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Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien (MAGW) Band 136/137,2006/2007, S. 187-202 Reisen und Sammeln aus wissenschaftlicher Überzeugung heute und zur Zeit von Adolf Bastian (1826-1905) Von MARIE-FRANCE CHEVRON, WIEN Zusammenfassung Mit seiner umfangreichen Reise- und Sammeltätigkeit verfolgte Bastian zielstrebig das Ziel, einen Überblick über die Kulturen der Welt zu erhalten und die Ethnologie als vergleichende Wissenschaft zu etablieren. Zu dieser Zeit entstand eine kritische, bis heute anhaltende Diskussion über die wissenschaftliche Bedeutung solcher Sammeltä- tigkeit und über den Umgang der Ethnologie mit dem Wissen des Museums sowie über die wissenschaftliche Bedeutung von Objekten in Museen. Hier werden einige metho- dologische und theoretische Forschungsfragen, welche sowohl aus damaliger wie auch aus heutiger Sicht wichtig sind, aufgeworfen. Summary With his widespread journeys and collecting activities Bastian followed his aim straight to the point, to get a survey of world cultures and to establish ethnology as a comparative science. At that time until today ongoing discussion of the scientific rele- vance of such actions of collecting and about the integration of ethnology with the knowledge-base of museums and the scientific significance of objects in museums takes place. Here, some methodological and theoretical questions of research arise today as they did in former times. Einleitung Im deutschsprachigen Raum waren die Wissenschaftler, welche Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts an der Gründung und Etablierung der Ethnologie als wis- senschaftliche Disziplin beteiligt waren, zumeist große Reisende und Feldforscher. Für diese Forschungsreisenden war klar, dass die Beschäftigung mit anderen Kulturen die Voraussetzung für das Verständnis des Menschseins und die Grundlage einer neu zu gründenden Wissenschaft vom Menschen war. Obwohl noch keine ausgebildeten Ethno- logen, waren diese Reisenden - vor der Existenz der Ethnologie als anerkanntes wissen- schaftliches Fach - durch ihre intensive Beschäftigung mit fremden Völkern, ihren Kul- turen, Sitten und Sprachen bisweilen zu Experten für die Länder, die sie bereist hatten, geworden. Diese Menschen waren Missionare oder Kolonialbeamte; manche waren aus Abenteuerlust und Neugier wie auch zur Verwirklichung konkreter politischer oder wirtschaftlicher Interessen an der Durchführung von Reisen und längeren Aufenthalten in fremden Gebieten unterwegs. Ihr Erlernen und Dokumentieren fremder Sprachen, Beschreiben und Verständlich-Machen fremder Sitten wie auch Sammeln von Artefak- ten wurde von späteren Ethnologen oft als gewissenhaftes ethnographisches Arbeiten

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Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien (MAGW) Band 136/137,2006/2007, S. 187-202

Reisen und Sammeln aus wissenschaftlicher Überzeugung heute und zur Zeit von Adolf Bastian (1826-1905)

Von

MARIE-FRANCE CHEVRON, WIEN

Zusammenfassung

Mit seiner umfangreichen Reise- und Sammeltätigkeit verfolgte Bastian zielstrebig das Ziel, einen Überblick über die Kulturen der Welt zu erhalten und die Ethnologie als vergleichende Wissenschaft zu etablieren. Zu dieser Zeit entstand eine kritische, bis heute anhaltende Diskussion über die wissenschaftliche Bedeutung solcher Sammeltä­tigkeit und über den Umgang der Ethnologie mit dem Wissen des Museums sowie über die wissenschaftliche Bedeutung von Objekten in Museen. Hier werden einige metho­dologische und theoretische Forschungsfragen, welche sowohl aus damaliger wie auch aus heutiger Sicht wichtig sind, aufgeworfen.

Summary

With his widespread journeys and collecting activities Bastian followed his aim straight to the point, to get a survey of world cultures and to establish ethnology as a comparative science. At that time until today ongoing discussion of the scientific rele­vance of such actions of collecting and about the integration of ethnology with the knowledge-base of museums and the scientific significance of objects in museums takes place. Here, some methodological and theoretical questions of research arise today as they did in former times.

Einleitung

Im deutschsprachigen Raum waren die Wissenschaftler, welche Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts an der Gründung und Etablierung der Ethnologie als wis­senschaftliche Disziplin beteiligt waren, zumeist große Reisende und Feldforscher. Für diese Forschungsreisenden war klar, dass die Beschäftigung mit anderen Kulturen die Voraussetzung für das Verständnis des Menschseins und die Grundlage einer neu zu gründenden Wissenschaft vom Menschen war. Obwohl noch keine ausgebildeten Ethno­logen, waren diese Reisenden - vor der Existenz der Ethnologie als anerkanntes wissen­schaftliches Fach - durch ihre intensive Beschäftigung mit fremden Völkern, ihren Kul­turen, Sitten und Sprachen bisweilen zu Experten für die Länder, die sie bereist hatten, geworden. Diese Menschen waren Missionare oder Kolonialbeamte; manche waren aus Abenteuerlust und Neugier wie auch zur Verwirklichung konkreter politischer oder wirtschaftlicher Interessen an der Durchführung von Reisen und längeren Aufenthalten in fremden Gebieten unterwegs. Ihr Erlernen und Dokumentieren fremder Sprachen, Beschreiben und Verständlich-Machen fremder Sitten wie auch Sammeln von Artefak­ten wurde von späteren Ethnologen oft als gewissenhaftes ethnographisches Arbeiten

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Notiz
Chevron, Marie-France: "Reisen und Sammeln aus wissenschaftlicher Überzeugung heute und zur Zeit Adolf Bastian" in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft Wien (MAGW), Band 136/137, 2006/2007, S. 187-202
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beschrieben, und das von ihnen gesammelte Material bildete den Grundstock für die ersten großen ethnologischen Museen.

Daher war es nur eine Frage der Zeit, bis die Ethnologie sich als Fach etablieren konnte, wenn es auch bisweilen eine eindeutige entsprechende theoretische Begrün­dung für die Entstehung des Faches Ethnologie als eigenständige Disziplin nicht wirk­lich gab. So kam es erst im 19. Jahrhundert in den europäischen Ländern zu einer neuen intensiven Beschäftigung mit den schon seit dem 17. Jahrhundert immer zahlreicher werdenden Berichten, Reisebeschreibungen und Ethnographica wie auch mit der durch diese sporadischen Berichte genährten Reflexion der Aufklärung über die Natur des Menschen. In den meisten europäischen Hauptstädten wurden zu dieser Zeit Anthropo­logische Gesellschaften gebildet, in welchen sich allmählich die Institutionalisierung und Professionalisierung der Ethnologie vollziehen konnte (vgl. hierzu FEEST 1995). Im deutschsprachigen Raum spielten die Versammlungen deutscher Naturforscher und Ärzte, die seit 1822 auf Initiative des Naturforschers Lorenz Oken stattfanden und von Alexander v. Humboldt unterstützt wurden, eine große Rolle: hier wurde im Jahre 1869 der formale Beschluss gefasst, Anthropologische Gesellschaften im deutschsprachigen Raum zu gründen (vgl. BEHM 1922: 217 ff.). Diesem Beschluss folgten dann im selben Jahr die Gründung der Berliner Anthropologischen Gesellschaft und im Jahre 1870 die der Wiener Gesellschaft sowie auch die vieler "Lokalvereine" (vgl. QUERNER 1969).

In Berlin kam es - im Gegensatz zu Wien - dank des Wirkens von Bastian zu einer konstruktiven Beschleunigung, so dass die Ethnologie bereits ab 1869 als eigenständi­ger Bereich wahrgenommen wurde. Bastian, der gemeinsam mit Virchow die Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte und gemeinsam mit Hart­mann deren Organ, die bis heute angesehene Zeitschrift für Ethnologie, gegründet hatte, konnte sich ab dem Jahre 1886, als er zum Direktor des Königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin ernannt wurde, für eine eigenständige Entwicklung und schnel­lere Etablierung des Fachs Ethnologie als Wissenschaft einsetzen. Neben einigen grund­legenden Fragen, welche die Einordnung der Ethnologie als Wissenschaft, die Bestim­mung ihres Gegenstandes und ihrer Inhalte sowie ihre Abgrenzung von anderen Diszi­plinen betrafen, waren vor allem methodologische Probleme bestimmend. Ein solches Problem, mit welchem die Ethnologie sich von Anfang an beschäftigen musste, war neben der rein praktischen Aufgabe des fachgerechten Aufbewahrens von zu verschie­denen Zeiten gesammelten Ethnographica auch die Frage nach dem Stellenwert des Sammeln bei der wissenschaftlichen Forschungsarbeit.

Im Werk von Adolf Bastian (1826-1905), der als Nestor und Begründer der Ethnologie in Deutschland bezeichnet werden kann, wird dieses Thema auf eindeutige Art und Weise beantwortet, da das Sammeln in seinen Augen die unbestrittene Voraussetzung jedes ethnologischen Arbeitens darstellen musste. Im Folgenden wird nach einigen einführenden Betrachtungen über das Sammeln als Tätigkeit auf die Bedeutung des Sammelns für die Wissenschaft und im konkreten Fall von Bastian auf die Bedeutung und Bewertung solchen empirischen Materials für ein Fach wie die Ethnologie näher eingegangen.

Vom Wesen und von der Notwendigkeit des Sammelns

Jeder, der sich mit dem Sammeln beschäftigt, wird mit zwei nicht wirklich leicht zu trennenden Aspekten konfrontiert: einerseits mit dem Sammeln als eine individuelle und bisweilen sehr gezielte Leidenschaft, indem jemand danach trachtet, möglichst alle erreichbaren Objekte einer Gattung zu sammeln. Hierbei ist eine über das rein Besit­zen-Wollen hinausgehende Begründung für diese persönliche Tätigkeit nicht immer vorhanden. Andererseits wird mit dem Sammeln zumeist auch heute eine höher stehen­de kulturelle Leistung, deren Notwendigkeit nicht zu bezweifeln ist, bezeichnet. Dass auch dieses Sammeln private Wurzeln haben kann, liegt auf der Hand, aber das rein pri­vate Vergnügen wird hier in den Dienst einer "höheren Aufgabe" gestellt. Denn Sam­meltätigkeit bildet schließlich die Grundlage aller kleinen und großen Museen dieser Welt, wodurch das Sammeln von einer rein individuellen, also subjektiven, zu einer intersubjektiv nachvollziehbaren und sinnvollen Tätigkeit geworden ist.

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Philosophische Reflexionen über das Sammeln beginnen bisweilen mit der Sam­meltätigkeit der Sammler und Jäger zum Zweck der Nahrungsbeschaffung und des Überlebens (s. SEGETH 1989; SOMMER 1999 u.a.m.). Aber dem Wesen des Sammelns als eigentümliche kulturelle Tätigkeit kommt man selbstverständlich näher, wenn man das Sammeln als "das Auswählen, Zusammentragen und Aufbewahren von Objekten, die einen subjektiven Wert" (MUENSTERBERGER 1995: 20) haben, bezeichnet. Hiermit nähert man sich der Tätigkeit des Sammelns von Kunstobjekten oder Objekten der materiel­len oder geistigen Kultur aufgrund einer persönlichen subjektiven Bewertung am ehe­sten. Diese Definition verharrt aber auf dem Niveau der Beschreibung einer individuel­len - also subjektiven - Tätigkeit, ohne allerdings den Zweck der Handlung näher zu bestimmen, also ohne hierfür eine nachvollziehbare Erklärung zu liefern. Es stellt sich hier gleich zu Beginn die Frage, was diese Tätigkeit mit dem Sammeln zu wissenschaft­lichen Zwecken gemein hat und was das Wesen des Sammelns ausmacht und daher auch seine Notwendigkeit begründet. Auffallend ist allerdings, dass in den Definitionen des Sammelns oft das fehlt, was das Sammeln als sinnvolle und intersubjektiv nachvoll­ziehbare Tätigkeit auszeichnet. Auch lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten, inwie­fern es sich hier um zwei unterschiedliche Ausformungen eines und desselben Phäno­mens handelt. Dass hier meist beide Aspekte eine Rolle spielen, mag unbestritten sein, aber für eine Reflexion über den Stellenwert des Sammelns aus "wissenschaftlicher Notwendigkeit" werden andere Sichtweisen im Vordergrund stehen, da es vor allem darum gehen sollte zu verstehen, inwiefern hier die Voraussetzungen für eine weiterfüh­rende Tätigkeit im Sinne des Erkenntnisgewinns gegeben sind.

Das Sammeln: eine Leidenschaft und eine Tradition

Sammeltätigkeit war von dem Augenblick an, als sie zu einer gesellschaftlich aner­kannten Tätigkeit wurde, dem jeweiligen Zeitgeist unterworfen: so führte während der Renaissance die Vorliebe für Gemmen und Kameen (s. MUENsTERBERGER 1995: 253) dazu, dass diese zu beliebten Sammlungsobjekten wurden. Auch im Rom des beginnen­den 15. Jahrhunderts wird das wachsende Interesse für archäologische Funde bei Petrarca und seinen Zeitgenossen belegt, als diese in den Ruinen und Monumenten nach Zeugnissen für die ruhmreiche lateinischeVergangenheit suchten (Ebd.: 256 f.). Im klas­sischen Rom wurde die Zahl der Humanisten, welche sich für Antiquitäten, Skulpturen, Medaillen oder Manuskripte sowie unterschiedlichste Artefakte begeisterten, immer größer. Auch die Leidenschaft für Bücher, die für Sammler kopiert wurden, und alte Inschriften nahm zu, wobei - nach manchen Autoren (vgl. Ebd.) - die Begeisterung für die Vergangenheit oft mit dem Versuch einher ging, unbefriedigende Zustände in der Gegenwart zu überwinden.]

Bereits in der Renaissance bekam das Sammeln als private Leidenschaft einzelner Gelehrter oder angesehener Mäzene (vgl. SEGETH 1989: 10) einen besonderen Stellen­wert. Das Sammeln von Kunstwerken und die Förderung von Künstlern gingen oft Hand in Hand, wobei aber das Entstehen der ersten Kunst- und Wunderkammern erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts anzusetzen ist (SCHEICHER 1979: 33). Berühmte Kunst- und Wunderkammern dieser Zeit sind die von Ferdinand H. von Tirol, welche später auf Schloß Ambras untergebracht wurde, und die von Kaiser Rudolf H. auf dem Hradschin in Prag, welche allerdings bei Plünderungen durch die Schweden im Jahre 1648 zerstört wurde (vgl. SEGETH 1989: 10).

Eine wesentliche Voraussetzung für das Aufkommen der Kunst- und Wunderkam­mern war es zweifelsohne, dass man nicht mehr die Kunstobjekte einfach nur besitzen wollte, sondern sie zunehmend "als Gegenstand künstlerischen Studiums" (Burckhardt 1911 zit. in SEGETH 1989: 10) betrachtete. Hierdurch, also durch die Aufarbeitung des Gesammelten, bekam die Sammeltätigkeit erst nach und nach eine neue Bedeutung.

1) Auch im rein subjektiven Bereich soll nach manchen Autoren das Sammeln als eine Kompensations­leistung betrachtet werden. Hierbei geht es um das Wettmachen eines emotionalen Defizits in der frühen Kindheit (s. SEGETH 1989; MUENSTERBERGER 1995 u.a.m.).

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Private Sammlungen und öffentliche Museen wurden im 19. Jahrhundert immer häufi­ger, und in der Aufklärung, mit ihrem Bildungsideal, bekamen die vielen Sammlungen eine entscheidende bildnerische Funktion, auch wenn am Anfang die Objekte und Belegstücke oft noch unsystematisch ausgestellt wurden.

In manchen, nicht primär der Kunst zugewiesenen Bereichen kam es ebenfalls zunehmend zu einer regen Sammeltätigkeit. Schon während der ersten Entdeckungs­reisen wurden Kuriositäten und außergewöhnliche oder manchmal sogar kostbare und schöne Gegenstände bzw. unbekannte natürliche Formationen oder seltene Exemplare der Tierwelt, ja sogar manchmal fremde Menschen "gesammelt" und mit nach Hause genommen.

Während es aber im europäischen Raum bereits seit der Renaissance viele Kenner gab und daher die Artefakte oder Manuskripte sehr gezielt, wenn auch nicht immer sehr rücksichtsvoll (vgl. MUENSTERBERGER 1995: 262)2 gesammelt wurden, folgten die ersten Sammlungen aus Übersee mehr dem Zufallsprinzip, da es hauptsächlich darum ging, möglichst viele Gegenstände als Zeugnisse einer unbekannten Kultur oder Umwelt mit­zunehmen, und so wurden auch die Objekte, welche das Fundament der ersten Samm­lungen bildeten, noch sehr wahllos - zumeist nur nach dem Ursprungsgebiet - neben­einander aufgestellt.

Erst nach und nach wurde hier eine sinnvolle, nach vorgegebenen Kriterien zu erfolgende Darstellung von Inhalten angestrebt. So kam es ab der Mitte des 19. Jahr­hunderts zu einer technischen Verfeinerung der Methoden für die Aufbewahrung und Katalogisierung von gesammelten Gegenständen in den Museen. Während es bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem darum ging, ethnographische Artefakte möglichst schnell zu sammeln, galt es im ausgehenden Jahrhundert immer mehr, die durch Expe­ditionen oder Ankäufe größer werdenden Sammlungen zu ordnen und dem Publikum zugänglich zu machen.

Das Sammeln zur Zeit Bastians: eine wissenschaftliche Notwendigkeit

Die Ethnologischen Sammlungen und die beginnende Ethnologie

Mitte des 19. Jahrhunderts, also zu der Zeit, als die Anthropologischen Gesellschaf­ten gegründet worden sind, befanden sich in den meisten europäischen Hauptstädten bereits bedeutsame Sammlungen aus einer früheren Zeit. 3

In Berlin waren die Ethnographica schon seit dem 17. Jahrhundert in der Branden­burgisch-Preußischen Kunstkammer des Großen Fürsten im Schloß zu Berlin aufbe­wahrt. Im 19. Jahrhundert bildeten sie dort die "Sammlung von außer-europäischen Seltenheiten", die einen Teil der "Kunst- und Raritätenkammer" ausmachte. Diese war eine von drei Abteilungen, neben der "Naturalien-Kammer" und der "Antiken- und Medaillenkammer" . Im 19. Jahrhundert wuchs der Bestand der Königlichen Kunstkam­mer und des Ethnographischen Cabinetts unter der Leitung des Historikers und Haupt­manns a.D. Leopold Freiherr von Ledebur an, wobei dieser bereits 1844 feststellen

') Hier ist von der in der italienischen Renaissance belegten Tätigkeit eines gewissen Poggio Braccioli­ni, der es vom Kind eines Kleinbauern bereits zu einem berühmten Kopisten und Entdecker alter Manuskrip­te gebracht hatte, ehe er zum Sekretär des Gegenpapstes Johannes XXIII. ernannt wurde, und welcher spä­ter Kanzler des Stadtstaates Florenz wurde, zu berichten. In dieser Funktion war Poggio Bracciolini - so hieß es - äußerst zielstrebig und zögerte nicht, seltene Stücke zu entwenden. So geschah es u.a. in der alten Biblio­thek des Klosters Einsiedeln in der Schweiz. Von Interesse ist hierbei, dass es sich dabei um Objekte und Dokumente handelt, deren Wert zur damaligen Zeit nicht erkannt wurde und welche - wie hier im Kloster ­vollkommen vernachlässigt wurden, so dass diese Taten oft - ähnlich wie bei späteren Sammlern - dadurch gerechtfertigt werden, dass man sie als Rettungsaktion betrachten kann (MuENSTERBERGER 1995: 263). Dieses Argument, das nicht unbedingt von der Hand zu weisen ist, findet man bis heute als Rechtfertigung für das Sammeln von Objekten unterschiedlichster Art und besonders auch von Objekten aus Übersee (aus verschie­denen Erdteilen), hauptsächlich zu einer Zeit, als deren Wert sprich Bedeutung auf der Zeitskala in der betroffenen Kultur selbst nicht verstanden wurde.

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konnte, dass die "Ethnographische Sammlung" eine eigene Abteilung der königlichen Museen darstelle. Im Jahre 1856 erfolgte der Umzug ins "Neue Museum", wobei dieses Datum heute bisweilen "als das eigentliche Gründungsdatum des Ethnologischen Museums" (BOLZ 2003: 15) angesehen wird, da die Ethnologische Abteilung von nun an als "eigenständiger Teil der Königlichen Museen in Berlin" (Ebd.) betrachtet wurde.

Zum eigentlichen Durchbruch kam es allerdings erst 1873, als der Preußische König und deutsche Kaiser Wilhelm 1. die Gründung eines "selbständigen ethnologi­schen und anthropologischen Museums in Berlin" anordnete. Adolf Bastian, der 1869 zum Direktorial-Assistenten der Ethnographischen Sammlung ernannt worden war, wurde 1886 zum Direktor des im selben Jahr neu eröffneten Museums, des Königlichen Museums für Völkerkunde, ernannt.

So gelang es Bastian dank seines unermüdlichen Einsatzes, schon sehr früh der Ethnologie feste Grundlagen zu geben (s. auch FIEDERMUTZ-LAUN 1970; KOEPPING 1983; CHEVRON 2004). Dieser Erfolg ist beachtenswert, denn im Rahmen der Anthropologi­schen Gesellschaften, welche damals gegründet wurden, konnte sich die Ethnologie nur schwer und sehr langsam - im Gegensatz zu den anderen Disziplinen, die hier vertreten waren, wie Ur- und Frühgeschichte, aber auch Physische Anthropologie - als eigenstän­dige Wissenschaft behaupten. So dauerte es in Wien bis in die 1920er Jahre hinein, ehe ein eigenes Museum für Völkerkunde (1928) und ein Lehrstuhl für Ethnologie (1929), also alle Institutionen, welche die Professionalisierung der Ethnologie ermöglichen konnten (vgl. FEEST 1995), geschaffen wurden.4

Allerdings hatte Bastian von Anfang an mit einem besonders gravierenden Problem zu kämpfen, das war der akute Platzmangel. Bereits 1869, im Gründungsjahr der Ber­liner Anthropologischen Gesellschaft, als Bastian seinen Dienst im seit 1856 bestehen­den "Neuen Museum" antrat, war es so. Hierzu meint VIRCHOW (1886: [355])5: "Schon bald nach dem Antritt des neuen Directorats wurde es fühlbar, dass die an sich sehr ungünstigen Räume der ethnologischen und prähistorischen Sammlung insufficient

3) So auch in Wien, wo 1806 auf Wunsch von Kaiser Franz 1. 230 ethnographisch bedeutsame Objekte der Cook-Sammlung von Leopold von FichteI, Beamter im k.k. Hof-Naturalienkabinett, in London ange­kauft worden waren. Damals war zwar von "Ethnographischer Sammlung" die Rede, aber es fand keine wis­senschaftliche Beschäftigung mit ihnen statt. Eine weitere Sammlung zu dieser Zeit ist die von Joseph Nat­terer. 1817 hatte Kaiser Franz 1. seine Tochter Leopoldine mit dem späteren Kaiser von Brasilien, Dom Pedro 1., verheiratet. Dies war der Ausgangspunkt für eine bedeutsame Sammlung ethnographischer Gegenstände aus Brasilien. - Nach Wien brachte der Stab der Fregatte Novara weitere Ethnographika von einer ab 1857 unter der wissenschaftlichen Betreuung der Akademie der Wissenschaften durchgeführten Erdumsegelung (s. www.oeaw.ac.at). Die Novara-Expedition, ein Unternehmen der österreichischen Marine unter der Ägide von Erzherzog Ferdinand Max, diente vor allem nautischen, handelspolitischen und naturwissenschaftlichen Zielen. Dr. Carl Ritter von Scherzer wurde damals mit der Knüpfung von Kontakten mit überseeischen Län­dern beauftragt. Ziel war die Gründung einer Kolonie oder eines Stützpunktes (vgl. RIEDL-DoRN 2001: 161). Scherzer, der zum offiziellen Leiter des wissenschaftlichen Stabes ernannt worden war, wurde von Ärzten, Botanikern, Zoologen, einem Maler und Photographen begleitet. Aber auch die aus der Novara-Expedition mitgebrachten Objekte, welche in einem provisorischen Museum untergebracht werden mussten, sind erwäh­nenswert: 7000 Exponate wurden präsentiert. Sie konnten erst nach Vollendung des wissenschaftlichen Novara-Werkes (1876) in die Sammlungen der kk Hof-Kabinette aufgeteilt werden. Alle erwähnten Samm­lungen bildeten ab 1928 den Grundstock des Wiener Museums für Völkerkunde (s. http://www.ethno­museum.ac.at).

4) Es sei hier nur an die Lage in Wien zur damaligen Zeit erinnert. Dank einer finanziellen Unterstüt­zung der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7) für die von mir im Jahre 2005 durchgeführte Archivarbeit über "Die Anfänge der Ethnologie in Wien" war es möglich, einen guten Einblick in die Sitzungen und Ver­sammlungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien zu erhalten. In diesen Sitzungen wurde ab 1870 bis 1877 immer wieder von der Suche nach einem geeigneten Raum für die Unterbringung der Bibliothek und vor allem der zahlreichen von den Forschern zugesandten oder mitgebrachten Objekte berichtet (dazu auch HEINRICH 1996). Dank der Archivarbeit konnten die verschiedenen Phasen der provisorischen Unterbringung dokumentiert werden, so z.B. die Unterbringung in Räumen der Geologischen Reichsanstalt, bis hin zur Schaffung einer "Anthropologisch-Ethnographischen Abteilung" im kk Naturhistorischen Hofmuseum, dem jetzigen Naturhistorischen Museum (NHM), wodurch dieses Problem vorläufig gelöst werden konnte, ehe das Museum für Völkerkunde im Jahre 1928 eröffnet wurde (s. CHEVRON 2006).

') In eckigen Klammern angegebene Seitenzahlen verweisen auf Zitate aus den Verhandlungen der Ber­liner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, welche ab 1869 am Ende der Zeitschrift für Ethnologie veröffentlicht sind. - An dieser Stelle sei Sonja Fatouretchi für ihre wertvolle Unterstützung bei den Recherchen in der Zeitschrift für Ethnologie gedankt!

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werden würden, um auch nur eine vollständige Aufstellung, geschweige denn eine aus­reichende Betrachtung derselben zu ermöglichen ".

Aber von nun an ist Bastian mit Unterstützung der von ihm mit gegründeten Ber­liner Gesellschaft für Anthropologie die treibende Kraft, da es hier nicht mehr nur um die Etablierung des Museums, sondern überhaupt um die aus damaliger Sicht wohl wichtigste eigenständige Institution der beginnenden Ethnologie im deutschsprachigen Raum ging.

Allerdings ist ab 1886 auch im Prachtbau des Königlichen Museums fürVölkerkun­de, welcher neben der Ethnologie auch die Anthropologie und die Prähistorie sowie die Räume der Berliner Gesellschaft beherbergen musste (vgl. BOLZ 2003: 13 ff.), der Platz­mangel eine der Hauptsorgen von Bastian. Denn er sieht sich mit einer kaum zu bewäl­tigenden Steigerung des Umfangs der Sammlungen konfrontiert: 5192 Ethnographica waren im Jahre 1861 im Neuen Museum aufgenommen worden, während es im Jahre 1880 bereits 40.000 Objekte waren. Und wie man aus zahlreichen Reden und Publika­tionen erfährt, war es das Ziel, immer mehr Artefakte zu sammeln und auch die Anzahl der Sammlungen so schnell wie möglich zu vermehren.

An diese für die Ethnologie entscheidende Wende erinnert RudolfVirchow, der Mit­streiter von Bastian und Mitbegründer der Berliner Gesellschaft, in einer Rede anläss­lich des sechzigsten Geburtstags von Bastian während einer Sitzung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, wenn er sagt: "Als diese Gesellschaft gegründet wurde, war Bastian einfacher Directorial-Assistent an dem nor­dischen oder vaterländischen Museum und an der unter demselben Directorat stehen­den ethnologischen Abtheilung. Als er nach dem Tode des verdienten v. Ledebur selbst Director wurde, begann er alsbald die Entwicklung dieser Abtheilung im culturge­schichtlichen Sinn; staunend haben wir es verfolgt, wie es ihm gelungen ist, die grössten Mittel flüssig zu machen und die ganze Erdoberfläche seiner Controlle zu unterstellen, um in den seiner Leitung anvertrauten Sammlungen ein vollständiges Quellenmaterial für die Erkenntnis der Urvölker und der aussereuropäischen Cultur­völker zu vereinigen" (VIRCHOW 1886: [355]).6

In Virchows Rede wird also auf wesentliche Verdienste von Bastian hingewiesen, wobei hier zwei Aspekte, welche diese Tätigkeit besonders treffend beschreiben, hervor­gehoben werden: das ist Bastians Pragmatismus, sein "Lobbyismus", der es ihm ermög­lichte, seine Vorhaben zu finanzieren (vgl. GOTHSCH 1983: 44 ff.; s. auch STEINEN 1905: 248), aber auch seine wissenschaftliche Absicht, ein möglichst vollständiges umfassen­des Quellenmaterial für die Erforschung aller Kulturen der Welt zusammenzutragen.

Das Sammeln für die Wissenschaft: praktische und ethische Aspekte

Bastians bisweilen äußerst vehemente Appelle und Aufforderungen, um die Sam­meltätigkeit anzuregen, sind Ende des 19. Jahrhunderts oder auch Anfang des 20. Jahr­hunderts nichts Außergewöhnliches. In der ersten Phase der Institutionalisierung der Ethnologie als akademisches Fach bilden neben den möglichst umfangreichen und detailgetreuen Reisebeschreibungen die Ethnographica das wichtigste Quellenmaterial für die Forschungsarbeit. So werden hauptsächlich quantitative Kriterien - im wesent­lichen die Anzahl der Objekte bzw. die Größe und die Schnelligkeit des Anwachsens der Sammlungen - erwähnt, um den Erfolg der Sammeltätigkeit zu charakterisieren.

Bastian stellt hier zunächst keine Ausnahme dar, denn auch ihm geht es primär um die möglichst schnelle Vermehrung der Sammlungen. Bei ihm ist allerdings von beson­derem Interesse, wie er das Sammeln in einem größeren theoretischen Forschungspro­gramm eingebunden sieht und damit auch als wissenschaftliche Tätigkeit begründet (s. CHEVRON 2004)7. Es geht ihm darum, wichtige, ja einmalige Belegstücke (BASTIAN 1882: [278]) zusammenzutragen, um die Kulturgeschichte der Menschheit, das Mensch­

') Zitate werden immer in der originalen Form, also auch mit der zum jeweiligen Zeitpunkt geltenden Rechtschreibung angegeben.

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sein an sich erforschen und die Grundlagen einer vergleichenden Wissenschaft etablie­ren zu können. So findet man immer wieder in Bastians Schriften die oft leitmotivarti­ge Aufforderung, es mögen möglichst viele Menschen mitarbeiten, denn die Gefahr drohe (Ebd.: [278 ff.]), dass die Kulturen, die die Ethnologie erforschen muss, bald ver­lorengehen.

Die Gefahren, welche hier identifiziert werden, sind neben der Kolonisation auch der Tourismus, der von Bastian ausdrücklich erwähnt wird (Ebd.: [284]). So heißt es in Zusammenhang mit der "Neuen Welt" (Oregon und Alaska): "Schon wie jetzt die Nach­richten lauten, strömt es dort von Touristen, welche die letzten Originalitäten der Ein­geborenen aufkaufen, um sie als ,curios' zu zerstreuen und zu vertrödeln, ehe sie als Bausteine einer künftigen Wissenschaft den Museen haben eingefügt werden können" (Ebd.).

Die Gefahr wird hier besonders hoch eingeschätzt, weil in den ethnologischen Sammlungen das einzige Material sich befindet, welches die Dokumentierung von bedrohten Kulturen ermöglicht. Das, was verloren geht, ist - so Bastian - im Falle von schriftlosen Kulturen für immer verloren. Hierbei wird von Bastian sehr oft auf zwei Ebenen argumentiert: einerseits sind die betroffenen Völker selbst bedroht, denn: "Die Eingeborenen, wie immer, sind im Moment des Contactes mit der Civilisation, vom Todeshauch getroffen" (Ebd.: [284], s. auch [286]). Aber darüber hinaus wird damit auch klar, dass diese Völker - egal wie stark und ausdauernd nicht nur selbst physisch bedroht sind, sondern alle ihre kulturellen Erscheinungen für immer verlorengehen würden und damit für die Wissenschaft die Möglichkeit, diese Kulturen zu dokumentie­ren: "Auch hier also wieder würde sich binnen weniger Jahre das Sein oder Nichtsein wissenschaftlicher Existenz für einen Theil der Menschheitsfamilie entscheiden" (Ebd.).

Die Verpflichtung, welche aus dieser Erkenntnis der Ethnologie erwächst, wird von ihm immer wieder in Büchern oder in öffentlichen Reden, aber auch in den Sitzungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft erwähnt. So heißt es etwa 1894: "Eine jede Generation arbeitet an dem Pensum, das ihr zugefallen ist, und der unserigen ist gebie­terisch die Pflicht auferlegt, die ethnischen Originale zu sichern und zu bewahren, um nicht von dem Geschichts-Tribunal mit dem Vorwurfe getroffen zu werden, dass durch die Schuld säumiger Nachlässigkeit kostbarste Documente der Menschheitsgeschichte zu Grunde gegangen seien, die später keine Macht der Welt zurückbringen vermag, weil es dann eben ,zu spät' ist. Und da dieser Mahnruf niemals genugsam wiederholt werden kann, sei es auch bei dieser Gelegenheit zurückgerufen, ein Hülfegesuch an Alle, die helfen können und wollen" (BASTIAN 1894: [518]).8

Und Bastian wird es nie müde, sowohl bei der Sammlung des Materials selbst wie auch bei dessen Verarbeitung nach Hilfe zu suchen, denn es "wird nichts willkommener sein, als freundlich gewährte Unterstützung durch gelehrte Schulmänner in Verarbei­tung des heimgebrachten Materials" (BASTIAN 1882: [285]). Besonders die Hilfe aus Nachbardisziplinen wie der Geographie und die Notwendigkeit, die Mitarbeiterzahl zu erhöhen, werden hervorgehoben (BASTIAN 1885: [38]).

In manchen Schriften, wie z.B. im Text einer Rede über die Haida vor der Berliner Gesellschaft im Jahre 1882, wird allerdings das verzweifelte Engagement von Bastian

') Aus diesem Grund unternimmt er selbst neun große Reisen um die Welt, die insgesamt 25 Jahre dau­ern, wobei er 1905 während einer großen Forschungsreise auf der Insel Trinidad in Westindien stirbt. Obwohl Bastian der Hauptproponent bei der Gründung der großen Institutionen des Faches in Deutschland gewesen ist (vgl. FIEDERMUTZ-LAUN 1970; 1990) und er bereits ab 1859 danach strebte, "die ethnologisch relevanten Gedanken zu einem eigenen Lehrgebäude zu verarbeiten" (FIEDERMUTZ-LAUN 1970: 110), verbrachte er viel Zeit damit, das empirische Material, das eine der Hauptgrundlagen für die Ethnologie darstellen sollte, zu sammeln, mit dem Ziel, einen Querschnitt durch die zu dieser Zeit bekannten Kulturen der Welt zu gewin­nen.

S) Bastians Bücher tragen oft eine Widmung an die Sammler, so z.B. "Allgemeine Grundzüge der Eth­nologie" im Jahre 1884 auf der ersten Seite in großen Buchstaben: "Den Arbeitern auf ethnologischen Sam­melfeldern, der hilfreich zutretenden Förderung derselben und ihrer Hilfe zur rechten Zeit". Als weiteres Beispiel sei der Titel vom ersten Band aus "Ideale Welten in Wort und Bild. Ethnologische Zeit- und Streit­fragen nach Gesichtspunkten der indischen Völkerkunde" (1892) erwähnt, mit dem Sondertitel "Reisen auf der vorderindischen Halbinsel im Jahre 1890 für ethnologische Studien und Sammlungszwecke".

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offenbar, als er auf die Dringlichkeit, bisweilen aber auch auf die Aussichtslosigkeit des Unterfangens hinweist, da schon so viele Kulturen von der Zivilisation zerstört worden seien. 9

In den Reden vor der Anthropologischen Gesellschaft, welche seit 1869 in den Ver­handlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte erscheinen und später am Ende der Zeitschrift für Ethnologie abgedruckt wurden, wird immer wieder auf den Verlauf und auf die Erfolge der Sammeltätigkeit im allgemeinen und im speziellen auf die nach und nach einlangenden Sendungen von Objekten hinge­wiesen: "Bis jetzt sind drei Sendungen angefügt, eine neue so eben angelangt, und die grässte noch unterwegs. Statt einiger verirrter Stücke, des bisherigen Bestandes von unserem, dem ältesten der Ethnologischen Museen, haben wir jetzt hunderte von Num­mern (bald bis an 1000) zum Überblick, und mit jeder derselben fast verknüpft sich eine lange Reihe neuer Ideenverkettungen, die allmählich zur systematischen Verarbeitung zu kommen haben, nach einander (in den nächsten 100 Jahren, oder so)" (BASTIAN 1882: [287]).

Zunehmend wird allerdings auch auf den richtigen Umgang mit den gesammelten Objekten und auf die Notwendigkeit einer Systematisierung und Professionalisierung hingewiesen: "Aber zugleich wird zu bedenken sein, ob dergleichen hochwichtigste Interessen auch ferner noch von reinem Zufall abhängig bleiben dürfen, oder ob nicht vielmehr ohne jeden Verzug die näthigen Vorkehrungen zu treffen seien für das der Eth­nologie jetzt vielleicht noch, später aber nicht (und dann nie) mehr Beschaffbare" (Ebd.). So werden die zur damaligen Zeit oft zu kurzen Aufenthalte zum Zweck des Sammelns kritisiert und längere Aufenthalte gefordert. Aus diesem Grund werden unter anderen Helfern die Missionare genannt. Denn es geht um die "Ideenassoziatio­nen" und allgemein um den "Gedankengang des Naturmenschen" (BASTIAN 1885: [38 f.]). Hierbei ist von "Lauschen" die Rede. Man würde heute vom "Verstehen-Wollen" sprechen.

Bereits zu dieser Zeit waren sich die Ethnologen über die Bedeutung des Sammelns nicht einig. So kam es dazu, dass die Beschäftigung von Bastian bisweilen sogar von Zeitgenossen mit Ironie als etwas übertrieben und monomanisch eingeschätzt wurde. So spricht sich Heinrich Schurtz (1863-1903) ab 1891 immer wieder gegen die in seinen Augen einseitige Sammeltätigkeit von Bastian aus. In seiner Abhandlung "Die Speise­verbote" aus dem Jahre 1893 nimmt er eindeutig gegen Bastians "Sammelmethode" Stellung und kritisiert hierbei dessen einseitigen "Induktionismus" (s. DucKs 1996: 21 ff.). Begründet wird diese Kritik allerdings mit einer Forderung, welche von Bastian selbst stammen könnte, da Schurtz meint, dass neben der beschreibenden Völkerkunde nun der vergleichenden Völkerkunde der Vorrang gegeben werden soll. Diese Forderung findet man fast ausnahmslos auch in allen Schriften von Bastian.

Einige Aussagen von Schurtz sind zweifelsohne darauf zurückzuführen, dass der erst 1863 geborene Schurtz in einer gewissen altersbedingten Gegenposition gegenüber dem älteren, in der damaligen deutschen Ethnologie tonangebenden Bastian stand. Darüber hinaus mag das hier als Methodenstreit angelegte Streitgespräch mit Bastian auch auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass Schurtz ein Schüler und Wegbegleiter von Friedrich Ratzel (1844-1904) war. Ratzel, der Begründer der Anthropogeographie und Autor einer dreibändigen Völkerkunde, führte zwischen den Jahren 1882 und 1893 eine erbitterte Kontroverse gegen Bastian im Namen einer geisteswissenschaftlichen historisch-geographischen Richtung der Ethnologie. Ratzel bekämpfte vor allem Basti­ans Vorstellung von der Umwelt wie auch von der Anpassung im Entwicklungsprozeß. Sein größterVorwurf war methodischer Natur, da er Bastian seine zu große Nähe zu den Naturwissenschaften vorwarf (s. CHEVRON 2004: 102 ff.). Auf diesen Methodenstreit

9) So erwähnt er das Aussterben von zahlreichen Gruppen und zitiert Gibbs' verzweifelten Ausspruch: "they all died within three weeks" (BASTIAN 1882: [286]). Darüber hinaus sind seine Beschreibungen der Fol­gen der Kolonisation in Oregon sehr düster, wenn er von den zahlreichen "Zersetzungsprozessen" spricht. An anderer Stelle spricht er von der "heranziehenden Katastrophe". Denn "Bei dem Überblick der von 1850­1880, in ungefähren Intervallen von 10 zu 10 Jahren, unternommenen Reisen trafen die accumulierend gestei­gerten Progressionen fortschreitender Zerstörung mit schmerzlicher Überraschung" (BASTIAN 1882: [291]).

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195 REISEN UND SAMMELN AUS WISSENSCHAFTLICHER ÜBERZEUGUNG

werde ich weiter unten erneut eingehen, weil er für die vorliegende Fragestellung wesentlich ist und die Angriffe gegen Bastian sich auf diese unterschiedliche Auffas­sung von Wissenschaft zurückführen lassen.

Schurtz, der selbst Museumsethnologe war10, nahm nicht grundsätzlich gegen jede

Sammeltätigkeit Stellung, sondern nur gegen Bastians "übertriebene" Vorgangsweise. Bei näherer Betrachtung betraf der einzige wirklich haltbare - und auch gravierende­Kritikpunkt, den Schurtz gegen Bastian vorbrachte, die tatsächlichen Erfolge der Eth­nologie als vergleichende Wissenschaft: Mit einem Wort, Schurtz wirft Bastian vor, dass er seine Forderungen bisher überhaupt nicht oder kaum umgesetzt hat und dass er über das Sammeln nicht hinausgekommen ist.

So ungerechtfertigt diese Vorwürfe gegen Bastian aus theoretischer Sicht auch sein mögen, sie spiegeln Bastians eigene Sorge wider. Denn in dieser Zeit bringt Bastian wiederholt zur Sprache, dass das bisweilen unsystematische Sammeln zu einem Pro­blem werden kann, wenn die immer zahlreicher werdenden Objekte zum Teil redundant sind und oft von unterschiedlichen Menschen zu verschiedenen Zeiten, losgelöst von ihrem jeweiligen Bedeutungszusammenhang, gesammelt wurden, so dass man sie nicht einordnen kann. Daher plädiert auch er für das systematische Sammeln. Im Jahre 1880 wird der Ruf Bastians nach ethnologisch geschulten Reisenden von vielen Ethnologen als Notwendigkeit betrachtet und ist sicher als Zeichen für eine festgestellte Fehlent­wicklung zu betrachten (s. auch DUCKS 1996: 48 f.). Dennoch sind diese Argumente für Bastian nie ein Grund gewesen, an der Richtigkeit des gewählten Weges zu zweifeln.

Für die Wissenschaft stellt sich aber mit der Zeit immer häufiger die Frage nach ihrer eigenen Rolle, wobei unbedingt zu klären wäre, was eine Rettungsaktion wie die von Bastian bewirkt, ob sie ethisch zu verantworten ist und ob dadurch wirklich etwas gerettet werden kann oder unter Umständen die Entwicklung dadurch nicht eher beschleunigt wird. Für Bastian lag die Antwort klar auf der Hand, denn in seinen Augen hatte der Ethnologe zur damaligen Zeit keine Wahl: er konnte nur mehr die infolge der Kolonisation und der bereits nach länger anhaltenden Kontakten mit der westlichen Welt eingetretenen Veränderungen und Zerstörungen feststellen. Daher sah er sich selbst ebenso wie die betroffenen Menschen machtlos. Das einzige, was der Wissen­schaftler hier machen kann, das ist, dass er die letzten Zeugnisse einer vom Untergang gezeichneten Welt dokumentiert. So liegt es doch noch eventuell in seiner Hand, etwas zu retten, das an sich als Kultur einmalig ist und auch für die Menschheit als Ganzes ein wichtiges Zeugnis abgibt - also in mehrfacher Hinsicht zumindest eine geistige Ret­tungsaktion.

Der Weg von den Kuriositätenkabinetten zu den systematischen Museumssamm­lungen war lang, aber sicher haben auf einer ersten Ebene beide Phänomene denselben Ursprung. Sammeln kann sowohl als eine individuelle Leidenschaft wie auch als eine kulturell bzw. wissenschaftlich anerkannte Tätigkeit betrachtet werden und stellt schon darum ein ambivalentes Phänomen dar. Es mag dies ein Grund dafür sein, dass es oft zu einem rücksichtslosen Zusammenraffen von Objekten von seiten der Sammler gekommen ist. Aber die Überzeugung, dass das Sammeln erste Priorität haben muss, konnte bisweilen auch bei integeren Wissenschaftlern zu einer Art Verblendung führen, so dass diese Sammeltätigkeit bisweilen von regelrechten "Raubzügen" kaum zu unter­scheiden war, wie Michel Leiris in seinem Tagebuch über die Expeditionen des anson­sten über jeden Verdacht erhabenen französischen Ethnologen Marcel Griaule in den 1930er Jahren in Afrika zu berichten weiß (vgl. LEIRIS 1934).

Grundsätzlich ging man zunächst einmal davon aus, dass man möglichst alles sam­meln sollte. Diese Forderung war dadurch begründet, dass man ganze Kulturen, von welchen alles unbekannt war, dokumentieren wollte. Hierbei wird man allerdings mit einer grundlegenden praktischen und theoretischen Problematik konfrontiert: das ist das Phänomen, welches die heutigen Museumsfachleute das "prophylaktische Sam­

10) Heinrich Schurtz wurde im Jahre 1893 auf Empfehlung von Ratzel wissenschaftlicher Assistent im neu gegründeten Städtischen Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde in Bremen (vgl. DucKs 1996: 26 ff.).

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196 MARIE-FRANCE CHEVRON

meIn" nennen würden. Letzterer Begriff weist auf die Problematik des Sammelns von zeitgenössischen Objekten hin, für welche es noch keine eindeutigen Bewertungskate­gorien gibt und daher auch keine objektiven Auswahlkriterien zu finden sind. Also ver­sucht man möglichst alles, was einem von Interesse erscheint bzw. alles, was in einer bestimmten Kultur in einem konkreten Funktions- oder Sinnzusammenhang steht, zusammenzutragen und für eventuelle spätere Forschungs- oder Dokumentationstätig­keit zu horten. Das "prophylaktische Sammeln" kann daher sehr leicht zu einem rein quantitativen Vorgehen führen, solange keine allgemein gültigen Selektionskriterien vorhanden sind. Diese sind aber von Theorien abhängig, und das stellt eine grundlegen­de Schwierigkeit der wissenschaftlichen Arbeit in diesem Forschungsfeld dar. Diese wichtige theoretische Frage wird heute etwas vernachlässigt, würde aber sehr wohl unsere volle Aufmerksamkeit verdienen

Hierbei müssen sich die ethnologischen Museen, welche selbst zeitgenössische Objekte sammeln, immer mehr mit der Frage beschäftigen, wie sie einerseits Objekte aus der Vergangenheit aufbewahren und diese in einem geographisch oder logisch sinn­vollen Zusammenhang dem breiten Publikum zugänglich machen, während anderer­seits sehr viele Forschungsfragen aus finanziellen und personellen Gründen nicht gelöst werden können. Die Institution Museum wird als ein riesiges Archiv und Dokumenta­tionszentrum immer mehr ein Ort sein, welcher für die sachgerechte Aufbewahrung und Konservierung, aber auch die wissenschaftliche Einordnung der gesammelten Objekte zuständig ist. Jedoch wird es darüber hinaus - in Interaktion mit anderen Forschungs­und universitären Einrichtungen - nur dann zur Erforschung der dahinter liegenden theoretischen Fragen etwas beitragen können, wenn hier finanzielle wie auch gesell­schaftliche Prioritäten im Bereich der Forschung geschaffen werden.

Stellenwert des Sammelns in Bastians Forschungsprogramm: der wissenschaftliche Auftrag

In seiner Lehre der Elementar- und Völkergedanken hatte Bastian den Versuch gemacht, die theoretischen und methodischen Voraussetzungen der Ethnologie als "naturwissenschaftliche Psychologie" zu entwerfen. Es handelte sich hier um ein grö­ßeres wissenschaftliches Programm, welchem er sich ab 1860 bis zu seinem Tod im Jahre 1905 widmete. Die Herausforderung bestand darin, die kulturelle Vielfalt in einem grö­ßeren wissenschaftlichen Zusammenhang mit der seitWaitz (1859) allgemein anerkann­ten physischen und psychischen Einheit der Menschheit zu betrachten und zu erklären.

In seinem gesamten Forschungsprogramm ging es ihm immer sowohl um die Klä­rung der universellen Grundlagen des Menschseins als auch um die kulturelle Entwick­lung als evolutionär bedingtes, aber auch historisches Phänomen. Daher fand er es not­wendig, sich mit dem Denken und der Sprachbildung, aber auch mit dem Phänomen der Gesellschaftsbildung und der höheren kulturellen Entwicklung in einer Zeit zuneh­menden "Welt- und Völkerverkehrs" (BASTIAN 1900) auseinander zu setzen. Zur Klä­rung des Zusammenhangs zwischen den Universalien des Menschseins (als elementare Strukturen des Denkens, des Verhaltens oder der Phänomene), die er Elementargedan­ken nennt, und den vielfältigen kulturellen Erscheinungen, das sind die Völkergedan­ken, forderte Bastians einen multidisziplinären Zugang (s. CHEVRON 2004).

Bastian ist in seinem gesamten Werk darum bemüht, die Arbeit der Ethnologie für alle diese Bereiche genau zu definieren (vgl. BASTIAN 1884; 1893c u.a.m.). Aber entschei­dend für den Fortschritt der wissenschaftlichen Arbeit waren in seinen Augen ein neuer Zugang und eine Methode, welche in der Zeit zuvor von einer rein deduktiven und spe­kulativen Vorgangsweise geprägt war. Ähnlich wie die Physiologie eine neue Ära der Medizin eingeleitet hatte, wollte er "jetzt die Ethnologie auf psychologischer Grundla­ge" etablieren. Denn das Sammeln sollte nicht als "l'art pour l'art" betrieben werden, sondern im Hinblick auf eine höher stehende wissenschaftliche Aufgabe erfolgen: "Indem sich mechanische Vorrichtungen, wie der Bogen, die Schleuder, das Wurfbrett u.s.w. gleichartig (unter den Bedingungen der geographischen Provinz) auf den ver­schiedensten Theilen der Erde wiederholen, prägt sich darin das, dem Erfinder unbe­wusste Walten mechanischer Gesetze dem Verständnisse ab" (BASTIAN 1884: XXX)ll.

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Und diese geistigen Aspekte gilt es für die Ethnologie in erster Linie herauszubekom­men, besonders für ihre "psychisch-comparative Richtung".

Daher ging es ihm im Sinne eines ersten Schrittes vor allem darum, die Aufgaben der Ethnologie als empirische Wissenschaft zu definieren (BASTIAN 1882: [292]). Da Bastian vom absoluten Primat der empirischen Arbeit vor der Theorie ausgeht, plädiert er für eine naturwissenschaftlich-empirische Forschungstätigkeit. Für die Ethnologie darf und soll es daher am Anfang nur darum gehen, ethnographische Tatsachen und empirisches Material in allen möglichen Bereichen zu sammeln und für sich sprechen zu lassen. In diesem Sinn sagt er 1882: "Nur das thatsächliche Material mag als beschei­dener Baustein verbleiben, wenn an richtiger Stelle eingefügt, wogegen die prätentiö­sen Theorien (alter Ethnologie und anderer Logoi) in eitel Luft verpuffen werden" (Ebd.: [297]; s. auch BASTIAN 1893a: [318]).

Die vergleichenden Analysen, deren Voraussetzung die induktiv-empirische Arbeit ist, sind in seinen Augen erst bei möglichst vollständigem Material erfolgversprechend: "Je mehr Material dann vorliegt, desto besser für comparatives Studium" (BASTIAN 1882: [290]), wenn auch Bastian hier darauf hinweist, dass praktisch nur den ersten Sammlungen zu trauen ist, da unter den späteren viele "Nachahmungen" oder sogar "Fälschungen" zu finden sind. Aber immer auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Arbeit des Sammelns später gar nicht mehr möglich sein wird, muss sie Priorität haben. Denn "... wenn zu Grunde gegangen, ehe ihre Typen noch in den Ethnologischen Museen fixiert [sind], wird dann auf immer in dem statistischen Überblick des Globus eine unausfüllbare Lücke klaffen und die Arbeit der Induktion erschweren. Für diese bedarf es der Tatsachen, als erstes Material zur Fundamentierung, für schriftlose Völker also der ethnologischen Sammlungen" (Ebd.: [278]).

So sah sich Bastian dank seiner Stelle als Direktor des Königlichen Völkerkunde­museums in der Lage, die schon in früheren Jahrhunderten begonnene Sammeltätigkeit nicht nur weiterzuführen, sondern sie auch als Grundlage einer systematisch zu erfol­genden wissenschaftlichen Arbeit einzusetzen. In Deutschland war die durch Bastian intendierte und auch verwirklichte Verankerung der Ethnologie in einem eigenen Museum die Voraussetzung für die Etablierung des Faches: so sollte die Sammlung, Katalogisierung und Pflege der Objekte zu einer Pflicht für den ethnologischen Nach­wuchs werden (vgl. PFEIL 1978; CHEVRON 2004). Die Ethnographica in den Museen soll­ten es den Wissenschaftlern ermöglichen, ihrer Forschungstätigkeit auch zu Hause nachzugehen. Und alle großen Ethnologen waren zur damaligen Zeit - zumindest in irgendeiner Phase der Ausbildung - auch in den Museen zu finden, wie z.B. Boas, Schurtz, Thurnwald u.a.m. Wichtige theoretische Ansätze - so Z.B. die Kulturkreislehre - beschäftigten sich mit der Verteilung der kulturellen Erscheinungen, insbesondere der Objekte, im Raum und die durch Kulturkontakte hervorgerufenen Entlehnungen und Veränderungen.

Das Sammeln war also für Bastian Teil eines theoretischen und methodischen Kon­zeptes, und auch eines Programmes, das es bedingungslos zu erfüllen galt, ehe die eigentliche anspruchsvolle wissenschaftliche Arbeit beginnen konnte. Denn für ihn befindet sich die Ethnologie im ausgehenden 19. Jahrhundert noch in einem "Vorberei­tungsstadium" (BASTIAN 1893c: 189), weil sie ihre Gegenstände noch sammeln und sichern muss. In vielen theoretischen Schriften geht Bastian davon aus, dass für die

11) Auch wenn Bastian sich bisweilen eines evolutionistischen Wortschatzes bediente, welcher dem damaligen Zeitgeist und dem allgemeinen Wissensstand entsprach, war er ein erbitterter Gegner des speku­lativen Evolutionismus, also von nicht naturwissenschaftlich überprüfbaren Theorien und Vorstellungen einer unilinearen kulturellen Entwicklung in Entwicklungsstufen sowie auch sozialdarwinistischer Ansätze. Dennoch beschäftigte er sich mit evolutionstheoretischen Ansätzen, da er für eine multidisziplinär arbeiten­de Ethnologie plädierte. In diesem Zitat, das - wie viele Schriften von Bastian - in keinem besonders klaren Deutsch vorliegt, wird die Werkzeugentwicklung thematisiert. Diesen Zugang findet man bei späteren Eth­nologen wie Leroi-Gourhan oder auch in der modernen Evolutionären Erkenntnistheorie wieder: hier wird die Entsprechung zwischen einer konkreten Umwelt und der durch diese Umwelt hervorgerufenen Reaktion und geistigen Verarbeitung beschrieben, d.h. dass als eine bestimmte Form der Anpassung an die Umwelt in gleichen Umwelten ähnliche Werkzeuge entstehen. Hierbei werden auch besonders die kognitiven Aspekte im Sinne einer evolutionären Psychologie angesprochen (s. auch CHEVRON 2004).

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meisten ihrer Aufgaben die Ethnologie auf die Zusammenarbeit mit anderen Wissen­schaften bzw. auf deren Ergebnisse angewiesen ist (BASTIAN 1884: VIII, XXIII; 1893c u.a.m.). Nur für das Sammeln derVölkergedanken, das die ureigenste Domäne der Eth­nologie darstellt, arbeitet diese weitgehend eigenständig.

Das Hauptziel war es, Vergleiche zwischen den verschiedensten Kulturen der Welt zu ermöglichen. Für den Vergleich, um Ähnlichkeiten und Unterschiede - sprich Gesetz­mäßigkeiten oder historische Zufälligkeiten - feststellen zu können, bedarf es einer systematischen Arbeit. Diese besteht jedenfalls in einem ersten Schritt darin, das gesammelte Material zu ordnen: Bastian spricht von "Sammelbüchern" oder nach einer ersten systematischen Klassifizierung von "Lehrbüchern" (BASTIAN 1884: XIV f.).

Daher verlangt Bastian (Ebd.: 125) ein "geduldiges Zuwarten", eine "sorgsameVor­bereitung" , "ein leidenschaftslos ruhiges Hinschauen" und den Verzicht auf die Aufstel­lung neuer aufregender Theorien bei jeder Einzelheit, also ein Sammeln, das fernab jeder Sensationssuche das für nachfolgende Forschungen notwendige Material einfach bereithält. In diesem Zusammenhang findet man bei ihm auch eine sehr kritische Grundeinstellung zu den bisherigen Wunderkabinetten: " ... und statt das Publikum durch sensationelle Neuigkeitsberichte aufzuregen, wie sie ein jetzt mächtigster Strom ethnologischer Entwicklung in jedem Augenblick in Hülle und Fülle birgt, wird die ... Tatsache, so lange eine für sich isolirte, besser einfach registrirt, ad notam genommen, für fernere Verwerthung; dann eben, wenn der Zeitpunkt der Reife dafür gekommen, in Vervollständigung der allgemeinen Uebersicht" (Ebd.).

Das Hauptproblem war also, dass diese Vorgangsweise in vieler Hinsicht für die zeitgenössische Ethnologie einem Verzicht gleichkam. Jede frühzeitige Interpretation der Daten wurde von Bastian verurteilt. Die Dokumentationsarbeit, das Niederschrei­ben von "monographischen Studien" und das Sammeln von "einfachen Objekten" (vgl. BASTIAN 1893c: 20,56 f.) sind erste Priorität. Das in Bastians Augen höhere Ziel der Eth­nologie als "naturwissenschaftliche Psychologie", welche mit der heutigen kognitiven Anthropologie verwandt ist, rückte damit zwar in weitere Ferne, war aber das zu errei­chende Ziel. Fürs Erste ging es aber vor allem darum, möglichst schnell, genau und umfangreich zu sammeln, um Vergleiche zu ermöglichen, da Analogien und TYpen erst durch den gegenseitigen Vergleich von einer genügend hohen Anzahl von Objekten und Zeichnungen usw. zustande kommen können (BASTIAN 1878: [96 ff.]).

Bastians Haltung im Hinblick auf den von ihm eingeschlagenen Weg ist extrem, denn er meint: "Dass wir von der Ethnologie vorderhand gar Nichts wissen, noch Nichts wissen können und dürfen im Sinne naturwissenschaftlicher Induction, das lehrt doch wahrlich ein einziger Blick auf die Karte und Abwägen des ethnologischen Dilettan­tismus gegen klassische Gelehrsamkeit (der hier als voranleuchtendes Muster nachzu­streben ist mit ihren Jahrtausenden der Forschungsarbeiten) verglichen mit dem Jahr­zehnt der Ethnologie" (BASTIAN 1882: [296]).

Um sein Vorhaben schnell voranzutreiben, ging Bastian von einer notwendigen "Arbeitsteilung" zwischen den Wissenschaften aus, da "ein Jeder mit bestem Wissen und Wollen" (BASTIAN 1893b: 9, 95) beitragen sollte. Dass der Ethnologie hierbei mit dem Sammeln der Völkergedanken eine klar abgegrenzte Aufgabe zugeteilt wurde, wurde allerdings von anderen zeitgenössischen Wissenschaftlern als starke Einengung und Verhinderung der wissenschaftlichen Arbeit gesehen (vgl. DucKs 1996: 70 ff.). In diesem Sinn ist auch Schurtz' Kritik von Bastians induktiver Vorgangsweise zu verste­hen: Heinrich Schurtz, der selbst Museumsethnologe war, kritisierte hierbei vor allem die Tatsache, dass Bastian noch nicht in der Lage war, zu den eigentlichen Vergleichen und zu den Elementargedanken zu gelangen, und daher immer nur sammelte, statt zu vergleichen. In diesem Punkt blieb Bastian in der Tat sehr standfest. So ist die in DUCKS (Ebd.: 69) zitierte Kritik von Schurtz an Bastians Vorgangsweise, nämlich dass das " ... bloße Nebeneinander der Thatsachen, auf das es in Bastians Arbeiten schliesslich hin­auskommt, ... über den Mangel tieferen Eindringens nicht hinweghelfen " kann, zwar gerechtfertigt, aber was hiermit festgestellt wird, war auch von Bastian beabsichtigt.

Was in den Augen von manchen zeitgenössischen Kollegen Bastians allerdings noch bedenklicher war, das war die von Bastian verlangte Offenheit gegenüber den Ergebnis­

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sen anderer, vorwiegend naturwissenschaftlicher Disziplinen. Denn die empirische For­derung beschränkte sich bei Bastian nicht bloß auf Ethnographica und symbolische Manifestationen des sozio-kulturellen Lebens, sondern er verlangte auch das Heranzie­hen der Psychophysik zur Erforschung der Elementargedanken und der Ökologie, um das Werden der Völkergedanken zu dokumentieren. In diesem Zusammenhang wurde von ihm eine multidisziplinäreVorgehensweise gefordert, da es darum ging, die komple­xen Wirkungsfaktoren in ihrer Wirkungsweise und ihren Wechselwirkungen auszuma­chen, und diese sollten nicht nur von der Ethnologie allein, sondern von verschiedenen Wissenschaften erforscht werden können.

Denn in Wirklichkeit geht es wohl nicht um die Frage, ob gesammelt werden soll oder nicht, sondern um die scheinbare Ausschließlichkeit, mit welcher Bastian sein Werk vorantrieb. In vielen Belangen ist dieser Streit aber auch ein historischer Streit, in welchem Wissenschaftstraditionen aufeinander prallen, denn mit genügendem Abstand stellt sich heraus, dass Bastians Aufforderung zu einer naturwissenschaft­lichen Vorgangsweise zumeist missverstanden blieb, weil nicht gesehen wurde, dass er die induktiv gewonnenen Ergebnisse nicht als letzte Aussage für sich stehen ließ, son­dern eine Überprüfung durch Deduktion verlangt, "um genaueste Kontrolle zu üben" (vgl. BASTIAN 1893c: 67). Bastians Misstrauen gegenüber der Deduktion ist darauf zurückzuführen, dass er in ihr den Nährboden für unkritische und willkürliche Speku­lationen sieht (Ebd.: 39). Sehr wertvoll, aber verkannt bleibt bis heute seine Vorstellung, dass erst in Zusammenhang mit der Induktion die Deduktion eine neue Bedeutung erhalten kann, da sich beide gegenseitig ergänzen müssen. Bastian ging es deshalb neben dem Einsatz der vergleichenden Methode auch um die Verschränkung und gegen­seitige Kontrolle von Theorie und Praxis: "Hier wurde die Vorstellung verankert, wie die Ethnologie als empirische und theoretische Wissenschaft mit ihrem Material umgehen und welche Ziele sie verfolgen sollte. (.. .) Diese Vorstellung von Bastian zeigt, wie hoch er den Stellenwert von einer profunden und interdisziplinär ausgelegten geisteswissen­schaftlichen Durchdringung wichtiger wissenschaftlicher Fragestellungen einschätzte, da er ihr die Kontrollfunktion zuwies" (CHEVRON 2004: 250).

SchIussbetrach tungen und Ausblick

Die eingehende Beschäftigung mit Bastians Reise- und Sammeltätigkeit gibt einen Einblick in jene grundlegenden Fragen, welche zur Entstehungszeit der Ethnologie gestellt wurden. Und an diesem zunächst eher banal anmutenden Thema wird auch bereits die große Bandbreite der methodologischen und theoretischen Fragestellungen sichtbar. Abgesehen von den an sich interessanten idiographischen Aspekten, welche wichtige historische Entwicklungen und ethische Überlegungen aufzeigen, werden hier auch einige Forschungsfragen, die für die heutige Ethnologie immer noch relevant sind, gestellt.

Die erste wichtige wissenschaftliche Frage betrifft den Stellenwert des Sammelns in der ethnologischen Forschung. Diese Frage war zunächst einmal methodologischer Natur, da es für die beginnende Ethnologie im 19. Jahrhundert vor allem darum ging, ihre Forschungstätigkeit als wissenschaftliche Arbeit zu definieren. Für Bastian stand fest, dass die Wissenschaften vom Menschen, insbesondere die Ethnologie, sich nicht mehr auf frühere Spekulationen über die menschliche Kultur und deren Entwicklung stützen konnten, sondern dass ein Umdenken im Bereich der Methodologie stattfinden müsse. Zu dieser Zeit stellten neben Reisebeschreibungen die bereits bestehenden Sammlungen von Ethnographica die wichtigste empirische Grundlage zur Erforschung der Kulturen der Welt dar. So waren denn die Museumssammlungen im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert Orte der Forschung und der akademischen Lehre.

Methodologisch ist also auch die Frage nach dem Stellenwert von gesammelten Objekten in der ethnologischen Forschung zu stellen. Diese Frage ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Früher basierten viele große theoretische Ansätze einzig und allein auf den Erkenntnissen, welche man aus dem Studium und dem Vergleich der Ethnogra­phica in den Museen zog. Sowohl im anglosächsischen Raum wie auch in Deutschland

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waren die Museumsethnologen in der ethnologischen Forschung führend. Die kultur­vergleichenden Rekonstruktionen der Kulturkreislehre sind ein gutes Beispiel dafür, da "sie [die Kulturkreislehre] vorwiegend auf der Bearbeitung und Auswertung des ethno­graphischen Materials in den Völkerkundemuseen beruhte" (PFEIL 1978: 10 f.). Hierbei ist die Tatsache von Interesse, dass Bastians Einsatz auch hier eine nicht geringe Rolle spielte, denn sogar seine Gegner, z.B. W. Schmidt, mussten seine Sammeltätigkeit aner­kennen, da dank dieser wertvolle Dokumente im Museum aufbewahrt wurden. So haben auch Graebner und Ankermann, welche 1904 vor der Berliner Anthropologischen Gesellschaft zwei wichtige Vorträge zur Demonstration der systematischen Anwendung der kulturhistorischen Methode hielten, sich hierbei auf die "sehr umfangreiche Mate­rialsammlung des Königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin" ,wo sie Assistenten waren, gestützt (s. Ebd.: 10 f.).

Aber auch in der nordamerikanischen Kultur- und Sozialanthropologie und in der britischen Schule war die Museumsarbeit die Voraussetzung für die Entstehung neuer Methoden und theoretischer Ansätze (SEVERI 2002: 77 ff.). Wichtig war hier besonders die Vorstellung, dass Objekte der "materiellen Kultur" stabiler als sprachliche Erzeug­nisse sind und daher eine Rekonstruktion der menschlichen Entwicklung dank dieser Objekte möglich sei, während weitere kulturelle Formen schnell in Verlust geraten. Diese Idee findet man bei vielen Wissenschaftlern wieder, so Z.B. bei Leroi-Gourhan in Frankreich u.a.m. (s. CHEVRON 2001: 77 ff.). In diesem Zusammenhang wird die aus the­oretischer Sicht grundlegende Frage nach dem Wesen von Objekten als "Realisierungs­formen ", "Objektivationen" oder "Materialisierungen" von zugrundeliegenden "Ten­denzen" oder psychologischen Mechanismen behandelt. Dass dieser Aspekt auch aus heutiger Sicht eine wichtige Forschungsfrage darstellt, liegt auf der Hand.

Bastians Haltung und seine theoretischen Überlegungen waren hier allerdings insofern richtungsweisend, weil alle Kriterien, welche in den Ansätzen späterer For­scher zu finden sind, schon bei ihm vorhanden waren. So ging es Bastian nicht nur um die Verbreitung und die Ausprägung von Objekten, sondern vor allem auch um den kul­turellen Vergleich, wobei - das ist aus heutiger Sicht besonders wichtig - dieser Ver­gleich im Sinne einer "naturwissenschaftlichen Psychologie" stattfinden sollte. Wenn Bastian von "naturwissenschaftlicher Psychologie" spricht, so meint er eine streng induktive Vorgangsweise und einen multidisziplinären Ansatz unter Heranziehung der Psychologie sowie einer Reihe anderer - zumeist naturwissenschaftlicher - Fächer. Heute findet man diese Ansätze in der kognitiven oder visuellen Anthropologie wieder.

Abschließend sei auch im Hinblick auf die methodischen Aspekte darauf hingewiesen, dass in der historischen Ethnologie - so z.B. in der Ethnohistorie - die ethnographischen Objekte aus den Museumssammlungen einfach auch als Quellen betrachtet werden, wobei sie oft nur in ihrer jeweiligen funktionellen Einbettung in einem gesamtkulturellen und historischen Zusammenhang zu verstehen sind. Diese Betrachtungsweise geht zumeist von sich ergänzenden Zugängen aus, wobei die Objek­te eine Quelle neben anderen darstellen. Allerdings wurde dieser Zugang zur kul­turellen Wirklichkeit vom Initiator der Kulturkreislehre selbst, von Leo Frobenius, der während insgesamt 12 großer Forschungsreisen auf dem afrikanischen Kontinent Objekte und Material für alle deutschen Museen sammelte, kritisiert. Denn Museen und historische Ausstellungen betrachtet Frobenius als "Nekropolen", die dem Leben kaum gerecht werden können (CHEVRON 2004: 154 ff.). Später wurde diese Idee von Bau­drillard mit dem Konzept der Museifizierung und von Adorno mit der Idee des Muse­ums als Mausoleum aufgegriffen (vgl. STURM 1991: 20 ff., 48 ff.). Man findet, dass diese Reflexion bei Vertretern der heutigen Ethnohistorie unterschwellig weiterhin eine Rolle spielt. So z.B. bei WERNHART - ZIPS (1999), welche auf die Gefahr derVerobjektivierung des Lebens durch das Sammeln und die Beobachtung aufmerksam machen: "Ihre Sub­jektivität [der Fremden] verschwand regelmäßig hinter der an die gelebte Wirklichkeit angelegten Schablone", und die Sorge um die Folgen der Sammeltätigkeit wird thema­tisiert: "Mit dieser ,Ordnungsmanie' steht die Distanzierung des forschenden Subjekts zu seinem Objektbereich in engem Zusammenhang" (Ebd.).

Hier wird mit dem heutigen Hintergrund der Ethnologie als Kultur- und Sozial­anthropologie argumentiert, und es wundert daher nicht, wenn Methoden und Ansätzen

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der Vorzug gegeben wird, welche das soziale und kulturelle Leben besser zu erfassen helfen, ohne allerdings der Frage nachzugehen, welcher Stellenwert dem materiellen Bereich zukommt, um eine Kultur wirklich verstehen zu lernen.

Dieses Thema setzt eine vertiefte philosophische Reflexion voraus, welche aber in diesem Rahmen zu weit führen würde. Überlegungen dieser Art dienen jedoch als wich­tige Grundlage für alle weiterführenden methodologischen und theoretischen Arbeiten über den Umgang der Ethnologie mit dem vorhandenen Wissen der Museen wie auch über die Aufgaben jeder Sammeltätigkeit, und damit auch über den Stellenwert und die wissenschaftliche Bedeutung von Objekten in Museen (s. auch CHEVRON 2000).

Literatur

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Anschrift der Verfasserin: Univ.-Doz. Dr. MARIE-FRANCE CHEVRON, Institut f. Kultur- und Sozialanthro­pologie, Universität Wien, Universitätsstr. 7, A-IOI0 Wien (Email: [email protected]).