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P. Jeremias Müller OSB Kath. Priester und Gestaltpsychotherapeut
„Wenn die Angst an unsere Türen klopft…“
Ursprung und Umgang mit unseren Ängsten im Alltag
Vortrag am 15. Juni 2016, 18.30 Uhr Josefinum Leoben
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Inhalt
1. Vorwort: Angst vor der Hölle - das Machtinstrument der Kirche
2. Begriffsklärungen 2.1. Woher kommt das Wort „Angst“ eigentlich?
2.2. Begriffsdifferenzierung: Furcht - Angst - Panik
2.3. Warum dürfen wir keine Angsthasen sein?
3. Formen der Ängste 3.1. Individuelle und kollektive Angst
3.2. Angst löst Blockaden aus und auf
3.3. Verschiedene Formen der Angst unserer Existenz
3.4. Furcht und Panik
3.5. Religiöse Ehrfurcht
4. Auswirkungen der Angst 4.1. Wie die Angst uns Menschen verändert
4.2. Die Funktionen der Angst
4.3. Vor was oder vor wem haben wir eigentlich Angst?
4.4. Wie reagieren wir in der Regel auf unsere Angst?
5. Die Bibel und die Angst 5.1. Männer und Angst - Die Angst Jesu
5.2. Die Ur-Angst des Adam vor der Wahrheit
5.3. Lebensängste in den Psalmen
5.4. Die pränatale Traumatisierung des Jona
5.5. Die Angst vor der Angst (Der Sturm auf See)
6. Modelle der Angstintegration bzw. -bewältigung 6.1. Die Angst als Teil meines „inneren Teams“ kultivieren
6.2. Die Relativierung meiner Ängste an der Wirklichkeit
6.3. Angstbewältigung durch „Paradoxe Intervention“ (Frankl)
6.4. Der spirituelle „Antirrheticus“ als Waffe gegen die Angst
6.5. Medizinisch-therapeutische Hilfe und Naturheilkunde
7. Abschluss - der Heilige Benedikt und die Panik, die terrorisiert
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1. Vorwort
Angst vor der Hölle - das Machtinstrument der Kirche
Wir befinden uns im Jahre 1510. Ein Augustinermönch ist unterwegs nach Rom. Er geht
einen Pilgerweg auf der Suche nach Antworten. Eine Frage quält ihn seit seinem
Theologiestudium: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Wie werde ich vor Gott
gerecht?“ – Diese Frage war für den jungen Mönch eine sehr persönliche und
existentielle Frage. Er stellte sie sich nicht aus rein philosophischem und theologischem
Interesse – sondern aus reiner Angst. Aus einer unglaublichen Angst vor einem strengen
Gott im Jüngsten Gericht nicht bestehen zu können. Der junge Mönch leidet innerlich,
sein Gebetsleben ist aufreibend. Er hat Angst, von Gott zur ewigen Verdammnis verurteilt
zu werden. Er glaubt, dass alle seine guten Werke, seine Selbstkasteiungen, ja selbst sein
Leben als Mönch nicht ausreichen werden, um Gott gnädig zu stimmen. Der junge Mönch
heißt Martin Luther.
Diese existenzielle Angst teilt Br. Martin mit vielen Menschen der damaligen Zeit. Die
kirchlichen Predigten schüren die Angst vor der ewigen Verdammnis. Höllenszenen und
die Qualen des Fegefeuers wurden sehr plastisch in kleinen Theaterstücken auf dem
Marktplatz dargestellt. Gellende Schreie, flammendes Inferno und Darstellungen des
Teufels, der mit Freude die armen Verstorbenen quält – das alles ließ den einfachen
Menschen - aber interessanterweise auch den hochgebildeten Luther in eine Krise
stürzen. Wer wollte da keine Angst bekommen?! Gleichzeitig blühte der Ablasshandel der
Kirche. Den Menschen wurde mit Papier und Siegel versprochen, dass durch den Kauf
eines Ablassbriefes den verstorbenen Angehörigen aus der Hölle geholfen, sowie das
eigene Leben vor der Hölle gerettet werden könne.
Gesunde Skepsis brachte Br. Martin Luther allerdings zur Überzeugung, dass Gott sich
nicht durch ein paar Münzen bestechen lässt und auf Bezahlung die Seele aus der Hölle
befreit. Aber wie konnte er Gott dennoch gnädig stimmen, wenn die eigenen guten
Werke nie reichen würden und auch ein Ablassbrief keine Rettung bringen kann?
Luthers Angst war die Angst vor dem (über)mächtigen Vater. Viele Biographen wissen
heute, dass die Erziehung Luthers durch einen strengen, richtenden Vater, der mit dessen
Entscheidung, Mönch zu werden, ganz und gar nicht einverstanden war, diese große
Angst schürte und Luther sie schließlich auf Gott übertrug.
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Mit der Angst lässt sich also nicht nur ein lukratives Geschäft machen, sondern mit der
Angst kann man Menschen instrumentalisieren. Das wusste auch ein Diktator im Nazi-
Reich, das wissen die Terroristen des IS, dass wissen auch die gegenwärtigen
muslimischen Diktatoren, selbst wenn sie äußerlich demokratisch gewählt wurden.
Angst ist allgegenwärtig: latent lauernd, subtil im Untergrund oder auch real um sich
greifend. In diesem Vortrag möchte ich deshalb verschiedenen Fragen nachgehen.
Zunächst möchte ich versuchen zu beschreiben, was eigentlich Angst als Phänomen
meint. In einem weiteren Schritt möchte ich zwischen Angst, Furcht und Panik
differenzieren. Danach gehe ich mit Ihnen der Frage nach, wo die Ursachen der Angst
liegen und welche Reaktionen - physisch wie psychisch - sie auslösen, um schließlich mit
Ihnen über den Umgang der Angst nachzudenken, auch aus einer christlich-biblisch-
therapeutischen Perspektive.
Viele Gedanken, die ich Ihnen vortrage, kommen aus dem seelsorglichen
Erfahrungsbereich und der psychotherapeutischen Arbeit, aus Studien über
Angstverhalten von Menschen, so wie aus der Forschungsliteratur der Neurologie, also
der Gehirnforschung.
Einer der bekannten Autoren zur Zeit, mit dem in diesem Jahr 2016 erschienen Werk
„Angst. Wie wir Furcht und Angst begreifen und therapieren können, wenn wir das
Gehirn verstehen“, ist der US-amerikanische Neurologe Joseph LeDoux an der New York
University. Er leitet dort das Institut für Neurowissenschaften. Auf ihn beziehe ich mich
immer wieder, wenn es um die Gehirnforschung zum Thema Angst geht.
2. Begriffsklärungen 2.1. Woher kommt das Wort „Angst“ eigentlich?
Der Begriff „Angst“ hat sich seit dem 8. Jahrhundert vom indogermanischen Wort
„anghu“, was so viel wie „beengend“ bedeutet, zum althochdeutschen Begriff „angust“
entwickelt. Die nahe Verwandtschaft zum Lateinischen „angustus“ bzw. „angustia“ für
Enge, Beengung, Bedrängnis ist schnell erkennbar.
Aus der Medizin kennen wir den Begriff der „Angina“, denken wir an die „angina
pectoris“, jener Schmerz im Brustraum, der mit einem beklemmenden Gefühl der
Verengung einhergeht.
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Begrifflich müssen wir dabei jene Angst, die ohne ein konkretes Objekt auskommt (im
Lateinischen „angor“) unterscheiden von einer Objekt- oder Personbezogenen Furcht
(lateinisch: „timor“). Doch schauen wir uns diese Differenzierung zwischen Angst, Furcht
und Panik einmal näher an.
2.2. Begriffsdifferenzierung: Furcht - Angst - Panik
Meist werfen wir ja alle Begriffe wie das Gemüse bei der Suppe in einen Topf: Furcht,
Angst und Panik. Doch die Wort-Reihenfolge, die ich gewählt habe, zeigt bereits: Es gibt
durchaus Steigerungspotentiale: sich zu fürchten ist eine andere Dimension als Angst zu
empfinden, Panik wiederum ist eine gesteigerte Variante der Angst. Das sagt uns
zunächst einmal der gesunde Hausverstand.
Angst ist ein menschliches Grundgefühl. Der Grafiker und Schriftsteller Alfred Kubin soll
am Sterbebett zu dem ihn tröstenden Arzt gesagt haben: „Nehmen Sie mir meine Angst
nicht, sie ist mein einziges Kapital!“ Angst ist tatsächlich mehr als nur eine Ausschüttung
von negativen Botenstoffen in unserem Gehirn oder Reaktionsmechanismen auf
Bedrohungen verschiedener Art.
Die Tiefenpsychologie unterscheidet vier Formen von Gefühlen: Freude, Angst, Wut und Trauer. Meines Erachtens gibt es aber noch mehr Gefühle: Stress, Scham, Ohnmacht,
Ekel, Einsamkeit, Vertrauen und Hoffnung. Wir können noch Bewunderung, Stolz und
Überraschung hinzufügen.
Unsere Wahrnehmungskompetenz und das damit einhergehende Emotionsspektrum ist
also groß und vielschichtig. So, wie wir mit unserem Geschmacksinn an einigen Stellen
der Zunge viele verschiedene Richtungen von „Geschmäckern“ differenziert benennen
können, ist auch unsere Gefühlswelt in der Leitzentrale des Gehirns oft diffus.
Denken wir nur an die Zeit der Pubertät, wo das Gehirn wie eine Festplatte neu formatiert
wird. Oder nehmen wir das Gefühl von Verliebtsein: Es wechselt von „Himmelhoch
jauchzend“ bis „zu Tode betrübt“. So erleben wir im Alltag eine große Zahl an
Gefühlsformen und deren Nuancen. Nicht immer entbrennt uns bei einem Ärgernis ein
Tobsuchtsanfall von Wut oder gar die Hochform von Zorn, manchmal sind wir einfach nur
missgestimmt oder erhitzt oder eben sauer.
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Ganz ähnlich verhält es sich mit der Angst. Sie tritt in mehrfachen Formen auf: Bedenken
(Skepsis), Besorgnis, Bedrohung, Furcht, Angst und Panik. Und sie mischt sich häufig mit
Ohnmacht, mit Trauer und mit Wut.
2.3. Warum dürfen wir keine Angsthasen sein?
Angst wird von vielen Menschen als etwas Negatives empfunden. So wie der dumme
Spruch in der Kindheit einmal lautete: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“, so hat man
uns u.U. eingetrichtert, kein „Angsthase“ sein zu dürfen. Doch keines der oben
genannten Gefühle kann man einem Menschen einfach so „nehmen“. Wer Angst hat oder
von Angst besetzt ist, dem hilft es nicht, wenn wir sagen: „Du brauchst keine Angst zu
haben!“ - Er hat sie ja schon!
Das kleine Kind, das nicht einschlafen kann aus Angst vor dem dunklen Schatten an der
Wand, weil im Zeichentrickfilm am Nachmittag ein Monster oder ein Bösewicht die
Hauptrolle spielte, dem nützt es nichts, wenn wir sagen: Es gibt das Monster nicht, du
brauchst keine Angst zu haben! Hilfreicher wäre, wenn wir als Erwachsene darauf
reagieren indem wir sagen: „Ich hab als Kind auch immer wieder Angst gehabt und habe
es heute auch noch hin und wieder. Wenn du ganz viel Angst hast, dann darfst du immer
zu mir kommen, ich bin da!“
Ähnlich ist es mit der Trauer, der Scham, der Ohnmacht usw. - Wir können keinem
Menschen sein Gefühl (weg)nehmen! Es kann sich nur mit der Zeit verwandeln! Denken
wir dabei ruhig an das Wort der Bibel im Psalm 30,12: „Da hast du mein Klagen in Tanzen
verwandelt, hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet.“ Die
Gewissheit über Gottes Gegenwart kann das jeweilige negative Gefühl in einem
religiösen Menschen in etwas Positives verwandeln.
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3. Formen der Ängste 3.1. Individuelle und kollektive Angst
Im literarischen Klassiker „Grundformen der Angst“ von Fritz Riemann (1990)
unterscheidet der Tiefenpsychologe zwischen der individuellen Angst des Menschen und
der kollektiven Angst der Menschheit.
Ein klassisches Beispiel für die kollektive Angst ist die in uns „abgespeicherte“ Angst als
jenes diffuse Gefühl, das wir empfinden, wenn wir bei Nacht durch einen Wald gehen,
zumal dann, wenn wir hinter oder neben uns im Geäst ein Knacken oder Rascheln hören.
Spontan denken wir an eine lauernde Gefahr, z.B. eine Schlange. Gesteigert wird so etwas
noch im Ur-Wald, im Dschungel, von dem wir wissen: Hier lauern die Gefahren in Ur-
Formen, also in der ursprünglichen Dimension. Hier wird das Gefühl ganz archaisch,
zugleich aber überdimensional vergrößert. Orte, Zeiten und Umstände bedingen einen
Verstärkung unserer Angst.
Anderes Beispiel: Viele Menschen empfinden vor allem an einem bestimmten Wochentag
eklatante Angstzustände. Es ist der Sonntagabend, also die Nacht vor dem Arbeitsbeginn
der neuen Woche. Bei Schülern bspw. ist es die Angst vor der Klausur, die geschrieben
oder zurückgegeben wird (oder einfach die Angst vor der Schule überhaupt), bei Lehrern
die Angst vor einer bestimmte Klasse; viele Menschen haben ein Grauen davor, montags
wieder in den tristen Arbeitsalltag einzutauchen. Sie empfinden schon bei dem Gedanken
Stress, Magenschmerzen oder Übelkeit. Diese individuelle Angst verbindet viele
Menschen, dennoch durchläuft jede und jeder von uns einen je eigenen Prozess im
Umgang mit dieser Angst. Von Alkoholkonsum als Kompensationsmittel über
Pharmazeutika bis hin zur Verdrängung und der Unlust, überhaupt zur Arbeit zu gehen -
all das sind Formen und Mittel, wie wir die Angst besiegen wollen.
3.2. Angst löst Blockaden aus und auf
Ich sage es noch einmal: Ängste sind grundsätzlich nichts Negatives. Im Gegenteil, sie
lassen uns Menschen über uns hinauswachsen. In meiner therapeutischen Arbeit und der
geistlichen Begleitung geht es immer wieder auch um Ängste, um Lebensängste.
Weniger um „Phobien“ (griech. „phobos“ - Furcht), z.B. vor Spinnen, großen Plätzen,
engen Räumen oder vor Fremden.
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Lebensängste können massiv blockieren! Sie lassen uns in eine Art muskuläre Starre
verfallen, so dass wir regungslos, wie angewurzelt, aber vor allem: handlungsunfähig da
stehen. Ängste blockieren also unser Biosystem.
Dabei haben Ängste auch enorm motivierenden Charakter! Denken wir nur an einen
Wohnungsbrand. Die Angst im Feuer ums Leben zu kommen, führt dazu, dass wir mutig
durch ein brennendes, verrauchtes Haus rennen und sogar fähig sind, um Hilfe schreiende
Menschen noch aus diesem Haus zu retten.
In Gesprächen nenne ich oft folgendes Beispiel, um den blockierenden und gleichzeitig
motivierenden Charakter von Angst zu verdeutlichen: Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor
einer morsch scheinenden Holzhängebrücke über einem Abgrund. Das flößt Ihnen
sicherlich Angst ein. Lebensangst. Doch diese Angst, die Sie - im Übrigen wie bei Kühen
und anderen Tieren auch - hindern könnte, diese Brücke zu überschreiten, wird
überwältigt von der Angst, die sie in dem Moment empfinden, wo hinter Ihnen eine
weitere (noch größere) Gefahr im Anmarsch ist, z.B. ein brüllender Löwe oder jemand, der
Sie verfolgt. Plötzlich überwinden wir die eine Angst durch die Motivationskraft
(Bedrohung / Bedrängnis) der anderen.
Die Angst, die zunächst in uns geweckt wird, ist die Angst vor dem Tod, vor der
Selbstaufgabe oder der Ohnmacht. Es folgt aber die Existenz-Angst, also genau durch
den Tod das Leben zu verlieren, was uns wiederum dazu antreibt, überleben zu wollen!
3.3. Verschiedene Formen der Angst unserer Existenz
Die Grundängste, die unser Leben zuweilen schwer machen, sind:
- die Angst vor der Selbsthingabe (Ich-Verlust und Abhängigkeit), z.B. mit der Frage
verbunden: Wer bin ich eigentlich, wenn ich dies oder jenes nicht mehr tun kann, nicht
mehr bin?
- die Angst vor der Selbstwerdung (als mangelnde Geborgenheit und Isolierung), also
der Abnabelung z.B. an das Elternhaus, verbunden mit der Frage: Was mache ich nur
ohne diese oder jene Person?
- die Angst vor der Veränderung bzw. Wandlung (Vergänglichkeit und Unsicherheit),
eine gewisse Instabilität mit der Frage: Wie soll das weiter gehen?
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- und die Angst vor der Notwendigkeit (als Endgültigkeit und Unfreiheit), verbunden
mit der Frage: Warum passiert mir das gerade? Was kommt da jetzt auf mich zu?
In meiner Wahrnehmung sind die Angst vor der Selbstwerdung (Individuation) und die
Angst vor Veränderung die stärksten Angstformen, die unser Leben bestimmen.
Das eigene Leben in die Hand nehmen, selbständig Entscheidungen treffen und auch
Verantwortung übernehmen - das sind wohl Elementarängste, die wir alle im
Erwachsenwerden überwinden müssen.
Ähnlich ist es mit der Angst vor Veränderungen. „Es war schon immer so!“ - „Wo
kommen wir hin, wenn es anders wird?“ - „Das hat’s noch nie gegeben!“ sind klassische
und entlarvende Schlüsselsätze (eher „Killerphrasen“), die dieser Angst ein konkretes
Gesicht geben. In der Kirche und in der Religion jedweder Art ist diese Angst die wohl am
meist verbreitete Form. Sie verhindert dynamische Entwicklung und damit das, was wir
allgemein als „Leben“ bezeichnen.
3.4. Furcht und Panik
Lassen Sie uns auch einen Blick auf die beiden Phänomene Furcht und Panik werfen. Sie
sind spezielle Ausdrucksformen der Angst.
Furcht, der wohl schwächere Begriff, ist gemeint, wenn wir eine Unsicherheit spüren
gegenüber uns eigenartig vorkommenden Lebewesen, Zuständen, Zeiten oder Orten.
Furcht hat mit Respekt zu tun und wird in der Psychologie als „Realangst“ bezeichnet.
Denn in der Tat haben wir es hier mit dem Gefühl einer recht konkret fassbaren
Bedrohung zu tun. Furcht löst also die Reaktion des Bewusstseins auf eine gegenwärtige
oder vorausgeahnte Gefahr aus.
Ein gutes Beispiel ist die sog. „Claustrophobie“, also die Angst, die wir in geschlossenen
Räumen (z.B. einem Aufzug, einem kleinen dunklen Zimmer, einem Sarg) empfinden, nicht
zu verwechseln mit der „Platzangst“ (Agoraphobie - Angst sich auf großen Plätzen
verloren zu fühlen). Eingesperrt zu sein auf engstem Raum löst durch die reale Enge, die
Atemnot, die u.U. entstehende Wärme und die Handlungsunfähigkeit eine Realangst aus,
die aber besser als „Furcht“ bezeichnet werden muss.
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3.5. Religiöse Ehrfurcht
Einer besonderen Form der „Furcht“, nämlich der religiösen Ehrfurcht, gilt es noch einen
Augenblick Aufmerksamkeit zu schenken. Hier geht es um die Achtung und den Respekt
vor etwas Größerem, vor dem „Numinosen“, das wir Gott nennen. Was passiert im
Menschen, wenn er Ehrfurcht empfindet? Auch wenn es zunächst etwas seltsam klingt,
lassen Sie es mich zunächst im Vergleicht mit der Tierwelt beschreiben: Ein Hund hat aus
seinem Instinkt heraus eine gewisse Ehrfurcht vor anderen ihm unbekannten Tieren oder
Phänomenen, aber auch vor dem stärkeren Hund im Rudelverband oder eben anerzogen
vor dem Menschen. Er zieht den Schwanz ein, beugt die Hinterpfoten etwas nach unten
und beginnt aufgeregt zu schnuppern. Wenn wir uns Menschen betrachten, wie wir in
einer Situation der Ehrfurcht reagieren, dann sieht dies interessanterweise recht ähnlich
aus: Sprichwörtlich sagt man: „Wir buckeln vor einem Herrscher“ - d.h. aus Ehrfurcht
nehmen wir eine leicht gebückte Rückenhaltung ein, neigen den Kopf nach unten, unser
Gang wirkt stockend bis verunsichert, die Gesichtsmuskulatur ist angespannt, manche
haben einen trockenen Mund. Ehrfurcht bedeutet achtsamen Respekt vor dem Größeren
zu haben. In der Vergangenheit waren dies Kaiser, Könige und Päpste, der Fürst oder eine
wie auch immer höher gestellte Persönlichkeit.
In der Rel igion ist es die Ehrfurcht vor Gott oder der Götterwelt .
Religionsphilosophisch sprechen wir vom „mysterium tremendum et fascinosum“, dem
Geheimnis also, das Furcht, Zittern („tremendum“) und zugleich Faszination
(„fascinosum“) auslöst. Ehrfurcht ist die Anerkennung des Anderen in seiner Stellung bzw.
in seiner Bedeutung, z.B. durch die Machtkompetenz, die ihm zugeteilt wurde.
Letztlich sind aber alle Formen der Angst kognitive Phänomene, ausgelöst durch sog.
„Botenstoffe“, die in unserem Gehirn bestimmte neurologische Reaktionen auslösen (z.B.
Ausschüttung von Adrenalin) - kurz: Angst hat immer mit Stress zu tun.
Die gesteigerte Form von Stress-Attacken nennen wir Panik. Panik ist eine extreme
Angststörung, die auftritt, wenn der Körper gewissermaßen die Kontrolle über das
Biosystem und seine mentale Steuerung verliert. Es muss nicht einmal eine wirkliche
Bedrohung (z.B. echte Schüsse eines Maschinengewehrs in einer Diskothek) vorliegen,
wie wir das bei Massenpanik oft erleben.
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Es können viele Menschen auf engem Raum zusammen kommen und schon der Schrei
„Feuer“ oder die Phantasie eines Einzelnen, sich eingesperrt zu fühlen (Klaustrophobie)
mit entsprechend hektischen Verhaltensweisen, löst die Panik aus, die uns zum
Selbsterhalt zwingt, d.h. wir wollen uns schützen, unser Leben retten.
Insofern versagt hier das Kontrollsystem und eine erhöhte Ausschüttung von Adrenalin
führt zu Panikattacken, d.h. zu massiven Angststörungen, die sogar traumatisch enden
können, bspw. wenn noch Jahrzehnte später Böllerschüsse an Silvester einen Menschen
zusammenzucken lassen.
4. Auswirkungen der Angst 4.1. Wie die Angst uns Menschen verändert
Wann immer dem Menschen etwas widerfährt, löst dies in seinem Biosystem zunächst
eine Vielzahl von Reaktionen aus. Angst zeigt sich - denken wir nur einmal an eine
Prüfung oder eine Bühnenaufführung - in einer ersten Phase zunächst körperlich mit
Schweißausbrüchen, nassen Händen, unsicherem Blick, gekrümmter Körperhaltung,
verzerrter Mimik, Nervosität, Kreislaufproblemen, Kopfschmerzen, trockenem Mund.
Im Klartext: Der Mensch zeigt bei Angstzuständen deutliche psycho-somatische
Reaktionen. Dies sind keine krankhaften Reaktionen! Sondern es sind Reaktionen, die bei
einer tatsächlichen oder auch nur in der Phantasie vermuteten Gefahr im Ernstfall unser
Überleben sichern sollen. Diese körperlichen Reaktionen bereiten uns in einem ersten
Schritt auf eine Kampf- oder Flucht-Situation (fight or flight) vor. Damit ist zugleich auch
etwas gesagt über die möglichen Reaktionsweisen, die uns bei Angst nur bleiben: Wir
können kämpfen oder fliehen. Ein ganz altes menschliches Grundmuster bei Angst.
Ich sagte eben: in einer ersten Phase - denn unser Körper bereitet im Angstzustand etwas
anderes vor. Was genau?
- Erhöhte Aufmerksamkeit, d.h. die Pupillen weiten sich, die Seh- und Hörnerven werden
empfindlicher - Erhöhte Muskelanspannung, d.h. wir sind zu einer größeren Reaktionsgeschwindigkeit
in der Lage - Erhöhte Herzfrequenz durch erhöhten Blutdruck, das Leben will gewinnen - flachere und schnellere Atmung - in den Muskeln wird Energie bereit gestellt
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Durch die Absonderung von besonderen Molekülen im Schweiß, können andere
Menschen unsere Angst förmlich riechen und dies löst wiederum unterbewusst
Alarmbereitschaft aus. Es kommt der klassische Gesichtsausdruck des Menschen dazu:
verzerrte Mimik, weit aufgerissene Augen etc., plus die Sprache, die den Mitmenschen
deutlich macht: Ich brauche Hilfe!
Damit wird verständlich, dass Angst als Gefühl im Menschen eine klare Funktion hat. Wie
gesagt: Entweder fliehen oder kämpfen wir. Entweder bewahrt sie uns im Sinne einer
Blockade (z.B. vor einem Abgrund noch zu bremsen) oder sie motiviert uns, in dem wir
durch eine größere drohende Gefahr die kleinere Gefahr überwinden. Angst erfüllt also
eine wichtige Funktion für den menschlichen Organismus!
4.2. Die Funktionen der Angst
Evolutionsgeschichtlich hat die Angst eine wichtige Funktion: Sie löst in unseren Sinnen
einen verstärkenden Schutzmechanismus aus, der in tatsächlichen oder auch nur
vermeintlichen Gefahrensituationen ein angemessenes Verhalten einleitet.
Bei Experimenten mit Tieren hat man herausgefunden, dass der Energieaufwand für eine
Flucht sehr gering ist (wenige hundert Kilokalorien), aber eine übersehene Bedrohung
folgenschwere Auswirkungen nach sich ziehen kann. Daher ist die Alarmanlage „Angst“
von der Natur im Menschen wie bei Tieren sehr empfindlich eingestellt. Und wie das bei
Alarmanlagen manchmal so ist, es kann auch Fehlalarme geben!
Angst kann sowohl bewusst als auch unbewusst wirken. Entstehen bspw. durch Angst
andauernde Kontrollverluste oder Lähmungen, wird von einer Angststörung gesprochen.
Ist diese Angst an ein bestimmtes Objekt oder eine bestimmte Situation gebunden,
spricht man von einer Phobie (z.B. Schlangen, Spinnen etc.)
4.3. Vor was oder vor wem haben wir eigentlich Angst?
In meiner Kindheit haben wir gerne im Sport das Laufspiel „Wer hat Angst vor’m
schwarzen Mann?“ gespielt. Die Antwort lautete: „Niemand! Und wenn er kommt, dann
laufen wir!“ Es ist ein recht altes Spiel. Hintergrund dieses Spieles ist möglicherweise der
Umstand der Pest, die mit dem Begriff „Schwarzen Tod“ - „Schwarzer Mann“ gemeint ist.
Das würde auch das Spielprinzip verstehbar machen: Jeder, der von der „Pest“ befallen
wird, also im Spiel vom „Schwarzen Mann“ angetippt wird, wird selber zum Träger des
„Schwarzen Todes“ und gehört damit zur Mannschaft des „Schwarzen Mannes“, welche Seite ! von !12 29
die Seuche ausbreitet. Angst kann in der Tat „anstecken“, das wissen wir vom Phänomen
der Massenpanik. Generell kann man sagen: Die Angst verbindet als Grundgefühl wohl
alle Menschen vom Embryo bis hin zu sterbenden Menschen. Doch wovor haben wir
Menschen Angst?
- archaische Ängste: Angst vor Wasser, Feuer, wilden Tieren, Dunkelheit / Nacht usw. - vor Situationen: Prüfungen, Vorträgen, Verhör usw. - vor Fremdem: fremde Menschen, Länder, Sitten, Verhalten etc. - vor Autoritäten: (Chef, Lehrer, Direktor, Papst, König, Bischof, Wärter etc.) - vor den Konsequenzen der Wahrheit: Diagnose einer Krankheit, Lebensbeichte,
Eingeständnis eines Fehlverhaltens (z.B. Betrug) - vor dem Tod: durch Krieg, Terror, Gewalt, Schmerz, Verlust
Was verbindet diese Ängste miteinander? Mit der Angst verbunden ist das Gefühl der Ohnmacht (Unsicherheit / Kontrollverlust / Abhängigkeitsverhältnis). Genau deshalb
kämpfen wir gegen Krankheiten an, damit wir Macht über die Erkrankung gewinnen.
Deshalb wollen wir ja selbst an der Spitze einer Firma stehen, damit niemand mehr
„über“ uns steht usw.
4.4. Wie reagieren wir in der Regel auf unsere Angst?
Jeder Mensch bringt eine für ihn typische Angstdisposition von Geburt an mit, die sich
aber schon ab dem Kleinkindalter und noch lebenslang durch entsprechende
Lernprozesse erheblich verändern lässt. Jede Art von Angst kann gelernt, aber auch
verlernt werden. Dies heißt aber auch: bevor wir lernen mit der Angst umzugehen oder
sie sogar wieder „verlieren“, erlernen wir sie zunächst einmal. Ängste können auf
unterschiedliche Weise gelernt werden, etwa durch eigene Erfahrung (Konditionierung),
durch Beobachtung fremden Verhaltens (Lernen am Modell) oder durch Instruktion (z.B.
durch Warnhinweise).
Im Umgang mit der Angst entwickeln wir Menschen entsprechend unserer angeborenen
Gefühlsstruktur und unseres erlernten Risikomanagements ein breites Spektrum an
Verhaltens-möglichkeiten. Diese „Muster“ sind nicht immer stabil, sondern verändern sich
entsprechend der jeweiligen Angst. Folgende „Muster“ kennen wir - Sie dürfen ja gerne
einmal überlegen, welche davon auch Ihre Muster sind:
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- Das Vermeidungsverhalten versucht, der Angst vor bestimmten Ereignissen, Räumen
oder Personen möglichst auszuweichen. - Das Bagatellisierungsverhalten hat zum Ziel, die als peinlich erlebten Angstgefühle
vor sich und anderen herunterzuspielen („So schlimm war es nicht!“) - Das Verdrängungsverhalten (Kompensation) versucht, der gestellten Aufgabe
hinderliche Angstgefühle zu unterdrücken oder wegzuschieben („Ich will da gar nicht
dran denken“, Ablenkung durch Shopping, Sport etc.) - Das Leugnungsverhalten blendet Anzeichen von Angst aus dem Bewusstsein aus oder
versteckt die als Schwäche empfundenen Angstgefühle vor anderen. Es wird also
künstlich überspielt: „Das mach ich doch mit link, überhaupt kein Problem…“ - Das Übertreibungsverhalten wiederholt und überzieht Sicherheitsvorkehrungen zur
Beruhigung der angespannten Gefühlslage. Dies kann sogar zu zwanghaftem
Kontrollverhalten führen, also 3-5mal ins Haus rennen und schauen, ob wirklich der
Herd ausgeschaltet und die Kerze ausgeblasen ist. - Das Generalisierungsverhalten folgt dem Denkschema von Ängsten als „normaler“
Erscheinung, um sich aus einer erlebten Sonderstellung zu befreien. („Jeder hat doch
Angst“) - Das Bewältigungsverhalten bemüht sich um ein realitätsgerechtes Maß an Angst und
um ein „funktionierendes Angstgewissen“. Welche Reaktion ist angemessen angesichts
einer Prüfung, wenn ich gelernt habe - ist die Angst vielleicht nur verstärkte
Aufregung? - Das Heroisierungsverhalten nimmt die emotionale Befindlichkeit der Angst an, sucht
sie sogar und empfindet dabei ein gewisses Heldentum. Man hat dann einen „Kick“,
wenn man dies oder jenes unter Gefahr für Leib und Leben macht. - Das Angriffsverhalten setzt Mittel verbaler und nonverbaler Gewalt ein, d.h. ich
beschimpfe z.B. Ausländer oder greife sie an, setze ein Flüchtlingsheim in Brand. - Beim Suchtverhalten greift die Person zu Mitteln wie Alkohol oder anderen Drogen,
um den Angstzustand durch Überlagerung eines anderen Bewusstseinszustandes
auszuschalten oder zu „dämpfen“.
Wir haben also eine Reihe von Registern, die wir ziehen können, wenn die Angst an
unsere Türen klopft. Und wir spielen alle - wenn auch unterschiedlich aufgrund unserer
Biographie, unserer Charaktere, den erlernten Verhaltensweisen - auf dieser Klaviatur der
Angstumgangsformen. Jede und jeder von uns hat die ein oder andere Form schon
einmal angewandt.
Allerdings besteht immer auch das Risiko, dass wir uns bestimmte Verhaltensweisen so
aneignen, dass sie u.U. auch krankhafte Züge annehmen. Seite ! von !14 29
In der Regel reagieren wir auf einen REIZ durch eine bestimmte REAKTION. Diese
Reaktion kann zu diesem Zeitpunkt, unter diesen ganz konkreten Bedingungen und
aufgrund der mir zur Verfügung stehenden Situation die richtige Reaktion sein - oder auch
eine falsche. Ein einfaches Beispiel: Es kann sein, dass ich vor einem Vortrag tatsächlich
Angst habe, wir sagen umgangs-sprachlich „Lampenfieber“. Wenn mir dann jemand
einen Schnaps anbietet zur Beruhigung, kann dies für dieses eine Mal tatsächlich meinen
körperlichen Zustand der Anspannung lockern. Wenn ich aber jedesmal vor einem
Vortrag, einer Prüfung oder einer Präsentation immer einen Schnaps trinke, dann wird
diese REAKTION auf den REIZ zu einem MUSTER. Dieses Muster führt zu einer
klassischen Konditionierung. Will heißen: Immer, wenn ich einen solchen Angstzustand
spüre, versuche ich ihn durch ein Glas Schnaps zu bewältigen, d.h. ich habe den Schnaps
in einer kleinen Flasche schon an Bord, in der Jackentasche.
Wenn dieses MUSTER zur Regel wird und u.U. auf andere Situationen der Anspannung
angewandt wird, sprechen wir von einer STRATEGIE. Diese Strategie allerdings führt in
eine Form der Abhängigkeit, z.B. Alkoholsucht. Das wiederum wird zu einer krankhaften
Form der Angstbewältigung führen.
5. Die Bibel und die Angst
Bevor wir uns der Frage stellen, wie wir denn klug und angemessen, im Ausgleich von
Leib, Geist und Seele unseren Ängsten begegnen können, möchte ich mit Ihnen einen
Ausflug in die Heilige Schrift machen.
5.1. Männer und Angst - Die Angst Jesu Betrachtet man sich die biblischen Textstellen genau, könnte man den Eindruck
gewinnen, dass es vor all allem Männer sind, die sich fürchten und z.T. existentielle
Ängste ausstehen. Ich nenne Ihnen einfach mal eine ganze Reihe von Namen: Abraham
(Gen 15,12), Jakob (Gen 32,8), Mose (Ex 2,14), Joshua (Jos 8,1), das Volk (Ex 20,18), Saul
(1 Sam 18,15), David (2 Sam 24,14), Elija (1 Kön 19,3), Hiob (Hiob 7,14), Jünger Jesu (Mt
8,26 / Mt 17,6 / Lk 24,37), Petrus (Mt 14,30), Paulus (2 Kor 7,5) und Jesus (Lk 22,44) selbst.
Die Liste ist lang. Jetzt kann man sagen: Natürlich sind es überwiegend Männer, denn in
der Bibel spielen Frauen nicht die Hauptrollen. Das stimmt, gleichzeitig aber ist es doch
erstaunlich, dass das Angstverhalten gerade von Männern in einer von Männern
dominierten Welt nicht verschwiegen wird!
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Manche dieser Männer in der Bibel empfinden mehr als nur einmal in ihrem Leben
richtige Ängste oder sogar Todesängste. Die Psalmen sind geradezu überhäuft mit den
lauten und leisen Schreien der Angst. Wenn wir in der Exegese richtig liegen, dann
werden sie zu einem großen Teil König David zugeordnet. Das wiederum sagt uns etwas
über den mutigen, kämpferischen König David, der einerseits seine Angst in dieser
wunderbaren Erzählung mit dem Philister Goliath überwindet, dann aber in so vielen
Gedichten wie den Psalmen immer wieder seine Angst, seine eigenen verwundbaren
Stellen zeigt.
152mal spricht die Bibel im Alten wie Neuen Testament von der Angst, noch etwas
häufiger von der Furcht. Die allererste Angst, von der uns berichtet wird, ist die Angst des
Adam, des Menschen überhaupt. Nachdem er gegen die Weisung Gottes verstoßen und
doch von der Frucht des Baumes der Erkenntnis gekostet hat, flieht und versteckt er sich
im Paradies hinter den Sträuchern und Bäumen. Gott aber sucht ihn. Sein sorgender Ruf
„Adam, wo bist du?“ (Gen 3,9) eilt ihm voraus. Immerhin, Adam ist so mutig, dass er nicht
sprachlos wird. Er antwortete: „Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in
Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich!“ (Gen 3,10) Die Angst, von Gott entdeckt
zu werden, hemmt ihn. Es ist die Angst, die wir als kleine Kinder kennen, wenn wir etwas
angestellt haben. Hoffentlich, so bitten wir inständig, kommt es nicht raus… und ans
Licht. Es ist eine Angst, vermischt mit einem anderen starken Gefühl, nämlich der Scham.
Wir schämen uns wegen eines Fehlers, den wir nicht mehr rückgängig machen können.
5.2. Die Ur-Angst des Adam vor der Wahrheit
Die Urangst des Menschen - so beschreibt es die Bibel - ist also nicht jene vor
irgendeinem seltsamen Monster, vor einem Menschen, sondern vor der Wahrheit! Ist es
überhaupt Angst? Adam gerät in Furcht - vor Gottes Gegenwart. Adam hat Angst
entdeckt und bestraft zu werden. Dabei ist er bereits „entblösst“! Es ist ohnehin schon
alles ans Licht gekommen. Der Mensch ist nackt, mehr als nur äußerlich…
Hinter dieser Nacktheit steht das große Thema der Lebenswahrheit. Es geht darum, wer
wir wirklich sind. Insofern ist diese Furcht die Angst vor der Selbsterkenntnis. Es ist die
Angst vor dem Eingeständnis, nicht dieser oder jener zu sein, sondern ein ganz anderer.
Schauen Sie sich in Ihrem Alltag einmal um: Wie vielen Menschen vertrauen Sie
tatsächlich Ihr wahres ICH an? Wie oft setzen wir eine Maske auf, spielen Theater? Wo
können Sie wirklich der- oder diejenige sein, die Sie als Person sind? Und was ist, wenn
wir im Leben scheitern, wenn unser Leben in die Brüche gerät? Bei wem erleben wir, dass
wir ohne Angst sein dürfen wie wir sind?! Seite ! von !16 29
Wer also sagt, dass die Bibel nur nette Märchen erzählt, der liegt falsch. Sie macht alle
großen Lebensthemen zum Thema und die handelnden Personen setzen sich mit diesen
Themen auseinander.
5.3. Lebensängste in den Psalmen Deshalb sind auch die Ängste in der Bibel verschiedener Art. Wenn wir die Ängste etwas
katalogisieren wollen, dann findet sich
- die Angst vor dem Scheitern (vgl. Psalm 25 in Auszügen) Mein Gott, auf dich vertraue ich. Lass mich nicht scheitern, lass meine Feinde nicht
triumphieren! Führe mich in deiner Treue und lehre mich; denn du bist der Gott meines
Heiles. Auf dich hoffe ich allezeit. Denk nicht an meine Jugendsünden und meine Frevel!
In deiner Huld denk an mich, Herr, denn du bist gütig. Um deines Namens willen, Herr,
verzeih mir; denn meine Schuld ist groß. Meine Augen schauen stets auf den Herrn; denn
er befreit meine Füße aus dem Netz. Wende dich mir zu und sei mir gnädig; denn ich bin
einsam und gebeugt. Befrei mein Herz von der Angst, führe mich heraus aus der
Bedrängnis! Sieh meine Not und Plage an und vergib mir all meine Sünden! Sieh doch,
wie zahlreich meine Feinde sind, mit welch tödlichem Hass sie mich hassen! Erhalte mein
Leben und rette mich, lass mich nicht scheitern! Denn ich nehme zu dir meine Zuflucht.
- die Angst aufgrund eigener Schuld (Psalm 38 in Auszügen) Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm! Denn
deine Pfeile haben mich getroffen, deine Hand lastet schwer auf mir. Nichts blieb gesund
an meinem Leib, weil du mir grollst; weil ich gesündigt, blieb an meinen Gliedern nichts
heil. Denn meine Sünden schlagen mir über dem Kopf zusammen, sie erdrücken mich wie
eine schwere Last. Mir schwären, mir eitern die Wunden wegen meiner Torheit. Ich bin
gekrümmt und tief gebeugt, den ganzen Tag geh ich traurig einher. Denn meine Lenden
sind voller Brand, nichts blieb gesund an meinem Leib. Kraftlos bin ich und ganz
zerschlagen, ich schreie in der Qual meines Herzens. Ich bin dem Fallen nahe, mein Leid
steht mir immer vor Augen. Ja, ich bekenne meine Schuld, ich bin wegen meiner Sünde in
Angst. Die mich ohne Grund befehden, sind stark; viele hassen mich wegen nichts. Sie
vergelten mir Gutes mit Bösem, sie sind mir Feind; denn ich trachte nach dem Guten.
Herr, verlass mich nicht, bleib mir nicht fern, mein Gott! Eile mir zu Hilfe, Herr, du mein
Heil!
- die Angst vor feindlicher Gewalt (Psalm 55)
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- und die Angst vor dem Tod (Ester 4,17 - auch hier in Auszügen):
Und sie betete zum Herrn, dem Gott Israels: (l) Herr, unser König, du bist der Einzige. Hilf
mir! Denn ich bin allein und habe keinen Helfer außer dir; die Gefahr steht greifbar vor
mir. (m) (…) Denk an uns, Herr! Offenbare dich in der Zeit unserer Not und gib mir Mut,
König der Götter und Herrscher über alle Mächte! (s) Leg mir in Gegenwart des Löwen
die passenden Worte in den Mund und stimm sein Herz um, damit er unseren Feind hasst
und ihn und seine Gesinnungsgenossen vernichtet. (t) Uns aber rette mit deiner Hand! Hilf
mir, denn ich bin allein und habe niemand außer dir, o Herr! (u) Du kennst alles. (…)
Erhöre das Flehen der Verzweifelten und befrei uns aus der Hand der Bösen! Befrei mich
von meinen Ängsten!
5.4. Die pränatale Traumatisierung des Jona
Ich möchte noch gerne den Propheten Jona anführen. Wir kennen die Lehrerzählung von
jenem Mann, der eigentlich als Gottes Werkzeug der Stadt Ninive die Leviten lesen sollte.
Aber stattdessen flieht er. Auf dem Schiff wird er entdeckt, ein Sturm braust auf und weil
die Seeleute glauben, er sei Schuld am Sturm, werfen sie ihn über Bord. Und jetzt lesen
und hören wir das Angstbesetzte Gebet eines Menschen in großer Existenzangst:
Der Herr aber schickte einen großen Fisch, der Jona verschlang. Jona war drei Tage und
drei Nächte im Bauch des Fisches und er betete im Bauch des Fisches zum Herrn, seinem
Gott: In meiner Not rief ich zum Herrn und er erhörte mich. Aus der Tiefe der Unterwelt
schrie ich um Hilfe und du hörtest mein Rufen. Du hast mich in die Tiefe geworfen, in das
Herz der Meere; mich umschlossen die Fluten, all deine Wellen und Wogen schlugen
über mir zusammen. Ich dachte: Ich bin aus deiner Nähe verstoßen. Wie kann ich deinen
heiligen Tempel wieder erblicken? Das Wasser reichte mir bis an die Kehle, die Urflut
umschloss mich; Schilfgras umschlang meinen Kopf. Bis zu den Wurzeln der Berge, tief in
die Erde kam ich hinab; ihre Riegel schlossen mich ein für immer. Doch du holtest mich
lebendig aus dem Grab herauf, Herr, mein Gott. Als mir der Atem schwand, dachte ich an
den Herrn und mein Gebet drang zu dir, zu deinem heiligen Tempel. (… ) Vom Herrn
kommt die Rettung. Da befahl der Herr dem Fisch, Jona ans Land zu speien.
Wenn Sie für einen Moment einmal vergessen, dass es eine fiktive jüdische Lehrerzählung
über einen Menschen ist, der sogar in selbstverschuldeter Not und Angst noch Hilfe von
Gott erfahren kann, dann lassen Sie sich einmal darauf ein, dass es aus medizinischer
Betrachtung ein pränatales Trauma sein könnte.
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Warum? Nun zum Einen, weil es sich im Hebräischen nicht um einen Fisch („dag“),
sondern um eine Fischin („dagah“) (!) handelt, sehr bewusst hat der Autor hier die
weibliche Form des Wortes Fisches gewählt. Dazu kommt, dass das hebräische Wort für
Bauch oder Leib „mimme’je“ heißt und im Wortstamm eng mit „Gebärmutter“ verwandt
(racha-mim) ist.
Unser Freund Jona ist also nicht einfach nur im Bauch eines Walfisches, sondern vielmehr
in der Gebärmutter einer Walfischdame. Jetzt kommen wir zur pränatalen
Traumatisierung. Da heißt es im Text: „Wasser reichte mir bis an die Kehle, die Urflut
umschloss mich; Schilfgras umschlang meinen Kopf.“ Das gleiche Phänomen haben wir
bei Embryos, die im Fruchtwasser liegen, das sie komplett umschließt. Es ist ja sozusagen
der erste Wellnesswhirlpool, den wir in unserem Leben kennenlernen.
Nun kann es vor der Geburt schon im Mutterleib passieren, dass sich die Nabelschnur um
den Kopf, um den Hals legt und zusammenzieht - „Schilfgras umschlang meinen Kopf.“ In
der Medizin ist dieser Vorgang als NSU bekannt, „Nabelschnurumschlingung“. Eine
solche Situation löst Panikattacken aus, beim Embryo vor allem Sauerstoffmangel, der zu
Beeinträchtigungen der Gehirnfunktionen führen kann. Eine solche Traumatisierung kann
ein Leben lang belasten, z.B. in Form von Klaustrophobie, also der Angst in beengten
Situationen.
Es kann also sein, dass Menschen nicht nur in beengten Räumen, sondern auch bei
Luftmangel in geschlossenen Räumen oder extremer Wärmeentwicklung richtige
Panikattaken bekommen, also Angstzustände.
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5.5. Die Angst vor der Angst (Der Sturm auf See)
Werfen wir noch einen Blick in das Neue Testament: In der Erzählung vom Sturm auf dem See (Mt 14,22-33) wird und aus der Perspektive des Apostels Petrus ein großer
Angstmoment berichtet. Ein Sturm tobt, das kleine Boot wankt und schwankt, die Wellen
schlagen in das Innere. Doch dann sehen die Jünger ihren Meister Jesus über das Wasser
kommen. Zunächst erschrecken sie, weil sie ihn für ein Gespenst halten. Schließlich wagt
Petrus den Ausstieg. Er will den „sicheren Boden“ verlassen und wagt das Risiko. Eine
Geschichte gegen die eigene Angst wird uns hier erzählt.
Die Geschichte zeigt uns, wie uns selbst so oft im Leben ergeht. Von der eigenen
Courage werden wir überrannt… Der Boden bricht unter den Füßen weg, alles stürzt
zusammen, wir verlieren den Halt: „Als er aber sah, wie heftig der Wind war, bekam er
Angst und begann unterzugehen. Er schrie: Herr, rette mich! Jesus streckte sofort die
Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ (Mt
14,30-31) Jesus rettet Petrus aus seiner Angst. Darauf fußt unser Glaube. Wir dürfen in
unseren Ängsten hoffen, dass Gott uns diesen entreißt.
Paulus nennt uns im Hebräerbrief auch den Grund für diese Hoffnung. Wir haben als
Christen in Jesus Christus einen „Mitleidenden“ und „Mitfühlenden“ Menschen und Gott
an unserer Seite: „Als er auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen
Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört
und aus seiner Angst befreit worden. Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den
Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber
des ewigen Heils geworden.“ (Hebr 5,7-9). Christus selbst hat seine Angst zugelassen -
und überwunden.
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6. Modelle der Angstintegration bzw. -bewältigung
Damit bin ich beim letzten Punkt des Vortrages und versuche nun, aus christlicher,
spiritueller Perspektive, zugleich aber mit psychotherapeutischem Hintergrund nach
möglichen Handlungs-formen zu suchen, wie wir unseren Ängsten begegnen können.
Vier Modelle möchte ich Ihnen nun anbieten:
6.1. Die Angst als Teil meines „Inneren Teams“ kultivieren
In der Psychotherapie gibt es ein Modell, dass uns helfen kann, mit der Angst als einem
Teil von mir umzugehen. Wann immer es darum geht, Persönlichkeitsanteile
wahrzunehmen und wertzuschätzen, sprechen wir in der Psychotherapie von Integration
und Kultivierung. Integration meint also: Ich nehme diesen Anteil an, akzeptiere ihn als zu
mir gehörend. Kultivierung bedeutet: Ich versuche, diesen Anteil in mein Leben
einzubauen, so dass er mir dienlich ist, es geht also um die Anwendung.
Das Modell, das ich Ihnen anbieten möchte heißt „Inneres Team“. Ein Team ist eine
Zusammenstellung von Personen, die an einem gestellten Auftrag gemeinsam
problemlösend arbeiten sollen. In einer Firma wäre das z.B. eine Abteilung mit dem
Abteilungsleiter und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Oder auf der Ebene der
Firmenleitung wäre es der Firmenchef mit den einzelnen Abteilungsleitern.
So dürfen Sie sich Ihr Leben vorstellen: Sie sind der Chef des „Unternehmens“, also Ihres
Lebens und die Persönlichkeitsanteile Ihres Wesens sind Ihre personifizierten
Abteilungsleiter und Abteilungsleiterinnen. Sie nehmen also zu Hause einmal ein weißes
DIN A4 Blatt, legen es quer vor sich hin und malen ein großes Oval (Ei) darauf. Jetzt
positionieren Sie sich an das eine Kopfende. Sie sind der Chef Ihres Lebens, vor Ihnen ist
der Leitungstisch und jetzt platzieren Sie eine Reihe von Abteilungsleitern um diesen
Tisch - d.h. alle Wesenszüge oder Gefühle, die Ihnen so in den Sinn kommen: Kreativität,
Freude, Mut, Enttäuschung, Hoffnung, Trauer, Angst, Neugierde, Sinnlichkeit,
Sachlichkeit, Frust, Glaube, usw. Diese sind quasi Ihre personifizierten Abteilungsleiter/
innen.
Jetzt legen Sie quasi eine Lebensfrage als „Produktionsprojekt“ auf den Tisch. Zum
Beispiel die Frage: Soll ich den Menschen, den ich da kennengelernt habe, heiraten?
Oder: Soll ich Betriebswirtschaft oder doch besser Literaturwissenschaft studieren?
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Es geht um die großen Fragen des Lebens! Sie können auch die Frage auflegen: Wie
gehe ich mit dem Tod meiner Mutter um?
Nun lassen Sie diese einzelnen Abteilungsleiter sprechen, d.h. Sie versetzen sich in die
Lage jedes einzelnen Persönlichkeitsanteils hinein. In therapeutischen Arbeiten lasse ich
die Leute tatsächlich schon mal auf den einzelnen Plätzen nachempfinden, was da
kommen kann, welche typisierenden Aussagen da fallen.
Zum Beispiel könnte die Enttäuschung sagen: „Ich hab das schon so oft probiert, aber es
kommt ja doch nichts dabei raus! Ich mag einfach nicht mehr!“ - Der Mut hingegen: „Ich
finde wir sollten es wagen, einfach mal ausprobieren, wenn es schief geht, dann
überlegen wir uns eine Alternative!“ - usw. Wir haben alle diese Aussagen in uns
abgespeichert.
Jetzt kommen wir zur Angst! Geben Sie der Angst einen guten Platz an diesem Tisch!
Niemals die Angst ausklammern! Sie gehört zu Ihrem Leben dazu! Sehen Sie den
positiven Nutzen der Angst: sie verhindert und sie motiviert! Aber stellen Sie der Angst
eine andere Position gegenüber: Der Mut oder die Hoffnung oder die Freude! Machen
Sie nicht den Fehler, die Angst genau gegenüber Platz nehmen zu lassen, dann schauen
Sie immer der Angst in die Augen. Auch nicht links und recht nehmen Ihnen als Ihre
treuesten Berater! Überlegen Sie sich gut, wer da sitzt. Die Angst sitzt irgendwo an der
Seite. Sie kommt zu Wort - wenn Sie sie darum bitten. Wo die Angst permanent das Wort
ergreift und die erste Geige spielen will, da müssen Sie als Moderator Ihres Lebens
Einhalt gebieten.
Auf den ersten Blick mag es wie ein verspieltes System aussehen, aber wir haben ja auch
als Kinder im Spiel gelernt, mit Alltagssituationen umzugehen. Warum also nicht auch die
Seele mit ihrem inneren Spiel kennenlernen? Als Chef/in Ihres Lebens haben Sie an
diesem imaginären Abteilungsleitertisch den Überblick auf das Ganze und gleichzeitig
rufen Sie sich immer in Erinnerung: ICH bin der Chef meines Lebens. Das bedeutet
einerseits, ICH treffe Entscheidungen, aber auch ICH trage die Verantwortung. Das ist
deshalb so wichtig, weil wir zwar in der Regel gerne Entscheidungsträger sind - dies hat ja
mit Macht zu tun -, gleichzeitig aber nicht gerne die Verantwortung tragen für das, was im
Leben geschieht. Wir suchen immer sehr schnell nach einem Schuldigen, einem
Sündenbock.
Noch ein Beispiel: Wie funktioniert nun das „innere Team“ bzgl. der Kultivierung meiner
Ängste? Nun, nehmen wir als ein Beispiel eine alltägliche Situation: Flugangst - welche ja
zumeist eine zweifache Angst oder besser Furcht ist: Höhenangst und Raumenge-Angst, Seite ! von !22 29
also Klaustrophobie. Die Entscheidung auf dem Tisch, ob ich in ein Flugzeug steige oder
nicht und über den Luftweg eine Reise antrete kann wirklich schlaflose Nächte bereiten.
Der innere Dialog, der nun vonstatten geht, lässt alle Anteile meines ICH’s zu Wort
kommen: Die Angst, die vielleicht sagt: „Das ist zu unsicher, da passieren zu viele Unfälle!
Und außerdem: Wenn Terroristen das Flugzeug in die Luft sprengen, dann ist dein Leben
zu Ende!“ Darauf könnte der Mut antworten: „Das mag ja sein, aber wenn du im Haushalt
die Leiter nutzt zum Fensterputzen ist die statistische Wahrscheinlichkeit, dass du von der
Leiter stürzt und an einem Knickbruch stirbst, wesentlich höher als der Absturz mit einem
Flugzeug!“ Die Hoffnung in mir könnte mit etwas rheinländischem Humor sagen: „Et äs
noch imma jut gejange - Es ist noch immer gut gegangen!“ usw. Wenn Sie allen Stimmen
Ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben, wägen Sie diese im Herzen ab und entscheiden
dann. Wenn Sie aber entschieden haben, tragen Sie bitte auch die Verantwortung und
machen - etwa bei Windturbulenzen - nicht anderen den Vorwurf: „Ich wollte ja nie
fliegen!“
Das „innere Team“ hat auch eine Schwachstelle, nämlich die Zeit! Nicht immer habe ich
die Zeit, mich hinzusetzen und in Ruhe abzuwägen, was ich warum auf welche Weise tun
möchte. Wenn mein Haus brennt, kann ich mich nicht erst an den Schreibtisch setzen und
mit einem solchen inneren Teamgespräch anfangen. Dennoch kann meine Angst als
Grundthema zu bestimmten Situationen auf diese Weise betrachtet, aufgearbeitet und
kultiviert werden. Probieren Sie es einmal aus!
6.2. Die Relativierung meiner Ängste an der Wirklichkeit
Die zweite Form, meinen Ängsten zu begegnen, ist eine kognitive Form, die nur ein
einzigen Ansatzpunkt hat und deshalb rasch erklärt ist. Es ist ein „Modell“, das Sie nutzen
können, wenn Sie Ihre Ängste schon recht gut kennen… Wann immer Sie ein
Angstpotential oder Furcht spüren, setzen Sie diese in Relation zu bisherigen Erfahrungen
mit genau dieser Angst oder Furcht. Ein Beispiel: Sie sind schon öfter durch einen
längeren Tunnel gefahren, für dieses Jahr ist aber eine Fahrt nach Italien durch den
Gotthard-Tunnel geplant. Ihnen graut vor den rund 17 km. Sie haben von den Unfällen,
Staus etc. gehört, Sie spüren, wie die Brust sich verengt, der Atem sich verändert und das
Herz schneller pocht - allein bei dem Gedanken. Jetzt setzen Sie diese Angst in Relation
zu den bisherigen Erfahrungen: Du hast genügend Umluft im Auto und eine Klimaanlage!
Du kannst Musik zur Entspannung hören oder auch den Tunnel-Radiosender einschalten.
Du hast es bisher immer gut geschafft, es wird auch jetzt gut gehen! usw.
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Die Angst wird also in Relation zur Realität und meinen Möglichkeiten der Bewältigung
gesetzt und damit machen Sie etwas nicht: Sie nehmen keine Überbewertung der Angst
vor, Sie geben ihr also keinen zu großen Raum! Die Erfahrung im Umgang mit
Angstpotentialen ist ihr bestes Korrektiv bzw. ihr Vergleichs-punkt. Sie lassen der Angst
ihren Raum, aber sie geben ihr nicht zu viel Macht.
6.3. Angstbewältigung durch „Paradoxe Intervention“ (Frankl)
Eine dritte Form zur Angstbewältigung ist die sog. „Paradoxe Intervention“ des
Existenzanalytikers Viktor Frankl. Nach Sigmund Freud und Carl Gustav Jung ist Viktor
Frankl ein weiterer Vertreter der großen Wiener Schulen der Psychotherapie. Frankl hatte
sich als Psychiater und Therapeut zur Aufgabe gemacht, der Frage nach dem SINN
unseres Lebens Raum zu geben. Also: WOZU sind wir da? WOZU geschieht dieses oder
jenes?
Eines seiner klassischen Beispiele, um mit der Angst in einer gewissen Form auch
„spielerisch“ umzugehen ist die Paraxodie in den Reaktionsmustern. Paradox heisst ja:
etwas geschieht unerwartet und zugleich auf seltsame, vielleicht übertriebene Weise,
sogar widersprüchlich. Intervention meint hier: Ich selbst „gehe dazwischen“ (inter-venire)
mit einer Reaktionsweise, die atypisch ist.
Ein Beispiel: Der Student Christian hat Prüfungsangst. Obwohl er gut vorbereitet ist und
viel gelernt hat, hat er Angst. Die Angst manifestiert sich einerseits vor der Stofffülle, die
behandelt wurde, vor der Ungewissheit, welche Fragen gestellt werden und schließlich
vor dem Professor, dem man nachsagt, er sei in der Regel sehr streng.
In einem Brief schildert er Frankl seine Angst. Er schildert ihm auch die Begleitsymptome:
Schlottern der Beine, Schweißausbrüche, erhöhter Herzschlag, Kopfschmerzen etc. Frankl
rät ihm zu etwas Verrücktem: Er solle sich entweder vorstellen, dass er durch das
Schlottern der Beine so wild schlottert, dass er während der Prüfung über die Tische zu
springen beginnt oder aber er solle sich den Professor mit einer roten Clownsnase und in
Unterhosen vorstellen. Am besten gleich beides.
Der Student findet die Idee erst seltsam, hält sich aber dann doch während der Prüfung
daran. Als die Prüfung beginnt schlottern wie gewohnt seine Beine, er ist aufgeregt. Für
einen kurzen Moment schließt er die Augen und malt sich aus, wie er von Tisch zu Tisch
springt und hüpft. Verrückt! Er muss schmunzeln. Der Professor nimmt dies wahr und
fragt, woran er denke. In diesem Moment stellt er sich für einen Bruchteil von Sekunden Seite ! von !24 29
den Professor mit roter Clownsnase und in der Unterhose vor - beginnt zu grinsen und …
die Prüfung kann los gehen, sie verläuft reibungslos.
Die paradoxe Intervention hat die Angst überlistet und ad absurdum geführt. Die Angst
wird also mittels einer übersteigerten Angst überlistet. Sie können dies in vielen
Situationen anwenden, es ist ein kognitiv-imaginärer Vorgang - vor allem im Gespräch mit
Vorgesetzten oder mit Menschen, die Ihnen Angst einflössen ist das sehr hilfreich. Es
hebelt die Übermacht dieses Menschen aus.
6.4. Der spirituelle „Antirrheticus“ als Waffe gegen die Angst
Es klingt nach einer asiatischen Kampfsportart, ist es aber nicht. Die antirrhetische
„Methode“ zur Angstbewältigung ist eine frühchristliche Form, die aus der Praxis der
Wüstenväter stammt.
Worum geht es? Wer in der Wüste lebt, setzt sich zahlreichen äußeren wie inneren
Gefahren aus. Wilde Tiere, Kälte und Hitze, Durst und Hunger etc. - das sind die äußeren
Faktoren, also physische Faktoren. Aber es gibt noch innere, also psychische Faktoren,
die in unserem Gehirn ablaufen. Die Bibel nennt sie „Versuchungen“, in der Psychologie
reden wir von Halluzinationen oder Wahnvorstellungen. Hitze, Durst und Entbehrung
entzieht dem Körper Kräfte, die dann zu Bewusstseinsveränderungen führen. Bei
Drogenkonsum haben wir es mit der Umkehrfunktion zu tun: Wir führen dem Körper
bewusstseinsverändernde Substanzen zu, die als Toxine unseren Organismus angreifen.
Denken Sie nur an eine Sepsis, eine Blutvergiftung! Ohne Blutaustausch kann der Patient
Halluzinationen und Wahnvorstellungen haben. So ist es auch, wenn wir dem Körper
bestimmte Stoffe wie z.B. Wasser entziehen. Auf längere Frist ist neben Halluzinationen
ein kompletter Zusammenbruch und der Tod vorprogrammiert.
Die Wüstenväter (allen voran: Evagrius Ponticus) haben diese äußeren Kämpfe, die sie
auch tatsächlich physischen Kräfte gekostet haben, in erster Linie als geistig-geistliche
Kämpfe gesehen.
Konkret: Der Mensch spürt in sich das Bedürfnis nach Durst und eine innere Stimme
suggeriert ihm, aus der Höhle hinauszulaufen in die Wüste, weil sein Auge ihm vortäuscht,
eine Wasserquelle gesichtet zu haben, dieses Phänomen kennen wir als „Fata Morgana“,
nichts anderes als eine Luftspiegelung. Indem der Wüstenmönch dies nun wahrnimmt und
eigentlich keinen Durst physisch hat, sondern nur wegrennen will, weil er die Situation der
Einsamkeit nicht mehr erträgt, beginnt er einen inneren Dialog: „Geh hinaus, du wirst Seite ! von !25 29
sterben! Geh an die Wasserquelle, die du siehst!“ - seine Antwort: „Der Herr schenkt
lebendiges Wasser, wenn ich davon trinke, werde ich nicht dürsten!“ Die Antworten
waren also - wenn wir so wollen - innere Gegensprüche, sog. antirrhetische Sprüche.
Dabei war entscheidend, dass dem Dämon ein Gegenwort, ein „anti-logion“, entgegen
geschleudert wurde. Man könnte die antirrhetische Methode mit „Disput“ oder „Streit“
übersetzen.
Zwei solcher Momente kennen wir auch aus dem Leben Jesu. Es ist zum einen seine
Versuchungsgeschichte in der Wüste (vgl. Mt 4,1-11 / Mk 1,12f / Lk 4,1-13). Da
schleudert er dem Satanas, dem Durcheinanderwerfer, auf die dreimaligen
Versuchungsangebote jeweils eine geistliche Antwort entgegen: „Der Mensch lebt nicht
nur vom Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt!“ (Mt 4,3) - „Du
sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.“ (Mt 4,7) und „Vor dem Herrn,
deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.“ (Mt 4,10). Jesus
überwindet damit die angsteinflössende Gefahr, die vom Satanas ausgeht. Spannend ist
in diesem Zusammenhang die Version des Lukas, sie endet mit dem Vers 13: „Nach
diesen Versuchungen ließ der Teufel für eine gewisse Zeit von ihm ab.“ (Lk 4,13). Lukas,
der ja bekanntlich Arzt ist, will uns damit sagen: Solche inneren Kämpfe und Dialoge -
auch gegen die eigene Angst - sind immer temporär, d.h. sie kommen auch wieder.
Eine zweite Situation im Leben Jesu ist jene im Garten Getsemane: „Er ging ein Stück
weiter, warf sich zu Boden und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch
an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ (Mt 26,39) Wir können zwar
nur erahnen, welcher Gedanken-Geist Jesu Angst machte, aber es ist schnell erkannt: Da
will ihn jemand in seinem Innern abhalten, den Weg bis zum Ende zu gehen. Man kann
sich eine solche Stimme etwa so denken: „Jetzt ist noch die Zeit, kehr um, geh! Lass das
hinter dir, hau ab! Mach dir irgendwo ein schönes Leben!“ usw.
Am besten in Szene gesetzt wurde diese Angst und dieser innerer Kampf im Film „Die
letzte Versuchung Christi“ nach dem Roman von Nikos Kazantzakis, Regie führte Martin
Scorsese im Jahr 1988. Dort erlebt Jesus am Kreuz unter dem Einfluss des nahenden
Todes seine „Versuchungen“, medizinisch würde man dies allerdings auch wieder unter
Halluzinationen einordnen. Hier, wie in anderen Momenten der Infragestellung antwortet
Jesus mit antirrhetischen Aussagen: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist!“ - also
er übergeht sogar diese Anfechtung. Oder er betet den Psalm 22: „Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen?“ und in diesem Psalm entdecken dann sehr klare
antirrhetische Aussagen:
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V4: Aber du bist heilig, du thronst über dem Lobpreis Israels!
V5: Dir haben unsre Väter vertraut, sie haben vertraut und du hast sie gerettet!
V6: Zu dir riefen sie und wurden befreit, dir vertrauten sie und wurden nicht zuschanden!
V10: Du bist es, der mich aus dem Schoß meiner Mutter zog, mich barg an der Brust der
Mutter!
V20: Du aber, Herr, halte dich nicht fern! Du, meine Stärke, eil mir zu Hilfe!
Lesen Sie diesen Psalm einmal zuhause als Meditation und Sie entdecken: Im Psalm spielt
sich die antirrhetische Methode beispielhaft ab. Immer wenn vom „Du hast… Du aber…
Du bist …“ usw. die Rede ist, wird der anderen inneren Stimme ein Gegenargument
vorgehalten. Wichtig noch dies: Der Psalm 22 mündet ein in den Vertrauenspsalm
schlechthin, den Psalm 23 „Der Herr ist mein Hirte…“
6.5. Medizinisch-therapeutische Hilfe und Naturheilkunde
Kommen wir zum letzten Punkt, in meiner Auflistung sind es weitere Formen möglicher
Angstbewältigung. Wenn die Angst tatsächlich den Menschen psychisch komplett aus der
Bahn wirft und sich z.B. durch Panikattacken manifestiert oder chronisch wird und das
ganze Verhalten bestimmt, dann braucht der Mensch medizinische und
psychotherapeutische Unterstützung. Medizinisch bedeutet vor allem auch eine
medikamentöse Einstellung, psychotherapeutisch bedeutet eine längere Therapie, diese
kann auch eine psychiatrisch-stationäre Einweisung zur Folge haben, etwa bei
Wahnvorstellungen oder Depressionen.
Schauen wir noch auf die „sanfte Medizin“ des Alltags: In der Naturheilkunde, wie sie
bereits Hildegard von Bingen kannte, nutzte man die Kräfte der Natur, um den Körper
wieder in ein inneres Gleichgewicht zu bringen.
Bei einer Angstattacke half man sich mit einem heißen Bad und nervenberuhigenden
Ölen (wie z.B. Lavendelöl). Ein solches Öl hat man auch auf die Schläfen aufgetragen und
sich einfach für ein paar Minuten zur Entspannung hingelegt. Ein klassischer Wirkstoff
gegen Stress und Angst ist auch die Baldrianwurzel (Inhaltsstoff: „Sesquiterpene“).
Auch die Atmung ist entscheidend: tief einatmen, Luft anhalten und tief ausatmen - das
sind so Alltagsrezepte gegen Beunruhigung, etwa vor Prüfungen. Eine Hyperventilation
(Atemnot) ist meist auch ein Ausdruck von Angst oder Stress. Yogaübgungen bzw.
Autogenes Training kann uns hier in eine gute körperliche Position bringen, um Angst
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Aus dem Bereich der Ernährung kann man auch etwas gegen die Angst beisteuern: Ein
wichtiger Botenstoff ist das sog. Serotonin, das in unserem Gehirn für ein Wohlgefühl
sorgt, man findet diesen Stoff in Bananen, exotischen Früchten wie der Ananas, in frischen
Feigen, Papaya und Avocados und … in Schokolade. Die in der Schokolade enthaltenen
Kohlenhydrate bewirken eine Insulinfreisetzung der Bauchspeicheldrüse. Das wiederum
löst eine Reihe anderer Reaktionen aus und im Ganzen führt Schokolade zur direkten
Steigerung des Serotoninspiegels im Gehirn. Wir haben das Gefühl, etwas glücklicher zu
sein.
Manche Menschen verhalten sich kontraintelligent und trinken Kaffee oder Cola, weil sie
glauben, dass das Koffein sie „fit“ macht, aber wir wissen dass Koffein manches verstärkt,
die Angst gehört dazu. Wir werden u.U. noch aufgeregter, aufgeputschter.
Auch Sport ist ein gutes Mittel bei diffuser Angst - es entspricht ja in etwa dem
„Weglaufen“ bei Gefahr, wenn wir also Sport betreiben. Denn: Durch die Bewegung
werden im Körper Endorphine freigesetzt, welche auch als Glückshormone bezeichnet
werden. Sie können mithelfen, die akute Angst zu verdrängen.
Dann wäre noch der Wirkstoff Tryptophan. Er gehört zur Gruppe der Aminosäuren, die für
die Herstellung von Serotonin im Körper benötigt wird. Diese Aminosäure ist vor allem in
Milch enthalten. Deswegen war früher das altbewährte Beruhigungsmittel von der Oma,
ein warmes Glas Milch, als ein Mittel bei Angst zu trinken.
Das sind Hausmittel - ob Sie wirklich so wirken, wie manche das denken, lasse ich mal
dahin gestellt. Ich bevorzuge die Gesprächstherapie oder die seelsorgliche Begleitung,
was Ängste angeht, so lange es sich nicht um Neurosen handelt.
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7. Abschluss Der Heilige Benedikt und die Panik, die terrorisiert
Zum Schluss möchte ich einen kleinen Abschnitt aus der Regel des Hl. Benedikt zitieren.
Es geht dabei um das klösterliche Leben und die alltäglichen Herausforderungen. Und
natürlich geht es um Angst. Was für den monastischen Alltag gilt, kann auch ein guter
Hinweis für unser aller Leben sein.
Benedikt sagt: „Sollte es jedoch aus wohl überlegtem Grund etwas strenger zugehen, um
Fehler zu bessern und die Liebe zu bewahren, dann lass dich nicht sofort von Angst
verwirren und fliehe nicht vom Weg des Heils; er kann am Anfang nicht anders sein als
eng.“ (RB Prol 48)
Dieser Satz „Lass dich nicht sofort von Angst verwirren und fliehe nicht vom Weg des
Heils“ ist gut verstehbar. Denn jede Herausforderung in unserem Leben kann Angst
machen. Es kann Zeiten geben, in denen der Mensch es als überfordernd und
verängstigend erlebt. Benedikt nimmt also wahr: Der Mönch hat Angst. Er beschönigt die
Angst nicht, nimmt sie nicht einfach weg, nach dem Motto: Der getaufte Christ braucht
keine Angst zu haben!
Benedikt lädt ein, damit umzugehen und nicht davonzulaufen, zu fliehen! Sondern: Sich
mit der Angst auseinanderzusetzen! Keine Verdrängung also! Wir haben bereits gesehen:
Das Thema „Angst“ ist ein großes Thema in der Heiligen Schrift. Benedikt nutzt in der
Regula für das Wort Angst den Begriff „pavor“, also „Entsetzen“ (unsere „Panik“ ist
davon abgeleitet) und verstärkt es noch mit „perterritus“ (per-territus) - „Terror“. Wir
würden also treffender übersetzen: „Lass dich nicht von diesem Entsetzen / von dieser
Panik terrorisieren!“
Das Vokabular ist von starken Wörtern besetzt. Und damit sind wir genau in unserer Zeit
angekommen. Einer Zeit des Terrors, der Kriege, der Gewalt.
Lassen wir uns nicht vom alten Feind, von der Panik und dem Entsetzen terrorisieren.
Vertrauen wir auf unseren Herrn Jesus Christus: „Aber ich bin nicht allein, denn der Vater
ist bei mir. Dies habe ich zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt seid
ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt!“ (Joh 16,32f)
(c) P. Jeremias Müller / Leoben, 11. Juni 2016
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