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SoSe 2014, 08.05.2014

Werte in den Wissenschaften — Hans-Joachim Dahms: Bemerkungen zur Geschichte des Werturteilsstreits

Alexander Christian M.A.!!Mag. Christian Feldbacher

Übersicht

1. Ausgangspunkte des jüngeren Werturteilsstreits!

⇒ historische Übersicht (Dahms)!

2. Zur Rolle von nicht-epistemischen Werten im wissenschaftlichen Begründungsprozess!

3. Zusammenspiel von Wertneutralität und Wertbezogenheit in der Wissenschaft!

4. Wertabhängigkeit von Wissenschaft im gesellschaftlich-ökonomischen Kontext

Hans-Joachim Dahms

❖ Institut für Zeitgeschichte (Universität Wien)!

❖ Wissenschaftshistoriker !- Wissenschaft & Philosophie

während des Nationalsozialismus!- Sozialwissenschaften 1968er

wichtige Schriften

Ziele

❖ Darstellung …!❖ … der Geschichte des ersten Werturteilsstreits in der

deutschen Nationalökonomie und (beginnenden) Soziologie!

❖ … der auf die Werturteilsproblematik bezogenen Teile des Positivismusstreits in der deutschen Soziologie der 1960er Jahre

Anmerkung

❖ „erster Werturteilsstreit“ (1909-1913)!❖ „zweiter Werturteilsstreit“ —

„Positivismusstreit“ (1960er & 1970er)!❖ „dritter Werturteilsstreit“ (nach Schurz 1990er-dato)

„spezielles Verfahren“

❖ Zur Veranschaulichung von Thesen und Argumenten wurden von Vertretern beider Seiten mehr oder minder anschauliche Beispiele gewählt.!

❖ Dahms überprüft — neben der angesprochenen historiographischen Darstellung — welche Folgerungen man aus der realen Entwicklung dieser Beispiele hinsichtlich der Triftigkeit der jeweiligen Positionen ziehen kann.

Der erste Werturteilsstreit und Max Weber: Ausgangslage (S.75)

❖ Erster Werturteilsstreit präsentiert sich weniger als eine akademische Diskussion wissenschaftstheoretischer Argumente, sondern eher als wissenschaftspolitische Kampagne verschiedener Exponenten.!

❖ Nämlich: Max Weber, Werner Sombard und Ferdinand Tönnies (Begründer der modernen deutschen Soziologie) & verschiedene Hochschulprofessoren, nämlich Rudolf Goldscheid und Gustav Schmoller!

❖ institutioneller Kontext: Gründung von Fachgesellschaften & Abspaltung der Soziologie als akademischem Fach von der Nationalökonomie

Problemkomplexe bei Weber (S. 76 f)

❖ Dahms unterscheidet zwei Problemkomplexe bei Weber:!

(❨i)❩ Frage der Kathederwertungen!

(❨ii)❩ Frage, ob Werturteile zum Bestand der Sozialwissenschaften gehören (bzw. gehören sollten)!

❖ In welchem Zusammenhang stehen beide Fragen? (S. 78, erster Absatz)

Gründe für Webers Ablehnung von Katherderwertungen (S. 77 f) (Wiederholung, letzte Sitzung)

❖ Werturteile nicht durch empirische Forschung gedeckt!❖ Studenten zu jung und unerfahren, um eine

Gegenposition einzunehmen!❖ während Vorlesung keine Diskussion möglich

Webers Konzessionen (S. 78)

❖ Weber gestand seinen Kritikern zu, dass Werte auf verschiedene Weisen in der Wissenschaft involviert waren:!

(❨i)❩ Selektion von Problemen und Fragestellungen hinsichtlich Relevanz und Dringlichkeit (etc.)!

(❨ii)❩ Werturteile im Anwendungszusammenhang von Wissenschaft!

(❨iii)❩Werturteile als Untersuchungsgegenstand

Webers Wertfreiheitspostulat (S. 78 f.)

„Es [das Wertfreiheitspostulat, Christian] besteht darin, dass Weber Werturteile aus wissenschaftlichen Theorien ausgeschlossen haben wollte. Dies hat für ihn einen einzigen Grund, nämlich den, dass die Sozialwissenschaften (wie selbstverständlich angenommen auch die Naturwissenschaften) empirische Wissenschaften seien und die Empirie wohl darüber belehren könnten, was der Fall ist oder gewesen ist, aber nicht darüber, was wir wertschätzen oder was wir tun sollen.“!

⇒ „Postulat der Wertfreiheit“ meint, dass es sich um ein Ideal (intellektueller Redlichkeit) handelt

Wiederholung: Nutzen der Sozialwissenschaften für lebenspraktische und politische Belange (S. 79)

❖ Feststellung, ob bestimmte praktische Ziele auseinander folgen oder miteinander vereinbar sind!

❖ Feststellung von Zweck-Mittel-Beziehungen!❖ Feststellung von unbeabsichtigten Nebenfolgen bei Einsatz

bestimmter Mittel!❖ Hilfe bei der Feststellung von Zielen

Zwei Beispiele: Frage der Produktivität & Frage der Eugenik (S. 79-82)

❖ Frage der Produktivität: Ist das Bruttosozialprodukt ein brauchbarer Indikator für den Volkswohlstand?!

- Welche Auffassung vertraten s.g. Kathedersozialisten?!

- Welche Auffassung vertrat Weber?!

- Warum ist die Frage noch immer relevant?!

❖ Frage der Eugenik: Sollte — teils mit Zwangssterilisation — s.g. „Rassenhygiene“ sichergestellt werden?!

- Welche Auffassung vertrat Alfred Ploetz?!

- Welche Auffassung vertrat Max Weber?!

- Inwiefern ist Max Webers Kritik an der Eugenik ein Fall (positiv-konstruktiver) Wissenschaftskritik auf der Grundlage eines Wertfreiheitspostulats?

Werte im Positivismus: bias in der Rezeptionsgeschichte des Wertfreiheitspostulats (S. 83)

❖ Dahms wendet sich gegen die in den USA verbreitete Vorstellung, „dieses Postulat sowie die ihm zugrunde liegende Ansicht, man könne Tatsachen und Werte beziehungsweise Tatsachenbehauptungen und Werturteile säuberlich voneinander trennen, habe sich im logischen Empirismus des Wiener Kreises herausgebildet“!

❖ deswegen: Darstellung der Entwicklung ausgehend von Weber bis zu den Ansätzen von drei zentralen Vertretern des Wiener Kreises (Schlick, Neurath, Carnap)

Wiener Kreis

❖ Gruppe von Philosophen / Wissenschaftstheoretikern & Natur- sowie Sozialwissenschaftlern in Wien ca. 1920 bis 1936!

!

❖ Stadler, F. (1997). Studien zum Wiener Kreis. Frankfurt am Main: Suhrkamp.!

❖ Geier, M. (1992). Der Wiener Kreis. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt.

Moritz Schlick

❖ *1882-✝1936!❖ Physiker und Philosoph!❖ Beiträge zur Naturphilosophie,

Erkenntnistheorie, Ethik und Ästhetik

Otto Neurath

❖ *1882-✝1945!❖ Nationalökonom und

Wissenschaftstheoretiker

„Neuraths Elefant“

Rudolf Carnap

❖ *1891-✝1970!❖ Sprachphilosophie, Logik,

Wissenschaftstheorie und Meta-Ethik

Werte im logischen Positivismus des Wiener Kreises (S. 83-8)

Moritz Schlick!(S. 83 f)

Ethik als empirische Disziplin, die über eine bloße Bestandsaufnahme hinausgeht und an eudaimonistische

Konzeptionen anschließt

Otto Neurath!(S. 84 f)

frühe Abstinenz von ethischen Fragen & folgerichtige Ablehnung von Debatten über kontroverse Wertvorstellungen zwischen den

Angehörigen unterschiedlicher politischer Lager

Rudolf Carnap!(S. 85-88)

Sinnlosigkeitsverdikt über Wertaussagen & Entwicklung eines nichtkognitivistischen Emotivismus bei gleichzeitiger

Auseinandersetzung mit kognitivistischen Ansätzen

Ethik und Werturteile im log. Positivismus (S. 88)

❖ Selbstverständliche Annahme des Weberschen Postulats der Werturteilsfreiheit ohne inhaltliche Weiterentwicklung!

❖ Tendenz zu nonkognitivistischen Metaethiken im Sinne des Emotivismus oder Präskritpivismus

Der Positivismusstreit der 1960er Jahre (S. 89)

❖ Institutioneller Kontext: Entwicklung in der Etablierung der Soziologie an deutschen Universitäten: Vorbereitung zur Einführung des Soziologie-Diploms!

❖ Zwei s.g. „Runden des Positivismusstreits“!

i)❩ erste Runde (Popper & Adorno)!

ii)❩ zweite Runde (Habermas & Albert)

Erste Runde des Positivismusstreits (S. 89-97)

❖ Was ist unter der s.g. „Popper-Legende“ zu verstehen? (S. 90)!

❖ In welche Traditionslinie kann Popper gestellt werden? (S. 91)

Unterscheidungsmerkmale: Popper & Wiener Kreis (S. 91)

Popper Wiener Kreis

Fallibilismus Verifikationismus

Primat der Theorie vor der Erfahrung Primat der Erfahrung vor der Theorie

Ablehnung von Induktion induktive Logik

kognitivistische praktische Philosophie Affinität zu nonkognitivistischen Ethiken

Poppers The Open Society and its Enemies (S. 92-6)

❖ Popper entwickelt nach Dahms in The Open Society and its Enemies (1945) eine politische Philosophie, die eine rudimentäre Ethik umfasst.!

❖ Was versteht er darin unter dem „most important principle of humanitarian and equalitarian ethics“ bzw. ,negativem Utilitarismus´?!

Popper zu Werturteilsfreiheit (S. 94 f)

❖ paradoxes Postulat: Werturteilsfreiheit ist selbst ein Wert!❖ Ein Verbot von Werturteilen beschneidet die Kreativität

von Wissenschaftlern und tangiert die Persönlichkeit des Menschen, insofern seine Parteilichkeit beschnitten wird.!

❖ Folglich fasst Popper das Postulat der Werturteilsfreiheit nicht nur als eine wissenschaftliche Norm auf, sondern (weiter) als eine soziale Norm.

Adornos Kritik an Poppers Bemerkungen zur Werturteilsfreiheit (S. 96 f)

❖ Affirmative Aufnahme der Kritik von Popper hinsichtlich der widersprüchlichen Natur der Wertneutralitätsforderung!

❖ Zusatz: strikte Trennung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen nicht möglich!

❖ Beispiele der Kunstsoziologie / Theorie des Jazz

zweite Runde des Positivismusstreits (S. 97 ff)

❖ Verdikt von Ralf Dahrendorf: Adorno und Popper bezogen sich kaum auf das Werturteilsproblem.!

❖ Erneutes Aufgreifen des Themas durch Jürgen Habermas und Hans Albert, die die Gelegenheit nutzten und Vorformen eigener wegweisender Werke präsentierten!

❖ Inhalte der Sitzung vom 24.04.14

Untrennbarkeit wertender und beschreibender Bestandteile bei Leo Strauss (S. 100)

❖ Strauss, 1. Beispiel: Historische Untersuchungen über den Holocaust, die in methodologischer Hinsicht ganz und gar einen deskriptiven Weg beschreiten, sind inadäquat.!

❖ Strauss, 2. Beispiel: Prostitution als soziales Phänomen kann nur gesehen werden, wenn man zugleich das Erniedrigende der Prostitution sieht.!

❖ Wie kritisiert Dahms diese Beispiele?

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ber Putnam

(S.10

2-4)

Ausblick (S. 104-7)

❖ Aufweichen von Webers Zwei-Ebenen-Modell (Wissenschaftler erforschen die empirische Realität & Politiker bewerten diese Tatsachen)!

❖ Inwiefern zeigen verschiedene politische Entscheidungsprozesse, dass dieses Modell inadäquat ist?!

❖ Welche Forderungen stellt Damms zuletzt & wie könnten diese Forderungen institutionell realisiert werden?

Diskussionsfragen❖ Welche Phasen des Werturteilsstreits können unterschieden werden? Identifizieren

sie zentrale Vertreter, ordnen sie Thesen und Argumente zu (Tabelle)!!❖ Ausgangspunkt des ersten Werturteilsstreits war die Diskussion zwischen

Vertretern der Wertfreiheitsthese und des Kathedersozialismus. Inwiefern kam es in anschließenden Diskussionen zu einer Verschiebung von Fragestellungen und Problemen? Welche historischen Ereignisse können diese Verschiebung erklären?!

❖ Inwiefern scheint es nicht angemessen, Karl Popper als einen Vertreter des Wiener Kreises einzuordnen? Stellen sie zentrale Annahmen von Poppers Philosophie denjenigen des Wiener Kreises gegenüber?!

❖ Nach Leo Strauss wäre eine strikte Trennung von wertenden und beschreibenden Aussagen — bzw. ein Unterlassen von Wertungen — bei der Beschreibung bestimmter historischer Ereignisse inadäquat und befremdlich. Was kann gegenüber dieser Kritik erwidert werden?

Danke für Ihre Aufmerksamkeit

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