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5 Texte, 3 davon eher Prosa, 2 eher Lyrik, inhaltlich: über einen Cafébesuch und was er bedeutet; über Heirats-, Liebes- und Sexualpraktiken; über den Humor eines Gatten; über die vermittelte Welt und das Problem der Nähe und Distanz, aufgezeigt am Beispiel des Dichters; über einen Streit anfangs um eine Pizza und schließlich um alles.
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S t e v e K u ß i n
erste 5 Miniaturen
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© 2012 Steve Kußin
- 2 -
Der Gewöhnte .................................................................................................... - 2 - Sammlung 1 ....................................................................................................... - 2 - Sein Humor ........................................................................................................ - 3 - Das Drama des Dichters .................................................................................... - 5 - 2- ......................................................................................................................... - 7 -
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DER GEWÖHNTE
Ich sitze im Fair-trade-Café.
Stacey kommt zu mir. Sie sieht ein bisschen aus wie diese eine Schauspielerin,
ich komm grad nicht auf ihren Namen, na ihr wisst schon, wen ich meine. Nur
jünger natürlich.
„Hier, dein Kaffee.“
Sie stellt den Kaffee ab: weiß, eineinhalb Löffel Zucker. Seit fünf Jahren
komme ich hierher und habe ihn nie anders getrunken. Seit viereinhalb Jahren
muss ich ihn nicht mehr bestellen, man kennt sich inzwischen. Vor drei Jahren
haben sie eine Laktose-Intoleranz bei mir festgestellt.
„Danke, Stacey. Hast du eine Minute?“
Das sage ich immer. Stacey setzt sich zu mir. Ihr Chef sieht das, er schaut auf
die Uhr, zwei Minuten gibt er uns, eine haben wir uns dadurch verdient, dass wir
die Bestellung eingespart haben, die andere macht ihn zu einem besseren
Menschen. Obwohl er ein Arsch ist, sagt Stacey, aber das kann ich nicht
beurteilen.
Wir reden. Es tut mir gut. Ich trinke Kaffee. Er schmeckt. Sie lächelt, ich freue
mich. Später werde ich wieder Magenkrämpfe haben und vielleicht ein bisschen
fiebern.
Was soll’s!
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SAMMLUNG 1 Lucas nimmt Leonie ihre Handtasche ab, denn sie ist zyklisch benachteiligt, wie er meint. Holga schreibt ein Liebesgedicht: Deine Augen leuchten, wie nur Sterne leuchten – außer deine Augen, die leuchten genauso. Der in flagranti Überführte erklärt seiner wutschnaubenden Freundin, er habe sie beide verwechselt, das läge an den ganzen Paralleluniversen, da komme er immer durcheinander. Die Braut bekommt, als sie den Unbekannten in der dritten Reihe sieht, Hinterzimmergedanken. Maik hat sein Beziehungsscript vergessen und fickt Michelle in den Po, dass es brennt. Der Bräutigam bekommt, als er die Unbekannte in der fünften Reihe sieht, Hinterzimmerhintergedanken, schreit und läuft davon. Helga findet Holgas Liebegedicht und sagt sich: Es ist zu spät für mich und Lyrik.
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SEIN HUMOR [Auszug aus „Reigen“]
Die Frau, die ihren Mann hasste und umbringen wollte, trat aus ihrem Versteck und zog dem weggetretenen Junkie die Spritze aus dem Arm. Das Blut klebte an der gebogenen Nadel und die Frau strahlte über das ganze Gesicht, als sie an das langsame und qualvolle Dahinscheiden ihres Gatten dachte. Natürlich würde sie ihn mit dieser Methode länger als nötig um sich haben, aber seinem Verfall beiwohnen zu dürfen, dachte sie, war alle weiteren Mühen wert. So verließ sie die Gasse und hoffte, dass der Verworfene AIDS hatte, und außerdem, weil sie ein guter Mensch war, dass Gott sich seiner erbarmen möge.
Im Übrigen hatte die Frau guten Grund, ihren Mann zu hassen. Nein, er hatte sie nicht geschlagen. Nein, er war ihr nicht untreu gewesen. Er hatte ihr auch keine Kinder oder Auslandskonten verschwiegen. Der Grund war schlicht und einfach der, dass sie ihn nicht mehr liebte und ihm die Schuld daran gab. Denn an ihr konnte es nicht liegen, schließlich war sie streng gläubig und nahm das „Bis dass der Tod euch scheide“ außerordentlich ernst. Sie war weiterhin gewissenhaft erzogen worden, man könnte auch sagen, dass ihre Erziehung, in der sehr viel Wert auf die Vermittlung von Verantwortungsbewusstsein und Treue gelegt worden war, allein den Gedanken absurd erscheinen ließ, sie hätte von sich aus aufhören können ihn zu lieben.
Doch hätte man diese Frau gefragt, was genau sie an ihrem Mann störe, sie hätte keine richtige Antwort geben können. Er war liebevoll wie sonst, zuvorkommend, aufmerksam, witzig – oh wie sie es hasste, seine Witze mit anhören zu müssen. Wie peinlich es ihr immer war, wenn sie beide in Gesellschaft waren und ihr Mann sich witzig gab, und die Anwesenden mehr aus Verlegenheit ihre schiefen Lächeln lächelten und die arme Frau, die an der Seite dieses Idioten stand, mitleidig anschauten. Dann fürchtete sie immer von ihren Kolleginnen und Freundinnen angesprochen zu werden, warum ihr Mann so komisch sei; doch nie kam eine und sagte etwas, stattdessen standen sie in ihren kleinen Grüppchen und wurden ganz schweigsam, wenn man sich dazustellte,
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und fingen dann gleich immer an von etwas ganz anderem zu reden. Doch sie mussten es gemerkt haben, sie alle, und auch er musste es gemerkt haben, so dumm konnte man doch nicht sein!, dachte die Frau. Er musste doch merken, wie unangenehm es ihr war, wenn er sie berührte. Wie unangenehm es ihr schon war, wenn er sich bloß in ihrer Nähe befand. Sie hatte es zwar nie direkt gesagt, aber so etwas musste man doch merken!
Darum musste sie ihn umbringen. Es gab gar keine andere Möglichkeit. Er hatte ihre Ehe zerstört, und sie durfte ihren Ruf und den ihrer Familie nicht gefährden, indem sie die Scheidung einreichte und damit an allem schuld gewesen sein soll. Es ging ihr gar nicht mehr darum, glücklich zu werden, diese Hoffnung hatte sie vor acht Jahren aufgegeben – sie wollte nur noch Rache. Auch wenn sie dabei das Risiko eingehen musste, sich selbst anzustecken. Aber dann wäre er der Schuldige, sie alle würden ihn des Fremdgehens bezichtigen, und wenn die Beschuldigungen nur lange genug anhielten, dann würde auch er irgendwann daran glauben! Sie selbst aber wäre die arme, von Liebe geblendete, unschuldige Betrogene, die ihren untreuen Ehemann, der früher stürbe!, bis zum Tode pflegen und unter Tränen am Totenbett auf seine Frage antworten würde: „Ich habe dir schon längst verziehen!“
Ja, das war eine Rolle, die ihr besser stünde als die jetzige. Dann, in einem Moment höchster Erregung, so wie sie nur phantasiereiche
Menschen kennen, die ausgehen jemanden umzubringen, stach sie sich, als sie allzu sehr mit der Spritze herumfuchtelte, die Nadel in die linke Hand. Sie ließ die Spritze sofort los, doch die Nadel hing weiter in der Hand und hatte sie sogar durchbohrt. Die Frau schrie auf, als sie sah, was sie angerichtet hatte, zog sich die Spritze aus der Hand, warf sie davon, verfluchte ihren Mann umso mehr, der schuld daran war, denn seinetwegen war sie hierhergekommen, und lief zur nächsten Haltestelle.
Als sie in der Notaufnahme saß und darauf wartete, behandelt zu werden, betete sie zum lieben Herrgott, den Leidgeprüften in der Gasse wenigstens vor schlimmen Krankheiten bewahrt zu haben.
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DAS DRAMA DES DICHTERS
Ach, wär ich nur ein Wandersmann,
der unbekümmert wandern kann,
dann zög ich aus und schriebe mir
die Weltenschönheit aufs Papier:
Ich könnte jeden Berg benennen,
vermöchte jeden Baum zu trennen
von allen sonst und wüsst sogar
die Namen aller Blumen da
auf jener Wiese, wo ich läge
und mir das Wort im Munde wäge.
Doch bin ich Dichter und schlag nach,
sodass ich keine Fehler mach.
Ach, wär ich doch ein Lebemann,
der frei sein Leben leben kann,
dann lebte ich in Saus und Braus
und feierte tagein, tagaus
mit fabelhaften Weggefährten,
die ich dann kennte, und wir lehrten
nicht Furcht vor Sünde, Rausch und Wahn,
doch lernten wir den Spaß daran.
Nur: Bin ich Dichter und erfrage
die Nacht der andern mir am Tage.
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Ach, wär ich doch ein Abenteurer,
so wär mir jeder Abend teurer,
denn vor mir lägen die Gefahren,
die ich gefahrenvoll erfahren
bemeistern würde, um am Ende
den Drachen totzumachen fände.
Als Dichter muss ich mich beschränken
jedoch aufs Abenteuerdenken.
Ja, führte ich eins dieser Leben,
vergäße ich den Reim als Bürde
und mancher Jux wär mir vergeben,
wenn ich zum Beispiel eine einzelne Zeile aus dem Korsett
von Rhythmik, Mode und Inhalt herausschneiden würde,
sodass mich die gesamte Dichterwelt des Sittenverfalls oder
Genies bezichtigen müsste:
Zum Beispiel: Krankes Krückenbein!
Doch will ich solch ein Dichter sein?
„Nein“, beschließe ich sonor.
„Ich bin Dichter, lacht nur über mich,
doch lacht nicht mit mir, ich lache nicht!
Ich stell es mir nur vor.“
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2-
Ich mag halt Pizza, am liebsten die mit Pilzen drauf, und darum hab ich mir eine
im Laden geholt, die wo mit Champignons drauf. Mama hat mir das Geld dafür
gegeben, weil ich eine 2 in Mathe hatte. Eine 2-. Dann waren dort die Jungs, aber
sonst war keiner da. Die sagten, sie wollen meine Pizza essen, aber die wollten
mich nur ärgern! Wenn ich die Pizza nicht hingeb, haben sie gesagt, bekomm ich
Haue. – Ich hab die Pizza aber nicht hingegeben, die war ja mir, die hab ich mir ja
verdient, und Mama hat sie bezahlt! Das hab ich ihnen auch gesagt! Da haben sie
mich dann geärgert: Zuerst haben sie mir den Weg zugesperrt, da konnte ich
nicht nach Hause. Dabei haben sie gesagt, dass ich ein Blödmann bin. – Doch
meine Pizza hab ich ihnen nicht gegeben. Dann wollte ich einen andren Weg
nehmen, aber da sind die wieder vor mich gegangen. Ich kann erst nach Hause,
wenn ich ihnen die Pizza geb, hat der Größte von ihnen gesagt. – Doch meine
Pizza wollt ich behalten, das war ja meine Pizza. Dann haben sie mich
rumgeschubst und einer hat meine Pizzaschachtel angefasst, aber ich hab ganz
sehr daran gezogen, bis sie wieder meine war. Da haben sie mich noch kräftiger
rumgeschubst, immer so hin und her, bis ich dann irgendwie auf den Boden
gefallen bin und mein Po wehtat. – Doch meine Pizza hab ich trotzdem nicht
losgelassen, jetzt erst recht nicht, das haben sie nun davon! Da hat dann wieder
der Große gesagt, dass ich nicht gleich heulen brauch, ich soll einfach die
verdammte Pizza hingeben, und dann hat er mich noch eine Memme oder so
genannt, ich weiß nicht mehr genau. Der kam sich mächtig stark vor, weil er so
groß war, so, wie ein Erwachsener. Er hat ein ganz grimmiges Gesicht gemacht,
damit ich Angst bekomme, und ich hatte auch ein bisschen Angst, ein bisschen. –
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Doch meine Pizza hab ich trotzdem nicht hingegeben, auch wenn ich gar keinen
richtigen Hunger mehr hatte, aber die bekommen meine Pizza nicht, hab ich zu
mir gesagt. Da wollte der große Junge gegen meinen Kopf treten, aber ich konnte
noch die Pizza so hochziehen, aber es tat trotzdem mächtig weh. Ich weiß nicht
mehr, ob es noch derselbe war, aber dann haben mich mehrere Schuhe getroffen,
ich glaub, es waren mehrere von ihnen. Und ich hab den Pizzakarton vor mein
Gesicht gehalten und hab mich so zusammengekauert, so, siehst du? Aber sie
haben einfach weitergemacht. Sie haben immer weiter getreten und einer der
Jungen hat gerufen, dass sie erst aufhören, wenn ich die Pizza geb. – Doch die
kriegen sie nicht, da sollen sie mich lieber umbringen, hab ich zu mir gesagt.
Aber dann traf mich ein Tritt genau in den Rücken, und da hab ich die Pizza
doch losgelassen. Ich wollt noch meine Hand zu ihr tun und sie wieder nehmen,
aber es tat unendlich weh, ich kam nicht ran.
„Willste die hier?“, hat dann der große Junge gesagt und hat meine Pizza
aufgehoben. „Kannste gerne haben, die is doch eh bloß noch Matsch“, hat er
gesagt. Dann hat er sie auf mich draufgeschüttet und dann haben sie gelacht und
sind weggegangen.
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