Spielarten des Physikalismus - TU Dresden

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1473

Spielarten des PhysikalismusSemantischer Physikalismus

Logischer Behaviorismus

Identitätstheorie

Funktionalismus

Anomaler Monismus

Repräsentationale Theorie des Geistes

Instrumentalismus

Eliminativer Materialismus

1474

Semantischer Physikalismus

Logischer Empirismus (Hempel, Carnap)

1475

Jeder Satz über mentale Phänomene ist

bedeutungsgleich mit einer Reihe von Sätzen, die von

physikalischen Phänomenen handeln.

1476

VerifikationsprinzipDer Gehalt (die Bedeutung) einer Aussage besteht in

der Menge der Beobachtungen, die für sie sprechen.

Beobachtbar sind letzten Endes nur physikalische Gegenstände

bzw. physikalische Eigenschaften.

1477

Der Gehalt (die Bedeutung) eines jeden sinnvollen

Satzes über mentale Phänomene ist daher äquivalent

mit derjenigen Menge von Beobachtungssätzen in

physikalischer Sprache, die wahr sein müssen, wenn

jener wahr wäre.

1478

Im besonderen haben zwei verschieden formulierte

Aussagen dann und nur dann dieselbe Bedeutung

oder denselben faktischen Inhalt, wenn sie unter

denselben Bedingungen beide wahr bzw. beide falsch

sind.

Carl Gustav Hempel: „The Logical Analysis of Psychology“

1479

Paul hat Zahnschmerzen.

=Paul jammert und hält sich die Wange.

Auf die Frage „Was hast du denn?“ antwortet Paul „Ich habe Zahnschmerzen.“

Bei genauerer Untersuchung zeigt sich, dass einer von Pauls Zähnen kariös

und der Nerv angegriffen ist.

Pauls Blutdruck und Reaktionsfähigkeit sind verändert.

In Pauls Zentralnervensystem spielen sich bestimmte charakteristische

Prozesse ab.

1480

Probleme

1481

Die These des semantischen Physikalismus ist nicht

korrekt, weil es nicht möglich ist, für alle Sätze über

mentale Phänomene bedeutungsgleiche Sätze zu

finden, in denen nur auf beobachtbares Verhalten

Bezug genommen wird.

1482

Angela möchte einen Schnaps trinken.

=Wenn Angela zuhause ist und sich ein Schnaps im

Kühlschrank befindet, holt sich Angela den Schnaps

aus dem Kühlschrank.

Wenn Angela im Restaurant ist, dann bestellt sich

Angela einen Schnaps.

Wenn man Angela einen Schnaps anbietet, nimmt sie

ihn sofort an.

1483

ProblemAngela holt sich einen Schnaps aus dem Kühlschrank

nur dann, wenn sie auch glaubt, dass sich im

Kühlschrank Schnaps befindet.

1484

Angela glaubt, dass im Kühlschrank Schnaps

steht.

=Wenn Angela zuhause ist und ein Schnaps im

Kühlschrank ist, holt sie sich den Schnaps aus

dem Kühlschrank.

1485

ProblemAngela holt sich den Schnaps aus dem Kühlschrank

nur dann, wenn sie einen Schnaps trinken möchte.

1486

Fazit

Es ist nicht möglich, Sätze über mentale Tatsachen

vollständig auf Sätze über physikalische Tatsachen zu

reduzieren.

Der semantische Physikalismus steht und fällt mit der

Konzeption von Bedeutung, die ihm zugrunde liegt

(Verifikationstheorie).

1487

Wittgensteins

Privatsprachenargument

1488

Die normative Sicht auf BedeutungEin Ausdruck kann nur dann eine Bedeutung besitzen,

wenn es für seine Anwendung Korrektheitsstandards

gibt, die festlegen, wann der Ausdruck richtig verwendet

wird und wann nicht.

1489

KorrektheitsstandardsDen Ausdruck „rot“ auf rote Dinge anzuwenden, ist

beispielsweise korrekt; ihn auf grüne oder blaue

Dinge anzuwenden, dagegen inkorrekt.

1490

Das Privatsprachenargument

1491

Stellen wir uns diesen Fall vor. Ich will über das

Wiederkehren einer gewissen Empfindung ein

Tagebuch führen. Dazu assoziiere ich sie mit dem

Zeichen ‚E‘ und schreibe in einen Kalender zu jedem

Tag, an dem ich die Empfindung habe, dieses Zeichen.

1492

Ich will zuerst bemerken, dass sich eine Definition des

Zeichens nicht aussprechen läßt. – Aber ich kann sie

doch mir selbst als eine Art hinweisende Definition

geben. ... ich spreche, oder schreibe das Zeichen, und

dabei konzentriere ich meine Aufmerksamkeit auf die

Empfindung ... Eine Definition dient ... dazu, die

Bedeutung eines Zeichens festzulegen. – Nun, das

geschieht eben durch das Konzentrieren der

Aufmerksamkeit; denn dadurch präge ich mir die

Verbindung des Zeichens mit der Empfindung ein.

1493

‚Ich präge sie mir ein‘ kann doch nur heißen: dieser

Vorgang bewirkt, daß ich mich in Zukunft richtig an

diese Verbindung erinnere. Aber in unserem Falle

habe ich ja kein Kriterium für die Richtigkeit. Man

möchte hier sagen: richtig ist, was immer mir als

richtig erscheinen wird. Und das heißt nur, daß hier

von ‚richtig‘ nicht geredet werden kann.

Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 258

1494

Für die Anwendung eines Ausdrucks muss es

öffentlich zugängliche Kriterien geben, da wir

ansonsten keine Korrektheitsstandards bilden

können, die uns sagen, wann der entsprechende

Ausdruck richtig bzw. falsch angewendet wird.

Prämisse 1: Die normative Sicht auf Bedeutung

1495

Wenn sich mentale Ausdrücke auf private, innere

Phänomene beziehen, von denen nur die jeweilige

Person selbst wissen kann, ob sie vorliegen oder

nicht, dann gäbe es für diese Ausdrücke keine

Korrektheitsstandards und auch keine richtigen oder

falschen Anwendungen.

Prämisse 2: Es gibt keine privaten Korrektheitsstandards

1496

Mentale Ausdrücke können sich nicht auf private,

innere Phänomene beziehen, von denen nur die

jeweilige Person selbst wissen kann, ob sie vorliegen

oder nicht.

Konklusion: Eine Privatsprache kann es nicht geben

1497

HinweisMit Privatsprache ist hier keine Sprache gemeint, die

eine einzelne Person (sozusagen „privat“) erfindet

oder spricht – wie der einsame Robinson auf seiner

Insel, sondern eine öffentliche Sprache, die so

funktioniert, dass sich mentale Ausdrücke auf innere

(„private“) Phänomene beziehen.

1498

ProblemDas Argument setzt eine bestimmte Konzeption von

Bedeutung voraus (Prämisse 1).

1499

Logischer Behaviorismus

1500

Gilbert Ryle (1900-1976)Ryle gilt als einer der Hauptvertreter des logischen

Behaviorismus. Ryle ist ein britischer Philosoph, der

in Oxford lehrte. Er hatte einen enormen Einfluss

auf die Entwicklung der analytischen Philosophie.

Innerhalb der Sprachphilosophie gilt er neben

Austin und dem späten Wittgenstein als ein

Vertreter der Ordinary-Language-Philosophy. Auf

dem Gebiet der Philosophie des Geistes gilt er als

einer der wichtigsten Kritiker des Dualismus.

„Systematically Misleading Expressions“ (1932); „Categories“ (1938); The Concept of Mind (1949);

Dilemmas (1954)

1501

Vermeintliche Berichte über mentale Zustände sind

nichts anderes als Verhaltensbeschreibungen.

Der logische Behaviorismus beinhaltet keine spezielle Position zu den

(zulässigen) Methoden der empirischen Psychologie, sondern eine

These zur Bedeutung mentaler Prädikate.

1502

Methodischer BehaviorismusIn der Psychologie war der Behaviorismus als

Reaktion auf die Probleme der Methode der

Introspektion entstanden. Introspektiven Berichten

fehlt das Merkmal der intersubjektiven

Überprüfbarkeit, weshalb sie abzulehnen sind.

Die Psychologie solle auf introspektive Berichte verzichten und statt

dessen das Verhalten mithilfe von Reiz-Reaktions-Mustern beschreiben.

1503

Logischer BehaviorismusParallel zu dieser methodologischen Forderung an die

empirische Psychologie entstand der philosophische

Behaviorismus. Dieser ist durch die Philosophie des

Logischen Empirismus geprägt, der ganz generell

unüberprüfbare Aussagen für sinnlos hält, und

speziell natürlich auch solche über das mentale

Innenleben qua Introspektion.

1504

Ich hoffe zu zeigen, dass [die offizielle Lehre] ganz und gar falsch

ist, nicht nur in Einzelheiten, sondern grundsätzlich. ... Sie

besteht aus einem einzigen großen Irrtum, einem Irrtum ganz

besonderer Art, nämlich einer Kategorienverwechslung. Sie stellt

die Tatsachen des Geisteslebens so dar, als gehörten sie zu

einem bestimmten logischen Typ oder einer Kategorie ...,

während sie in Wirklichkeit zu einer anderen gehören. Das

Dogma ist daher ein philosophischer Mythos.

Gilbert Ryle, The Concept of Mind

1505

Rylesche KategorienZwei Ausdrücke gehören zu derselben Kategorie,

wenn man den einen Ausdruck in allen Kontexten, in

denen seine Verwendung sinnvoll ist, durch den

anderen Ausdruck ersetzen kann und umgekehrt,

ohne dass Unsinn entsteht.

Substitutionskriterium

1506

These des DualismusMentale Ausdrücke beziehen sich auf verborgene

Ereignisse im Inneren oder im Geist eines Menschen.

Diese inneren (privaten) Ereignisse verursachen sein

Verhalten.

1507

These des Logischer BehaviorismusMentale Ausdrücke werden verwendet, um öffentlich

beobachtbare Handlungen auf eine spezifische Weise

zu charakterisieren und zu beschreiben. Geistige

Phänomene verursachen daher kein beobachtbares

Verhalten.

1508

KategorienverwechslungMentale Ausdrücke gehören zur Klasse von

Ausdrücken, mit denen wir (öffentlich beobachtbare)

Handlungen charakterisieren; sie gehören nicht zu

einer Klasse von Ausdrücken, mit denen wir über

innere Phänomene (geistige Handlungen) berichten.

1509

Wann ist eine Handlung intelligent?

Dualist: Eine Handlung ist intelligent, wenn sie durch eine

Überlegung verursacht wurde.

Behaviorist: Eine Handlung wird „intelligent“ genannt, wenn sie

richtig und erfolgreich ausgeführt wird, und wenn der

Handelnde fähig ist, in seinem Vorgehen Fehler zu entdecken

und auszumerzen, Erfolge zu wiederholen und zu vergrößern.

1510

Wann ist eine Handlung willentlich?

Dualist: Eine Handlung ist willentlich, wenn sie durch einen

Willensakt verursacht wurde.

Behaviorist: Eine Handlung wird „willentlich“ genannt, wenn der

Handelnde die Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die Handlung

richtig auszuführen und wenn er nicht durch äußere Umstände

von der richtigen Ausführung der Handlung abgehalten wurde.

1511

Fazit

Das Scheitern des methodologischen Behaviorismus

auf der einen Seite, und die Unmöglichkeit der

Reduktion mentaler Ausdrücke auf

Verhaltensausdrücke auf der anderen Seite führten

zum Ende des logischen Behaviorismus.

1512

Identitätstheorie

U.T. Place, J.J.C. Smart

1513

1514

Semantischer PhysikalismusDie Ausdrücke „M“ und „N“ sind synonym. Sie treffen

mit begrifflicher Notwendigkeit auf dieselben

Gegenstände zu.

1515

IdentitätstheorieDie Ausdrücke „M“ und „N“ sind nicht synonym,

sondern nomologisch koextensional. Es ist daher

nur eine kontingente Tatsache, dass sie auf dieselben

Gegenstände zutreffen.

1516

Identisch, aber nicht begrifflich

identisch?Die Identität mentaler Zustände mit physikalischen

Zuständen ist nicht eine Sache unserer Sprache, sie

ist eine Sache der Natur.

Kontra: semantischer Physikalismus, Wittgenstein, logischer

Behaviorismus

1517

Identitäten, die a posteriori sind,

müssen wir erst entdecken.

Wasser ist H2O.

Die Temperatur eines Gases ist identisch mit der mittleren kinetischen

Energie der Moleküle des Gases.

Blitze sind elektrische Entladungen.

1518

Die Identitätstheorie setzt nicht voraus, dass jeder

mentale Ausdruck in physikalischer Sprache definiert

werden kann.

1519

Scheineinwände

1520

Jeder, so ungebildet er auch sein mag, kann völlig

problemlos über seine Nachbilder oder Schmerzen

reden ...; trotzdem weiß er vielleicht nicht das

geringste über Neurophysiologie. ... Also können die

Dinge, über die wir sprechen, wenn wir unsere

Empfindungen beschreiben, keine Gehirnprozesse

sein.

Smart 1959

1521

In der Antike wusste man eine Menge über Wasser,

hatte aber keine Ahnung von H2O. Also kann Wasser

nicht mit H2O identisch sein.

Plausibel?

1522

Man kann sinnvollerweise von einer molekularen

Bewegung im Gehirn sagen, sie sei langsam oder

schnell, gerade oder kreisförmig, aber es ist nicht

sinnvoll, dies von der Erfahrung, etwas Gelbes zu

sehen, zu sagen.

Smart 1959

1523

Man kann von einem mentalen Zustand, der darin

besteht, einen stechenden Schmerz zu haben, nicht

sagen, dass er stechend ist; ebenso wenig sinnvoll

kann man sagen, dass ein gewisser Gehirnzustand

langsam oder schnell ist.

1524

Empfindungen sind privat, Gehirnprozesse sind

öffentlich. Wenn ich aufrichtig sage ‚Ich sehe ein gelb-

oranges Nachbild‘ und keinen sprachlichen Fehler

mache, dann kann ich mich nicht irren. Aber ich kann

mich in Bezug auf einen Gehirnprozess irren.

Smart 1959

1525

Genauso gut könnte man behaupten, dass ich zwar

fühlen kann, dass ein Gas eine Temperatur von ca.

27° C besitzt, nicht aber, dass die mittlere kinetische

Energie der Moleküle des Gases ca. 6,21 x 10-21 Joule

beträgt, woraus man nicht schließen kann, dass

Temperatur nicht identisch mit der mittleren

kinetischen Energie seiner Moleküle ist.

1526

Das Problem der

Multirealisierbarkeit mentaler

Zustände

1527

Ein bestimmter mentaler Zustand kann bei

verschiedenen Personen mit unterschiedlichen

neuronalen Zuständen korreliert sein.

1528

Die Korrelation zwischen mentalen und

Gehirnzuständen kann sich im Laufe des Lebens

dramatisch verändern.

1529

Die Neurophysiologie der meisten Tiere

unterscheidet sich von der unsrigen stark.

1530

Im Prinzip spricht nichts dagegen, sich Gehirne

vorzustellen, die nicht aus Nervenzellen sondern

z.B. aus Silizium-Chips bestehen.

1531

Es ist daher mehr als unwahrscheinlich, dass jedem

Typ eines mentalen Zustands genau ein Typ eines

neurophysiologischen Zustands entspricht.

1532

Fazit

Die Identitätstheorie setzt voraus, dass es

naturgesetzliche Korrelationen zwischen Typen von

mentalen Zuständen und Typen von Gehirnzuständen

gibt. Aber diese scheint es nicht zu geben!

1533

Funktionalismus

Ned Block, Jerry Fodor, Hilary Putnam

1534

Mentale Zustände sind funktionale Zustände.

1535

Was sind funktionale Zustände?Ein funktionaler Zustand ist dadurch definiert, dass er

auf einen bestimmten Input mit einem bestimmten

Output reagiert. Dies nennt man seine kausale Rolle.

1536

1537

1538

1539

Funktionale Zustände sind Zustände eines Systems,

die durch ihre kausale Rolle (also durch ihre Inputs

und Outputs) charakterisiert werden können. Ihre

Funktion (auf einen bestimmten Input mit einem

spezifischen Output zu reagieren), kann durchaus

unterschiedlich realisiert werden.

1540

Probleme

1541

Angenommen die chinesische Regierung führt ein groß

angelegtes Funktionalismusexperiment durch und gibt

jedem der 1,3 Milliarden Chinesen ein Funkgerät, mit dem

er andere Chinesen kontaktieren kann. Ein solches System

aus Menschen und Funkgeräten könnte zumindest für

kurze Zeit jeden funktionalen Zustand realisieren, den

auch ein Mensch realisieren kann. Es wäre aber

vollkommen absurd anzunehmen, dass ein solches System

mentale Zustände hätte.

1542

Seltsame RealisierungenEs könnte Systeme geben, die die gleiche funktionale

Architektur wie bewusste Menschen aufweisen, von

denen wir aber nicht sagen würden, dass sie ein

Bewusstsein hätten.

Der Funktionalismus geht zu weit.

1543

Zwar ist die Beschreibung der kausalen Rolle von

Schmerzerlebnissen wichtig für das Verständnis von

Schmerz, doch ein anderes Element scheint viel wichtiger

zu sein: das spezifische Schmerzerleben.

Die Tatsache, dass wir Schmerzen erleben – also sog.

Schmerzqualia haben – scheint durch eine funktionale

Beschreibungsweise nicht berücksichtigt werden zu

können.

1544

QualiaDer Funktionalismus kann Qualia (die Erlebnisgehalte

mentaler Zustände) nicht erklären.

Der Funktionalismus kann wichtige Aspekte des Mentalen nicht

erklären.

1545

Manche Menschen können Ulmen von Buchen nicht

unterscheiden. Sie wissen nur, dass es Bäume sind. Dies hat zur

Folge, dass bei diesen Personen die kausale Rolle des

Gedankens „Die Ulme ist ein Baum“ und die kausale Rolle des

Gedankens „Die Buche ist ein Baum“ die gleiche ist, weil sie nicht

differenziert darauf reagieren können. Trotzdem sind diese zwei

Gedanken unterschiedliche Gedanken.

Wenn aber Gedanken verschieden sein können, obwohl deren

funktionale Architektur die gleiche ist, dann können Gedanken

und funktionale Zustände nicht identisch sein.

1546

Externalismus„Gedanken sind nicht im Kopf.“ (Hilary Putnam)

Intentionale Zustände sind nicht funktional definiert, sondern

durch ihren Inhalt.

1547

Anomaler Monismus

Donald Davidson

1548

IdentitätstheorieJedes mentale Ereignis des Typs M ist mit einem

neuronalen Ereignis des Typs N a posteriori identisch.

1549

Anomaler MonismusJedes mentale Ereignis ist mit einem physikalischen

Ereignis – irgendeines Typs – a posteriori identisch.

1550

Davidson kommt zu seiner Position des anomalen

Monismus aufgrund von drei plausiblen, aber

scheinbar unvereinbaren Prinzipien.

1551

1 Leib-Seele-Interaktion

Mentale Ereignisse interagieren kausal mit physischen

Ereignissen, sie können einander verursachen.

1552

Diese Annahme hat eine hohe intuitive Plausibilität.

Sie entspricht den Vorstellungen unseres Alltags.

Angst (ein mentales Ereignis) kann eine Fluchtreaktion (ein

physisches Ereignis) verursachen.

Ein Tritt gegen das Schienbein (ein physikalisches Ereignis) kann

eine Schmerzempfindung (ein mentales Ereignis) verursachen.

1553

2 Gesetzescharakter von Kausalität

Ereignisse, die einander verursachen, fallen unter ein

striktes Naturgesetz.

1554

Seit der berühmten Kritik des Kausalbegriffs durch David

Hume wird von den meisten Autoren anerkannt, dass die

Rede von einer kausalen Beziehung nur dann (teilweise)

gerechtfertigt werden kann, wenn wir naturgesetzmäßige

Verallgemeinerungen finden, die zwischen Ursache und

Wirkung bestehen.

1555

3 Die Anomalität des Mentalen

Es gibt keine strikten Naturgesetze über mentale

Ereignisse.

1556

„Wenn jemand Hunger verspürt, dann isst er etwas.“

„Wenn jemandem ins Schienbein getreten wurde,

dann verspürt er Schmerz.“

Solche Gesetzmäßigkeiten haben aber nur einen eingeschränkten

Charakter (d.h. sie lassen vielerlei Ausnahmen zu). Sie können nie strikte

Naturgesetze wie etwa das Newton‘sche Fallgesetz sein.

1557

Diese Thesen scheinen unvereinbar

1 Mentale Ereignisse interagieren kausal mit

physischen Ereignissen.

2 Ereignisse, die einander verursachen, fallen unter

strikte Naturgesetze.

3 Es gibt keine strikten Naturgesetze zwischen

mentalen und physischen Ereignissen.

1558

Davidsons Lösung

1* Einzelne mentale Ereignisse interagieren kausal

als physische Ereignisse mit einzelnen physischen

Ereignissen.

2. Ereignistypen, die einander verursachen, fallen

unter strikte Naturgesetze.

3* Es gibt keine strikten Naturgesetze zwischen

mentalen und physischen Ereignistypen.

1559

Probleme

1560

Ist eine Token-Identität ohne eine Typen-Identität

überhaupt verständlich?

1561

Falls ein einzelnes physikalisches Ereignis n1 (Feuern

von Neuronen im Bereich xyz) identisch mit einem

einzelnen mentalen Ereignis m (spezifische

Blauwahrnehmung) ist, dann fällt dieses einzelne

physikalische Ereignis n1 als solches auch unter einem

mentalen Ereignistyp M (Blauwahrnehmungen).

1562

AnomalieEs ist möglich, dass ein anderes physikalisches

Ereignis n2, welches unter demselben physikalischen

Typ N wie n1 fällt (Feuern von Neuronen im Bereich

xyz), kein mentales Ereignis desselben Typus M

(Blauwahrnehmung) realisiert.

1563

Daraus folgt …All diejenigen physikalischen Ereignisse n1 bis nn, die

M realisieren, haben keine physikalische Eigenschaft

gemeinsam, denn sonst würden sie auch unter

denselben physikalischen Typ N fallen, was zur Typen-

Identität führt!

Plausibel?

1564

Supervenience

1565

... die von mir beschriebene Position ... lässt sich mit der

Auffassung vereinbaren, dass geistige Merkmale in

gewissem Sinne von physischen Merkmalen abhängig sind

oder über diesen supervenieren. Eine derartige

Supervenience ließe sich in dem Sinne auffassen, dass es

keine zwei Ereignisse geben kann, die in allen Hinsichten

physisch gleich, aber in einer geistigen Hinsicht

verschieden sind ... Supervenience dieser Art enthält nicht

Reduzierbarbeit durch ein Gesetz oder eine Definition.

Donald Davidson, „Mental Events“, (1970)

1566

Supervenienzlat. von super „über“, „zusätzlich“ und venire „kommen“

Eine Klasse von Eigenschaften M superveniert genau

dann über einer Klasse von Eigenschaften P, wenn es

nicht möglich ist, M zu ändern, ohne P zu ändern.

Keine psychischen Unterschiede ohne physische Unterschiede.

1567

El Grecos „Blick auf Toledo“ ... und eine perfekte Fälschung

1568

Problem

1569

Das Konzept der Supervenience benennt das

Problem, löst es aber nicht.

„It begs the question.“

1570

Die Repräsentationale Theorie

des Geistes (RTG)

1571

Jerry [Alan] Fodor (*1959)Jerry Fodor, einer der einflussreichsten Autoren in

der Philosophie des Geistes, hat ab etwa Mitte der

70er Jahre eine recht komplexe Theorie entwickelt,

die sehr viel avancierter als der Funktionalismus

oder der anomale Monismus ist und behauptet,

deren Hauptprobleme lösen zu können. Seine

Hauptthese besagt, dass das Denken ein Prozess

ist, der viele Ähnlichkeiten mit der Ausführung eines

Computerprogramms hat.

The Language of Thought (1975); The Modularity of Mind (1983); Psychosemantics. The Problem of

Meaning in the Philosophy of Mind (1987); A Theory of Content and Other Essays (1990)

1572

Die zentralen Thesen der RTG

1573

Repräsentationsthese (RT)Jemand befindet sich genau dann in einem

intentionalen psychischen Zustand des Typs A mit

dem Inhalt p, wenn er sich in einer funktionalen

Relation RA zu einer mentalen Repräsentation r

befindet, die die Bedeutung p hat.

1574

r1 r2 r3r4 r5

r6 r7 r8r9 r10

r11 r12 r13r14 r15

Überzeugungsspeicher Wünschespeicher Absichtenspeicher

RÜRW RA

Jerry glaubt, dass Raben schwarz sind.

(i) r3 hat die Bedeutung [[Raben sind schwarz]].(ii) Jerry befindet sich in der Relation RÜ zu r3(= r3 befindet sich in Jerrys Überzeugungsspeicher)

1575

These von der Sprache des Geistes

(LOT) Mentale Repräsentationen haben eine syntaktische

Struktur und eine Semantik.

1576

Computationsthese (CT)Die Kausalbeziehungen zwischen intentionalen

Zuständen beruhen auf Symbolverarbeitungsprozessen

über mentale Repräsentationen.

1577

Wer F(a) glaubt, glaubt

auch x F(x).

(i) Suche im Überzeugungsspeicher eine

Repräsentation der Form F(a).

(ii) Überprüfe, ob sich eine

Repräsentation der Form x F(x) im

Überzeugungsspeicher befindet.

(iii) Falls ja, gehe zu (i).

(iv) Falls nein, schreibe die

Repräsentation x F(x) in den

Überzeugungsspeicher und gehe dann

zu (i).

Wenn jemand p und

<wenn p, dann q> glaubt,

dann glaubt er auch q.

(i) Suche im Überzeugungsspeicher eine

Repräsentation der Form p.

(ii) Überprüfe, ob sich eine

Repräsentation der Form <wenn p, dann

q> im Überzeugungsspeicher befindet.

(iii) Falls nein, gehe zu (i).

(iv) Falls ja, schreibe die Repräsentation q

in den Überzeugungsspeicher und gehe

dann zu (i).

1578

Probleme

1579

Das chinesische Zimmer

John R. Searle

1580

Stellen Sie sich vor, Sie wären in ein Zimmer

eingesperrt, in dem mehrere Körbe mit chinesischen

Symbolen stehen. Und stellen Sie sich vor, dass Sie

(wie ich) kein Wort Chinesisch verstehen, dass Ihnen

allerdings ein auf Deutsch verfasstes Regelwerk für

die Handhabung dieser chinesischen Symbole

gegeben worden wäre. Die Regeln geben rein formal

... an, was mit den Symbolen gemacht werden soll.

1581

Eine solche Regel mag lauten: ‚Nimm ein Kritzel-

Kratzel-Zeichen aus Korb 1 und lege es neben ein

Schnörkel-Schnarkel-Zeichen aus Korb 2.‘ Nehmen wir

nun an, dass irgendwelche anderen Chinesischen

Symbole in das Zimmer gereicht werden, und dass

Ihnen noch zusätzliche Regeln dafür gegeben werden,

welche Chinesischen Symbole jeweils aus dem

Zimmer herauszureichen sind.

1582

Die hereingereichten Symbole werden von den

Leuten draußen ‚Fragen‘ genannt, und die Symbole,

die Sie dann aus dem Zimmer herausreichen,

‚Antworten‘ – aber dies geschieht ohne ihr Wissen.

Nehmen wir außerdem an, dass die Programme so

trefflich und ihre Ausführung so brav ist, dass Ihre

Antworten sich schon bald nicht mehr von denen

eines chinesischen Muttersprachlers unterscheiden

lassen.

John R. Searle, Geist, Gehirn und Wissenschaft, 1984

1583

Explizite Repräsentationen?

Daniel C. Dennett

1584

Der These [(CT)] zufolge sind mentale Prozesse

kausale Abfolgen von Transformationen mentaler

Repräsentationen. Daher müssen Vorkommnissen

propositionaler Einstellungen Vorkommnisse

mentaler Repräsentationen entsprechen ... [sonst] ist

die RTG schlicht falsch.

Jerry Fodor, Psychosemantics, 1987

1585

In einem Gespräch mit dem Entwickler von

Schachprogrammen hörte ich kürzlich die folgende

Kritik an einem Konkurrenzprogramm: ‚Es glaubt, dass

es seine Dame früh ins Spiel bringen muss‘. Damit

wird dem Programm auf sehr nützliche und

Vorhersagen ermöglichende Weise eine

propositionale Einstellung zugeschrieben ...

1586

Aber auf keiner der vielen Ebenen, auf denen in

diesem Programm etwas explizit repräsentiert wird,

gibt es ein explizites Vorkommnis einer

Repräsentation, die auch nur annähernd die gleiche

Bedeutung hätte wie der Satz ‚Ich sollte meine Dame

früh ins Spiel bringen‘.

Daniel C. Dennett, „A Cure for the Common Code“, 1978

1587

Instrumentalismus

Daniel Dennett

1588

Daniel Dennett (*1942)Dennett ist ein amerikanischer Philosoph und

Direktor des Zentrums für

Kognitionswissenschaften an der Tufts

University. Als Schüler von Gilbert Ryle

beschäftigt sich Dennett hauptsächlich mit der

Philosophie des Geistes und gilt heute als

einer der führenden Vertreter dieser Disziplin.

Content and Consciousness (1969); Brainstorms. Philosophical Essays on Mind and Psychology (1978); Elbow Room (1984); The Intentional Stance (1987); Consciousness Explained (1991); Kinds of Minds(1996); Brainchildren – Essays On Designing Minds (1998)

1589

Komplexe Systeme lassen sich verschieden

beschreiben, und zwar durch eine …

Physikalische Einstellung (physical stance)

Funktionale Einstellung (design stance)

Intentionale Einstellung (intentional stance)

1590

Man sagt in einem solchen Fall Verhalten voraus,

indem man dem System den Besitz gewisser

Informationen zuschreibt, von ihm annimmt, dass es

von gewissen Zielen geleitet wird, und sich dann auf

der Grundlage dieser Zuschreibungen und

Annahmen die vernünftigste und angemessenste

Handlung überlegt.

Dennett, Intentional Systems, 1971

1591

Dennetts InstrumentalismusEin Wesen hat dann intentionale Zustände, wenn sein

Verhalten in einer intentionalen Einstellung

vorhergesagt und erklärt werden kann.

1592

Tatsächliche Überzeugungen zu haben (to be a true

believer) heißt nicht anderes als ein intentionales

System zu sein, ein System dessen Verhalten

verlässlich und weitestgehend mit Hilfe der

intentionalen Strategie vorausgesagt werden kann.

Dennett, „True Believers. The Intentional Strategy and Why it

Works“, 1981

1593

Der Spagat zwischen

eliminativen Materialismus und

intentionalen Realismus

1594

(A) Es ist theoretisch möglich und empirisch

wahrscheinlich, dass es weder in der neuronalen

noch in der funktionalen Architektur des Gehirns

Strukturen gibt, die den intentionalen Zuständen

entsprechen, mit deren Hilfe wir auf der intentionalen

Ebene unser Verhalten voraussagen und erklären.

1595

(B) Es ist sinnvoll und sogar unvermeidlich, an der

intentionalen Strategie festzuhalten und intentionale

Zustände in einem gewissen Sinne für real zu halten.

1596

InstrumentalismusWir verwenden die intentionale Strategie aus pragmatischen

Gründen, wenn uns Verhaltenserklärungen und –voraussagen

auf der funktionalen oder der physikalischen Ebene nicht

zugänglich sind. Wir sind uns aber bewusst, dass die Annahme,

dass das Verhalten eines Menschen durch seine intentionalen

Zustände hervorgerufen wird, nichts weiter als eine nützliche

Fiktion ist, denn wir wissen ja, dass die wirklichen Ursachen

dieses Verhaltens auf der funktionalen und der physikalischen

Ebene zu suchen sind.

1597

Eliminativer Materialismus

Paul Churchland, Patricia Churchland, Steven Stich

1598

Das Theorieargument

(1) Die Alltagspsychologie hat

den Status einer Theorie und

ist damit grundsätzlich

falsifizierbar.Unser Glauben an mentale Zustände ist

genauso eine falsche Theorie, wie das

geozentrische Weltbild und wird genauso in der

Wissenschaftsentwicklung abgeschafft werden.

1599

Das Theorieargument

(2) Falls diese Theorie falsifiziert

wäre, könnte es sich

herausstellen, dass sich die

Begriffe der Alltagspsychologie

auf nichts beziehen.

Unser Glauben an mentale Zustände ist

genauso eine falsche Theorie, wie das

geozentrische Weltbild und wird genauso in der

Wissenschaftsentwicklung abgeschafft werden.

1600

Das Theorieargument

(3) Die Alltagspsychologie ist

eine schlechte und eine seit

2500 Jahren stagnierende

Theorie.Unser Glauben an mentale Zustände ist

genauso eine falsche Theorie, wie das

geozentrische Weltbild und wird genauso in der

Wissenschaftsentwicklung abgeschafft werden.

1601

Das Theorieargument

(4) Die sich rasant

entwickelnden

Neurowissenschaften können

schon jetzt kognitive

Fähigkeiten erklären, zu denen

die Alltagspsychologie keinen

Zugang hat.

Unser Glauben an mentale Zustände ist

genauso eine falsche Theorie, wie das

geozentrische Weltbild und wird genauso in der

Wissenschaftsentwicklung abgeschafft werden.

1602

Das Theorieargument

(5) Die Alltagspsychologie

gehört abgeschafftUnser Glauben an mentale Zustände ist

genauso eine falsche Theorie, wie das

geozentrische Weltbild und wird genauso in der

Wissenschaftsentwicklung abgeschafft werden.

1603

Probleme

1604

… if commonsense psychology were to collapse, that

would be, beyond comparison, the greatest

intellectual catastrophe in the history of our species.

Fodor 1987

1605

Größter anzunehmender UnfallDie Existenz von mentalen Zuständen ist zentral für

unser gesamtes Weltbild, weshalb es enorm starker

Argumente bedürfe, um deren Existenz erfolgreich zu

bestreiten.

1606

InkohärenzDa der Eliminativist seinen Thesen Bedeutung

zuspricht und sie für wahr und begründet hält, setzt

er implizit das voraus, was er eigentlich bestreiten will

– mentale Zustände.

1607

QualiaDa Qualia allgemein als Eigenschaften von mentalen

Zuständen angesehen werden, ist ihre Existenz nicht

mit dem Eliminativismus verträglich. Eliminative

Materialisten lehnen daher auch Qualia ab. Dies ist

problematisch, da die Existenz von Qualia

vollkommen offensichtlich zu sein scheint.

1608

Zusammenfassung

1609

PhysikalismusEs gibt nur physische Entitäten.

DualismusEs gibt sowohl physische als auch

psychische Entitäten.

IdealismusEs gibt nur psychische Entitäten.

SolipsismusEs gibt nur das, was in meinem

eigenen Geist existiert.

Das Leib-Seele-Problem

1610

DualismusProblem: Wie interagieren Leib und Seele?

Interaktionistischer DualismusGeist und Materie interagieren kausal miteinander.

Problem: Wie und wo können die beiden Substanzen interagieren?

Psychophysischer ParallelismusGeist und Materie interagieren nicht miteinander, sondern laufen in einer von Gott geschaffenen Synchronizität ab.

Problem: Gott als perfekter, anfänglicher Synchronisierer notwendig.

OkkasionalismusGeist und Materie interagieren nicht miteinander, sondern werden von Gott von Fall zu Fall aufeinander abgestimmt.

Problem: Gott als perfekter, unablässiger Synchronisierer notwendig.

EpiphänomenalismusZwar verursachen physische Phänomene mentale Phänomene, aber nicht umgekehrt.

Problem: Wie und wo wirkt Materie auf den Geist ein? Widerspricht den Erhaltungsgesetzen der Physik.

1611

PhysikalismusProblem: Wie lassen sich geistige Phänomene physikalisch erklären?

Semantischer Physikalismus/ BehaviorismusMentale Zustände sind lediglich Verhaltensbeschreibungen bzw. –dispositionen.

Problem: Mentale Zustände lassen sich nicht auf Verhaltensbeschreibungen reduzieren.

IdentitätstheorieMentale Zustände sind a posteriori identisch mit neuronalen Zuständen.

Problem: Mentaler Zustände können verschieden realisiert sein.

FunktionalismusMentale Zustände sind funktionale Zustände des „Gehirnautomaten“ und können unterschiedlich realisiert sein.

Problem: Wie können die „funktionslosen“ Eigenschaften mentaler Zustände (Qualia) erklärt werden?

Anomaler Monismus/ Supervenience-TheorieMentale Zustände basieren auf physikalischen Zuständen, lassen sich aber nicht aus diesen ableiten.

Problem: unbefriedigend

Instrumentalismus/ MaterialismusMentale Zustände gibt es nicht.

Problem: Die Leugnung des Phänomens löst unser Problem nicht und ist seinerseits nicht begründet.

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