächsten Stadtverordnetenversammlung
am 9. Februar erfolgt, haben Magistrat und
Fraport fest eingeplant. Unter Ausschluss der
Öffentlichkeit scheinen alle Absprachen längst
getroffen, denn Fraport rodet in Vorwegnahme
der Entscheidung seit dem 20. Januar auf der
gesamten für den Ausbau begehrten Fläche
statt nur auf den oben genannten vorzeitig
Besitz eingewiesenen 90 Hektar. Zwei Wochen
unklarer Besitzverhältnisse kosten beim beob-
achteten Rodungstempo 100 Hektar Wald.
Fraports Wissen um die Zukunft reicht noch
weiter: Erst im Juni wird das Verwaltungsge-
richt Kassel das Hauptsacheverfahren über 260
Klagen von Bürgerinnen und Bürgern, Kom-
munen und dem Naturschutzverband BUND
gegen die Rodung und den Ausbau eröffnen.
Bis dahin hat Fraport die Fakten bereits unum-
kehrbar in Beton gegossen. Das Wald existiert
nicht mehr, das Gericht wird den Tatsachen
hinterher eilen müssen.
Im Wald steht das Dorf der WaldbesetzerInnen.
Seit dem 20. Januar ist es eingezäunt, auf Ver-
anlassung der Fraport, ausgeführt von einem
privaten Sicherheitsdienst, rund um die Uhr
bewacht von der Polizei. AusbaugegnerInnen
und PressevertreterInnen erhalten reihenweise Foto: Thomas Piper
Obwohl die Besitzverhältnisse noch unklar sind, lässt Fraport den Wald schon mal roden
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Jeden Tag fallen 10 Hektar Wald für den Aus-bau des Frankfurter Flughafens. Die Menschen protestieren gegen die gigantische Naturzer-störung und gegen die Belastungen für Klima, Umwelt und Gesundheit in der Region
Platzverweise. Fraport droht Klagen wegen Hausfriedens-
bruch an. Die Polizei gibt Daten von AusbaugegnerInnen
an die Rechtsabteilung der Fraport weiter. Nach einer ha-
nebüchenen Rechtsauffassung ist der Wald eine Baustelle,
die Baustelle gehört zum Flughafen, der Flughafen gehört
Fraport, also hat Fraport das Hausrecht. De facto gibt es
zu diesem Zeitpunkt eine „vorläufige Besitzeinweisung“
für einen kleineren Teil des Waldes und ein Eckpunktepa-
pier mit einem Vertreter der Stadt als Eigentümerin des
Waldes. In ein paar Jahren werden Gerichte wahrschein-
lich feststellen, dass diese Rechtsauffassung unhaltbar
ist. Das macht aber nichts, denn heute ist sie für eine
Kahlschlag-Politik ausgesprochen nützlich.
Der Saal, in der die Stadtverordnetenversammlung über
den Verkauf des Waldes an Fraport entscheiden wird,
ist unmittelbar vorher von einer anderen Veranstaltung
belegt: Fasching der Fraport-Senioren.
Monika Lege, Redebeitrag von
ROBIN WOOD auf der
Demonstration „Kelsterbach steht auf!“
am 31. Januar
Fotos: Thomas Piper
Seit dem 28. Mai leben UmweltschützerInnen im besetzten
Dorf im Kelsterbacher Stadtwald. Auch ein ROBIN WOOD-
Baumhaus ist in den Wipfeln. Am 20. Januar ließ Fraport das
Walddorf einzäunen. Seitdem kontrolliert die Polizei die Men-
schen im Wald rund um die Uhr mit großem technischem und
personellem Aufwand.
Dezember: Vor dem Regierungspräsidium Darmstadt performen
Straßentheater-SpielerInnen die hinter verschlossenen Türen
verhandelte Rodung.
14. Dezember: Bei einem Waldspaziergang werden zahllose
Bäume als unentbehrlich markiert und Thermokissen für den
winterlichen Widerstand im Wald verteilt.
18. Januar: Auf Stelzen und mit Sambatrommeln demonstrieren
ROBIN WOODlerInnen am Tag der Hessenwahl vor dem Land-
tag in Wiesbaden. Ihr Motto: „Partei ergreifen für Wald und
Klima. Flughafenausbau durchkreuzen.“
21. Januar: Wegen der Besetzung von zwei Verlademaschinen
werden die Rodungsarbeiten für drei Stunden unterbrochen.
23. Januar: Die Besetzung einer Rodungsmaschine unterbricht
für zwei Stunden deren Einsatz.
24. Januar: Mehr als tausend Menschen besuchen das Camp im
Kelsterbach Wald.
28. Januar: Auf der Frankfurter Zeil erklimmen Umweltschütze-
rInnen Bäume und hängen Transparente gegen den Kahlschlag
in Kelsterbach auf.
31. Januar: Zwei AktivistInnen werden von einer Buche auf
der Rodungsfläche geräumt. Vor dem Kelsterbacher Rathaus
demonstrieren hunderte BürgerInnen gegen den Verkauf des
Waldes an Fraport …
Ein Herbsttag im Oktober 2008. Die
Sonne strahlt. Das Laub ist bunt, aber
die Bäume tragen traurige Botschaften.
Aufgemalte Kreuze. Und Slogans in
Leuchtschrift: „Cut here! Bald weg - aus
Besitzgier!“. Transparente sind gespannt
„Kein Flughafenausbau“, „Finger
weg von den Bäumen!“ „Wald statt
CO2-Schleudern!“ In den Wipfeln sind
Baumhäuser, Plattformen und Planen
befestigt. Am Boden sind Campingzelte
aufgeschlagen, an einer Blockhütte wird
gezimmert.
Hans ist 19 und macht gerade eine Aus-
bildung zum IT-Techniker. Er träumt von
einem freien Leben in einem herrschafts-
freien Raum. Ende Juni hat er den Kels-
terbacher Wald mitbesetzt: „Ich schlafe
auf der Plattform dahinten. Da oben in
der Krone. Es schaukelt ein bisschen,
wenn es stürmischer ist. Aber das ist, als
ob ich in den Schlaf gewiegt werde.“
Charly kommt aus Stuttgart und war
in diesem Jahr schon bei zwei Genfeld-
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Besetzungen dabei. Hier bringt er den
anderen das Klettern bei. Er ist Um-
weltaktivist bei ROBIN WOOD. Zurzeit
leben etwa 15 bis 20 Leute hier. Manche
Waldbesetzter haben ein Zelt aufgebaut,
kommen aber nur am Wochenende. „Im
Sommer waren es mehr“, sagen sie.
Die Bewohner des Waldcamps kochen
vegan. Sie containern. Sie holen Le-
bensmittel, die Supermärkte aussortiert
haben. „Die Bevölkerung bringt uns
Sachen wie Sojamilch und Reis vorbei.
Dann haben wir Kontakte zum Gemü-
semarkt in Frankfurt. Da kriegen wir
nach Markt-Ende meistens noch einiges
an Gemüse. Und auch hier aus einer
Bäckerei bekommen wir viel Brot vom
Vortag.“ Ein Kelsterbacher Handwerker
bringt regelmäßig mit einem Anhänger
Trinkwasser in großen Plastikfässern.
Und manchmal kommen auch Lehrer
mit Schulkassen vorbei und befragen die
Camper nach ihrer Motivation. Fahr-
radständer sind aus Ästen gezimmert,
eine provisorische Küche steht geschützt
unter einer Plane. Das Wohnzimmer
unter freiem Himmel - ein Tisch, eine
ausrangierte Ledercouch und ein Scha-
mottofen.
Zurzeit machen die Bewohner das Dorf
winterfest. Die Waldbesetzer sind per
Handy zu erreichen und ihr wirksamstes
Medium ist ihre eigene Seite im Internet.
Hier findet man auch Texte zu Klima,
Flugverkehr und emanzipativen Umwelt-
schutz. Über das Netz wollen sie auch
mobilisieren - im Falle einer Räumung.
Hier in Kelsterbach geht es um die Ro-
dung von 250 Hektar Bannwald. Baube-
ginn war für Februar 2009 vorgesehen.
Die Nordwestlandebahn zieht sich drei
Kilometer durch den Wald. Die Flug-
hafen AG Fraport will sofort beginnen.
Beim hessischen Verwaltungsgerichtshof
liegen aber noch Klagen gegen das
Planfeststellungsverfahren von den um-
liegenden Gemeinden und den großen
Umweltverbänden. Verzögerungen,
Aufschub - darauf hoffen die Ausbau-
Widerstand im Hüttendorf
Der Wald um den Frankfurter Flughafen ist für das hessische Gedächtnis ein historischer Ort. Ein Hüttendorf war in den 80er-Jahren das Zentrum der Startbahnproteste. Seit ein paar Monaten stehen nun wieder Hütten im Wald - das Camp der Gegner des Flughafenausbaus.
Am 20. Januar hat Fraport veran-lasst, das Hüttendorf einzuzäu-nen. Rund um die Uhr wird es nun von der Polizei bewacht
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gegner. Eine stabile runde große Blockhütte fällt auf. Die Hütte
der Bürgerinitiativen, die noch im Bau ist. Sie soll als Versamm-
lungs- und Veranstaltungsraum dienen. Und im Winter haben
die Waldbesetzer einen beheizten Raum.
Die ersten Waldbesetzer kamen am 28. Mai in diesem Jahr,
der Tag an dem die Flughafengesellschaft Fraport ihre An-
teilseigner eingeladen hatte, um Zahlen und Zukunftspläne
vorzustellen. Zukunft meint die nächsten 20 Jahre, gesprochen
wird in Superlativen: Vom Flughafen Frankfurt als der größten
Baustelle Europas, von 40.000 Arbeitsplätzen, vom Flughafen
als Wirtschaftsmotor für die Region, von der „Airport-City
2020.“ Eine Stadt vor der Stadt mit Shopping-Malls, Büros und
Hotels. Die Nordwestlandebahn, gegen die die Waldbesetzer
protestieren, ist nur ein Bauabschnitt. Der Fluglärm kommt von
der Startbahn West. Alle zwei Minuten ein Start.
Regelmäßig kommen Journalisten vorbei und schreiben kleine
Reportagen über das Hüttenleben. Abwechselnd werden die
Waldbesetzer „Weltverbesserer“, „gewaltbereite Chaoten“,
„Berufsdemonstranten“ oder „harmlose Naturromantiker“
genannt: Ein älterer Herr kommt neugierig auf die jungen
Leute zu. Er will seinem Enkel die Baumhäuser zeigen: „Was
sind wir früher raus, als die Startbahn-West gebaut werden
sollte, samstags und sonntags. Was hat es gebracht? Nix, sie
bauen. Deshalb ist der ganze Widerstand hier ein Rauszögern,
aber kein Verhindern.“ Camper ist Mitte 20 und kommt aus
Freiburg. Er überlege, ob er eine Karriere als Berufsdemons-
trant einschlagen soll, meint er und lächelt: „Für mich ist
wichtig - selbst, wenn klar ist, dass wir die Landebahn nicht
verhindern können - trotzdem zu zeigen, dass es nicht okay ist,
dass Politiker oder Wirtschaftsbosse entscheiden, was mit dem
Wald passiert. Weil das uns alle angeht.“
Szenenwechsel. Generationenwechsel. In den umliegenden
Gemeinden sind viele Lebensläufe mit dem Protest gegen
den Flughafenausbau verbunden. Seit Anfang der 80er-Jahre,
seit den Protesten gegen die Startbahn-West. Eine Verabre-
dung mit der Sprecherin des „Bündnisses der Bürgerinitiativen
- Kein Flughafenausbau!“ und einem seit 1980 aktiven Start-
bahngegner führt in die Küche von Jossy Oswald, Mitglied der
Bürgerinitiative Mörfelden-Walldorf. Er hat jahrelang bei einer
Spedition am Flughafen gearbeitet. An den Wänden hängen
Plakate aus den 80er-Jahren. Der Hessen-Löwe mit einem Po-
lizeihelm auf. Es gibt Tee und Kekse: „Ende April 1980 ist das
Hüttendorf von den Bürgerinitiativen gegründet worden, das
übrigens ähnlich aussah wie das heutige. Wir wollten damals
Zeichen setzen gegen den Bau der Startbahn West.“
Das Hüttendorf im Flörsheimer Wald, ein paar Kilometer
entfernt von dem heutigen Camp, war das Zentrum der
Startbahn-Bewegung. Die gewaltsame Räumung und Pro-
teste danach wurden zu einer traumatischen Erfahrung für
viele. Ein Konflikt, der sich tief in das hessische Gedächtnis
eingegraben hat. Riesige Demonstrationen, Prügel, Wasser-
werfer, Ohnmacht und Frustration. Eine traurige Bilanz für eine
große Bürgerbewegung. Fast 30 Jahre her: „Wir kamen am
2. November zur Räumung in den Wald. Dort waren schon
Tausende Menschen. In Mörfelden-Walldorf haben die Glocken
geläutet. Das war das Signal, dass die Menschen ihre Arbeit
liegen lassen und raus in den Wald gehen.“
Sein Anliegen als Anwohner von Mörfelden-Walldorf ist nach
fast 30 Jahren immer noch dasselbe: Keine Ausweitung des
Flugverkehrs, kein Ausbau des Flughafens, Einhaltung des
strengen Nachtflugverbotes. Ingrid Kopp, die mit am Tisch
sitzt, ist seit zehn Jahren Sprecherin des „Bündnisses der Bür-
gerinitiativen: Kein Flughafenausbau - Für ein Nachtflugverbot
von 22 - 6 Uhr. 60 lokale Initiativen aus den Gemeinden rund
um den Flughafen haben sich 1998 zusammengeschlossen,
als die Fraport-AG neue Planungen ankündigte: „Anfang der
90er-Jahre hieß es: Für diesen Flughafen wird kein Baum mehr
Foto: Harald Schröder
Foto: ROBIN WOOD/Monika Lege
Kultur im Wald
Kletterkurs mit ROBIN WOOD
19
wald
Sonntagsspaziergänge und Ku-chenstände haben Tradition im Widerstand gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens
Foto: Petra Schmidt
Nr. 100/1.09
fallen. Man hat diesen Versprechungen
geglaubt. Als dann das unfassbare
passierte, dass die Fraport wieder die
Finger nach dem Wald ausstreckte, sind
die Bürgerinitiativen sehr schnell wieder
aktiv geworden und sehr viel neue
kamen dazu.“
Von den politischen Parteien sind sie ent-
täuscht. Die CDU hat den Flughafenaus-
bau durchgesetzt. Die SPD will ihn auch.
Die Grünen sind gegen den Ausbau,
aber politisch zu schwach. „Ich finde das
ist der größte Wortbruch des Minister-
präsidenten in den letzten Jahren. Er hat
jahrelang immer wieder betont, es wird
ohne Nachtflugverbot keinen Ausbau
geben. Und die Leute haben sich zum
Teil zurückgelehnt und sicher gefühlt!“
Die aktuellen Wirren um die Regierungs-
bildung berühren deshalb diejenigen,
die in der Nähe des Flughafens wohnen
und unter Fluglärm leiden und um ihre
Gesundheit fürchten, wenig. Sie setzen
auf die Klagen der Kommunen und der
großen Umweltverbände. Jede Verzöge-
rung des Ausbaus empfinden sie als ihr
Recht: „Es sind jetzt noch 260 Klagen
anhängig, die im Januar, Februar vor
den Gerichten entschieden werden. Es
ist jetzt schon der zweite Bannwald, der
für diesen Flughafen fällt. Der erste vor
zwei Jahren wurde für die Wartungshalle
vom A 380 gerodet - eine Riesen-Fläche.
Und dann ist nur eine halbe Halle gebaut
worden, weil es hieß sie brauchen doch
nicht so viel. Der Wald ist aber weg.“
Ende Oktober. Ein Sonntag im Kelsterba-
cher Wald. In einer Tonne brennt Feuer.
Die Jacken der Waldbewohner werden
dicker. Ein paar haben Wolldecken um-
gehängt. Mitglieder der Bürgerinitiativen
der Gemeinden ringsum haben vor der
BI-Hütte einen provisorischen Kuchen-
stand aufgebaut. Jeden Sonntag treffen
sie sich. Heute sind es vielleicht 30 Leute.
Es gibt Selbstgebackenes, Kaffee und
heißen Tee in Pappbechern und veganen
Kuchen für die Waldbesetzer.
Der Kuchenstand ist quasi historisch.
Ein soziales Ritual, entstanden
während der Sonntagsspaziergänge
nach Räumung des Hüttendorfs 1982.
Wenn man danach fragt, rührt man an
Emotionen. Ute Hänsel kommt aus Neu-
Isenburg. Die Mittfünfzigerin mit Brille
und Pagenkopf hat den Protest an der
Startbahn West miterlebt: „Ich bin seit
damals in der Isenburger BI dabei. Wir
haben uns damals nicht träumen lassen,
dass wir uns alle wieder treffen wegen
der Flughafenerweiterung.“
Vier Wochen später. Inzwischen ist die
Regierung um Andrea Ypsilanti geplatzt.
Das Wald-Camp an einem Sonntag-
nachmittag im November. Es ist kälter
geworden. Bäume haben die Blätter
verloren. Dafür lassen sich die Konturen
der Baumhäuser besser erkennen. Der
Kuchenstand steht heute mitten in der
Küche der Waldcamper: „Kuchen: Apfel,
Johannisbeere, Schokomandelapfelzimt
und der ist vegan.“ Es wird jetzt kühler,
aber an einer offenen Feuerstelle und an
den zwei Gasöfen in der BI-Hütte kön-
nen sich die Waldbesetzer aufwärmen.
Wann geräumt wird, wissen sie nicht
und Spekulationen bringen sie nicht wei-
ter. Aber eine Meinung haben sie schon:
„Groß geändert hat sich nix. Wir warten
ab. Ich glaube nicht, dass die CDU es
sich erlauben wird, uns vor der Wahl am
18. Januar wegräumen zu lassen. Wir
sind ja hier weiterhin auf einem fried-
lichen Kurs. Ich sage mir, bevor nicht die
Gerichte letztendlich ein gültiges Urteil
gesprochen haben, sind wir hier draußen
im Recht. Wo Recht zu Unrecht wird,
wird Widerstand zur Pflicht.“
Gekürzte Fassung eines Radiobeitrags
vom 24.11.08 in Deutschlandradio Kul-
tur, www.dradio.de/dkultur/sendungen/
laenderreport/874453
Christiane Kreiner, Frankfurt/Main
verkehr
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Alles muss raus!
Die Antwort ist ein klares Nein,
denn der Börsengang ist nicht
endgültig abgesagt. Außerdem reichen
unsere Ziele noch weiter: Wir wollen
zwar, dass das umweltfreundlichste
motorisierte Verkehrsmittel in öffent-
licher Hand bleibt, aber das ist nur ein
Teil unserer Forderungen. Es ist nur
die juristische und strukturelle Voraus-
setzung dafür, dass zahlreiche weitere
Verbesserungen, die die Bahn zweifel-
los benötigt, überhaupt angegangen
werden können. Doch davon sind
wir momentan noch weit entfernt.
In den letzten Jahren wurde mit der
einseitigen Ausrichtung an Bilanzen
und Börsengang vor allem an den
Bedürfnissen der KundInnen gespart:
Abschaffung des beliebten Interregios,
Fahrpreiserhöhungen, die noch über
der Inflationsrate liegen, Streckenstill-
legungen, Ausdünnung von Netz und
Takt, Verkauf von über 1.000 Bahn-
höfen, mangelhafte Instandhaltung
der Strecken mit daraus resultierenden
Verspätungen, um nur einige Punkte
zu nennen. Wir alle kennen das aus
eigener Erfahrung.
Momentan ist nicht klar, wann der
nächste Anlauf unternommen werden
soll, die Bahn an die Börse zu bringen.
Die einen sagen, der Börsengang der
Bahn wird frühestens 2010 wieder
angegangen, die anderen behaupten,
die Bahn könnte durchaus noch vor
der kommenden Wahl im September
verkauft werden. Merkel bestärkte
Mehdorn bei einem Treffen Ende
2008, „seine konzeptionellen Überle-
gungen zur Teilprivatisierung voran-
zutreiben“. Finanzminister Steinbrück
meinte dazu: „Der Börsengang der
Bahn kommt“. Von Entwarnung kann
daher keine Rede sein.
Auch wenn die DB bereits eine
Aktiengesellschaft ist, so ist sie noch
immer vollständig in öffentlicher Hand.
Bahnchef Mehdorn versucht allerdings
in Moskau und Dubai potenzielle
Investoren dazu zu bewegen, fünf
oder auch nur drei Prozent des zum
Verkauf herausgelösten Konzernteils
zu übernehmen. Der Trick dahinter:
Auch ein Einstieg von nur wenigen
Prozent durch Privatinvestoren würde
Kein Börsengang der Bahn – alles in Butter?
Bahn für Alle setzt sich seit Jahren für den Erhalt der Deutschen Bahn in öffentlicher Hand ein: ROBIN WOOD ist als Gründungsmitglied des Bündnisses von Anfang an dabei. Vieles, was zum damaligen Zeitpunkt unmöglich schien, ist in den letzten Jahren erreicht wor-den. Der Börsengang der DB AG, der am 27. Oktober 2008 nach mehreren Verschiebungen stattfinden sollte, ist kurz vor der Abwicklung auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Das ist ein riesiger Erfolg! Sind wir mit der Kampagne also am Ziel?
AktivistInnen protestierten gegen den Börsengang der Bahn am 19. März in Hamburg (oben) und am 29. Februar 2008 in Berlin
Foto: ROBIN WOOD
Nr. 100/1.09
die DB juristisch gesehen in ein privatkapitalistisches Unterneh-
men umwandeln. Die öffentliche Hand könnte ihre politischen
Vorgaben nicht mehr ohne weiteres umsetzen, wenn andere
Teilhaber beteiligt sind.
Im Handelsblatt wurde gefragt, ob ein Börsengang überhaupt
noch politisch durchsetzbar sei: „Denn die politischen Kräfte,
die immer schon gegen die auch nur teilweise Privatisierung
des Konzerns waren, formierten sich nach der Absage rasch
wieder, um im zweiten Anlauf zu vereiteln, was ihnen im
Frühjahr nicht gelang.“ Mit diesen „politischen Kräften“ ist
Bahn für Alle gemeint. Und es wird deutlich, dass es auch
nach Etappensiegen notwendig bleibt, die Bahn vor einem
überraschenden Vorstoß der Privatisierer zu schützen. Die
Blankovollmachten der Bundesregierung und des Bundestages,
die Bahn zu verkaufen, müssen zurückgenommen werden,
damit endlich wieder die tatsächlichen Aufgaben einer Bahn
im Vordergrund stehen.
Kritik an der Bahn ist beliebt und die Liste der Mängel und
Probleme groß. Es handelt sich dabei aber nicht um Fehler
der ohnehin in der Zahl drastisch reduzierten Beschäftigten.
Vielmehr liegen die Fehler im System und in den Zielvorga-
ben des Managements. Mit dem Ziel des Börsengangs haben
Mehdorn und der Bahnvorstand auch kontinuierlich daran
gearbeitet, „Global Player“ und ein weltweit agierendes
Logistikunternehmen zu werden. Die DB AG hat einerseits seit
dem Umbau zur AG (1994) etwa 6.000 Kilometer Bahngleise
stillgelegt. Andererseits ist der Konzern heute weltweit einer
der größten Luft- und Seefrachttransporteure und die Nr. 1 im
europäischen Landverkehr. In über 150 Staaten hat der auch
durch Steuergelder finanzierte Konzern seine Arme ausge-
streckt. Mittlerweile werden fast zwei Drittel des Konzern-
gewinns durch bahnfremde Dienstleistungen erwirtschaftet
– Tendenz steigend.
Die Probleme der Bahn würden durch einen Börsengang nicht
abgebaut. Sie würden vielfach durch die Ausrichtung an einem
Börsengang erst geschaffen, da dieser auf Rendite statt auf
guten Service für die KundInnen setzt. Wenn ein Vorstand ein
Unternehmen aus öffentlichem Eigentum 75 Prozent unter
Wert verkaufen will und dafür sogar noch Bonuszahlungen in
Millionenhöhe kassieren möchte, wird klar, welche Interessen
tatsächlich die Entscheidungen steuern. Euro-Zeichen in den
Pupillen und Transaktionen in 152 Ländern – wer glaubt da,
die Erfordernisse eines ökologischen Verkehrssystems und
der KundInnen in einem dieser Länder würden als zentrale
Aufgabe gesehen?
Bahn für Alle besteht aus mittlerweile 17 Organisationen,
gestützt von unzähligen ehrenamtlich arbeitenden Aktiven.
Der Börsengang wird dabei aus verschiedener Sicht beleuchtet.
Während etwa Gewerkschaften auf Folgen für die Beschäf-
tigten bei der Bahn hinweisen oder Attac auf die Bedeutung
der größten (geplanten) Privatisierung in der Geschichte der
Bundesrepublik, steht für ROBIN WOOD eine ökologische Ver-
kehrswende im Fokus. Um den Anteil des umweltfreundlichen
Verkehrsmittels Bahn deutlich zu erhöhen, muss die Politik
21
verkehr
nicht nur dafür sorgen, dass die Bahn vollständig in öffent-
lichem Eigentum bleibt, um den Bahnkonzern zu steuern. Es
muss auch Steuergerechtigkeit hergestellt werden. Während
die Bahn Mehrwert-, Mineralöl- und Ökosteuer zahlt, ist der
grenzüberschreitende Flugverkehr von diesen Steuern voll-
kommen ausgenommen. Bei Inlandsflügen wird gerade mal
die Umsatzsteuer erhoben. Eine deutliche Besserstellung des
umweltschädlichsten Verkehrsmittels Flugzeug gegenüber
der Bahn ist die Folge. Das Ergebnis ist ein subventioniertes
Klimaschädigen mit (Billig-)Fliegern, während umweltbewusste
BahnkundInnen Ökosteuern zahlen – verkehrte Welt. Die
über 50 Jahre alte Pendlerpauschale ist die entsprechende
Subventionierung des Autoverkehrs mit all seinen Folgen.
Die drängenden und seit langem notwendigen Aufgaben zur
Ökologisierung des Verkehrs stehen noch aus. Es bleibt noch
viel zu tun!
Bahn für Alle möchte gemeinsam mit vielen TeilnehmerInnen
im Wahljahr die Diskussion über dieses zentrale Thema voran-
bringen. Am 13. Juni 2009 wird in Köln die Tagung „Zukunft
der Bahn“ veranstaltet. Dort sollen positive Konzepte für die
Bahn entwickelt werden.
Jürgen Mumme, Hamburg, ist im Vorstand von ROBIN
WOOD und in der Verkehrsgruppe aktiv. 2008 hat er als
Koordinator von Bahn für Alle gearbeitet.
Mehr Informationen unter http://www.robinwood.de/verkehr/
und unter www.bahn-fuer-alle.de
Foto: Bahn für Alle
Nr. 100/1.0922
Bereits seit vier Jahren verbietet die
EU-Feinstaubrichtlinie die Über-
schreitung des Feinstaubgrenzwertes
von 50 Mikrogramm im Tagesmittel an
mehr als 35 Tagen pro Jahr. Zahlreiche
Städte verstoßen alljährlich dagegen,
können oder wollen keine wirksamen
Gegenmaßnahmen ergreifen.
Der Handlungsbedarf ist angesichts der
Zahlen der Weltgesundheitsorganisa-
tion weitgehend unbestritten: Ihre Un-
tersuchungen ergaben, dass Feinstäube
die durchschnittliche Lebenserwartung
in der Europäischen Union im Mittel
um 8,6 Monate verkürzen, in Deutsch-
land sind es sogar 10,2 Monate. Im
Jahr 2008 wurde der Feinstaubgrenz-
wert an 60 Messstellen in 35 Städten
und 12 Bundesländern überschritten.
Krefeld führte die Statistik mit 74
Tagen an, gefolgt von Stuttgart mit 69
und Essen mit 67 Überschreitungen.
Welchen Anteil der Verkehr an der
Feinstaubbelastung hat, ist dagegen
äußerst umstritten - es kursieren Zah-
len zwischen 5 und 50 %. Eine Hoch-
rechnung aufgrund der verkauften
Spritmengen und durchschnittlicher
Emissionswerte greift viel zu kurz.
Denn zum direkten Feinstaubausstoß
der Kraftfahrzeuge kommen noch
Bremsbelag-, Reifen- und Straßen-
abrieb, die Emissionen der gesamten
Produktionskette inklusive der Ener-
gieerzeugung, Kraftstoffgewinnung
und -aufarbeitung. Es werden also
Jahre vergehen, bis Einigkeit hergestellt
werden kann - sofern das überhaupt
möglich ist, da die Autoindustrie na-
türlich ein existenzielles Interesse daran
hat, ihren Anteil möglichst klein zu
rechnen. Schon deshalb hatten Klagen
mit dem Ziel von Verkehrsbeschrän-
kungen trotz klarer Verstöße gegen
die Feinstaubrichtlinie wenig Aussicht
auf Erfolg. Um ihnen die Grundlage zu
nehmen und dem wachsenden Unmut
in der Bevölkerung etwas entgegenzu-
setzen, versuchten einige Kommunen
dem Problem mit verstärkter Straßen-
reinigung und –befeuchtung beizu-
kommen. Offensichtlich ohne Erfolg:
Nachdem die erste Aufmerksamkeit
abgeebbt war, wurden diese „Maßnah-
men“ sang- und klanglos eingestellt.
Umweltzonen
Die ursprüngliche Strategie vieler
Betroffener und Umweltverbände, bei
Grenzwertüberschreitungen kurzfris-
tige Fahrverbote durchzusetzen, ist
gescheitert. Diese Maßnahmen sind
nicht nur bei fast allen AutofahrerInnen
äußerst unpopulär, sondern auch
praktisch kaum durchführbar, da die
Feinstaubkonzentrationen stark vom
Wetter abhängen und eine Voraus-
sage bzw. -planung kaum möglich ist.
Wesentlich aussichtsreicher erscheinen
da sogenannte Umweltzonen, die von
besonders schadstoffträchtigen Fahr-
zeugen generell nicht mehr befahren
werden dürfen. Mittlerweile gibt es
davon in Deutschland bereits 32.
Je nach Schadstoffausstoß werden
motorisierte Fahrzeuge in 4 Klassen
eingeteilt. Die Schlechteste bekommt
keine Plakette, die Besseren in aufstei-
gender Reihenfolge eine rote, gelbe
oder grüne Plakette. Bei der Einfüh-
rung sind die Umweltzonen meist frei
für Fahrzeuge mit allen Plaketten, im
Laufe der folgenden Jahre werden sie
dann nach und nach für rote und gelbe
Plaketten gesperrt. Zahlreiche, zum Teil
groteske Ausnahmeregelungen (z.B.
für Werkstattbesuche, LKWs, etc.) und
die Aussparung viel befahrener Straßen
sind Zugeständnisse mit denen sich die
Zustimmung der Autolobby, Industrie-
und Handwerksverbände üblicherweise
erkauft wird. Messbare Luftverbesse-
rungen sind daher in der Anfangsphase
nicht zu erwarten.
Aber wer die „freie Fahrt für freie
Bürger“ beschränken will, braucht ei-
nen langen Atem: Jahrelange Proteste
und Aktionen gegen Sommersmog
hatten nur eine Heraufsetzung der
Ozongrenzwerte zur Folge. Erst der
EU-Feinstaubgrenzwert, den wir in
den 90er Jahren als reine Verzöge-
Umweltzone und Feinstaubaktion
Die EU hat längst beschlossen, dass die Luft in unseren Städten besser werden muss. Doch viele Kommunen sind offensichtlich nicht bereit, wirksame Maßnahmen gegen den gefähr-liche Feinstaub zu ergreifen. Da die mediale Aufmerksamkeit dafür immer mehr schwindet, ist es an der Zeit, den Druck auf die Städte deutlich zu erhöhen!
verkehr
Nr. 100/1.09
verkehr
23
rungstaktik geißelten, konnte das Tabu Fahr-
verbot knacken. Jetzt kommt es darauf an, die
Einführung möglichst vieler Umweltzonen zu
unterstützen und den Gegnern gute Argumente
entgegenzusetzen. Wie nicht anders zu erwar-
ten, verbreitete der ADAC zum Jahresende die
„Nachricht“, dass die bereits 2008 in Hannover
eingeführte Umweltzone keine Verringerung
der Feinstaubkonzentration bewirkt hätte. Unter
den derzeitigen Randbedingungen ist das richtig
und keineswegs überraschend.
Doch dank der erstaunlich hohen Akzeptanz der
Umweltzonen bei den AutofahrerInnen bewegt
sich jetzt etwas in Sachen Feinstaub. Angesichts
ihrer Absatzprobleme scheint die Autoindustrie
endlich gezwungen, spritsparende und schad-
stoffarme Autos anzubieten. Auch der Nutz-
fahrzeugabsatz dürfte von der Verbreitung der
Umweltzonen profitieren.
Im zweiten Schritt kommt es darauf an, sie zu
etablieren und auszuweiten. Klima- und Ge-
sundheitsschutz gehen Hand in Hand und las-
sen sich nur mit weniger motorisiertem Verkehr
erreichen. Da die Natur nicht zwischen Schad-
stoffen von Armen und Reichen unterschei-
det, müssen Ausnahmeregelungen abgebaut
und die Grenzwerte kontinuierlich verschärft
werden. Soziale Härten können stattdessen mit
speziellen ÖPNV- oder Car-Sharing-Angeboten
abgefangen werden. Eine gezielte Förderung
zum Umstieg auf schadstoffarme Monteurs-
fahrzeuge für kleine Handwerksbetriebe ist auf
Dauer besser und billiger für die Allgemein-
heit als die jetzigen Ausnahmeregelungen. Im
Transportgewerbe ist das nicht nötig, auch
wenn dessen Lobby lautstark jammert: Dort
werden die Fahrzeuge so intensiv genutzt, dass
sie ohnehin nach wenigen Jahren durch neue
ersetzt werden und dabei an die stufenweise
steigenden Anforderungen der Umweltzonen
angepasst werden können.
Diesen langwierigen Prozess zu begleiten und
zu steuern bedarf mehr als punktueller spekta-
kulärer Aktionen. Wir müssen Handlungsdruck
erzeugen, indem wir unser Anliegen tagtäglich
unübersehbar in die Öffentlichkeit bringen.
Dazu brauchen wir die Unterstützung anderer
Umweltverbände und interessierter und betrof-
fener Mitmenschen.
Werner Berendt, Bremen,
Kontakt: bremen@robinwood.de
31.12.08: Stand der Feinstaubwerte, www.
env-it.de/luftdaten/pollutant.fwd?comp=PM1
Feinstaubaktion zum Mitmachen
Die Idee ist ganz einfach: Immer wenn ich mich als Fußgänger
oder Radfahrer durch den Straßenverkehr bewege, setze ich eine
Feinstaub-Schutzmaske auf und ziehe eine Warnweste mit dem Slo-
gan „Feinstaub kann tödlich sein“ über - im Stil der Warnhinweise
auf Zigarettenschachteln. Diese Aktionsutensilien sollten zentral be-
schafft, bedruckt und zum Selbstkostenpreis an Interessierte abge-
geben werden. Auch für die Staubmasken ist eine zentrale Beschaf-
fung sinnvoll, da die Billigen aus dem Baumarkt nahezu wirkungslos
sind und die professionellen, kleinen und leichten Einwegmasken
der Schutzklasse „FFP3“, die problemlos in jede Tasche passen, nicht
überall erhältlich oder sehr teuer sind. Sie verringern die Feinstaub-
belastung in der Atemluft der TrägerIn auf einem Bruchteil und lie-
fern damit einen guten Grund, sich auch längerfristig an der Aktion
zu beteiligen und etwas Aufwand und Unannehmlichkeiten auf sich
zu nehmen.
Richtig wirksam wird diese Aktion dann, wenn tagtäglich zahlreiche
Leute so maskiert im Straßenverkehr auftauchen und wenn wir in
Gruppen bei passenden Lokalterminen oder sonstigen öffentlich-
keitswirksamen Veranstaltungen auftauchen. Aber auch als Einzel-
ner habe ich jede Menge Blicke geerntet, wie ich bei den ersten
Pilotversuchen im letzten Spätsommer erfahren habe. Die beste
Aktionszeit ist natürlich das Sommerhalbjahr, daher möchte ich alle
Interessierten aufrufen, bereits jetzt Aktionen zu planen und sich bei
mir zurückzumelden.
verkehr
Nr. 100/1.0924
Bis zur Hölle und zurück
Die Relativitätstheorie soll Albert
Einstein ja auf dem Fahrrad ein-
gefallen sein. Fahrradkuriere hingegen
bewegen Masse mit wenig Energie
und jeder Menge Geschwindigkeit von
einem Ort zum anderen. Insbesondere
in größeren Städten ist das Fahrrad
nicht nur die ökologischste, sondern
auch meist die schnellste Möglichkeit,
etwas zuzustellen.
Schon morgens, um kurz nach sechs,
sitzt André auf dem Rad unterwegs
zum Bahnhofskiosk. Dort ist er unter
den ersten Kunden. Nur wenige Minu-
ten später liegen die frisch gedruckten
Zeitungen in einer Medienagentur auf
dem Tisch. Jeden Tag fährt André diese
Tour, auch Sonntags. Es ist ein Job, den
man schon lieben muss. Doch André
ist mit viel Herzblut dabei.
Seit mehr als 13 Jahren ist André als
Fahrradkurier in Leipzig unterwegs, an-
fangs als einzelner Fahrer, mittlerweile
hat er mehr als ein Dutzend anderer
Fahrradkuriere um sich geschart und
mit LE Qrier eine eigene Firma. Tag
und Nacht, bei Wind und Wetter
wird gefahren. Das Motto der Firma
lautet: „Wir fahren bis zur Hölle, und
zurück.“
Besondere Voraussetzungen, um
Fahrradkurier zu werden, gibt es an
und für sich nicht. Dennoch ist es ein
anspruchsvoller Beruf. Wer nur bei
Sonnenschein unterwegs sein möchte,
hat es schwer mitzuhalten. Den Kurie-
ren, die schon länger dabei sind, merkt
man an, dass es ihnen Spaß macht,
an ihre Grenzen zu gehen. Gerade
die Freiheit und auch ein bisschen die
Revolte gegen die Straßenverkehrsord-
nung machen den Job spannend.
Wenn André von seinen morgend-
lichen Fahrten zurück ist, begibt er
sich in die Kurierzentrale, um Aufträge
per Telefon entgegenzunehmen. Die
meisten KundInnen buchen zwar
Sie rasen mit großen Rucksäcken auf Rennrädern zwischen FußgängerInnen und Autos hindurch und in der Stadt hängen sie jeden ab. Sebastian Vollnhals hat sich bei den Fahr-radkurieren in Leipzig umgesehen.
André ist seit 13 Jahren Fahr-radkurier in Leipzig und hat die Firma Le Qrier gegründet
Fotos: Le Qrier
Nr. 100/1.09
mittlerweile über das Internet, dennoch ist es gut, im Not-
fall auch immer einen Ansprechpartner zu haben. Vermittelt
werden die Aufträge mit modernster Technik. Jeder Kurier hat
ein iPhone dabei, die Aufträge werden in Sekunden per E-Mail
übermittelt, das Telefon zeigt an, wo es lang geht und was bei
Abholung und Auslieferung zu beachten ist. Der Rest funktio-
niert mit Muskelkraft.
Ist ein Auftrag beim Kurier angekommen, geht‘s los. Die
meisten Touren bewegen sich innerhalb des Stadtgebiets, oft
geht es um Strecken von ein oder zwei Kilometern. Doch auch
weitere Strecken, Fahrten ins Umland oder sogar bis nach
Dresden kommen vor.
Versendet wird eigentlich alles: Von Medikamenten, die
kranken KundInnen von der Apotheke direkt nach Hause
geschickt werden, über Akten und Druckvorlagen bis zum
kompletten Firmenessen in der Mittagspause. Auch unge-
wöhnliche Fahrten gibt es. „Einmal haben wir einem Brautpaar
den vergessenen Ehering zum Standesamt gebracht,“ erzählt
André. „Die Hochzeit konnte dann doch noch statt finden.“
Zur Zeit liefern Fahrradkuriere hauptsächlich kleinere Sen-
dungen mit geringem Gewicht aus. Dennoch sind auch
größere Lieferungen kein Problem. Wo die riesigen Umhänge-
taschen der FahrerInnen an ihre Grenzen stoßen, kommt das
Lastenrad zum Einsatz. Damit können 10 Getränkekisten trans-
portiert werden, erst ab einer Zuladung von mehr als 100 kg
müssten die Kuriere absagen - oder eben zweimal fahren.
25
verkehr
Allein im letzten halben Jahr haben die Fahrradkuriere aus
Leipzig mehr als 50.000 Kilometer zurückgelegt und dabei
gegenüber einem Transport per Auto über drei Tonnen CO2
eingespart. Mindestens, denn Autos können nicht einfach mal
eine Abkürzung durch Parks oder über Fußwege benutzen und
haben auch Dank kreativer Einbahnstraßenregelungen, Staus
und Parkplatzsuche immer einen längeren Weg. Doch nicht
nur im Spritverbrauch sind die Fahrräder den Autos weit über-
legen. Auch bei den Lärmemissionen, der einfachen Wartbar-
keit und dem Energieaufwand bei der Herstellung haben die
muskelbetriebenen Fahrzeuge die Nase vorn.
Das Fahrrad ist das Nahverkehrstransportmittel der Zukunft,
davon sind André und seine FahrerInnen fest überzeugt. Jede
fünfte Sendung wiegt weniger als fünf Kilogramm und könnte
ohne Auto transportiert werden, momentan passiert das aber
nicht einmal bei jeder fünfzigsten Sendung. Doch schon heute
legen Fahrradkuriere in Deutschland mehr als 17 Millionen
Kilometer im Jahr zurück und sparen damit eine Menge Treib-
stoff, Abgas und Lärm. „Das Rad“, meint Markus Schmädt,
einer der dienstälteren Fahrer in Andrés Rennstall, „gab es
schon vor dem Auto. Und es wird auch noch da sein, wenn
dieses Fossil längst ausgestorben ist.“
http://www.fahrradkuriere.de/
Sebastian Vollnhals arbeitet als Creativity Engineer in
Leipzig und ist Vorstandsmitglied bei ROBIN WOOD
Kontakt: leipzig@robinwood.de
Die Fahrradkuriere von LE Qrier in Leipzig
grü
ne b
eru
fe
verkehr
Nr. 100/1.0926
Folgt man den Debatten um das Auto der Zukunft, dann sind deutsche Fahrzeugherstel-ler auf dem besten Weg, einen klimafreundlichen Pkw zu produzieren. An der Diskussion fällt auf, dass es lediglich um neue Antriebe geht. Pfiffige Verkehrskonzepte und eine bürgernahe Stadtplanung drohen einmal mehr unter den Tisch zu fallen.
Hoch im Kurs steht das Elektroauto.
Mit dem Antrieb ohne Auspuff
versuchen die etablierten Autobauer
alle Funktionen des klassischen Sprit-
schluckers zu bedienen. So erreichen
die neuen „absolut emissionsfreien“
Fahrzeuge (Werbung BMW) Reich-
weiten von bis zu 250 Kilometern,
Geschwindigkeiten über 150 km/h und
die bewegte Karosse wiegt deutlich
über einer Tonne. Doch der Auspuff
der neuen Elektroautos ist der Schlot
alter Braunkohlekraftwerke.
Dank effizienter Technik sinkt der
Stromverbrauch in Industrie und Haus-
halten. Setzt sich diese Entwicklung
und der Ausbau erneuerbarer Energien
fort, könnten zügig AKW und alte
Braunkohlekraftwerke abgeschaltet
werden.
Die Energiekonzerne forcieren jedoch
eine gegenläufige Entwicklung. Ob-
wohl in der BRD deutlich mehr Strom
erzeugt als verbraucht wird, planen sie
immer neue Kohlekraftwerke. Die Stra-
tegie von RWE und Co: Wenn das An-
gebot erst einmal da ist, wird sich die
Nachfrage schon einstellen. Ein Weg
dazu sind Elektroautos. Umstrittene
Kraftwerke wie Moorburg würden
schlicht nicht gebraucht, schafften die
Stromkonzerne nicht neue Absatz-
märkte für ihren dreckigen Strom.
So ist Vattenfall in Berlin beispiels-
weise in ein Projekt eingestiegen, bei
dem 50 Minis mit Strom angetrieben
werden. 17 KW/h Strom verbrauchen
die Zweisitzer nach Herstellerangaben
auf 100 Kilometern. Wird für neue
E-Autos Moorburg-Strom produziert,
emittieren die Elektro-Zweisitzer 105
Gramm CO2 pro Kilometer. Diesen
Wert erreicht jedoch auch locker ein
sparsamer Verbrennungsmotor.
Ein zu Recht angekratztes Image
haben inzwischen so genannte Bio-
kraftstoffe. Bio ist an ihnen nichts!
Biologische Landwirtschaft verzichtet
auf chemische Gifte, gentechnische
Manipulationen und Kunstdünger -
ganz anders der Kraftstoff vom Acker.
12 Millionen Hektar Ackerfläche gibt
es in Deutschland. Die Fläche reicht
kaum aus, Gemüse, Getreide und
Futtermittel für den eigenen Bedarf
bereit zu stellen. Fünf Prozent des
ganz normalen Kraftstoffes werden
durch EU-Vorgaben bereits heute
durch pflanzliche Kraftstoffe ersetzt.
Um nur 16 Prozent des Rohölimportes
von 113 Mio. Tonnen durch Sprit vom
eigenen Feld zu gewinnen, müsste
die komplette deutsche Ackerfläche
ausschließlich mit Raps in industrieller
Landwirtschaft bestellt werden.
Aus dieser Rechnung geht hervor, dass
der Ackerdiesel anderswo herkommt:
Aus gerodeten Waldflächen, die mit
Monokulturen von Ölpalmen auf-
geforstet wurden. Häufig verfeuert
Biosprit damit wertvolle tropische
Wälder, die einmal CO2 aufgenommen
und abgepuffert haben.
Trotz Abwrackprämie und noch
schlechteren Beispielen in den USA:
Ein umweltfreundliches Auto wird es
nicht geben. Nicht mit Strom, nicht mit
Biosprit und auch nicht mit Wasser-
stoff. Gefragt sind vielmehr Konzepte,
die ein Leben mit wenig Auto ermögli-
chen. City-Maut, kostenloser Nah-
verkehr, eine Stadt der kurzen Wege
und Anreize für alle, die ohne Auto
leben wollen. Wo der Pkw zum Einsatz
kommt, sind leichte Autos, geteilte
Autos und intelligente Autos gefragt.
Neue Antriebe für sonst unveränderte
Spritschlucker sind die falsche Lösung.
Philipp Horstmann lebt als Umwelt-journalist in Dannenberg
Kontakt: 05861/985633umweltjournalismus@gmx.net
Mit Atomstrom auf vier Rädern
Ökostrom gibt es viel zu wenig - in Wahrheit fahren Elektroautos mit dem Strom aus Atom- und alten KohlekraftwerkenFoto: argus/Raupach
Nr. 100/1.09
verkehr
27
Weltweit kommen immer mehr Anforde-
rungen auf die Landwirtschaft zu. Sie soll
den größer werdenden Fleischkonsum be-
friedigen, die wachsende Weltbevölkerung
ernähren und nachwachsende Rohstoffe
zur Verfügung stellen. Zugleich führen
der Klimawandel und eine industrialisierte
Landwirtschaft dazu, dass in vielen Regi-
onen fruchtbare Böden verloren gehen.
Die Zeit der landwirtschaftlichen Überpro-
duktionen ist vorbei. Flächen zur Produktion
von Lebensmitteln konkurrieren längst mit
Flächen zur Produktion von pflanzlichen
Treibstoffen. Öl und Brot lassen sich so
vergleichen.
Ein Hektar entspricht der Größe eines
Sportplatzes von 100 x 100 Metern. Darauf
werden in konventioneller Landwirtschaft
etwa sieben Tonnen Weizen gewonnen,
aus denen ca. 10.000 Brote zu je 1 kg
gebacken werden können. Baut man statt
Nahrungsmitteln Agrar-Diesel an, so lassen
sich auf einem Hektar 1300 Liter Rapsöl
gewinnen. Für ein Liter Treibstoff wird so
viel Acker wie für acht Brote gebraucht.
Zugespitzt ausgedrückt, hat man die Wahl,
Wie viel Brote braucht ein Auto?einmal den Tank mit 45 Litern zu füllen
oder 346 Brote zu backen.
Ein Drittel der Fläche Deutschlands besteht
aus Ackerfläche. Rechnerisch stehen damit
jedem der 82 Mio. Einwohner 1400 m2
Ackerland zur Verfügung. Würde diese
Fläche nur mit Raps bestellt, ließe sich mit
dem Öl ein Autotank viermal füllen (182
Liter). Platz zum Anbau von Lebensmitteln
gäbe es nicht mehr.
Die Rechenbeispiele zeigen, dass das Pro-
blem vorrangig nicht darin besteht, was
getankt oder geladen wird, sondern wie
viel ein Pkw verbraucht.
Dass sich Autos mit geringem Verbrauch
herstellen lassen, hat Greenpeace bereits
in den 90er Jahren bewiesen. Mit ge-
ringem Entwicklungsaufwand ließ die
Umweltorganisation einen Renault-Twingo
so umbauen, dass sein Verbrauch auf drei
Liter/100 km reduziert wurde. Aufge-
griffen wurde diese Entwicklung freilich
nicht, die europäischen Autobauer haben
lieber Geländewagen für den Stadtverkehr
konstruiert.
Schrott mit PrämieMit der Verschrottungsprämie will die
Bundesregierung Anreize zum Kauf eines
Neuwagens schaffen. Besitzer eines min-
destens neun Jahre alten Autos bekommen
beim Kauf eines Neuwagens vom Staat
2500 € geschenkt.
Man mag sich fragen, warum ausgerech-
net Menschen, die sich einen Neuwagen
leisten können, mit knappen Steuergeldern
beschenkt werden. Der Umwelt nutzt die
Abwrackprämie jedenfalls nicht. Bis zu
20 Prozent aller Emissionen im Lebens-
zyklus eines Pkw entstehen bei dessen
Herstellung. Nennenswerte Fortschritte zur
Senkung des Benzinverbrauchs hat die
Autoindustrie in den letzten neun Jahren
nicht gemacht. Ein gebrauchter Diesel mit
nachgerüstetem Russfilter oder ein auf
Erdgas umgerüsteter Benziner ist weniger
umweltschädlich, als die Neuwagenvari-
ante mit Klimaanlage.
Geradezu absurd wird der allen Ernstes
Umweltprämie genannte Zuschuss aber,
wenn keine Rolle spielen soll, wie viel CO2
der Neuwagen ausstößt. Wer seinen Klein-
wagen verschrottet und einen neuen Jeep
mit einem Verbrauch von 15 Litern kauft,
erhält die „Umweltprämie“.
Foto: ecim/Pixelio
tropenwald
Nr. 100/1.0928
Eine der ölhaltigen Nutzpflanzen, die von Wissenschaftlern und Unternehmen als „Wunder-pflanze“ auf dem grünen Energiemarkt beworben wird, ist die Nuss Jatropha curcas. Ursprüng-lich aus Lateinamerika stammend, wird Jatropha bisher in vielen Ländern des Südens als Hecken-strauch genutzt, der vor Winderosion und wilden Tieren schützt. Die Samen der Pflanzen sind für Menschen und Tiere giftig, aber sie besitzen einen Ölgehalt von bis zu 30 Prozent und gelten da-her als bedeutende Rohstoffquelle: als „grünes Gold“ der OPEC oder in Europa als „Bio“-Diesel.
Der Mineralölkonzern BP bewirbt Jatropha als „fördernd für
Biodiesel“ und plant für Dezember die Einfuhr der ersten
1.000 Tonnen des Pflanzenöls nach Europa: Daimler sowie Air
New Zealand fahren die ersten Jatropha betriebenen Test-Fahr-
zeuge und die Universität Hohenheim sowie die GTZ erforschen
neue, ertragreichere Jatropha-Sorten in Indien, Mali und Mexiko.
Indien stellt offiziell 12 Mio. Hektar seiner Landesfläche für den
Anbau von Jatropha und indischer Buche zur Verfügung. Auf den
Philippinen, in Äthiopien und Tansania wurden riesige Plantagen
angelegt, obwohl Untersuchungen zu den Auswirkungen eines
großflächigen Anbaus bisher fehlen. Bei so viel Euphorie war es
nicht verwunderlich, dass im Oktober 2008 in Hamburg eine „Ja-
tropha World“- Konferenz stattfand, auf der sich Unternehmen,
Wissenschaft und Politik aus aller Welt versammelten, um über
die Möglichkeiten der „Wunderpflanze“ zu beraten.
Für Klaus Becker, Professor an der Universität Hohenheim
und Berater für Biodieselanlagen, sind es im Wesentlichen
zwei Punkte, die Jatropha zur „Wundernuss“ machen:
Zum einen stellt die Pflanze keine hohen Ansprüche an die
Fruchtbarkeit der Böden. Zum zweiten sind die Samen für
Mensch und Tier giftig, womit das Öl ausschließlich zur En-
ergienutzung eingesetzt werden kann. So würde eine Kon-
kurrenz zum Flächenanbau für Lebensmittel ausgeschlossen
– die Hauptkritik vieler NGOs und Verbraucherverbände am
Anbau von Energiepflanzen.
Bisher wurde Jatropha curcas nur als Heckenpflanze auf
anspruchslosen Böden gepflanzt, ihr großflächiger Anbau
für den Weltmarkt lohnt sich jedoch nur unter starkem
Einsatz von Wasser, Düngemitteln und Pestiziden. Zusätzlich
sind enorme Landflächen nötig, damit die Samen einen
ausreichenden Ertrag für „Bio“-Diesel erbringen. Allein in
Indien müssten nach Berichten der GTZ und des World-
watch Institute 38 Mio. Hektar mit ertragsreichen Plantagen
von Jatropha curcas bebaut werden, um einen Bedarf von
Jatropha – kein Wunder!
Jatropha-Projekt an Kenias Küste: Der ganze Stolz des Projektleiters ist die Baumschule mit jungen Jatropha-Pflanzen
Reife Jatropha-Frucht - das Öl wird aus den schwarzen Kernen gepresst
Wenn die Früchte gelb sind, können sie geerntet werden
29
tropenwald
20 Prozent Biodiesel-Beimischung in
2020 für Indien zu decken. Die benöti-
gte Landfläche überschreitet jedoch die
nutzbaren Anbauflächen Indiens, was zu
Folge hat, dass die Pflanze doch in klarer
Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion
stehen wird.
Da auch die Anbauländer um Landfläche
für den Anbau von Lebensmittel fürch-
ten, damit der steigende Agrardiesel-
Markt gedeckt werden kann, wird nach
möglichen „Ersatzflächen“ gesucht.
Dieses ist devastiertes, ungenutztes
Land oder „Ödland“, das nach Angabe
von einzelnen Wissenschaftlern und
Regierungen weltweit ausreichend zur
Verfügung stehen würde.
Land, das hier als ungenutzt deklariert
wird, ist für die lokale Bevölkerung oft
ihre einzige Lebensgrundlage, auf der sie
Subsistenzwirtschaft betreiben. Millionen
Landlosen und ziehende Hirtengemein-
schaften droht durch den großflächigen
Anbau von Agroenergiepflanzen der
Verlust ihrer Landflächen. Beispielsweise
ermöglicht das Gemeinrecht „Pancha-
yats“ Kleinbauern und Familien in Indien
seit Jahrhunderten das Land für den
Eigenanbau mit traditionellen Methoden
zu bewirtschaften. Da das Land selbst
nicht als Eigentum der Bauern bei den
Nr. 100/1.09
lokalen Behörden verzeichnet ist, er-
scheint es offiziell als ungenutztes Land.
Indien selbst stellt über 60 Mio. Hektar
seiner Landesfläche als „wasteland“ dar,
und auch in Afrika sollen drei Prozent
des gesamten Kontinents als ungenutzt
gelten. Neben den nicht verbrieften
Landnutzungsrechten können auch
andere Flächen zu dieser Kategorie ge-
rechnet werden: ungenutzte Weideflä-
chen, bereits abgeholzte und noch nicht
bepflanzte Regenwälder, oder die noch
verbliebenen Naturflächen - einschließ-
lich der Tropenwälder und Savannen.
Nichtregierungsorganisationen (NGO)
in Asien, Afrika und Südamerika
fürchten die Zerstörung der letzten
Naturflächen durch die weltweite Nach-
frage nach Biodiesel, sowie die Auswei-
tung von großflächigem Plantagenanbau
in ihren Ländern unter Einsatz von Dün-
gemitteln und gentechnisch veränderten
Pflanzen. Sie sehen die Ernährungs-
sicherheit, die Biodiversität, wertvolle
Ökosysteme (z.B. Savannen, Regenwäl-
der), Landrechte und kleinstrukturierte
Landwirtschaft sowie Gemeinrechte zur
Landnutzung in Gefahr.
Auch die EU gilt mit der Einführung
von Anreizen wie verbindlichen Beimi-
schungszielen, staatlich finanzierten
Beihilfen und Steuererleichterungen
als Mitverursacher des internationalen
Agrokraftstoff-Booms. Mehr als 200
NGO fordern daher ein Moratorium für
Fördermaßnahmen von Agroenergie
und Agrokraftstoffen in Europa. Damit
unterstützen sie die wachsende Zahl von
Aufrufen aus dem Süden, die vor den
wachsenden Agrokraftstoff-Monokul-
turen warnen. „Die Auswirkungen der
massiven, schnell wachsenden Investi-
tionen in Agrokraftstoffexpansion sind
irreversibel und nicht wieder gut zu
machen“, erklären sie.
Auch die aktuell entwickelten Nachhal-
tigkeitskriterien für Biodiesel betrachten
die NGO als Greenwashing. Und den
Schutz der Regenwälder als riesiges
Reservoir zur Aufnahme von Kohlen-
dioxid sehen sie durch Zertifikate nicht
garantiert, sondern vielmehr weiter
gefährdet. „Der Schaden, den diese Sys-
teme und Strategien verhindern sollen,
wird schon angerichtet sein, wenn sie in
Kraft treten“.
Heike Lipper ist in der Tropenwald-Fachgruppe von ROBIN WOOD aktiv
und untersucht seit Ende Dezember 2008 in Indien den
Anbau von Jatropha.tropenwald@robinwood.de
www.robinwood.de/tropenwald
Bauer mit seinerJatropha Ernte
Fotos: Peter Gerhardt/ROBIN WOOD
Jatropha als Heckenpflanze
Nr. 100/1.09
verkehr
30
Autobahn wird zur Fahrradstraße
Die Tour de Natur kritisiert den ge-
planten Bau der A44 als Symbol für
eine verfehlte Verkehrspolitik in Deutsch-
land. Wider besseren Wissens wird eine
Abkürzungsautobahn für den europä-
ischen Lkw-Verkehr projektiert, die den
Menschen und der Natur nur Lärm und
Abgase bringt. Axel Friedrich (Verkehrs-
experte und Schirmherr der Tour de
Natur 2008): „Der Kampf gegen den
Klimawandel verträgt sich nicht mit dem
Bau immer neuer Straßen. Eine weitere
Bedrohung ist der Verlust an biologischer
Vielfalt. Täglich verschwinden auf un-
serer Erde unwiederbringlich Arten, oft
verursacht durch den Verkehrswegebau.
Auch in Deutschland engt der Bau von
Straßen den Lebensraum von wildleben-
den Tieren immer weiter ein.“
Bis die Autobahn am 2. August für kurze
Zeit den RadlerInnen gehörte, musste
juristisch hart gekämpft werden. Erst am
Vortag war klar, dass das Demonstrati-
onsverbot der Genehmigungsbehörde
(Regierungspräsidium Gießen) vom Hes-
sischen Verwaltungsgerichtshof aufge-
hoben wurde. Vorausgegangen war ein
umfangreicher juristischer Schriftverkehr
zwischen der Genehmigungsbehörde,
den Gerichten und dem Anwalt der
Verkehrsinitiative. Es wurden zunächst
Verkehrssicherheitsgründe und dann das
Ferienende in Hessen als Verbotsgründe
angeführt. Beides Argumente, deren
schwache Basis für ein vier Kilometer
langes, isoliertes Autobahnteilstück mit
parallel befahrbarer Bundesstraße auch
dem Verwaltungsgerichtshof letztlich
nicht verborgen geblieben ist. Momen-
tan sind die vier Kilometer Autobahn le-
diglich eine luxuriöse Ortsumfahrung. In
nur einem der übrigen neun Abschnitte
der 64 km langen Trasse liegt bislang
Baurecht vor.
Die Fahrt auf der Autobahn wurde zum
– auch von den Medien beachteten – Er-
lebnis. Schon die Autobahnauffahrt war
mit vielen Transparenten verschönert. In
den beiden Tunnels wurde ausgiebig mit
Gesang und Fahrradklingeln die Akustik
getestet. Mit diesem Nachhall in den Oh-
ren verließen die RadlerInnen begeistert
die Autobahn.
Fazit: Das Urteil hat richtungsweisende
Züge. Nicht nur bei der jährlichen Fahr-
radsternfahrt in Berlin ist die Autobahn-
nutzung möglich. Mit entsprechender
Vorbereitung können Demonstrationen
direkt auf den Monumenten einer ver-
fehlten Verkehrspolitik stattfinden. Und
außerdem: Direkte Aktionen machen
Spaß! Unsere Aktion ist auch als Ermu-
tigung für viele spontane und bunte
Aktivitäten 2009 zu werten!
Klaus Schotte, langjähriges Mitglied
der ROBIN WOOD-Regionalgruppe
Kassel, beantwortet gerne Fragen
zum Urteil, kassel@robinwood.de
Eine besondere Aktion fand im Rahmen der Tour de Natur 2008 bei Hess. Lichtenau statt. Das bislang einzige befahrbare A44-Teilstück bei Walburg wurde für den Auto-verkehr komplett gesperrt. Dieser Sieg für das Demonstrationsrecht musste aller-dings gerichtlich hart erkämpft werden.
2002 erregte eine Klage des BUND
Hessen gegen ein Teilstück der A44
bundesweit Aufsehen. Das Bundes-
verwaltungsgericht verhängte einen
Baustopp aufgrund ungenügend
beachteter europäischer Naturschutz-
richtlinien. Erst im März 2008 erteilte
das Gericht dem Land Hessen unter
Auflagen die Baugenehmigung. Den-
noch wurden bundesweit bedeutsame
Erfolge für den Naturschutz erreicht.
Der BUND Hessen klagt stellvertretend
für die Aktionsgemeinschaft Verkehr
Nordhessen (AVN). In der AVN sind
ca. 25 Organisationen zusammen-
geschlossen, u.a. der BUND und die
ROBIN WOOD Regionalgruppe Kassel.
Die AVN propagiert weiter Alterna-
tiven zum Autobahnbau: Beibehal-
tung des Lkw-Durchfahrverbotes,
Reaktivierung der Schienenstrecke
Hess. Lichtenau - Eschwege und ggf.
der Bau von angepassten Ortsumfah-
rungen entlang der Bundesstraßen.
Die Tour de Natur ist eine Fahrraddemonstration für eine nachhaltige Verkehrspolitik und natürliche Lebensweise. Sie fand 2008 bereits zum 18. Mal statt
Nr. 100/1.09
Str
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energie
SaunaGerade an kalten Winterabenden wünscht man es sich
manchmal so richtig schön warm. Da darf es sogar mal heiß
werden – eine Sauna ist genau das Richtige. Am Besten ist es
da, wenn die Sauna gleich im Haus und ohne lange Wege und
umständliche Vorbereitungen zu erreichen ist. Angebote für
diese Anlagen gibt es in großem Umfang und vieles wirkt auf
den ersten Blick auch gar nicht teuer.
Dabei gehören Saunas zu den ganz großen Stromfressern. Als
Faustregel gilt, dass pro Kubikmeter Saunainnenraum eine
Leistung von 1 kW installiert werden muss. Selbst bei einer
sehr kleinen Sauna sind da schnell 8 bis 10 kW beisammen.
Pro Saunagang muss einschließlich dem unvermeidbaren Vor-
heizen mit rund 20 kWh Stromverbrauch gerechnet werden.
Wird die Sauna wöchentlich einmal genutzt, so kommen im
Jahr schnell 1000 kWh und mehr zusammen. Dadurch kann
sich die Stromrechnung für einen sparsamen Zweipersonen-
Haushalt schnell verdoppeln.
Entscheidend für den Energieverbrauch einer Sauna ist ihre
bauliche Ausführung. Gut gedämmte Saunen verbrauchen
deutlich weniger als schlecht gedämmte. Fragen Sie Ihren
Verkäufer! Aber auch das Nutzerverhalten spielt natürlich eine
Rolle. So sollten Sie die Sauna nicht unnötig früh anheizen und
nach der Benutzung gleich wieder abschalten.
Vielleicht ist es aber auch schön, auf die eigene Sauna zu
verzichten und sich mit Gleichgesinnten in einer öffentlichen
Sauna zu treffen.
Kaffee- und Espressomaschinen
Studien der Schweizer Agentur für Energieeffizienz zeigen,
dass Kaffee- und Espressomaschinen ähnlich hohe Energie-
verbräuche haben wie Kühlschränke oder Waschmaschinen,
nämlich 100 bis 400 kWh/Jahr. Davon werden rund 80 Pro-
zent für die Bereitschaft des Geräts also zum Betreiben der
Warmhalteplatte oder zum Vorwärmen der Tassen verwendet.
Insbesondere durch den umsichtigen Einsatz der Warmhal-
tefunktion der Geräte lässt sich daher der Energieverbrauch
deutlich eindämmen. Der altbekannte Tipp gilt daher immer
noch: Schalten sie die Warmhalteplatte so früh wie möglich
aus. Füllen Sie stattdessen den Kaffee in Thermoskannen um
oder verwenden sie Kaffeemaschinen mit Thermoskannen.
Nebenbei bleibt der Kaffee so auch schmackhafter.
Generell sollten Kaffeemaschinen abgeschaltet sein, wenn
sie nicht benutzt werden. Das ist im Haushalt häufig auch
der Fall. In Büros bleiben viele Maschinen aber sogar über
Nacht in Betrieb. Auch aus Brandschutzgründen ist das be-
denklich. Hier sollten Sie sich eine Zeitschaltuhr anschaffen.
Die schaltet nach Dienstschluss und am Wochenende die
Kaffeemaschine automatisch ab. Bei Espressomaschinen ist
diese Vorgehensweise allerdings nicht möglich, da nach dem
Ausschalten meistens noch automatische Reinigungsfunk-
tionen von der Maschine ausgeführt werden. Diese Reini-
gungsfunktion muss abgewartet werden, bevor das Gerät
ganz vom Netz getrennt werden kann. Viele Geräte werden
aber mit einer einstellbaren Abschaltautomatik angeboten.
Benutzen Sie diese Abschaltfunktion und stellen Sie sie auf
eine möglichst kurze Zeit ein.
Verschiedene Kaffee- und Espressomaschinen benötigen aber
auch für die Zubereitung des Kaffees selbst unterschiedlich
viel Strom. Eine Aufstellung besonders effizienter Geräte
finden Sie auf der Internet-Seite des Schweizerischen Projekts
„www.topten.ch“.
Werner Brinker, Darmstadt
31
Fotos: PIXELIO
energie
Nr. 100/1.0932
Die Geschichte des EPR (European
Pressurized Water Reactor) reicht
schon etwas länger zurück – Mitte
der 90er Jahre gab es beispielsweise
bereits konkrete Standortvorschläge
in Bayern bei Marienberg oder Viereth
am Main [1]. Mit den zunehmenden
Protesten gegen CASTOR-Transporte
und dem Skandal um verstrahlte
CASTOR-Behälter 1998 verschwanden
diese Pläne in der Schublade. Edmund
Stoiber kündigte im Juni 1998 an, in
Bayern würden keine weiteren Atom-
kraftwerke geplant. Der EPR existierte
also lange Zeit nur auf dem Papier
– das Kooperationsprojekt der deut-
schen Firma Siemens und der franzö-
sischen Framatome fand weltweit keine
Abnehmer.
Dies änderte sich 2003. In Finnland
wurde der Bau eines EPR-Reaktors mit
1600 Megawatt auf der Insel Olki-
luoto beschlossen, Betreiber ist die
Firma Teollisuuden Voima Oyj (TVO) [2].
Ursprünglich sollte der Reaktor Olkilu-
oto 3 im Jahr 2009 in Betrieb gehen.
Dieser Zeitplan ist längst aufgegeben,
die Baufirma Avera gibt inzwischen
2012 als mögliches Startdatum an [3].
Auch die Kosten, die ursprünglich auf
maximal 2,5 Milliarden Euro festgesetzt
waren, steigen: Inzwischen geht der
Betreiber von über fünf Milliarden Euro
aus. Und obwohl der AKW-Lieferant
Areva den Bau zum Festpreis über 3,2
Mrd. Euro anbot, hat die Firma nun das
Schiedsgericht der Internationalen Han-
delskammer angerufen, um einen Teil
der Mehrkosten auf den Betreiber TVO
abzuwälzen: Laut finnischen Medien
unter anderem mit der Begründung,
dass die finnische Strahlenschutzbe-
hörde übertriebene Sicherheitsauflagen
erlassen habe [4]. Im französischen
Flamanville, wo ein EPR gebaut wird,
gibt es ebenfalls Zeit- und Sicherheits-
probleme – die französische Atomauf-
sicht stoppte vor kurzem die Bauarbei-
ten aufgrund von Sicherheitsbedenken
bei der Konstruktion des Betonfunda-
ments.
Möglicherweise ereilt den EPR ein
ähnliches Schicksal wie schon so viele
Projekte der Atomindustrie für den
»Atomreaktor der Zukunft«. Erinnert
sei an den Schnellen Brüter in Kalkar
Die Nachricht machte 2003 Schlagzeilen: Nach langer Zeit ist wieder der Bau eines neuen Atomkraftwerks in einem westlichen Industrieland geplant. Ein Reaktor neuen Typs, der europäische Druckwasserreaktor EPR, soll auf der kleinen Insel Olkiluoto entstehen.
Die Uranminen sollen vor allem auf dem Gebiet der Saami in Lappland entstehen
Atomkraft in Finnland
AKW Loviisa im Süden Finnlands
Nr. 100/1.09
oder den Thorium-Hochtemperatur-Reaktor (THTR) in Hamm-
Uentrop – sie endeten als überteuerte Bauruinen, weil die
technischen Probleme eine Fertigstellung verhinderten.
Ebenfalls in Olkiluoto soll ein Endlager für hochradioaktiven
Atommüll entstehen. An beiden finnischen AKW-Standorten
(Olkiluoto und Loviisa) existieren bereits Lager für schwach-
und mittelradioaktiven Abfall. Trotz der Probleme am Standort
Olkiluoto wird in Finnland über den Bau von weiteren AKWs
diskutiert – ein vierter Block in Olkiluoto, ein dritter in Loviisa,
eventuell ein weiterer, für den die Standorte Ruotsinpyhtää,
Simo und Pyhäjoki im Gespräch sind. Den möchte die Firma
Fennovoima mit E.ON als größtem Anteilseigner bauen. Hierfür
soll ein Reaktor vom Typ AES-91 der russischen Firma Atomen-
ergoprojekt zum Einsatz kommen.
In Finnland befinden sich alle Atomkraftwerke direkt am Meer
und entnehmen hier ihr Kühlwasser. Schon heute ist die Ostsee
das am stärksten mit Radioaktivität belastete Meer der Welt
[5], in erster Linie verursacht durch die Kraftwerke in Schweden
und Finnland.
Neben dem weiterhin erklärten Willen der finnischen
Politik und der Energiekonzerne neue Atomkraftwerke zu
bauen, sind seit 2005 mehrere Projekte für neue Uranminen
in Finnland (und auch im Nachbarland Schweden) bekannt
geworden. Uranabbau gilt als der gefährlichste und schmut-
zigste Teil der Produktion von Atomstrom – so werden in vielen
europäischen Ländern zwar Atomkraftwerke betrieben, die
Folgen des Uranabbaus haben jedoch andere zu tragen. In
Deutschland existierte eine Uranmine in der ehemaligen DDR
am Standort Wismut – die Strahlenbelastung ist bis heute so
groß, dass eine Ausnahmeregelung für die Wismut-Region von
der deutschen Strahlenschutzverordnung existiert [6].
33
energie
Die meisten Uranminen befinden sich auf dem Gebiet indi-
gener Völker, etwa in Australien, in Kanada oder den USA.
Größere Bekanntheit erlangte die Auseinandersetzung um
die Mine Jabiluka im australischen Kakadu-Nationalpark. Die
Abbauarbeiten wurden 2002 nach jahrelangen Protesten
gestoppt. Ähnlich ist die Situation in Finnland – während viele
der geplanten Uranminen inzwischen wieder aufgegeben
wurden [7], befinden sich die übrigen Standorte meist im dünn
besiedelten Lappland auf dem Gebiet der Saami.
Im Sommer 2008 fand am Standort Olkiluoto ein internatio-
nales Camp von AtomkraftgegnerInnen statt. Im Oktober traf
man sich nahe Loviisa zum Nuclear weekEND. Am 19. Oktober
gab es eine kleine Demonstration zum Kraftwerk. Vor allem
aber dienten die Veranstaltungen mit Beteiligung aus Deutsch-
land, Israel, Russland, Schottland, England, Dänemark, Schwe-
den und Frankreich dazu, internationale Kontakte zu knüpfen
und den Widerstand zu stärken. Im Projekt Nuclear Heritage [8]
wird versucht, den internationalen Widerstand besser zu
vernetzen. Die AtomkraftgegnerInnen aus den verschiedenen
Ländern arbeiten an einem Wiki zum Thema mit.
[1] www.biu-hannover.de/atom/unsicher/teil3.htm
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Olkiluoto
[3] www.tvo.fi/www/page/2959
[4] www.tvo.fi/www/page/2975/ und www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/1/
akw-aufpreis-umstritten
[5] www.anti-atom-aktuell.de/archiv/186/186ostsee.html
[6] www.gfstrahlenschutz.de/docs/wismut.pdf
[7] www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,481431,00.html
[8] www.nuclear-heritage.net
Hanno Böck und Falk Beyer
Kontakt:hanno@hboeck.de
Protest gegen die finnische Atompolitik im Oktober 2008
Fotos: Hanno Böck
Nr. 100/1.0934
Radioaktive Gefahr durch ASSE II
Papierflut am Nikolaustag
Hamburg, 06.12.08: Mitten im vorweihnachtlichen Einkaufs-
gedränge am Möncke-Brunnen in der Hamburger Innenstadt:
Ein ansehnlicher Berg Papier versperrt den Weg und zwingt
den nicht abreißenden Strom an kauffiebrigen Hamburge-
rInnen in eine Ausweichkurve. Und mittendrin im Haufen aus
kurzlebigen Werbeprospekten kämpft ein Mann einsam gegen
die Papierfluten. Immer wieder verschwindet er unter den
Papiermassen. Doch er gibt nicht auf, taucht wieder auf und
versucht den auf ihn einstürzenden Werbepapieren zu trotzen.
Wohl an die vier Zentner Papier häuften sich dort in der
Fußgängerzone. Alles Werbeprospekte, die die Umwelt-
schützerInnen von ROBIN WOOD, der BUNDjugend und von
KonsuMensch in den vorangegangenen Monaten zuhause
aus ihren Briefkästen, Treppenhäusern und als Beilagen aus
ihren Zeitungen gesammelt hatten. Dreißig bis vierzig Kilo pro
Haushalt innerhalb eines halben Jahres – das ist die erschre-
ckende, wohl aber durchaus übliche Menge an Papier, das in
Foto: ROBIN WOOD/R. Fenner
Remlingen, 05.01.09: Anlässlich der Eröffnung der Infostelle ASSE
II des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) forderte ROBIN WOOD,
dass sofort umfassende Maßnahmen für eine Rückholung des
Atommülls beginnen müssten. Am 1. Januar hatte nach längeren
Auseinandersetzungen ein Betreiberwechsel stattgefunden. Nicht
mehr das Bundesforschungsministerium und das Helmholtz-Zen-
trum, sondern das Bundesumweltministerium und das BfS sind
nun zuständig für die atomaren Hinterlassenschaften in der ASSE.
Endlich soll auch das Atomrecht zur Anwendung kommen. ROBIN
WOOD begrüßt diese Maßnahmen, doch an den katastrophalen
Zuständen im Atommülllager hat sich bisher nichts geändert. Remlingen, 05.01.09
Hamburg, 06.12.08
den allermeisten Fällen ungelesen oder flüchtig durchgeblättert
direkt im Müll – bestenfalls im Altpapier – landet. Dass hier
enorme Mengen an Papier eingespart werden können, wenn
sich jedeR einzelne gegen diese Werbeflut aus Papier wehrt
– darauf verwiesen die UmweltschützerInnen am Info-Tisch
direkt neben dem verzweifelten Einzelkämpfer in den Papier-
fluten. Hier gab es auch die Aufkleber für die Haustür oder
den heimischen Briefkasten: „Bitte keine Werbung“ und viel-
leicht wichtiger noch: „Bitte keine Werbung oder kostenlose
Zeitungen einwerfen“. Denn wen die lokale Berichterstattung
in den kostenlosen Wochenblättern nicht interessiert, der muss
dies dem jeweiligen Zeitungsvertrieb oder den Austräge-
rInnen deutlich mitteilen, sonst bekommt er gnadenlos diese
Zeitungen in den Briefkasten, ins Treppenhaus oder vor die
Haustür geworfen. In einigen Regionen Hamburgs sind das bis
zu vier Anzeigenblätter pro Woche. Das wären dann noch mal
zusätzlich an die fünf Kilo Papier pro Haushalt und Halbjahr,
für die völlig unnötig Ressourcen verschwendet wurden.
35Nr. 100/1.09
Stromnetze in die öffentliche Hand!
Hamburg, 05.12.08: AktivistInnen von ROBIN WOOD und urge-
wald brachten RWE-Chef Jürgen Großmann wegen seiner verant-
wortungslosen AKW-Politik eine Rute und protestierten vor seiner
Dienstvilla in der Hamburger Elbchaussee mit dem Slogan „Kein
AKW im Erdbebengebiet – FingeR WEg von Belene“. RWE will
sich als Investor an dem umstrittenen bulgarischen Atomkraftwerk
Belene beteiligen. Wie schlecht dieses Geschäft fürs Image sein
wird zeigt, dass bereits etwa 20.000 Menschen schriftlich gegen die
Belene-Pläne von RWE protestiert haben. Neben der Rute brachte
ein als Nikolaus verkleideter Aktivist deshalb einen Karton voller Pro-
testbriefe mit. Umweltorganisationen in Deutschland und Bulgarien
engagieren sich seit Jahren gegen den Bau des AKW Belene. Bereits
1983 warnten sowjetische WissenschaftlerInnen vor dem Bau eines
Atomkraftwerks in dem stark erdbebengefährdeten Gebiet.
Berlin, 27.11.08: ROBIN WOOD, Attac und der Bund der
Energieverbraucher forderten die Bundesregierung auf, die
Hochspannungsnetze vollständig in die öffentliche Hand zu
überführen. Fast 10.000 Unterschriften mit dieser Forde-
rung übergaben VertreterInnen der drei Organisationen im
Bundeskanzleramt. Die Stromkonzerne haben auf Grund
ihrer Monopolstellung in den vergangenen Jahren die
Netzentgelte auf Kosten der VerbraucherInnen in die Höhe
getrieben, das Geld einkassiert und die Netze verrotten
lassen. Häufig schalten Eon und Co. einfach ganze Wind-
Parks ab mit der Begründung, das Stromnetz sei überlastet.
Damit der Ausbau der erneuerbaren Energien ungehindert
vorankommen kann, müssen die Stromnetze dringend
modernisiert und umgebaut werden. Daran haben die
Stromkonzerne aber keinerlei Interesse. Deshalb müssen ih-
nen die Netze aus der Hand genommen und in öffentliches
Eigentum überführt werden.
Nikolaus-Rute für RWE-Chef
Dresden, 19.12.08: ROBIN WOOD-AktivistInnen machten in
der Dresdner Innenstadt auf die Gefahren von Atomkraft und
Kohleverstromung aufmerksam und appellierten an die Bürge-
rInnen, zu einem Ökostromanbieter zu wechseln. In Schutzan-
zügen rollten sie Fässer mit Radioaktiv- und CO2-Zeichen vom
Hauptbahnhof über die Prager Straße bis auf die andere Elbseite
zum Albertplatz, andere trugen Gasmasken und verteilten Infos
an die PassantInnen. Die Dresdner Stadtwerke forderte ROBIN
WOOD auf, ihren Energiemix zu verbessern: mehr Strom aus er-
neuerbaren Energien, weniger Kohle, keine Atomenergie. ROBIN
WOOD hat ausführlich auf dem Ökostrom-Markt recherchiert
und empfiehlt zurzeit vier - bundesweit aktive - Ökostromanbie-
ter. Sie bieten zu 100 Prozent Ökostrom an, sind eigentumsrecht-
lich nicht mit Atom- und Kohlekonzernen verflochten und inves-
tieren in erneuerbare Energien, www.robinwood.de/oekostrom.
Auf Ökostrom umsteigen
Hamburg, 05.12.08
Berlin, 27.11.08
Dresden, 19.12.08
bündnisse
Nr. 100/1.0936
Die Umweltorganisation Arnika engagiert sich in Tschechien für eine Zukunft ohne Umwelt-gifte, für den Schutz der Natur und für lebendige Flüsse. Ein wichtige Aufgabe von Arnika ist es, BürgerInnen zu unterstützen, die selbst aktiv werden möchten. Der Verein ist seit 2007 Part-ner einer EU-Lernpartnerschaft mit Polen und Deutschland. Im Projekt „Lerne mehr, verbrauche bewusst“, das von ROBIN WOOD koordiniert wird, engagieren sich Katerina Režná und Martina Krcmárová von Arnika. Mit Katerina, Leiterin der Zentralkanzlei, sprach Angelika Krumm.
? Wie sieht deine Arbeit bei Arnika aus
und wie lange bist du schon dabei?
! Vor mehr als drei Jahre habe ich bei
Arnika als Koordinatorin des interna-
tionalen Elbe-Badetags für die Tsche-
chische Republik begonnen. Ich war
Leiterin des Naturschutzprogramms und
seit September 2007 bin ich in unserer
Zentralkanzlei angestellt.
Als Koordinatorin des Fundraisings habe
mich für ein Jahr um Spenden und
Beiträge von Mitgliedern gekümmert.
Jetzt bin ich Leiterin der Zentralkanzlei.
Ich koordiniere die Projekte und Arbeit
meiner KollegInnen und der engagier-
ten Mitglieder, um die Organisation zu-
sammenzuhalten. Das ist meine bisher
anspruchsvollste Aufgabe bei Arnika.
Von A wie Ausstellungen ausleihen über
M wie Magazin herausgeben bis Z wie
Zusammenarbeit unterstützen mich
drei KollegInnen in der Kanzlei. Also,
meine Arbeit für Arnika ist sehr vielsei-
tig und wirklich nie langweilig!
? Wie lange gibt es Arnika schon?
! 2001 hat sich Arnika aus einer an-
deren Umweltorganisation entwickelt.
Zurzeit habe ich etwa 14 KollegInnen.
Unsere Hauptstelle ist in Prag und
wir haben vier weitere Büros in den
Regionen Tschechiens. Arnika hat etwa
600 Mitglieder und 50 freiwillige Ak-
tive. Jedes Mitglied arbeitet ein halbes
Jahr in einem fünfköpfigen Vorstand.
Mein Halbjahr ist gerade zu Ende.
? Was sind eure wichtigsten Ziele?
! Wir arbeiten zu Naturschutz, Müll,
toxischen Schadstoffen und wir
unterstützen BürgerInnen dabei im
Umweltschutz aktiv zu werden. Unsere
Ziele sind ganz klar: eine Zukunft ohne
Gifte, gesunde Natur mit den Haupt-
themen Biodiversität und lebendige
Flüsse und aktive Bürger, die fähig
sind, eine gesunde Umwelt zu schüt-
zen – damit wir weniger Arbeit haben!
? Kannst du Ergebnisse aus einem
eurer Projekte vorstellen?
! Jedes Jahr erstellen wir für jede
Region eine Rangliste der größten Ver-
schmutzter. Diese Ranglisten errechnen
wir aus Daten Integrierter Verschmut-
zungsregister, die im Ministerium für
Umwelt veröffentlichet werden. Damit
ernten wir jedes Jahr Kritik von den
Betrieben. Aber einige Unternehmen
ändern danach ihre Technologie, damit
sie nächstes Jahr in unserer Ranglisten
nicht mehr erscheinen. Zum Beispiel
hat ein tschechischer Möbelhersteller
begonnen statt Kleber mit Formalde-
hyd Kleber auf Wasserbasis einzuset-
zen. Im letzten Jahr haben Industrie,
Handel und selbst das Ministerium
versucht, das Register einzuschränken.
Aber unsere Mühe und Lobbyarbeit
waren erfolgreich und das Register
wird wie bisher weiter geführt.
Wir engagieren uns auch gegen
Baumfällungen in den Städten und in
der Landschaft und haben schon mehr
als 1000 Bäume geschützt. Meistens
arbeiten wir mit einem lokalen Ver-
band zusammen. Aktuell haben aktive
BürgerInnen, unterstützt durch unser
Knowhow, 100 Bäume eines Parks
gerettet, weil der Supermarkt jetzt an
einer anderen Stelle gebaut wird. Viele
Beispiele zeigen, dass Ämter und Bau-
firmen oft Gesetze und Bestimmungen
nicht einhalten. Deshalb bemüht sich
Arnika um Beratung und Rechtsschutz.
? Welche Projekte hast du schon
durchgeführt?
! Ich habe zwei größere Projekte orga-
nisiert und viele kleinere. Im Rahmen
der Förderung durch die Europäische
Union war das Projekt „Natur gibt
Arbeit“ im Netz Natura 2000 und
LEADER integriert. Wir haben vier
Exkursionen für Unternehmer, NGOs
und Beamte angeboten. Das Ziel war
zu zeigen, dass auch in geschützten
Gebiete ein wirtschaftlicher Auf-
schwung möglich ist. Im Rahmen
dieses Projektes haben wir auch in
Umweltschutz grenzenlos
Katerina Režná leitet das Büro der tschechischen Umweltorganisation Arnika in Prag
Deutschland den Landkreis Uckermark
in Brandenburg besucht.
Das zweite größere Projekt war ein
„Wasserthema“. Wir arbeiten nicht
nur auf nationaler Ebene sondern auch
an internationalen Projekten mit. Beim
Thema Naturschutz arbeiten wir meis-
tens mit deutschen NGOs zusammen.
? Was habt ihr aus der internationalen
Zusammenarbeit gelernt? Was hat es
euch als Organisation und dir persön-
lich gebracht?
! Wir haben erfahren, dass die Zusam-
menarbeit nicht schwierig ist und dass
es unserer Arbeit hilft. Die Argumente,
wie: „Warum soll das in Tschechien
nicht gehen? Sehen Sie, in England/
Deutschland/Frankreich/usw. geht
es ganz gut. Warum nicht auch bei
uns?“ funktionieren immer noch. Der
Erfahrungsaustausch in europäischen
Projekten und internationalen Netzen
kann sehr effektiv sein.
Persönlich habe ich gelernt ein bisschen
toleranter und geduldiger zu sein. Auch
mein Englisch und Deutsch haben sich
verbessert. Jedenfalls habe ich jetzt
keine Bedenken mehr, wenn ich ins
Ausland telefonieren muss.
? Welchen Stand hat die Umweltbewe-
gung in Tschechien?
! Es gibt viele Umweltorganisationen
in Tschechien. Selbstverständlich die
großen internationalen wie Green-
peace und Freunde der Erde, aber auch
kleinere nationale wie Arnika. Wir
kooperieren, obwohl wir in Sachfragen
nicht immer übereinstimmen. Die wich-
tigsten und größten Umweltorganisati-
onen sind in einer Assoziation „Grüner
Bezirk“ vereinigt.
Eine große Änderung hat sich mit der
letzten Wahl vollzogen – die Grüne
Partei ist zum ersten Mal in das Par-
lament eingezogen und gleich an der
Regierung beteiligt. Das war ein großer
Erfolg. Die Frage ist, ob sie diesen
Erfolg wiederholen können.
Sonst würde ich sagen, dass sich die
Umweltbewegung in Tschechien nicht
37Nr. 100/1.09
Im Sommer 2008 traf sich Katerina mit den Part-nerInnenn des EU Lernpartner-schafts-Projekts in Wroclaw
Lerne mehr,
verbrauche bewusst
Jedes Jahr wird weltweit etwa vier
Prozent mehr Papier verbraucht, wobei
es regional große Unterschiede gibt.
Um mehr über den unterschiedlichen
Umgang mit Papier in anderen Län-
dern zu erfahren, engagiert sich ROBIN
WOOD seit 2007 in einem EU Lernpart-
nerschaftsprojekt „Lerne mehr, verbrau-
che bewusst“. Weil uns die Meinung
der Menschen interessiert, haben wir
insgesamt 1597 Erwachsene in Polen,
Tschechien und Deutschland über ihren
Umgang mit Papier befragt und die
Ergebnisse ausgewertet. Bemerkenswert
ist, dass die meisten Menschen sich in
Medien und Ausstellungen aber auch bei
Weiterbildungen informieren möchten.
Bereits fünf Monate vor Ende des Pro-
jekts schätzen alle Partner ein, dass der
Erfahrungsaustausch für sie sehr wertvoll
gewesen ist. Die in einer Handreichung
zusammengefassten Ergebnisse können
auch anderen Bildungseinrichtungen
Anregungen geben, das Thema Papier
beispielhaft in ihre Arbeit zu integrieren.
Die Auswertung der Umfrage finden
Sie im Internet unter www.robinwood.
de/papier. Wir bedanken uns für Ihre
Unterstützung bei der Umfrage.
Für weitere Informationen wenden Sie
sich bitte an die Projektkoordinatorin
Angelika Krumm, Tel.: 03332/25 20- 10,
E-Mail: papier@robinwood.de
von denen in anderen europäischen
Ländern unterscheidet - mit allen Vor-
und Nachteilen. Und das finde ich gut.
? Was sind die drängendsten Pro-
bleme?
! Als drängendstes Problem sehe ich
bei uns die Unfähigkeit der Beamten
und Politiker, mit den BürgerInnen
ehrlich zu diskutieren und zu zuhören.
Daraus entwickeln sich viele Probleme.
Die Beamten und Politiker verstehen
sich oft noch als Feudalherren.
Sehr bedenklich ist auch die Entwick-
lung der ländlichen Regionen Tsche-
chiens. Während der kommunistischen
Ära haben wir die Beziehung zum
Land, zur Landschaft verloren. Jetzt gibt
es viele sehr große landwirtschaftliche
Betriebe, deren Arbeit unsere Land-
schaft mehr schädigt als pflegt. Und die
Probleme mit dem Mangel an Wasser in
der Landschaft, Erosion, Zersiedlung der
Landschaft, schlechte Waldwirtschaft
gehen Hand in Hand. Aber darüber
könnte ich sehr lange sprechen.
Aber etwas hat sich auch zum besseren
gewandelt: Hausmüll ist langsam ein
großes Thema geworden und mehr und
mehr Leute sortieren ihren Abfall. Wir
wollen die Menschen informieren und
weiter motivieren selbst recyclte Pro-
dukte zu benutzen. Dabei helfen uns
der Erfahrungsaustausch und die Mate-
rialien im EU Lernpartnerschaftsprojekt
„Lerne mehr, verbrauche bewusst“.
Also, es ist nicht nur alles schwarz…
bündnisse
44 Nr. 100/1.09
Biokost und Ökokult
Als ich begann, das Buch zu lesen, tat ich dies mit einer
großen Portion Skepsis. Maxeiner und Miersch waren
für mich kein unbeschriebenes Blatt. Ich kannte ihre kritische
Haltung zu Umweltthemen aus verschiedenen Medien. Nicht
selten staunte ich, um mich nach eingehender Recherche vom
Gegenteil ihrer Darstellung zu überzeugen. Doch bei diesem
Buch kam es anders. Nachdem ich die Lektüre beiseite gelegt
hatte, kamen Zweifel in mir auf. Sollte ich tatsächlich einem
Wunschtraum gefolgt sein? Ist bio doch nicht so gut wie ich
dachte?
Bio nicht ökologisch
Bio schade dem Naturschutz und sei nicht ökologisch, ist eine
Schlussfolgerung, welche die LeserIn aus Maxeiners und Mier-
schs Buch ziehen könnte. Was sagen die ExpertInnen dazu?
Der Direktor des schweizerischen Forschungsinstituts für biolo-
gischen Landbau (FiBL), Dr. Urs Niggli, kann dem nur wider-
sprechen. Er spricht von „positiven Auswirkungen des Bioland-
baus auf die Bodenfruchtbarkeit, auf die Vielfalt von Pflanzen,
Tieren und Mikroorganismen im und auf dem Boden, auf
die Vielfalt der Betriebsstrukturen und der Landschaftsele-
mente, auf die Qualität des Grund- und Oberflächenwassers
sowie auf mögliche Klimaveränderungen“ und belegt dies
mit zahlreichen wissenschaftlichen Ergebnissen. Demnach
stoßen Biobetriebe pro Ertragseinheit weniger Klimagase
aus und betreiben beispielsweise durch die Reduzierung von
Pestiziden und Nitraten aktiven Umweltschutz. Die biologische
Landwirtschaft sei bisher die beste Strategie, wenn es um die
Verbindung von Produktivität, Ökologie und Vermeidung von
Umweltbelastungen gehe.
Weiterhin sehen die Autoren einen erhöhten Methangas-
Ausstoß bei der biologischen Tierhaltung. Das Ökoinstitut e.V.
zeigt jedoch in einer Studie, dass die Treibhausgasbilanz von
ökologisch erzeugtem Fleisch im Vergleich mit den anderen
Anbaumethoden etwas günstiger ausfällt.
Zugegeben, diese Aspekte waren mir auch vor der Recherche
zu diesem Artikel bekannt. Dennoch verunsicherten mich die
Ausführungen des Autorengespanns. Ich musste der Sache auf
den Grund gehen und fuhr mit meinen Nachforschungen fort.
Ökologisch erzeugte Produkte boomen: Bereits seit Jahren verzeichnet der Bio-Markt ein zweistelliges Wachstum. Grund genug die Biokost mal genauer zu betrachten. Stimmen die verbreiteten Vor- und Nachteile mit der Realität überein? Ist Bio gesünder als konventionell hergestellte Nahrung? Welche Anbaumethode ist für unsere Umwelt die Beste? Diese und weitere Fragen versucht das Autorenduo Dirk Maxeiner und Michael Miersch in ihrem 2008 erschienenen Buch „Biokost & Ökokult – Welches Essen ist wirklich gut für unsere Umwelt“ zu beantworten.
Nicht gesünder und nicht so sicher
„Biokost bietet keinerlei gesundheitlichen Vorteil“, behaup-
ten Maxeiner und Miersch. Die Stiftung Warentest spricht
dagegen davon, dass Biolebensmittel deutlich pestizidfreier
als konventionelle Lebensmittel seien. Daraus ergebe sich ein
klarer gesundheitlicher Vorteil. Die AutorInnen einer Studie des
Öko-Instituts e.V. bescheinigen der biologischen Ernährungs-
weise bedeutend geringere Risiken.
Das FiBL hat zu diesem Thema die gesamte weltweite Fach-
literatur verglichen, die zu folgenden übereinstimmenden
Ergebnisse kommen: „Pflanzliche Bioprodukte
> enthalten deutlich weniger wertmindernde Inhaltsstoffe
(Pestizide, Nitrate). Dies beeinflusst die ernährungsphysiolo-
gische Qualität positiv.
> sind bezüglich pathogener Stoffe (Mykotoxine, Kolibakte-
rien) genauso sicher wie konventionelle Produkte.
> weisen tendenziell höhere Gehalte an Vitamin C auf.
> zeigen eine Tendenz zu überdurchschnittlichen Geschmacks-
werten.
> weisen höhere Gehalte an gesundheitsfördernden sekun-
dären Pflanzeninhaltsstoffen auf“.
Laut Niggli beschäftigte sich eine umfangreiche Studie der EU
mit der Qualität von tierischen Lebensmitteln. Danach weist
Biomilch 15 bis 80 Prozent mehr an wertvollen Vitaminen A
und E sowie 40 bis 90 Prozent höhere Gehalte an mehrfach
ungesättigten Fettsäuren (Omega 3 und CLA) auf.
„Biologische Schädlingsbekämpfung ist ökologisch proble-
matischer als moderne Pestizide“, behaupten Maxeiners und
Mierschs weiter in ihrem Buch. Beispielhaft führen sie die
Problematik der moldawischen Schlupfwespe (Trichogramma
brassicae) an, die heimische Schlupfwespen verdränge und
Schmetterlinge befalle. Eine Studie des EU-Projekts Evaluating
Environmental Risks of Biological Control Introductions into
Europe (ERBIC) gibt jedoch Entwarnung.
Veraltete und esoterische Anbaumethode
Entgegen Maxeiners und Mierschs Behauptung stellt der
Öko-landbau nach Niggli keine veraltete Anbaumethode
Foto: Boscolo/pixelio
Nr. 100/1.09
Nick Meendermann absolviert ein Praktikum bei ROBIN
WOOD und studiert Landschaftsnutzung
und Naturschutz in Eberswalde
dar. Es handle sich vielmehr um „eine produktive, auf dem
neuesten Stand der agronomischen, agrarökologischen und
technischen Forschung basierenden Landwirtschaftsmethode“.
Dazu sieht das Autorenduo den Biolandbau von anthroposo-
phischen Lebensphilosophien und Denkweisen beherrscht. In
der Tat ist der Anthroposoph Rudolf Steiner einer der Pioniere
des ökologischen Landbaus im deutschsprachigen Raum. Bis
heute werden seine Anregungen, darunter auch esoterische
Praktiken, zumindest in einigen bio-dynamisch (Demeter)
wirtschaftenden Betrieben angewandt. In Deutschland gibt
es ungefähr 18.000 Ökobetriebe. Davon produzieren circa
1300 nach Demeter-Kriterien. Demzufolge könnten anthropo-
sophische Lebensphilosophien und Denkweisen maximal bei
sieben Prozent aller Biobetriebe eine Rolle spielen.
Gentechnik-Lobbyisten?
Schenkt man den Aussagen von Nobelpreisträger Professor
Norman Borlaug Glauben, so würde eine globale Umstellung
auf Biolandbau ca. 75 Prozent mehr landwirtschaftliche Fläche
benötigen. Dies bedeute eine Bedrohung für Tropenwälder
und Naturschutzgebiete. Wenn ein Agrarwissenschaftler, der
zudem Nobelpreisträger ist, derartiges behauptet, dann muss
es der Wahrheit sehr nahe kommen, dachte ich. Doch wer ist
dieser Mann?
Nach einigem Recherche-Aufwand wurde ich schließlich
fündig. Ungefähr ein Vierteljahr vor Erscheinen von „Biokost
und Ökokult“, publizierte ein gewisser Alex A. Avery „Die
Wahrheit über Bio-Lebensmittel“. Avery ist Forschungs- und
Ausbildungsleiter des Center for Global Food Issues des Hud-
son Instituts (CGFI) in den USA. Die Treuhänder (Monsanto,
Syngenta, Pfizer u.a.) und Vorsitzenden (z.B. Dow AgroS-
ciences, DuPont, Merck & Co.), die im Jahresbericht 2003
gelistet sind, lassen große Zweifel an einer unabhängigen
Arbeit ohne wirtschaftliche Interessen aufkommen. Monsanto
beispielsweise ist Weltmarktführer bei der Herstellung von
gentechnisch verändertem Saatgut und von Pestiziden.
Lobbywatch sieht in Avery einen Gentechnik-Lobbyisten.
Das CGFI, welches von Monsanto gesponsert wurde, stellte
eine Unterschriftenliste für Hochertragslandwirtschaft ins
Internet. Unter den Unterzeichnern ist auch Professor Borlaug.
Der TvR Medienverlag, bei dem Averys Buch erschien, zitiert
Professor Borlaug wie folgt: „Das Buch liefert den Konsu-
menten durchdachte und präzise Erklärungen, weshalb Bio-
Food keine wirklichen gesundheitlichen und Sicherheitsvorteile
bringt.“
„Auf der Basis des aktuellen Stands der Technik des Bioland-
baus stimmt die Aussage von Norman Borlaug nicht […].“,
schreibt Niggli (FiBL). „Vielmehr ist davon auszugehen, dass
sich die Ernährungssituation in ländlichen Gebieten des Sü-
dens, wo 850 Millionen hungernde Menschen leben, verbes-
sern würde. In Ländern mit intensiver Landwirtschaft würde
die Produktivität etwas zurückgehen, aber bei weitem nicht
so dramatisch, wie dies gewisse Fachleute vorhersagen.“ Der
Biolandbau habe noch ein enormes Innovationspotential, das
im Bereich der Pflanzen- und Tierzucht, des biologischen Pflan-
zenschutzes, der Gesundheitsprävention der Nutztiere oder
der noch effizienteren Nutzung der Nährstoffe aus Gründün-
gung und tierischen Düngern liege.
Borlaug ist nicht der einzige der von Maxeiner und Miersch zi-
tierten Experten. Obendrein kommt Avery zu Wort, der mei-
nen mittlerweile gewachsenen Fahndungsdrang nur mehr be-
flügelte. Von da an konzentrierte ich meine Recherchen auf
die Experten und die Autoren selbst.
Neben Prof. Borlaug stehen auch Maxeiner und Miersch auf
der Unterschriftenliste des CGFI. Auf einer Internetseite der
Autoren kündigt Miersch Alex Averys Buch an. Laut ihrem Le-
benslauf arbeiteten beide für das Umweltmagazin „Change“
der Firma Hoechst, das dem Greenwashing des Chemieko-
nzerns dienen sollte. Nachdem dieser mit anderen Firmen
fusionierte, entstand der Pharmakonzern Sanofi Aventis.
Auch einige andere Quellen werfen kein gutes Licht auf
die Seriosität von Maxeiner und Miersch. Der Pharma- und
Toxikologe Professor Helmut Greim erteilte falsche Gutachten
und steht im Verdacht ausschließlich industriefreundlich zu
handeln. Vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2008 war
er Vorsitzender des bei der Gesellschaft Deutscher Chemiker
(GDCh) angesiedelten Beratergremiums für Altstoffe (BUA).
In diesem Gremium sitzen unter anderem auch Vertreter von
Bayer und BASF.
Ähnlich verhält es sich mit Professor Beda Stadler: Die Weltwo-
che beschreibt ihn als den „provokativsten Ketzer gegen jede
Form von bio, alternativ und gentechfrei.“ In seinem Lebens-
lauf gibt es Hinweise auf Kontakte zu Monsanto, Pfizer und
einem Hang zur Grünen Gentechnik. Stadler sitzt im Stiftungs-
rat von Gen Suisse. Finanziert wird die Stiftung von Pharma-
konzernen wie Novartis, Roche und Merck Serono. Außerdem
gehört auch er zu den Unterzeichnern der Unterschriftenliste
für Hochertragslandwirtschaft. Ferner ist er Autor des Buches
„Gene an die Gabel - Das erste GVO-Kochbuch der Welt“.
Zusammen genommen könnten diese scheinbar zufälligen
Verbindungen zwischen Maxeiner, Miersch und den Experten
die generell positive Einstellung gegenüber der Gentechnik
und der Hochertragslandwirtschaft seitens der beiden Autoren
erklären. Denn das ist der eigentliche Tenor dieses geschickt
assoziativ und spekulativ geschriebenen Buches: Setzt auf die
Gentechnik und treibt die Hochertragslandwirtschaft voran.
Ein vollständiges Quellenverzeichnis und weitere Informationen finden
Sie unter: www.robinwood.de/german/magazin
45
40 Nr. 100/1.09
VertreterInnen von Industrie und Kapital schreiben sich in den Ministerien ihre eigenen Gesetze. Unter dem Deckmantel der politischen Fachberatung gerät das Gemeinwohl unter die Räder von Konzernen und Verbänden.
Siegeszug Lobbyismus: Die Fraport AG beschäftigt nicht nur den Lärmschutzbeauftragten des Landes, sondern hat Mitarbeiter im Bundesverkehrsministerium, im hessischen Landtag und bei der hessischen Flugaufsicht postiert
bücher
Foto: Fraport AG
Wenn die Gesetze vom Parlament
gemacht, von der Regierung
durchgesetzt und dem Rechtssystem
überwacht werden, dann nennt man das
eine Demokratie. Ein System allerdings,
in dem sich Industriekonzerne, Wirt-
schaftsverbände und andere Lobbyor-
ganisationen mit freundlicher Einladung
der Politik ihre Gesetze selbst schreiben,
nennt man Klientelismus! In einem
solchen System leben wir momentan,
das macht das Buch „Der gekaufte
Staat“ von Sascha Adamek und Kim
Otto deutlich. Beide Journalisten sind für
das investigative ARD-Magazin Monitor
tätig. In ihrem Enthüllungsbuch decken
sie die zwielichtigen Tätigkeiten von
Lobbyisten an der Grenze der demokra-
tischen Legitimität in Deutschland und
den EU-Institutionen auf.
Bananenrepublik Deutschland
Im Normalfall versorgt der Lobbyist
die politischen Akteure mit wichtigen
Informationen hinsichtlich der Interes-
sen, Anliegen und Bedenken der großen
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Verbände. Wirtschafts- und Verbands-
lobbyisten verfügen oftmals über de-
tailliertes Fachwissen, das zur Entschei-
dungsfindung bei gesetzgeberischen
Handlungen positiv beitragen kann.
Allerdings gilt es dabei stets zu beach-
ten, dass die Kenntnisse dieser Vertreter
stets die wirtschaftlichen Einzelinteressen
vertreten. Die politischen Verantwort-
lichen – die qua Amt das Interesse der
politischen Gemeinschaft als Ganzes zu
vertreten haben – müssen hingegen die
wirtschaftliche Argumentation der Lob-
byisten im Sinne des gesellschaftlichen
Wohls abwägen und die Konsequenzen
daraus für den politischen Entschei-
dungsprozess ziehen.
Um den Informationsfluss zwischen
Politik und Wirtschaft zu verbessern,
berief die rot-grüne Bundesregierung im
Oktober 2004 ein Personalaustausch-
programm namens „Seitenwechsel“ ein.
Im Rahmen dieses Programms sollten
Vertreter aus der freien Wirtschaft, Ver-
41Nr. 100/1.09
bücher
Kim Otto, Sascha Adamek
Der gekaufte Staat
Wie bezahlte Konzernvertreter in
deutschen Ministerien sich ihre Ge-
setze selbst schreiben
Kiepenheuer & Witsch, 2008
aktualisierte Neuauflage als
Taschenbuch ab 20.04.09
336 Seiten, 8,95 Euro
ISBN: 978-3-462-04099-9
bänden und anderen Interessengruppen
zeitlich befristet in Ministerien arbeiten
und dort ihr Fachwissen einbringen.
Zugleich sollen Ministerialbeamte und
Angestellte der politischen Institu-
tionen ebenfalls zeitweilig die Seite
wechseln und sich mit den Prozessen
der freien Wirtschaft in den Konzernen
und Verbänden vertraut machen. Das
Bundesprogramm nahmen zahlreiche
Konzerne und Wirtschaftsorganisationen
mit Begeisterung an und entsendeten
mehr als 100 Konzernvertreter in die
obersten Bundesbehörden. Im Gegenzug
waren lediglich zwei Hand voll Beamte in
den Konzernen und Verbänden, um dort
Erfahrungen zu sammeln.
Das Delikate an „Seitenwechsel“ be-
steht in der Lohnfortzahlung durch die
entsendenden Organe. Ein entsandter
Angestellter, der im Rahmen des Aus-
tauschprogramms in einem Ministerium
seinen Arbeitsplatz bezieht, erhält sein
Salär also weiterhin von seinem Konzern.
Wem seine Loyalität in diesem System
gilt, liegt auf der Hand. „Wes Brot ich
ess, des Lied ich sing!“
Wirklich fatal wird das Ganze aber, wenn
man bedenkt, dass diese „Leihbeamten“
einmalige Einblicke in ministeriumsin-
terne Belange erhalten, in verschlos-
senen Akten blättern können und die so
erhaltenen Informationen brühwarm an
ihre Geldgeber weiterreichen können.
Darüber hinaus schreiben Lobbyisten
inzwischen an Gesetzentwürfen mit, ent-
werfen Richtlinien und treiben Reformen
im eigenen Interesse voran. Dabei ist das
Lobbywesen eine Ausgeburt des neolibe-
ralen Staatsmodells, indem ein „schlan-
ker Staat“ seine Expertise „gesponsert“
bekommt. Das Wohl des Bürgers und
Otto-Normal-Verbrauchers spielt für die
edlen Spender aus der freien Wirtschaft
jedoch keine Rolle.
Der Lobbyismus befindet sich seit
einigen Jahren auf einem einzigartigen
Siegeszug. Von der Kommune bis zur
EU-Kommission, kaum eine politische
Ebene ist noch nicht von Lobbyisten
durchdrungen. Erschüttert begutachten
kann man dieses Vorgehen am Beispiel
des Betreibers des Großflughafens Frank-
furt, der Fraport AG. Nicht nur, dass
der Lärmschutzbeauftragte des Bundes-
landes ein Mitarbeiter des Flughafen-
betreibers ist. Nein, die Fraport-AG hat
auch noch einen Angestellten im Bun-
desverkehrsministerium, einen Mitarbei-
ter in der hessischen Staatskanzlei und
einen Beschäftigten in der hessischen
Flugaufsicht postiert. Hintergrund dieses
intensiven Engagements war das Tauzie-
hen um das hessische Luftlärmgesetz,
welches den Ausbau sowie die Start-
und Landezeiten des Frankfurter Groß-
flughafens zugunsten der umliegenden
Gemeinden beschränken sollte. Ergebnis
der langwierigen Verhandlungen war
stattdessen eine Gesetzesnovelle, die
dem Ausbau des Frankfurter Flughafens
kaum Grenzen setzt – dank der Fraport-
Vertreter in den Länder- und Bundesbe-
hörden. Die Kosten der vier abgestellten
Mitarbeiter waren daher sinnvolle
Zukunftsinvestitionen des Frankfurter
Flughafenbetreibers.
Dies ist nur eine von dutzenden Lobby-
attacken, die Adamek und Otto aufde-
cken. Egal ob Energie- oder Finanzpoli-
tik, Verkehrs- oder Gesundheitspolitik,
Verbraucherschutz oder öffentlicher
Dienst – die politische Bühne ist vom
Lobbyismus durchdrungen. In der EU-
Hauptstadt Brüssel tummeln sich nach
Expertenmeinungen zwischen 15.000
und 20.000 Lobbyisten. Das heißt, auf
jeden EU-Parlamentarier kommen fast 20
Lobbyisten. Wer will angesichts solcher
Zahlen noch von einem demokratischen
Prinzip sprechen?
Lobbyismus heißt aber nicht nur, Mit-
arbeiter zu entsenden, sondern auch
Vertreter der politischen Klasse für sich
zu gewinnen und diese für sich arbei-
ten und argumentieren zu lassen. Auch
hierbei sind die Wirtschaftsverbände
und Großkonzerne indessen höchst
erfolgreich. Außer Acht lassen sollte man
dabei nicht die vielen kleinen Gefällig-
keiten, die Konzerne und Verbände den
Bundestagsabgeordneten gewähren.
Bestes Beispiel ist die kostenfreie Bahn-
card 100, die allen Bundestagsabge-
ordneten das Reisen mit der Deutschen
Bahn zum Nulltarif erlaubt. Auf diese
Weise erkauft sich Bahnchef Hartmut
Mehdorn jeden Tag das Wohlwollen un-
serer Parlamentarier, die das Geschäfts-
gebaren der Bahn dafür geflissentlich
ignorieren.
Die Berliner Journalisten Adamek und
Otto haben mit diesem Buch die ideale
Vorlage für eine längst überfällige ge-
sellschaftspolitische Auseinandersetzung
geschrieben, die die Machenschaften
von Lobbyisten in höchsten Regie-
rungsämtern schonungslos aufdeckt.
Während im politischen Alltagsgeschäft
Konzerne und Interessensverbände in
den Ministerien an vorderster Front
an Gesetzen mitarbeiten, verlieren die
Interessen der Bürger immer mehr an
Relevanz. Sie möchten das alles nicht
glauben? Sie meinen, dieser Ausverkauf
demokratischer Grundregeln kann in
diesem Staate nicht System sein. Nun,
überzeugen sie sich selbst und lesen
„Der gekaufte Staat“.
Thomas Hummitzsch, Berlin
Mehr zum Thema unter http://www.
lobbycontrol.de oder http://www.keine-
lobbyisten-in-ministerien.de
42 Nr. 100/1.09
bücher
Düstere Aussichten
Harald WelzerKlimakriege - Wofür im 21. Jahrhundert getötet wirdS. Fischer Verlag, 2008335 Seiten, 19,90 EuroISBN: 978-3-10-089433-2
Nick Meendermann, Eberswalde
Harald Welzers erschütterndes Buch
„Klimakriege - Wofür im 21. Jahrhun-
dert getötet wird“ zeigt den Zusam-
menhang zwischen Klimawandel und
Gewalt.
Anders als der Titel eventuell vermuten
lässt, beschränkt sich Welzer dabei
nicht auf übliche naturwissenschaft-
liche Ausführungen, sondern eröffnet
in erster Linie düstere sozio- und
psychologische Perspektiven. Das
setzt jedoch gewisse Grundkenntnisse
in Welzers Disziplin, der Soziopsy-
chologie, voraus. Doch gerade seine
überwiegend analytische Herange-
hensweise an Themen wie Gewalt,
Kriege, Flüchtlinge und Wahrneh-
mung, die beispielsweise am Hurrikan
Katrina, den Kriegen in Ruanda, Sudan
und Vietnam sowie dem Holocaust
verdeutlicht werden, macht die Zu-
sammenhänge sichtbar und das Buch
lesenswert.
Welzer sieht bei der Beschreibung
und Dimensionierung sozialer Folgen
des Klimawandels die Sozial- und
Kulturwissenschaften deutlich ver-
nachlässigt. Er beschreibt ökologische
Katastrophen als soziale, da letztlich
die Menschen darunter leiden würden.
Gewalt habe „eine große Zukunft
in diesem Jahrhundert“. „Es wird
nicht nur Massenmigrationen ge-
ben, sondern gewaltsame Lösungen
von Flüchtlingsproblemen, nicht nur
Spannungen um Wasser- oder Ab-
baurechte, sondern Ressourcenkriege,
nicht nur Religionskonflikte, sondern
Überzeugungskriege“. Auf eben diese
sich ökologisch wie sozial verändernde
Umwelt reagiere der Mensch mit einer
modifizierten Wahrnehmung der
Probleme. So mache Töten auf einmal
Sinn, wenn einem die Psyche eine ge-
fühlte Bedrohung vor Augen führe.
Laut Welzer ist der Sudan der erste ge-
sicherte Fall eines kriegsgezeichneten
Landes, bei dem Klimaveränderungen
eine Ursache für Gewalt und Bürger-
krieg bilden.
Nach der Analyse mit zahlreichen
historischen Rückblicken und der
durchaus plausiblen Darstellung mög-
licher zukünftiger Szenarien, beendet
der Autor – mal abgesehen von den
nachfolgenden 57 Seiten Anhang mit
überwiegend Quellenangaben – sein
Werk mit zwei Schlusskapiteln.
Ersteres beschäftigt sich mit der Mög-
lichkeit eines kulturellen Wandels, der
einen Ausweg aus der Problematik des
unaufhörlichen Wachstums und des
grenzenlosen Konsums skizziert.
Das letzte Kapitel schildert Welzers
persönliche Perspektive: Die westliche
Kultur werde an den „globalen Gegen-
sätzlichkeiten“, verstärkt durch den
Klimawandel, scheitern.
Bleibt zu hoffen, dass er nicht recht
behält und wir Menschen uns und un-
ser Verhalten rechtzeitig ändern. Denn
im Gegensatz zum Autor glaube ich
sehr wohl an die Wirksamkeit kleiner
Schritte.
Der Krieg im Sudan hat auch ökologische UrsachenFoto: argus/Schwarzbach
strömungen
Nr. 100/1.09
Nick Meendermann macht ein Praktikum bei
ROBIN WOOD und studiert Landschaftsnut-
zung und Naturschutz in Eberswalde
Sudan: Der erste Klimakrieg?
Obwohl die Republik Sudan über reiche Bodenschätze wie
z.B. Öl, Erze und Gold verfügt, gehört sie zu den ärmsten und
zugleich am höchsten verschuldeten Ländern der Welt. Das
Auswärtige Amt beschreibt die Ernährungslage „vielerorts“ als
„besorgniserregend“.
Seit 1955 herrscht dort, mit Ausnahme zwischen den Jahren
1972 und 1983, Krieg. Mindestens drei Millionen Menschen
kamen dabei ums Leben. Nach der Unterzeichnung des Frie-
densabkommens 2005 sind die Kämpfe im südlichen Sudan
beigelegt. Dafür entbrannte 2003 Krieg im westsudanesischen
Darfur. Die Gesellschaft für bedrohte Völker schätzt die Zahl
der Toten dort auf bis zu 400.000 und spricht von erneutem
Völkermord seitens der Regierung. Rund zwei Mio. Menschen
seien gewaltsam aus ihren Dörfern vertrieben worden und drei
Mio. benötigten humanitäre Hilfe. Nach Schätzungen der UN
vom 1. Oktober 2008 handelt es sich sogar um fast 2,7 Mio.
Binnenflüchtlinge.
Laut UNEP, dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen,
haben Klimaveränderungen, einschließlich dramatischer Ver-
schiebungen der Niederschläge, zum Konflikt in Darfur (Sudan)
beigetragen. Gemäß UNDP, dem UN-Entwicklungsprogramm,
sagen Klimamodelle einen Temperaturanstieg für den sudane-
sischen Bundesstaat Nordkordofan um 1,5 °C zwischen 2030
und 2060 voraus. Gleichzeitig soll die Regenmenge um fünf
Prozent abnehmen. Dies hätte einen Rückgang der Getreide-
ernten um ca. 70 Prozent zur Folge. Angesichts der Tatsache,
dass etwa 75 Prozent der erwerbstätigen Sudanesen in der
Landwirtschaft beschäftigt sind, hätte diese Entwicklung fatale
Auswirkungen.
Weniger Niederschläge würden auch zu einer weiteren Aus-
dehnung der Wüsten führen (Desertifikation). Der vermehrt
ausbleibende Regen, die Überweidung der Grasflächen, die
Abholzung der Wälder und die daraus resultierende verstärkte
Erosion durch den Wind haben in den letzten 40 Jahren dazu
geführt, dass sich die Wüsten in manchen Regionen des
Landes um 100 Kilometer ausgebreitet haben.
43
Derzeitig kann das Klima jedoch nicht als alleiniger Kriegs-
grund im Sudan gesehen werden. Die Ursachen für ver-
gangene und gegenwärtige Konflikte sind vielfältig. Neben
ökologischen, politischen, religiösen, ethnischen und auch
ökonomischen Faktoren spielen historische Fehden, Streitig-
keiten um Land und Bodenschätze sowie großräumige Bevöl-
kerungsverschiebungen eine Rolle.
Fläche: 360 00 km² / 2,5 Mio. km² (größter Staat Afrikas)
Bevölkerung 2008: 82 Mio. / 38,5 Mio.
Hauptstadt: Berlin (3,4 Mio. Einwohner) / Khartum (8 Mio.)
Pro-Kopf-Einkommen 2006: 33500 US$/Jahr/ 1900 US$/Jahr
Lebenserwartung 2006: 79 / 58
Quellen: auswaertiges-amt.de
worldbank.org
Vergleich Deutschland/Sudan
Karte: wikipedia.de
Quellen und weitere Informationen:
auswaertiges-amt.de (Stand: Februar/Juli 2008)
gfbv.de (Stand: März 2007)
sudan-embassy.de (Zugriff: 22.10.08)
unsudanig.org (Darfur Humanitarian Profile No. 33)
postconflict.unep.ch (Sudan Post-Conflict Environmental Assessment,
Bericht Juni 2007)
unep.org (Jahresbericht 2007)
undp.org (Human Development Report 2007/2008)
Foto: Robson/pixelio
Klimamodelle prognostizieren für den Sudan stei-gende Temperaturen und weniger Regen
44 Nr. 100/1.09
Nummer 100/1.09
Magazin
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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Redaktion: Sabine Genz, Angelika Krumm, Annette
Littmeier, Nick Meendermann, Christian Offer, Regine
Richter, Dr. Christiane Weitzel (V.i.S.d.P.)
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Sei kein Frosch - Hilf uns!
Amphibien sind besonders von Veränderungen
ihrer Lebensräumen betroffen. Weltweit sind
ein Drittel der Arten vom Aussterben bedroht.
Ursachen sind der rasante Lebensraum-
schwund, Klimawandel und die großflächig
ausgebrachten Agrargifte. Hinzu kommt nun
auch noch der Chytrid-Pilz, der zu großflä-
chigen amphibienfreien Gebieten geführt hat.
WissenschaftlerInnen sprechen vom größten
Artensterben seit den Dinosauriern. Aber
es gibt die Chance zum Handeln und zum
Gegensteuern. Zahlreiche Beispiele motivieren
hierzu: Maßnahmen vom Ausheben eines ei-
genen Gartenteiches bis zum Beteiligen an der weltweiten Amphibien-
kampagne werden beschrieben und zur Nachahmung empfohlen.
Adressiert ist die Broschüre an alle, die an der Biologie sowie am Wert
der Amphibienvielfalt interessiert sind. Vor allem aber Zoopädagogen,
Umweltbildner und Lehrer können sich so auf den neuesten Stand der
Amphibiensituation sowie deren Schutz bringen. Zusätzlich zu diesem
Heft wurden Arbeitsblätter für den Unterricht entwickelt. Angelehnt
an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen bringen die Autoren
mit Hilfe vieler Beispiel Zusammenhänge der Bedrohungen aber auch
die wunderbare Vielfalt der Arten und Verhaltensweisen im Reich der
Lurche den LeserInnen nahe.
Jürgen Birtsch, Jürgen Wolter Sei kein Frosch- Hilf uns!Materialien und Hintergründe zum weltweiten Amphibien-sterben und was wir dagegen tun können 40 Seiten, 3,- Euro zzgl. Ver-sand
Bestelladresse:Stiftung ArtenschutzSentruper Str. 31548161 Münsterinfo@stiftung-artenschutz.de
45Nr. 100/1.09
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© R. Fenner
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Foto: Le Qrier, Leipzig
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