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MÖBELMARKT 01 / 2011 MÖBELMARKT 01 / 2011 MM: Wann wird sich das Mobile Marketing im Handel durchsetzen? Dr. Hagen Sexauer: Es wird sich spä- testens in zwei bis drei Jahren auf brei- ter Front durchsetzen. Da der Handel immer weit hinterher hinkt, wird es aber erst in drei bis fünf Jahren eine entscheidende Position im Marketing- Mix einnehmen. MM: Welche Vorteile kann sich der „First Mover“ im Einrichtungshandel durch den frühen Einstieg sichern? Sexauer: Er lernt – wie im Online-Ka- nal muss er dort unterwegs sein und wissen, welche Bedürfnisse abgedeckt werden. Auch hat er die Chance, Pro- dukte über Augmented Reality anzu- bieten – hier ist Ikea schon ziemlich weit: Per Infoblatt und Smartphone kann ich ausgewählte Produkte in 3-D mit nach Hause nehmen und sehen, ob sie dort auch hinpassen. MM: Die Treiber sind 18 bis 34 Jah- re alt, also Erst- und Zweiteinrichter: Macht Mobile Marketing derzeit nur für solche Vertriebsschienen Sinn? Sexauer: Sie sind mit 35 bis 40% die Treiber, aber die übrigen 60% kommen aus anderen Zielgruppen – etwa vom iPhone, das die höchste Penetration hat; darüber erreicht man 35 bis 50- Jährige als Zielgruppe für hochpreisi- gere Produkte. Wir sind auf dem Weg zum Massenmarkt: Fast 21 Mio. Deut- sche gehen bereits mobil ins Internet. MM: Der User recherchiert vor allem mobil nach Produkten, wenn er sie zeitnah braucht, spontan eine Idee und wenig Zeit hat oder am POS Preise vergleichen will. Welche Kon- sequenzen hat das für den Handel? Sexauer: Es gibt Fälle, in denen ich das mobile Internet Motiv abhängig in- tensiver nutze; wenn ich an der Halte- stelle warte, nutze ich vielleicht ein Tool für Einrichten. Als Händler muss ich mir daher vorher im Klaren sein, wel- che Nutzungssituationen ich bedienen möchte und dafür entsprechend mein Angebot ausarbeiten. Die Bedrohung des Handels bei Mar- ken oder standardisierten Produkten – ich lasse mich im Laden beraten, ver- gleiche das Produkt dort per Scan, finde einen niedrigeren Preis im Web und ordere noch im Laden bei dem Versender – sehe ich für den Einrich- tungshandel nicht so stark. Händler denken forciert über Mobile Pricing nach: Er positioniert sich da, wo der Kunde Preise vergleicht, viel- leicht schon die Kaufentscheidung trifft und bietet ihm gleich die Chance, zu ordern. Auch immer mehr lokale Händ- ler gehen in diese Richtung und den- ken über Versandmodelle nach. Un- glaubwürdige Rabatte der Großfläche werden dazu führen, dass immer mehr kleine Start-up-Anbieter genau in diese Kerbe hauen und eine möglichst hohe Preistransparenz herstellen. MM: Reduziert sich Mobile Marke- ting auch künftig eher auf Rabatt- und Schnäppchen-Aktionen? Sexauer: Rabatt- und Schnäppchen- aktionen sind sehr wichtig, aber auch, wie bekomme ich interessierte Kunden in den Laden. Dabei wird Couponing eine sehr wichtige Rolle spielen – gera- de bei der Neukundenakquise. Mobile Marketing bedeutet, dort prä- sent zu sein, wo der Kunde gerade ist, als muss ich überlegen, wie ich meine Produkte mobil bewerbe, und – was noch wichtiger ist – ich muss kooperie- ren: Es gibt große Communities wie Qype, Meine Stadt u.a. Ich muss mir Gedanken machen, wie ich diesen Traffic nutze, über Mobile Marketing- Aktionen diese Kunden zu gewinnen, ohne selbst ein mobiles Angebot zu haben. Im zweiten Step muss ich einen eigenen mobilen Auftritt entwickeln. MM: Mobile User nutzen häufig Apps, nehmen diese aber nur an, wenn sie konkreten auf ihr Nutzer- verhalten abgestimmten Mehrwert bieten. Wann macht es für Möbel- händler Sinn, Apps anzubieten? Sexauer: Wenn sie die Kaufentschei- dung unterstützen – etwa, indem ich mich am POS über Fotos meiner Woh- nung einrichten und mir das so besser vorstellen kann – und verlinke mit dem Order-Prozess. Beim Testen von Ein- richtungs-Varianten bieten Apps eine gute Chance. Auch gibt es Shopper, die nur einen Tisch kaufen und nicht Stunden durch den Laden laufen wollen. Solche Ori- entierungshilfen gibt es schon im Le- bensmittelhandel: Über Apps informie- ren, wo ich das Produkt finde. Zugleich erhalte ich Entscheidungshilfe, indem ich EAN- oder Barcode scanne, um Hintergrundinfos zu bekommen. Dabei spielt Nachhaltigkeit eine Rolle. Oder ich informiere über alternative energie- sparende Lampen 300 m weiter. MM: Also ist auch die Industrie ge- fordert, Content bereit zu stellen? Sexauer: Ja, es gibt eine Barcoo-App, mit der ich EAN-Codes scanne und Hintergrundinfos zum Produkt und sei- nem CO 2 -Footprint bekomme. Solche Themen werden ganz wichtig, daher müssen sich Möbelmarken bzw. -Her- steller stärker dahinter klemmen und Informationen weitergeben; zumal es Tools geben wird, mit denen Möbel be- wertet werden. Zum Teil muss der Lie- ferant mehr Informationen preisgeben, als ihm lieb ist; wenn er das aber gut macht und neueste Kundenwünsche aufnimmt, wird er sich einen Wettbe- werbsvorteil verschaffen. MM: Video-Aufbauanleitung, Preis- vergleich etc.: Welche revolutionä- ren Potenziale für den Massenmarkt bietet Augmented Reality künftig dem Einrichtungshandel noch? Sexauer: Man muss sich die klassi- schen Pre- und After-sales-Prozesse anschauen: Augmented Reality hilft, wie ich das Möbel aufbaue bis zu sei- ner virtuellen Darstellung dort, wo es stehen soll inklusive virtueller Hilfslini- en, wo was hinkommt. Oder am POS, da ich die Auswahl nicht immer in gan- zer Breite und Tiefe zeigen kann – dass ich den EAN-Code scanne und sehe, wie nicht gezeigte Produkte aussehen. MM: Was kann der Möbelhandel von Best Pratice-Beispielen lernen? Sexauer: Sich überhaupt damit zu be- schäftigen. Er sollte kooperieren, um zu sehen, was dort passiert und wel- che Chance er hat. Auch wenn er nicht präsent ist, kann er sich dort als preis- günstig positionieren, indem er ab und zu in mobilen Angebotsbereichen at- traktive Eckpreise lanciert. Damit än- dert er sein Preisbild bei online-affinen Kunden, die nicht im Fachhandel kau- fen oder online Preise vergleichen, und lockt sie in seinen Store. Oder einen Neukunden gewinnen, der am POS ei- nen Gutschein erhält. Solche Themen bieten riesige Chancen; ebenso Tools, die in der Planung des Möbelkaufs, der Entscheidung am POS oder nach dem Kauf einen Mehrwert bieten. MM: Wie hat sich der Möbelhandel 2020 auf den mobilen und quasi all- wissenden Kunden eingestellt? Sexauer: Es werden immer mehr Ein- richtungshändler mit Pricing arbeiten und Mobile Marketing besser bespie- len, aber sie werden auch 2020 noch nicht begriffen haben, dass M-Com- merce einer der am schnellsten wach- senden Bereiche ist und keinen Bud- get-Shift auf den online- bzw. mobilen Kanal vollzogen haben – damit werden sie Versandhändlern den Weg bereiten. Dr. Hagen Sexauer: „Der Möbelhandel wird keinen Budget- Shift vollzogen haben und damit Versandhändlern den Weg bereiten.“ Anzeige Massenmarkt“ „Auf dem Weg zum 26 Top Thema Dr. Hagen J. Sexauer ist Principal bei der Strategie- beratung Sempora Consul- ting mit Fokus auf Kunden- beziehungs-Management, Mobiles Internet und Social Media und Herausgeber mehrerer Management- Bücher sowie Autor von Fachartikeln.

Mobiles Internet im Möbelhandel

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MÖBELMARKT01 / 2011

MÖBELMARKT01 / 2011

MM: Wann wird sich das Mobile Marketing im Handel durchsetzen?Dr. Hagen Sexauer: Es wird sich spä-testens in zwei bis drei Jahren auf brei-ter Front durchsetzen. Da der Handel immer weit hinterher hinkt, wird es aber erst in drei bis fünf Jahren eine entscheidende Position im Marketing-Mix einnehmen.

MM: Welche Vorteile kann sich der „First Mover“ im Einrichtungshandel durch den frühen Einstieg sichern?Sexauer: Er lernt – wie im Online-Ka-nal muss er dort unterwegs sein und wissen, welche Bedürfnisse abgedeckt werden. Auch hat er die Chance, Pro-dukte über Augmented Reality anzu-

bieten – hier ist Ikea schon ziemlich weit: Per Infoblatt und Smartphone kann ich ausgewählte Produkte in 3-D mit nach Hause nehmen und sehen, ob sie dort auch hinpassen.

MM: Die Treiber sind 18 bis 34 Jah-re alt, also Erst- und Zweiteinrichter: Macht Mobile Marketing derzeit nur für solche Vertriebsschienen Sinn?Sexauer: Sie sind mit 35 bis 40% die Treiber, aber die übrigen 60% kommen aus anderen Zielgruppen – etwa vom iPhone, das die höchste Penetration hat; darüber erreicht man 35 bis 50- Jährige als Zielgruppe für hochpreisi-gere Produkte. Wir sind auf dem Weg zum Massenmarkt: Fast 21 Mio. Deut-

sche gehen bereits mobil ins Internet.

MM: Der User recherchiert vor allem mobil nach Produkten, wenn er sie zeitnah braucht, spontan eine Idee und wenig Zeit hat oder am POS Preise vergleichen will. Welche Kon-sequenzen hat das für den Handel?Sexauer: Es gibt Fälle, in denen ich das mobile Internet Motiv abhängig in-tensiver nutze; wenn ich an der Halte-stelle warte, nutze ich vielleicht ein Tool für Einrichten. Als Händler muss ich mir daher vorher im Klaren sein, wel-che Nutzungssituationen ich bedienen möchte und dafür entsprechend mein Angebot ausarbeiten.Die Bedrohung des Handels bei Mar-

ken oder standardisierten Produkten – ich lasse mich im Laden beraten, ver-gleiche das Produkt dort per Scan, finde einen niedrigeren Preis im Web und ordere noch im Laden bei dem Versender – sehe ich für den Einrich-tungshandel nicht so stark.Händler denken forciert über Mobile Pricing nach: Er positioniert sich da, wo der Kunde Preise vergleicht, viel-leicht schon die Kaufentscheidung trifft und bietet ihm gleich die Chance, zu ordern. Auch immer mehr lokale Händ-ler gehen in diese Richtung und den-ken über Versandmodelle nach. Un-glaubwürdige Rabatte der Großfläche werden dazu führen, dass immer mehr kleine Start-up-Anbieter genau in diese Kerbe hauen und eine möglichst hohe Preistransparenz herstellen.

MM: Reduziert sich Mobile Marke-ting auch künftig eher auf Rabatt- und Schnäppchen-Aktionen?Sexauer: Rabatt- und Schnäppchen-aktionen sind sehr wichtig, aber auch, wie bekomme ich interessierte Kunden in den Laden. Dabei wird Couponing eine sehr wichtige Rolle spielen – gera-de bei der Neukundenakquise. Mobile Marketing bedeutet, dort prä-sent zu sein, wo der Kunde gerade ist, als muss ich überlegen, wie ich meine

Produkte mobil bewerbe, und – was noch wichtiger ist – ich muss kooperie-ren: Es gibt große Communities wie Qype, Meine Stadt u.a. Ich muss mir Gedanken machen, wie ich diesen Traffic nutze, über Mobile Marketing-Aktionen diese Kunden zu gewinnen, ohne selbst ein mobiles Angebot zu haben. Im zweiten Step muss ich einen eigenen mobilen Auftritt entwickeln.

MM: Mobile User nutzen häufig Apps, nehmen diese aber nur an, wenn sie konkreten auf ihr Nutzer-verhalten abgestimmten Mehrwert bieten. Wann macht es für Möbel-händler Sinn, Apps anzubieten?Sexauer: Wenn sie die Kaufentschei-dung unterstützen – etwa, indem ich mich am POS über Fotos meiner Woh-nung einrichten und mir das so besser vorstellen kann – und verlinke mit dem Order-Prozess. Beim Testen von Ein-richtungs-Varianten bieten Apps eine gute Chance. Auch gibt es Shopper, die nur einen Tisch kaufen und nicht Stunden durch den Laden laufen wollen. Solche Ori-entierungshilfen gibt es schon im Le-bensmittelhandel: Über Apps informie-ren, wo ich das Produkt finde. Zugleich erhalte ich Entscheidungshilfe, indem ich EAN- oder Barcode scanne, um Hintergrundinfos zu bekommen. Dabei spielt Nachhaltigkeit eine Rolle. Oder ich informiere über alternative energie-sparende Lampen 300 m weiter.

MM: Also ist auch die Industrie ge-fordert, Content bereit zu stellen?Sexauer: Ja, es gibt eine Barcoo-App, mit der ich EAN-Codes scanne und Hintergrundinfos zum Produkt und sei-

nem CO2-Footprint bekomme. Solche Themen werden ganz wichtig, daher müssen sich Möbelmarken bzw. -Her-steller stärker dahinter klemmen und Informationen weitergeben; zumal es Tools geben wird, mit denen Möbel be-wertet werden. Zum Teil muss der Lie-ferant mehr Informationen preisgeben, als ihm lieb ist; wenn er das aber gut macht und neueste Kundenwünsche aufnimmt, wird er sich einen Wettbe-werbsvorteil verschaffen.

MM: Video-Aufbauanleitung, Preis-vergleich etc.: Welche revolutionä-ren Potenziale für den Massenmarkt bietet Augmented Reality künftig dem Einrichtungshandel noch?Sexauer: Man muss sich die klassi-schen Pre- und After-sales-Prozesse anschauen: Augmented Reality hilft, wie ich das Möbel aufbaue bis zu sei-ner virtuellen Darstellung dort, wo es stehen soll inklusive virtueller Hilfslini-en, wo was hinkommt. Oder am POS, da ich die Auswahl nicht immer in gan-zer Breite und Tiefe zeigen kann – dass ich den EAN-Code scanne und sehe, wie nicht gezeigte Produkte aussehen.

MM: Was kann der Möbelhandel von Best Pratice-Beispielen lernen?Sexauer: Sich überhaupt damit zu be-schäftigen. Er sollte kooperieren, um zu sehen, was dort passiert und wel-che Chance er hat. Auch wenn er nicht präsent ist, kann er sich dort als preis-günstig positionieren, indem er ab und zu in mobilen Angebotsbereichen at-traktive Eckpreise lanciert. Damit än-dert er sein Preisbild bei online-affinen Kunden, die nicht im Fachhandel kau-fen oder online Preise vergleichen, und lockt sie in seinen Store. Oder einen Neukunden gewinnen, der am POS ei-nen Gutschein erhält. Solche Themen bieten riesige Chancen; ebenso Tools, die in der Planung des Möbelkaufs, der Entscheidung am POS oder nach dem Kauf einen Mehrwert bieten.

MM: Wie hat sich der Möbelhandel 2020 auf den mobilen und quasi all-wissenden Kunden eingestellt?Sexauer: Es werden immer mehr Ein-richtungshändler mit Pricing arbeiten und Mobile Marketing besser bespie-len, aber sie werden auch 2020 noch nicht begriffen haben, dass M-Com-merce einer der am schnellsten wach-senden Bereiche ist und keinen Bud-get-Shift auf den online- bzw. mobilen Kanal vollzogen haben – damit werden sie Versandhändlern den Weg bereiten.

Dr. Hagen Sexauer:

„Der Möbelhandel wird keinen Budget- Shift vollzogen haben und damit Versandhändlern den Weg bereiten.“

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Massenmarkt“„Auf dem Weg zum

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Dr. Hagen J. Sexauer ist Principal bei der Strategie-beratung Sempora Consul-ting mit Fokus auf Kunden-beziehungs-Management, Mobiles Internet und Social Media und Herausgeber mehrerer Management- Bücher sowie Autor von Fachartikeln.

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