30
Städtisches Gymnasium Delbrück Chongqing – Vulnerabilität eines Wirtschaftswunders von Matthis Fortmeier Facharbeit Q1: Erdkunde LK Fachlehrer: Herr Bücker

erdkundelk2018.files.wordpress.com€¦  · Web viewDie folgende Facharbeit mit dem Titel „Chongqing-Vulnerabilität eines Wirtschaftswunders“ beschäftigt sich mit, wie schon

Embed Size (px)

Citation preview

Städtisches Gymnasium Delbrück

Chongqing – Vulnerabilität eines

Wirtschaftswunders

von

Matthis Fortmeier

Facharbeit Q1: Erdkunde LK

Fachlehrer: Herr Bücker

Schuljahr 2017

Abgabedatum: 06.04.2017

VorwortDie folgende Facharbeit mit dem Titel „Chongqing-Vulnerabilität eines Wirtschaftswunders“

beschäftigt sich mit, wie schon im Titel erwähnt, der Region Chongqing in Zentralchina. Die

Themenfindung erfolgte relativ schnell. Zu Beginn stellte sich die Frage, welcher Raum wohl

interessant sein könnte. Nach Absprache mit Herrn Bücker wusste ich, dass die USA und Europa

schon oft als Bezugsräume für Facharbeiten an unserem Gymnasium gewählt worden sind, deshalb

entschied ich mich recht schnell für Asien. Ein Bezugsraum, über den ich selbst nicht viel mehr weiß

als das, was man in den Medien hört oder im Erdkundeunterricht erfährt. Da Asien als Raum natürlich

viel zu groß ist, musste ich mir einen kleinen Ausschnitt suchen, über den man ausreichend Material

findet und welcher mein Interesse weckt. Zur kleineren Auswahl gehörten dann Tokio in Japan und

Shenzhen und Chongqing in China. Nachdem ich eine Reportage über Chongqing auf Youtube

gesehen habe, wusste ich, über welchen Raum ich meine Facharbeit im Fach Erdkunde schreiben

möchte.

Anfangs war ich sehr erstaunt über die rasche Entwicklung der Region, die selbst für chinesische

Verhältnisse sehr rasant ist. Zudem ist Chongqing eine der wenigen Regionen, die so weit im Inland

gelegen zu einer so enormen Größe und zu so einer starken Wirtschaftsmacht herangewachsen sind.

Doch bei genauerem Hinsehen und bei den ersten Recherchen fiel schnell auf, dass die gesamte

Region neben einem regelrechten ökonomischen Boom auch riesige ökologische und soziale Probleme

hat. Das in China häufig ökonomischer Erfolg mit ökologischen Problemen einhergeht, ist kein

wirkliches Geheimnis, aber die vorherrschende Disparität, die Schere zwischen Armut und Reichtum

in der Bevölkerung der Region versetzt Einen schnell ins Staunen. Folglich wollte ich genauer wissen,

wie es Chongqing möglich war, eine derartige Entwicklung in einem so kleinen Zeitraum zu

vollbringen. Diese Frage erübrigte sich schnell, doch zeigte gleichzeitig wieder die Probleme der

Region auf. Auf diese Probleme, die Verletzlichkeit und Verwundbarkeit, die Vulnerabilität, soll der

Schwerpunkt gelegt werden.

Denn, ohne schon zu genau auf das Thema einzugehen, ist es sehr interessant zu sehen, wie in der

Region die drei Dimensionen Sozial, Ökonomisch und Ökologisch in einer stetigen Beziehung stehen

und wie sie sich gegenseitig bedingen. Zudem, wie sich die Regierung der Volksrepublik China

verhält und welche Entscheidungen getroffen werden. Wie die Region mit der Situation umgeht und

wieviel Wert jeweils auf die drei Dimensionen gelegt wird. Da besonders in der heutigen Zeit die

Medien ihren Fokus eher auf Europa, die USA, den Flüchtlingsstrom und die Terrorgefahr legen, ist es

auch mal interessant sich über einen anderen Teil der Welt Gedanken zu machen, einmal genauer

hinzuschauen. Auch wenn man Chongqing nicht für einen Stereotyp der gesamten Volksrepublik

sehen darf, gibt es viele Gemeinsamkeiten, sodass man nicht nur einiges über Chongqing, sondern

auch über das Land erfährt.

Zuletzt wünsche ich Ihnen noch viel Freude beim Lesen meiner Facharbeit und hoffe, dass sie einen

guten Einblick in die Thematik erhalten und auch ihr Interesse geweckt worden ist.

-Matthis Fortmeier

Inhaltsverzeichnis

Vorwort..................................................................................................................................................1

Einleitung...............................................................................................................................................1

Anforderungsbereich 1...........................................................................................................................2

Anforderungsbereich 2...........................................................................................................................4

Der Drei-Schluchten-Damm................................................................................................................4

New-Generation Migrants..................................................................................................................6

Probleme bei der Städteplanung (urban sprawl)................................................................................7

Die Bangbangjun................................................................................................................................8

Korruption und Kriminalität...............................................................................................................8

Anforderungsbereich 3.........................................................................................................................10

Das „Chongqing model“...................................................................................................................10

Bewertung........................................................................................................................................12

Schluss..................................................................................................................................................13

Literaturverzeichnis..............................................................................................................................14

EinleitungNachdem ich in dem Vorwort schon dargelegt habe, wie ich zu meinem Thema gekommen

bin, möchte ich einleitend in die Facharbeit noch auf ein paar andere Aspekte eingehen.

Die Facharbeit wird, um ein Verstehen zu ermöglichen, viele Vorgänge und Abläufe in der

Region darstellen, die nicht direkt eine Antwort auf die Fragestellung der Arbeit geben. Dazu

gehört beispielsweise eine Skizzierung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Vorgang der

Urbanisierung Chongqings. Da diese Punkte aber, wie schon erwähnt, unerlässlich sind,

werden sie in angemessener Genauigkeit betrachtet. Weil diese Bereiche eben nur teilweise in

ihren für die Beantwortung der Leitfrage wichtigen Punkten betrachtet werden, möchte ich die

Facharbeit auch deutlich von einer genaueren Beschreibung der ökonomischen Lage oder der

wirtschaftlichen Entwicklung der Region deutlich abgrenzen.

Mein Vorwissen zu dem übergeordneten Themenbereichen Volksrepublik China, ihre

Metropolen und Probleme würde ich selbst als eher begrenzt einschätzen. Natürlich weiß man

durch die Medien von ökologischen und sozialen Problemen Bescheid, sowie dass das Land

sich sehr schnell entwickelt und immer mehr an ökonomischer Bedeutung gewinnt. Doch wie

es genau im Inneren, im Detail aussieht ist eher unbekannt. Dazu gehört neben den

Voraussetzungen auch die Gründe der Entwicklung und einiges an Verständnis, was mir im

Voraus fehlte. Mein Ausgangspunkt war also der Bezugsraum und die Suche nach Problemen

und besonders die Gründe dafür.

Zentrale Problem- und Fragestellung liegen, erdkunde-typisch in den drei Dimensionen

Ökonomie, Ökologie und dem Sozialen. Es werden die Probleme und die Vulnerabilität dieser

Gesichtspunkte in mehreren Bereichen dargestellt und erläutert. Dabei rücken vor allem der

sozialökonomische und der ökologische Aspekt in den Vordergrund.

Mein Material beziehe ich größtenteils aus dem Internet. Auch wenn manche Quellen dort

nicht mehr ganz aktuell sind, was für eine Bearbeitung im Fach Erdkunde bei einem solchen

Thema durchaus wichtig ist, sind sie dort noch am aktuellsten und von inhaltlicher

Korrektheit. Denn häufig sind Reportagen zu Chongqing mit ihren plakativen Überschriften

und Titeln eher einseitig und skizzieren den Raum nur als Wirtschaftswunder und vergessen

dabei den Rest. Dieses Phänomen zieht sich durch äußerst viele Beiträge zu meinem Thema,

welches die Bearbeitung und das Finden sachlich korrekter Quellen und Materialien etwas

erschwert. Zusätzlich ist noch zu erwähnen, dass häufig die besseren Quellen im

englischsprachigen Raum zu finden sind. 1

Die Facharbeit ist Klausurtypisch aufgebaut. In dem ersten Anforderungsbereich wird die

Region lokalisiert und erste wichtige Daten und Fakten dargelegt, auf die später aufgebaut

wird. Im zweiten Anforderungsbereich wird die Vulnerabilität hinsichtlich der Leitfrage

betrachtet und dargestellt. Zum Schluss werden in Anforderungsbereich 3 Lösungsansätze der

Regierung Chongqings vorgestellt und zusätzlich möchte ich diese noch bewerten.

Abschließend wird im Schlussteil noch einmal rückblickend eine kurze Zusammenfassung

gegeben und die Leitfrage beantwortet.

Anforderungsbereich 1Die zu verortende Region Chongqing ist als regierungsunmittelbare Stadt eine eigenständige

Verwaltungseinheit im Südosten der Volksrepublik Chinas und erstreckt sich über 28° 15` bis

32° 15` nördlicher Breite und 105° 15` bis 110° östlicher Länge. Das Zentrum ist die

gleichnamige Stadt Chongqing. In der gesamten Region leben 28,85 Millionen Einwohner

(Stand 2010) auf einer Fläche von 82.403 Quadratkilometern [,was etwa der Größe des

Staates Österreichs entspricht]. Chongqing ist eine größtenteils ländliche Region mit

mehreren Großstädten. (Aufgrund dieser enormen Größe wird im Folgenden die

Gesamtregion auch Region Chongqing und die Kernstadt Chongqing genannt.) So liegen 100

km nördlich Hechuan und Yubei, nordöstlich, etwa 240 km entfernt der Stadtbezirk Wanzhou,

etwa 100 km östlich der Stadtbezirk Fuling, 80 km südlich der Stadtbezirk Jiangjin und

westlich Shapingba.1 Sie alle weisen eine Einwohnerzahl von über einer Million auf (Stand

2010). In der Kernstadt selbst leben 4,3 Millionen Menschen, der Ballungsraum hat 7,7

Millionen Einwohner (Stand 2007).

Der größte Fluss der Region und gleichzeitig der längste Fluss Chinas ist der Jangtsekiang,

der 600 km weiter östlich an der bekannten Drei-Schluchten-Talsperre in der Provinz Hubei

gestaut wird, westlich im Hochland von Tibet entspringt und nördlich von Shanghai in das

Ostchinesische Meer mündet. Die Schiffbarkeit dieses Flusses ist der Grund dafür, dass eine

Entwicklung einer solchen Metropole wie Chongqing im tiefen Inland von China erst möglich

ist und ist daher von einer enormen Wichtigkeit für die ganze Region. Weiterhin mündet der

Jialing aus dem Norden kommend in Chongqing in den Jangtsekiang.2

Die Stadt Chongqing hat ihren Ursprung an der Mündung des Jialing in den Jangtsekiang und

da diese Flüsse zu Beginn nicht mit größeren Schiffen schiffbar waren, blieb die Stadt im 1 Seite 168. In: Diercke Weltatlas 1. Auflage 20082 Seite „Jangtsekiang“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. März 2017, 18:33

2

Inland Chinas mit über 2000km Entfernung zur Küste auch im Vergleich zu den

Küstenstädten eher klein. Nur aufgrund der Schiffbarkeit des Jangtsekiang, wie schon zuvor

erwähnt, konnte die Region wachsen. Der Bau der Drei-Schluchten-Talsperre und die dadurch

bedingte, zusätzlich verbesserte Schiffbarkeit, führte zu einem weiteren Boom. Die Region ist

von großen Gebirgen wie dem Daba Shan im Nordosten, dem Wu Shan im Osten und dem

Daluo Shan im Süden umgeben, welche eine natürliche Grenze zu den umliegenden

Provinzen bilden. Da die größte Fläche der Region recht hügelig ist, ist die Stadt auch unter

dem Namen „Stadt der Berge“ (Shancheng) bekannt. Neben der Schiffbarkeit des

Jangtsekiang hat auch besonders das sogenannte „Rote Becken“ im Osten der Region,

welches sich bis in die Provinz Sichuan erstreckt und den enormen Wachstum gefördert, da

dieses sehr reich an Bodenschätzen und eben Fläche ist.3

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten gerade einmal 400.000 Menschen in der Stadt, was für

China verhältnismäßig für einen regionalen Ballungsraum klein ist. Bis 1939 fand auch kein

außergewöhnliches Wachstum statt, die Anzahl der Einwohner wuchs auf 535.000. Doch ab

diesem Zeitpunkt verdoppelte sich die Zahl der Einwohner binnen 9 Jahren auf 1.039.000. Bis

1990 verdreifachte sich die Einwohnerzahl auf 3.000.000. Seit dem Inkrafttreten der Ein-

Kind-Politik Chinas stabilisiert sich das Wachstum der Stadt ein wenig, doch aufgrund des

riesigen Zustroms von Menschen aus den umliegenden ländlicheren Gegenden wuchs die

Einwohnerzahl bis 2007 auf 4.306.000 an. Seit jeher wachsen die Stadtgrenzen und somit

zählt man heutzutage knapp unter 7.000.000 Menschen zu den Bewohnern der Kernstadt. Für

die Zukunft sagen die Prognosen beinahe einstimmig weiteres Wachstum voraus. So soll

allein die Kernstadt 2025 an die 10.000.000 Einwohner-Grenze gehen, die

Gesamtbevölkerung der Region soll sogar über die 40.000.000-Schranke gehen.4

Neben der rasanten Entwicklung der Einwohnerzahl, ist auch die Entwicklung der Wirtschaft

sehr schnell. Durch den Jangtsekiang erhält die Region eine große wirtschaftliche Potenz. So

lag das BIP 2006 mit 45,2 Milliarden US-Dollar 12,2 % über dem des Vorjahres. Dieses

Wachstum lässt sich von Jahr zu Jahr wieder beobachten. In der Region gibt es, wie schon

erwähnt, riesige Vorkommen von Bodenschätze von z.B. Gas, Kohle, Barium, Strontium,

Eisenerz oder auch Quecksilber. So entfallen 15,1 % des BIP der Chongqings im Jahre 2006

alleine auf die Rohstoffgewinnung im primären Sektors, 41 % auf die Rohstoffverarbeitung

des sekundären Sektors und 43,9 % des BIP auf den tertiären Sektor. 5

3 Seite „Sichuan-Becken“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 18. Januar 2017, 15:214 „Chongqing Population 2017“. http://worldpopulationreview.com , 19. November 20165 Seite „Chongqing“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 27. Februar 2017, 14:23

3

Anforderungsbereich 2Trotz dieser guten Entwicklung in vielerlei Hinsichten, steht die Stadt Chongqing sowie die

ganze Region vor sehr großen Problemen. Diese liegen vor allem im ökologischen und

sozialem Bereich, aber auch in der Ökonomie der Metropolenregion.

Der Drei-Schluchten-DammSo bringt vor allem der Drei-Schluchten-Damm große Folgeschäden mit sich. Auch wenn der

riesige Staudamm über 600km flussabwärts von der Stadt Chongqing den Jangtsekiang staut,

bedroht er die ganze Flussregion. Denn durch das Stauen dieses ohnehin schon großen

Flusses, bildete sich wenige Jahren nach der Fertigstellung des Megaprojektes ein riesiges

Wasserreservoir. Die ersten notwendigen Maßnahmen vor und nach dem Stauen der

Regierung waren, die Menschen, die am Ufer des Jangtsekiang leben, umzusiedeln. So wurde

1995, zwei Jahre nach Baubeginn, geschätzt, dass in den Folgejahren zwischen 3,2 bis 4,5

Millionen Menschen umgesiedelt werden müssen. 2007 wurde diese Zahl noch einmal um 4

Millionen nach oben korrigiert. Als Begründung wurde von der Regierung der Schutz der

Umwelt genannt, wobei eher die große Gefahr von enormen Erdrutschen an den Ufern sowie

die Ausbreitung des Stausees als Gründe anzuführen sind.

Durch die Flutung vieler, tausende Jahre alter Kulturstätten verlor die Bevölkerung ihre

Tradition. Die Gleichgültigkeit der Regierung und der Großkonzerne, die an dem Projekt

beteiligt waren erzürnt die Bewohner der Region, die diesen Verlust ohne Mitspracherecht

hinnehmen mussten.

Ein Folgeproblem der riesigen Umsiedlung betrifft besonders einen Großteil der Bevölkerung

der betroffenen Region, den Bauern. Das damalige Schwemmland des Jangtsekiang war

optimal für die Landwirtschaft geeignet. Da diese Bauern nun aber zwangsweise in die

umliegenden höheren Lagen umsiedeln müssen und diese Anbauflächen verlieren, müssen sie

im Hochland ihre Landwirtschaft betreiben. Weil die dortigen klimatischen und

reliefbedingten Voraussetzungen sehr suboptimal sind, ist den Bauern jegliche

Existenzgrundlage genommen worden.

Ein ähnliches Schicksal ereilte den vielen Fischern entlang des Jangtsekiang. Vor dem Bau

des Staudammes war dieser Fluss noch voller Fische. Viele Arten schwammen zum Laichen

4

flussaufwärts und so gab es im ganzen Fluss einen hohen Bestand. Doch nun verschließt der

Staudamm diesen natürlichen Zyklus und das Artensterben und das stetige Sinken des

Fischbestandes flussaufwärts der Drei-Schluchten-Talsperre beginnt. So wird auch diesen

Menschen durch den Bau die Existenzgrundlage genommen.6

In Zahlen ausgedrückt, sind nach Wikipedia 2.862 Pflanzenarten, 335 entdeckte Fischarten

und 22 weitere Tierarten vom Aussterben bedroht. Viele von Ihnen sind höchstwahrscheinlich

auch schon wenige Jahre nach der Fertigstellung des Projektes ausgestorben, da ihr

natürlicher Lebensraum zerstört wurde.7

Das sind aber nicht die einzigen fatalen ökologischen Folgen des Projektes. Denn aufgrund

des steigenden Wasserspiegels wird mehr und mehr Land vom Wasser geflutet. Die

Uferregionen verschieben sich immer weiter und die Gefahr für Erdrutsche steigt in eben

diesen Regionen an. Die Bodenerosion reicht bis in die neuen Siedlungsgebiete der Bauern.

Viele neue Behausungen liegen auf gefährdeten Flächen. Auch die Gefahr von Erdbeben ist in

der Region Chongqing in der Gegend um den Jangtsekiang gegeben. Diese würden noch

stärkere Erdrutsche hervorrufen. Durch das Abbremsen des Flusses durch die Drei-

Schluchten-Talsperre ist die Fließgeschwindigkeit deutlich reduziert worden. Neben dem

Wasser, stauen sich auch tonnenweise Müll in dem Wasserreservoir, was dieses stark

verschmutzt und Gegenmaßnahmen erforderlich macht.8

Dann kommt zuletzt noch Korruption und die Veruntreuung der Entschädigungsgelder dazu.

So wurde den Bewohnern vor der Umsiedlung versichert, dass ihre alte Behausung erstattet

wird und sie eine neue, gleichwertige bekommen werden. Dies war jedoch nicht der Fall und

die Entschädigungszahlungen an die Menschen vielen deutlich geringer als von der Regierung

versprochen aus. Besonders die Bauunternehmen, die für den Bau der neuen Behausungen

zuständig waren, veruntreuten Gelder in Millionenhöhe.

Die Folge ist nun, dass die Drei-Schluchten-Talsperre als Lieferant von enormen Mengen

grünen Stroms doch auch fatale Folgen mit sich bringt, die vorher entweder nicht

vorhergesehen oder missachten wurden. Viele Fischarten sterben aus, viele Kulturstätten

wurden zerstört und Millionen von Menschen verloren ihre Heimat und leben in Armut und

Gefahr. Sie können nicht bleiben, wo sie zurzeit wohnen und müssen wieder umsiedeln. Die

Ziele dieser meist verarmten Bauern sind die großen Städte, wo sie sich ein besseres Leben

6 QING, Huan: „China: Staudämme am Jangtsekiang zerstören Fischbestand“ epochtimes.de, 29.03.20137 Seite „Drei-Schluchten-Talsperre“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 16. Februar 20178 „Drei-Schluchten-DammFolgeschäden und Folgekosten“ focus.de, 29.05.2011

5

erhoffen. Das erklärt unter anderem das große Einwohnerwachstum in den Städten und die

Industrialisierung bzw. die Tertiärisierung. Die Bauern und Fischer werden zu Arbeiten in den

großen Fabriken der Städte.

New-Generation MigrantsEine weitere große Gruppe an Zuwanderern bilden die sogenannte „New-Generation

Migrants“. Diese Gruppe bilden junge Chinesen aus den ländlichen Gegenden, die aus

verschiedenen Gründen in die Großstädte China migrieren und die Urbanisierung enorm

vorantreiben.

Ein sehr ausschlaggebender ist die finanzielle Lage dieser Jugendlichen. Jugendlichee, weil

das Durchschnittsalter dieser Migranten 1990 schon bei etwas über 17 Jahren liegt. Besonders

die von der Umsiedlung am Stausee der Drei-Schluchten-Talsperre betroffenen erhoffen sich

von der Großstadt eine deutliche Verbesserung ihrer ökonomischen Lage. Sie finden in der

boomenden Wirtschaft der Großstädte Chongqings in den vielen Fabriken sichere Arbeit,

auch wenn die Löhne nicht sonderlich hoch sind.

In einer Befragung des Migration Policy Institue in Washington wurden viele dieser

Jugendlichen nach ihren Beweggründen befragt.

Ein überraschen häufig genannter Grund war die Aussage, dass viele Jugendliche in den

ländlichen Regionen Chinas schlichtweg keine Lust mehr auf die Schule haben, wenn sie

doch in die Großstädte gehen und dort Geld verdienen können. So gibt es eine hohe Zahl von

Jugendlichen, die frühzeitig ihre schulische Laufbahn abbrechen um die Möglichkeiten und

Chancen der Großstadt zu ergreifen. Einen weiterer großer Anteil dieser Gruppe sind

Jugendliche, die aus finanziellen Problemen die Schule vorzeitig abbrechen müssen, um

Arbeit zu finden. Häufig tragen diese Jugendliche auch die Last, ihre Familien in den

ländlichen Gegenden zu versorgen und für sie mitzuverdienen.

Die Städte haben sich schon längst auf diesen in China weitverbreiteten Trend eingestellt und

so gibt es viele „Skills Training Schools“, die die Jugendlichen speziell auf ihre Arbeit

vorbereiten. Diese kooperieren mit der Industrie und den Unternehmen der Metropolen um

die Jugendliche perfekt vorzubereiten und um ein gewisses Know-how zu schaffen.

Es gibt aber auch Jugendliche, die nicht primär aus ökonomischen Gründen in die Großstädte

migrieren. Sie kommen aus Spaß und sehen das Leben dort als spannend und aufregend an.

6

Sie wollen diese für sie unbekannten Räume entdecken und den langweiligen Dörfern oder

ihren Eltern entfliehen und frei sein. Natürlich kommen auch Migranten nach Chongqing mit

dem Traum reich zu werden und im Luxus zu leben. Diese Möglichkeiten und Chancen gibt

es dort wo sie herkommen nicht. Sie erhoffen sich eine erfolgreiche Karriere und eine bessere

Zukunft. So besteht ein großer Teil der Migranten aus eben dieser „New-Generation“.9

Probleme bei der Städteplanung (urban sprawl)Dieses enorme Wachstum der Großstädte der Region Chongqing und ganz besonders im

Zentrum, Chongqing selbst, führt wieder zu weiteren Problemen. Obwohl man in China nur

mit einer Genehmigung in Großstädte migrieren darf, um eben folgende Probleme zu

umgehen, wird in Chongqing die Ausnahme zur Gewohnheit, da die Industrie der Stadt einen

stetig hohen Bedarf an Arbeitern hat.

Der extreme Wohnungsbedarf stellt Bauunternehmen und die Stadtplaner unter massiven

Druck. So werden beispielsweise Bauernhöfe, die einem geplanten Hochhaus im Wege

stehen, ohne lange Genehmigungsverfahren planiert und die Bewohner werden in den neuen

Wohnungen untergebracht. Für diese Bewohner bringt dieser Wandel ihres Wohnraums

offensichtlich Vor- und Nachteile. So verbessert sich größtenteils besonders die sanitäre Lage,

allerdings fordern diese jedoch höhere Kosten und den Menschen geht auch ein Stück weit

Tradition verloren. Die Möglichkeit, gegen das Handeln der riesigen Baukonzerne

vorzugehen und auf den Landanspruch zu beharren, besteht meistens nicht.

Selbst dieses beinahe rücksichtslose, jedoch notwendige Handeln ist nicht genug, um den

Zustrom an Migranten aus den ländlicheren Gebieten der Region aufzufangen. Stadtplaner

und Sachverständige prognostizieren einen Kontrollverlust der Verwaltung der Stadt.10

Wie schon erwähnt, kann bei dem Vorgehen der Stadtplaner auf die Denkmäler der Gegend,

die hauptsächlich für die sozusagen „Ureinwohner“ des Raumes von Bedeutung sind, nicht

genommen werden. So sagen viele, dass das neue Chongqing besser sei. Häufig gibt es

Aussagen, die dem folgenden sehr ähnlich sind: „Niemandem fehlt das alte Chongqing! Es

war arm und hässlich und grau, wem sollte es fehlen?“. Doch Manchen geht die Entwicklung

9 HU, Xiaochu: „China's Young Rural-to-Urban Migrants: In Search of Fortune, Happiness, and Independence” migrationpolicy.org, 04.01.201210 SUCHER, Jörn: „Die umgekrempelte Stadt“ www.spiegel.de , 16.12. 2005

7

vor ihrer Haustür etwas zu schnell. Dieses soziale Problem wird schnell übersehen, es wird

von dem Staat nicht für wichtig genug eingestuft.11

Auch wenn schon sehr viele von den alten Bauten und Behausungen den neuen

Wolkenkratzern weichen mussten, berichten vor allem Touristen und Journalisten noch von

den vielen kleinen Überresten und menschenunwürdigen Behausungen sowohl außerhalb der

Stadt, als auch innerhalb. Man sieht Überbleibsel aus der Vergangenheit. Dort leben die

Menschen, die nicht mit dem Aufschwung Chongqings mitschwingen konnten. Es werden

ganz deutliche Disparitäten erkennbar, die es zwischen den sozialen Schichten gibt.

Die BangbangjunEine sehr große Schicht, die sehr weit unten steht, sind die „Bangbangjun“. Sie sind

Lastenträger, die auf den Marktplätzen warten um den wohlhabenderen Einwohnern ihre

Einkaufstaschen o.ä. nach Hause zu tragen. Sie haben eine lange Geschichte und bilden seit

jeher einen großen Bestandteil der Gesellschaft. Auch wenn sie ihren Beruf und Namen mit

Stolz tragen, leben sie in sehr ärmlichen Verhältnissen. Wenn es bei einem Bangbangjun in

einem Monat sehr gut läuft, kommen sie auf ein monatliches Gehalt von 6000 Yuan bei einem

durchschnittlichen Einkommen von 12.437 Yuan in der Region Chongqing. Sie sind sehr

begehrt und nicht aus der Gesellschaft und dem Alltag Chongqings wegzudenken, doch ihre

Zahl schrumpft im Verhältnis zur rasch ansteigenden Einwohnerzahl, denn die jungen

Menschen erhoffen sich in der Wirtschaft der Stadt eine bessere Stellung und versuchen aus

der Tradition und der gesellschaftlichen Stellung auszubrechen. So zeigt auch dies die große

Disparität in der Megametropole.12

Korruption und KriminalitätWie schon erwähnt ist auch Korruption und organisierte Kriminalität ein großes Problem in

der Metropole. Es ist nichts Besonderes wenn Großunternehmer oder „Mafiabanden“ in der

Stadt kriminell handeln und von hohen Beamten gedeckt werden. Im Zuge der „Chongqing

gang trials“ oder der „Striking Black“ Kampagne, auf die ich später nochmal genauer

eingehen möchte, ist zwischen Oktober 2009 und 2011 gegen 9.000 Verdächtige ermittelt

worden und schlussendlich sind 4,781 gefangen genommen und für schuldig befunden

worden. Zu dieser Gruppe gehören wie schon gesagt nicht nur einfache Kriminelle oder

Bandenmitglieder, sondern auch Gangbosse, Polizeibeamte, 6 Distrikt Police Chiefs und der

ehemalige stellvertretende Polizei Beauftragte der Stadt, Wen Qiang, welcher sogar aufgrund

11 MÜHLING, Jens: „Chongqing : Die größte Stadt der Welt“ www.tagesspiegel.de, 15.07.201312 FINSTERBUSCH, Stephan: „Sie tragen China“ www.faz.net, 19.07.2012

8

besonders großer und wiederholter Delikte zum Tode verurteilt wurde. Metaphorisch wird

Chongqings Kriminalität mit „Rot und Schwarz“ dargestellt. Dabei stellt „Schwarz“ die

organisierte Kriminalität dar und „Rot“ steht für die Beamten und machtvollen Menschen der

statt, die diese decken. Dies stellt nochmal ganz gut dar, dass die Kriminalität der statt weit

über der eines einfachen Diebstahls oder Körperverletzung in Einzelfällen hinausgeht und die

„Unterwelt“ der Metropole erschreckend groß ist.13

Zusammenfassend lässt sich also eine Folgekette an Problemen erkennen. Die Region ist

somit ein gutes Beispiel für einen Dominoeffekt, der viele Ursachen und Ausgangspunkte hat

und letztendlich im Zentrum, der Stadt Chongqing, zusammentrifft. Zum Einen wären da also

besonders die sozialökonomischen und ökologischen Folgen und andauernde Probleme rund

um die Drei-Schluchten-Talsperre und zum Anderen die armen Verhältnisse und die

schlechten Lebensbedingungen in den ländlicheren Regionen Chongqing welche zum Beispiel

in der Form der „New-Generation Migrants“ in die Großstädte und vor allem in die Stadt

Chongqing migrieren. Dieser enorme Druck wirft Probleme bei der Stadtplanung auf, sodass

viele Menschen oft in ärmlichen Verhältnissen selbst in der Stadt leben müssen und auch

wenn die Nachfrage an Arbeitern in der aufstrebenden Industrie der Stadt groß ist, finden

viele keine Arbeit und schaffen trotz der vorhandenen sozialen Mobilität und

Aufstiegschancen in der Wirtschaft keine Verbesserung ihrer Lebenssituation. Nicht zuletzt

die Kriminalität und die Korruption sind ein Hemmnis für eine Besserung im Gesamten. Die

Disparitäten wachsen derweil immer weiter und bieten weiter Anlass zu Konflikten. Dieser

Druck, der besonders auf die Regierung wirkt, wessen Aufgabe die Lösung der hier

aufgezeigten Probleme ist, wächst mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Stadt mit.

13 Wikipedia Contributors: „Chongqing gang trials“ www.wikipedia.org, 21.02.20179

Anforderungsbereich 3Wie die Regierung nun darauf reagiert, was ihre Lösungsansätze und mögliche Erfolge sind,

wird im Folgenden aufgezeigt. Hierfür wird das „Chongqing model“ betrachtet, welches im

Folgenden vorgestellt und beurteilt wird.

Das „Chongqing model“ Der wohl komplexeste und größte Versuch, den Problemen Chongqings entgegenzuwirken,

ist die Ein- und Durchführung des sogenannten „Chongqing model“. Das Chongqing model

ist eine Ansammlung vieler politischer Neuregelungen, Beschlüssen und Reformen. Es

betrifft vor allem die ökonomischen und sozialen Probleme wie die hohe Arbeitslosigkeit, die

schlechte Versorgung und dem niedrigen Wohlstand der Bewohner, aber auch ökologische

Probleme wie die hohe Verschmutzung von Luft und Wasser sowie die Problematiken die mit

dem Drei-Schluchten-Damm einhergehen. Das Chongqing model wurde in der Amtszeit von

Bo Xilai eingeführt. Xilai ist in China ein wahrhaftiger Politstar und Kommunist, weshalb das

Modell auch von eher stark linkspolitischen Zügen geprägt ist.

Ein großer Teil befasst sich mit den sozialen Disparitäten Chongqings zwischen Arm und

Reich und der zwischen Land- und Stadtbevölkerung. Dabei verfolgt Bo der in China

weitverbreiteten „Cake Theory“. Diese ist eine Metapher mit zwei Sichtweisen bzw.

Deutungen. Dabei entspricht einer der kapitalistischen und einer der kommunistischen

Ideologie. Im Grunde meint sie, dass wenn ökonomisches Wachstum und eine Entwicklung

eintritt, sollte man den Kuchen versuchen möglichst fair zu verteilen. So ist jedenfalls die

kommunistische Sichtweise. Kapitalisten hingegen bestreben einen größeren Kuchen zu

backen und die Verteilung, bezogen auf die Fairness und Gleichheit, außer Acht zu lassen.14

So war ein erstes großes Projekt eine starke Investition in den Bau von riesigen

Wohnkomplexen. In diesen Wohnungen sollen nun Menschen aller Schichten leben. Wenn

jemand nicht über die finanziellen Mittel zum Kauf eines Apartments verfügt, so durfte er für

drei Jahre dort wohnen mit der Möglichkeit, es anschließend zu erwerben. Die Idee dahinter

war wie folgt. Wenn die Menschen nicht ihr ganzes Einkommen für teure Wohnungen

ausgeben haben sie mehr Geld um andere Konsumgüter zu erwerben und somit die Wirtschaft

ankurbeln und einen Konjunkturaufschwung erzeugen. Im Zuge dessen pflanzte die

Regierung während einer Grünkampagne Millionen Bäume in der Stadt. Ganz symbolisch 14Wikipedia Contributors: „Cake theory“ www.wikipedia.org, 11.10.2016

10

war ein Großteil dieser Bäume Ginkgos. Dieser Baum gehört zu China wie der Ahorn zu

Kanada und ist Bestandteil der Kultur Chinas. Alleine die Grüninitiative kostete dem Staat

umgerechnet etwa 1,4 Milliarde US-Dollar. Im Verhältnis zu den etwa 15,8 Milliarden US-

Dollar für die Wohnkomplexe eine enorme Investition, die vor allem die Attraktivität, aber

auch das Image Bos verbessern soll.

Des Weiteren wurde in Chongqing ab 2007 ein Pilotprojekt ausgetestet, welches dabei helfen

sollte die ungleichen Verhältnisse zwischen ländlicher und städtischer Bevölkerung zu

verringern und die Landbewohner unterstützen soll. Das „Hukou registration system“ soll die

Bevölkerung Chinas nach Stadt- und Landbewohner kategorisieren. Die beiden Gruppen

erhalten dann unterschiedliche Rechte und Pflichten in vielen Bereichen wie Bildung und

Steuern. Man versuchte weiterhin die Migration zu vereinfachen, was einen weiteren heftigen

Anstieg der Bevölkerung der Städte mit sich brachte. Außerdem wurden Bauern unterstützt

und man wollte unbenutztes Land so nutzen um sozialökonomische Besserungen

hervorzurufen.

Bo griff auch in die Wirtschaft ein und erbrachte durch Reformen unglaubliche Erfolge. So

begann er Steuern für Unternehmen zu senken und förderte die Industrialisierung und

Verstädterung. Er wollte vor allem zusammen mit dem Bauprojekt der Wohnungen den

heimischen Markt ankurbeln und verstärken und sich nicht zu sehr auf den Export

fokussieren. Infolgedessen liegt das Wachstum des BIPs Chongqing deutlich über dem von

China. Während das BIP in China 2008 um 8% angestiegen ist, glänzte die Stadt mit 14,3%.

Die Steuersenkung und das enorme Wachstum sorgte dafür, dass Konzerne wie HP, Foxconn

und Ford ihre Standorte vergrößerten, sich neue Konzerne ansiedelten und die

Direktinvestitionen wachsen.

Der größte Kritikpunkt am Chongqing model wird schnell erkenntlich. Die Projekte sind

allesamt mit riesigen Investitionen verbunden und verschlingen Milliarden. Es sind selbst für

eine Metropole und Wirtschaftsmacht wie Chongqing riesige Summen und so befürchteten

Politiker und Wirtschaftsforscher, dass diese Bo später noch zum Verhängnis werden würden.

Auch inbegriffen in Bos neuer Politik ist die deutlich ausgeweitete Strafverfolgung und

Korruptionsbekämpfung in Chongqing. Wie schon zuvor kurz vorgestellt wurden im Prozess

tausende Straftaten aufgedeckt und bestraft. Unter dem Namen „Striking Black“ („Da Hei“)

erlangte dieser außerordentlich umfangreiche Prozess weltweit mediales Interesse. Nicht

zuletzt durch die unheimliche Geschwindigkeit der einzelnen Prozesse und die Höhe der

Strafen von Zwangsarbeit bis hin zur Todesstrafe geriet Bo oft in Kritik. In das Visier der 11

Polizei fielen auch kurz nach der Einführung des Chongqing models Kritiker des Projektes

und politische Gegner. Weiterhin wurden enorme Strafgelder verhangen und Eigentum

verstaatlicht. Die Summe beläuft sich auf über 11 Milliarden. Kritiker behaupten das Bo somit

seine extremen Ausgaben zu decken plant. Durch das extrem radikale und strenge Vorgehen

wollte Bo einen absoluten „Crackdown“ der Kriminalität erreichen und wird national bekannt.

Für Manche ist er ein Held, für andere ein Tyrann. Auch vor der Privatsphäre machte Bo nicht

Halt und ließ „zur Sicherheit“ Telefonate abhören und das Internet kontrollieren.

Zuletzt war es Bos Plan, die Bevölkerung dazu zubringen sich selbst zu stärken und

aufzurichten. Dazu ließ er fast propagandaartig die „Red culture“ aufleben. Sie stammt aus

der Mao-Zeit Chinas und steht für den Kommunismus. Über die Schulen, das Radio, das

Fernsehen und öffentliche Denkmäler versuchte er den Maoismus wieder in die Region zu

bringen und stellt ihn als richtig und beinahe heilig dar. Er versuchte mit allen Mitteln die

Menschen zu beeinflussen, nicht zuletzt um Unterstützung für seine Politik zu finden. Bo fand

Unterstützung in der Gesellschaft, aber auch Gegenrede, Ablehnung und scharfe Kritik, die

nicht zuletzt geschichtlich begründet ist.15

Bos Machtverlust im April 2012 im Zuge der Wang Lijun Affäre deutete das Ende des „Red

culture movements“ und des „Chongqing models“ an. Die ihm folgende Regierung erkannte

den Erfolg an, jedoch gab sie vor das es nicht alleine Bo zu verdanken sei, sondern auch den

Regierungen vor ihm. Teile der Reformen und Projekte blieben bei und wurden weitergeführt,

doch besonders im Bereich des Häuserbaus für Sozialwohnungen und der Unterstützung der

Wirtschaft wurden Abstriche gemacht. Spätere Analysen und Nachforschungen deckten auf,

dass Bo aus Eigeninteresse Machtmissbrauch betriebt und paradoxer Weise oftmals sehr

korrupt und machtgierig handelte. Schließlich wurde der Begründer des „Chongqing model“,

welches die Probleme der Region lösen sollte und es auch bei vielen zumindest teilweise

schaffte, zu lebenslanger Haft verurteilt.16

BewertungDas Chongqing model macht auf den ersten Blick einen sehr guten Eindruck. Es wird sich um

die sozial Schwächeren gekümmert, die auf dem Land oder in der Stadt in teilweise sehr

prekären Verhältnissen leben. Außerdem wird für einen weiteren Impuls in der Wirtschaft

gesorgt und die Kriminalität und die Korruption bekämpft. Mit dem Red culture movement

will Bo Xilai die Bevölkerung einen, er versucht eine gewisse Euphorie erzeugen und ganz

15 Wikipedia Contributors: „Chongqing model“ www.wikipedia.org, 23.03.201716 Wikipedia Contributors: „Wang Lijun“ www.wikipedia.org, 25.03.2017

12

offensichtlich, sein System indirekt anpreisen und für besonders gut darstellen. Bo nutzt seine

„Erfolge“ ganz plakativ und eigennützig für seine Person um sein Ansehen zu steigern und

sich einen guten Ruf zu schaffen. Wofür er das tut und warum er sich so sehr bemüht diese

positiven Aspekte darzustellen wird mit einem Blick auf seine politische Laufbahn und seiner

Persönlichkeit schnell offensichtlich. Seine Ziele auf der politischen Karriereleiter und der

Machhierarchie liegen noch weit über seiner schon hohen Position in Chongqing. Er wollte in

das Zentrum der Macht nach Peking um dort an die Spitze zu gelangen. Seine Zeit in

Chongqing war so gesehen eine wohl durchdachte und geplante Promo für seine Person. Wie

schon gesagt aber fiel sein Ruhm mit der Aufdeckung der Schattenseiten des Chongqing

models in sich zusammen. Bo war beinahe jedes Mittel recht um sein System und seine

Politik nach Außen so gut wie möglich zu präsentieren. Skrupellos war er während des

„Striking Black“ und die höchste Priorität war immer sein eigener Nutzen und Aufstieg.

Trotzdem darf man das Model nun nicht als komplett schlecht und negativ bezeichnen. Viele

Menschen profitierten enorm davon, Teile der sozialen schwächeren Schichten konnte

geholfen werden und die ökonomischen Zahlen und Fakten sprechen für sich. Es stellt sich

nun jedoch die Frage, ob die Investitionen auch ohne die Strafgelder und der aus Korruption

und widerrechtlichen Handlungen der Regierung möglich wären. Wahrscheinlich wäre die

Finanzierung eines solchen Projektes in diesem Ausmaß nicht möglich gewesen. Allerdings

wurde das Chongqing model von ihm folgenden Politiker und Wissenschaftlern nicht

vollkommen abgelehnt oder gar beendet und manche Reformen bleiben bei.

SchlussRückblickend kann man zusammenfassend sagen, dass die Region Chongqing in allen drei

Dimensionen äußerst vulnerabel ist. Die Probleme reichen von den vielseitigen und

komplexen Folgeschäden der Drei-Schluchten-Talsperre, über die ländlichen Missstände und

aus der extrem schnellen Urbanisierung resultierenden Disparitäten bis hin zur Kriminalität

und Korruption bis in die absolute Machtspitze der Politik. Alle Probleme bedingen sich

gegenseitig und hängen eng miteinander zusammen, sodass es bei einem solchen Ausmaße

und derartigen Dimensionen eine große Herausforderung ist, sie zu lösen. Die Vulnerabilität,

die in dieser Facharbeit betrachtet wird, ist sehr groß.

Abschließend lässt sich zu dem Versuch der Bekämpfung der Probleme Chongqings sagen,

dass es ein guter Versuch war und wenn die Schattenseiten nicht vorhanden wären, hätte er

auch eine Zukunft und die ganze Region hätte von ihm noch mehr profitieren können. So

13

kann man nur noch einzelne Spitzenpolitiker Chinas kritisieren, die durch ihr korruptes

Verhalten ihrem Land ungemein schaden und die Entwicklung hemmen.

14

Literaturverzeichnis

FINSTERBUSCH, Stephan: „Sie tragen China“. Faz.net Bearbeitungsstand: 19.07.2012. (Abgerufen: 03.04.2017)URL:http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/die-kulis-von-chongqing-sie-tragen-china-11825307.html

HU, Xiaochu: „China`s Young Rural-to-Urban Migrants: In Search of Fortune,

Happiness, and Independence“. Migrationpolicy.org Bearbeitungsstand: 04.01.2012. (Abgerufen: 03.04.2017)URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Chongqing&oldid=164109605

MÜHLING, Jens: „Chongqing: Die größte Stadt der Welt“. tagesspiegel.de Bearbeitungsstand: 15.07.2013. (Abgerufen: 03.04.2017)URL:http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/sonntag/chongqing-die-groesste-stadt-der-welt/8490580.html

QING, Huan: „China: Staudämme am Jangstekiang zerstören Fischbestand“.

Epochtimes.de Bearbeitungsstand 29.03.03. (Abgerufen: 2. April 2017)URL: http://www.epochtimes.de/china/china-wirtschaft/china-staudaemme-am-jangtsekiang-zerstoeren-fischbestand-a1067363.html

STEIL, Daniel „Folgeschäden und Folgekosten“. www.focus.de Bearbeitungsstand 19.05.2011. (Abgerufen: 2. April 2017, 15.22)URL:http://www.focus.de/wissen/klima/klimaprognosen/drei-schluchten-damm-folgeschaeden-und-folgekosten_aid_629078.html

SUCHER, Björn: „Die umgekrempelte Stadt“. Spiegel.de Bearbeitungsstand: 16.12.2005. (Abgerufen: 03.04.2017)URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/mega-metropole-chongqing-die-umgekrempelte-stadt-a-389299.html

„Chongqing Population 2017“ worldpopulationreview.comBearbeitungsstand: 19.11.2016 (Abgerufen: 2. April 2017)URL: http://worldpopulationreview.com/world-cities/chongqing-population/

Seite „Jangtsekiang“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand 25.03.2017 23:16 UTC. (Abgerufen: 2. April 2017, 14:15 UTC)URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Jangtsekiang&oldid=163959379

15

Seite „Sichuan-Becken“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand 18.01.2017 15:21 UTC. (Abgerufen: 2. April 2017, 14:21 UTC)URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Sichuan-Becken&oldid=161762381

Seite „Chongqing“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand 31.03.2017 07:25 UTC. (Abgerufen: 2. April 2017, 14:35 UTC)URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Chongqing&oldid=164109605

Seite „Drei-Schluchten-Talsperre“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand 18.01.2017 15:21 UTC. (Abgerufen: 2. April 2017, 14:21 UTC)URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Sichuan-Becken&oldid=161762381

Wikipedia Contributors: „Chongqing gang trials“. www.wikipedia.org Bearbeitungsstand: 21.02.2017. (Abgerufen: 03.04.2017)URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Chongqing_gang_trials

M15: Wikipedia Contributors: „Chongqing model“. www.wikipedia.org Bearbeitungsstand: 23.03.2017. (Abgerufen: 03.04.2017)URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Chongqing_model

Wikipedia Contributors: „Cake theory“. www.wikipedia.org Bearbeitungsstand: 11.10.2016. (Abgerufen: 03.04.2017)URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Cake_theory

Wikipedia Contributors: „Wang Lijun“. www.wikipedia.org Bearbeitungsstand: 25.03.2017. (Abgerufen: 03.04.2017)URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Wang_Lijun

16

17