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Vortrag auf der IA-Konferenz in Köln 4. Deutsche Konferenz für Informationsarchitektur Johannes Stock

Ethik im Web Design

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Es ist die Aufgabe des Konzepters, seinem Auftraggeber zum Erfolg zu verhelfen. Dass Unternehmen sich ihrer Verantwortung stellen müssen, um im 21. Jahrhundert erfolgreich zu sein, hört man dieser Tage oft. Ob der Konzepter selbst aber ebenfalls Verantwortung für seine Kreationen trägt und wenn ja, wie diese aussieht, wird weniger oft diskutiert. Trägt der Konzepter eine ethische Verantwortung? Wenn ja, für wen und was? Wo beginnt und endet sie? Und worin zeigt sie sich konkret?

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Vortrag auf der IA-Konferenz in Köln 4. Deutsche Konferenz für Informationsarchitektur

Johannes Stock

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Ich möchte mit euch heute über die ethische Verantwortung des Konzepters sprechen. Erin Malone + Jason Hobbs + Sylvain Cottong [Klick] Dazu möchte ich zunächst zeigen, warum ich glaube, dass es wichtig ist, die Frage nach der Ethik zu stellen. [Klick] Dann werde ich skizzieren, worin die ethische Verantwortung in der Konzeption besteht. [Klick] Und schließlich möchte ich einige Ansätze aufzeigen, wie wir mit dieser Verantwortung umgehen können.

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[text] Diese Fragen stellte Jesse James Garrett, den die meisten von euch kennen werden, in seiner Abschlussrede auf dem IA Summit im letzten Jahr in Memphis. Für Garrett scheint klar zu sein, dass unsere Arbeit eine ethische Komponente hat. Doch diese wird seiner Meinung nach bisher wenig beachtet und nicht ausreichend diskutiert. Warum hält er die Frage nach der Ethik für wichtig?

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Er kommt auf diese Frage, weil er feststellt, in welchem Maße unsere Arbeit als User Experience Designer, egal ob wir uns Informationsarchitekten, Interaction Designer oder Service Designer nennen, Einfluss auf unsere Mitmenschen hat. Mit unseren Maßnahmen beeinflussen wir ihr Denken, indem wir Informationen zur Verfügung stellen. Wir beeinflussen ihre Gefühle, indem wir ihre Hoffnungen und Sehnsüchte aufgreifen und verstärken. Und wir beeinflussen ihr Handeln, indem wir Interaktionsmöglichkeiten bereit stellen. Wir wollen Menschen erreichen, das ist der Kern unserer Arbeit. Jesse James Garrett stellt die Frage nach der Ethik, weil es deren zentrale Grundfrage ist, wie wir uns anderen Menschen gegenüber verhalten sollen. Wenn es in unserer Arbeit um den Menschen geht – und UX und UCD bauen ja gerade auf dieser Erkenntnis auf -, dann sollte Ethik in ihr eine wichtige Rolle spielen. Bevor wir uns näher ansehen, was die Ethik mit unserer Arbeit zu tun hat, sollten wir daher erst einmal den Kern der Ethik ins Blickfeld rücken.

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Wie soll ich leben? Das ist die Grundfrage der Ethik. Spätestens seit der Antike stellen sich Menschen immer wieder diese Frage. Philosophie und Religion versuchen je auf ihre Weise, Antworten darauf zu finden. Die Frage nach der richtigen Art zu leben stellen wir uns, weil wir Orientierung für unser Handeln suchen. Gesetze und Traditionen liefern uns in vielen Bereichen diese Richtlinien. Diese Orientierungshilfen, empfinden wir aber nicht immer als ausreichend. In solchen Situationen verlangen wir nach der Ethik als Leitlinie. Jeder von uns kennt Situationen, in denen er auf sich selbst, auf sein Gewissen und auf seine moralischen Ansprüche zurückgeworfen ist. Situationen, in denen nur ER ALLEIN entscheiden kann, was richtig ist. So gibt uns z.B. der Gesetzgeber keine Orientierungshilfe, wie wir damit umgehen sollen, wenn uns ein Freund ein Geheimnis anvertraut. Es ist an uns zu entscheiden, ob wir das Geheimnis auch dann noch wahren, wenn es für uns unangenehme Konsequenzen hat. Aber auch wenn gesetzliche Vorgaben vorliegen, z.B. das Verbot von Raubkopien, kann sich bei uns die moralische Frage ergeben, wie wir damit umgehen wollen. Unser eigenes moralisches Gewissen gibt uns oftmals in schwierigen Situationen Handlungsorientierung. Die Ethik ist die Wissenschaft der Moral und richtet sich als solche an uns alle. Wie kommt es aber überhaupt dazu, dass wir uns die Frage, wie wir leben sollen, stellen?

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Offensichtlich macht es nur Sinn, sich diese Frage zu stellen, wenn man selbst entscheiden kann, wie man sich verhalten möchte. Wenn man also die Freiheit hat, dieses zu tun und jenes zu lassen. Es wird viel darüber diskutiert, ob wir Menschen einen freien Willen haben oder vollkommen durch unsere Biologie und Sozialisierung determiniert sind. Dieser Streit wird seit Jahrhunderten ausgetragen und auch wenn immer wieder mal einer behauptet, in letzter Zeit hauptsächlich Neurowissenschaftler, dass der freie Wille eine Illusion sei, hat noch keiner einen Beweis dafür liefern können. Obwohl die Diskussion einigermaßen spannend ist, möchte ich darauf nicht näher eingehen. Für unsere Zwecke reicht es zu wissen, dass die Frage nicht entschieden ist, vielleicht sogar unentscheidbar bleibt. Was jeder aber von sich selbst kennt, ist das sich immer wieder meldende Gefühl, verantwortlich zu sein. Vereinfacht gesagt, spricht man von Verantwortung, wenn der Ausgang einer Sache von meinem Verhalten abhängt und nicht von vornherein determiniert ist. Verantwortlich sind wir für das, was wir selbst beeinflussen können. Dafür, dass das Internet auch morgen noch funktioniert, ist keiner der hier Anwesenden verantwortlich –zumindest nehme ich das an. Dass die Lösungen, für die wir die Konzepte schreiben, auch wirklich funktionieren, dafür sind wir aber auf jeden Fall mit verantwortlich. Die moralische Verantwortung, um die es hier geht, unterscheidet sich aber grundsätzlich von einer Funktionsverantwortung die ich z.B. für das Funktionieren des Navigationskonzeptes in meiner Applikation habe. Sie unterscheidet sich auch von der rechtlichen Verantwortung, die im Vertrag mit dem Kunden geregelt ist. Denn bei einer moralischen Verantwortung kontrolliert nicht der Saat, nicht der Kunde, nicht das Projektteam, ob ich mich ihr entsprechend verhalte. Nur ich selbst kann entscheiden, wie ich mit meiner moralischen Verantwortung umgehe.

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Wir haben aber nicht alle das gleiche Gefühl von moralischer Verantwortung. Was ICH für richtig und gut halte, muss mein Sitznachbarn nicht ebenfalls für richtig halten. Wir sind uns regelmäßig darüber uneinig, was in einer bestimmten Situation das richtige Verhalten ist. Egal wie man letztlich unsere unterschiedlichen Moralvorstellungen erklären will – und an Erklärungsversuchen mangelt es nicht -, es liegt immer an uns, mit der Verantwortung, die wir empfinden, umzugehen. Letztlich können nur wir selbst entscheiden, ob unser Verhalten zu dem passt, wie wir leben wollen. Ob wir sagen können: Ja, so bin ich, so will ich sein. Und mit unserem Handeln, mit allem, was wir tun, machen wir ständig eine Aussage darüber, wer wir sind und wer wir sein wollen.

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Warum aber sollten wir uns als User Experience Designer über diese grundsätzliche, jeden Menschen angehende Frage der Ethik hinaus noch weitere Gedanken machen? Warum sollten wir intensiver über die ethische Dimension unserer Arbeit nachdenken, wie das Jesse James Garrett anregt?

Ich glaube, dass unsere Profession ihren Kinderschuhen entwachsen ist. Wir haben viel über Strategien und Methoden gelernt. Wir beherrschen unser Handwerkszeug. Das ist wichtig, denn ohne diese Beherrschung können wir keine gute Arbeit leisten. Aber jetzt sollten wir den Weg weiter gehen. Wir sollten die neuen Schuhe anziehen und sehen, wohin wir damit kommen. Wir sollten uns fragen, was unsere Arbeit mit den Menschen zu tun hat. Wie sich unsere Produkte und Services auf sie auswirken. Und vor allem: Welche Verantwortung wir dabei übernehmen.

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Wenn wir Informationssysteme aufbauen oder optimieren, wollen wir sicherstellen, dass Menschen die Informationen finden, die sie suchen. Wenn wir Produkte zu Vermarktungszwecken in Szene setzen, in Webspecials und Kampagnen, wollen wir damit Begehrlichkeiten bei potentiellen Käufern wecken. Wenn wir Foren, Social Networks und andere Kommunikationsmittel entwerfen, wollen wir Menschen besser vernetzen und den gegenseitigen Austausch fördern. In allen Fällen ist es unser Ziel, Produkte und Services zu entwickeln, die Bedeutung und Relevanz für Menschen haben. Wir nehmen damit Einfluss auf das Leben unzähliger Menschen.

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Den Einfluss, den das Web und mit ihm die umfassende Digitalisierung auf unsere Welt hat, ist nicht mehr zu übersehen. Wer einmal sein eigenes Medienverhalten mit dem vor 5 bis 10 Jahren vergleicht, weiß sofort, wovon ich spreche. Eine Art stille Revolution ist im Gange, die unser Denken, Fühlen und Handeln wesentlich verändert. Wir gehen anders mit Informationen und Informationsmedien um. Wir kommunizieren und arbeiten in anderer Weise. Wir lernen Menschen oft zuerst über ihre digitale Identität kennen, wissen teilweise schon recht Privates über sie, lange bevor wir sie direkt treffen. Die Welt verändert sich grundlegend, und wir Konzepter sind Teil dieser Veränderung. Auch wenn wir nicht die Pioniere sind, die das nächste Facebook, iPad oder Chrome OS designen, steuern wir doch alle mit, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickelt. Ganz einfach deshalb, weil wir die Experten sind, die diese Entwicklung maßgeblich mit vorantreiben. Mit den Strukturen, Systemen und Prozessen, die wir in unserer täglichen Arbeit entwerfen, ermöglichen wir erst den gewaltigen digitalen Wandel, der gerade im Gang ist. Wir sind die Experten, die mit ihren Lösungen mit entscheiden, wie in Zukunft die Beziehungen zwischen Kunden und Unternehmen aussehen werden. Wir legen mit fest, welche Standards für Transparenz und Offenheit gelten. Wir beeinflussen mit unseren Lösungen, wie sehr die Persönlichkeitsrechte von Nutzern in Sozialen Netzwerken geschützt sind. Gleichzeitig aber auch, wie nahe sich die ganze Welt durch die Überwindung von Barrieren kommen kann. Experience Designer gestalten heute die Welt von morgen. Wenn man darüber nachdenkt, wird klar, dass wir uns über unsere Verantwortung unterhalten sollten.

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Peter Parker alias Spiderman spürt seine große Verantwortung, weil er merkt, dass er Dinge beeinflussen kann, denen alle anderen machtlos gegenüber stehen. Er kann die bösen Jungs aufhalten, die sich über das Gesetz stellen. Er kann sich aber auch selbst über das Gesetz stellen. Er erkennt, dass es allein an ihm ist, verantwortungsvoll mit seiner Gabe umzugehen. Konzepter sind keine Superhelden. Lustige Capes gehören bei den wenigsten von uns zur Arbeitskleidung. Wir haben aber ebenfalls Einfluss und sollten uns der Verantwortung bewusst werden, die damit einhergeht.

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Jetzt kann man sich aber die skeptische Frage stellen, ob das denn überhaupt der Fall ist. Sind wir wirklich verantwortlich? Haben wir überhaupt so einen großen Einfluss auf den Gang unserer Welt, wie gerade behauptet wurde?

Denn ich erfinde ja kein neues Twitter, das die Schreib-, Lese- und Kommunikationsgewohnheiten zukünftiger Generationen prägen wird. Ich bin ja nicht derjenige, der bestimmt, ob ein Unternehmen kritische Kundenkommentare gelten lässt oder einfach löscht. Ich habe nicht das letzte Wort, wenn es darum geht, ob der Kunde auf der Website die üblichen Marketingsprüche oder wirklich hilfreiche Informationen finden wird. Kurz: Mein Einfluss ist doch eher bescheiden. Und damit doch wohl auch meine Verantwortung! Das sind alles valide Einwände. Um die Frage zu klären, in welchem Sinne wir überhaupt verantwortlich sind, möchte ich daher auf 3 verbreitete Denkmuster, moderne Mythen könnte man sie nennen, eingehen, die meiner Meinung nach mit dafür verantwortlich sind, dass wir Schwierigkeiten haben, unsere eigene Verantwortung zu erkennen.

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Der erste Mythos besagt: „Konzepte sind neutral“ Dahinter steht die Vorstellung, zwischen Form und Inhalt könnte streng getrennt werden. Anders formuliert: Die IA sei nur der Container für den Content. Und der Content etwas, das man beliebig in die IA einfügen kann. Form und Inhalt hätten also keinen Einfluss aufeinander. Aber bei jeder Arbeit, die mit einem Medienwechsel zu tun hat, wenn wir z.B. die Inhalte eines Print-Magazins ins Web übersetzen, wird klar, dass die Form großen Einfluss auf den Inhalt hat. Aus dem Glauben an die Unabhängigkeit von Form und Inhalt leitet sich dann die Vorstellung ab, dass es im Grunde egal ist, wer ein Konzept erstellt hat. Bei gleicher Befähigung und Berücksichtigung der gleichen Rahmenparameter entsteht das gleiche Konzept, egal, ob Anna oder Thomas es entwirft. So wie die Form keinen Einfluss auf den Inhalt haben soll, ihm also neutral gegenüber steht, so soll auch die Persönlichkeit des Konzepters keinen Einfluss auf das Konzept nehmen. Der Glaube, es gäbe so etwas wie ein neutrales Konzept, wird durch die scheinbare Standardisierbarkeit unserer Arbeit noch verstärkt. Denn unsere Methoden, Frameworks und Deliverables lassen uns leicht vergessen, wie viel von uns selbst in unseren Konzepten steckt: Unsere spezifische Art zu Denken, unsere persönlichen ästhetischen Vorlieben und die unterschiedlichen Erfahrungen, die wir gemacht haben. Das alles färbt unsere Konzepte nicht nur ein, sondern ist ihr unablösbarer Bestandteil. Wer sich einmal das Konzept von zwei verschiedenen Designern zu ein und demselben Briefing näher angesehen hat, hat eine Vorstellung davon. Auch wenn uns der Blick darauf schwer fällt: Unsere Konzepte sind immer von unserer persönlichen Weltsicht mitgeprägt. Und damit fließen unsere moralischen Wertvorstellungen in jedes unserer Konzepte ein.

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Der zweite Mythos geht so: Wir haben keine Wahl. Bei all den Restriktionen, die in einem Projekt herrschen - Budget, Projektziele, verfügbare Ressourcen, um nur einige zu nennen – kann doch niemand mit Recht behaupten, wir hätten eine Wahl. Wir tun das, was von uns verlangt wird. Sonst sind wir draußen. Hier liegt ein Missverständnis vor. Denn zu sagen, dass wir eine Wahl haben, heißt nicht zu behaupten, wir könnten diese Wahl absolut frei treffen. Wir arbeiten niemals völlig auf der grünen Wiese. Wir arbeiten in Projekten mit mehr oder weniger klaren Zielvorgaben. Absolute Wahlfreiheit wäre nichts anderes als Beliebigkeit. Unsere Arbeit wäre absolut witzlos, wenn die Herausforderung nicht gerade darin bestünde, innerhalb der geltenden Bedingungen, die in jedem Projekt anders sind, eine clevere Lösung zu entwickeln. Unsere Kreativität entsteht ja gerade aus dieser Reibung. Die Kreativzone liegt zwischen der absoluten Freiheit und der absoluten Determination. Der Philosoph Jean Paul Sartre sagt: [Klick] „Tatsächlich sind wir eine Freiheit, die wählt, aber wir wählen nicht, frei zu sein: wir sind zur Freiheit verurteilt,” Er meint damit, dass unsere Freiheit darin besteht, immer eine Wahl zu haben. Das heißt aber auch gleichzeitig: Wir können uns nicht aussuchen, ob wir wählen wollen oder nicht. Mit jeder Entscheidung, in unserem Leben genauso wie in unserem Arbeiten, treffen wir eine Wahl. Auch wenn z.B. das Ziel eines Projektes klar festgelegt ist, ist immer noch viel Spielraum vorhanden, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Diese Entscheidungen mögen auf den ersten Blick nicht sonderlich relevant erscheinen. Bei näherem Hinsehen sind es aber diese kleinen Entscheidungen, die in der Summe darüber bestimmen, ob wir verantwortungsvoll gehandelt haben.

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Der dritte Mythos besagt: Verantwortlich sind andere. Mein Einfluss ist gering, also ist auch meine Verantwortung gering. Aber auch wenn ich nur geringen Einfluss habe, ist es keine Lösung zu sagen: Andere haben größeren Einfluss, sollen die sich doch um die Ethik kümmern. Denn selbst wenn es so ist, schieben wir damit unsere eigene Verantwortung nur zur Seite. Denn wenn wir glauben, dass jemand anders die Verantwortung hat und sich ihr stellen sollte, räumen wir damit implizit ein, dass es diese Verantwortung gibt. Damit haben wir nur noch zwei Möglichkeiten: 1. Wir sagen, dass man erst ab einem bestimmten Einfluss Verantwortung trägt. Hier ist die Schwierigkeit, dass schwer festzulegen wäre, wo diese Einflussgrenze verläuft. 2. Wir denken darüber nach, welche Einfluss wir wirklich haben und versuchen entsprechend ethisch richtig zu handeln. Immanuel Kant hat in seinem berühmten Kategorischen Imperativ ausgedrückt, was seiner Meinung nach für jeden von uns Handlungsorientierung sein sollte: [Klick] Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Im Kern geht es darum, zu prüfen, ob wir damit zurecht kämen, wenn alle anderen Menschen auf die gleiche Weise handeln würden. Ob es für uns in Ordnung wäre, wenn das was wir tun, andere Menschen mit uns tun würden. Daraus wird klar: Die Frage nach der Verantwortung richtet sich grundsätzlich an uns alle. Daran ändert sich auch nichts, wenn wir meinen, dass unser Einfluss als Konzepter eher gering ist. Wir können unsere Verantwortung zwar ignorieren, aber dennoch tragen wir sie.

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Kommen wir zurück zu Jesse James Garrett und unserer Ausgangsfrage: Was würde es jetzt bedeuten, die Feststellung, dass unsere Arbeit eine ethische Dimension hat, ernst zu nehmen? Ich habe darauf keine finale Antwort. Stattdessen möchte ich kurz 3 mögliche Ansätze skizzieren, um dann in die Diskussion mit euch zu gehen.

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Wenn wir davon überzeugt sind, dass unsere Arbeit ethische Komponenten hat, die es zu beachten gilt, könnten wir einen Ethikrat, eine Kommission oder einen Arbeitskreis einsetzen. Dieser hätte die Aufgabe, sich über die ethische Relevanz unserer Arbeit Gedanken zu machen. Viele ältere Fachrichtungen, die sich mit dem Menschen beschäftigen, z.B. Medizin, Psychologie, Marketing, haben solche Institutionen. Durch diese Institutionalisierung geht aber meiner Meinung nach sehr leicht das Wichtigste verloren: Dass wir uns SELBST Gedanken über unsere Verantwortung machen. Ich erinnere da noch einmal an Kant: Wir können die Verantwortung nicht abgeben. Schafft man solche Gremien, ist die Gefahr groß, dass man die Auseinandersetzung mit der Verantwortung zum Problem anderer erklärt. Und von diesen dann verlangt, dass sie uns sagen, was wir tun sollen. Diese Aufgabe, das haben wir gesehen, kann uns schlussendlich aber niemand abnehmen.

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Weitaus spannender und vielversprechender finde ich die Ansätze, die uns Designphilosophien wie User Centered Design und die Methoden des User Experience und Service Designs bieten. Sie stellen den Nutzer in den Mittelpunkt unserer Arbeit, nicht die Technik, nicht die Prozesse. Damit ist schon viel erreicht. Trotzdem sollte man sich meiner Meinung nach nicht darauf ausruhen. Denn den Nutzer wirklich konsequent in den Mittelpunkt zu stellen, heißt für mich, die Ethik mit zu berücksichtigen. Wenn wir beispielweise von “dem User” sprechen, dann sollten wir uns immer wieder klar machen, dass dies eine gewaltige Abstraktion ist. Natürlich müssen wir immer abstrahieren, um Arbeiten zu können. Aber wir sollten nicht dem Irrtum unterliegen, dass mit Personas auch schon automatisch für die ethischen Aspekte im Umgang mit unterschiedlichen Zielgruppen gesorgt ist. User Centered Design und Methoden wie Mental Models, kontextuelle Interviews und Usability Tests, sind der richtige Weg, um uns mit den Menschen zu vernetzen. Um aber neben ihren Anforderungen auch ihre Hoffnungen und Ängste in unsere Arbeit einzubeziehen, um sie also in ihrer ganzen Vielschichtigkeit wahr und ernst zu nehmen, müssen wir den ganzen Menschen im Kopf behalten. Wir müssen uns immer vergegenwärtigen, dass hinter den Personas individuelle Menschen stehen.

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Ein Ansatz, den ich sehr vielversprechend finde und den man leicht in seine Arbeit integrieren kann, ist es, sich die Frage zu stellen, ob ich selbst gerne Nutzer meines eigenen Designs wäre. Dabei sollte man sich nicht damit herausreden, dass ich nicht die intendierte Zielgruppe meines Designs bin. Auch wenn ich kein Fußballfan bin und somit die Fußball-Community, die ich entwerfe, nicht auf mich abzielt, kann ich mir Gedanken dazu machen, wie ich mich als Nutzer der Community fühlen würde. Es macht meiner Meinung nach absolut Sinn, das für sich mal im Kopf durchzuspielen. Und Use Cases oder Scenarios können dabei helfen, sich in die Situation hinein zu versetzen. Wie wird es sich anfühlen, Teil dieser Community zu sein? Wie werde ich mich mit anderen Fans austauschen können? Was passiert, wenn ich mich mit jemandem in die Haare kriege? Werde ich Kontakt zu gegnerischen Fans haben? Wie werde ich mit diesen umgehen? Wieviel Zeit werde ich in der Community verbringen? Wird sich meine Mitgliedschaft in der Community auf mein Lust auswirken, selbst mal wieder ein paar Bälle zu treten? Und dann zusammenfassend: Möchte ich, dass das Menschenbild, dass sich durch den Stil der Community ausdrückt, auf mich angewendet wird? Möchte ich so behandelt werden, wie es die Nutzer meiner fertigen Applikation später werden? So kann ich prüfen, ob mein Konzept mit meinen ethischen Normen, mit meiner Vorstellung davon, wie Menschen behandelt werden sollten, im Einklang ist.

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[Text] So schrieb Peter Morville schon im Jahr 2000. Und JJG knüpfte 10 Jahre später wieder daran an. Unsere Jobbezeichnungen und unsere Methoden haben sich in 10 Jahren immer wieder verändert und weiter entwickelt. Die Frage nach der Ethik stellt sich aber heute wie damals immer noch unverändert. Ich glaube, dass es das Wichtigste und Erfolgsversprechendste ist, wenn wir uns gemeinsam über die ethischen Aspekte unserer Arbeit unterhalten. Wir sollten den Diskurs, den wir über Strategien, Methoden und Best Practices führen, um ethische Fragestellungen erweitern. Hier stehen wir auch nach 10 Jahren immer noch ganz am Anfang und können viel gemeinsam und voneinander lernen. In diesem Sinne danke ich euch fürs Zuhören und bin ich jetzt mal auf eure Meinungen gespannt!

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