1
Montag, 20. Juli 2015 MOOSBURGER ZEITUNG 15 1000 oder mehr Jahre in sieben Stunden Die erste „Lange Nacht der Kirchenmusik“ bietet einzigartige Konzerterlebnisse Von Niko Firnkees Moosburg. 1000 oder mehr Jahre komprimiert in sieben Stunden – diesem ehrgeizigen Vorhaben stell- ten sich Stefan Metz und Professor Stephan Zippe, alle Aktiven der Münstermusik und Gäste am Frei- tagabend bei der ersten „Langen Nacht der Kirchenmusik“. Fast sie- ben Stunden Konzerte waren frei- lich auch eine Herausforderung für das Publikum, das nach Belieben hinein- und herausgehen und sich zwischendurch neben der Johannes- kirche mit Schmalzbrot, Käse, Oli- ven und kühlen Getränken stärken konnte. Es gab unter dem zahlrei- chen Publikum einige sakrale Hard- corer, die sich – etwas flapsig for- muliert – die volle Dröhnung aller sechs Konzerte verabreichten. Langweilig wurde ihnen dabei ganz bestimmt nicht, denn jedes der Konzerte war im Rahmen der Reihe einzigartig. Es begann mit den Kin- der- und Jugendchören der Pfarrei. Kanons und einfache geistliche Lie- der wurden von Jüngsten sicher und engagiert vorgetragen, die Männer- stimmen in den älteren Besetzungen waren blitzsauber, kultiviert, außer- ordentlich intonationssicher und sehr homogen aufeinander einge- stellt. Zu den Höhepunkten zählte Metz‘ „Sanctus“ aus der Impro- Messe, wo die Sänger improvisato- risch über Patterns und anderen Os- tinati und mit pentatonischen Rei- hen den ungebremsten irdischen und himmlischen Jubel in liturgisch verwendbare Töne kleideten. Raffi- niert der Schluss, der die zeitliche und räumliche Unendlichkeit dieses Jubelns in Form eines Fade-out dar- stellte: Gleich einer Raumsonde, die sich immer weiter von der Erde ent- fernt, immer schwächere Signale sendet, dennoch aber unbeirrbar ih- ren Weg fortsetzt, so soll auch der Jubel ohne Ende anhalten. Die Früchte der vorangegangenen Jugendarbeit konnten anschließend beim Münsterchor bestaunt werden. Metz hatte erfolgreich ein Reper- toire von über 300 Jahren mit reiz- vollen Gegenüberstellungen zusam- mengestellt. Milde Dissonanzen und Personanzen kennzeichneten die zeitgenössischen kirchenmusi- kalischen Werke von Lauridsen bis Rutter. Mit Rheinbergers flüssigem „Abendlied“ ohne jeden romanti- sierenden Touch, aber mit einer ebenso sicheren Intonation und dik- tatfähigen Aussprache wie in den vorangegangenen Titeln verab- schiedete sich der Münsterchor. Be- merkenswert auch die liebevolle Detailpflege in Sachen Dynamik und Artikulation. Geistliche Kammermusik domi- nierte im dritten Konzert. Beate und Nic Hariades als Sopranistin und als Countertenor zelebrierten Bach, Diabelli und Händel. Beide spielten virtuos mit den Koloraturen, schu- fen eine andachtsvolle Stimme fast ohne Worte – die Silben schwebten wie Vokalisen durch den Raum. Mu- sikalisch kommunizierten sie mit Matz und dem Geiger Johannes Strake und dem Cellisten Johannes König. Die drei musizierten instru- mental eine barocke Mysterienso- nate Bibers und im Streicherduo eine Bearbeitung von Krzysztof Pendereckis „Ciaconna“, die seines Landsmanns Johannes Pauls II. ge- dachte. Eine dramatische Steige- rung, melancholische Töne, trotzige Einwürfe und eine stringente, ja teilweise unerbittliche harmonische Fundamentierung trugen dem We- sen des polnischen Pontifex Rech- nung. Die beiden Musiker agierten ganz einfach grandios – die Span- nung dauerte nach dem Schluss- klang noch lange an. Licht als Symbol der Unendlich- keit, farbgeflutete Flächigkeit à la Chagall: Im vierten Konzert unter- schied sich das Münster durch eine Lichtinstallation von Sebastian Ehrmaier von den vorangegangenen Konzerten. Zudem bot es einen auf den ersten Blick ungewöhnlichen Kontrast: Gregorianische Klänge und frühe Mehrstimmigkeit wie Pa- rallelorgana in der ebenmäßigen und ausgefeilten Interpretation von Münsterschola und Cantores Iuve- nales versus Klaviermusik des ita- lienischen Zeitgenossen Ludovico Einaudi. Letztere wirkte zunächst ein bisschen wie Clayderman mit Weihrauch, bevor Benedikt Celler hinter den scheinbaren Selbstläu- fern aus samtigen Floskeln Steige- rungen, eben gehaltene Spannungs- höhen und raffinierte Reduktionen herauskristallisierte. Ganz anders das vorletzte Kon- zert, als das von Christian Hopfner geleitete Quartett „Tritonus“ aus Regensburg von der Orgelempore und im Bereich des Chorgestühls festliche Blechbläserklänge mit vie- len barocken Anklängen und einer faszinierenden klanglichen Homo- genität zelebrierte. Gleichzeitig wurden via Mendelssohn und Guil- mants und dessen in ihrer würde- vollen Schlichtheit beeindrucken- den „Impression Grégorienne“ ide- elle Verknüpfungen zu vergangenen Konzerten getätigt. In der benachbarten Johanneskir- che wurden zwischen den einzelnen Konzerten in Vorträgen und Dis- kussionsrunden kirchenmusikge- schichtliche Aspekte und Fragen des Selbstverständnisses der Kir- chenmusik in der Jetzt-Zeit erör- tert. Auch dieses Angebot stieß auf rege Nachfrage. Am Ende einer langen Nacht im- provisierte Benedikt Celler über Abend- und Nachtlieder auch jen- seits des religiösen Liedguts, so etwa der „Abendsegen“ aus Hum- perdincks „Hänsel und Gretel“. Wer um diese Zeit noch ins Münster ge- gangen war, wollte ein musikali- sches Betthupferl. Celler musizierte mit milden Dissonanzen, setzte den Tremulanten ein, bot eine verführe- risch weiche Registrierung. Dabei konnte er mit einem organistischen Augenzwinkern jedoch stets eine Prise Humor in die Bearbeitungen importieren. Der Nachwuchs eröffnete die Konzertserie. (Fotos: fi) Die Münsterorgel wurde illuminiert. Der Münsterchor bewies eine hohe Klangqualität. Benedikt Celler agierte mehrmals. Tritonus Brass bot festlichen barocken Glanz. Farben- und Klangspiele im Kirchenschiff. 8A6LniQo

(BBB CPO? GOL? iTL? O KD =KOROD ^;:DPOD MoosburgerZ 150720.pdffcd;tm-

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: (BBB CPO? GOL? iTL? O KD =KOROD ^;:DPOD MoosburgerZ 150720.pdffcd;tm-

Montag, 20. Juli 2015 MOOSBURGER ZEITUNG 15

1000 oder mehr Jahre in sieben StundenDie erste „Lange Nacht der Kirchenmusik“ bietet einzigartige Konzerterlebnisse

Von Niko Firnkees

Moosburg. 1000 oder mehr Jahrekomprimiert in sieben Stunden –diesem ehrgeizigen Vorhaben stell-ten sich Stefan Metz und ProfessorStephan Zippe, alle Aktiven derMünstermusik und Gäste am Frei-tagabend bei der ersten „LangenNacht der Kirchenmusik“. Fast sie-ben Stunden Konzerte waren frei-lich auch eine Herausforderung fürdas Publikum, das nach Beliebenhinein- und herausgehen und sichzwischendurch neben der Johannes-kirche mit Schmalzbrot, Käse, Oli-ven und kühlen Getränken stärkenkonnte. Es gab unter dem zahlrei-chen Publikum einige sakrale Hard-corer, die sich – etwas flapsig for-muliert – die volle Dröhnung allersechs Konzerte verabreichten.

Langweilig wurde ihnen dabeiganz bestimmt nicht, denn jedes derKonzerte war im Rahmen der Reiheeinzigartig. Es begann mit den Kin-der- und Jugendchören der Pfarrei.Kanons und einfache geistliche Lie-der wurden von Jüngsten sicher undengagiert vorgetragen, die Männer-stimmen in den älteren Besetzungenwaren blitzsauber, kultiviert, außer-ordentlich intonationssicher undsehr homogen aufeinander einge-stellt. Zu den Höhepunkten zählteMetz‘ „Sanctus“ aus der Impro-Messe, wo die Sänger improvisato-risch über Patterns und anderen Os-tinati und mit pentatonischen Rei-hen den ungebremsten irdischenund himmlischen Jubel in liturgischverwendbare Töne kleideten. Raffi-

niert der Schluss, der die zeitlicheund räumliche Unendlichkeit diesesJubelns in Form eines Fade-out dar-stellte: Gleich einer Raumsonde, diesich immer weiter von der Erde ent-fernt, immer schwächere Signalesendet, dennoch aber unbeirrbar ih-ren Weg fortsetzt, so soll auch derJubel ohne Ende anhalten.

Die Früchte der vorangegangenenJugendarbeit konnten anschließendbeim Münsterchor bestaunt werden.Metz hatte erfolgreich ein Reper-toire von über 300 Jahren mit reiz-vollen Gegenüberstellungen zusam-mengestellt. Milde Dissonanzenund Personanzen kennzeichnetendie zeitgenössischen kirchenmusi-kalischen Werke von Lauridsen bisRutter. Mit Rheinbergers flüssigem„Abendlied“ ohne jeden romanti-sierenden Touch, aber mit einerebenso sicheren Intonation und dik-tatfähigen Aussprache wie in denvorangegangenen Titeln verab-schiedete sich der Münsterchor. Be-merkenswert auch die liebevolleDetailpflege in Sachen Dynamikund Artikulation.

Geistliche Kammermusik domi-nierte im dritten Konzert. Beate undNic Hariades als Sopranistin undals Countertenor zelebrierten Bach,Diabelli und Händel. Beide spieltenvirtuos mit den Koloraturen, schu-fen eine andachtsvolle Stimme fastohne Worte – die Silben schwebtenwie Vokalisen durch den Raum. Mu-sikalisch kommunizierten sie mitMatz und dem Geiger JohannesStrake und dem Cellisten JohannesKönig. Die drei musizierten instru-

mental eine barocke Mysterienso-nate Bibers und im Streicherduoeine Bearbeitung von KrzysztofPendereckis „Ciaconna“, die seinesLandsmanns Johannes Pauls II. ge-dachte. Eine dramatische Steige-rung, melancholische Töne, trotzigeEinwürfe und eine stringente, jateilweise unerbittliche harmonischeFundamentierung trugen dem We-sen des polnischen Pontifex Rech-nung. Die beiden Musiker agiertenganz einfach grandios – die Span-nung dauerte nach dem Schluss-klang noch lange an.

Licht als Symbol der Unendlich-keit, farbgeflutete Flächigkeit à laChagall: Im vierten Konzert unter-

schied sich das Münster durch eineLichtinstallation von SebastianEhrmaier von den vorangegangenenKonzerten. Zudem bot es einen aufden ersten Blick ungewöhnlichenKontrast: Gregorianische Klängeund frühe Mehrstimmigkeit wie Pa-rallelorgana in der ebenmäßigenund ausgefeilten Interpretation vonMünsterschola und Cantores Iuve-nales versus Klaviermusik des ita-lienischen Zeitgenossen LudovicoEinaudi. Letztere wirkte zunächstein bisschen wie Clayderman mitWeihrauch, bevor Benedikt Cellerhinter den scheinbaren Selbstläu-fern aus samtigen Floskeln Steige-rungen, eben gehaltene Spannungs-

höhen und raffinierte Reduktionenherauskristallisierte.

Ganz anders das vorletzte Kon-zert, als das von Christian Hopfnergeleitete Quartett „Tritonus“ ausRegensburg von der Orgelemporeund im Bereich des Chorgestühlsfestliche Blechbläserklänge mit vie-len barocken Anklängen und einerfaszinierenden klanglichen Homo-genität zelebrierte. Gleichzeitigwurden via Mendelssohn und Guil-mants und dessen in ihrer würde-vollen Schlichtheit beeindrucken-den „Impression Grégorienne“ ide-elle Verknüpfungen zu vergangenenKonzerten getätigt.

In der benachbarten Johanneskir-che wurden zwischen den einzelnenKonzerten in Vorträgen und Dis-kussionsrunden kirchenmusikge-schichtliche Aspekte und Fragendes Selbstverständnisses der Kir-chenmusik in der Jetzt-Zeit erör-tert. Auch dieses Angebot stieß aufrege Nachfrage.

Am Ende einer langen Nacht im-provisierte Benedikt Celler überAbend- und Nachtlieder auch jen-seits des religiösen Liedguts, soetwa der „Abendsegen“ aus Hum-perdincks „Hänsel und Gretel“. Werum diese Zeit noch ins Münster ge-gangen war, wollte ein musikali-sches Betthupferl. Celler musiziertemit milden Dissonanzen, setzte denTremulanten ein, bot eine verführe-risch weiche Registrierung. Dabeikonnte er mit einem organistischenAugenzwinkern jedoch stets einePrise Humor in die Bearbeitungenimportieren.

Der Nachwuchs eröffnete die Konzertserie. (Fotos: fi) Die Münsterorgel wurde illuminiert.

Der Münsterchor bewies eine hohe Klangqualität. Benedikt Celler agierte mehrmals. Tritonus Brass bot festlichen barocken Glanz.

Farben- und Klangspiele im Kirchenschiff.

8A6LniQo