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VI. Allgemeine Fremdsprachenkenntnisse
VI. 1 Fremdsprachen im weltlichen Bereich
Manche Vermutung spricht dafür, daß die skizzierten Verständigungsnöte auch
im weltlichen Bereich nicht fehlten. Die Art der überlieferten Quellen ermög-
licht aber wiederum nur schmale Hinweise, die zumeist in das unmittelbare
Umfeld von Königen und Kaisern gehören. Viele von ihnen verfügten über
Kenntnisse in verschiedenen Sprachen. Widukind von Corvey schreibt bei-
spielsweise, Otto der Große habe verstanden, „in romanischer und slawischer
Sprache zu reden. Doch geschah es selten, daß er es für angemessen hielt, sich
derselben zu bedienen.“415 So brauchte Otto in Rom einmal ausdrücklich Hilfe,
„weil die Römer seine eigene Sprache, d. h. die sächsische, nicht verstehen konn-
ten, [und er befahl] dem Bischof Liutprand von Cremona, die folgende Rede
allen Römern in lateinischer Sprache vorzutragen. Liutprand erhob sich daher
und begann also […]“ (es folgt anschließend die von Liutprand selbst kolpor-
tierte Ansprache).416
Daß Otto I. sächsisch bzw. niederdeutsch sprach, ist wiederholt bezeugt, bei-
spielsweise auch aus St. Galler Überlieferung. Ekkehard IV. berichtet von einer
St. Galler Gesandtschaft, die mit einer lateinischen Bittschrift 971 zu den
Ottonen nach Speyer gekommen sei. Kaiser Otto ließ sich diesen Brief abends
von seinem Sohn Otto II., der bereits zum König erhoben worden war, vorlesen
und dann getreulich ins Sächsische übersetzen: Perlecta epistola, Otto eam patri et matri fi dus interpres Saxonice reponens.417 Nicht unwahrscheinlich ist, daß
Otto II. zunächst in einen anderen volkssprachlichen Dialekt übersetzt hatte,
ehe er ins Sächsische dolmetschte – Latein jedenfalls verstand sein Vater keines-
wegs, andere deutsche Dialekte off enbar nur dürftig. Der hier angesprochene
Aspekt soll allerdings besser ausgeklammert werden, weil wohl nur Germanisten
beurteilen können, ob im Mittelalter Sprecher verschiedener Dialekte sich un-
tereinander verständigen konnten und ggf. in welchem Umfang.
Fremdsprachliche Kenntnisse waren im Reich des 10. Jahrhunderts wohl sel-
ten. Wie anders wäre zu erklären, daß bei den Aufstandsversuchen der Brüder
Ottos I. sich einmal ein Heer des damaligen Königs mit einer List aus größter
Schlachtennot retten konnte. Im sächsisch-deutschen Aufgebot befanden sich
glücklicherweise einige, qui Gallica lingua ex parte loqui sciebant. Mit diesen
welschen Brocken erhoben sie ein lautes Geschrei, in welchem sie ihre lothrin-
gischen Gegner auff orderten zu fl iehen. Überraschend klingt Widukinds weite-
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100 Allgemeine Fremdsprachenkenntnisse
rer Bericht: „Diese glaubten, ihre Genossen hätten so gerufen, und ergriff en, wie
ihnen zugerufen worden war, die Flucht.“418
Eine Art formaler Parallele zur berühmten Situation der Straßburger Eide
von 842 scheint vorzuliegen. Damals hatte sich der ostfränkische König Ludwig
der Deutsche vor dem westfränkischen Heer seines Bruders Karls des Kahlen
eidlich Romana lingua verpfl ichten müssen, während der Westfranke Karl vor
Ludwigs des Deutschen ostfränkischem Heer Teudisca lingua schwören mußte.
Zweisprachig waren zwar beide Karolinger, kaum jedoch ihre Heere, die be-
kanntlich den Königsbund ihrerseits und zusätzlich beschworen, nun aber nicht
in einer fremden Sprache, sondern propria lingua, wie es ausdrücklich bei
Nithard heißt; der westfränkische populus also Romana lingua und der ostfrän-
kische Teudisca lingua.419
Otto von Freising wird der Hinweis auf die ähnlich verklammernde Funk-
tion eines zweisprachigen Herrschers verdankt: Nach dem Sieg bei Askalon an
der palästinensischen Küste im Jahre 1099 kehrte das Gros des Kreuzfahrerhee-
res in die Heimat zurück, und Gottfried von Bouillon, der Herzog von Nieder-
lothringen und nunmehrige Beschützer des Heiligen Grabes, „führte nun ein
höchst energisches Regiment über die Zurückgebliebenen. Er vermittelte auch
zwischen den romanischen und den deutschen Franken, die sich gern in bitte-
ren und gehässigen Scherzen hänseln, war er doch im Grenzgebiet der beiden
Völker aufgewachsen und sprach beide Sprachen, und so trug er auf mannigfa-
che Weise zu einem friedlichen Zusammenleben bei.“420 Aus ähnlichen Grün-
den wird Bischof Heinrich von Troyes herangezogen worden sein, den französi-
schen Kreuzrittern den Weg bis Ungarn zu erleichtern. Der Bischof verfügte
über hervorragende Sprachkenntnisse und zusätzlich, aber wohl kaum zufällig,
über gute Verbindungen am Rhein und an der Donau.421
Die im Grunde zwingende Annahme, daß die Großen dieser Welt vielfältige
Dolmetscherhilfe in Anspruch nahmen, läßt sich nur bruchstückweise belegen.
Dazu gehört jener interpres Marcus Obelius Cicero, der 1231 für die schriftliche
Abfassung des Handelsvertrages zwischen Kaiser Friedrich II. und dem Fürsten
von Tunis Abu-Ishac verantwortlich war.422 Vermutlich hatte er schon an der
Aushandlung des detaillierten Vertrages mitgewirkt.
Hinzuweisen wäre auch auf das Vertragswerk König Heinrichs (VII.) mit den
lombardischen Feinden seines Vaters. Der Vertragstext vom 17.12.1234 nennt
unter den lombardischen Zeugen als letzten einen Heinricus de Camerago […], qui […] notarius et nunc scriba pallatii comunis Mediolani interfui et tradidi et scripsi – er wohnte den Verhandlungen bei, übersetzte bzw. dolmetschte und
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Fremdsprachen im weltlichen Bereich 101
verantwortete die schriftliche Vertragsfassung. Dieser Heinrich war ein ganz un-
gewöhnlicher traditor!423
Im folgenden soll nur noch exemplarisch auf mehr alltägliche Sprachschwie-
rigkeiten eingegangen werden. Im Lehnswesen wurde der vasallitische Vertrag
durch Handgang und Kuß besiegelt.424 Das formalisierte Treueversprechen gab
dann der Mann häufi g dem Vorsprecher des Lehnsherrn, welcher zugleich als
Dolmetscher der lateinischen Treueformel fungierte. Auch eine sächsische
Stammesversammlung, die 968 in Werla tagte, war auf einen Dolmetscher an-
gewiesen, als coram principibus et frequentia plebis ein aus Capua gesandter latei-
nischer Brief Kaiser Ottos I. laut verlesen wurde.425
Bedeutsam für die allgemeine Anerkennung Ottos IV. war der Würzburger
Hoftag im Mai 1209. Vor dem erhöht sitzenden König und den um ihn herum
sitzenden Fürsten sprach als erster der päpstliche Legat Hugo von Ostia, und
zwar in lateinischer Sprache, die übersetzt bzw. gedolmetscht werden mußte.
Otto von St. Blasien vermerkt denn auch in seiner Chronik, der Legat habe den
Bischof von Würzburg als interpres gehabt.426
Mit beträchtlicher Sicherheit kann ohnehin angenommen werden, daß nicht
nur am Hofe und in Stammesversammlungen das Latein keine allgemeine Ver-
ständigung ermöglichte und Dolmetscher entbehrlich machte. Fast noch krasser
ist dies für Reichsversammlungen bezeugt. Der berühmte Mainzer Reichs-
landfrieden Friedrichs II. von 1235 ist zwar (noch) authentisch in lateinischer
Sprache fi xiert worden, er wurde aber bereits deutsch verkündet, d. h. mündlich
und schriftlich publiziert: Teutonico sermone in membrana scripta omnibus publi-cantur (nova iura).427
Einen wichtigen Einschnitt bringt die Zeit Rudolfs von Habsburg. Als auf
dem Augsburger Hoftag 1275 gegen den abwesenden König Ottokar von Böh-
men Klage erhoben wurde, verteidigte Bischof Bernhard (Wernhard) von
Seckau ihn mutig und bestritt seinerseits die Rechtmäßigkeit von Rudolfs Kö-
nigswahl – er tat dies in lateinischer Rede: „Die ganze Versammlung war schon
gereizt durch das Lateinisch-Sprechen des Bischofs, und als die Laien, die nicht
Latein verstanden, erfuhren, was er gesagt, gerieten sie in hellen Zorn über solch
unerhörte Anmaßung.“428 Nur König Rudolfs schützende Hand bewahrte den
Parteigänger Ottokars von Böhmen vor tätlichen Angriff en. Ob Rudolf selbst
die lateinische Ansprache hat verstehen können, ist nicht beantwortbar, aber
unwahrscheinlich. Sogar bei den herausragenden Trägern seiner damaligen Po-
litik, dem Erzbischof von Salzburg und dem Burggrafen von Nürnberg ergeben
sich Zweifel, da sie nicht einmal die Kunst des Schreibens beherrschten. Immer-
hin hat König Rudolf seine Söhne sorgfältigst in Latein unterrichten lassen.429
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102 Allgemeine Fremdsprachenkenntnisse
Zur soeben im Bericht der österreichischen Reimchronik über den Augsbur-
ger Hoftag spürbaren Aversion gegen das Lateinische passen Angaben Johanns
von Viktring zum selben Jahre 1275: „Auf diesem Hoftag sei beschlossen wor-
den, daß Privilegien vulgariter zu schreiben seien, weil die Schwierigkeit des
Lateins Irrtümer und größte Zweifel schuf und die Laien betrog“: quia Latinita-tis diffi cultas errores et dubia maxima pariebat et laycos decipiebat.430
Rudolfs Intervention auf dem Augsburger Hoftag markiert eine tiefgreifende
Veränderung, insofern bei der Urkundenabfassung in zunehmendem Maße die
deutsche Sprache berücksichtigt wurde.431 Max Vancsa meinte 1895, „der Sieg
der deutschen Urkunde gegenüber der lateinischen“ sei für Süddeutschland
1300, Mitteldeutschland 1333 und Niederdeutschland mit 1350 als entschie-
den anzusetzen.432 Inzwischen ergibt sich bereits für die zweite Hälfte des
13. Jahrhunderts „ein rapides Ansteigen deutscher Urkunden“, etwa von
„1240–1259: 42 deutsche Urkunden; 1260–1279: 348; 1280–1299: 3169“.433
Diese Zahlen sind gewiß nicht defi nitiv, sie sprechen jedoch für sich und schei-
nen Johann von Viktrings Bericht zu unterstreichen. An etwas anderer Stelle er-
gänzt Johann noch die Angaben über Rudolfs grundlegende Entscheidung: We-
gen der allgemeinen Verständlichkeit sollten Urkunden und Briefe künftig in der
Volkssprache geschrieben werden. Daß diese Regelung auf Rudolf zurückginge,
erkenne man daran, daß vor seiner Herrschaftszeit keinerlei nichtlateinische
Urkunden über irgendwelche Geschäfte oder Verträge zu fi nden seien.434 Selbst-
verständlich galten die königlichen Regelungen nur für weltliche Angelegenhei-
ten und Belange, während gegenüber Papst und Kurie das Lateinische selbst-
redend als alleinige Verhandlungssprache ausdrücklich anerkannt blieb.435
Festzuhalten bleibt in jedem Fall, daß die Angaben Johanns von Viktring die
bedeutsame Praxis eines Verzichts auf die lateinische Sprache bei sozusagen nor-
malen Reichstagen unterstellen. Vor weltlichen Fürsten und Herren durfte nur
in der Volkssprache geredet und argumentiert werden. Dieser Sachverhalt be-
darf kaum einer Unterstreichung. Merkwürdig aber ist es schon, daß die Ge-
sandten Rudolfs von Habsburg, die im Konsistorium vor Papst und Kardinälen
am 6. Juni 1274 um die päpstliche Approbation ihres neuen Königs nachsuch-
ten, nicht alle in der hiesigen Verhandlungssprache kundig waren. Denn der
Kanzler las die von den Kaisern Otto IV. und Friedrich II. der römischen Kirche
gewährten Privilegien und die entsprechenden Eide vor, mußte dann aber diese
erst in deutscher Sprache erklären, weil der mitgereiste Burggraf von Nürnberg
und der Graf von Sayn „weder lesen, schreiben noch lateinisch konnten“. Dann
erst konnte die verbindliche Eidesleistung für König Rudolf erfolgen, selbstver-
ständlich in lateinischer Sprache.436
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Fremdsprachen im weltlichen Bereich 103
Der sich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts abzeichnende Prozeß
verlief aber weder gradlinig noch problemlos. Das Beispiel der Abschaff ung des
Wendischen als Gerichtssprache, worauf sich 1293 die Grafen Albrecht I. und
Bernhard II. von Anhalt mit dem Abt von Nienburg an der Saale vertraglich
einigten, illustriert dies. Die Arenga der Vertragsurkunde griff den biblischen
Gedanken „von der ursprünglichen Einheit des Menschengeschlechts [auf ], die
der Mensch in seiner Überheblichkeit durch den Turmbau zu Babel verspielt
hat, so daß jetzt selbst in einer Landschaft der eine den andern nur mühsam
oder sogar nur mit Hilfe eines Dolmetschers verstehen kann“: ita ut in una et eadem regione unus alteri vix aut sine interprete non posset intelligere ideoma.437
Besonders die Menschen slawischer Zunge seien Leidtragende dieser Situation,
weil die Unkenntnis ihrer Sprache vor Gericht Schaden bringe, der immerhin
ausgeschaltet werden könne, wenn diese Slawen sich künftig vor Gericht der
deutschen Sprache bedienten. Off enbar durften diese Wenden bislang vor Ge-
richt keine Dolmetscher beiziehen, und auch das Gericht seinerseits scheint sol-
ches nicht getan zu haben. Dies irritiert etwas, wenn man an eine bildliche
Darstellung im Sachsenspiegel denkt, die dem Vorsprecher auch die Funktion
des Dolmetschers zuzuweisen scheint.438
Auch der entsprechende Text im Landrecht III 71,1–2 ist hinreichend deut-
lich. Er weist dem des Deutschen nicht mächtigen Beschuldigten das Recht zu,
seinen vorspreche auch als sprachlichen Vermittler, d. h. zusätzlich in dolmet-
schender Funktion zu nutzen. Den Text des Sachsenspiegels übernimmt das in
der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstandene „Meißner Rechtsbuch“:
Vor Gericht muß jeder in seiner eigenen Sprache befragt werden, anderenfalls
kann er sich weigern: Beschuldiget man in aber in siner sprache, so mus her ant-worten, oder sin vorspreche von siner wegen.439 Im litauischen Kaunas schließlich
heißt es 1476, ein deutscher Kaufmann müsse einen tolliik haben440; dessen ggf.
erhobener Anspruch, auf Niederdeutsch verhandeln zu können, wird abgelehnt.
Es ist ohnehin seit langem ein auff älliges Bemühen zu erkennen, vor Gericht
der jeweiligen Landessprache Raum und Geltung zu verschaff en. Dies gilt auch
für Könige, die auf die Wahrung von Frieden und Recht bedacht sein müssen.
Diese Pfl icht ist etwa bei Alfred dem Großen erkennbar, wenn er die „klugen
Dolmetscher der Römer“ rühmt, die wise wealhstodus bzw. learned interpreters, die griechische Gesetzbücher ins Lateinische übersetzt haben.441 Später wollte
Wilhelm der Eroberer die englische Sprache lernen, um ohne Dolmetscher die
Klage des von ihm unterworfenen Volkes verstehen zu können (sine interprete querelam subiectae gentis posset intelligere).442 Mit querela können grundsätzliche
Klagen wie auch förmliche Rechtsbeschwerden gemeint sein, die der Anglo-
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104 Allgemeine Fremdsprachenkenntnisse
Normanne ernst nahm. Das tat off enbar auch der englische König Heinrich II.,
wenngleich ihm ein Dolmetscher die Klage (querimonia) einer Waliserin erläu-
tern mußte.443 Das war wichtig, doch auch der Verfasser der Österreichischen
Reimchronik wußte Anfang des 14. Jahrhunderts, daß es besser wäre, wenn der
König Wenzel in Ungarn âne tulmetschen auskäme und in der Landessprache
richten könne.444
Im Samland hingegen sollen im 14. Jahrhundert häufi g Dolmetscher (‚Tol-
ken‘, ‚Interpretes‘) bei Gerichtsverhandlungen gebraucht worden sein. Einige
von ihnen wurden für diese Dienste ausdrücklich belohnt. Es handelte sich
wohl zumeist um Einheimische, welche die preußische Sprache beherrschten.445
Insgesamt aber ist allzuwenig über die Fremdsprachenprobleme im Gerichtswe-
sen bekannt. Für heutige Betrachter selbstverständlicher ist es, wenn etwa 1476
vor Gericht im litauischen Kowno (Kaunas) ein Dolmetscher gefordert wird:
Item heft eyn kopman myt eynem borger to donde vor gerichte, so mot de Dutcze eyn tolliik hebben, dat tovorne nicht plagh to sin, so juwer herlicheyt eyn del wol wiitlik is.446 Solche Beiziehung eines Tolken hatte gewiß praktische Gründe, die Forde-
rung entspricht aber auch dem polnisch-litauischen Anspruch, vor Gericht kein
Niederdeutsch zuzulassen. So verbünden sich Zweckmäßigkeit und Prestige-
denken.
Ob für das Kanzleiwesen gezielt vielsprachige Leute bzw. sogar Dolmetscher
gesucht wurden, ist schwer zu beantworten. Lateinische Sprachkenntnisse
dürfte man im Regelfall benötigt haben, auch nach dem sich steigernden Vor-
marsch der volksprachlichen Urkunde. Erwähnt werden kann immerhin ein
„merkwürdiger Fall in der Geschichte des Kanzleiwesens“, der in einer Urkunde
des Bischofs von Speyer dokumentiert ist. Bischof Friedrich von Speyer vidi-
mierte eine Urkunde seines Amtsvorgängers Heinrich vom April 1262, in der
berichtet wird, Heinrich habe aus Frankreich einen Laien mitgebracht, „den er
auch zu seinen Kanzleigeschäften in Italien und Spanien brauchte. Off enbar
wählte er diesen fremden Sekretär seiner französischen Sprachkenntnis wegen,
damit er seine Geschäfte nicht unbekannten Dolmetschern anvertrauen müßte.“
Dieser Gautiers Gallicus blieb in Speyer, und als er heiraten wollte, stattete ihn
der Bischof zusätzlich zu seinem Sold großzügig aus.447
Die Vertretung vor Gericht warf gewiß häufi g Probleme auf. Vermutlich ge-
hört in diesen Zusammenhang ein Verfahren vor dem Königsgericht, bei dem
Vertreter der Lütticher Kirche 1290 in Erfurt einen Rechtsspruch erreichten. In
der betreff enden Königsurkunde wird ausdrücklich auf einen advocatus verwie-
sen, der den Lüttichern als interpres diente. Es wird ihr Kirchenvogt gewesen
sein, der dem König aus dem Südwesten des Reiches den Sachverhalt auch
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Sprachenfragen im Ordensland Preußen 105
sprachlich verdeutlichte (advocato eorum interprete). Als Indiz für diese An-
nahme dient in der Urkunde die Nennung einer regionalen Geldabgabe, quas vulgariter chachage appellant.448
Doch zurück zum allgemeinen Urkundenwesen. Insgesamt war seit dem aus-
gehenden 13. Jahrhundert die volkssprachliche Urkunde fast allenthalben in
Europa im Vormarsch und verdrängte allmählich, aber in verschiedenen Zeit-
phasen, die so lange dominierende lateinisch abgefaßte Urkunde. Lateinisches
Schriftgut vielfältigster Art sollte es noch lange geben; seine Abfassung wurde
aber immer stärker Domäne studierter Leute. Wenn auch mangels gesproche-
nen Lateins Latein-Dolmetscher im allgemeinen nicht mehr benötigt wurden,
so brauchte man selbstverständlich weiterhin fremdsprachige Mittlerdienste.
Seinem Schweizer Dolmetscher Hugo ad solem (oder: Hugo zer Sunnen) ver-
dankte König Albrecht 1307 sogar das Leben: Gegen den Willen des Königs
hattte der Papst Otto von Grandson, den Bischof von Toul, zum Bischof von
Basel promoviert. Weil der König nicht französisch und der Basler Elekt nicht
deutsch verstanden, dolmetschte Hugo ad solem, als Otto um die Bischofsinve-
stitur bat. Der König fragte nur unwirsch nach seinem Begehren, als der Fran-
zose bereits eine Ablehnung vermutete und den König erschlagen wollte. Allein
der Dolmetscher rettete die Situation mit der eigenmächtigen Antwort auf fran-
zösisch : „Mein Herr, unser Herr König sagt, er wolle Dich morgen investieren.
Daraufhin beruhigte sich der junge Mann und verabschiedete sich mit einem
artigen Gramersi.“449
VI. 2 Sprachenfragen im Ordensland Preußen
Seit Beginn der Herrschaftsübernahme in Preußen in der 1. Hälfte des 13. Jahr-
hunderts war der Deutsche Orden auf Dolmetscher angewiesen. Die Bevölke-
rung setzte sich vor allem aus Prußen (Pruzzen) zusammen, daneben gab es
Polen, Litauer und Personengruppen anderer Ethnien, in zunehmendem Maße
auch Deutsche. Die Herrschaftssprache im Lande war Latein und Nieder-
deutsch, das also, was im Orden selbst gesprochen wurde. Im Kontakt mit der
Außenwelt waren die Mitglieder des Deutschen Ordens auf Sprachvermittlung
angewiesen. So galt als „wichtige und begehrte Stelle“ im Orden „die des Tol-
ken, des Dolmetschers bei den Gebietigern, die größere Einfl ußmöglichkeiten
gewährte“, also in den Verwaltungszentren postiert war.450
Für die Diözese Ermland ist recht früh zum Jahre 1255 ein Mathia Tolke ur-
kundlich belegt.451 Ganz gewiß handelte es sich bei diesem Mathias um den
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106 Allgemeine Fremdsprachenkenntnisse
bischöfl ichen Dolmetscher, dem bei der Teilung des Bistums zwischen dem Bi-
schof und dem Deutschen Orden eine verantwortungsvolle Aufgabe zugekom-
men war. Tolke ist als Funktionsbezeichnung, nicht als Nachname anzuspre-
chen. In einer Urkunde des ermländischen Bischofs Eberhard aus dem Jahre
1311 begegnet unter den Zeugen ein Jacobo tunc temporis nostro interprete.452
Dieser Jakob ist mit der Funktionsbezeichnung hinreichend ausgewiesen, wäh-
rend bei sonstigen Zeugen im allgemeinen Doppelnamigkeit vorherrscht.
Anders könnte es bei Heinricus de Tolcksdorf sein, der zu den seniores von Bi-
schof Heinrich von Ermland gehörte und als dessen Dolmetscher für einen sehr
zuverlässigen und ehrlichen Mann galt: interpres vir utique fi delis et uerax uoca-tus. So wird er in der Handfeste der Stadt Braunsberg vom 14. Oktober 1328
genannt,453 und der Zusatz zu seinem Namen nährt die Vermutung, daß der
interpres über eine Dorfgemeinde verfügte, die als seine Amtsausstattung den
Namen Tolke trug. Im Ermländischen Urkundenbuch begegnet zum Jahre
1340 auch ein bischöfl icher interpres namens Paythun. Dieser verfügte über um-
fangreiche ländliche bona, die nach einer zusätzlichen Quelle sich auf den Hof
„Swanenveld“ bezogen, der acht Hufen groß war.454 All diese urkundlichen Be-
lege weisen auf jeweils langfristige Dolmetschertätigkeit und zusätzlich auf eine
Art Amtsausstattung, die zum Besoldungskomplex gerechnet werden muß.
Diese Annahme läßt sich zeitlich erweitern. In einer Revaler Urkunde vom
9. Januar 1401 bestätigen Dekan und das Revaler Domkapitel dem Tile Tolk, das Dorf Sodel gegen acht Haken im Dorf Jägermäggi rechtens getauscht zu
haben.455 Fünf Tage später beurkunden der Revaler Komtur und seine Beisitzer,
daß „Johann von Lechtes dem Arnt Tolk das Dorf Karla“ südöstlich von Reval
aufgelassen hat.456 Die Transaktion war respektabel, wie auch die Revaler Bestä-
tigungsurkunde vom 1. Oktober 1419 zeigt,457 die sorgsam aufzählt, welche
Dörfer und sonstigen Liegenschaften dem Lambrecht Tolk tho leengude überlas-
sen waren. Da sich unter ihnen das Dorf Karla befi ndet, liegt es nahe anzuneh-
men, daß Lambrecht Tolk ein Erbe von Tile Tolk, hern Dyderikes sone, war.458
Off enbar gehörte das Dorf Karla zur Amtsausstattung des Tolken, künftig auch
synen rechten waren erven – sofern sie Funktionsträger blieben. Lambrecht war
Mannrichter in Harrien, einer Landschaft in Estland; so auch Arnt Tolk.459 Diet-
rich Tolk, der Vater von Tyle Tolk, ist als Ritter bezeugt.460 Diese estischen Bei-
spiele deuten an, daß die Tätigkeit als Tolk angesehen und auch wirtschaftlich
attraktiv sein konnte. Von einer stark untergeordneten Dienstrolle kann dem-
nach keine Rede sein.
Über die Verhältnisse in der Frühzeit der Ordensherrschaft ist in sprachlicher
Hinsicht sehr wenig bekannt. Im 14. Jahrhundert ändert sich das, wie zahlrei-
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Sprachenfragen im Ordensland Preußen 107
che Urkunden erkennen lassen. In einer Verkaufsurkunde zwischen einem Gra-
fen Nikolaus von Ponicz und dem Deutschen Orden vom 4.9.1312 wird unter
den Zeugen Heinricus dictus Benko predicti contractus interpres genannt.461 1317
begegnet des Hochmeisters famulus et interpres namens Johannes Diabolus462;
für den Komtur von Mewe, der eine Grenzeinigung bezeugte, diente Heinricus Renneku als interpres im Verfahren, im selben Jahr begegnet dieser Mann ein
zweites Mal und zwar ausdrücklich als interpres noster463 des Komtur. Hier
spricht alles für eine Dauerfunktion des Dolmetschers.
Auch der Bischof, beispielsweise Johannes von Samland, hat einen Dolmet-
scher. Zum 22.10.1325 ist urkundlich bezeugt, daß er seinem Dolmetscher
Land verleiht, und zwar statt eines mit vier Hufen verbundenen Schulzenamtes
drei Haken an einem anderen Ort zum Recht des Freien.464 Der Fall bezeugt
eine gewiß zeitübliche Form der Entlohnung, aber auch, daß der Dolmetscher
off enbar nichtdeutscher Herkunft war und nicht auf ein Kolonistendorf deut-
scher Siedler verwiesen werden wollte, trotz besserer Ausstattung dort. Sein
Name Johannes muß nicht auf deutsche Abkunft schließen lassen. Derselbe
Bischof von Samland verleiht noch 1333 Land an seinen Dolmetscher Niko-
laus.465 In einer Reihe weiterer Urkunden von 1318–1324 tritt ein gewisser Sta-
now/Stano als Zeuge auf und wird als interpres noster bzw. unser tolke bezeichnet.
Damit begegnet der im Ordensland und den umliegenden Territorien so übli-
che Terminus tolke, der in der Folge, und zwar bis weit in die Neuzeit hinein,
Verwendung fi ndet.466 Da mitunter die doppelte Funktionsangabe famulus et interpres bezeugt ist,467 läßt sich schließen, daß der nicht nur sporadisch einge-
setzte Dolmetscher fest zu den Dienstleuten bzw. zur näheren Umgebung seines
Herrn gehörte.468
In einer Urkunde des Bischofs von Kurland begegnet der Terminus tolk bereits
im April 1253. Damals bezeugte Bischof Heinrich die Verleihung verschiedener
namhafter Güter. Unter anderen wurde Claus Cure, die tolk, bedacht und zwar
mit Gütern zu Sacke und zu Bandowe. Eine weitere Belehnung im Land Samai-
ten ist für Claus Cure in Aussicht gestellt.469 Die genannte Ausstattung ist be-
achtlich, indirekt weist sie Bedeutung und Verdienste des Dolmetschers aus, der
allerdings den bestimmten Artikel erhält. Vielleicht schimmert darin ein noch
nicht ganz vertrautes Phänomen durch. Welch bedeutsame Rolle ein Dolmet-
scher einnehmen konnte, zeigt in fast paradoxer Weise die Ermordung des Her-
mann tor Koken. Er war Dolmetscher des Junkers Gerhard von Cleve, der die
Zusage sicheren Geleits erhalten hatte. Im Bereich der Stadtrepublik Nowgorod
nahm man den Dolmetscher im November 1438 gefangen, ind huwen yem aff
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108 Allgemeine Fremdsprachenkenntnisse
hande ind voete ind darna den kop.470 Mitunter sah man im Mord „eine unver-
mutete Äusserung der Volkswut“, doch spricht manches für einen gezielten An-
schlag, u. a. daß dem Mord Folterungen vorangingen. Der Junker jedenfalls
verlangte Strafmaßnahmen, doch der Orden wie auch die Städte Dorpat und
Reval versuchten zu beschwichtigen, indem sie auf den mit Nowgorod verein-
barten Rechtsweg verwiesen, dessen Länge und relative Unverbindlichkeit aber
nichts einbrachten. Da der Junker nicht nachgab, eskalierten die Probleme und
mündeten in Kriegshandlungen und Repressionen, die beinahe bis nach Dort-
mund reichten.471
Weniger dramatisch lauten die Beispiele aus dem Liv-, Est- und Kurländi-
schen Urkundenbuch. In einem Schreiben Dorpats an Reval vom 8.1.1430
wird unsen tolk Laurens Honen erwähnt, der in Dorpat Dolmetscher für Rus-
sisch ist. Am 26.4.1430 meldet Dorpat, die Entsendung des tolk verzögere
sich.472 Im Oktober 1430 geht es in einem Schreiben aus Reval an Dorpat u. a.
um den tolken in Nowgorod.473 Die Beispiele, die keineswegs Vollständigkeit
beanspruchen, zeigen, wie wichtig tüchtige Dolmetscher waren. Auch Graf Ger-
hard von der Mark hat (1438) einen Dolmetscher für Russisch, und zwar Vri-dach Grote bzw. in modifi zierender Schreibweise Frydagh Groten.474 Vom
28. Oktober 1448 schließlich datiert ein Schreiben Lübecks an Riga mit der
Bitte, den lübischen Boten zu unterstützen, nach Nowgorod zu gelangen und
ihm einen tüchtigen Dolmetscher mitzugeben: unde tovoghen ene guden tolk.475
VI. 3 Fremdsprachenkenntnisse im städtischen Bereich
Der Blick in die mittelalterliche Städtelandschaft, der deren Sprachkenntnisse
erahnen lassen soll, ist hinreichend riskant, denn die Mannigfaltigkeit städti-
schen Lebens ist groß, und die Sprachenvielfalt könnte ähnlich reich sein. Mög-
lich sollte aber eine gewisse Orientierung sein, um die sich dieser Abschnitt be-
mühen will.
Grenzregionen und Bereiche der Bilingualität geben am ehesten Auskunft,
auch in Berufszweigen, die häufi g oder gar regelmäßig Sprachgrenzen über-
schreiten, ist mit Informationen zu rechnen. Die Betrachtung soll mit den wei-
ten Bereichen der Hanse und ihrem vielfältigen Warenaustausch beginnen.
Das Mittelniederdeutsche, die „Sprache des im Hansebund tonangebenden
Bevölkerungsteiles“, wird im allgemeinen als Hansesprache bezeichnet, obwohl
diese vereinheitlichte Form „allenfalls für die Literatur-oder Schriftsprache gel-
ten kann“.476 Im Bereich des Mündlichen aber gab es „eine Mehrzahl von nie-
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Im städtischen Bereich 109
derdeutschen Sprachformen“, unter denen „die lübeck-hansische Verkehrs- und
Umgangssprache“ von besonderer Bedeutung war. Neben der Beherrschung des
Mittelniederdeutschen dürften „die hansischen Kaufl eute je nach ihrem Han-
delsgebiet die nordischen Sprachen, das Französische, Englische, vielleicht auch
das Italienische, schließlich das Niederländische und das Hochdeutsche soweit
beherrscht haben, daß sie sich mit den Fremden verständigen konnten“.477 Für
längere Verhandlungen brauchte man indes Dolmetscher. Beispielsweise wurde
1375 zwei sich in Brügge befi ndenden hansischen Ratssendeboten empfohlen,
für ihre Reise nach London einen Dolmetscher mitzunehmen, der französisch
sprechen könne, also enen wissen taleman, dey wol fransos kunne spreken. Die
Adressaten nahmen die Empfehlung auf und schrieben zurück, daß sie willen vorsien wesen van eynen wissen taleman, de wol fransoys konne spreken, alle saken to vortreckene, also uns des not is.478
Mußten Verhandlungen in russischer Sprache geführt werden, war ein Dol-
metscher im allgemeinen zwingend nötig, obwohl deren Anzahl off enbar äu-
ßerst knapp war. Der Ausweg eines eigenen Spracherwerbs konnte das Defi zit
kaum ausgleichen, hinzu kam das off enkundige Bestreben der deutschen Han-
sekaufl eute, ihr russisches Sprachmonopol zu wahren und beispielsweise einen
Holländer am Erwerb russischer Sprachkenntnisse zu hindern.479
Besondere Probleme ergaben sich im Hansebereich, wenn die lateinische
Sprache, sei es in mündlicher oder vor allem in schriftlicher Form, vermittelt
werden mußte. Im ersten Fall benötigte man Dolmetscher, im letzteren genüg-
ten versierte Übersetzer. Doch die Grenzen zwischen beiden Qualifi kationsbe-
reichen scheinen in gewissem Umfang fl ießend gewesen zu sein. Ein bekanntes
Beispiel für die mündliche Verwendung des Lateinischen stammt aus Hamburg.
Hier forderten 1465 englische Unterhändler, „daß nicht in deutscher Sprache
verhandelt werde, obwohl einige von ihnen sie durchaus beherrschten. Viel-
mehr verlangten sie ene middelsprake twisschen Engelscher und Dudescher sprake […], unde dat moste Latinsche wesen.“480
Mit einiger Berechtigung darf man annehmen, daß im 14. Jahrhundert „ein
Teil des gehobenen Bürgertums der lateinischen Sprache mächtig war“.481 Das
gilt für Ratsmitglieder und ihre Angehörigen, sofern sie in der städtischen Ver-
waltung tätig waren, es gilt für Kaufl eute und wenigstens einige Zunftmitglieder
und Inhaber von Ämtern. Sie alle hatten jedenfalls mit Briefen, Schriftstücken,
Akten und Verträgen in lateinischer Sprache zu tun, mußten sie wenigstens ei-
nigermaßen lesen und verstehen können. Diese Fähigkeiten versiegten in dem
Maße, in dem sich die Volkssprache in städtischen Kanzleien und Geschäftsbü-
chern durchsetzte, es blieben aber bis ins 16. Jahrhundert lateinsprachige Akten
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110 Allgemeine Fremdsprachenkenntnisse
durchaus üblich.482 Gleichwohl stieg der Anteil der nur deutschsprachig Gebil-
deten in der Zeit um 1400 beachtlich, so daß bereits ihnen städtische Akten aus
dem Lateinischen übersetzt werden mußten. Wer dazu in der Lage war, war ggf.
ein routinierter Übersetzer, kaum jedoch in der Regel als Dolmetscher anzuspre-
chen. Über solche ist wenig genug bekannt, für die Sprachmittlung in andere
Fremdsprachen dürften Dolmetscher in der Regel allerdings notwendig gewesen
sein. Andererseits waren Städte im deutschen Sprachraum, und zwar nicht nur
im Hansebereich, ihrerseits bemüht, jungen Mitbürgern Sprachstudien zu er-
möglichen. In welchem Ausmaß dies geschah, ist unklar, doch auf Einzelbei-
spiele hat bereits Erich Maschke hingewiesen.483
Außerhalb des Hansebereichs ist die Situation schwieriger und wohl auch
dürftiger belegt. In unserem Zusammenhang kann es nur um diesen oder jenen
fl üchtigen Einblick gehen, denn anderenfalls wären groß angelegte Studien er-
forderlich, deren Ertrag jedoch zuvor kaum abschätzbar ist. Das Problem ver-
deutlicht Hans-Walter Herrmann, der „Volkssprache und Verwaltung in Ober-
lothringen im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit“ kenntnisreich dargestellt
hat.484 In diesem Raum gibt es deutsch- und welschsprachige Gebiete, oft in
Gemengelage. Im Geschäftsschriftgut sind „Auswirkungen der Sprachgrenze auf
die Verwaltungsorganisation gemischtsprachiger Territorien“ gut erkennbar. Im
allgemeinen wirkt sich das volkssprachliche Element auf die „Abgrenzung von
Verwaltungsbezirken meist auf der mittleren Ebene“ aus,485 doch gibt es wenig,
was sich verallgemeinern ließe. Nicht einmal Doppelsprachigkeit ist in der Ver-
waltung durchgängig vorhanden, und von gezieltem Dolmetschereinsatz ist
keine Rede.
Eine Sonderstellung nimmt das reiche und große Metz ein. Hier sprach man
deutsch, und man sprach welsch oder französisch. Aber off enbar waren nur we-
nige Einwohner zweisprachig. So war es kein Wunder, wenn Kaiser Sigismund
1433 in Basel nicht recht wußte, ob er die Metzer Gesandten auf laitin oder auf
tioche ansprechen sollte. Jakob von Sierck erklärte daraufhin, die Metzer ver-
stünden sehr wohl die deutsche Sprache. Die allgemeine Sprachsituation wird
erhellt durch literarische Angaben. So rühmt die Metzer Chronik des Philipp de
Vigneulles von Bischof Dietrich Beyer von Boppard: il savoit bien parfectement les trois langaiges c’est assavoir allemans, roman et latin,486 und in einer anderen
Metzer Chronik heißt es von demselben Metzer Bischof, er habe ydiomata galli-cum et teuthonicum gleich gut gesprochen.487
Wenn solche Fähigkeiten gerühmt werden, ist der Umkehrschluß nahelie-
gend, daß im allgemeinen und auch bei den Bischofskollegen Fremdsprachen-
kenntnisse dürftig bis nicht vorhanden waren. Die Sprachenfrage spiegelt sich
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Zur Sprachenfrage im mittelalterlichen Universitätsbetrieb 111
auch im Militärischen, wo Kontingente deutscher Söldner und solche von Ro-
manen getrennt aufgestellt wurden und ebenso separat operierten.488 Im Metzer
Stadtbild wechselten die Sprachen, und es gab hinreichende Möglichkeiten, feh-
lende Sprachkompetenz nachträglich zu erwerben. Finanziell profi tierten von
der Zwei- und Mehrsprachigkeit in Metz arbeitende Übersetzer. Jean Xepikere
beispielsweise erhielt für seine Dienste „die gleichen Vergütungen […] wie ein
Ratsschreiber“.489 In Verdun wußte man um den Wert solcher Leute, denn in
Verdun zwischen dem 1.3.1497 und 1.3.1498 eingegangene deutschsprachige
Schreiben des Römisch-deutschen Königs ließ man in Metz übersetzen.490
Die Stadt Metz verfügte off enbar stets über Männer, die der deutschen Spra-
che mächtig und auch gewillt waren, in Fragen der Sprachvermittlung zu die-
nen. „Schon die Instruktion für die amans zieht bei der Beurkundung von Ge-
schäften mit einem deutschsprechenden Partner einen Deutschsprachigen
hinzu, wenn der Urkundsbeamte selbst kein Deutsch kann.“491
In Straßburg, das erheblich kleiner als Metz war, scheint die deutsche Ein-
sprachigkeit vorgeherrscht zu haben. Zu den wenigen (bekannten) Stadtbür-
gern mit Fremdsprachenkenntnissen gehört der Straßburger Hans Erhard
Tüsch. Er besaß französische Sprachkenntnisse (kan welsch), die in Straßburg
damals off enbar sehr rar waren. 1460 gab er das Straßburger Bürgerrecht auf
und zog mit den Straßburger Truppen als Dolmetscher in die Burgunder-
kriege.492 In diesem Fall wird man wohl von einer berufsmäßig ausgeübten Tä-
tigkeit als Dolmetscher sprechen können.
VI. 4 Zur Sprachenfrage im mittelalterlichen Universitätsbetrieb
Obwohl der Einsatz von Dolmetschern an mittelalterlichen Universitäten bzw.
im universitären Studienbetrieb nicht belegt ist, sollten die universitäre Unter-
richtssprache und die universitäre Sprachlehre nicht ganz unbeachtet bleiben.
Kein Zweifel kann allerdings sein, daß an Europas Universitäten Lateinisch ge-
sprochen, gelehrt und geschrieben wurde. Daher brauchte man keine Dolmet-
scher, wobei es aber off en bleiben mag, wie viele Studenten vor allem der ersten
Studienjahre den Sprachanforderungen gewachsen waren bzw. mindestens et-
was im Bereich der Lehre verstanden. Sie werden aber dazugelernt haben, wie
ohnehin festzustehen scheint, „daß auch an der Universität noch intensiv das
Schreiben gelernt und geübt worden ist“.493 Wer dann zum Lesen und Schrei-
ben lateinischer Texte imstande war und überdies fachlich profi tiert hatte, ver-
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112 Allgemeine Fremdsprachenkenntnisse
ließ die Universität – teils mit Examen, teils ohne, also im heutigen Jargon als
„Studienabbrecher“.
Ob im universitären Alltag bzw. in studienfreien Alltagsphasen ebenfalls la-
teinisch gesprochen wurde, läßt sich nicht sagen, doch ist ein Schuß Skepsis
angebracht. Berücksichtigen müßte man ohnehin die recht off ene Universitäts-
gestalt mit ihrer „bauliche[n] Diff erenziertheit und Verstreutheit im jeweiligen
Stadtgebiet […]. Die Universitätsbesucher verteilten sich auf Magister- oder
Professorenhäuser mit Kost und Logis für ‚Studierende‘, auf Bursen, Kollegien,
Fakultäten und – wo vorhanden – auch Universitätsnationen“.494 Eine solche
eindrucksvolle Aufsplitterung im Wohn- und Studienbereich erleichterte gewiß
landsmannschaftliche Zuordnungen, die Ausrichtung auf kleinere, auch sprach-
lich orientierte Einheiten bzw. Orientierungen. Das Phänomen „studentische
Kleingruppen“, das bei „der sozialen Ankunft in Kleingruppen“ sich bereits aus
den Immatrikulationslisten erkennen läßt,495 dürfte über diese Sozialbindungen
hinaus sprachliche Landsmannschaftskomponenten enthalten haben. Da in
diesem Beobachtungsfeld Reisegruppen dominierten, liegt ein zusätzliches Ar-
gument vor für regionale Herkunftsbande, die sich sprachlich auswirkten. Von
einer durchgängigen Lateinsprachigkeit wird man jedenfalls nicht sprechen
wollen.496
Es soll bei diesen kurzen Hinweisen bleiben, denn über den Universitätsall-
tag und seine sprachlichen Kommunikationsformen ist insgesamt viel zu wenig
bekannt. „Dolmetscher“ in einem gewiß sehr off enen Sinne oder eher dolmet-
schende Hilfestellung benötigte der lernwillige Studienanfänger indes, wenn er
den lateinischen Vorlesungen und sonstigen Lehrveranstaltungen mit Gewinn
folgen wollte, sich jedenfalls vom ‚Nacharbeiten‘ Einsichten versprach.
Von nachhaltiger Wirkung erwies sich die Tatsache, daß europäische Studien-
absolventen mit ihren Lateinkenntnissen sich auch nach dem Studium verstän-
digen konnten, und zwar mündlich wie schriftlich, gleich ob manches mehr oder
weniger holprig war. Damit war es auch möglich, wichtige Texte und Schriften
unmittelbar lesen zu können, und ganz besonders profi tierten die mittleren und
höheren Verwaltungs- und Herrschaftsebenen in weiten Teilen Europas von der
allgemeinen Universitätsentwicklung und dem beachtlich gesteigerten Ausbil-
dungsvolumen. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Wer nämlich nicht allzu früh
seine Studien abbrach, sondern sie erfolgreich nach einigen Jahren abschloß,
hatte bei einem Studienaufenthalt in der Fremde in der Regel auch volkssprach-
liche Kenntnisse zusätzlich erworben, kehrte also mehrsprachig heim, was sich
positiv auswirken mochte. Abgemildert wurde damit auch eine etwas paradoxe
Situation, die sich dadurch ergab, daß die intensivierten Studien während des
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Dolmetscher im höfi schen Bereich 113
Spätmittelalters das Latein als Kommunikationsfaktor enorm steigerten, wäh-
rend im europäischen Alltag fast allenthalben die Volkssprachen nicht nur defi -
nitiv zum Durchbruch kamen, sondern längst eindrucksvoll dominierten. Dieses
Verhältnis sollte auch der konsequent beachten, der seine eigenen Studien auf
Gelehrte im Spätmittelalter, ihre Qualifi kation, Tätigkeiten und Karrieren kon-
zentriert.
Die Bedeutung des „akademischen Latein“ reicht indes weit über die Wende
vom Mittelalter zur Neuzeit hinaus, und die lateinische Sprache blieb noch
lange Sprache der Universitäten, ihres Lehr- und Prüfungsbetriebes, auch der
wissenschaftlichen Publikation. Jedenfalls gehört zu den großen Ausnahmen
mindestens in Deutschland, daß der Humanist Heverlingh schon 1501 in deut-
scher Sprache an der Universität Rostock über Juvenal dozierte.497 Auch im
Briefwesen vorrangig monastischer und klerikaler Kreise dominierte bis ins
13.Jahrhundert das Lateinische, und die Briefkunst öff nete sich „allenfalls spie-
lerisch der Volkssprache.498
VI. 5 Dolmetscher im höfi schen Bereich
Es ist naheliegend, auch nach Sprachproblemen an mittelalterlichen Königs-
und Fürstenhöfen zu fragen. Zwar ist der „Hof“ immer ein „komplexes Herr-
schafts- und Sozialgebilde“,499 das sich einer gültigen Defi nition entzieht, doch
mag es hier genügen, ihn als „wichtigste Emanation des mittelalterlichen Herrn
von Rang in unserem Kulturkreis“ und zugleich als „seine[n] maßgebende[n]
Lebens- und Handlungskreis, ohne den er nicht bestehen konnte“, zu begrei-
fen.500 Die damit vielfältig verknüpften Fragen und Probleme bleiben indes un-
berücksichtigt; gefragt werden soll schlicht nach Sprachgewohnheiten in perso-
nell relevanten Hofgefügen. Auch diese Frage ist leichter gestellt als beantwortet.
Gewiß dominierte die jeweilige sprachliche und wohl auch dialektale Zugehö-
rigkeit des Herrn. Mancher Historiker betont, diese Höfe seien angesichts ihrer
personellen Größe wie auch zahlreicher Besucher und Gäste aus fern und nah in
sprachlicher Hinsicht „international“ gewesen.501 Bei näherer Betrachtung ist
von „Bilinguismus“ die Rede, insofern Latein und Deutsch dominierten. Im
Fall des böhmischen Hofes etwa Wenzels IV. ist sogar von „Trilinguismus“ ge-
sprochen worden, der sich für die mündliche Kommunikation auf einen Bilin-
guismus Deutsch und konkurrierendes Tschechisch reduzierte, während Latein
vorzugsweise, aber nicht ausschließlich für die schriftliche Kommunikation re-
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114 Allgemeine Fremdsprachenkenntnisse
serviert blieb, in der freilich auch das Deutsche und das Tschechische an Bedeu-
tung gewannen.502
Lateinische Konversation blieb „bei Hofe“ allenfalls marginal. Wohl aber
wurden lateinische Dichtung und Literatur vielfach rezipiert, doch durchweg in
lesender Form. Bei der volkssprachlichen Literatur verhielt es sich anders, sie
wurde mündlich vermittelt und aufgenommen.503 Angesichts der dialektalen
Vielfalt der Volkssprache, aber auch nichtlateinischer Fremdsprachen dürfte ein
ansehnlicher Bedarf an dolmetschender Hilfe, wenn auch nicht unbedingt an
spezialisierten Dolmetschern bestanden haben. Belege für diese fast zwingende
Annahme sind aber mehr als rar.
Das Interesse konzentriert sich im folgenden auf literarische Vortrags- und
Liederkunst bei Hofe, doch ist auch diese Th ematik „merkwürdig schlecht be-
zeugt“. Mit Dolmetschern arbeiteten die Sänger, Vortragenden bzw. allgemeiner
gesprochen die Spielleute off enbar erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts zusam-
men, „als die Kontakte zur französischen Literatur bereits lockerer geworden
waren“.504 Dabei ist kaum an ein direktes Auftreten zu denken, was exempla-
risch durch Wolfram von Eschenbach bezeugt wird. Er habe „angegeben, daß er
seine französische Quelle durch mündliche Mitteilungen kennengelernt habe.
Der französische Text kann ihm vorgelesen oder paraphrasiert worden sein. In
ähnlicher Weise werden die Dichter gearbeitet haben, die zwar lesen konnten,
aber kein Französisch verstanden und daher auf die Hilfe von Dolmetschern
angewiesen waren.“505 Es läßt sich dagegen festhalten, daß französische wie an-
dere fremdsprachige Texte bei Hofe, und das heißt vorzugsweise als Tischlesung
bzw. Vortrag (Lesung) in kleiner oder großer Runde etwa am Kamin zu Gehör
kamen. An den Einsatz von Dolmetschern ist nur im zeitlichen Vorfeld bzw. bei
der Vorbereitung zu denken. Die ursprünglich fremdsprachigen Texte wurden
in der höfi schen Öff entlichkeit off enbar nur in bereits zuvor gefertigter Überset-
zung (ggf. auch Überarbeitung) in die Volksprache vorgetragen.506
Nach diesen allgemeineren Aussagen sei ein Hinweis auf direkte literarische
Präsenz gegeben, ohne daß die anzusprechende Angelegenheit vertieft werden
kann. Im (Prosa -) Lancelot schickt Königin Ginova ihre Nichte zur Frau vom
Lach und gibt ihr auf die Reise mit eynen geczwergk der mancherley sprachen kunde ir gesellschaff t zu thun.507
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Dolmetscher im Orient 115
VI. 6 Dolmetscher im Orient
Da unsere Untersuchungen hauptsächlich den Verhältnissen in Mitteleuropa
gelten, können die des Orients nur sehr knapp gestreift werden. Hier ist vieles
anders, und manche Ansätze kann man gut bis in die Spätantike zurückverfol-
gen. Am Beispiel der Berichte des Th rakers Priskos ließ sich dies recht anschau-
lich verdeutlichen, und manches spricht dafür, daß die dort am Hofe Attilas
aufscheinenden Strukturen ihrerseits dem byzantinischen Vorbild,508 vielleicht
noch stärker sogar persischen Gewohnheiten folgten. Letztere lassen sich zwar
erst etwa drei Generationen nach den hunnischen Regelungen im Geschichts-
werk des Byzantiners Menander Protector sehr präzis fassen, sie dürften sich
jedoch auf sehr viel ältere Strukturen stützen. Diese Th ematik bleibt hier aber
ausgeblendet, ebenso der zeitweilig straff organisierte Dolmetscherapparat der
Tataren.509 Zum Jahre 1233 ist sogar ein tatarischer Gesandter bezeugt, der
„deutsch, ungarisch, russisch, kumanisch, sarazenisch und tatarisch“ sprach. Ein
weiterer Th emenbereich ist schließlich zu streifen, der über keine erkennbare
Dolmetscherorganisation, aber über eine Fülle sprachbegabter Leute verfügte.
Gemeint sind die Juden, die seit der Zerstörung Jerusalems nach dem Aufstand
des Bar Kochba 132–125 n. Chr. und der Vertreibung ihres Volkes weit in Asien
und Europa verstreut worden waren. In ihren Gastländern hatten sie sich not-
gedrungen deren Sprache angeeignet. Als bemerkenswert sprachbegabte Leute
hatten viele Juden sogar mehr als eine fremde Sprache gelernt und waren oft in
der Lage, dolmetschende Dienste zu übernehmen. So überrascht es kaum, wenn
Karl der Große seinen Gesandten, die zu Harun al Raschid reisten, den sprach-
kundigen Juden Isaak als Dolmetscher zuordnete. Dessen Stellung war im buch-
stäblichen Sinne bemerkenswert, denn sowohl Name als auch ethnische Her-
kunft sind ausdrücklich in der Überlieferung notiert. Wie viele Juden in
dolmetschender Funktion damals wie später tätig waren, ist hingegen nicht aus-
drücklich überliefert, doch dürfte ihr Wirken relevant gewesen sein. Insofern
mahnt die Dunkelziff er, verfügbare Nachrichten nicht zu strapazieren und
überzubewerten. Im folgenden soll die Aufmerksamkeit einigen belegbaren
Phänomenen gelten.
Zeitlich schon vor den Kreuzzügen zogen auch große christliche Pilgerscharen
ins Heilige Land. Berühmt ist die Pilgergruppe einiger Bischöfe, die nach dem
Bericht Lamperts von Hersfeld 1065 bei Ramleh in größte Bedrängnis geriet,
ehe sich die Pilger unter Führung von Bischof Gunther von Bamberg gewaltsam
befreiten.510 Dabei wurden wiederholt Dolmetscher (oder war es jeweils der-
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116 Allgemeine Fremdsprachenkenntnisse
selbe?) von den Bischöfen eingesetzt. Sie boten die einzige Chance zur Kommu-
nikation, denn keiner in der Pilgergruppe sprach arabisch. Arabische Sprach-
kenntnisse gab es im Abendland ohnehin nur im extremen Ausnahmefall. Ein
solcher war Bischof Recemund von Elvira, ein „der arabischen wie der lateini-
schen Sprache gleich kundiger Mann“. Er ist „als Botschafter des Chalifen Ab-
derrhamans III.“ im lothringischen Gorze 955 bei Otto I. gewesen und war
bemüht, in einer heiklen Glaubensfrage zwischen Christen und Muslimen eine
behutsame Formel zu fi nden.511
Eine in mehrfacher Hinsicht große Ausnahmeerscheinung war „Simeon, der
Heilige der Porta Nigra“ in Trier. Geboren um 990 in Syrakus auf Sizilien, kam
er im Alter von sieben Jahren auf eine Schule in Konstantinopel und mit 20
nach Jerusalem als Pilger- und Fremdenführer. Wahrscheinlich 1029 kam Si-
meon nach Trier und ging an einem 30. November vermutlich des Jahres 1030
in seine Zelle im Ostturm der Porta Nigra, wo er am 1. Juni 1035 dann auch
„irdisch“ starb. Nur aus Simeons Vita ist verständlich, daß er griechisch, latei-
nisch, arabisch, syrisch und ägyptisch, vermutlich auch deutsch sprach.512
In die Kreuzzugszeit gehört dann der bereits erwähnte Dolmetscher des Soh-
nes von Sultan Saladin, der französisch sprach. Er wird es einst in der Fremde
sozusagen notgedrungen gelernt haben, anderenfalls gäbe er ein leuchtendes
Beispiel für einen Mann aus der muslimischen Welt, der man lange nachsagte,
sie habe nie fremde bzw. westlich-christliche Sprachen gelernt. Allerdings hätte
eine Angabe des Caesarius von Heisterbach auch einen Ausnahmecharakter. Im
Dialogus miraculorum von 1218–23 berichtet er von einem sarrazenischen
Dolmetscher und erzählt zusätzlich, daß ein vornehmer Muslim seinen Sohn
zum König von Jerusalem geschickt habe, damit er das Gallicum lerne, während
dieser seinen Sohn sozusagen im Tausch (versa vice) geschickt habe, um des
Partners Sprache zu lernen: ad discendum idioma Sarracenicum.513 Unabhängig-
keit von Dolmetschern und ggf. Übernahme gehobener Dolmetschaufgaben
waren off ensichtlich beiderseits intendiert.
Die große Zurückhaltung der Orientalen gegenüber Sprachen der Ungläubi-
gen hielt das Mittelalter hindurch an. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts gab es
allerdings Ausnahmen, wenn hervorragend organisierte Dolmetscher bzw. „li-
zensierte Dragomane“ begegnen. So hat Kristian Bosselmann-Cyran einige
„ausgewählte“, namentlich genannte Dolmetscher und Dragomane vorstellen
können. Es bleibt aber der Eindruck, als habe es sich im ausgehenden Mittelal-
ter fast ausschließlich um (ehemalige) „sprachkundige Galeerensklaven, Rene-
gaten und Mamluken“ gehandelt.514 Auf christlicher Seite ist die Nachrichten-
lage äußerst schmal, sie entspricht aber kaum den damals vorherrschenden
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Dolmetscher im Orient 117
Verhältnissen. Denn weil nach dem Ende der Kreuzzugsbewegung christliche
Pilgerscharen in den Vorderen Orient zogen, bestand dort ein dringender Be-
darf an Sprachvermittlung. Die bereits genannten, oft straff organisierten ehe-
maligen Galeerensklaven, Renegaten und Mamluken standen in hinreichender
Zahl, wenngleich mit unterschiedlicher Qualifi kation zur Verfügung und konn-
ten schon in Venedig vertraglich gewonnen werden. Diese sogenannten Miet-
dolmetscher wurden mit Bargeld entlohnt und scheinen insgesamt zufrieden-
stellende Leistungen erbracht zu haben. Man wird sie als professionelle Dol-
metscher ansprechen müssen.
Da für den Bereich der Orient- wie auch der Tatarenmission zeitgenössische
Reiseberichte und ansprechende Untersuchungen vorliegen,515 soll auch diese
Th ematik nur knapp berührt werden. Unlängst haben Volker Honemann und
Gunhild Roth betonen können, daß „professionelle Dolmetscher […] im Ori-
ent und besonders im byzantinischen und tatarischen Bereich bereits recht
früh“ auftreten. „Sie beherrschen nicht selten mehrere Sprachen“, was besonders
vorteilhaft ist, wenn auf sehr weiten Reisen verschiedene Sprachräume durch-
quert werden und dann auf jeweils neue und zusätzliche Dolmetscher verzichtet
werden kann. Oft waren sie gleichwohl nötig, und so formten sich mitunter
regelrechte „Dolmetscherketten“, die nicht nur teuer waren, sondern manchen
Ausgangstext durch mehrfaches neues „Übersetzen“ bis zur Unkenntlichkeit
verstümmelten.516
Seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert sind auch sogenannte Geleitsmänner
der Pilger belegbar, die zusätzlich zu ihrer Aufgabe der Reiseleitung und Betreu-
ung auch dolmetschten. Neben diesen zumeist professionellen Dolmetschern
gab es selbstverständlich immer wieder mehrsprachige Leute, die von Fall zu Fall
beigezogen werden konnten. Es blieb aber immer das Risiko, auch an inkompe-
tente Leute zu geraten oder gar keinen Sprachmittler zu fi nden.517
Insgesamt ist „die Bedeutung von Wallfahrten, Kreuzzügen und anderen
Wanderungsbewegungen […] für die Kommunikation in Mittelalter und Frü-
her Neuzeit“ und insbesondere für die Dolmetscherthematik schwer einzuschät-
zen. Vor allem diejenigen, „die sich nur vorübergehend (in Syrien und Palästina)
aufhielten, hatten wohl meist kein Interesse und wohl noch weniger Gelegen-
heit zum Erlernen der Landessprache“. Sie waren auf die Hilfe von Dolmet-
schern angewiesen und auf zweisprachige Glossare, die seit dem ausgehenden
Mittelalter „zunehmend Verbreitung fanden“,518 aber mit ihrem Minimal-
sprachschatz zu regelrechter Kommunikation niemanden befähigten. Ansätze
für kulturellen Austausch bot demnach ausschließlich der Rückgriff auf Dol-
metscher, deren Zahl und Bedeutung gleichwohl sehr eingeschränkt waren.519
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