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--~----------------------------- ~~ Das Versuchstier - Messinstrument und/oder Mitgeschopf?' Wolfgang Scharmann D-Berlin Zusammenfassung Das anthropozentrisch ausgerichtete Tierschutzgesetz sucht sowohl die Nutzungsinteressen des Menschen zu wahren als auch der unbestrittenen ethischen Verantwortung gegeniiber den Tieren gerecht zu werden. So spricht das Gesetz zwar vom "Mitgeschopf" Tiel; regelt aber genauso seine Verdinglichung und Verwertung. Beide Sichtweisen lassen sich weitgehend aus del' abendldndischen jiidisch-christlichen Tradition herleiten. Heute hat die ambivalente Einstellung gegeniiber den Tieren ein extremes Maj3 erreicht. Tiere werden in groj3er Zahl als Gefiihrten des Menschen und sogar als Familienangehorige geschdtzt, gleichzeitig jedoch massenhaft als Industrieprodukte oder Forschungsinstrumente vernutzt. Zur Bewaltigung der Konflikte, die sich aus diesem doppeldeu- tigen Umgang mit dem Tier ergeben, haben vor allem unmittel- bar Betroffene wie Tierexperimentatoren oder Versuchs- tierpfleger eigene Strategien entwickelt und werden dabei von der Tierschutzgesetzgebung unterstiitzt. Die Frage bleibt, ob ein wirklich mitgeschopflicher Umgang mit den Tieren - der ja durchaus moglich ware - fur das Leben des Menschen nicht heilsamer ware als die Ausnutzung der Tiere, selbst wenn diese mit Voneilen fur die menschliche Existenz verbunden ist. 1 Einleitung Der Titel dieses Beitrags zeigt die ganze Spannweite, aber auch Spannung auf, die unser Verhaltnis zu den Tieren charakteri- siert. Im Folgenden solI daruber nachge- dacht werden, wie wir mit dieser Spannung fertigzuwerden versuchen. 1mTierschutz- gesetz stehen beide Worte nebeneinander: Es spricht einerseits yom Mitgeschopj, das der menschlichen Fursorge bedarf, es ak- zeptiert aber auch, dass Tiere als Messin- strumente verwendet werden, was der Vor- stellung vom Mitgeschopf widerspricht. Um klaren zu konnen, ob und wie weit sich diese unterschiedlichen Sichtweisen miteinander vereinbaren lassen, soli zu- niichst nach der Entstehungsgeschichte der Summary: The Laboratory Animal- Measuring Device and/or Fellow-Creature? The Animal Protection Law is oriented anthropocentrically and is flying to preserve human interests in animal utilisation, as well as doing justice to the indisputable responsibility towards the animals. The law is using the term "fellow-creature" but at the same time, it is regulating the objectification and exploita- tion of the animals. Both views can be derived largely from the ludeo-Christian tradition in the West. Today, the ambivalent attitude towards animals has reached extreme proportions. Large numbers of animals are being valued as man's companion or even as members of the family and, at the same time, are being utilised on a massive scale as industrial products or instruments of research. The conflicts arising out of this ambiguous contact with animals are being dealt with by those concerned, scientists in animal experimentation or animal keepers, in various ways. They are developing individual strategies and, in this, are being supported by the animal protection legislation. The question remains if true fellowship between humans and animals wouldn't be - finally - more beneficial and salutary for mankind, even if animal exploitation certainly has some advantage. Keywords: ethics, laboratory animals.fellow creatures, biblical tradition, conflicts using animals in experiments beiden Begriffe gefragt werden, und da- bei wird sich herausstellen, dass sie durch- aus eine gemeinsame Wurzel haben. 2 Geschichtliche Wurzeln Das Wort "MitgeschOpj" leitet sich aus der jiidisch-christlichen Tradition her. Es ent- stammt aber nicht direkt der Bibel, son- dem ist ein Produkt des spaten 18. Jahr- hunderts, insbesondere des Pietismus (Teutsch, 1987). In einer Zeit, in der nur wenig Rucksicht auf Tiere genommen wurde, appellierte das Wort Mitgeschopf an die damaligen Menschen, auch der au- Bermenschlichen Natur gegenuber Ach- tung und Mitleid zu zeigen. Das war gar nicht selbstverstandlich angesichts einer , Nach einem Referat in der Evangelischen Akademie Bad Boll. Februar 2001 ALTEX 18,4/01 Theologie, in der es fast ausschlieBlich urn das Heil des Menschen ging. Als Zeugnis fur diese Glaubenshaltung diente auch die Schopfungsgeschichte in der Bibel. Von der Schopfungsgeschichte existieren be- kanntlich zwei Fassungen - in der alteren (Genesis II) lesen wir vorn Garten Eden, den der Mensch bebauen und bewahren soll. In der jiingeren Fassung aber (Gene- sis I, 26-28) finden sichjene Satze, die eine so unheilvolle Wirkungsgeschichte hatten, namlich, dass die Tiere dem Menschen yon Gott zur Nutzung iibergeben wurden und ihrn zu dienen haben. Es ist hier nicht der Raum, ausftihrlicher zu erklaren, dass diese Aussagen aus dem damaligen Le- benszusammenhang verstanden werden mussen: narnlich als Abwehr gegen die Naturvergotzung der Volker, die urn das 261

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Das Versuchstier - Messinstrumentund/oder Mitgeschopf?'Wolfgang ScharmannD-Berlin

ZusammenfassungDas anthropozentrisch ausgerichtete Tierschutzgesetz suchtsowohl die Nutzungsinteressen des Menschen zu wahren alsauch der unbestrittenen ethischen Verantwortung gegeniiberden Tieren gerecht zu werden. So spricht das Gesetz zwar vom"Mitgeschopf" Tiel; regelt aber genauso seine Verdinglichungund Verwertung. Beide Sichtweisen lassen sich weitgehend ausdel' abendldndischen jiidisch-christlichen Tradition herleiten.Heute hat die ambivalente Einstellung gegeniiber den Tierenein extremes Maj3 erreicht. Tiere werden in groj3er Zahl alsGefiihrten des Menschen und sogar als Familienangehorigegeschdtzt, gleichzeitig jedoch massenhaft als Industrieprodukteoder Forschungsinstrumente vernutzt.Zur Bewaltigung der Konflikte, die sich aus diesem doppeldeu-tigen Umgang mit dem Tier ergeben, haben vor allem unmittel-bar Betroffene wie Tierexperimentatoren oder Versuchs-tierpfleger eigene Strategien entwickelt und werden dabei vonder Tierschutzgesetzgebung unterstiitzt.Die Frage bleibt, ob ein wirklich mitgeschopflicher Umgangmit den Tieren - der ja durchaus moglich ware - fur das Lebendes Menschen nicht heilsamer ware als die Ausnutzung derTiere, selbst wenn diese mit Voneilen fur die menschlicheExistenz verbunden ist.

1 Einleitung

Der Titel dieses Beitrags zeigt die ganzeSpannweite, aber auch Spannung auf, dieunser Verhaltnis zu den Tieren charakteri-siert. Im Folgenden solI daruber nachge-dacht werden, wie wir mit dieser Spannungfertigzuwerden versuchen. 1mTierschutz-gesetz stehen beide Worte nebeneinander:Es spricht einerseits yomMitgeschopj, dasder menschlichen Fursorge bedarf, es ak-zeptiert aber auch, dass Tiere als Messin-strumente verwendet werden, was der Vor-stellung vom Mitgeschopf widerspricht.Um klaren zu konnen, ob und wie weit

sich diese unterschiedlichen Sichtweisenmiteinander vereinbaren lassen, soli zu-niichst nach der Entstehungsgeschichte der

Summary: The Laboratory Animal- Measuring Device and/orFellow-Creature?The Animal Protection Law is oriented anthropocentrically andis flying to preserve human interests in animal utilisation, aswell as doing justice to the indisputable responsibility towardsthe animals. The law is using the term "fellow-creature" but atthe same time, it is regulating the objectification and exploita-tion of the animals. Both views can be derived largely from theludeo-Christian tradition in the West.Today, the ambivalent attitude towards animals has reachedextreme proportions. Large numbers of animals are beingvalued as man's companion or even as members of the familyand, at the same time, are being utilised on a massive scale asindustrial products or instruments of research.The conflicts arising out of this ambiguous contact withanimals are being dealt with by those concerned, scientists inanimal experimentation or animal keepers, in various ways.They are developing individual strategies and, in this, are beingsupported by the animal protection legislation.The question remains if true fellowship between humans andanimals wouldn't be - finally - more beneficial and salutary formankind, even if animal exploitation certainly has someadvantage.

Keywords: ethics, laboratory animals.fellow creatures,biblical tradition, conflicts using animals in experiments

beiden Begriffe gefragt werden, und da-bei wird sich herausstellen, dass sie durch-aus eine gemeinsame Wurzel haben.

2 Geschichtliche Wurzeln

Das Wort "MitgeschOpj" leitet sich aus derjiidisch-christlichen Tradition her. Es ent-stammt aber nicht direkt der Bibel, son-dem ist ein Produkt des spaten 18. Jahr-hunderts, insbesondere des Pietismus(Teutsch, 1987). In einer Zeit, in der nurwenig Rucksicht auf Tiere genommenwurde, appellierte das Wort Mitgeschopfan die damaligen Menschen, auch der au-Bermenschlichen Natur gegenuber Ach-tung und Mitleid zu zeigen. Das war garnicht selbstverstandlich angesichts einer

, Nach einem Referat in der Evangelischen Akademie Bad Boll. Februar 2001

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Theologie, in der es fast ausschlieBlich urndas Heil des Menschen ging. Als Zeugnisfur diese Glaubenshaltung diente auch dieSchopfungsgeschichte in der Bibel. Vonder Schopfungsgeschichte existieren be-kanntlich zwei Fassungen - in der alteren(Genesis II) lesen wir vorn Garten Eden,den der Mensch bebauen und bewahrensoll. In der jiingeren Fassung aber (Gene-sis I, 26-28) finden sichjene Satze, die eineso unheilvolle Wirkungsgeschichte hatten,namlich, dass die Tiere dem Menschenyon Gott zur Nutzung iibergeben wurdenund ihrn zu dienen haben. Es ist hier nichtder Raum, ausftihrlicher zu erklaren, dassdiese Aussagen aus dem damaligen Le-benszusammenhang verstanden werdenmussen: narnlich als Abwehr gegen dieNaturvergotzung der Volker, die urn das

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Siedlungsgebiet der jtldischen Stamme leb-ten. Unbestreitbar aber wirkte sich der bi-blischc Herrschaftsauftrag VOT allem seitdcr Neuzeit verhangnisvoll auf den Um-gang des Menschen mit den Tieren aus.

Bis in unsere Zeit existierte Naturge-schichte nur urn der Menschheitsgeschichtewillen (Tamas, 1997). Erst heute ist dieseanthropozenttische Sicht yon den Kirchenteilweise korrigiert worden. Wurden dieSatze aus Genesis I fruher als Vollmachtzur uneingeschrankten Herrschaft des Men-schen iiber die Tiere interpretiert, so ist die-se Auslegung heute als zu einseitig undmissverstandlich revidiert worden.

So finden wir in kirchlichen Stellungnah-men der letzten Jahre immer wieder denHinweis auf das .Mitgeschopf Tier", z.B.in folgenden Satzen: "Weil das Tier Mitge-schopf ist und unter dem gegenwartigenAusmaB men schlicher Herrschaftsaus-iibung leidet, sich selbst aber keinen Le-bensraum, geschweige denn irgendwelcheRechte verschaffen kann, ist der Menschals Anwalt gefordert" (Ev. Kirche im Rhein-land, 2000). An anderer Stelle heiBt es: "DieMitgeschopfe des Menschen durfen nichtnur und nieht zuerst unter dem Gesichts-punkt des fiir ihn gegebenen Nutzwertsbetrachtet werden. Zwar ist der Mensch le-gitimiert, pflanzliches und tierisches Lebenzu seiner Ernahrung, seiner Versorgung undseiner Freude zu gebrauchen und zu ver-brauchen. Die Mitgeschopfe gehen aber inihrem Nutzwert fur den Menschen nicht auf.Die Blume ist nicht allein dazu da, damitder Mensch sich an ihr freut; das Huhn istkeine bloBe Eierlegemaschine zur Bereit-stellung menschlicher Nahrung " (Gemein-same Erklarung, 1989).

Bei aller Kritik an der traditionellenchristlichen Theologie fruherer Jahrhunder-te, in der die Tiere praktisch nicht vorka-men, muss doeh aueh gesagt werden, dassbis in das spate Mittelalter hinein immerein Bewusstsein yon der Einheit der Schop-fung vorhanden war. Die Tiere waren zwardem Menschen unendlich unterlegen, aber- so die Scholastiker - beseelt waren auchsie und hatten ihren Platz in einer vomGottlichen erfullten und wohlgeordnetenWelt (Tamas, 1997).

Erst mit dem Autkommen der Renais-sance zerbricht das einheitliche Weltbild,und ein neues Weltverstandnis setzt sichdurch. Der Mensch schickt sich an, seinSchicksal selbst in die Hand zu nehmen.Mit Hilfe der Wissenschaft will er die Na-

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tur regieren, urn sich aus seinen Abhangig-keiten zu befreien. Francis Bacon: "Wirverstehen die Natur, urn sie zu heherrschen.Wir wollen Herrschaft iiber die Dinge er-langen, urn das Allgemeinwohl zu verbes-sem ". Werkzeug zum neuen Naturver-standnis ist das Experiment, das - unbela-stet von nicht empirisch nachweisbarenAnnahmen - nur objektive, genau mess bareEigenschaften gel ten lasst, Es ist die Ge-burtsstunde des modernen Wissenschafts-verstandnisses. Was sich in der Theologieschon angedeutet hatte - die Objekti vierungder Natur - wird jetzt konsequent vollzo-gen. Fur Descartes zerfiel die Welt, die biszum Mittelalter noeh als Einheit gesehenwurde, in zwei Teile: in den Menschen ei-nerseits, der durch seinen Geist zum Den-ken und zur Selbstvergewisserung befahigtwar (res cogitans] und in die restliche Na-tur, die nur Material war und als vollkom-mene Maschine wie ein Uhrwerk nach denGesetzen der Mechanik funktionierte (resextensa). Die Tiere, die nicht denken konn-ten und deshalb auch kein Bewusstseinaufwiesen, wurden als komplizierte Auto-maten der res extensa zugeordnet.Schmerzauberungen waren danach ledig-lich als mechanische Reaktionen einer Re-flexmaschine zu werten. Die Degradierungdes Tieres zum Messinsttument lieferte derexperimentellen Wissenschaft jener Zeit dieideologische Reehtfertigung fur die Vivi-sektion (Eingriffe am lebenden, unbetaub-ten Tier), die mit einer fur uns heute kaumvorstellbaren Grausamkeit bis weit ins 19.Jahrhundert vollzogen wurde.

Immer wieder gab es zwar auch Stirn-men, die der Verdinglichung des Tiereswidersprachen, vor allem yon philosophi-scher Seite - Reirnarus, Bentham,Rousseau, Schopenhauer, Albert Schweit-zer - aber sie konnten sich gegen das ratio-nalistisch-materialistische Weltbild nichtdurchsetzen, zumal die wissenschaftlieheRevolution ihre Uberlegenheit durch auBer-ordentliche Erfolge auf vielen Lebensge-bieten unter Beweis stellte.

3 Die millionenfache Verdinglichung

Kehren wir nach diesem kurzen Ausflugin die Historie zu unserem Ausgangspunktzuruck: Es wurde zu zeigen versucht, wiedie Objektivierung des Tieres zum Mess-instrument in der miss-verstandlichentheologischen Tradition bereits angelegtwar und dann durch die experimentelIe

Naturwissenschaft der Neuzeit konsequentvolIzogen wurde.

Der heutige Umgang mit den Tieren istvon Extremen gepragt, wie sie wahr-scheinlich niemals zuvor in der Mensch-heitsgeschichte bestanden haben. Alsdurch die Umweltdiskussion vor einigenJahrzehnten vielen Menschen neu bewusstwurde, dass sie Teil der Natur und mit ihrdurch die Evolution verbunden sind, er-hielten auch die Tiere einen neuen Stel-lenwert. Stimmen aus der philosophischenEthik, die in der Vergangenheit, wenn auchnur vereinzelt, einen humanen Umgangmit den Tieren angemahnt hatten, wurdennun neu entdeckt und wahrgenommen.

Mitgeschopf bedeutet heute nicht nur,wie im Alten Testament, dass Mensch undTiere gleichermaBen yon Gott geschaffe-ne Kreaturen sind, sondem beschreibt eineveranderte Mensch- Tier-Beziehung, die-wie die Verwendung des Begriffs im Tier-schutzgesetz zeigt - uber religiose Glau-bensiiberzeugungen hinausreicht. In zu-nehmender Zahl nehmen Tiere den Platzyon Gefahrten des Menschen, ja sogar Le-bensgefahrten, ein, werden als Familien-mitglieder geliebt und imrner mehr auchals Therapeuten geschatzt. Niemals zuvorgab es so viele Heimtiere wie heute, nie-mals wurden sie derartig umsorgt und ver-hatschelt, Niemals warben so viele Biicherurn Verstandnis fur das Verhalten und dieEigenarten der vierbeinigen, gefiedertenoder gesehuppten Hausgenossen. Weithinwird anerkannt, dass auch Wildtiere einenEigenwert besitzen und Schutz verdienen,unabhangig von dem mogiichen Nutzen,den sie fur Menschen haben. Immer neue,ausgekliigeltere und aufwendigere Fern-sehfilme bringen uns bekannte und unbe-kannte Tierarten nahe und lehren uns dasStaunen iiber die groBartige, unfassbarvielgestaltige und erfindungsreiche N atur.

Doch gleichzeitig mit der Wertschat-zung und lndividualisierung der Tiere er-leben wir in bisher unbekanntem AusmaBihre Verdinglichung und Vemutzung. Hun-derttausende yon Rindem werden getotetund verworfen, urn die Fleischpreise zustiitzen; Gefliigel wird in enge Kafige undStalle gepfercht, weil das die Marktchan-cen erhoht; das Genom yon Labortierenwird umprograrnmiert, urn der ForsehungmaBgeschneiderte Testobjekte zu liefernund so weiter.

Wir liebkosen unseren Hund und lassenuns gleichzeitig das Putenschnitzel

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schrnecken; wir lassen uns im Femsehenvom Sozialverhalten der Mungos faszinie-ren, negieren aber oft genug das Sozial-verhalten unserer Labortiere.Die Bewusstscinsspaltung in unserer

Gesellschaft - hier das Mitgeschop], dortdas Messinstrument oder die Eierlegema-sehine - wird besonders bei jenen Men-schen augenseheinlieh, die einerseits ihrBrot mit industrieller Tierproduktion oderim Tierlabor verdienen, andererseits aberauch ihre Heimtiere als liebenswerte Ge-genuber erleben, fur deren Wohlbefindensie fast alles zu tun bereit sind. Das Tier:tagsuber Messinstrument, naeh FeierabendMitgeschopf.

4 Das Dilemma derForscher(innen) ...

leh bin oft gefragt worden, wie ich undmeine Kolleginnen und Kollegen mit die-sem Zwiespalt fertig werden. SchlieBlichkonnen wir uns ja nieht mehr wie die For-scher fruherer Zeiten damit herausreden,dass die Labortiere nur geflihllose Auto-maten seien. Heute wiirde das kein Expe-rimentator mehr behaupten, doeh wird eres andererseits auch tunliehst vermeiden,Labortiere als Subjekte, als Mitgeschopfeanzusehen. Gerade, weil die mit Tierenforsehenden Wissensehaftlerinnen undWissensehaftler in ihrer Mehrzahl yon derethisehen Diskussion urn die Tierversuehenieht unberlihrt geblieben sind, wollen siebei ihrer Arbeit kein sehleehtes Gewissenhaben. Also wird das Labortier nieht (wiedas Haustier) als Individuum angesehen,sondem zum Objekt, zum Messinstrumentreduziert. Das hat durehaus seine Logik,denn Schulmedizin und Biologie basierenauf einem meehanistisehen Wissenschafts-verstandnis und orientieren sich vor alleman den exakten Naturwissenschaften Phy-sik und Chemie. Versuchstiere werdenimmer noeh als ein "komplexes Systemyon Organen, Geweben und Zellen" (Kae-ser, 1997) angesehen und nicht als Indivi-duen mit spezifisehen Lebensinteressen.Urn nur objektivierbare Tatbestande zuerfassen, blendet der Experimentator al-les aus, was nach diesem Wissenschafts-verstandnis als Storfaktor wirken und sei-ne neutrale Position beeinflussen konnte:die Wahmehmung individueller Eigen-schaften, die ja aueh ein Versuehstier be-sitzt, oder aueh personlicher Gefuhle wieZuneigung oder Mitleid.

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Noeh einmal: Nur wenn er sieh auf dasTier als Gegenstand einer wissenschaftli-chen Untersuchung konzentriert und dabeialJepersonlichen Empfindungen ausschal-tet, wird ein Experimentator, der kein Sa-dist ist, Eingriffe vomehmen konnen. Et-waige moralische Bedenken wird er kom-pensieren durch das Bewusstsein, etwasNutzliches fur die Gesellsehaft zu leisten,aber auch dureh Erfolgserlebnisse in derForsehung und berufliehe Anerkennung.Die Gesellschaft, die mehrheitlieh die

Tierexperimente wunscht, da sie sieh hier-dureh medizinische Fortschritte und mehrVerbrauehersicherheit erhofft, entlastet ihrGewissen wie das des Experimentators,indem sie die Versuche dureh das anthro-pozentrische Tiersehutzgesetz legalisierthat. Die umfangreiche burokratische Ge-nehmigungsprozedur wird zwar nur seuf-zend ertragen, dampft aber dafur etwai-ges Unbehagen des Antragstellers. Zusatz-liche Strukturen untersttitzen diese Hal-tung: Der oder die Tierschutzbeauftragte,deren Anwesenheit das Handeln zusatz-lich legalisiert, ebenso die Genehmigungs-und Aufsichtsbehorden, die naeh aubenhin bekunden, dass nur unurnganglichnotwendige Versuehe erfolgen, dass dieTiere nur unvermeidbaren Leiden ausge-setzt sind und uberhaupt alles seine Rich-tigkeit hat. Die Legalisierung soil aueh dieLegitimitat bezeugen.

5 ...und der Laboranten(innen)

An dieser Stelle mochte ieh mir eine klei-ne Abschweifung erlauben und den Blickauf das teehnisehe Personal lenken, das jamit den vierbeinigen Messinstrumenten inder Regel viel mehr Zeit verbringt als dieForscher. 1m Gegensatz zu diesen verfu-gen die Laboranten und Tierpfleger(innen)in der Regel nieht uber das Repertoire anKompensationsmoglichkeiten ihrer Chefs.Yonden Empfindungen, die das Laborper-sonal bei seiner Arbeit verspiirt, weib manwenig, denn daruber wird im Laboralltagnieht gesprochen. Da Gefuhle als Privat-angelegenheit behandelt werden, glaubenjene Mitarbeiter, die unter Unbehagen oderSchuldbewusstsein leiden, dass nur sieallein solchen Emotionen ausgesetzt sindund die anderen besser damit fertig wer-den (Arluke, 1992). Auch van ihren Vor-gesetzten erhalten sie nur selten Hilfe,denn diese vermeiden es, sie auf solcheProbleme anzuspreehen.

So sueht sich das technische Personalebenfalls Kompensationen: PersonlicheBindungen (Du-Evidenz) zu den Ver-suchstieren werden vermieden; aber ein-zelne Tiere, die das Experiment uberlebthaben, erhalten einen Sonderstatus: Siedurfen manchrnal frei herumlaufen, wer-den gestreichelt, bekommen Leckerbissenund tragen naturlich einen Namen, wah-rend die ubrigen Versuehstiere nur durchNummem oder Chiffren gekennzeiehnetsind.Aufenthaltsraume und Flure werden mit

bunten Kalenderbildem und Postern yonallerlei Tieren geschmuckt. Fast aile Tier-pfleger in meinem fruheren Institut hat-ten mindestens ein Haustier, meist Pferdeoder Hunde. Dennoch wurden sie yonUnbehagen geplagt: Aubenstehenden ver-schwieg man am liebsten seine Tatigkeit- einmal, weil man sieh nur schwer gegendie meist abwertende offentliche Meinungzu verteidigen wuBte, andererseits, weilman ihr insgeheim zumindest teilweisezustimmte. .Das Leid der Leidzufugung",wie es Karin Blumer (1999) benannte.Unser Vortragstitel musste somit richti-

ger lauten: .Das Versuchstier: Messinstru-ment, aber nicht Mitgeschopf", und andieser Situation wird sieh wohl in abseh-barer Zeit nichts andern.

6 Tierschutz gehort ins Grundgesetz

Die Argumente sind ausgetauscht, dieFronten festgefahren. Die Novellierungdes Tiersehutzgesetzes yon 1998 hat ge-zeigt, dass im heutigen Gesetzeskompro-miss nur noeh minimale Veranderungennach der einen oder anderen Seite hinmoglich sind. Bewegung konnte in denTiersehutz moglicherweise dureh Neuer-wagung der ethisehen Frage kommen.Es ist daran zu erinnern, dass (nach ei-

nem Sprueh des Bundesverfassungsge-richts) im Tiersehutzgesetz die Tiernut-zung unter der Prarnisse erlaubt wird, dass"ethische Grundsatze und wissenschaftli-che sowie wirtsehaftliehe Erfordemissemiteinander in Einklang" gebraeht werden(Entscheidungen BVerfGe) und nieht ein-seitig mensehliehe Interessen Berucksich-tigung finden. Hierfur enthalt das Tier-sehutzgesetz die sog. Abwagungsklauselim § 7 Abs. 3, derzufolge eine Kosten-Nutzenanalyse des vorgesehenen Experi-ments unter ethisehen Gesiehtspunktenvorgenommen werden soli (d.h. die Vor-

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teile der Tiernutzung fur den Menschensind in Beziehung zu den Nachteilen zusetzen, die aus dieser N utzung fur die Tiereentstehen). Ich gehore zu denjcnigen, dieder Mcinung aind, dass dieser Absatz desTierschutzgesetzes solange nicht vollzo-gen werden kann, als die Staatszielbestim-mung Tierschutz nieht Eingang in dasGrundgesetz gefunden hat. Bislang wer-den die Rechtsguter Wissensehaft undForsehung nieht in Einklang mit dem Tier-schutz gebracht, sondern einseitig bevor-zugt.

Unter den gegenwartigen Umstandenkommt der Abwagungsklausel eher forma-Ie Bedeutung zu, und es ist fraglich, obsie Versuchsplanungen merklich zu beein-f1ussen verrnag, und noeh fraglieher ist es,ob sie jemals einen Antragsteller dazu ver-anlasst hat, aus ethisehen Grunden auf ei-nen Versuch zu verzichten.

Anders ware es moglicherweise, wennder Antragsteller die ethische Vertretbar-keit seiner Versuehsplanung personlichvor der § 15-Kommission verteidigenmusste. Eine solche Diskussion ware na-turlich weitaus unbequemer als das for-melhafte Berufen auf irgendein ethisehesKonzept, und die Aussicht, einen Experi-mentator zu uberzeugen, dass Eingriffeaus ethischen Grunden modifiziert odergar unterlassen werden sollten, ware wohlsehr viel grofler, Erst unter dies en Bedin-gungen erhielte auch die Mitwirkung vanTiersehutzvertretern und Ethikern in derBeratungskommission wirkliches Ge-wicht.

Zu erinnern ist ferner an die Initiativedes ZUrcher Hochschularbeitskreises, dersich, zusammen mit Tiersehutzorganisa-tionen, erstmals darum bemuhte, eineObergrenze fur belastende Eingriffe anTieren zu definieren und hierfur eine Rei-he praktiseher Beispiele aus der biomedi-zinischen Forsehung auffiihrte (Arbeits-gruppe an ZUrcher Hoehschulen, 1997).Leider hat dieses wegweisende Beispielbisher keine Naehahmer gefunden.

Urn Missverstandnisse zu vermeiden,rnochte ich klarstellen, dass es auch furmich Tierversuche gibt, die ethisch ver-antwortbar sind - doch ob das auf alle Tier-experimente zutrifft, daran habe ich mei-ne Zweifel.

Vielleicht wird ja die Tierschutzszenedurch einen ganz neuen Ansatz in Bewe-gung geraten: In den USA gibt es bereitszahlreiche Anwalte fur Tiere, die nach ei-

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nem Weg suchen, vor Gericht als Vormun-de - wie im Fall yon Kindem oder geistigschwer Behinderten - fur Tiere Mindest-reehte elnzuklagen, und es ist nieht aus-zuschlieBen, dass sie darnit in absehbarerZeit Erfolg haben.

Doch auch durch solche Korrekturenlasst sieh die Kluft zwischen Mitgeschopfund Messapparatur nicht uberbrucken, al-lenfalls erscheint dadureh der Abgrundetwas weniger tief.

7 Die Losung: Selbstbeschrankungund Uberwindung des Artegoismus

Wenn es uns tatsachlich und nicht bloBrhetorisch emst damit ist, Tiere als Mit-geschopfe zu akzeptieren, dann bleibt nurder Weg der Selbstbeschrankung und dieUberwindung unseres Artegoismus, derbisher die Ausnutzung der Tiere als ftirunsere Existenz unerlasslich und unver-zichtbar erklart. Nun konnte man achsel-zuckend meinen, die geistige Uberlegen-heit des Menschen sei schlieBlich seingenetisches Erbe und deshalb sei es auchlegitim, wenn er davon Gebrauch mach-te. SchlieBlich harte uns Mutter Natur mitIntelligenz begabt, urn damit unser Uber-leben zu sichem, und wenn wir uns wieandere Naturwesen verhielten, konnte dasdoch nicht als moralisch verwerflich an-gesehen werden.

Aber wenn es einen gravierenden Un-terschied zwischen Mensch und Tierengibt, dann den, dass uns im Gegensatz zuden Tieren die Freiheit zum moralischenHandeln gegeben ist, dass wir zwischenAlternativen wahlen konnen. Wir sindunserem Genom nicht hilflos ausgeliefert,das beweisen zumindest all jene Men-schen, die Altruismus uber Egoismus stel-len. Was bewegt diese Menschen dazu, sozu handeln? Was veranlasste Julia Hill,zwei Jahre unter grolsten Strapazen in derKrone eines uralten Redwood-Baumesauszuharren, urn ihn und den umgeben-den Wald vor den Kettensagen der Paci-fic Lumber Company zu bewahren? Ist esdie Ahnung, dass moglicherweise erst insolchem Verhalten der Weg zu einem ge-lungenen Leben liegt, das mehr umfasstals Uberleben urn jeden Preis? Hiervonspricht auch das abschlieBende Zitat auseinem Aufsatz yon Jurgen Dahl (1984/85).Es beschreibt eine Haltung, die sich aller-dings so gar nicht mit den geltenden Wert-vorstellungen vereinbaren lasst:

"In dem Widerstand gegen Benutzungund Verbrauch der Tiere kame eine Ah-nung davon zum Ausdruck, daB alles, waswir tun, auf uns zuruckwirkt, wobei eskeinen Unterschied macht, ob wir es sel-ber tun oder ob wir es tun lassen ... Es kannnicht gelingen, das eigene Leben mit demfremden Tod zu erkaufen, und schon dieZustimmung zu diesem Tauschgeschaftverandert uns zum Tode hin, - so wie esuns zum Leben hin verandert, wenn wirdie Fliege vertreiben, statt sie zu toten, Dasmag ein bisschen franziskanisch klingen.HieBe das denn, daB es falsch ware?"

Literatur

Arbeitsgruppe fiirTierschutzfragen an denZUrcher Hochschulen (1997). Listenicht zulassiger Tierversuche an denZUrcher Hochschulen. ALTEX 14, 61-62.

Arluke, A. (1992). Trapped in a guilt cage.New Scientist, 33-35.

Blumer, K. (1999). Das Leid der Leidzu-fugung. Der Tierschutzbeauftragte 8,122-126.

Dahl, J. (1984/85). Handgemenge auf ei-nem dunnen Sei1. Scheidewege 14, 214-221.

Entscheidungen des Bundesverfassungs-gerichts (1979) 48,389.

Evangelische Kirche im Rheinland (2000).Zum verantwortlichen Umgang mit un-seren Nutztieren. Dusseldorf.

Gemeinsame Erklarung des Rates derEvangelischen Kirche in Deutschlandund der Deutschen Bischofskonferenz(1989). Gott ist ein Freund des Lebens.Gutersloh,

Kaeser, E. (1997). Der Tierversuch - For-schung am Leben vorbei? Neue ZurcherZeitung vom 28,/29. Juni.

Tamas, R. (1997). Idee und Leidenschaft.Die Wege des westlichen Denkens.Hamburg: Rogner & Bernhard.

Teutsch, G. M. (1987). Lexikon der Tier-schutzethik, StichwortMitgeschopflich-keit. Gottingen: Vandenhoeck & Ru-precht.

KorrespondenzadresseDr. Wolfgang ScharrnannMarinesteig 21D-14129 Berlin

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