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Das Magazin für die Pflege .05/15 Das Fachmagazin für Praxis, Ausbildung, Management und Wissenschaft im Bereich der Gesundheits- und Krankenpflege | 7,– | November 2015 | ISSN 1726-7250 pflegenetz Care & Crime: Dem Wesen der Pflege auf der Spur Angelika Zegelin im Interview www.pflegenetz.at 5. und 6. november 2015 | austria center vienna 15 Inklusive Nachlese zum

05/15 pflegenetz · Ich habe einen Magisterabschluss in Erziehungswissenschaften gemacht. Anfang der 80er Jahre gab es noch keine Pflegewis-senschaft, sonst hätte ich das ja studiert!

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Das Magazin für die Pflege

.05/15

Das Fachmagazin für Praxis, Ausbildung, Management und Wissenschaft im Bereich der Gesundheits- und Krankenpflege | € 7,– | November 2015 | ISSN 1726-7250

pflegenetz

Care & Crime: Dem Wesen der Pflege auf der SpurAngelika Zegelin im Interview www.pflegenetz.at

5. und 6. november 2015 | austria center vienna

15Inklusive Nachlese zum

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MAILEN SIE MIR IHRE MEINUNG: [email protected]

Interkulturalität

Das Interkulturelle Miteinander in Pflegeberufen ist, Ihre Nachtigall schrieb hier schon darüber, eine Erfolgsgeschichte. In den 1970er Jahren kamen vie-le Kolleginnen und Kollegen aus den Philippinen in österreichische Pflege-einrichtungen, oder leisteten ihre Arbeit in Krankenhäusern – und überall brauchte man diese Menschen und die professionelle Arbeit, die sie taten, dringend. Heute kommen Kolleginnen und Kollgen aus Tschechien, der Slo-wakei und anderen Ländern und sind unter anderem in der 24-Stunden-Personenbetreuung tätig.

Die Teams sind multi- bis interkulturell, und das, worüber man andernorts immer noch diskutiert, längst Selbstverständlichkeit: auf Weihnachtsfeiern gibt es Buffets mit und ohne Schweinefleisch, Österreicherinnen und Öster-reicher kosten indische, vietnamesische, indische Küche, und die Baklava, die Ihre Nachtigall in allerhand Nachtdiensten und zum Kaffee genießen durfte und genießt, hat Kultstatus – ebenso der türkische Kaffee auf man-chen Abteilungen, der dort genauso beliebt ist, wie italienischer Espresso.

Seit eh und je übersetzen Kolleginnen und Kollegen aus nichtösterreichi-schen Ländern, wenn es in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen Bedarf daran gibt. Im Rahmen von Pflegeausbildungen und -studien ist Interkul-turalität ebenfalls längst Programm. Aus der Lehre und Studiengängen ist Trans- und Interkulturalität seit Jahren, um nicht zu sagen, seit Jahrzehnten nicht wegzudenken.

Im September wurde nun, als Flüchtende kamen, das ehemalige Geriatrie-zentrum am Wienerwald ruckzuck und in einer beispiellosen Aktion eröff-net, damit dort Unterkünfte eingerichtet wurden. Pflegende leisten bei der Ankunft von Schutzsuchenden professionelle Hilfe – und hiermit sind nur wenige Beispiele für das wertvolle Tun und Denken der Angehörigen unserer Profession genannt.Was hier in wenigen Worten nur kurz umrissen ist, ist abseits der Professi-onalität und abseits des herzlichen, für alle bereichernden Miteinanders in Teams aber noch etwas Anderes: es ist eine Geschichte der Menschlichkeit,

meint stolz und voller Hochachtung für alle, die derzeit Hilfe leisten,Ihre Nachtigall

Inhalt

coverstory >ab Seite 4

Die nächste Ausgabe des pflegenetz.magazins erscheint im Februar 2016!

Nachtigalls Polemiken

.coverstory 04> Care & Crime: Dem Wesen der Pflege auf der Spur

Angelika Zegelin im Interview

.bildung 10> Pflegelehre und Pädagogik

.extra 12> Einflussfaktoren auf Skill and Grade-Mix aus Sicht von Pflegepersonen im

basalen und mittleren Management am Beispiel der Tiroler Landeskrankenanstalten

.pflegekongress15 15> Rückblick

.care 23> Der Patientin und dem Patienten zugewandt – Pflege und

Patientenorientierung

.mobile pflege 26> Handlungsoptionen und Arbeitsper spektiven bei Kundinnen und

Kunden mit Alters depression in der mobilen Pflege

.intensiv(e)care 29> 10 Jahre Heimaufenthaltsgesetz: Bedeutung für die Gesundheits- und

Krankenpflege

.special 32> Pflege von Menschen mit intellektueller Funktionsbeeinträchtigung –

Herausforderungen für Pflegepersonen im stationären Akut- und Langzeitpflegebereich

Impressum: Herausgeberin, Medieninhaberin und Verlegerin: Medical Update, Marketing & Media GmbH, Baumeistergasse 32/5/1, 1160 Wien, T: +43.1.897 21 10, F:+43.1.897 23 88, www.medical-update.net. Anzeigenrepräsentanz: Medical Update, Marketing & Media GmbH. Anzeigenverwaltung und -koordination; Claudia Kastner-Roth, [email protected]. Art Director: Philipp M. Sandpeck, [email protected]. Fotograf: Richard Varadappa, [email protected]. Lektorat: Susanne Speigner, [email protected]. Druck: Wograndl-Druck GmbH, Druckweg 1, 7210 Mattersburg. Preis: Einzelverkauf: 7,- , Abonnement: 25,- , Abo-Bestellung unter: [email protected]. Bankverbindung: Erste Bank, IBAN: AT 882011128326410000, BIC: GIBAATWW. Verlags- und Erscheinungsort: Wien. Redaktionelle Leitung: Susanne Speigner, [email protected]. Redaktion: Claudia Kastner-Roth, [email protected], Esther Matolycz, [email protected], Brigitte Blüthl, [email protected], Martin Wallner, [email protected]. Redaktionsanschrift: Redaktion pflegenetz, c/o Medical Update, Marketing & Media GmbH, Baumeistergasse 32/5/1, 1160 Wien.Erklärung über die grundlegende Richtung (Blattlinie): Das pflegenetz.magazin versteht sich als praxisrelevantes Fachmedium, welches zu einer lebendigen, innovativen und selbstbewussten Pflege-landschaft in Österreich beiträgt. Namentlich gezeichnete Artikel, Leser/innenbriefe und sonstige Beiträge sind die persönliche und/oder wissenschaftliche Meinung der Verfasser/innen und müssen nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. Sie fallen in den persönlichen Verantwortungsbereich der Verfasser/innen. Gekennzeichnete Beiträge (AD) sowie Supplements sind entgelt-liche Einschaltungen gemäß § 26 des Mediengesetzes. Die darin enthaltenen Angaben und Aussagen liegen in der Verantwortlichkeit der jeweiligen Auftraggeber/innen. Alle Rechte vorbehalten.Nachdruck nur mit Quellenangabe und schriftlicher Genehmigung.

Unser Redaktionsteam: Es unterstützen uns:

Claudia Kastner-Roth, Susanne Speigner, Esther Matolycz, Brigitte Blüthl, Martin Wallner Philipp M. Sandpeck, Richard Varadappa

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CCare & Crime: Dem Wesen der Pflege auf der SpurAngelika Zegelin im InterviewFOTOS VON RICHARD VARADAPPA.

Liebe Frau Prof. Zegelin,wir freuen uns, dass Sie sich die Zeit für unsere Fragen nehmen!Ihr beruflicher Weg hat Sie über die Ausbildung zur Gesund-heits- und Krankenpflegerin zunächst in die Pflegepraxis ge-führt. Haben Sie gerne in der Praxis gearbeitet und was war für Sie in dieser Zeit prägend?

Ich habe sehr gern in der Praxis gearbeitet, während der Ausbil-dung und schon vier Jahre zuvor als Pflegevorschülerin. Meine Mutter war ja als Krankenschwester im Nachtdienst tätig und ich habe sie seit meinem 10. Lebensjahr oft auf der Station im Kran-kenhaus gegenüber besucht. Sie war für mich Vorbild und ich habe damals schon die Tragweite von Pflegearbeit ahnen kön-nen. Nach dem Examen habe ich in einem tollen Team auf ei-ner unfallchirurgischen Intensivstation gearbeitet – da kam alles rein, schwere Schicksale und wir kamen uns wie Lebensretter vor. Es war Ende der 60er Jahre eine der ersten Intensivstationen in Deutschland überhaupt.

Sie waren nach zwei Jahren Pflegepraxis als Pflegelehrerin tä-tig. Was war Ihnen in der Ausbildung zukünftiger Pflegeperso-nen wichtig? Wie hat sich die Pflegeausbildung seit damals ver-ändert bzw. inwiefern muss sich diese oder anders formuliert, müssen sich die in der Pflege Tätigen noch ändern?

In der Ausbildung war mir wichtig, den jungen Leuten Freude am Beruf zu vermitteln und gleichzeitig aber auch ihre Erfahrungen ernst zu nehmen. Sie wurden in der Praxis oft „verschlissen“, kaum angeleitet und ich habe daran gearbeitet, dass meine Klassengruppen ein Hort des Lernens und des Zusammenhalts war. Ab 1981 habe ich ja an der FernUni Hagen Pädagogik, Psy-chologie und Soziologie nebenberuflich studiert und viele dieser Inhalte direkt in die Pflegeausbildung eingespeist.Professionell Pflegende brauchen umfassendes und tiefes Wis-sen – damals war das noch eher eine verdünnte medizinische Schulung. Daneben habe ich dafür gesorgt, dass sich die Ler-nenden berufspolitisch engagieren und an gesellschaftlichen Diskussionen teilnehmen. Ich habe zu einigen noch Kontakt und sie meinen, bis heute „trägt“ ihre Ausbildung. Die Berufsgruppe insgesamt muss besser organisiert und politisch tätig sein.

In Österreich bewegt sich am Ausbildungssektor derzeit einiges (Ausbildung der Pflegepersonen auf Fachhochschulebene, Pfle-geassistenz und Pflegefachassistenz). Wie stehen Sie dazu und wie ist die Situation in Deutschland?

Keine Frage: die Akademisierung ist dringend notwendig und ich gehöre mit zu den ersten, die das in Deutschland umge-setzt haben. Wir brauchen das gesamte Programm, universitäre Karrieren usw., damit sich das auf den verschiedenen Ebenen durchsetzt. Pflegearbeit ist differenziert, natürlich braucht nicht jeder ein Studium – aber es muss eigentlich gelingen, die Pro-file zu beschreiben und in der Praxis nebeneinander zu imple-mentieren. Die Bedarfe der Klientinnen und Klienten sind höchst unterschiedlich, ich war ja Mitglied in der Werkstatt „Pflege neu denken“ (Robert-Bosch-Stiftung), da haben wir neue Zuschnitte entworfen. In Deutschland wird in der Praxis noch alles durch-einander geworfen, aus Not gibt es immer mehr Hilfsqualifi-kationen, die Profis arbeiten nur noch verwaltend. Das ist der falsche Weg, leider denken Verwaltung und Politik immer noch, Pflege ist eine Arbeit, die jeder machen kann. In allen Entschei-dungsgremien fehlen Menschen mit Pflegesachverstand. Die Pflegeberufe sind zu schwach und zu freundlich, um Einhalt zu gebieten. Zur Zeit werden die Bachelorabsolventinnen und -absolventen einfach in das übliche „Hamsterrad“ integriert, es gibt kaum Konzepte und Handlungsspielraum, die Pflege anders zu gestalten. Die Vorgaben in Krankenhäusern und auch in der Langzeitpflege machen die berufliche Pflege kaputt.

Ihre Hochschulausbildung haben Sie erst relativ spät – wenn man das so sagen darf... – begonnen. Was genau haben Sie stu-diert und was war Ihre Motivation dazu, sich für dieses Studium und diese Fächer zu entscheiden?

Ich habe einen Magisterabschluss in Erziehungswissenschaften gemacht. Anfang der 80er Jahre gab es noch keine Pflegewis-senschaft, sonst hätte ich das ja studiert! So ging es einigen meiner Kolleginnen und Kollegen, man musste anders studieren oder ins Ausland gehen – gemeinsam haben wir uns dann daran gemacht, die Pflegewissenschaft aufzubauen. Die engere Moti-vation war aber eine einjährige Weiterbildung zur „Unterrichts-

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schwester“ und „Pflegedienstleitung“ zusammen – da habe ich gemerkt, dass dies überhaupt nicht ausreicht. Ich habe wirklich noch die Zeiten miterlebt, in denen vor allem Halbwissen und Anpassung vermittelt wurden, ich habe noch Häubchen und Ser-vietten falten gelernt und wie man sich als „Schwester“ richtig hinsetzt.

Ein großes Thema in Ihrer Laufbahn war die Bettlägerigkeit, worüber Sie auch Ihre Dissertation geschrieben haben (Ab-schluss 2004). Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen, wel-che Konsequenzen konnten aus Ihrer Forschungsarbeit gezogen werden und welche Ergebnisse haben heute noch, internatio-nal betrachtet, Bedeutung?

Bettlägerigkeit – zunächst war das für mich ein Sprach- oder De-finitionsproblem. Anfang der 90er Jahre ist mir klar geworden, dass eine Profession sich auch sprachlich zeigt, dass nicht jeder reden kann, wie ihm „der Schnabel gewachsen ist“. Eigentlich läuft alles über Sprache. Um im Unterricht Pflegeforschung zu vermitteln, habe ich einfach die gängigen Lehrbücher irgendwo aufschlagen lassen und wir haben Fragen an das Thema formu-liert (vieles waren überkommene Rituale, bis heute).Ich war erstaunt, dass Bettlägerigkeit nicht als Thema vorkam, das hat mich angeregt, „der Sache auf die Spur zu kommen“. Ich habe ja auch einen Hang zu Krimis und Ermittlungen und kam mir vor wie ein Detektiv. Insgesamt zeigt dies, wie lange die Pflege durch die Medizin und andere Bereiche bestimmt war. Um eigene Konzepte zu klären, stehen wir erst am Anfang.Ich konnte zeigen, wie Bettlägerigkeit entsteht und vor allem, dass Ortsfixierung der entscheidende Zwischenschritt ist. Inzwi-schen sind die Ergebnisse vielen bekannt und es wird an Präven-tionsmaßnahmen gearbeitet. Ich habe dazu zig Veröffentlichun-gen gemacht, hunderte von Vorträgen gehalten und Interviews gegeben. International bin ich die erste, die diesen Prozess ge-klärt hat – ich stehe mit der Scientific Community zu diesem Thema in Verbindung.

Gab es nach Ihrer Dissertation noch weitere Forschungen mit diesem Schwerpunkt?

Ich habe mehrere Praxisprojekte in Altenheimen in den letzten Jahren gemacht, dort bestätigten sich die Ergebnisse und wir konnten weitere Einflussfaktoren auf die Immobilisierung iden-tifizieren. In Implementierungsprojekten greifen wir dann Ein-flussfaktoren auf. Es zeigt sich (wie immer), dass menschliches Verhalten komplex ist und von unterschiedlichen Gegebenheiten abhängt. In der Folge der Dissertation habe ich Masterarbeiten betreut, begleite Doktorarbeiten, Teile meiner Ergebnisse sind in die Umsetzung des Expertenstandards Mobilitätsförderung ein-geflossen, auch in Forschungen zur Kontrakturprophylaxe, zur Zeit berate ich noch Altenheime.

Neben der Bettlägerigkeit ist auch die Patientenedukation einer Ihrer Schwerpunkte / ein Steckenpferd. Wird über Patientenedu-kation gesprochen, so ist der Name „Zegelin“ nicht mehr weg-zudenken. Was liegt Ihnen hierbei ganz besonders am Herzen?

Informieren, Beraten und Schulen sind für mich Kernaufgaben der Pflege. Eigentlich ist dies mein wichtigster Schwerpunkt: die „sprechende Pflege“. Mich ärgert, dass die Pflege immer nur als eilige Handarbeit (Waschen, Essen eingeben,...) wahr-genommen wird – dabei sind die Pflegeberufe am dichtesten an den Klientinnen und Klienten dran! An wen sollen sich denn Ratsuchende wenden? Ich wünsche mir sehr, dass dieser Bereich endlich aufgewertet wird. Die Arbeitsbedingungen sprechen da-gegen: es bleibt immer weniger Zeit und ich weiß auch, dass viele Pflegende kaum sprechen und Patientenkontakte kürzen.

Gibt es Ihrerseits Vorschläge für die Pflegepraxis, damit Gesprä-che (Information, Schulung und Beratung) noch mehr als pfle-gerische Tätigkeit angesehen wird? Wenn wir zusammen in einer großen „Bewegung“ diese Berei-che deutlicher machen, darauf bestehen, Dokumentieren (auch

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den Mangel), Konzepte entwickeln, für Gespräche eintreten und dies als unverzichtbaren Teil von Pflegearbeit reklamieren, wäre schon etwas gewonnen. In Ausbildung/Studium wird einiges vermittelt, aber in der Praxis gibt es zu wenige Möglichkeiten. Außerdem ist Forschung nötig: welche Ergebnisse zeigen eine gute Pflege, eine menschenwürdige Begleitung. Ich würde auch die Patientinnen, Patienten und Angehörigen bitten, ihre Erfah-rungen öffentlich zu machen.

Zahlreiche Ehrungen und Preise wurden Ihnen verliehen, u.a. wurden Sie 2013 mit dem Pflegepublizistikpreis geehrt? Wie kamen Sie zu dieser Ehre und was bedeutet Ihnen dieser Preisß

Naja, ich lese gern und schreibe gern – dieser Preis bedeutet mir viel, vor allem auch wegen der tollen Laudatio von Jürgen Georg, dem Lektor des Huber Verlages.

Ein Wimmelbild... das kennt man in Österreich nicht unbedingt. Was können Sie uns dazu erzählen?

Wimmelbild… das ist ein Wandbild mit Impulsen aus Geschich-te und Gesellschaft – man kann stundenlang davor sitzen und entdeckt immer etwas Neues beim Betrachten. Die Künstlerin-nengruppe Neocortex hat es auf meinen Wunsch hin geschaffen – es hängt in vielen Einrichtungen: Kliniken, Arztpraxen, Alten-heimen, öffentlichen Gebäuden und auch Privat.

Vor allem wird es genutzt zur Biografiearbeit in der Langzeitpfle-ge, einzeln oder in Gruppen können daraus verschiedene The-menpfade aufgegriffen werden. Der Hintergrund ist entstanden aus meiner Idee der Klinikspaziergänge1, das ist etwas, um Kran-kenhauspatienten einen interessanten Laufweg zu eröffnen, mit Kunst, Informationen, Natur. Das Wimmelbild kann Teil davon sein. Inzwischen gibt es auch thematische Spaziergänge, etwa zum Thema Hoffnung, da habe ich in den letzten Jahren viel gemacht. Zur Zeit entwickle ich einen Spaziergang zu Freude/Lachen, zusammen mit Comedians. In Österreich habe ich zu all diesen Themen bisher noch keine Einladung, da müsste etwas

Passendes neu entwickelt werden. Alle diese Projekte werden von einem kleinen Verein administriert: www.stiftung-pflege.de.Ein anderes Projekt in diesem Zusammenhang fängt allerdings in Österreich langsam an zu wachsen: die angehörigenfreundli-che Intensivstation. Dieses Projekt habe ich mir Mitte der 90er Jahre überlegt, in Deutschland sind fast 200 Stationen zertifiziert und auch in Österreich kommen immer wieder neue dazu.

Es hat sich herumgesprochen, dass Sie in den – mit Sicherheit wohlverdienten – (Un)Ruhestand gehen. Wie geht es Ihnen da-mit? Welche Pläne, Vorhaben gibt es, für die Sie sich dennoch weiterhin einsetzen werden? Was werden Sie am meisten ge-nießen? Was werden Sie am meisten vermissen?

Ich bin froh, im Ruhestand zu sein – immerhin war ich fast 50 Jahre Vollzeit berufstätig, immer mit zusätzlichem Engagement – dazu kommen die ganzen nebenberuflichen Qualifikationen und eine ausgeprägte Familienarbeit, ein großer Freundeskreis. Ich habe viele Hobbys, die sind immer zu kurz gekommen, da möchte ich mehr machen... z.B. malen, gärtnern, evtl. auch sch-reiben. Ich falle bestimmt nicht in ein Renterloch, ich mache ja auch einiges weiter…Vorträge oder Gremien. Neu engagieren möchte ich mich in der Flüchtlingsarbeit, durchaus auch halb-beruflich.Es ist ja noch frisch, im Moment fühlt es sich noch an wie Urlaub, ich muss dringend meinen Aktivitätspegel runterfahren, etwas für meine Gesundheit tun mit Bewegung und Entspannung. Ich vermisse nichts und genieße zur Zeit, morgens eine Stunde län-ger zu schlafen und überhaupt die Freiheit, alles selbst zu ge-stalten.

Welche Verbindung haben Sie zu Österreich – in Bezug auf die Pflege- und Gesundheitswissenschaft?

Ich würde meine Verbindung zu Österreich als gut bezeichnen. Sehr gerne habe ich die Gastprofessur an der Universität in Wien bekleidet, danach habe ich dort einige Abschlussarbeiten be-

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treut. Ich habe immer wieder Einladungen erhalten für Vorträge, z.B. in Vorarlberg und auch oft Zuschriften aus Österreich be-kommen. Die Kolleginnen und Kollegen aus Hall/Tirol kenne ich aus unserer Zusammenarbeit in der internationalen Hochschul-gruppe ENNA. Ich finde es beachtlich, was Österreich aufgeholt hat an Professionalisierung der Pflege, was die Grundausbildung bedeutet, durchaus im Vorbeimarsch an Deutschland.

Was gefällt Ihnen an und in Österreich?

Ich fühle mich wohl in Österreich, ich mag die Städte und die Landschaften und vor allem die Menschen. Ich bin immer herz-lich aufgenommen worden. Österreich ist für mich eine eigen-artige Mischung aus Wehmut, Leichtigkeit und Eleganz.

Wie würde sich Angelika Zegelin als Privatperson beschreiben?

Das ist schwierig. Ich hab das ja versucht in meiner Pflegever-fügung (Patientenverfügung Zegelin2). Ich denke, ich bin recht vielseitig.3

„Abgeführt...“ 4 – das wissen vielleicht viele nicht – war der Titel eines Krimis, an dem Sie mitgewirkt haben. Denken Sie daran, noch einmal so etwas zu tun? Was war/ist Ihre Moti-vation dazu?

Ja... die Krimis... ich verschlinge sie geradezu. Der Krimi „Abge-führt“ entstand in der Zusammenarbeit mit Sabine Walther und Hermann Coelfen, erschienen im Huber-Verlag. Sabine und ich saßen an unserer Doktorarbeit, hatten also eigentlich anderes zu tun. Trotzdem hat es soviel Spaß gemacht, dass wir noch ein zweites Buch „Bettflüchtig“ gemacht haben... passend zu meiner Dissertation.Wenn ich mich ausgeruht habe, kann ich mich mit Schreiben befassen, ich denke an ein Kinderbuch, an Biografisches oder Reiseliteratur, aber auch ein Krimi ist nicht ausgeschlossen. Es gibt ja nichts Spannenderes als das Leben selbst!

Reisen Sie gerne und wenn ja, gibt es eine Lieblingsdestination?

Reisen ist für mich lebenswichtig, mehr als ein Hobby. Es hat über viele schwierige Situationen im Leben hinweggeholfen. Abschal-ten, andere Eindrücke gewinnen – ich war fast in allen Erdteilen unterwegs.Es gibt keine Lieblingsdestination, im Gegenteil, Neues entdecken war wichtig – zu gucken, was ist hier, wie leben die Menschen, wie ist das geworden. Getrieben hat mich immer die Erfahrung, dass es überall in der Welt um das Gleiche geht, Frieden, ein we-nig Auskommen, privates Glück. Wenn ich zurückkomme, schätze ich mein Zuhause und unsere Lebensbedingungen, besonders als Frau. Inzwischen bevorzuge ich aber Wärme und Ausruhen, an-strengende Rundtouren müssen nicht mehr sein.

Gibt es ein Motto, das Sie begleitet?

Es gibt mehrere Mottos, wir verändern uns ja auch. Mir gegen-über, hier beim Schreiben, steht im Rahmen ein Spruch, der begleitet mich seit 50 Jahren, eine chinesische Weisheit:Baue Dein Haus am Weg,damit Du weise wirstdurch die Menschen.

Noch ein paar Worte zum Schluss....

Zum Schluss... Ich bin dankbar für mein Leben. Wir alle haben Glück in Mitteleuropa zu sein, viele Jahre in Frieden, Freiheit und finanzieller Sicherheit. Die Pflegeberufe sind gesellschaftlich un-verzichtbar: wir sollten stolz sein auf unseren Beruf und dies in politische Kraft ummünzen – zum Wohle der steigenden Zahl von pflegebedürftigen Menschen.

Vielen herzlichen Dank für das Interview und mit den besten Wünschen für alles was noch kommt!

Das Interview wurde von Susanne Speigner geführt.

_______________________

1 Bspw.: http://www.stiftung-pflege.info/page4/files/klinikspazier-gang%20Text%20Zegelin.pdf

2 http://www.uni-wh.de/gesundheit/pflegewissenschaft/department-pflegewissenschaft/patientenverfuegung/patientenverfuegung-von-dr-angelika-zegelin/

3 Ein Portrait über Angelika Zegelin „Lehrmeisterin mit AHA-Effekt“ von Brigitte Teigeler ist 2015 in Die Schwester Der Pfleger, 54(9), 1-5 erschienen.

4 http://www.pflege-wissenschaft.info/pflegethemen/335-pflege-journal/rezensionen/60585-

> Zur Person

Prof. Dr. Angelika ZegelinGeb. in Dortmund, Diplomierte Pflegeperson, Pflegewissenschaftlerin, Fachbuchautorin, Zahlreiche Publikationen und Vorträge. Bis 2015 tätig als Pflegewissenschaftlerin und Curriculums-Beauftragte im Institut für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke, Deutschland.Arbeitsschwerpunkte: Entwicklung von Pflege-wissenschaft, Aufbau einer pflegeorientierten Patienten- und Familienedukation, Interaktion in der Pflege, Sprache und Pflege; Praxisentwick-lung, Aktivitäten im Bereich Demenz, Prävention von Bettlägerigkeit.www.angelika-zegelin.de.

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Der Aufsatz, auf den ich mich beziehe, wurde 1991 veröffent-licht, hat wohl aber – und meines Erachtens nicht nur immer noch sondern gerade wieder – Aktualität. Zunächst erklärt der deutsche Erziehungswissenschaftler Heitger, es solle durch das Fragezeichen „die Selbstverständlichkeit, mit der das Lehrersein der Pädagogik als verbindlichem Zweck zugeordnet ist, in Fra-ge gestellt werden“, denn, so Heitger weiter, es wäre ja nicht grundsätzlich auszuschießen, dass ein pädagogischer Auftrag gar nicht mehr zeitgemäß sei, wenn nämlich Schule „wirklich-keitsnahe in den Dienst genommen werden muß, für den nöti-gen Output zu sorgen hat, damit die Gesellschaft wirtschaftlich und ökonomisch gesichert ist (…)“ (Heitger, 1991, S. 49).

Anders und mit Blick auf die Pflege gefragt: bleibt neben allem, was an Kompetenzen zu vermitteln ist, damit es in der Praxis der Pflege klappen kann, überhaupt Zeit für die Wahrnehmung eines pädagogischen Auftrags im Rahmen von Pflegelehre, und wenn ja, welcher wäre das?Unter Bezugnahme auf die Haltung des Sokrates, der Misstrauen gegenüber der Einstellung, „dass es pädagogisch darauf ankä-me, den jungen Menschen lebenstüchtig zu machen, damit er im Staat hohe Ämter erhalte (…)“1, (Heitger, 1991, S. 50) hegte, entfaltet Heitger schließlich die Frage, ob es den Lehrenden um Bildung oder um Ausbildung gehe (Heitger 1991), wobei mit Bildung dann eben das gemeint ist, was über die Vermittlung von unmittelbar Verwertbarem hinausweist.

Heitger skizziert zunächst die Position, es gebe letztlich eine ein-deutige Bestimmung der pädagogischen Aufgabe, nämlich (und er spricht hier nicht von beruflicher, sondern von schulischer Bildung von Kindern – den Schritt zur Pflegeausbildung möch-te ich im Anschluss tun) sei sie als „Hilfe zur Selbsthilfe (…), interpersonale Ansprache in Aufforderung und Aufklärung, in Ermutigung aber auch in wertender Stellungnahme (…)“(Heit-ger, 1991, S. 52) zu verstehen, und dies in Form eines intraper-sonalen Umgangs. Für die Pflegebildung würde das also bedeu-ten, dass es neben der Vermittlung „fachlicher“ Kompetenzen auch darum geht, an der „Bildung“ des, wenn man so möchte,

gesamten Menschen mitzuwirken, und zwar in dem Sinn, dass er entscheidungsfähig(er) wird, sich Überblick verschaffen, sich eine Meinung bilden und letztlich Werte entwickeln kann. Dass dies nur in Form eines intrapersonalen Umgangs geschehen kann, meint, dass diese Art der Bildung im Miteinander, dass sie dialogisch geschieht. So entwickeln sich etwa soziale Kom-petenzen nicht, indem man sie „vorträgt“ und in Lernunterla-gen als solche ausweist, sondern im Rahmen von Interaktion, im Miteinander, man könnte auch sagen, an der Beziehung: im Fragen, im Miteinander-Sprechen, im In-Dialog-Treten.

Weiter aber, und damit gelangt Heitger nun zu einer Überle-gung, die „eine Überwindung des Gegensatzes von Bildung und Ausbildung“ anbiete: das, was Bildung neben der Ausbildung ausmache, das könne eben nicht unabhängig von der Zeit, in der sie geschehe und von den Aufgaben, zu deren Bewältigung gebildet werde, geschehen: „Niemand kann gebildet genannt werden, der sich den Aufgaben und Ansprüchen der Zeit ent-zieht (…). (…) Alle Bildungsbemühungen in der Entfaltung des Geistes, der kritischen Urteilsfähigkeit, der theoretischen und praktischen Vernunft, der Ästhetik und Geschichte sind an kon-krete Aufgaben gebunden. Sie müssen aufgegriffen werden, gleichzeitig aber muss an ihnen und mit ihnen das Denken und Urteilen, das Entscheiden und Verantworten sich bilden kön-nen“ (Heitger, 1991, S. 52f.), die Aufgabe der Lehrerin bzw. des Lehrers sei und bleibe Menschenbildung, die allerdings in der „Erfüllung gesellschaftlicher Herausforderungen der Gegenwart zu besorgen“ sei (Heitger, 1991, S, 53).

Was könnte das nun konkret für die Pflegeausbildung, für die Lehre in der Pflege bedeuten?Zunächst ist man (und wird es zunehmend sein) eben mit Zeit-knappheit konfrontiert – es gilt und wird weiter gelten, vieles und das in kurzer Zeit zu vermitteln. Weiter setzt sich der Trend in Richtung Modularität fort, man ist mit Lernzielen auf unter-schiedlichen Ebenen konfrontiert, was ein wenig auch einer Häppchen- und Portionslogik folgt, die vielleicht mitunter Ge-fahr läuft, dass der Blick aufs Ganze verloren geht bzw. Quer-

PPflegelehre und PädagogikVON ESTHER MATOLYCZ.

Mit der Ausbildung des gehobenen Dienstes auf Ebene der Fachhochschule werden sich nicht nur die Berufsbilder in dessen Umfeld (etwa: von der Pflegehilfe zur Pflegeassistenz) ändern, sondern auch deren Ausbildung. Wird der geplante Entwurf der Novelle beschlossen, dann wird es somit – was die Pflegeassistenz betrifft – gelten, im Rahmen von Pflegebildung in verhältnismäßig kurzer Zeit ein teils neues Bündel an Kompetenzen zu vermitteln. Die Lehre im gehobenen Dienst kennt mit Etablierung der Pflegeforschung bzw. Evidenzbasiertheit längst schon die Einbettung von in diesem Kontext gefragten Fähigkeiten und Fertigkeiten. Kurz: wo Pflegende mehr „kön-nen“ müssen, dort wird auch mehr gelehrt. Vor diesem Hintergrund soll – unter Rückgriff auf einen Text Marian Heitgers – die Frage nach dem Stellenwert des „Pädagogischen“ in der Pflegelehre betrachtet werden. Ist näm-lich, fragt Heitger, eine Lehrerin bzw. ein Lehrer auch eine Pädagogin bzw. ein Pädagoge?

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bezüge nicht (mehr) hergestellt werden können. Andererseits ist Fallarbeit (siehe z.B. Hundenborn, 2007), und hier die Prob-lemorientierung (Darmann, 2004) ein sich immer weiter etab-lierendes Instrument der Pflegebildung, das gerade dazu ange-tan scheint, eine (weitere) Herausbildung des (Nach-)Denkens, Urteilens und Entscheidens leisten zu können. Möglicherweise sind nun zwei Dinge von großer Bedeutung – ich möchte sie auf Grundlage von Überlegungen der Pflegedidaktikerin Ingrid Darmann zeigen.

Es ist zunächst, so Darmann, davon auszugehen, dass komplexe Pflegesituationen „einer Deutung bedürfen, wobei diese Deu-tung aufgrund einer Vielfalt möglicher Deutungen stets unsicher ist und die erlangte Deutung mit den Patienten und anderen an der Pflege Beteiligten ausgehandelt werden muss“ (Darmann, 2004, S. 461). Dies erfordert die Erlangung – und damit Befähi-gung – zu einer Expertise, die es möglich macht, quasi im Han-deln das eigene Tun zu reflektieren und dann weiter im Handeln selbst eine „intuitive Alternativinterpretation“ (ebd., S. 463) zu finden bzw. zu bieten, die sich im Handelnden auf Grundlage des eigenen Empfindens herausbildet. Dies freilich kann dort, wo die Pflegelehre an der Entwicklung dieser Expertise mitwir-ken soll, auch als Aufruf, sie als Dialog zu gestalten, der die Fähigkeit, auf ganze bestimmte Art zu fragen (und schließlich zu reflektieren) vermittelt, verstanden werden.

Darmann entfaltet diese Überlegungen nun weiter vor dem Hintergrund unterschiedlicher Modelle zur Entwicklung von Handlungsexpertise und plädiert für ein Pflegehandeln, das auch intuitive Anteile hat, indem sie ein interaktionistisches Pflegeverständnis zugrunde legt. Sie tut dies in bewusster Ab-grenzung zu einem „reduktionistischen objektivistischen Pfle-geverständnis“, das (besonders unter Rezeption des Konzepts der evidenzbasierten Pflege) den Eindruck der Möglichkeit einer „technizistischen“ Deutung (Darmann, 2004, S. 461) entstehen lassen könnte.

Nun sollen auch Auszubildende und Studierende der Pflege um die Grenzen dessen, was einerseits so richtig wie wichtig ist (der Rückgriff auf empirisch gesicherte Daten nämlich), wissen: sie wären dort erreicht, wo in ihrer allein „technizistischen“ Anwen-dung etwas aus dem Blick zu geraten droht. Es gilt demnach, sich professionellem Pflegehandeln nicht allein fragend, son-dern auch hinterfragend zu nähern – und hier, vielleicht, liegt ein Teil des explizit pädagogischen Auftrags, den Pflegelehre zu leisten hat: nicht allein zu Expertinnen und Experten, sondern auch zu Expertinnen und Experten, welche auch den Blick darü-ber und dahinter wagen und wagen können, zu bilden.

_______________________

1 Anm.: womit hier etwas, das heute wohl mit „Qualifikation“ oder „Funktionieren“ übersetzt werden könnte, gemeint ist.

> Literatur

Darmann, I. (2004). Problemorientiertes Lernen. Transfer durch Erweiterung von Situationsdeutungen. PrInterNet. Zeitschrift für Pflegewissenschaft, 5, S,461-467.

Heitger, M. (1991). Der Lehrer als Pädagoge? In A. Schirlbauer (Hrsg.), Lehrer sein heute. (S. 49-63). Innsbruck, Wien: Tyrolia Verlag.

Hundenborn, G. (2007). Fallorientierte Didaktik in der Pflege. Grundlagen und Beispiele für Ausbildung und Prüfung. München: Elsevier.

> Zur Person

Mag. Esther Matolycz DGKS, Publizistin; Studium der Päda go gik mit Schwerpunkt Berufs pädagogik des Gesund heits wesens, besondere Nähe zur Geriatrie.

WundmanagementBeginn: 29. Februar 2016Abschluss: Zertifikat / Akademische/r Wundmanager/in (2-stufig)Dauer: 1 Semester / 2 SemesterGebühr: EUR 2.850,- / EUR 4.100,-

Donau-Universität Krems E-Mail: [email protected]: +43 (0)2732 893-2746www.donau-uni.ac.at/pflegewissenschaft

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Einerseits ist im Rahmen der demographischen Entwicklung in Österreich eine steigende Lebenserwartung bei einem gleich-zeitigen Rückgang an Personen im Berufsleben zu verzeichnen. Andererseits leiden die Menschen in Österreich zunehmend an chronischen Erkrankungen, was den Bedarf an professionellen Pflegekräften steigen lassen wird (Rappold, 2012; Rappold, Rot-tenhofer, & Aistleithner, 2011).

Vor diesem Hintergrund rückt der Begriff Skill and Grade-Mix in den Vordergrund. Der optimale Qualifikationsmix ist die zentra-le Herausforderung in der effizienten Gestaltung der Arbeit der Pflegeberufe (Brandstätter et al., 2011). Skill-Mix wird beschrie-ben als „die unterschiedlichen Berufserfahrungen und individu-ellen Fähigkeiten (das Können) der Mitarbeitenden. Unter Gra-de-Mix werden die unterschiedlichen offiziellen Ausbildungen und Zusatzausbildungen (Nachdiplomstudien) der Mitarbeiten-den verstanden“ (Abt et al., 2007, S. 5).

Das Ziel der durchgeführten Masterarbeit ist die Darstellung der Sicht der Personen, die in der täglichen Arbeit des institutio-nellen Pflegedienstes die meisten Berührungspunkte mit dem Thema Skill and Grade-Mix haben.

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde ein quantita-tives Querschnittsdesign gewählt. Es wurde eine Multicenter-Querschnitt-Erhebung in den vier Tiroler Landeskrankenhäusern durchgeführt.

Dabei wurden die Stationsleitungen der Normalstationen mit-tels eines eigens entwickelten Fragebogens befragt (n = 98). Insgesamt wurden von den 98 ausgegebenen Fragebögen 76 (77,55 %) ausgefüllt retourniert und ausgewertet.Die Aufteilung der Grades (Vollzeitäquivalente) auf den befrag-ten Stationen ergibt insgesamt folgendes Bild:

> Diplompflegekräfte 74,5 % (n = 939)

> Diplompflegekräfte mit Studium 1, 93 % (n = 24,35)

> Pflegehelferinnen und Pflegehelfer 13,49 % (n = 170,06)

> administrative Hilfskräfte 1,31 % (n = 16,5)

> hauswirtschaftliche Hilfskräfte 6,98 % (n = 88,01)

> sonstige Personen 1,79 % (n = 22,55)

Hinsichtlich der Frage, ob sich die Stationsleitungen eine Ände-rung des Berufsgruppenmix auf ihrer Station vorstellen können, antworten insgesamt 40,8 % (n = 31) mit ja, wobei anteilsmäßig im Haus B (das Haus mit dem höchsten Anteil an Pflegehelferin-nen und Pflegehelfern) mit 71,4 % (n = 7) die meisten Leitun-gen arbeiten, die sich eine solche Änderung vorstellen können. Im Haus A (das Haus mit dem höchsten Anteil an diplomierten Pflegepersonen mit Studium und administrativen Hilfskräften) sind dies im Vergleich nur 25 % (n = 1) der Stationsleitungen.Die Änderungsvorschläge der 31 Stationsleitungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Reduktion der Anteile der diplo-mierten Pflegepersonen und hauswirtschaftlichen Hilfskräfte bei gleichzeitiger Erhöhung der Anteile der anderen Berufsgruppen (diplomierte Pflegepersonen mit Studium, administrative Hilfs-kräfte, Pflegehelferinnen und Pflegehelfer und sonstige Perso-nen).

Das Pflegesystem, das auf den meisten Stationen vorherrscht, ist das der Bereichspflege mit 45,1 % (n = 32), gefolgt von der Gruppenpflege mit 31 % (n = 22). Die Mehrheit von 42,9 % (n = 27) der befragten Stationsleitungen gibt an, die Grund- und Be-handlungspflege der Patientinnen und Patienten sind der Grund für das durchgeführte Pflegesystem.

Die Arbeitsteilung innerhalb des jeweiligen Pflegesystems funk-tioniert mehrheitlich (n = 67; 91,8 %) nach dem Prinzip „alle machen alles“. Diese Organisationsform entspricht einer „al-ten“, weil nicht Skill-förderlichen Einstellung, und orientiert sich eher an den Grades der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Brön-nimann & Vangelooven, 2009).Die Grades sind allerdings nur für 31 (40,79 %) der Stations-leitungen ein Kriterium, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzustellen (Abb. 1).

EEinflussfaktoren auf Skill and Grade-Mix aus Sicht von Pflegepersonen im basalen und mittleren Management am Beispiel der Tiroler LandeskrankenanstaltenVON HELMUT TÄUBL, DANIELA DEUFERT. FOTO VON RICHARD VARADAPPA.

Skill and Grade-Mix im Gesundheitswesen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Das Ziel der zugrundeliegenden Masterarbeit1 ist die Darstellung der Einflussfaktoren aus Sicht der Pflegepersonen im basalen und mittleren Management auf Normalstationen. Dabei zeigt sich, dass die Skills von Pflegepersonen für Neueinstellungen als wichtig eingeschätzt werden, später allerdings nicht gefördert werden. Entscheidende Fähigkeiten (Delegation, Tätigkeitsübernahme, Koordination) bzw. Voraussetzungen (Kompetenzkenntnisse) bieten großen Fortbildungs-bedarf.

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Die Koordination und Delegation von Tätigkeiten setzt die Kennt-nis der Berufskompetenzen, sowohl der eigenen als auch der anderen Berufsgruppe, voraus. Nur 28,9 % (n = 22) der Stations-leitungen geben an, dass die Berufskompetenzen anderer Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter (MA) für alle bekannt sind. Auch die eigenen Berufskompetenzen sind aus Sicht der jeweiligen Stationsleitungen nur für 47,4 % (n = 36) der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vollständig bekannt (Abb. 2).

Hinsichtlich der Bereitschaft von diplomierten Pflegepersonen, Tätigkeiten zu übernehmen oder an andere Berufsgruppen zu übergeben, geben die Stationsleitungen zu 61,8 % (n = 47) an, dass Personen dieser Berufsgruppe eine Bereitschaft zur Tätig-keitsübernahme zeigen. Bezüglich der Bereitschaft der Pflege-helferinnen und Pflegehelfern der befragten Stationen zeigt sich ein ähnliches Bild. Fast drei Viertel (n = 54; 71,05 %) der Stationsleitungen geben an, dass diese Berufsgruppe auf ihrer Station bereit ist, Tätigkeiten von einer anderen Berufsgruppe zu übernehmen.

Die Delegationsbereitschaft innerhalb dieser zwei Berufsgrup-pen wird folgendermaßen eingeschätzt:68 (89,47 %) Stationsleitungen beurteilen die Bereitschaft der diplomierten Pflegepersonen zur Delegation von Tätigkeiten als vorhanden. Auf der anderen Seite schätzen 52 (71,2 %) der Be-fragten ein, dass die Bereitschaft, Tätigkeiten an eine andere Berufsgruppe abzugeben, bei den Pflegehelferinnen und Pfle-gehelfern der jeweiligen Stationen vorhanden ist.

Zusammenfassend lässt sich folgendes festhalten:Der Personalmix in den einzelnen Häusern stellt sich mit leich-ten Unterschieden dar. Die befragten Stationsleitungen können sich allerdings mehrheitlich keine Änderung der Personalzusam-mensetzungen auf ihren jeweiligen Stationen vorstellen.Die Stationen sind, was Pflegesysteme betrifft, unterschiedlich organisiert, allerdings werden auf den meisten Stationen die Skills durch bestehende Organisationsformen wenig unterstützt. Zudem besteht großer Fortbildungsbedarf, was die Kenntnis der Berufskompetenzen betrifft. Auch die Delegationsbereitschaft bzw. die Bereitschaft zur Tätigkeitsübernahme als wesentliche Inhalte von Skill and Grade-Mix-Projekten wird seitens der Stati-onsleitungen als teilweise ausbaufähig dargestellt.Für die Neueinstellung von Personal werden die Skills wichtiger eingeschätzt als die Grades, allerdings wird darauf hingewie-

sen, dass die notwendigen Fähigkeiten innerhalb der jeweiligen Grundausbildung nur zum Teil erlernt werden.Die Befragung der Stationsleitungen erfüllt im Bereich der Nor-malstationen der Tiroler Landeskrankenanstalten zum Teil die geforderte vorbereitende Analyse des Skill and Grade-Mix vor Durchführung themenbezogener Organisationsänderungen und ist Grundlage sowohl für Projekte als auch für Fortbildungen in diesem Themenfeld.

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Abb. 1: Kriterien für die Einstellung neuer Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter

Abb. 2: Wissen der MA zu den eigenen Kompetenzen und den Kompe-tenzen anderer MA

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1 Im Rahmen der Masterarbeit von Täubl, H. (2014). Einflussfaktoren auf Skill and Grade-Mix aus Sicht von Pflegepersonen im basalen und mittleren Management am Beispiel der Tiroler Landeskrankenanstal-ten. Umit, Hall in Tirol.

> Literatur

Abt, T., Eglin, S., Geisser, R., Karrer, H.-P., Ludwig, I., Mohler, H., … & Zeugin, B. (2007). Der richtige Mix bringt´s! Handbuch für Projekte zu Skill- und Grademix im Bereich Pflege und Betreuung. Basel

Brandstätter, E., Gstettner, I., Hierzer, A., Klampfl-Kenny, M., Koller, W., Kratzer-Toth, I., … & Petek, C. (2011). Kompetenzmodell für Pflegeberufe in Österreich. Österreichischer Gesundheits- und Krankenpflegeverband, Landesverband Steiermark.

Brönnimann, S., & Vangelooven, C. (2009). Welche Berufs- und Kompetenzprofile braucht die Pflegepraxis? clinicum, 4-09, 86-89.

Rappold E. (2012). Qualifikationsmix / Personalzusammensetzung im Pflegebereich. Grundlagen und Hintergründe. In. NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft. (Hrsg.). Laut gedacht. Wegweiser zur Umsetzung der Patientenrechte. St. Pölten.

Rappold, E., Rottenhofer, I., & Aistleithner, R. (2011). Bildungs-landschaft der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe – Refor-mansätze. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit Wien.

> Zu den Personen

Helmut Täubl, BScN MScNDGKP. Seit 2000 Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger im Landeskrankenhaus Natters, Teil der Tiroler Landeskrankenan-stalten GmbH. Seit 2012 Masterstudium der Pflegewissenschaft (Schwerpunkt Pflegema-nagement), Abschluss mit Master of Science in Nursing (MScN) am 14.11.2014. Zusätzlich Absolvierung des Bachelor-Schwerpunktes Pflegepädagogik. Leiter der Arbeitsgruppe Pflege der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP)[email protected]

Ass.-Prof. Dr. Daniela DeufertWissenschaftliche Mitarbeiterin am Depart-ment für Pflegewissenschaft und Geron-tologie der UMIT, Hall in Tirol. Pflege- und Gesundheitswissenschaftlerin, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Organisatorische Lei-tung des Bachelorstudiums Pflegewissen-schaft.

tagung:

powerdayin der ruhe liegt die kraft –und langsam kommt man auch ans ziel

Referentinnen: Ingrid Marth und Ramona Rosenthal

Termin:

28. April 2016Seminarhotel Springer-Schlössl Tivoligasse 73,1120 Wien www.springer-schloessl.at

Tagungsgebühr:

Euro 169,- inkl. Verpflegung(für Frühzahler/innen bis 31. Jänner 2016)

Euro 189,- inkl. Verpflegung

Nähere Informationen und Anmeldung:

Mag. Claudia [email protected]+43(0)18972110

Storno:

Stornos können längstens bis 10 Wochen vor der Veranstaltung kostenfrei berücksichtigt werden.

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FürSorge – Für Sorge sorgen

Veranstalter/innen

Mit freundlicher Unterstützung von:

Das war der pflegekongress15!VON SUSANNE SPEIGNER. FOTOS VON RICHARD VARADAPPA.

Am 05. und 06. November 2015 war es wieder so weit: der pflegekongress15 eröffnete am Donnerstag wie gewohnt im Austria Center Vienna seine Pforten. Zum 13. Mal konnten pfle-genetz und die Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, Volkshilfe und Hilfswerk) wieder zahlreiche Besucherinnen und Besucher begrüßen. 3900 Teil-nehmerinnen und Teilnehmer aus vier Ländern (Deutschland, Schweiz, Slowakei und Österreich) konnten an den beiden Kon-gresstagen verzeichnet werden und es wurde ihnen die Mög-lichkeit geboten, zuzuhören, mit zu diskutieren, Fragen zu stel-len und sich mit den Vortragenden sowie mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen.Ebenso konnten mehr als 40 ausstellende Unternehmen aus Deutschland und Österreich am pflegekongress15 ihre Produkte

und Leistungen präsentierten und auf die Fragen der Interessier-ten eingehen.

Dieses Jahr stand der pflegekongress15 unter dem Motto „Für-Sorge – Für Sorge sorgen“, welches sich in den vielen gebote-nen Vorträgen und Themenbereichen der Pflege wiedergefun-den hat und inhaltlich begeisterte.

Am pflegekongress15 konnten dem Publikum zudem wieder mehr als 80 internationale Referentinnen und Referenten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vorgestellt werden, die durch ihre Expertise u.a. in der Pflegepraxis und -wissenschaft für spannende und praxisnahe Beiträge gesorgt haben.

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RückblickEröffnung

Am Donnerstag, 05. November 2015 eröffneten Rudolf Hund-storfer (BM für Soziales), Walter Marschitz (Bundesgeschäfts-führer Hilfswerk Österreich) und pflegenetz-Geschäftsführerin Claudia Kastner-Roth den pflegekongress15. BM Rudolf Hund-storfer (A) strich die enorme Wichtigkeit und den hohen Stan-dard der Pflege, die auf diesem Niveau finanzierbar bleiben wird, heraus. Weiter sprach er unter anderem die Pflegegeld-erhöhung ab 2016 sowie die bereits vermehrte Erstellung der Pflegegeldgutachten durch Pflegepersonen an. Die Änderungen der Pflegeausbildung „in Richtung Fachhochschule“ blieben ebenso nicht unerwähnt.Walter Marschitz (A) betonte den Stellenwert der Pflege, den sie in der Öffentlichkeit und der politischen Diskussion erreicht hat und würdigte die gute Zusammenarbeit zwischen BAG und pflegenetz hinsichtlich der erfolgreichen Gestaltung des pflege-kongress15.Claudia Kastner-Roth (A) strich die Besonderheiten der Veran-staltung heraus und verwies auf die vielfältigen Vorträge, Refe-rentinnen und Referenten, die wissenschaftliche Posterpräsen-tation sowie auf die zahlreichen Ausstellerinnen und Aussteller aus der Industrie. Ebenso waren und sind für sie die vielfälti-gen Möglichkeiten des Austausches im Rahmen des pflegekon-gress15 von großer Bedeutung.

Zum 13-jährigen Bestehen des größten österreichischen Kon-gresses in der Gesundheits- und Krankenpflege stand nach der Eröffnung der Kabarettist Ronny Tekal (A) mit einer „Gepfleg-ten Unterhaltung“ auf der Bühne. Mit seinem Programm und Humor begeisterte er das gesamte Publikum im Saal.

Wilfried Schnepp (D), Lehrstuhlinhaber an der Fakultät für Gesundheit an der Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Familienorientierte und gemeindenahe Pflege, hielt das Eröff-nungsreferat mit dem Titel „Für Sorge sorgen“. Er versteht „für Sorge sorgen“ als eine zentrale Herausforderung der professio-nellen Pflege. Menschliche Sorge ist für kranke Menschen im-mens wichtig – sie gibt Kraft, die Betroffenen haben das Gefühl, dass sie anderen nicht gleichgültig sind und man sich um sie kümmert. Diese Sorge ist allerdings nicht selbstverständlich – so auch die Sicht der Pflegenden – für Sorge muss gesorgt werden.

Aus dem Programm

Mehr als 80 Referentinnen und Referenten aus dem In- und Aus-land konnten mit ihrer Expertise und ihrem fachlichen Input die Besucherinnen und Besucher sowie Kolleginnen und Kollegen in den unterschiedlichsten Themenblöcken begeistern.

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Vorträge zum Motto „FürSorge – Für Sorge sorgen“Swen Staack (D) bspw. fragte, ob die vielen therapeutischen Ansätze in der Betreuung von Menschen mit Demenz nicht schon zu viel sind und ob die Betroffenen damit übertherapiert werden. Um die Sorge für Lebensqualität ging es im Vortrag von Ilse Frisch (A) und Ruth Weininger (A) und sie erläuterten den Versuch, diese zu messen und darzustellen.Im Vortrag zur Transnationalen (Für-)Sorge gingen Gudrun Bau-er (A) und August Österle (A) der Frage nach, wie 24-Stun-den-Betreuuerinnen bezahlte Betreuungsarbeit in Österreich mit ihren Care-Verpflichtungen in der Slowakei und Rumänien vereinbaren. Weiter wurden Alternativen zu freiheitsbeschrän-kenden Maßnahmen (Monika Hanel, A), das Miteinander und Auseinander in der Beziehungsarbeit (Harald Stefan, A), der Umgang mit hochbetagten Menschen oder auch die Berücksich-tigung von Sehbeeinträchtigung (Anita Götzer, D) zum Thema gemacht, und die Ergebnisse der Schmerzprävalenzerhebung 2014 des Österreichischen Roten Kreuzes gemeinsam mit der UMIT wurden von Monika Wild (A) und Katharina Pils (A) dar-gestellt.

praxis.wundmanagementDas Thema Wundmanagement verliert von Jahr zu Jahr seinen Reiz nicht. Egal ob es um Pflege von Menschen mit chronischen Wunden geht (Gertrud Feldhammer, A), palliative Wundver-sorgung (Sonja Koller, A), Auswirkung der Adipositas auf die Wundversorgung (Birgit Emathinger, A), parastomale Hautver-änderungen (Gabriele Gruber, D) oder auch um Versorgungs-verträge mit Krankenkassen am Beispiel der Wundversorgung in Deutschland (Uwe Imkamp, D) – die Reihen in den Sälen sind gefüllt.

ausbildung.qualifikationDas Institut für Pflegewissenschaft in Wien gibt es seit nunmehr 10 Jahren. Die Frage, was sich in dieser Zeit bewegt hat und weiter bewegen wird, beantwortete Institutsvorständin Hanna Mayer (A). Einblicke in ein anderes Ausbildungs- und Pflegesys-tem, nämlich in jenes Thailands, gaben Linda Eberle (A) und Philipp Gallistl (A), die ihre Erfahrungen bei einem zweimo-natigen Praktikum an der Assumption University of Thailand in Bangkok machen konnten.In welchem Ausmaß Entscheidungen zur Qualitätsverbesserung der Pflegepraxis durch Projektevaluation geleitet werden kön-nen und ob Evaluation mit Forschung gleichzusetzen ist wurde von Evelin Burns (A) dargestellt. Eva-Maria Körner (A) gab zudem einen Einblick in berufsethische Verantwortung der Bil-dungsinstitutionen und die Entwicklung und Förderung einer be-rufsethischen Verantwortung in der Pflegeausbildung.

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komplementäre.pflege

Die Komplementäre Gesundheitspflege ist ein Fixum am pfle-gekongress geworden. Viele Teilnehmende interessierten sich für Naturheilkunde in der geriatrischen Pflege (Miriam Ortiz, D), Aromapflege (Evelyn Deutsch, A), Evidenzbasierung bei der Behandlung mit naturheilkundlichen Methoden (Gustav Dobos, D) und auch für Arbeiten in der Selbstständigkeit mit komple-mentären Methoden (Eveline Mittermayr, A). Romana Fabian (A) brachte dem Publikum die Österreichische Gesellschaft für Komplementäre Pflege (ÖGKOP) näher.

pflege.politische fragenFür die aktuellsten pflegepolitischen News aus dem Bundesmi-nisterium für Gesundheit sorgten wie gewohnt Meinhild Haus-reither (A) und Paul Resetarics (A). Das Interesse – natürlich auch aus Aktualitätsgründen – war ungebrochen, die Zeit für Dis-kussion beinahe zu kurz. Mit der Umsetzung der Gesundheits-reform und deren Auswirkung auf die Pflegeberufe setzte sich ÖGKV-Präsidentin Ursula Frohner (A) in ihrem Beitrag ausein-ander und fordert, dass gemeinsam mit allen Pflegefachberufen und anderen Gesundheitsberufen Versorgungsstrukturen neu zu gestalten sind.

Kärntens erste und unabhängige Pflegeanwältin Christine Fer-cher (A) brachte dem Publikum ihr Tätigkeitsspektrum näher – sie setzt sich in ihrer Position für die Wahrung der Interessen von pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen ein. Birgit Meinhard-Schiebel (A), Tom Schmid (A) und Bernadette Stross (A) konnten die Not der pflegenden Angehörigen auf den

Punkt bringen, sprachen u.a. Themen der Information, Angebo-te, Erwerbstätigkeit und Pflegegeld an und fordern mit „Mind the Gap“ einen Lückenschluss.Mit der Frage, was tun bei falscher Pflegegeldeinstufung konnte Wolfgang Stütz (A) den Themenblock abschließen.

pflegenetz.wissenschaftAuch stellten wieder alle vier österreichischen Universitäten, die Pflegewissenschaft in ihrem Programm haben, Forschungsprojek-te und deren Ergebnisse vor.

Besonders freuten wir uns über das Eröffnungsreferat von Sabine Hahn (CH). Mitherausgeberin von QuPuG, die den Einbezug der Betroffenen in die Forschung fordert, da dies den „Unterschied macht und exzellente praxisrelevante Forschung ermöglicht“.

Von der Universität Wien beschäftigte sich Doris Kamleiter (A) mit dem alltäglichen Phänomen des Berührens in der Pflege und Hanna Mayer (A) machte die wissenschaftliche Sprachlosigkeit in Zusammenhang mit „bewährten“ pflegerischen Methoden am Beispiel der Validation zum Thema.

Von der Medizinischen Universität Graz konnten wir Daniela Schoberer (A) und Manuela Mandl (A) begrüßen, die sich aus-führlich dem Thema Sturz und Sturzprophylaxe widmeten.

Pflegebedürftigkeit im häuslichen Setting, deren Risikofaktoren und Ressourcen wurden von Christa Them (A) und Eva Schulc (A) (UMIT, Hall in Tirol) dargestellt.

Rückblick

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Die PMU Salzburg entsendete Sven Kernebeck (D), der die Er-gebnisse des bereits im Vorjahr vorgestellten painApp-Projektes präsentierte, und Magdalena Schreier (A), die als Ergebnis der Studie Optimiertes Schmerzmanagement in Altenpflegeheimen (OSiA) die Qualifizierung von Pflegenden, Schmerzerfassung und Vernetzung der beteiligten Berufsgruppen herausstrich, um eine gelingende Verbesserung des Schmerzmanagements in Al-tenpflegeheimen zu erreichen.

praxis.demenz, praxis.experts & praxis.specialDem Thema Demenz wurde mehrfach Aufmerksamkeit ge-schenkt, ob es nun um Demenz in der eigenen Wohnung und Pflegekräfte aus Osteuropa (Nadia Kluge, D) ging oder um Be-ratung der Betroffenen (Lea Hofer-Wecer, A), um das EU-Pro-jekt RightTimePlaceCare (Astrid Stephan, D), die 24-Stunden-Betreuung (Roland Nagel, A) oder wenn es auch darum ging, den Menschen mit Demenz eine Stimme zu geben (Manfred Schmidhuber, A).

APN wurde zweifach zum Thema gemacht (Günter Gantschnig, CH und Peter Ullmann, CH sowie Corina Thomet, CH). Weiter füllten die Themen Palliative Care bei Kindern mit Hirntumoren (David Blocher, A) oder auch die Interdisziplinäre Entlassungs-station Nurses only (Bianca Hauer, A und Annette Wachter, A) den Saal.

Mit welchen Informationstechnologien (z.B. Videotelefonie, CareCam, Online-Events) pflegende Angehörige unterstützt werden können, wurde von Susanne Hensely-Schinkinger

(A) vorgestellt. Die Umsetzbarkeit von Gesundheitsförderung in Pflegeorganisation machten Franz Kolland (A) und Rosa Diketmüller (A) zum Thema. Franziska Moser (A) sprach über den im §15 Gesundheits- und Krankenpflegegesetz verankerten mitverantwortlichen Tätigkeitsbereich und die Delegationsmöglichkeit und Jörg Fuhrmann (A) konnte mit dem „Lebenskoffer“ sowie den zu erwähnenden Bedürfnissen, Ängsten und Emotionen der Pflege am Krankenbett das Publi-kum begeistern.

managementDass Personalführung gelernt sein will und gute Führung lernbar ist, sofern der Wille dafür vorhanden ist, schilderte Margit Schä-fer (A) den Zuhörerinnen und Zuhörern.Nicht minder interessiert war das Publikum an Anton Pretten-hofers (A) Vortrag über wirksame Mitarbeiterbefragungen oder an den von Günter Flemmich (A) dargestellten Ursachen und Folgen des „Berufsgesetz neu“.

Eine Studie zur Prävalenzerhebung von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigungen in fünf Wiener Akutspitäler und die Heraus-forderung für Pflegepersonen in der Betreuung dieser Personen-gruppe stellten Hanna Mayer (A) und Günter Dorfmeister (A) vor.

Regen Zustrom fanden zudem die Fachvorträge der Bundesar-beitskammer (Gerda Mostbauer, A, Peter Hoffmann, A und Christa Marischka, A) und des Sozialministeriums (Christina Wehringer, A).

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RückblickAm Podium diskutiertWie jedes Jahr fand auch heuer wieder am jeweiligen Kongres-stag eine Podiumsdiskussion statt.Am Donnerstag, 05.11.2015, diskutierten Wilfried Schnepp (D), Harald Stefan (A), Swen Staack (D), Daniela Palk (A) und Kurt Schalek (A), moderiert von Karl Schwaiger (A), zum Thema „FürSorge – Für Sorge sorgen“. Eine rege Diskussion be-endete somit den ersten Kongresstag.

„Arbeitsbedingungen und Personalmanagement im Kontext der Herausforderungen rund um die GuK-Reform“ hieß es am 06.11.2015 am Podium, moderiert von Claudiu Suditu (A), für Karl Schwaiger (A), Günter Dorfmeister (A), Christine Fer-cher (A) und Tom Schmid (A). Auch in diese Diskussion wurden die Besuchenden einbezogen und der pflegekongress15 fand somit einen würdigen Abschluss.

Wissenschaftliche Posterpräsentation mit Prämierung

Nach Begutachtung der Abstracts und einer Posterbegehung durch eine Fachjury konnten insgesamt neun wissenschaftliche Poster präsentiert werden.

Den drei Erstplatzierten wurde bei der Prämierung – moderiert von Martin Nagl-Cupal, A (Institut für Pflegewissenschaft, Uni-versität Wien) – je ein Preis1 und eine Urkunde überreicht. Eben-so konnten sich alle Teilnehmenden an der Posterpräsentation über ein Abo von QuPuG – Journal für Qualitative Forschung in Pflege- und Gesundheitswissenschaft freuen.

Wir gratulieren noch einmal sehr herzlich allen Teilnehmenden zur erfolgreichen Postereinreichung.

Den ersten Platz belegte Stefanie Schniering (D) mit ihrem Poster „Pflegende zwischen Fürsorge und Selbstsorge – die am-bulante pflegerische Versorgung alleinlebender Menschen mit Demenz.“1 Unter anderem gab es Preise von Aromapflege GmbH.

Selina Bilger (CH), Miranda Fuhrer (CH) und Friederike J. S. Thilo (CH) konnten mit ihrer Arbeit „Elektronische Pflegedoku-mentation: eine Literaturreview zur Sicht von Pflegenden“ für den zweiten Platz überzeugen.

Und schließlich erreichten Merlena Barta (A), Michaela Her-zog (A) und Joachim Schulze (A) mit ihrem Poster „Pflege-qualität-Qualitätsniveaus der Pflege - Analyse des Instruments von Reiter und Kakosh im Werk von Fiechter und Meier für den deutschsprachigen Raum und im internationalen Vergleich“ den dritten Platz.

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DStimmen aus dem Publikum

Wir hielten wieder unsere Augen und Ohren offen und konnten so einige Aussagen aufschnappen.

„Eine Institution“

„Der Saal war zu klein, wir kamen gar nicht mehr rein“

„Hervorragende Organisation“

„Unglaublich, was in Österreich möglich ist“

„Abwechslungsreiches Programm – da ist für jeden etwas dabei“

„Wir haben die beiden Tage sehr genos-sen und viel Neues gehört und gesehen“

„Ich bin beeindruckt“

„Die Themen sind hochaktuell – man bräuchte mehr Zeit für die Diskussion“

„Ich hätte mir nicht gedacht, dass der pflegekongress15 in Wien so groß ist“

„Wir kommen wieder“

“Rückblick

Zu guter Letzt...

... möchten wir uns noch bei den Hauptsponsoren Bundesar-beitskammer und Sozialministerium für ihre Unterstützung be-danken, ebenso wie allen Teilnehmenden, Mitarbeitenden, Aus-stellenden und Referierenden.

Der Termin für den pflegekongress16 ist fix! Wir freuen uns bereits jetzt auf Sie, auf ein gutes Gelingen der Veranstaltung und ein Come-Together im nächsten Jahr.

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24. und 25. november 2016austria center vienna

save the date!

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DDas Bild von Menschen, die auf gesundheit-liche Versorgung angewiesen sindDie Idee, einen Menschen, der pflegerische Unterstützung nötig hat, als Kundin bzw. Kunden zu bezeichnen, scheint nach den Ergebnissen einer durchgeführten kurzen und simplen Google-Recherche gebräuchlich und attraktiv für Pflege zu sein (Tab. 1).

Welche Vorstellung haben wir von einem Menschen als Kun-den? Eine Kundin bzw. ein Kunde ist jemand, dem zugemutet werden kann sich kundig zu machen, der positiv gefasste Eigen-schaften hat, wie selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu sein, der Entscheidungen treffen kann auch über die Nutzung von bestimmten Dienstleistungen, der einen Vertrag, einen Dienstleistungsvertrag schließen kann, nachdem er verschiede-ne Dienstleistungsanbieter nach Qualität und Preis verglichen hat, der für die Vertragsleistung bezahlen kann, der Rechte ein-fordern kann, bspw. wenn die Vertragsleistungen nicht eingelöst sind (Schnell, 1999). Sehen wir uns die Menschen an, die sich unserer pflegerischen Versorgung anvertrauen, so sehen wir Fol-gendes: die meisten Menschen, die 2008 stationär pflegerisch versorgt wurden, hatten Herz-Kreislauf-Erkrankungen und 77% von diesen waren älter als 60 Jahre. Die zweitgrößte Gruppe sind Menschen, die Krebs hatten und die ebenfalls zu 77% älter als 60 Jahre waren (Statistisches Bundesamt, 2010). Menschen, die auf ambulante pflegerische Unterstützung angewiesen sind, sind zunehmend älter bzw. hochaltrig und chronisch erkrankt. 86% der Pflegebedürftigen im Jahr 2007 waren älter als 60 Jah-re, im Jahr 2030 werden nur 7% der Pflegebedürftigen jünger als 60 Jahre sein (ebd.).

Die chronischen Erkrankungen, die im Wesentlichen für die Pfle-gebedürftigkeit verantwortlich sind, sind Herz-Kreislauf-Erkran-kungen und Krebs. Das bedeutet, diese Menschen benötigen keine punktuelle gesundheitliche bzw. pflegerische Versorgung – die ja der Annahme folgt, dass Patientinnen und Patienten nach der Inanspruchnahme von gesundheitlicher Versorgung

wieder gesund sind – sondern eine kontinuierliche pflegerische Versorgung, oftmals bis zum Ende ihres Lebens. Studien, die die Frage beantworten, wie sich Menschen in diesen Situationen fühlen, sagen aus, dass diese Menschen hilflos, verunsichert, entkräftet, erschöpft, müde, entnervt, kraftlos, allein, beunru-higt, verwirrt, abhängig, eingeschränkt in ihrer Bewegung sind. Sie fühlen Schmerzen und Übelkeit. Sie sind hoffend, erwar-tend, geschockt, verletzlich, hoffnungslos, psychisch erschöpft. Sie empfinden, keine Wahl zu haben, fühlen sich unaufgeklärt, haben ein ungestilltes Beratungsbedürfnis hinsichtlich des Um-gang mit der Erkrankung, Therapie und Diagnostik, sind ängst-lich, sind unsicher in Bezug auf den Umgang mit ihren Medi-kamenten, machen sich Sorgen über ihre Angehörigen, fühlen sich wehrlos und nicht ernstgenommen, ihr Alltag ist von Leiden geprägt. Sie fühlen auch Dankbarkeit, Mut, eine Besinnung auf das Wichtige, sie fühlen Fürsorge, Verständnis. Allerdings sagen sie auch, dass sie ihr Leiden im Gesundheitssystem verbergen. Sie erwarten vom Gesundheitssystem Empathie, Fürsorge und Expertise (Kessler-Berther, 2003; Schmid-Büchi, Dassen, Ruud, & Halfens, 2005; Rüeger-Schaad, Panfil, Viehl & Spirig, 2008; Eg-ger, Müller, Bigler & Spirig, 2012; Begerow, 2015).

Wenn wir das Bild, dass die Forschung uns von diesen Menschen zeichnet, mit dem Bild einer Kundin bzw. eines Kunden verglei-

Der Patientin und dem Patienten zugewandt – Pflege und PatientenorientierungVON UTA GAIDYS. FOTO VON RICHARD VARADAPPA.

Die Orientierung an den Patientinnen und Patienten ist in vielen Gesundheitseinrichtungen im Leitbild veran-kert. Dieser Artikel diskutiert das Wie der Patientenorientierung vor dem Hintergrund des Sinns pflegerischen Handelns.Dazu wird zuerst das Bild, das wir von Menschen haben, die pflegerische Unterstützung benötigen, beschrieben und danach diese Menschen selbst. In einem zweiten Schritt erfolgt die Überlegung, welche Bedeutung Pflege für diese Menschen hat und was davon ausgehend Patientenorientierung für sie bedeutet. In einem dritten Schritt wird die Umsetzung von Patientenorientierung in Bezug auf die dafür notwendigen Kompetenzen von Pflegen-den und Rahmenbedingungen geschlussfolgert.

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Tabelle 1: Google-Recherche Oktober 2015 mit den Suchbegriffen Pflege UND Kunde, Patient, Klient

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Pflege und Kunde 0,29 1.910.000

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chen, fällt der Widerspruch auf. Eine Auflösung dieses Wider-spruchs kann uns nur eine professionelle Orientierung an den Menschen geben, die pflegerische Unterstützung bedürfen.

Bedeutung von Pflege und Patientenorien-tierung

Pflege, so beschreibt Meleis (1997), ist damit beschäftigt, die Erfahrungen, die Menschen in Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit machen, zu verstehen. Das bedeutet, Pflegende beschäftigen sich mit den Auswirkungen, die gesundheitliche Beeinträchtigungen auf das alltägliche Erleben und Leben der Menschen haben (Bartholomeyczik, 2000). Die Unterstützung bei den alltäglichen Handlungen, die die genannten Definiti-onen von Pflege fordern, beeinflussen und bilden oftmals in ihrer Gesamtheit den Lebensalltag und damit sogar die lebens-weltliche Existenz unserer Klientinnen und Klienten. Schütz und Luckmann (2003) betonen, dass die Lebenswelt des Alltags die vornehmliche und ausgezeichnete Wirklichkeit des Menschen ist. Die Orientierung an der Lebenswelt der Pflegebedürftigen ist die vornehmliche Aufgabe der Pflege. Und diese Lebenswelt ist individuell, einzigartig, veränderlich, geprägt von biogra-fischen Erfahrungen, konstruiert vom Selbstbild der Patientin-nen und Patienten, beeinflusst von Angehörigen und Familie, ist körperlich und psychisch erschaffen und auch zerfallbar, die Lebenswelt kann hart erarbeitet oder mutwillig zerstört sein. In die individuelle Lebenswelt integrieren wir unsere Erfolge, Krän-kungen, Hilflosigkeit, Kontrolle und Verunsicherung, unseren Mut, unser Wissen und unsere Ahnungslosigkeit, Kompetenzen und Naivität. Und diese vielfältigen Versionen einer Lebenswelt können alle bei einer gleichen medizinischen Diagnose, wie Herzinsuffizienz, Krebs oder Diabetes auftreten. Die Orientierung an der Lebenswelt der Patientinnen und Patienten ist Patienten-orientierung.

Die pflegerischen Situationen, die aus diesen gleichen Diagno-sen und der (immer) individuellen Lebenswelt entstehen, sind deshalb auch immer einzigartig, müssen neu gedeutet und neu erschaffen werden. Dabei erschaffen professionell Pflegende die Situationen nicht alleine, sondern werden immer gemeinsam mit der Patientin bzw. dem Patienten gestaltet. Die gemeinsa-me Gestaltung impliziert, dass sich die Lebenswelt der zu Pfle-genden sowie auch unsere eigene verändert. Wir lernen dazu, hinterfragen unser Handeln, sammeln Erfahrungen und erwei-tern auch unser Selbstbild, Können und auch unsere Grenzen.

Umsetzung von Patientenorientierung mit Fokus auf die dafür notwendigen Kompetenzen von Pflegenden und Rahmen-bedingungen

Die professionelle Patientenorientierung beginnt mit der ge-wollten und gekonnten Wahrnehmung der Lebenswelt unserer Klientinnen und Klienten. Sie gestaltet sich weiter mit der Fähig-keit, die Krankheit – insbesondere die chronische Krankheit – als konstituierender Faktor in die Lebenswelt der Patientin bzw. des Patienten integrierbar machen zu können. Dazu benötigen pro-fessionell Pflegende Kompetenzen, die im Krankenpflegegesetz (2003) genannt sind. Eine wesentliche Kompetenz für die Rea-lisierung von Patientenorientierung sei hierzu betont: ethische Reflexionsfähigkeit und moralische Handlungskompetenz.

Nun ist die Frage, ob Pflegende per se moralisch kompeten-te Menschen sind, weil sie ja anderen Menschen helfen, ganz eindeutig mit nein zu beantworten. Pflegende sind sowohl gut und richtig handelnde Menschen als auch falsch und schlecht handelnde Menschen. Es stellt sich die Frage, wie wir in der Pflege eben nicht nur überwiegend, sondern möglichst immer

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gutes und richtiges Handeln ermöglichen. Gutes und richtiges Handeln, verstehen wir laut oben beschriebener Definition der Pflege als Orientierung an der Lebenswelt der Patientinnen und Patienten. Hinsichtlich dieser Orientierung können alle ge-nannten Kompetenzen geschult und ausgebildet werden. Eine fundierte, auch akademische und wissenschaftliche Bildung ist hierbei durchaus hilfreich. Allerdings sichert eine hohe Bildung nicht moralische Handlungsfähigkeit. Eine fundierte Bildung ist hilfreich für die Beantwortung der Frage, wie sollen wir als Pfle-gende arbeiten. Sie hilft aber nicht notwendigerweise, wenn es um die Frage geht, wie wir als Pflegende in der konkreten Situa-tion handeln sollen. Denn selbst wenn wir wissen, dass Kniege-lenksoperationen für einen großen Teil der Betroffenen keinen größeren Nutzen haben als bspw. Physiotherapie, bereiten wir sie trotzdem „fachgerecht“ auf die Operation vor (IQWIG, 2014).Dieser Widerspruch zwischen der theoretisch beantwortbaren Frage wie sollen wir arbeiten und der praktisch orientierten Fra-ge wie sollen wir in der konkreten Situation handeln, ist für die Pflege immens wichtig, aber noch wenig untersucht.

Was aus der psychologischen Forschung folgt ist, dass Pflegen-de die Fähigkeit ausbilden müssen, autonom für ihre Hand-lungen verantwortlich zu sein (Milgram, 1974; Burger, 2009). Die Autonomie und Verantwortung kann und darf also nicht an Vorgesetzte, Richtlinien, Guidelines, Standards oder Handlungs-anweisungen abgegeben werden. Tewes (2002) hat in ihrer umfassenden Untersuchung festgestellt, welche Voraussetzun-gen für die Übernahme von pflegerischer Verantwortung gege-ben sein müssen. Dazu gehören das Zusprechen von Autorität, die Anerkennung von Handlungs- und Entscheidungsspielräu-men, das Akzeptieren der Konsequenzen eigener Handlungen und das Verfügen über fachliche und interpersonale Kompetenz. Das Wahrnehmen von Handlungs- und Entscheidungsspielräu-men bedeutet, verstehen zu können, dass die eigene Situation und die der Patientin bzw. des Patienten veränderbar sind. Hier müssen Pflegeexpertinnen und -experten die Autonomie und Kompetenz haben, auf Grundlage ihres Wissens zu handeln. Das heißt auch, wir brauchen in erster Linie eine pflegefachliche Leitung und Führung, die der Patientenorientierung genauso verpflichtet ist. Diese Leitung muss verstehen, die strukturellen Rahmenbedingungen so zu entwickeln, dass eine Orientierung an der Lebenswelt der Patientinnen und Patienten, also Patien-tenorientierung, nicht nur belohnt wird, sondern als Entschei-dungskriterium für gelingende Pflege und darüber hinaus für gelingende Gesundheitsversorgung gilt. Pflegerische Leitung sollte also ihren Mitarbeitenden Autorität für eigenständige Ent-scheidungen zusprechen, Handlungsspielräume für diese Ent-scheidungen schaffen. Sie sollte aber gleichermaßen deutlich machen, dass ihre Mitarbeitenden die Konsequenzen eigener Handlungen und Entscheidungen akzeptieren müssen. Die Vo-raussetzung dafür sind pflegefachliches Wissen und Kompeten-zen.

> Literatur

Bartholomeyczik, S. (2000). Gegenstand, Entwicklung und Fragestellungen den pflegewissenschaftlichen Forschung. In B. Rennen-Allhoff, D. Schaeffer (Hrsg.). Handbuch Pflegewissen-schaft. München: Weinheim.

Egger, B., Müller, M., Bigler, S., & Spirig, R. (2012). Bedürfnisse von Menschen, die an Multipler Sklerose leiden: Die Perspektiven von erkrankten Personen und ihren nächsten Angehörigen in der deutschsprachigen Schweiz. Pflege, 25(5), 329-341.

IQWIG. (2014). Arthroskopie des Kniegelenks bei Gonarthrose. IQWiG-Berichte –Nr. 211. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Köln. Abgerufen von https://www.iqwig.de/download/N11-01_Arthroskopie-des-Kniegelenks-bei-Gonar-throse_Abschlussbericht.pdf

Kessler-Berther, G. (2003). Rauf und Runter. Das Erleben von Frauen mit der rheumatischen Krankheit Fibromyalgie. Pflege, 16(4), 184-191.

Krankenpflegegesetz. (2003). Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege und zur Änderung anderer Gesetze Krankenpfle-gegesetz vom 16. Juli 2003. Bonn: Bundesgesetzblatt 2003 Teil I Nr.36, pp 1442-1458.

Meleis A. I. (1997). Theoretical Nursing: Development and Prog-ress. Philadelphia: Lippincott Williams & Wilkins.

Rüeger-Schaad, E., Panfil, E., Viehl, C., & Spirig, R. (2008). Leben mit einer chronischen Bauchwunde – Die Erfahrung Betroffener und ihre Erwartungen an die betreuenden Fachpersonen. Pflege, 21(4), 262-269.

Schmid-Büchi, S., Dassen, T., & Halfens, R. (2005). Die Erfahrung, an Brustkrebs zu erkranken, und wie die betroffenen Frauen ihr Leben wieder unter Kontrolle bringen. Pflege, 18(6), 345-352.

Schnell, M. W. (1999). Der Patient als Kunde. Genealogische Bemerkungen zu einem ethisch-ökonomischen Zwitter. Pflege und Gesellschaft, 4(3), 65-68.

Schütz, A, & Luckmann, T. (2003). Strukturen der Lebenswelt. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH.

Statistisches Bundesamt. (2010). Demografischer Wandel in Deutschland Auswirkungen auf Krankenhausbehandlungen und Pflegebedürftige im Bund und in den Ländern. Wiesbaden.

Tewes, R. (2002). Pflegerische Verantwortung. Bern: Hans Huber.

> Zur Person

Prof. Dr. phil. Uta GaidysArbeitete als Krankenschwester überwiegend in der Intensivpflege, studierte Pflegepädagogik und -wissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, promovierte an der Glasgow Caledonian University zum Thema Verantwortung. Seit 2008 ist sie Professorin für Pflegewissenschaft für den Bereich Ethik an der Hochschule für angewandteWissenschaften Hamburg und entwickelte und leitet den klinisch ausgerichteten Masterstudien-gang Pflege.

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In einer alternden Gesellschaft, deren demografische Entwick-lung ein Wachstum der hochbetagten Menschen prophezeit und in der sich gesellschaftliche Umbrüche in der Zusammen-setzung der Familien in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich manifestiert haben, ist ein Anstieg der Vereinsamung ebenfalls sehr wahrscheinlich. Die jetzige Bevölkerungsstruktur, die soge-nannte „Baby-Boom-Generation“ der frühen 1960er Jahre wird noch für ein paar Jahrzehnte das demografische Bild von Ös-terreich prägen. Ab dem Jahr 2020 werden die Menschen, die sich im Pensionsalter befinden, deutlich steigen. Das weitere demografische Altern ist damit quasi zum Gutteil schon vorpro-grammiert (Bundesministerium für Soziales und Konsumenten-schutz, 2008).

Wo finden sich Chancen und berufliche Herausforderungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und wer verbleibt in sogenannten geografischen Randgebieten in den Kommunen zurück? Wir alle kennen die Antwort, die gerade in der unum-stritten bedeutsamen Rolle der mobilen Pflege in ihrer ganz-heitlichen Bedeutung sichtbar wird. Vielfach wird von den Pflegefachkräften erlebt, dass sie die einzigen Bezugspersonen im Tagesverlauf von älteren Menschen sind. Hierbei wird der praktische Nutzen von umfangreichen Schulungen im Hilfswerk im Rahmen des Fachschwerpunkts: „SEELEN.LEBEN. Die Hilfs-werk Initiative zu Älterwerden, Psyche und Lebensqualität“ deutlich erkennbar. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hilfswerks werden speziell auf die psychischen Herausforderun-gen rund um das Älterwerden geschult, wobei das Wissen rund um Erkrankungen wie Altersdepression, Demenz und die phar-mazeutischen Kenntnisse zu psychischen und psychiatrischen Krankheitsbildern und vielfache Methoden zur professionellen, pflegerischen Unterstützung im umfassenden Schulungsangebot gefestigt werden.

Zur Pflege von Menschen, die an einer Altersdepression leiden, zählen die Beziehungsqualität und damit unweigerlich verbun-den die Kommunikationskultur als maßgebliche Handlungsleit-linien. Vertrauen zu schaffen und im Laufe der Zeit zu stärken, ist eine der Säulen im Umgang mit Kundinnen und Kunden, deren Lebensfreude eingetrübt ist.

„Bedürfnisorientierte Pflege und Betreuung fordert, mit den al-ten Menschen in Beziehung zu sein, daraus entsteht auch die notwendige Beziehungspflege. Und dies ist nicht am Zeitfaktor zu messen, benötigt im letzten nicht mehr Zeit.“ (Likar, Bernatz-ky, Pipam, Janig, & Sadjak, 2005, S. 313). Es geht darum, bei je-der noch so unscheinbar wirkenden Pflegehandlung wirklich im Kontakt mit unseren Kundinnen bzw. unseren Kunden zu sein, sie tatsächlich wahrzunehmen. Sie müssen die volle Aufmerk-samkeit spüren (ebd.).

Die Pflegefachkräfte haben zunächst zu unterscheiden und in ihrer individuellen Pflegeplanung die Gradwanderung zwischen Depression und Demenz zu dokumentieren. Mittels einer akti-ven Krankenbeobachtung sowie dem multiprofessionellen Mit-einander mit der betreuenden Ärztin bzw. dem betreuenden Arzt, Psychotherapeutinnen und -therapeuten, Physiotherapeu-tinnen und -therapeuten ist ein Ist-Status zu erheben. Auch eine klare Strukturierung des Tages kann im Sinne eines eingeübten Rituals hilfreich sein, aus den verschiedenen Symptomen der Depression, wie zum Beispiel Antriebslosigkeit, endloses Grü-beln, Schuldgefühle und Appetitlosigkeit herauszufinden. Da bei der Altersdepression oftmals der Sinn des Lebens an sich angezweifelt wird, ist eine Strukturierung des Tagesverlaufes von großer Bedeutung. „Orientierung zu geben, diese Aufgabe haben seit Menschengedenken zahlreiche tradierte Rituale, die schon immer unabdingbare Hilfe für jede menschliche Gemein-

HHandlungsoptionen und Arbeitsper spektiven bei Kundinnen und Kunden mit Alters-depression in der mobilen PflegeVON ROLAND NAGEL. FOTO VON RICHARD VARADAPPA.

Die Beziehungsqualität kontinuierlich zwischen Kundinnen und Kunden zu stärken ist ein Werkzeug, um eine Altersdepression rascher zu erkennen und die nötigen Schritte daraus abzuleiten. Die Anzahl an hochaltrigen Menschen (über 80 Jahre alt) wird in den nächsten Jahrzehnten laufend zunehmen, auch deshalb ist die Stär-kung der psychosozialen Kompetenzen bei Pflegefachkräften im Umgang mit multimorbiden Kundinnen und Kunden ein wesentlicher Teil der individuellen Bildung. Entscheidend für eine ganzheitliche Begegnung ist neben dem pflegefachlichen Können, insbesondere die Kommunikationskultur und das gezielte Setzen von Ritualen zur Strukturierung des Tagesablaufes.

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schaft waren. Rituale können helfen, das Leben bei aller Unter-schiedlichkeit und Einzigartigkeit zusammenzuhalten.“ (Schmitz & Zwierlein, 2009, S. 29).

Ein gewisser Lebensrhythmus ist vonnöten, um sich in Leib und Seele wohlzufühlen. Der Rhythmus verleiht eine Art von Geborgenheit, der dem Menschen einfach gut tut. Orientie-rung gibt Halt. „Die sinnorientierte Seelenheilkunde von Viktor E. Frankl (1905-1997), die sogenannte Dritte Wiener Richtung der Psychotherapie, gibt Antworten auf die Fragen nach dem Sinn. Die vor mehr als 75 Jahren entwickelte Erkenntnis, dass der Mensch ein Wesen auf der Suche nach Sinn ist, wird heu-te in vielen Experimenten bestätigt. Auch wenn unser gelieb-ter Partner stirbt, Krankheiten das Leben beeinträchtigen, der Beruf endet oder die Einsamkeit an uns nagt, wir können das Leben trotzdem bewältigen, wenn wir einen Grund zum Leben sehen.“ (Schechner, 2012).

Im Versuch, die Unterschiede zwischen Altersdepression und Demenz praxisnahe zu erläutern, erscheint folgende Option an-schaulich: Pflegefachkräfte in der mobilen Pflege sind gefordert, mit geschärfter Aufmerksamkeit nicht nur die Kundin und den Kunden selbst wahrzunehmen, sondern auch ihr und sein so-ziales und räumliches Umfeld, die Biografie zu beleuchten und deren entscheidende Einschnitte und vieles mehr in die pflege-rischen Überlegungen miteinzubeziehen.

Anhand eines praktischen Beispiels soll eine Differenzierung der beiden Erkrankungsformen anschaulich dargestellt werden:Ein an Demenz erkrankter Mensch hat ein Glas Wasser vor sich.

Er wird nicht wissen, was er mit diesem Wasserglas anfangen soll und dies eventuell auch artikulieren oder gestikulieren. Im selben Szenario wird ein Mensch, der an einer Altersdepression leidet, genau wissen, was ein Glas mit Wasser ist und welche Bedeutung es hat, wenn man dieses in seiner Nähe postiert. Er wird aber nicht in der Lage sein, dieses Wasserglas zu ergreifen und daraus zu trinken.

Die Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die häufigste Form stellt die Alzheimer-Krankheit dar. Ein weiteres Charakteristikum ist der schleichende Beginn über Monate sowie eine tendenzi-ell instabile und noch leicht zu steuernde Stimmung. Im Unter-schied dazu kommt eine Depression relativ rasch (Beginn inner-halb weniger Wochen) und ist im Idealfall von kurzer Dauer. Eine Altersdepression kann einerseits durch die pharmakologische Therapie, welche bei einer schweren Form unumgänglich ist, behandelt werden und andererseits mittels einer körperlichen Aktivierung gemindert werden. Ebenfalls unabdingbar wich-tig ist eine psychosoziale Kompetenz im Sinne von fundierten Kenntnissen der Pflegefachkraft über den Einfluss von sozialer und emotionaler Intelligenz und die Wechselwirkungen zwi-schen Körper, Geist und Seele. „Da Depressionen sich oft in Form von körperlichen und organischen Missempfindungen äußern, neigt man dazu, bei der organischen Abklärung zu bleiben. Zei-chen können sein: Druck auf der Brust, Bauchschmerzen, Kopf-schmerzen, Rücken- und Genickschmerzen, Schlafstörungen, Veränderungen des Appetits, das Gefühl, sich Dinge nicht mehr merken zu können und viele, viele andere Beschwerden mehr.“ (Stelzig, 2008, S. 156).

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Die Diagnostik selbst muss von einer Ärztin bzw. einem Arzt erfolgen, wobei die gezielte Aufzeichnung von Beobachtungen in der Pflege und eine adäquate Kommunikation im multipro-fessionellen Miteinander von enormer Wichtigkeit ist, um rasch eine Verbesserung für die Kundinnen und Kunden zu erzielen. Hochbetagte müssen mit vielen Hürden ihre Kommunikati-on aufrechterhalten. Tempo, Konzentrationsfähigkeit, die Ein-schränkung der Sinne, aber auch veränderte Zeitwahrnehmung, sowie das häufige nutzen von Anglizismen und ein schnellerer Sprachduktus sind Zusatzerschwernisse in der Verständigung (Li-kar et al., 2005).

Mit der Zunahme von multimorbiden Kundinnen und Kunden und deren reduzierter physischen Verfassung in der mobilen Pflege ist der Ansatz einer körperlichen Aktivierung tendenziell im reduzierten Maße möglich. Genau diese Erkenntnis der kör-perlichen Defizite, die sich im Alltag mehr oder weniger deutlich zeigen, kann zu einer gedrückten Stimmungslage und / oder zu einer Vermehrung der Aggression gegen das eigene Unvermö-gen führen.

In der mobilen Pflege sind die kleinen Schritte hin zum Erfolg für alle Beteiligten in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen und somit immer wieder eine Motivation – auch für die Pflege-fachkräfte. Die Freude und die Zufriedenheit, die sich im Rah-men der Arbeitseinsätze in der mobilen Pflege ergeben, sind ein Puzzlestein hin zur Zufriedenheit inmitten seiner persönlichen Berufung.

> Literatur

Bundesministerum für Soziales und Konsumentenschutz. (2008). Hochaltrigkeit in Österreich. Eine Bestandsaufnahme. Abgerufen am 23.09.2015 von http://www.sfs-research.at/projekte/P55-Hochbetagtenbericht/hochaltri-gen_bericht_ende1.pdf

Likar, R., Bernatzky, G., Pipam, W., Janig, H., & Sadjak, A. (2005). Lebensqualität im Alter. Therapie und Prophylaxe von Alterslei-den. Wien, New York: Springer Verlag.

Schechner, E. (2012): Die Sinnfrage in der zweiten Lebens-hälfte – Was erwartet das Leben noch von mir? Abgerufen am 23.09.2015 von http://www.franklzentrum.org/index.php?show=1211&id=121,

Schmitz, U., & Zwierlein, E. (2009). Management und Spiritualität. Ein Erfahrungs- und Arbeitsbuch. Würzburg: Echter Verlag.

Stelzig, M. (2008). Keine Angst vor dem Glück. Salzburg: Ecowin Verlag.

> Zur Person

Mag. Roland Nagel, MBAFachliche Leitung Pflege und Betreuung im Hilfswerk Österreich. Ist Diplomier-ter Gesundheits- und Krankenpfleger und studierter Politikwissenschaftler und vervollständigte seine Ausbildung nach dem Pflegemanagementstudium mit dem Abschluss des Master of Business Administ-ration in Sozialmanagement und Leadership. Nagel kann auf umfangreiche Erfahrungen im Gesundheitswesen verweisen und war zuletzt in Leitungsfunktionen in der Geriatrie tätig.

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Einleitung2015 wurde das Heimaufenthaltsgesetz (HeimAufG) zehn Jahre alt. Seither wurde es zwei Mal novelliert, um den Erfordernissen der Berufsrealität und den Ansprüchen der Bewohnerinnen und Bewohner gerecht zu werden. Die Unterbringungs- und Heim-aufenthaltsnovelle führte zu Veränderungen für diplomierte Ge-sundheits- und Krankenpflegepersonen, Einrichtungsleiterinnen und Einrichtungsleiter und zur Stärkung der Bewohnerinnen- und Bewohnervertretung. Mit dem Erlass des HeimAufG wur-den die rechtlichen Voraussetzungen für Freiheitsbeschränkun-gen in Pflegeheimen materiell und formell geregelt. Dadurch wurden Bewohnerinnen und Bewohner, Pflegepersonen sowie Einrichtungsleiterinnen und Einrichtungsleiter aus einem zuvor rechtsfreien Raum entlassen (Strickmann, 2012). Der 1999 vom Justizministerium in Auftrag gegebenen Bericht über die Situa-tion der Freiheitsbeschränkungen in Österreichs Pflegeheimen, stellte freiheitsbeschränkende Maßnahmen dar, die rechtswidrig waren (Hilbe & Jaquemar, 2013).

Häufigkeit von Freiheitsbeschränkungen2012 lag die Inzidenz der Freiheitsbeschränkungen in den an der Erhebung teilnehmenden österreichischen Pflegeheimen bei 26%. Davon wurden 62% von anordnungsbefugten Pflege-personen veranlasst. Dabei stellte die häufigste Intervention das Anbringen von Seitenteilen dar (Lohrmann, Schönherr, Klein & Mandl, 2012). Die Anzahl der Freiheitsbeschränkungsmaßnah-men wird durch das Vertretungsnetz erhoben (Hilbe & Jaque-mar, 2013). Deren Bewohnervertreterinnen und -vertreter sind in 891 Alten- und Pflegeeinrichtungen, 1040 Behindertenein-richtungen und 192 Krankenhäusern tätig. 2007 wurden 19.934 Freiheitsbeschränkungen registriert, 2012 waren es 13.874 und 2014 wiederum 19.378 (Schlaffer, 2014).

Voraussetzungen für FreiheitsbeschränkungenWährend 2006 die erste Novelle des HeimAufG den gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege kaum berührte, führ-te die Unterbringungs- und Heimaufenthaltsnovelle 2010 zu Än-derungen in der Anordnungsbefugnis von Freiheitsbeschränkun-gen. Mit dieser Novellierung fällt die Anordnungsbefugnis jener Berufsgruppe zu, in deren Fachbereich die Maßnahme verortet ist. Interventionen im Pflegekontext werden vom gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege verantwortet. Dauert die Beschränkung länger als 48 Stunden oder wird sie danach wiederholt erforderlich, ist ein ärztliches Zeugnis einzuholen (Jelinek, 2010). Die anordnungsbefugten Pflegepersonen haben jedenfalls die Zulässigkeit der Maßnahme gem. § 4 HeimAufG zu prüfen, wonach folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen:

Das Vorliegen einer ernstlichen und erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen Behinderung. Die beschränkende Maßnahme muss die Gefahr tatsächlich abwenden können und sie muss in ihrer Intensität und Dauer angemessen sein. Die Gefahr darf darüber hinaus nicht durch andere, schonendere Maßnahmen abzuwenden sein.

Das Vorliegen einer psychischen Erkrankung oder einer geisti-gen Behinderung im Sinne des § 4 HeimAufG ist bei Demen-zerkrankungen zu bejahen. Festzustellen, ob die Beschrän-kungsvoraussetzungen kumulativ vorliegen oder nicht, stellt hohe fachliche Ansprüche an die Anordnenden. Eine besondere Herausforderung ist die Gefahrenprognose und die Verhältnis-mäßigkeitsprüfung. Um valide Anordnungen treffen zu können, stützen sich die Pflegenden auf den interdisziplinären Diskurs und ihre Berufserfahrung. Prädiktive Faktoren einer Selbstge-

1010 Jahre Heimaufenthaltsgesetz: Bedeutung für die Gesundheits- und KrankenpflegeVON ALFRED SCHATZ, KARIN DOLMANITS, GÜNTER PUCHNER. FOTO VON RICHARD VARADAPPA.

Das Heimaufenthaltsgesetz regelt die Voraussetzungen für Freiheitsbeschränkungen. Nach anfänglichem Rück-gang steigen die diesbezüglichen Prävalenzzahlen wieder. Freiheitsbeschränkungen im Pflegekontext müssen vom gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege verantwortet werden. Sie dürfen nur unter bestimm-ten Voraussetzungen angewendet werden und bedürfen einer korrekten Dokumentation und Meldung. Es wird empfohlen bestehende Gesetzeslücken im Rahmen der nächsten Novelle zu schließen.

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fährdung scheinen ein erhöhtes Sturzrisiko, Orientierungs- und Wahrnehmungsstörungen sowie motorische Defizite zu sein. Der erfolgreiche Einsatz gelinderer Mittel ist von personellen und sachlichen Ressourcen sowie der persönlichen Kreativität der Pflegenden abhängig (Schatz & Puchner, 2013). Die Heimträger sind verpflichtet mit zeitgemäßen Personalschlüsseln und einer räumlichen-sachlichen Ausstattung auf internationalem Stan-dard, den Einsatz gelinderer Interventionen zu fördern (Strick-mann, 2010).

Dokumentations- und Informations-pflichten

Gem. § 6 Abs. 1 HeimAufG sind freiheitsbeschränkende Maß-nahmen von den anordnenden Personen konkret zu dokumen-tieren. Dies schließt Grund, Art, Beginn und Dauer der freiheits-beschränkenden Intervention ein. Diese formellen Zwänge sind ebenso verbindlich wie die in § 4 HeimAufG ausgeführten materiellen Voraussetzungen. Sie ermöglichen der Bewohnerin-nen- und Bewohnervertretung und dem Gericht die Kontrolle der Maßnahmen und dienen als Schutz für die Bewohnerinnen und Bewohner. Mängel bei der Dokumentation, der Verständi-gung der Bewohnerinnen- und Bewohnervertretung und der Vertrauensperson (§ 7 HeimAufG), können zur Folge haben, dass die Freiheitsbeschränkung als rechtswidrig klassifiziert wird. Schlagend wird dies, wenn der Sachverhalt in einem Verfahren nicht mehr plausibel dargestellt werden kann, weil gesetzlich normierte Inhalte in der Dokumentation fehlen. Dokumentati-onsmängel können durch nachträgliche Rechtfertigungen nicht kompensiert werden. Anordnungsbefugte Pflegepersonen sind dazu angehalten, die Gründe und Umstände, die zur Freiheits-beschränkung führten, sorgfältig und zeitnah zu dokumentieren. Nachträgliche Situationsdarstellungen oder die Aussagen von Zeuginnen und Zeugen können Dokumentationsmängel nicht heilen (RIS-Justiz RS0127659).

Aufgaben der Einrichtungsleiterinnen und Einrichtungsleiter

Die Einrichtungsleiterinnen und Einrichtungsleiter müssen die Anordnungsbefugnis nachvollziehbar übertragen. Es ist sowohl eine allgemeine als auch eine individuelle Bestimmung geeig-neter Personen denkbar. Dabei kann die Art der zulässigen Be-schränkungen durch die Betrauten individuell verankert werden. Erfolgt eine Freiheitsbeschränkung- oder Einschränkung, so greift die erweiterte Verständigungspflicht gem. § 7 HeimAufG. Dem-nach sind die Bewohnerinnen- und Bewohnervertretung und die Vertrauenspersonen der Bewohnerinnen und Bewohner zügig zu informieren. Dauert die beschränkende Maßnahme länger als 48 Stunden oder erfolgt sie wiederkehrend, ist von den Einrichtungs-leiterinnen und Einrichtungsleitern ein ärztliches Dokument ein-zuholen (Zierl, 2010).

Schlussfolgerungen & Diskussion

Die Unterbringungs- und Heimaufenthaltsnovelle 2010 weist bei der Regelung der Verständigungspflicht des Anordnenden eine Lücke auf (Strickmann, 2010). Heimleiterinnen und Heimleiter werden darin dazu verpflichtet, die Aufhebung von freiheitsbe-schränkenden Maßnahmen an die Bewohnerinnen- und Bewoh-nervertretung zu melden. Diese Pflicht fehlt für den Anordnenden. Der diesbezügliche Brückenschluss muss derzeit durch hausinterne Regelungen erfolgen. Es wird empfohlen, im Rahmen der nächs-ten Novellierung dies gesetzlich zu regeln. Freiheitsbeschränken-de Maßnahmen stehen z.B. durch technische Entwicklungen oder dramatische Ereignisse (Strangulation durch Bauchgurt) ständig auf dem Prüfstand. Klare Richtlinien erfüllen in diesem Kontext nicht nur eine Norm, sie sorgen auch für mehr Sicherheit bei Bewohne-rinnen und Bewohnern sowie bei den Anordnenden. In dem Zu-sammenhang wird die Weiterentwicklung von Standards, die den Einsatz gelinderer Mittel (Strickmann, 2010) fördern, empfohlen.

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> Literatur

Hilde, J. & Jaquemar, S. (2013). Prävalenz von freiheitsbe-schränkenden Maßnahmen in österreichischen Pflegeheimen. Österreichische Pflegezeitschrift, 5: 25-29.

Jelinek, G. (2010). Neuerungen bei der Anordnungsbefugnis nach dem HeimAufG. ÖZPR, 21, 20-21.

Lohrmann, C., Schönherr, S., Klein, S. & Mandl, M. (2012): Euro-päische Pflegequalitätserhebung. Abgerufen am 12. August 2015 von

http://me001ned.edis.at/pflegewissenschaft/documents/LPZ/LPZ_2012/LPZ_2012.html#p=6

Rechtsinformationssystem des Bundes. (2015). RS0127659. Abgerufen am 12. August 2015 von https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnum-mer=JJR_20120125_OGH0002_0070OB00235_11A0000_004&ResultFunctionToken=8181d6ec-2fe7-4194-b32a-b595cff-3015b&Position=1&Gericht=&Rechtssatznum-mer=RS0127659&Rechtssatz=&Fundstelle=&AenderungenSeit=Un-defined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False&G-Z=&VonDatum=&BisDatum=09.10.2015&Norm=&ImRisSeit=Unde-fined&ResultPageSize=100&Suchworte=

Schatz, A. & Puchner, G. (2013). Die Rolle der Pflegepersonen bei der Freiheitsbeschränkung nach dem Heimaufenthaltsgesetz. ÖZPR, 6, 182-184.

Schlaffer, P. (2015). Vertretungsnetz. Jahresbericht 2014. Abge-rufen am 13. August 2015 von http://www.vertretungsnetz.at/

fileadmin/user_upload/2_SERVICE_Berichte/VertretungsNetz_Jah-resbericht_2014.pdf

Strickmann, G. (2012). Heimaufenthaltsrecht, 2. Auflage. Wien: Verlag Linde.

Strickmann, G. (2010). Reform der Anordnungsbefugnis – Stärkung der Bewohnervertretung – Neuerung im Überprüfungsverfahren. iFamZ, 276, 276-279.

> Zu den Personen

Mag. Alfred SchatzPflegewissenschafter, Hochschullehrer an der FH-Burgenland, Department Gesundheit.Kontakt: [email protected]

Karin Dolmanits, MScPflegepädagogin, Studiengangsleitung des Bache-lorstudiengangs Gesundheits- und Krankenpflege an der FH-Burgenland, Schuldirektorin.

Mag. Günter Puchner, MBA, MASPflegewissenschafter, Leiter univ. Weiterbildung Basales und mittleres Pflegemanagement Akade-mie des Wiener Roten Kreuzes.

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tagung:

„high noon?“Gewalt und Deeskalation in Sozial- und GesundheitseinrichtungenGrenzen erfahren, refl ektieren und gestalten

u.a. mit: Michaela Amering, Sabine Hahn, Regina Ketelsen, Tieni Moser, Ian Needham, Alexandra Rajchl und Harald Stefan

Termin:

20. und 21. Oktober 2016Hotel Schloss WilhelminenbergSavoyenstraße 21160 Wienwww.austria-trend.at/wiw

Tagungsgebühr:

Euro 395,- inkl. Verpflegung(für Frühzahler/innen bis 20. Mai 2016)

Euro 455,- inkl. Verpflegung

Nähere Informationen und Anmeldung:

Mag. Claudia [email protected]+43(0)18972110

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Die 1940 bis 1941 in psychiatrischen Anstalten durchgeführte Ermordung behinderter Menschen, die sogenannte “T4-Aktion“, kostete im damaligen Deutschen Reich ca. 70.000 Menschen das Leben (Häßler, 2005). Daraus ergibt sich, dass fast eine gan-ze Generation behinderter Menschen ausgelöscht wurde. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es daher nur wenige sehr alte Menschen mit einer intellektuellen Funktions-beeinträchtigung, die zu betreuen sind. Aufgrund des demografischen Wandels wird es zukünftig mehr Menschen in der Langzeitpflege geben, wenn Wohngemeinschaften die pfle-gerische Betreuung nicht mehr vollständig gewährleisten können. International wird von einer Prävalenzrate in der Bevölkerung von 2-3% ausgegangen (Steinhauser, 2005).

Grassegger-Igler (2010) hat in ihrer Studie Erfahrungen von Angehörigen von Men-schen mit geistiger Behinderung mit dem Krankenhaus erhoben (n=8). Die Ergebnisse zeigen große Defizite der Pflegepersonen im Umgang mit dieser Menschengruppe auf. Lange War-tezeiten und der Mangel an Verständnis für even-tuelle spezielle Bedürfnisse werden negativ erlebt. Hart (1998) beschreibt, dass sich viele Angehörige als Übersetzerinnen und Übersetzer zwischen Klinikpersonal und erkrankten Personen sehen. Diese Angehörigen haben Zweifel, dass Pflegepersonen im Umgang mit Menschen mit geistiger Behinderung professio-nell handeln können.

Im Pflegemodell von Peplau bildet der Aufbau einer Beziehung

zwischen den Pflegepersonen und den Patientinnen und Patien-ten die grundlegende Basis für eine erfolgreiche Pflege. Kernele-mente für die Pflegenden sind die Reflexion der eigenen Werte und Haltung einem Menschen gegenüber sowie ein Verständnis für dessen Gefühle und Verhalten (Simpson, 1997). Angehöri-

ge, Patientinnen und Patienten haben hohe Erwar-tungen an die Kommunikationskompetenz der

Pflegepersonen. Die Kommunikation soll empathisch und persönlich sein sowie

Wertschätzung ausdrücken. Wenn Pflegende diese Form der Kom-

munikation nicht beherrschen, zeigt sich das nicht nur im Ver-

halten – wie beispielsweise im Vermeiden des Blickkon-taktes zu den einzelnen Per-sonen. Die Kommunikation kann dann auch so gestaltet werden, dass Pflegeperso-nen schwierige Themen erst gar nicht aufkommen lassen.

Die unmittelbare Verweildau-er bei den Patientinnen und Pa-

tienten wird eher kurz gehalten oder es kommt zu Ablenkungen

oder zum Bagatellisieren von Aussa-gen (Bücker, 2013).

Basale Stimulation® wird gerade bei der Ganzkör-perwaschung als Kommunikationsunterstützung verstanden, auch um zum Innersten der Person zu gelangen (Gebel-Schüren-berg & Schürenberg, 2010). Menschen mit intellektueller und körperlicher Funktionsbeeinträchtigung leiden häufig zusätzlich an Spastizität und Kontrakturen. Durch die somatische Anregung wird die Person dabei unterstützt, den eigenen Körper positiv zu erfahren. Das stellt einen Ausgleich zu zusätzlichen thera-peutischen Maßnahmen dar, die von Betroffenen mitunter als

PPflege von Menschen mit intellektueller FunktionsbeeinträchtigungHerausforderungen für Pflegepersonen im stationären Akut- und Langzeitpflegebereich

VON GERLINDE HÖSS. FOTO VON RICHARD VARADAPPA.

Durch die erhöhte Lebenserwartung von Menschen mit intellektueller Funktionsbeeinträchtigung wird es mit den damit verbundenen Multimorbiditäten im Alter sowohl im Akutpflege- als auch im Langzeitpflegebereich zu neuen zusätzlichen Herausforderungen kommen. Der Schwerpunkt in diesem Artikel wird speziell auf die Kommunikation sowie auf die Herausforderungen von Pflegepersonen mit dieser Personengruppe gelegt. Auch wenn im Akutbereich viel mehr Unterstützung durch Angehörige bzw. Betreuungspersonen stattfindet als im Langzeitbereich, wird dennoch ein umfangreiches Wissen bezüglich der möglichen Herausforderungen und ein professioneller Umgang mit diesen erwartet.

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schmerzhaft empfunden werden (Bienstein & Fröhlich, 2012). Basale Stimulation® ist eine wesentliche unterstützende Kom-munikationsform, die Zeit erfordert (ebd.). Werden die Prinzi-pien dieses Konzepts eingehalten und erfolgt eine regelmäßige Anwendung, können pflegebedürftige Personen, die unter star-ker Anspannung stehen, auch wieder einmal zur Ruhe kommen.

Wesentliche Herausforderungen für die Pflegepersonen

Alltägliche PflegehandlungenWas die Körperpflege ganz allgemein betrifft, unabhängig ob es sich um eine Hilfestellung oder eine Übernahme handelt, zeigt sich, dass diese von einer Bezugsperson aus dem Team durchgeführt werden muss. Wenn keine vertraute Pflegeperson vorhanden ist, kann es vorkommen, dass die betroffene Person die Pflege an diesem Tag verweigert. Diese Personengruppe re-agiert auch sehr sensibel auf Zeitdruck von Pflegepersonen und kann dann ebenfalls die Zusammenarbeit blockieren.

Einhaltung von Ritualen und Gewohnheiten

Das Ein- und Festhalten an Ritualen und Gewohnheiten sorgt für das Sicherheitsgefühl jedes Menschen. Gerade Menschen mit intellektueller Funktionsbeeinträchtigung sind sehr sensibel, daher kann das Nichteinhalten von Ritualen und Gewohnheiten zu einer Verunsicherung führen. Diese kann sich in aggressivem Verhalten oder lautem Schreien äußern.

Verhaltensauffälligkeiten

Ursachen für Verhaltensauffälligkeiten sind nicht nur auf den biografischen Hintergrund zurückzuführen, sondern spiegeln auch die aktuelle Gefühlssituationen wider, welche in unter-schiedlichen Formen von den Betroffenen selbst wahrgenom-men und geäußert werden. Verhaltensauffälligkeiten zeigen sich in Form von Zornausbrüchen, Beschädigungen von Gegen-ständen, innerhalb des eigenen Zimmers oder innerhalb der Station, durch lautes Schreien und manchmal auch in Form von Handgreiflichkeiten gegenüber dem Pflegepersonal. Das Phäno-men der Angst macht sich durch lautes Schreien, Beißversuche und/oder eine starke Abwehrhaltung bemerkbar. Erleben die betroffenen Personen durch Reaktionen von Pflegepersonen eine Zurückweisung, so kann sich das in Form eines inneren Rückzuges oder einer mangelnden Kooperation zeigen. Zurück-weisung ist verbunden mit einem Vertrauensverlust und dieser wird nur sehr schwer verziehen.

Ungewohnter Schmerzausdruck

Äußerungen von Schmerzen sind sehr unterschiedlich erkenn-bar. Personen mit leichten intellektuellen Funktionsbeeinträch-tigungen teilen mit, wenn sie Schmerzen haben – im Vergleich zu Betroffenen mit schwereren Formen der intellektuellen Funk-tionsbeeinträchtigung. Schmerzäußerungen können sich hier in Form von massiven Schreianfällen zeigen, wobei die Schmerz-lokalisation nicht immer klar ist. Extreme Schmerzen werden den Pflegenden gegenüber allerdings nicht immer kenntlich gemacht, z.B. aus Angst vor möglichen Untersuchungen oder Konsequenzen. Das hat zur Folge, dass ein Teil dieser Personen-gruppe beispielsweise trotz eines komplett eitrigen Kiefers nor-

mal das Essen einnehmen kann und den Schmerz durch ande-res auffälliges Verhalten zum Ausdruck bringt. Dieses Verhalten kann dann oft zu Missverständnissen führen.

Fazit

Für Pflegepersonen bedeutet der Umgang mit Menschen mit intellektueller Funktionsbeeinträchtigung den Einsatz von Em-pathie und eine Sensibilisierung in der Beobachtung. Die betrof-fenen Personen reagieren sensibel auf die Haltung von Pflegen-den. Aus den Herausforderungen lässt sich auch ein Rückschluss auf die Bedeutung der individuellen Pflegeplanung schließen und dass diese auch umgesetzt werden muss.

> Literatur

Bienstein, C., & Fröhlich, A. (2012). Basale Stimulation® in der Pflege. Die Grundlagen. Bern: Hans Huber.

Büker, C. (2013). Kommunikation im Pflegealltag professionell gestalten. Keine Macht den Killerphrasen. PFLEGE Zeitschrift, 66 (2), 72-75.

Gebel-Schürenberg, A., & Schürenberg, A. (2010). Vom Körper zum Ich. In. T. Buchholz, A. Gebel-Schürenberg, P. Nydahl, A. Schü-renberg (Hrsg.). Begegnungen. Basale Stimulation® in der Pflege – Ausgesuchte Fallbeispiele, (S. 25-26). Bern: Hans Huber.

Grassegger-Igler, B. (2010). Menschen mit geistiger Behinderung im Krankenhaus – Erfahrungen aus Sicht der Angehörigen. Dip-lomarbeit zur Erlangung eines Magisters in Pflegewissenschaft, an der Universität Wien.

Häßler, F. (2005). Einleitung: Der geistig Behinderte in der Medizin / Psychiatrie - ein historischer Exkurs. In. F. Häßler, J. Fergert (Hrsg.). Geistige Behinderung und seelische Gesundheit. - Kom-pendium für Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter und Pflegekräfte (S. 1-8). New York, Stuttgart: Schattauer Verlag.

Hart, S. (1998). Learning disabled people´s experience of general hospital. British Journal of Nursing, 7 (8), 470-477.

Simpson, H. (1997). Pflege nach Peplau. Freiburg im Breisgau: Lambertus Verlag [übersetzt von Rieforth, Gabriele].

Steinhausen, H.-C. (2005). Epidemiologie, Klinik und Diagnostik der geistigen Behinderung. In. F. Häßler, J. Fergert (Hrsg.). Geistige Behinderung und seelische Gesundheit. - Kompendium für Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter und Pflegekräfte (S. 9-18). New York, Stuttgart: Schattauer Verlag.

> Zur Person

Gerlinde Höss, MScNDiplomierte Gesundheits- und Krankenschwester (1989), Abschluss als Praxisanleiterin (2004) und akademische Lehrerin für Gesundheits-und Kran-kenpflege (2010). Derzeit tätig an der allgemei-nen Schule für Gesundheits- und Krankenpflege am SZO – Wien. 2014 Abschluss Masterstudium der [email protected]

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