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M.F.S JA oder NEIN

1. Band Kurzgeschichten

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1. Band Kurzgeschichten

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  • M.F.S

    JA oder NEIN

  • Ein Unbekannter macht sich von einem Felsen los. Ein Greifvogel flieht. Der Unbekannte luft gebckt und eine Kette rasselt. Er tritt auf einen Vorsprung, richtet sich auf und laut ruft er ins Tal:

    AKT 01.: Der Mensch steht auf und schaut ghnend durch die Felder von Eden.

    AKT 02.: Der weibliche und der mnnliche Mensch suchen sich jeweils ihr

    Gegenstck, und einige vermehren sich.

    AKT 03.: Der Mensch verbringt 2/3 seines Tages mit der Nahrungsbeschaf-fung, deren Aufnahme, Verdauung und Ausscheidung.

    AKT 04.: Der Mensch entdeckt neben dem Feuer die Bratpfanne.

    AKT 05.: Mit einem Male stellt er fest, dass ihm nun, durch die verrin-gerte Nahrungsbeschaffung-, deren Aufnahme- und Verwer-tungsdauer, und neben Jagen, Schlafen und Vermehrung, eine enorme Menge an Zeit zur Verfgung steht.

    Oder, wenn

    die Schpfung 09 Tage gedau-

    ert htte.

  • Entweder Ja oder Nein 03

    an nennt mich auch Anton, den Faulen. Ich bin aber nicht faul. Es stimmt, dass ich manchmal stundenlang auf mei-ner Couch sitze und nichts schaffend aus dem Fenster starre,

    wieder aufstehe und in meinem Zimmer auf und ab laufe. Das Licht an-schalte und es wieder lsche. Mich wieder auf die Couch setze. Es stimmt, dass ich auch an diesen Tagen meiner Arbeit nachgehen msste - oder sollte. Man sagt dann: Anton der Faule, der tut und schafft nichts.Man fragt dann: Anton ,wo sind die Arbeiten und Dokumente?, aber ich bin nicht faul. Weil man mich immer Anton den Faulen nennt, habe ich das Rauchen aufgegeben und trinke tglich zwei Liter Kaffee. Ich glaube der Kaffee tut mir nicht gut. Seitdem ich zwei Liter Kaffee am Tag trinke, habe ich Krmpfe in den Beinen. Man sagt, die Krmpfe in den Beinen kmen von den zwei Litern Kaf-fee.Es existiert eine Anspannung in Anton I. Und es ist, als msse er sich bergeben. Nur mit groer Anstrengung behlt er sich bel ist ihm aber nicht.

    Anton Irrelevant: die zweihundert Tage.

    Herr Anton, es heisst sie neigen zur Lethargie.

    Lethargie? Meinetwegen. Aber, ich bin nicht faul.

    Entspricht es der Wahrheit, dass sie vor zweihundert und einem Tag eine seltsame Begegnung hatten?

    Es entspricht der Wahrheit.

    AKT 06.: Der Mensch sucht die neu und liebgewonnene Zeit zu fllen und entdeckt zuerst die Kunst und gleichzeitig die Mythen,

    da raus die Religion und schlielich die Wissenschaft.

    AKT 07.: Der Mensch erfindet den groen Krieg, um so die Nachfrage zu erhalten und zu generieren.

    AKT 08.: Am Ende, da steht der Mensch und betrachtet sein Werk, und als letztes fllt ihm in seinen Menschenschoss, neben Kunst und Reli-gion, Wissenschaft und Mythos, Krieg und Frieden, Streit und Ausshnung, die alle eins sind,

    Die ghnende schwertragende Langeweile

    AKT 09.: Der Mensch war letztlich und ursprnglich als ein groes Projekt geplant.

    Es stellte sich jedoch unverzglich heraus, dass er zu leicht ablenk-bar war.

    Und nachdem Prometheus sich von den Menschen los sagte, nimmt er seine Kette und der Adler landet auf seinen Schultern. Hinter sich zieht er einen Wagen mit einer neuen Spezies - den sich tummeln-den und reckenden Ameisen. Gesenkten Hauptes geht er ab.

  • Entweder Ja oder NeinDie Zweihundert Tage04 05

    mitschreiben wrden.

    Und haben Sie auch gegen ein Tonbandgert etwas einzuwenden?

    Heit das auch, dass Sie es benutzen werden?

    Das hatte ich vor. Strt es Sie, wenn ich Ihre Stimme aufzeichnen?

    Nein, nur das Gekritzel zerstreut mich.

    Weil Sie immer nur der Sekretr waren?

    Ich sa in der U-Bahn. Wissen Sie, dort wo die Bahn oberhalb der Stadt fhrt.

    Fahren Sie fort.

    Es gab ein technisches Problem. Der Wagen musste ausgewechselt werden. Ich stieg aus und stand auf dem Bahnhof und wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte, also kaufte ich einen Kaffee

    Herr Anton, wie schtzen Sie Ihren Umgang mit ungewohnten Situa-tionen ein; ist es eher so, dass Sie berfordert sind oder fhlen Sie sich generell in vielleicht sogar unangenehmen Momenten berlegen? Wr-den Sie sich selbst als kaffeeabhngig bezeichnen?

    Der nchste Wagen fuhr in den Bahnhof ein. Es war frh. Ich hatte es nicht mehr weit.

    Auf einer Skala von 01 bis 10, wobei 01 fr etwas Miserables steht, zum Beispiel eine Verbeamtung Und 10 dafr steht, mit 33 Jungfrauen im Paradies ohne Zerstreuung zu leben und jeden Tag ausufernde Ratio-

    Mchten sie darber reden?

    Ich rede nur ungern darber.

    Ist ihnen die Begegnung unangenehm?

    Nein.

    Erzhlen Sie mir, weshalb Sie dann nicht darber reden wollen?

    Es ist mir unangenehm, wie ich mich nach dieser Begegnung verhal-ten habe.

    Wie haben Sie sich denn ihrer Meinung nach verhalten? Oder lassen Sie mich die Frage umformulieren: wie unterschied sich Ihr Verhalten nach der Begegnung, von dem, vor der Begegnung?

    02

    Mein Name ist Anton Irrelevant. Ich bin Sekretr. Ich habe in meinem Leben immer nur den Zuarbeiter gespielt. Ich war in meinem Leben immer nur der Schatten einer anderen Persn-lichkeit.

    Herr Anton, wrden Sie uns bitte erzhlen, was an diesem Tag Ihrer sogenannten Begegnung passiert ist?

    Es war ein ganz gewhnlicher Tag. Es war frh. Vielleicht acht. Ich hatte bisher einen Kaffee getrunken.

    Fahren sie fort.

    Es wre einfacher Ihnen zu erzhlen, was passierte, wenn Sie nicht

  • Entweder Ja oder NeinDie Zweihundert Tage06 07

    Der Fremde lie aber nicht locker und folgte Ihnen.

    Er wusste meinen Namen. Ich dachte, ich htte nur vergessen, wer er war.

    03

    Mein Name ist Anton Irrelevant und meine grte Angst ist es, dass ich mein Leben lang einer Sache hinterher renne und wenn ich diese eine bestimmte Sache erreicht htte, wrde ich feststellen:Mein Leben ist vertan.

    Sie konnten ihn nicht abschtteln.

    Nein, ich hatte auch Angst, dass er mir ins Bureau folgen wrde.

    Sie sind nicht ins Bureau

    Bltter lagen klatschnass gelb und warteten wie stumme Zeugen an den Rndern der Strae. Ich machte kehrt, ging ins Aquarium,

    Weil Sie dort fter hingehen, wenn Sie ratlos sind und in die Becken starren und die Fische vorbeiziehen sehen wollen und eine Antwort auf Ihre Ratlosigkeit von ihnen erwarten.

    Nein, ich hasse das Aquarium.

    Sie waren mal Schwimmer, nicht wahr? Sie liebten es sich in den Bah-nen zu versenken. Das Rauschen Ihrer eigenen Atemste unter Wasser zu vernehmen, als wren es aufstoende Tiefseevulkane. Nicht wahr?

    50 Meter in 45 Sekunden. Das sind 50/45 Meter die Sekunde. Das sind, bei konstanter Geschwindigkeit, 1000 Meter in ((50/45)*1000) /60; Minuten.

    nen an Opium und Wein zu bekommen.Wie schtzen Sie ihre Ttigkeit im Bureau ein?

    Ich mochte die Arbeit schon.

    Wrden Sie sagen, Sie brauchten die Struktur des Tag ein Tag aus des Bureaulebens? Wrden Sie sagen, Sie haben sogar jahrelang daraufhin gearbeitet?

    Darber habe ich noch nicht nachgedacht. Und Jungfrauen finde ich auch langweilig

    Sie gehen oft in Cafs um dort zu arbeiten.

    Das sagte ich.

    Sie ertragen die Einsamkeit nicht, deswegen gehen Sie in Cafs, weil Sie dort die Illusion haben, Sie wren nicht allein.

    Immerhin die Kellnerin muss mit mir sprechen und ich trinke viel Kaffee.

    Wrden Sie auch sagen, dass Sie, als Sie ihr vermeintliches Ziel er-reicht hatten, feststellen mussten, dass Sie genauso unbefriedigt waren wie zuvor?

    Ich stieg wieder in die Bahn ein.

    Dort sprach ein Fremder Sie an.

    Ich reagiert zuerst nicht.

  • Entweder Ja oder NeinDie Zweihundert Tage08 09

    machen einen Spaziergang.

    Ich liebe den Morgen in all seinen Facetten. Den Tau, die Vgel, die Ruhe das frhe Schaffen, die beginnende Wrme

    Sie gehen dann laufen. Bettigen sich sportlich. Haben Sie das Gefhl, Sie mssten sich verausgaben um ruhen zu knnen?

    Erschpfung ist eine Garantie.

    Sie standen also im Aquarium.

    Ich fhlte mich beschissen. Ich hasse es zu spt zu kommen.

    Was taten Sie dort im Aquarium?

    Ich dachte, ich htte meinen Verfolger abgeschttelt,

    Er war Ihnen auf den Fersen.

    doch ich hrte durch das menschenleere Aquarium meinen Namen hallen.

    Wie war der Kontakt zum Vater nach der Sache im Schwimmbad?

    Ich hrte Anton, Anton.

    Sie hatten es satt davon zu laufen.

    Ich blieb stehen.

    Als der Fremde Sie erreichte, schauten Sie in das Becken der Riesen-fchergarnelen.

    Ich rede nicht gern darber.

    Wissen Sie, wie unmglich es ist, mit Ihnen einen Dialog zu fhren? Ihr stndiges Ausweichen und Ausufern ist eine Zumutung. Antworten Sie auf meine Fragen!

    Mein Vater war Schwimmlehrer, ehemaliger Langbahnschwimmwelt-meister.

    Er erwartete, dass Sie besser wrden, als er es jemals war.

    Wann immer ich es nicht schaffte, die Bahnen in Bestzeit zu Kraulen, nahm er meinen Kopf und stukte mich.

    Da waren Sie fnfzehn und er machte sich darber lustig, wie Sie das Stucken ertrugen und sich nicht wehrten.

    Eines Tages, ich war in mieser Verfassung, allein der Anblick des Wassers lie mich zusammen fahren dementsprechend war meine Leis-tung

    Er stuckte sie.

    Bis ich bewusstlos wurde.

    Man hat sie aus dem Becken geborgen und es heit, Ihre Augen ht-ten weit offen gestanden.

    Seitdem war ich nie wieder Schwimmen.

    Sie schlafen selten acht Stunden am Stck. Was hlt Sie wach? Manch-mal reichen Ihnen drei Stunden, dann stehen Sie auf, ziehen sich an und

  • Entweder Ja oder NeinDie Zweihundert Tage10 11

    Ist Ihnen der Fremde weiter gefolgt?

    Ich bin ins Bureau gegangen.

    Sie sagten mal, Sie htten groe Angst sich in eine falsche Sache hin-ein zu vertiefen und Ihr Leben zu vertun. Sind Sie deshalb lethargisch?

    Die Lethargie ist einfach da. Es gibt keinen Grund fr die Lethargie. Sie ist einfach da

    Sie waren auch beim Bureauarzt, stimmt das? Was hat man Ihnen dort gesagt?

    Der Bureauarzt entschuldigte sich und stimmte meiner Vermutung zu: der Fremde hatte mir die Wahrheit gesagt. Ich werde sterben in zweihundert Tagen.

    Was haben Sie dann gemacht?

    Ich ging an meinen Schreibtisch.

    Und begannen Ihren Arbeitstag?

    Ja, es gab einen neuen Fall.

    Das verbrannte Bordell.

    Ich wurde an den Einsatzort beordert. Wartete noch auf meinen Kol-legen

    Der Gedanke aber, dass Sie in zweihundert Tagen sterben wrden, der lie Sie nicht los.

    Mich beruhigte ihr Anblick. Wie die Viecher aus Gabun starr ihre F-cher durch das Wasser ziehen, was-auch-immer einfangen und es konsu-mieren

    04

    Mein Name ist Anton Irrelevant. In mir wechseln sich die Jahreszei-ten, wie auf einen Schlag. Ich habe die Wahl: zu erfrieren oder mich zu wrmen, an einer Hitze zu verdursten oder mich zu trnken, einem Sturm zu erliegen oder mir einen Schirm zu kaufen und davon zu fliegen.

    Sie zuckten zusammen, als der Fremde Ihre Schulter berhrte.

    Ich fahre generell zusammen, wenn ich mit einer Berhrung nicht rechne.

    Was hat Ihnen der Fremde gesagt?

    Er sagte mir; ich htte noch zweihundert Tage zu leben.

    Heute ist der zweihundertste und erste Tag Sie leben noch.

    Ich wusste nicht, wie genau, aber ich dachte, ich wrde sterben Ges-tern.

    Es heit, Sie htten gesagt, die letzten zweihundert Tage, wren die schnsten ihres Lebens gewesen.

    Ich kann mich nicht erinnern, das gesagt zu haben.

    Knnen Sie mir sagen was an diesen Tagen so schn war?

    Nein, ich schme mich dafr.

  • Entweder Ja oder NeinDie Zweihundert Tage12 13

    Was ist mit dem Rest Ihrer Familie? Was war mit Ihrer Mutter, Ihrem Onkel, gab es Geschwister, an die Sie sich wenden konnten?

    Ich wollte ihre Hilfe nicht.

    Es heit, Sie gehen gerne ins Kino.

    Ja, ich schaue mir gern die Sptvorstellung an.

    Es heit, Sie wrden unpnktlich und launisch nach dieser Begeg-nung.

    Kann ich etwas Kaffee bekommen?

    Sie begeistern sich fr die Antike. Was mgen Sie an der Minotaurus Sage?

    Ich mag den Gedanken in einem Labyrinth gefangen zu sein.

    06

    Hatten Sie schon einmal Kontakt zu illegalen Substanzen?Sie meinen?

    Hat Ihr Vater Sie geschlagen?

    Ich hatte einen Freund, der abhngig geworden war.

    Sie besuchten ihn, in der Klinik.

    Ich fand es recht schn dort.

    Zweihundert Tage, das sind 4800 Stunden, 28.57 Wochen, 7.14 Monate.

    Hatten Sie Angst?Nein.

    Irritierte Sie denn Ihre Furchtlosigkeit nicht?

    05

    Auch nach der vermeintlichen Diagnose zeigte Herr A. Irrelevant keine Anzeichen von Furcht.Es war, als sei ihm eine Anspannung genommen worden und ein Druck von der Seite gewichen. Er schien ganz unbeschwert und selbstlos. Mach-te Witze und so weiter.

    Ich bekam etwas Bauchschmerzen.

    Wann haben Sie ihren Vater das letzte Mal gesehen?

    Das muss nun schon Jahre her sein.

    Reagieren Sie fter mit Bauchschmerzen, wenn Sie sich berfordert fhlen? Damals im Schwimmbad, mussten Sie sich da bergeben, als Sie wieder zu sich kamen?

    Als ich fnf war, hatte ich das Gefhl: mein Vater knne mir nichts mehr beibringen und ich sagte ihm, dass ich von ihm nichts mehr lernen knne.

    Was war Ihr Vater fr ein Mann?

    Ich mchte nicht mehr ber meinen Vater sprechen.

  • Entweder Ja oder NeinDie Zweihundert Tage14 15

    07

    Anton Irrelevant steht von seinem Stuhl auf. Fhrt sich kurz ber die Taschenklappen seines Jackets. Richtet seinen Stuhl. Geht zum Tisch. Giet sich etwas Kaffee ein. Schaut aus dem Fenster. Dreht sich wieder um. Schenkt sich neuen Kaffee ein. Er wirkt ruhig.

    Sind Sie bereit weiter zu machen?

    Muss ich mich dazu setzten?

    Bleiben Sie stehen. Was missfiel Ihnen so sehr an der Rolle des Zu-arbeiters? Frchteten Sie, als jemand anderes Schatten wrden Sie unbe-merkt und variabel? Hatten Sie Angst nicht beachtet zu werden?

    Er luft nun auf und ab. Kommt zum Stehen. Luft um den Tisch. Bleibt am Fenster stehen. Guckt nach drauen. Dreht sich um. Setzt sich hin. Steht wieder auf.

    Der Gedanke zu sterben, auch wenn erst in zweihundert Tagen, er beruhigte mich. Ja ich konnte mich daran erfreuen. Es war, als htte ich meine Anstellung gekndigt.

    Anton Irrelevant zweihundert Tage Kndigungsfrist

    Sind Sie enttuscht Jetzt?

    Man hatte es mir ja versprochen.

    Setzt sich wieder an den Tisch. Schaltet das Tonbandgert ab.

    Zum ersten Mal in meinem Leben, fhlte ich mich frei. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte. Das waren meine zweihundert Tage. Ich

    Htten Sie sich auch gewnscht, dort eingewiesen zu werden?

    Dazu htte ich erst einmal abhngig sein mssen.

    Hat es Sie gekrnkt, dass Ihr Freund Hilfe bekam, weil er sich fallen- und auslassen konnte und Sie das nicht konnten?

    Ich war immer sehr ordentlich.

    Als Kind waren Sie in der Leichtathletikgruppe Ihrer Schule.

    Mein Sportlehrer hatte mich gefragt.

    Wegen Ihren berdurchschnittlichen Leistungen?

    Meine Mutter nahm mich aus der Gruppe.

    Weil Ihre Leistungen zu schlecht waren?

    Weil der Sportlehrer eine Prferenz fr kleine Jungen hatte.

    Man nennt mich Anton, den Faulen. Ich bin aber nicht faul.

    Haben Sie manchmal das Gefhl, dass Sie sich bergeben mssen? Und ist Ihnen dann eigentlich gar nicht bel.

    Ich wrde gern eine Pause machen. Es Gab noch einen anderen Jun-gen mit besonders guten Leistungen.

    Zwanzig Minuten.

  • Die Zweihundert Tage16

    schlief lange, frhstckte ausgiebig, kam zu spt und lie die Arbeit lie-gen. Ich ging in den Park. Traf dort Unbekannte. War Saufen und Speisen mit denen und nahm sie mit nach Hause. Schlief ausgiebig und frhstck-te lange.Ich war zum ersten Mal in meinem Leben lebendig, weil ich wusste, dass ich sterben wrde.

    Sie genossen das Leben.

    Ja und dafr schme ich mich jetzt.

    Warum bringen Sie sich dann nicht einfach um?

    Weil Suizid Betrug ist.

    F i n

    Erste Ahnung, die Wirklichkeit wurde.Ich trumte:Dein Geruch warf mir seinen Schatten auf die Brust.Wie ich dich auch drehte, erblickte ich dei-nen Rcken.Griff deine Schulter und sie bebte stark zit-ternd.Jedes deiner Nackenhaare lag mir in den Fingern.

    Und von hinten verdeckte ich deine Augen,dass du nicht sahst, wer hinter dir stand.Ksste dir Hals und Wirbel. Strich dir die deinen Striemen.

    Die Handflchen noch immer auf den Li-dern:Griff ich deine Hnde und schmiss deinen Krper gegen die Wand, die sich zwischen uns befand.Drckte deine Handgelenke, dass du nicht mehr standest.(Und mde zu Boden sanktest.)

    und deine Haare dir in Schlieren, ber deine Schlsselbeine flossenund sie ewig meine Finger in sich schlos-sen.Dein Geruch sich aus dem Schatten lste. Ich derweil nur dste.Und er sich unendlich in meinen Geist flste.

  • Notizen zu:

    Anton Irrelevant: Die Zweihundert Tage.

    Notizen zu:

    Geschichte des Menschen in 09 Schritten

  • Notizen zu:

    Erste Ahnung, die Wirklichkeit wurde.

  • Es sind die stationen meines lebens, nur zwischen-stationen, ohne ziel.

    W ir waren wohl schon und ich wei nicht mehr genau, wo wir berall waren wir waren schon seit Tagen unterwegs und seit Stunden warteten wir auf einem lndlichen Bahnsteig, der seinerseits zu einem lndlichem Dorf gehrte. Wo sich das ganze abspielt? In einem sddeutschen Dorf wir waren also Fremde.Ich wei noch, wie mir die Farblichkeit der Welt aufgefallen war. Als wir vorab im Bus saen und ich aus dem Fenster schauend, feststellen musste, dass jeder dieser Bume und Bsche da drauen, wie sie an uns vorber zogen ja, das jeder seinen eigenen Grnton besa.

    Mitnichten, wie ich das mal gedacht hatte, bevor ich zu dieser Erkennt-nis gelangt war, mitnichten sind alle Bume grn. Es grnen sie ganz verschieden. Es ist mir ferner nicht mglich zu sagen, ob es sich nun um eher satte oder kraftlose Grns handelte, noch kann ich Vergleiche an-stellen, wie nun das Grn des einen Busches im Vergleich zu dem Grn diesen oder jenen Baumes geartet war. Mitnichten, kann ich sagen, was das fr ein Gefhl auslste. Farben sind beziehungs-, bedeutungs-, und gefhllos und sind fr mich, bisher nur in Hell und Dunkel einzuteilen gewesen.

    Wie ich jedoch meinen Kopf gegen die Busfensterscheibe drckte, und es war ein Wunder, (wenn man dieses Wort heutzutage noch gebrauchen

    W a r t e n

  • Entweder Ja oder NeinWarten22 23

    Ich empfand das Warten auf einen Umstand, auf eine Person oder ver-schiedene Personen die gebundene Abhngigkeit. Ich empfand das, schon immer, als eine sehr, will sagen befreiende Angelegenheit weil man in einer solchen nichts tun muss, weil man nichts schaffen kann, weil das eigene Schaffen von einem ueren Umstand abhngig ist, und so lange dieser uere Umstand nicht eintritt, kann auch nichts gemacht werden. Wohl die einzigen Pausen, die ich mir gnne.

    So oder so bildete ich mir das zumindest ein.Als mich der andere oder ich ihn pltzlich fragte; ob, wenn ich oder er die Wahl htte; ein Wissen zu erlangen, dass mich oder ihn einerseits bereicherte, anderseits aber ebenso belastete, wie wrde ich oder er dann whlen? Wrde ich das Wissen abstreiten? Wrde er das Wissen annehmen? Wrden wir beide von der Fragestel-lung beeinflusst worden sein? Knnte ich, knnte er dem widerstehen und das Wissen Wissen sein lassen?

    Wir hatten uns am Vorabend entschieden, unseren Bus zu verlassen. Man brachte uns zum Bahnhof, wo wir auch die Nacht verbrachten und noch in weiter Ferne sahen wir das ungestme Blau des Busses und hr-ten seinen betrenden Motor rumoren. Sind es diese Affekthandlungen, die mich bereichern oder die ihn, den anderen, den neben mir die ihn erheben?

    Es war immer eine romantische Vorstellung an einem verlassenen Bahnhof sitzen zu mssen. Die Stiefel ber den Aktenkoffer zu legen. Den Hut tief in das Gesicht zu ziehen. Eine Sonnenbrille auf der Nase runter rutschen sehen und die Arme ausgestreckt auf den blanken Bahn-steig abzulegen. Ob nun ich dieserjenige war, oder ob ich nur daneben stand und jeman-den, vielleicht meinen Freund dabei beobachtete, wie er dem nachging, was fr mich eine romantische Vorstellung war es ist ohne Bedeutung

    darf). Es war ein Wunder, dass sie nicht brach bei dem Druck, welchen ich auf sie ausbte. Als ich da sa und mein Blick nicht schweifte, sondern eher starr nach drauen durch diese Grntne irrte und vielmehr aus der Fahrt an sich heraus ein Schweifen entstand ein passives Schweifen. Dabei fiel ein mich so sehr erregendes Sonnenlicht durch die Wlder am Straenrand, dass ich zur der eingangs erwhnten Erkenntnis kam

    Es kommt und kommt kein Zug. Ich sitze auf meinem Aktenkoffer und schaue von links nach rechts das Gleisbett hinunter. Der Freund mit dem ich unterwegs bin, liegt auf dem blanken Bahnsteig, hat die Hnde unter dem Kopf verschrnkt und sonnt sich. Oder ich liege auf dem blanken Bahnsteig, benutze meine Hnde, als Kopfkissen und sonne mich und er sitzt auf meinem Aktenkoffer oder er sitzt auf seinem Aktenkoffer und guckt oder guckt nicht das Gleisbett hinunter. Es ist, als wrden wir nicht auf den Zug warten, sondern auf die Rck-kehr der Relationen und Bedeutungen, die wir whrend unser Reise ir-gendwo verloren, vergaen oder womglich waren sie uns auch ber-drssig jetzt aber, wo ich nicht mal mehr wei: was ich tue, was er tut oder ob es meine Gedanken sind, die ich denke oder ich seine Gedanken denke oder es meine Gedanken sind, die er denkt oder er seine Gedan-ken denktStrend empfinden wir nicht den Verlust der Relationen und Bedeu-tungen, sondern die Relations- und Bedeutungslosigkeit der Gleich-gltigkeit dazu.

    Es fuhren schon Zge an uns vorbei. Nur waren es eben Gterzge und ich finde zwar den Gedanken unterhaltsam, dass wir auf einen solchen aufsprngen, uns verstecken, kichern, derb sind und so weiter

    Auch das war eine Affekthandlung, wie wir dazu kamen auf einem lndlichen Bahnhof zu halten und schlielich zu warten.

  • Entweder Ja oder NeinWarten24 25

    Wie ich meine Linsensuppe a, sicher auch Musik hrte und der Wind gegen die Fensterscheiben schlug, bin ich auf einmal nicht mehr sicher, ob ich das besagte erlebte oder ob mein, mit mir Wartender, auf dem lndli-chen Bahnsteig auf dem lndlichem Dorf, in das wir uns hatten absetzten lassen, davon erzhlt hatte; wie er sechs Monate in Brooklyn lebte und es in der gesamten Zeit nur eine Nacht gab, die es wert gewesen sein knnte, von ihr zu erzhlen. Er hatte es seinerseits womglich nur gehrt, direkt erzhlt bekommen oder indirekt mitbekommen und es dann weiter erzhlt, ob er es dann ausgeschmckt hatte, kann ich nicht sagen, ich wei ja nicht mal, ob ich gerade die kleine Geschichte dachte oder ob ich sie erzhlte, ob er die kleine Geschichte dachte oder er sie erzhlte, ob ich ihm dabei zuhrte oder es nur unwillkrlich aufnahmEin Motorradfahrer hielt am Bahnhof. Reiend lrmte, wie Gischt, ein Kiesbett. Er stieg von seinem Motorrad, einer Royal Enfield ab. Befreite sich von seinem Helm. Schaute sich um. Setzte eine Sonnenbrille auf. Wie Raupen wetzten sich seine schwarzen und spitzen Cowboystiefel durch den lndlichen Sand. Ob er geradewegs aus Indien kam, ist mir nicht bekannt. Er nahm eines dieser Sturmfeuerzeuge aus der Tasche und zn-dete sich eine Kippe aus einem silbernen Etui an. Wir hatten wohl so etwas wie eine Konversation. Wieder, ob ich dabei still war, zuhrte oder auch nicht, oder ich der so-genannte Gesprchspartner war ist und bleibt mir unklar.

    Wir warteten also zu dritt.

    Einer von uns dreien zhlte die Rillen in den Steinen. Ein anderer die Backsteine des Bahnhofsgebudes. Alle wussten wir, wie viele Steine es im Gleisbett gab.

    Wenn man in seinem Zimmer sitzend ein Schreien aus einer anderen Wohnung hrt und es offensichtlich mit Gewalt zugeht, verlsst man

    und ich habe dazu keinen Bezug.Auch hatten wir Angebote seitens anderer Reisender abgelehnt, uns ein Stck nach hier oder da mitzunehmen.

    Die Sonne lag, wie in einer Milch gefllten Schale am Himmel und sank nicht. Ich hatte mir, er hatte sich oder wir hatten uns Zigaretten angezndet und Kaffee gekauft. Auch die Zigaretten erloschen nicht und der Kaffee neigte sich nicht dem Ende.

    Was wrde ich tun? Wrde ich ihm sagen, ich wolle das Wissen erfah-ren? Wrde ich ihn dabei beobachten wollen, wie er das Wissen erfhrt? Wre ich derjenige, der das Wissen erzhlt? Wrde ich derjenige sein, welcher von weit her, vielleicht beim Kaffee kaufen, weil der letzte doch leer geworden war, sehen wrde, wie zwei miteinander sprechen und wrde ich dann, trotz dessen dass ich nicht hren kann, was die da er-zhlen: denken, es handele sich um die Frage zur Entscheidung nach dem Wissen?

    Es war ein Tag vor dem Hurrikane, als davon im Radio berichtet wur-de. Es war am nchsten Tag, als ich in meinem New Yorker Zimmer sa und auf den Sturm und Regen wartete. Ich hatte mich darauf eingerichtet, einen Grund gefunden zu haben das Zimmer fr Tage nicht verlassen zu mssen, weil es ja diesen Hurri-kane gab. Ich kaufte Linsen, Zwiebeln, Lauch, Speck, Kartoffeln und Es-sig. Am Tag des Hurrikans kochte ich in ritueller Geduld meine Eintopf, fr die nchsten sieben Tage. Das ist das Warten. Das sind Sonntage. Man wartet bis das Wasser kocht. Man wartet, bis die Linsen durch sind. Man schneidet zwischen-durch das Lauch, wrfelt den Speck und kocht die Kartoffeln vor, bevor man alle Zutaten, in einen Topf gibt, das Ganze mit Salz, Pfeffer und Essig kcheln lsst und wartet

  • Entweder Ja oder NeinWarten26 27

    halb wir zum einen hier seit letzter Nacht warteten, vielleicht um zum anderen zu verstehen, weshalb wir nicht mit einstiegen. Sicher wussten sie nicht, wie es war zu Warten: es grnen die Bsche und Bume so schn. Es wchst das Gras so illus-ter. Es ist die Atmosphre so sthetisch. Es sitzen wir zu dritt am Bahn-hof. Wie jeder in seine Richtung starrt. Wie jeder seine Sache macht. Wie ich die Relation, den Bezug zu allem verloren habe. Wie ich treibe. Wie ich nicht unterscheiden kann, zwischen ich, deiner, dir, du wir, ihr Wie wir auch im Kaukasus bei Tiflis, in der Steppe sitzen knnten. Wie der Bahnhof eine Ausrede ist. Wie ich noch in meinen, deinen, euren Ge-danken versunken bin, steht der Motorradfahrer auf und wir folgen ihm.

    Die Royal Enfield ist mit einem Beiwagen ausgestattet, der bei der Fahrt heftig wackelt und jedes Schlagloch mit einem Zittern an mich wei-ter gibt. Wieder fallen mir die verschiedenen Grntne der Bume und Bsche auf. Wieder teile ich das Grn der Bume und Bsche in hell oder dunkel auf. Jetzt fallen uns auch die Blten der Akazien auf und der Backstein des sich entfernenden Bahnhofs ist rtlich von der Sonne, wie Leder gegerbt. Nachdem die Nacht des Hurrikans vor rber war. Lag derjenige, der diese Nacht erlebt hatte in seinem Bett und zhlte die Fliegen, whrend-dessen er im Bett lag, benutzten sie ihn als Landeplatz und Startbahn.

    Die Royal Enfield holpert ber die lndliche Landstrasse und verlsst das lndliche Dorf.

    Aus dem Warten des Stillstandes, wurde ein Warten der Bewegung. Wir sitzen zu dritt auf der Maschine und fahren. Es grnen die Bume und Bsche so verschieden Grn.

    Kann Wissen sein wie Gift? Es knnen Gedanken sein wie Gift.

    F i n .

    dann seine Wohnung und schaut woher das Schreien kommt? Und wenn man tatschlich seine Wohnung verlassen hat, was man auch gerade in dieser machte, ob man vielleicht auf einen ausbleibenden Hur-rikane wartete, man dann auf dem Flur steht, sein Ohr an die diversen Wohnungstren des Hausflures legt, man schon wieder umkehren will, weil das Schreien anscheinend verstummt ist und man auf dem Rckweg doch noch ein Geschrei vernimmt, zur besagten Quelle strmt und bevor man heftig an die Tr schlgt, hrt, dass es doch nur der Fernseher war Ist man dann erleichtert dass keiner Verletzt wurde oder ist man dann enttuscht, dass man nicht den Helden spielen durfte und geht man dann schmhlich wieder auf sein Zimmer und wartet auf den Hurrikane? (Und das dann, weil einen doch niemand braucht?)Wieder zog ein Gterzug an uns vorbei. Wieder hatte er 25 Wagons. Wieder bebte der Bahnhof. Wieder war niemand zu sehen. Noch immer hatten wir Kaffee und Zigaretten, die wir in einem Automaten gekauft hatten. Kaffee aus Automaten, ist eine ganz frchterliche und widerliche Sache. Ist der Teufel nicht der Herr der Fliegen? Das alte Schwein. Bei einem trkischem Kaffee, ist es unerlsslich die Bohnen zu einem feinen Pulver zu mahlen, feiner als es fr einen Espresso ntig ist. Wenn man beim aufkochen den Zucker vergisst, wird daraus nicht dieselbe Schaumschicht. Wie ich das Mahlen wie ich das Ritual liebe. Wie Ttigkeiten, die weitere Ttigkeiten erwarten wie Rituale, mein Ersatz fr fehlendem Bezug und vermisster Bedeutung wurden.

    Inzwischen hatte einer von uns den Aktenkoffer geffnet. Die Royal Enfield schnurrte noch, als warte sie auf denjenigen, der sie los tritt und davon fhrt. Als der blaue Bus, der mit dem rumorenden Motor, zurck kam, lehn-ten wir erneut ab einzusteigen. Die Anderen setzten sich kurz zu uns. Vielleicht um zu verstehen, wes-

  • Warten28

    Sie wollen wissen, um was fr eine Art von Wissen es sich handelt?Sie knnen also, kurz gesagt das Wissen nicht einfach Wissen sein las-sen? Es gibt also einen Reiz, der Ihnen befiehlt, dass Sie um jeden Preis; das Wis-sen wissen mssen? Ungeachtet dessen, dass es Ihnen unter Umstnden schaden, ja Sie be-lasten knnte?

    Wollen Sie es immer noch Wissen?

    Nun also, ich muss Ihnen sagen, dass ich nicht befugt bin das Wissen wei-ter zu geben, aus Verantwortungsbewusstsein und Geheimniskrmerei

    Wissen Sie auch, dass wenn Sie das Wissen erfahren, es sich genau um einen Effekt handelt, von dem das Wissen erzhlt?

    Der Effekt, den das Wissen nach sich zieht ist nmlich, ein Rckkopplungs-effekt. Weshalb ich Sie so auf die Folter spanne?

    Ob ich mir vielleicht gerade jetzt erst das Wissen ausdenke?Eine Sache noch, Sie werden enttuscht sein, wenn Sie es erfahren haben.

    Sie werden sagen, aber sicher wusste ich, dass ich jedes Ziel egal welches es ist, nur wegen seiner Erfllung verfolge, dass ich mich also gar nicht fr die eigentliche Sache interessiere, sondern nur sehen will, was dann anders ist, aha! Das wars schon!

    Ich bin heil froh, dass Sie selbst auf das Wissen gekommen sind. Und ich sage Ihnen, nichts ist dann anders.

    D e r F r s t e r

    01Denken Sie, es war klug noch zu dieser Zeit aufzubrechen?

    Denken Sie, es war geschickt nicht auf bernachtung und Verpflegung

    zu achten?

    Denken Sie, es war richtig sich nicht zu verabschieden?

    Es war bereits Morgen, als ich mich dazu entschied die Zelte abzu-brechen.

    02Denken Sie, es war klug, bei Fremden einzusteigen?

    Denken Sie, es war geschickt unverschmt zu sein?

    Denken Sie, es war richtig, sich irgendwo absetzen zu lassen?

    Es war bereits Nachmittag, als ich mich in einer fremden Stadt wie-derfand

    03Denken Sie, es war klug Ihr Telefon zu vergessen?

    Denken Sie, es war geschickt, sich vollkommen los lsen zu wollen?

    Denken Sie, es war richtig, Ihrem Gefhl zu folgen?

    Es war bereits Abend, als ich noch immer keine Unterkunft hatte.

    04Denken Sie, es war klug, sich ganz sorglos treiben zu lassen?

    Denken Sie, es war geschickt nicht um Hilfe zu bitten?

    Denken Sie, es war richtig eine gleichgltige Haltung einzunehmen?

    Es war bereits Morgen, als ich mich zwischen zwei Huser kauerte

    und schlief.

  • 05Denken Sie, es war klug, trotz des Misserfolges nicht nach Hause zu

    gehen?

    Denken Sie, es war geschickt den eingeschlagenen Weg fortzusetzen?

    Denken Sie, es war richtig stur zu sein?

    Es war wieder Mittag, als ich die fremde Stadt verlie.

    06Denken Sie, es war klug in ein verlassenes Forsthaus einzubrechen?

    Denken Sie, es war geschickt, sich erst zu bedienen und es dann anzu-znden?

    Denken Sie, es war richtig, niemanden ber den Toten zu verstndigen?

    Es war wieder Nachmittag, als der Frster verbrannte.

    07Denken Sie, es war klug nicht mal Ihre Spuren zu verwischen?

    Denken Sie, es war geschickt, sich noch eine Weile dort aufzuhalten?

    Denken Sie, es war richtig, sich auszuziehen?

    Es war wieder Abend, als ich neben dem Frster einschlief.

    08 .Wann denken Sie, haben Sie die ersten Tendenzen entdeckt?

    Wann denken Sie, htten Sie sich Hilfe holen sollen?

    Wann denken Sie, hat es sich fr Sie so angefhlt, dass es bereits zu spt

    war?

    Lange schon vor dem Aufbruch.

    f i n

    Notizen zu:

    Warten

    Notizen zu:

    Der Frster

  • U r s a c h e u n d W i r k u n g

    Schwei, ich wische die triefende Stirn an der Armbeuge ab. Ver-kehr, Haken schlagen. Brcke, Steine, Fluss, Wasser und Stadt. Die Atmosphre ist ein Luftballon, gefllt mit Abgasen. Motoren, Hu-pen, Pfeifen, Sommerhitze und China Town. Schwei, rinnt in Bchen. Leute rufen, Arbeit und Bume. Strucher streichen mich. Standort: Kreuzung 14. Ecke 5. Strae Union Square. Haken schlagen durch den Verkehr. 15 Minuten noch. Danach 25 Minuten. Dann 10. Di-stanzen sind Zeit. Haken schlagen, schneller, rasanter. Kratzer im Lack. Gelbe Endlosreihen. Hupen, 9 Minuten. Ziel 59. Strae Ecke 5. Avenue Central Park. Zeit sind Distanzen. Distanzen in Sekunden. Schwere Luft. Bryant Park 40. Ecke 5. Strae. Auf einmal der Geschmack von Blut. Auf einmal Tropfen von Blut an den Mundwinkeln. 5 Minuten. Breite Strae, 6 Spuren. Spielen, Setzen, Gewinnen. Spielen, Setzen, Verlieren. Blutstropfen auf dem Hemd. Blut auf dem Metall. Blut auf dem As-phalt. Blut.Vor anderthalb Jahren hatte der Kurier F. Mrz einen Unfall. Dieser Unfall hat sein Leben grundlegend verndert.

    Frau Mrz, Sie mssen sich das so vorstellen, das Bewusstsein des Patienten ist noch aktiv, es ist dem Patienten nur, sagen wir, verloren gegangen. Wenn Sie mchten, dass er wieder der wird, der er vor dem Unfall war, mssen Sie einen Teil seines Gehirns ansprechen, der Ihn aufweckt. Eine Episode aus der Kindheit, ein gemeinsamer Urlaub oder ein Lied, dass sie beide mgen, irgendetwas, dass Psyche und Soma, wie-der mit einander verknpft.

  • Entweder Ja oder NeinDie Ursache der Wirkung ist Fnf33 34

    01

    Sie erinnern sich vermutlich nicht. Sie hatten einen Unfall.Hustet und ringt nach Atem.

    Ich darf mich vorstellen? M. Mrz.

    Er richtet sich auf. Gardinen gefiltertes Sonnenlicht tritt in das Zimmer. Das weie Laken ist zerknllt. Die weie Bettdecke ber den schwachen Leib gelegt ebenfalls zerknllt.Sie waren gerade unterwegs. Erinnern Sie sich? Nein? Nicht? Sie hat-ten eine Lieferung in der Tasche. Vermutlich hatten Sie es eilig.

    Er Ruspert sich. Fhrt sich ber das Gesicht, die Stirn und durch die Haare. Daneben Apparaturen und Schluche.

    Erinnern Sie sich an mich?

    Ich kenne Sie nicht.

    Noch nie gesehen? Also gut, fangen wir nochmal von vorne an:Wir haben dieses Gesprch schon einige Male gefhrt. Sie hatten einen Unfall. Das wissen Sie jetzt. Das war ein Fahrradunfall. Sie wurden in das Medical Center, Brooklyn Flushing Avenue Ecke Broadway, eingeliefert. Die Zeit zwischen ihrem Unfall und der Einlieferung betrug 03 Monate. Es waren die Schden, nicht sofort abzusehen. Das ist jetzt 01 Jahr und 03 Monate her.

    Kann ich vielleicht mit einer Schwester sprechen? Sie sind mir unan-genehm.

    Auch das hatten wir schon. Ich hole Ihnen eine Schwester.Einen Augenblick spter. Die Schwester kommt ins Zimmer. Hlt sich die Hand vors Gesicht. Wrgt, stt leicht auf, lftet. M. Mrz bewegt sich nicht.

    Ja bitte, (noch wrgend) was kann ich fr Sie tun?, (wieder aufsto-end).

    Diese Frau belstigt mich.

    Das ist Ihre Ehefrau, (und ruspert sich).

    Diese Ehefrau belstigt mich.

    Entschuldigen Sie, aber ich kann Ihre Ehefrau nicht zwingen das Zim-mer zu verlassen. Sie ist Ihr gesetzlicher Vormund. So ist das also.

    Ich gehe dann wieder, in Ordnung?

    Ja, ich bitte darum. Also weiter im Text. Ich bin Ihre Ehefrau Madelei-ne Mrz. Weshalb ich Sie, mit Sie anrede? Nun mein Lieber, nach all der Zeit sind Sie mir fremd geworden.

    Ich wei nicht, was das alles mit mir zu tun haben soll. Ich will noch-mal mit der Schwester sprechen!

    Einen Augenblick spter. Die Schwester kommt erneut ins Zimmer.

    Ja bitte, was kann ich fr Sie tun?

  • Entweder Ja oder NeinDie Ursache der Wirkung ist Fnf35 36

    Ich mchte gerne das Krankenhaus verlassen. Holen Sie bitte meine Sachen. Ich breche in einer Stunde auf.Es tut mir sehr leid Herr Mrz. Ihre Ehefrau, die Ihnen gegenber sitzt, hat verfgt, dass Sie selbst keine Entscheidungen treffen drfen. Insbesondere nicht: wenn es sich dabei um Ihre Entlassung handelt.

    Ich bestehe darauf! Wenn Sie mir mein Zeug nicht zusammen sam-meln wollen, verlasse ich die Klinik eben im Krankenkleid das soll mich nicht aufhalten.Herr Mrz, setzen Sie sich bitte wieder.

    Schatz, das Fenster ist vergittert. Es hat keinen Zweck. Kommen Sie soweit klar Frau Mrz? Ich msste mich, wieder um die anderen Patienten kmmern Ja, Ja, ich bitte darum. Sie kennen das Prozedere. In 2 bis 3 Stunden schlft er ein und es wird wieder von vorne beginnen.

    Er ist brigens anwesend. Knnten die Damen bitte, ber ihn nicht in der dritten Person reden, wenn er anwesend ist.

    Decken Sie sich zu Herr Mrz. Der Luftzug schadet Ihnen. Auf Wie-dersehen Frau Mrz.

    Auf bald Schwester.

    Jetzt sind Sie und ich wieder allein. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja mein lieber Ehemann; Sie haben ein merkwrdiges Talent entwickelt. Erinnern Sie sich daran?

    Ich werde, berhaupt nichts mehr sagen, noch denken oder mich an

    irgend etwas erinnern, bevor ich nicht wieder ber mich selbst verfgen darf.

    Glauben Sie mir, liebes Mrzchen, ich wrde Sie gerne gehen lassen drfen. Es wre auch fr mich eine groe Erleichterung! Aber kaum sind Sie aus Ihrem Schlaf erwacht, erinnern Sie sich wieder an nichts. Das ist Selbstgefhrdung und(!) Fremdgefhrdung, wer wei, was Sie anstel-len!

    Woher wollen Sie das wissen, Madeleine?

    Frau Mrz, fr Sie immer noch Frau Mrz. Die Erfahrung sagt es mir. Ich kann es quasi voraussehen. In genau (schaut auf ihre Uhr) 95 Minu-ten, schlafen Sie wieder ein. Sie werden in etwa, fr 05-06 Stunden schlafen. In der Zeit werde ich arbeiten. Eine Teilzeitstelle was ich Ihnen verdanke. Aber das Bureau dort, ist ganz schn eingerichtet. Ich habe meinen ei-genen Arbeitsplatz. Es gibt einen hauseigenen Arzt, zu dem ich, wegen meiner Wehwehchen gehen kann und sobald Sie erwacht sind, meldet sich die Krankenschwester bei mir und ich sehe, dass ich wieder zu Ihnen ins Zimmer komme.

    Was, wenn ich mich einfach weigere einzuschlafen?

    Es tut mir sehr leid: alles was Sie denken, haben Sie bereits schon einmal gedacht und ist fr mich nichts neues.

    Das leuchtet mir ein und weshalb reden wir dann noch miteinander?

    Es heit immer noch: weshalb reden Sie und ich dann noch miteinan-der. Gegenfrage: weshalb wachen Sie denn immer wieder auf?

  • Entweder Ja oder NeinDie Ursache der Wirkung ist Fnf37 38

    Der Patient ist inzwischen still geworden und vergrbt sich in seiner Decke.

    Weil Ihr Krper es Ihnen befiehlt. Weil Ihr Krper sich eine Illusion von Leben aufrechterhlt. Weil ich und Sie diese Illusion brauchen. Weil diese Illusion unser beider Wirklichkeit geworden ist Wo war ich stehen geblieben? Ah ja, Sie haben also dieses Talent. Er-innern Sie sich berhaupt an ihren Unfall? Wenigstens ein bisschen? Bruchstcke? Irgendetwas?

    Der Patient kommt wieder aus der Decke hervor.

    Ich erinnere mich noch: geblutet zu haben.

    Das ist es. Heureka, das ist Ihr Talent!

    Zu bluten? Das ist kein Talent.

    Nein, Sie mein lieber Ehemann, Sie bluten vor dem Unfall! Ist das nicht absurd? Sie bluten bevor es einen Grund dazu gibt. Motivation, Ursache, Konsequenz und Wirkung sind bei Ihnen frei austauschbar. Va-riable sozusagen. Die rzte knnen es sich nicht erklren. Das ist ein medizinisches Wun-der! Sie glauben gar nicht, was wir fr Aufmerksamkeit seitens der Pres-se genossen haben.brigens wir haben noch 30 Minuten bis Sie einschlafen.

    Der Patient wickelt sich in seine Decke ein, lsst ein Guckloch und schaut aus dem vergitterten Fenster.

    Ach! aber wissen Sie Mrz: ich habe keine Lust mehr, Ihnen das schon hundert Mal durchgekaute wieder zu erklren und gehe jetzt ins

    Bureau Schwester? Schwester? Schwester?!

    Am Telefon, Sie wnschen Frau Mrz?

    Wrden Sie sich bitte die verbleibende halbe Stunde zu meinem Mann setzen und ihn beruhigen? Ich habe gerade einen wichtigen Anruf aus dem Bureau erhalten und muss frher los.Frau Mrz, im Krankenhaus sind Telefone, doch aber verboten.

    Schwester, nun haben Sie sich doch nicht so. Ich verstehe. Und ja gehen Sie ruhig.

    Mein Ehemann, ich muss Sie nun verlassen. Sie haben es ja gehrt: die Schwester besteht darauf; sich mit Ihnen die letzte halbe Stunde allei-ne auseinanderzusetzen. So sehr ich auch hier bleiben mchte. Ich kann mich dem Wunsch der Schwester nicht entziehen. Sie hat ja soviel fr uns getan. Wissen Sie so viel. Haben Sie bitte Verstndnis. Au Revoir.

    Versucht ihn zu kssen.

    Wie keinen Kuss? Sie sind heute, aber garstig. Nun gut. Wir sehen uns, wenn Sie ihr Gedchtnis verloren haben.

    Frau Mrz verschwindet. Die Schwester tritt zur Tr hinein. Beide wechseln ein paar unverstndliche Worte.

    05-06 Stunden vergehen.

  • Entweder Ja oder NeinDie Ursache der Wirkung ist Fnf39 40

    02

    Sie erinnern sich vermutlich nicht: Sie hatten einen Unfall.Er hustet und ringt nach Atem.

    Ich darf mich vorstellen, Frau Mrz. Ich bin die, fr Ihren Fall, zustn-dige Krankenschwester.

    Angenehm Schwester Mrz, (sagt er schmeichelnd), um genau wel-chen Fall geht es hier?

    Sie mssen mir sagen, an was Sie sich erinnern Herr M.

    Knnen Sie das Fenster ffnen?

    Beantworten sie die Frage, verdammt!

    Versteckt sich unter der Bettdecke und gibt gurrende Gerusche von sich.Die eigentliche Krankenschwester kommt ins Zimmer.

    Herr M., darf ich vorstellen Ihre Ehefrau, Frau M.

    Ich bin nicht verheiratet.

    Kommen Sie aus der Decke hervor. Sie verhalten sich unhflich und kindisch.

    Ich kann mich verhalten, wie ich mich verhalten will. Schwester, Sie knnen jetzt gehen, (Frau Mrz zur Krankenschwester flsternd.)

    Sie haben mich doch, aber erst gerufen? (In normaler Lautstrke.)

    Gehen Sie jetzt und seien Sie leiser! Der Patient braucht Ruhe.

    Schwester verlsst das Zimmer.

    Kommst du jetzt wieder aus der Decke raus? Ich reie Sie dir sonst vom Leib.

    Ich will, dass Sie mich siezen.

    Ich will Sie also siezen. Wo waren wir stehen geblieben?

    Sie wollten das Fenster ffnen.

    Es hat keinen Zweck es ist vergittert. Aber bitteschn. Ich habe Sie noch nie gesehen und ich wei auch nicht, was passiert ist. Ich wei, aber das mir das alles nicht gefllt.

    Was gefllt Ihnen nicht?

    Vielleicht erinnere ich mich doch an etwas, aber ich sage es Ihnen nicht, weil Sie frech zu mir sind.

    Frau Mrz, eigentliche Ehefrau und vermeintliche Krankenschwester verlsst das Zimmer. Kommt nach einigen Minuten mit der Schwester wieder rein.

    Wollen Sie uns nun beiden sagen, was Sie noch wissen?

    Ich kann Sie beide weder auseinanderhalten, noch kann ich eine von

  • Entweder Ja oder NeinDie Ursache der Wirkung ist Fnf41 42

    Ihnen ausstehen.

    Unfall. Erinnern sie sich an den Unfall?

    Wollten Sie jemals Kinder haben?

    Sie waren 03 mal die Woche Schwimmen.

    Schwester will gehen.

    Ich wrde dann wieder gehen wollen. Es warten noch andere Patien-ten.

    Sehen Sie, Ihre Ehefrau kann Ihre Amnesie nicht ertragen. Machen Sie doch was!

    Ich war wohl schon eine Stunde im Becken. Etwas auer Atem. Haben Sie einen Fhrerschein? Ich wrde gern mal eine Spritztour machen. Pltzlich schmeckten Sie Blut.

    Schwimmen war eine Erleichterung fr mich. Eine kontrollierbare Sa-che, ein Druckausgleich und dazu noch eine feste Struktur. Hier war ich Mann, hier konnte ich sein.

    Entschuldigen Sie mich. Sie kommen ja klar, nicht?

    Aber bitte gehen Sie nur, Frau Ehefrau Ich denke Herr M. und ich, wir kommen zurecht, nicht wahr?, (zu Herrn M.).

    Krankenschwester schliet das Fenster und verlsst das Zimmer.

    Wie steht es mit Musik? Ich wrde gerne mal was hren.

    Hren Sie, wir haben nur begrenzt Zeit.

    Ich verstehe nicht. Ich liege ja sowieso hier und Sie sitzen eh da. Ob nun jetzt oder in drei Stunden. Was mgen Sie also? Eher einen Walzer oder Tango? Oder Tanzen sie lieber allein?

    Ich muss Sie enttuschen: in einer halben Stunde, werden Sie ein-schlafen und sich danach an nichts erinnern, was wir besprochen haben, besprechen und besprechen werden.

    Also dann, werde ich erst recht nichts sagen. Es macht ja dann keinen Unterschied. Ich glaube brigens Hunger zu haben.

    Frau Mrz klingelt nach der Krankenschwester. Herr Mrz bekommt etwas warmen Brei serviert und isst schlrfend die graue krnige Masse.

    Der Geschmack von Blut und Blut verteilte sich im Wasser. Brust-schwimmen, Atmen, Tauchen, Ziehen, Stoen, Rudern, Blasen, Zge unter Wasser ist Blut. Wo kommt es her?

    Ja weiter. Sie erinnern sich. Konzentration bitte!

    Eindeutig mein Blut. Aber ich bin nicht verletzt.

    Die Krankenschwester kommt wieder rein.

    Die Besuchszeit, wre dann zu Ende.

    Gut, Frau Ehefrau dann machen Sie es hbsch, (Frau Mrz zur Kran-kenschwester).

  • Entweder Ja oder NeinDie Ursache der Wirkung ist Fnf43 44

    Ich hatte eigentlich Sie gemeint, (und andersherum).

    Einen Augenblick noch, er verliert gleich wieder sein Gedchtnis.

    Krankenschwester setzt sich ungeduldig auf einen Hocker und hrt zu.

    Mein Schatz, machen wir mal eine Spritztour? Ich fhle mich so einge-engt, (Herr M. zur eigentlichen Krankenschwester und vermeintlichen Ehefrau).

    Kommen Sie schon, machen Sie mit! Er redet sonst nie, (Ehefrau Fr. Mrz zur Krankenschwester laut flsternd).

    Krankenschwester sagt lustlos (schaut dabei aus dem Fenster): aber ja gerne, wir fahren mit Ihrem Motorrad bers Land und machen dann ein Picknick Hren Sie das? Ihre Ehefrau hat Sie gern. Sie mssen sich nur erin-nern. Sie schwammen unter dem 03 Meter Turm.

    Ja richtig, es war gerade Sprungturnier. Tun Sie mir brigens einen Gefallen? Und machen Sie die Jalousie zu? Ich wrde gern schlafen.

    Sie wollten ihre Bahn noch beenden.

    Und berall war Blut. Dann hrte ich das Sprungbrett schwingenBlut. Ich blutete bevor ich verletzt wurde.

    Er ghnt zwischen durch. Schlft ein. Krankenschwester deckt ihn zu. Frau M. Mrz sitzt vor dem Bett und weint.Heult noch immer. Die Krankenschwester sucht sie zu trsten. Verlsst das Zimmer.

    03

    Der Patient erwacht langsam. Fr. Mrz, inzwischen ebenso einge-schlafen, ruspert sich und wischt sich Schlafsand und die verblie-benen Trnen aus dem Gesicht.

    Sie erinnern sich vermutlich nicht: Sie hatten einen Unfall, (noch schluchzend. Bemht, aber sich zu beherrschen).

    Mrz Hustet und ringt nach Atem.

    Sie sind?

    Ihre Schwester Madeleine. Duzen Sie mich.

    Angenehm Ihr BruderWie war noch mein Name?

    Friedrich. Dein Name ist Friedrich.

    Das Krankenzimmer ist recht hbsch gestaltet. Stuck und eine Rosette, aus der eine Industrielampe aus emaille in den Raum ragt, zieren die Decke. Ein hlzerner Sekretr steht gegenber vom Bett. Der Boden ist gefliest leicht vergilbt. Es gibt kein Mosaikpflaster. Willst du etwas arbeiten, mein Bruder?

    Ich wei nicht, was ich arbeiten soll, Schwester.

    Setz dich an den Sekretr. Du wirst Schreibzeug, Papier und Tinte in einem der Fcher finden.

    Du willst, dass ich Schreibe?

  • Entweder Ja oder NeinDie Ursache der Wirkung ist Fnf45 46

    Ja, wre das nicht reizend(?) und wenn du fertig bist, kannst du das Geschrieben in eine der Schubladen verstauen und etwas neues anfan-gen.

    Ich wrde lieber Spazieren gehen. Ich wrde lieber leben, als mich an gelebtes zu erinnern. Knnen wir an die frische Luft? Es kommt mir vor, als wrde ich schon ewig in diesem Zimmer liegen.

    Ich lass dich kurz alleine. Es hat dir doch immer so gut getan. Bitte gehe, an deinen Schreibtisch.

    Entfernt sich. Durch das Fenster scheint fahles Morgenlicht.

    Setzt sich an den Tisch und schreibt: irgendwann, irgendwie, irgendwo habe ich den Sinn sich zu beschftigen verloren, seitdem versuche ich krampfhaft mich zu beschftigen. Ich erwische mich, jedoch immer wieder dabei, wie ich ins Sinnlose abdrifte, meine gefundenen Beschftigungen entwerte und

    Die Krankenschwester kommt in das Zimmer.

    Wo ist ihre Ehefrau? Die Krankenschwester Gott(!) wo ist Ihre Schwester meine ich?

    Fr. Mrz kommt wieder ins Zimmer.

    Ach! Was machen Sie denn hier? Kmmern sie sich pltzlich um mei-nen Bruder? Wie nett! Er ist, aber gerade damit beschftigt zu arbeiten. Sie wollen, spter wieder nach ihm schauen kommen.

    Krankenschwester verlsst beleidigt das Zimmer.

    Also, mein liebes Brderlein kommen wir zum Punkt.

    Was fr einen Punkt?

    Du wunderst dich ja sicherlich, weshalb du hier im Bett liegst, nicht?

    Ich hatte mich eigentlich schon damit abgefunden und ganz gut ar-rangiert.

    Jedenfalls, (genervt, sucht aber geduldig zu wirken), hattest du ei-nen schlimmen Unfall. Deswegen bist du im Hospital.

    Das ist ein Krankenhaus? Ich dachte, ich wre in meinem Bureau. Was macht dann der Sekretr hier?

    Den habe ich extra fr dich kommen lassen.

    Wie lange bin ich denn schon hier?

    Das spielt jetzt keine Rolle. Leg dich bitte wieder hin. Du darfst dich nicht aufregen.

    Ich will mit dem Klinikpersonal reden.

    Das geht nicht. Alle sind beschftigt. Willst du die Leute beim Arbei-ten stren? So kenne ich dich ja gar nicht. Der Unfall hat dich schon sehr verndert.

    Was fr ein Unfall?

    Na endlich, ich dachte du fragst nie!, (rckt ein Stck nher an das Bett und nimmt seine Hand), du musst mir sagen, an was du dich erin-

  • Entweder Ja oder NeinDie Ursache der Wirkung ist Fnf47 48

    nerst.

    Ich wei nicht recht. Ich glaube, es wrde mir leichter fallen mich zu erinnern, wenn wir Spazieren gehen wrden.

    Das geht nicht. Wir haben keine Zeit mehr. Bist du eigentlich noch gar nicht mde?

    Nein, es geht mir blendend.

    Also gut. Die Schwester wird nicht sehr erfreut sein, aber ich will dir diesen Wunsch nicht abschlagen. Entschuldige mich einen Moment.

    Es vergehen einige Minuten In denen Fr. Mrz das Zimmer verlsst und es ist anzunehmen, dass sie drauen vor der Tr mit der Schwes-ter spricht. Sie kommt wieder in das Krankenzimmer. Friedrich Mrz er-kundet inzwischen den Sekretr, fngt jedoch nicht an zu Schreiben an, sondern spielt nur mit der Tinte. Als die Tr sich ffnet, schliet er die Schubladen und schtzt vor, zu warten.

    Ach, du hast dich schon angezogen. Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, wie gern ich dich habe?

    Der Patient F. Mrz verlsst das Zimmer, eilig folgt ihm seine Ehefrau M. Mrz.Es ist Mitte April. Der Patient Friedrich Mrz verlsst seit 1 Jahren das erste mal sein Zimmer.

    Die Sonne, die Vgel, das Gras es riecht nach Frhling! Es kommt mir vor, wie eine Ewigkeit! Als wre ich seit Jahren nicht an der frischen Luft gewesen. Es ist so schn hier.

    Pass auf! Nein nicht da lang! Lass uns bitte auf dem Weg bleiben! Bruder komm da weg. Nein nicht die Linie bertreten. Friedrich, jetzt nicht auch noch auf den Baum klettern, bitte beherrsche dich!

    Indes Madeleine Mrz nach ihrem Ehemann ruft, fllt ihr auf, dass ihr Verhalten, das von ihr zu erwartende adquate und angepasste Verhal-ten ist und sie beschliet sich anders zu verhalten. Sie denkt sich, von dem ganzen Repertoire an Verhalten, welches mir zur Verfgung steht, muss es ein Verhalten geben, welches dazu fhrt, ihn wieder ins Zimmer zu bewegen. Sie ist sich sicher: sie msse nur heraus raus finden, welches das ist.

    Bruder warte, nicht noch auf den Baum klettern. Was glaubst du, was die Schwester von dir denkt? Sie wird meinen du brauchst sie nicht mehr. Weit du, was du ihr damit antust? Was meinst du, wie die Arme sich dann fhl?

    Sie ist eine gute Schwester. Sie wird wollen, dass ich mich wohl fh-le.

    Ruft Friedrich Mrz aus der Baumkrone und lsst sich den Baumstamm runterrutschen, um zwischen den Findlingen am Wegesrand herum zu springen, laute Rufe auszustoen und zu krhen wie ein Hahn

    Eigentlich, fhlst du dich gar nicht so gut. Das sind nur die Folgeer-scheinungen deines Unfalles.

    Und selbst wenn sie es sind, mir geht es ganz wunderbar!

    Er legt kurze Sprints hin, schlgt ein Rad und luft im Handstand.

  • Entweder Ja oder NeinDie Ursache der Wirkung ist Fnf49 50

    Schwester, Schwester, kommen Sie mal einen Moment. Sagen Sie es meinem Mann nicht. Es hat keinen Zweck mehr. Ich mchte, dass er in ein Pflegeheim verlegt wird. Ich gehe ihn dann einmal wchentlich besu-chen. Ich halte es nicht mehr aus.

    Natrlich Frau Mrz. Ich werde es sofort veranlassen. Wollen Sie sich noch von Ihrem Mann verabschieden?

    Nein, nein vielen Dank. Er schlft sicherlich schon. Auf Wiedersehen.

    Der Schlaf und wen wir lieben, das sind die unkontrollierbaren Dinge, die uns verraten.

    Von dem ganzen Repertoire an Verhalten, welches mir zur Verfgung steht, muss es ein Verhalten geben, welches dazu fhrt, die Situation zu verndern. Wer Nein sagt, der kann auch Ja sagen.

    Wenn du schon nicht hren willst, dann mache ich eben mit.

    Beide krhen wie Hhne. Beide schlagen Rder. Beide machen kurze Sprints. Beide laufen im Handstand. Beide springen zwischen den Find-lingen hin und her. Beide schauen sie sich erschpft an.

    Ich hatte also einen Unfall. Was war das fr ein Unfall?

    Erinnerst, du dich denn nicht?

    Blut. Ich erinnere mich an Blut und Motorengerusche, Scheinwerfer-lichter und Blut. Sehr viel Blut. Woher kommt das Blut?

    Madeleine Mrz setzt sich erschpft auf einen der Steine und zieht den widerwilligen Friedrich Mrz zu sich herunter.

    Mir ist sehr Unwohl. Ich will nicht daran denken. Lass uns lieber wei-ter spielen.

    Wir knnen danach spielen. Konzentriere dich. Was ist dann pas-siert?

    Es war pltzlich sehr laut und es gab Feuer. Viel Feuer. Splitter der Leitplanke rasen auf mich zu, brechen durch das Windschild. Weiter wei ich nicht. Erst der Unfall, dann das berleben und jetzt? Ghnende Leere. Ich bin mde.Knnen wir wieder rein gehen? Ich will auf mein Zimmer.

    Beide entfernen sich (schweigend) vom Krankenhausvorplatz und be-geben zurck sich in das Zimmer von Friedrich Mrz. Frau Mrz hlt vor der Tr, als ihr Patient von Ehemann, schon im Zimmer ist.

  • Rennfahrer

  • Nur von Boden zur Decke greifend das gebrochen Gitter suchenMitunter spt feststellen in der Hhle des Lwen gefangen zu sein.Von nun an: tglich den Herrn Lwe erwartenSchlottern, stottern und stutzenIm Hhlenstaub darauf warten gefressen zu werdenTageslicht durch das gebrochene Gitter in das Lwenhaus scheintLwenmuler diese fiese Fratze an die Hhlenwnde malt

    Hinter jeder dieser miesen Muler das Raubtier vermutenund tglich Sand fressen und Staub atmenDann irgendwann durch einen Zufall mehr oder weniger: einen Ausgang finden aus der Grotte flchten und nach Hause erleichtert strzen

    In den Spiegel schauenund da ist er dann; der Herr Lwe

    Die Geburt von Erwin L we

    iner dieser TageEiner dieser MorgenKein ZielAuf einem dieser StrassengitterWie immer diese VorstellungEinbrechen nach unten ewig FallenDas Gitter hlt

    Einer dieser Tage folgt einem anderem dieser TageEiner dieser Morgen folgt dem anderem dieser MorgenKein ZielAuf einem dieser StrassengitterDoch dieses Mal wird die Vorstellung unterbrochen: von einem ewig lautem Bersten und lange in eine Finsternis strzen dann doch berraschend leicht auf den Boden krachen

    Dann einer dieser ungewhnlichen neuen Tage Und dann an einem dieser ungewhnlichen Morgenirritiert im Hhlenstaub erwachenVor Hunger schon Sand fressenIn der Hhle nur auf und ab gehenNur von Wand zu Wand tasten

  • Notizen zu:

    Ursache und Wirkung

    Notizen zu:

    Die Ballade vom Rennfahrer

    Notizen zu:

    Die Geburt von Erwin Lwe

  • Die Enttuschung

  • Wie gefangen sein in einem Traum . Aus dem es schien, du knn-test ihm entwachen. Doch der Traum, offenbart s ich, a ls das Le-ben und deinem Leben, dem kannst du nicht entkommen

    Erwin Lwe

    TEST.

    .

    .

  • Die Enttuschung59 Entweder Ja oder Nein 60

    Herr Klein, was haben Sie dort auf dem Bahnsteig gemacht?

    Ich wartete dort.

    Sie waren enttuscht, waren sie das nicht?

    Als ich die Garage untersuchte, befand sich dort kein Exemplar der LTI. Es kann also nicht sein, dass Klein das Substantiv Enttuschung aus dem Buch entlehnt hatte. So oder so war die Garage fr ein Bcherregal nicht gro genug.

    Als Herr Klein und seine Frau sich voneinander trennten, und die Bei-den bisher auf dem Bauernhof der Eltern lebten, Klein also mit auf dem Hof lebte da schmiss man ihn vom Hof.

    Kennen Sie das? Wenn sie jemandem etwas sagen und derjenige dann das Gesicht verzieht, es von mir aus lacht, das soll ja vorkommen Kennen Sie das, wenn sich dieses verzogene Gesicht in ihren Kopf ein-brennt und wann immer Sie an diese Person denken, kommt nur die eingebrannte absurde Visage, kennen sie das?

    Herr Klein, wie kamen Sie berhaupt auf die Idee auf diesem Bahnhof zu warten? Verzeihen Sie, lachen und spotten meinerseits, aber als man Sie dort auffand: das war schon ein tragisches Bild. Sie abgemagerter und hage-rer Kerl, ohnmchtig an seine gepackten Koffer gelehnt. Das mssen Sie zugeben, das ist hchst komisch.

    Als man mich zum zweiten Male vom Hofe vertrieben hatte, war es nicht nur ein Ersuchen: mir zu versuchen irgend eine Ernsthaftigkeit anzuerziehen das lag wohl auf der Hand.

    Die entscheidende Frage, die sich mir stellt:ist das Leben an sich eine einzige Enttuschung oder ist mein Leben eine einzige Enttuschung?

    In den bisherigen Anstrengungen, konnte nicht errtert werden, wo-her das Substantiv Enttuschung berhaupt stammt rein etymolo-gisch betrachtet.Ist es ein Wort aus der LTI? Wie Entrmpeln, Entdunkeln oder Entbit-tern? Und gesetzt diesem Falle, besteht dann dahingehend ein Zusam-menhang? Herr Klein, wissen Sie, wo wir uns befinden?

    Das Zimmer ist ein Atelier. Es liegen Farbeimer, Leinwandfetzen, be-nutzte Pinsel, Zeitungspapier, schmutzige Paletten, umgekippte Was-sereimer, es stinkt nach Lsungsmittel und Klebstoff es ist das ganze Atelier ein einziger Saustall. Dazwischen irgendwo ein Tisch. Klein und ich sitzen am Tisch. Um uns herum sitzen auf Hockern, Sesseln und Sthlen Portraitmaler, Dialogschreiber und Collagensetzer.

    Sein Gesicht und ganzer Krper war von Narben und Entzndungen so sehr zersetzt, dass man dachte: Herr Klein wolle ein inneres Gift nach aussen treiben.

    Ich hatte erwartet, dass er wenigstens ein bisschen nervs ist. Viel-leicht mit seinen Fingern spielt, an seinen Nietngeln oder Fingerngeln kaut. Irgendetwas derartiges, hatte ich schon erwartet.

    Es heit, Herr Klein, man hat Sie auf dem Bahnsteig eines verwais-ten Bahnhofes aufgelesen. Es heit, der Bahnhof war derartig verlassen, dass aus den Gleisen schon Bume wuchsen.

  • Die Enttuschung61 Entweder Ja oder Nein 62

    setzen oder sollten meine Kollegen Sie irritieren, haben Sie keine Scheu, es zu uern oder sich zu verweigern, und mit einen riesigen Grinsen, jage ich meinen Blicke durch den Raum, das mein Kopf, wie wild Kreise zieht und wre er nicht angewachsen, kullerte er unter den Tisch, blei-be schlielich bei den Herrn Klein und mich umkreisend sitzenden und arbeitenden Knstlern stehen (oder was sie sonst sein sollen): ist die Verweigerung, nicht das einzige Menschenrecht von Bestand? Ist sie das den nicht?, spreche ich letztlich zur Zufriedenheit aller und es ging ein Raunen und ein hysterischer Beifall durch den Atelier, dass die Pinsel in den Farbeimern nur so klirrten.

    Ich wei noch, wie meine Frau mich ansah, als ihre Eltern das Ga-ragentor aufrissen und ich gerade bei meinem heimlichem Abendbrot war. Mir also gerade eine Stulle in den Fresse stopfte, als pltzlich glei-endes Licht die Garage flutete und mir Stcke der Stulle im Rachen stecken blieben. Sie hatte es mir ja gebracht, trotzdem tat sie ganz berrascht und an-getan: Klein, was machst du den hier? Ich dachte, du wrdest in der Pension wohnen, die wir fr dich in der Stadt gefunden hatten. Ich wei noch genau, wie sie schaute, als das gesamte Dorf mich vom Hof vertrieb. Ihr knstliches entsetzten. Ja, ich liebe dich noch. Hast du nicht auch du, unter unserer Unmglichkeit gelitten? Hast du das nicht? War dein Schmulen und Schmunzeln nicht vorgeschtzte Gleichgltig-keit? Was ist denn Galgenhumor sonst?In manchen Wochen aus dieser Garagen-zeit, sah ich niemanden auer meiner Frau. Als wren wir die letzten Menschen, als wren wir verges-sen worden, als Gott mit seinem Plane schloss und die Menschheit von den Brettern der Welt fegte.Es war, wie in einem selbst gewhlten Gefngnis. Wie eine freiwillige Gefangenschaft, aus der man nicht entkommen kann.

    Sie lebten also, auf dem Bauernhof ihrer Schwiegereltern. Wie kam es dazu, dass Sie in deren Garage zogen?Ich lebte nicht tatschlich in der Garage.

    Immerhin hatten Sie eines von diesen weien Partyzelten vor der Garage aufgebaut und darunter einige weie Plastiksthle aufgestellt. Wenn nicht unbedingt einladend, war es doch ein eindeutiger Hinweis darauf, dass jemand in der Garage wohnte oder zumindest hauste.

    Sie fragte immerzu, liebst du mich den nicht? Und immerwhrend bejahte ich ihre Frage. Liebte ich sie den nicht? Wann immer, ich ihr anstandslos sagte; sie msse ihrer Mutter und ih-rem Vater erzhlen, dass ich mich Nachts in die Garage schleiche um dort zu schlafen und ich mich frh morgens fluchtartig aus der Garage stehle, sie msse es ihrer Mutter und ihrem Vater erzhle, er pausiert, senkt den Kopf, sperrt seine Augen auf und spricht auf den Tisch ge-richtet: da fragte sie nur, liebst du mich den nicht?, hebt den Kopf, schaut mir in die Augen: Und ich bejahte. Von Anstand konnte man wirklich nicht mehr sprechen.

    Herr Klein, ich will mich abermals bei Ihnen bedanken. Ich kann es Ihnen gar nicht oft genug sagen: zweifelsfrei es ist Ihrerseits eine ber-aus grozgig Tat, dass Sie uns Ihre Geschichte zur Verfgung stellen, rufe ich laut aus, dass einigen Dialogschreibern Stift und Zettel aus der Hand fallen. Hebe meine Arme, als wolle ich Herrn Klein umarmen und ergnze: Herr Klein, Sie wissen ja wie das ist; man ist auf echte Bilder, echter Menschen und ihrer echten Geschichten angewiesen. Das ist es, was uns bewegt. Alles andere lsst uns doch kalt, und in einem lauten Knall fallen meine Hnde auf den Tisch, aber ich war noch nicht fertig: also, sollte Ihnen etwas unangenehm sein. Sollten Ihnen die Fragen der Dialogschreiber, wie sie die Portraitmaler anschauen oder wie Colla-gesetzer, ihre hbsche Visage auseinander nehmen, sollten Ihnen das zu-

  • Die Enttuschung63 Entweder Ja oder Nein 64

    Kennen Sie das? Wenn ihre Lippen sich asynchron bewegen zudem, was ihre eigene Stimme sein soll und Sie sich dann ekeln, Teufel(!), ruft er schwer atmend aus, Sie sich verdammen, fr das Gerusch, dass Ihre eigene Stimme sein soll, die Ihnen so fremd geworden ist kennen Sie das?

    Herr Klein, wie haben Sie das berhaupt alles gemacht? Hat denn Ihre Frau auf Sie gewartet, bis die Schwiegereltern im Bett waren und hat sie Ihnen dann ein Zeichen gegeben? Und hat Ihre Frau dieses Zeichen mit einer Taschenlampe gemacht, dass Sie, der Sie sich im Wald, weit genug vom Hause entfernt versteckten, sahen, dass aus der rechteckigen Kchenfensterscheibe ein rundes Ta-schenlampenlicht leuchtend entkam? Sind Sie dann durch das Feld gekrochen und haben sich in die Garage geschlichen, dass Sie dort ein paar Stunden nchtigen konnten, bevor die Eltern Ihrer Frau erwachten. Und was fr ein Zeichen hatten Sie ausgemacht, dass Sie in der Frhe wussten jetzt muss ich fliehen? Oder waren es immer die selben Zeiten, wann der Vater raus, zum Zie-gen fttern, ist? Und Sie wussten,

    Schande und Schmach. Wie schmhlich, erbrmlich und abscheulich das gewesen sein muss; Herr Klein diese ghnende Gestalt dreckig vom Feldboden.

    Die Kinder waren das Problem. Es war mir gleich, ob meine Schwie-gereltern wussten, dass ich in ihrer Garage wohnte, aber meine Kin-der, die durften ihren Vater nicht derart heruntergekommen sehen. Die Kinder, die durften nicht wissen, dass ich in der Garage schlief. Fr die Kinder, ja fr die Kinder, immer die Kinder, jedenfalls fr die Kinder, schlief ich in der Pension, Klein ruspert sich, als htte er sich an dem Wort: Kinder, verschluckt und spricht weiter: als ich anfnglich, also

    Es sei denn, es steht das gesamte Dorf mit angespitzten Mistgabeln und scharfen Spaten vor der Tr, schiet einer der Portaitmaler, von seinem Hocker aufspringend, den Zeigefinger gegen Herrn Klein wet-ternd, ganz unverhofft, da konnte man Sie schon bewegen, vielleicht das Weite zu suchen, nicht wahr? So war es doch oder nicht Klein? Und weil Sie so sehr desolat waren, ja da flchteten Sie auf einen verlas-senen Bahnhof. Es muss Ihnen doch klar gewesen sein, dass an diesem Bahnhof kein Zug mehr hlt, setzt sich wieder, schaut mich an und: Klein, Sie haben sich doch so entschieden! Sie haben doch gesagt, ja ich will diese Garagensituation, ja ich will abhngig sein und mich sonst verstecken mssen. Klein ihr Opfergehabe kotzt mich an!

    Spter, als Herr Klein nicht mehr anwesend war, trat der Maler an mich heran: ich bitte Sie meine Grobheiten zu verzeihen, es ist meiner Sinnsuche und meinem Verstndnis fr und nach sthetik geschuldet, die vorherrschende Charaktereigenschaft des Probanden entlocken zu mssen, um ihn portrtieren zu knnen und dieser Klein, ist ja nichts, auer Aggression.

    Es muss sich fr Herrn Klein, als eine akzeptable Strategie herausge-stellt haben, auf eine Frage ausweichend in Bildern, Metaphern, Para-beln und fernen Beispielen zu antworten. So ist es sehnlichst sinnlos, eine direkte Antwort Kleins zu erwarten.

    Kennen Sie das?, meinte er beispielsweise, auf meine Frage, wie er sich seine Zukunft vorstelle, kennen Sie das, wenn Sie tagelang nicht sprachen, und sich ihre laut ausgesprochene Stimme, wie die eines frem-den anhrt hohl und flchtig? Kennen Sie das? Wenn Sie dann sprechen mssen und bei Gott, Sie be-kommen keinen Ton heraus, stattdessen knnen sich nicht wehren stn-dig zu Ghnen.

  • Die Enttuschung65 Entweder Ja oder Nein 66

    Einmal, ich hatte wieder unser gesamtes Geld verspielt, wir lebten noch nicht auf dem Bauernhof, sondern ein Dorf weiter in einem Einfamili-enhaus, witzig nicht, er lacht krnklich, wann immer wir Geldsorgen hatten, ging ich in eine Kneipe und verzockte unsere Miete, das Taschen-geld der Kinder und den Kredit fr die Karre. Meine Frau und ich stritten den gesamten Morgen und ich wusste, dass Sohn und Tochter hrten, wie bei uns die Fetzen flogen, schlielich war ich es, der das Haus ver-lie, mein Sohn muss gehrt haben, wie ich die Tr zuknallte. Jedenfalls klingelte ich gegenber bei den Nachbarn und bettelte darum, dass sie uns noch einmal Geld borgten und wie ich da stand, klingelte, nervs umher tippelte, in kurzen, tiefen, hyperventilierenden Zgen rauchte, wartete bis man mir auf machte, drehte ich mich um und ich sah meinen Sohn, der oben auf seinem Zimmer, aus dem Fenster mich beobachte-te und unsere Blicke erstarrten ineinander, bis mir auf gemacht wurde. Was bedeutet es fr einen Sohn, wenn der Vater ein Versager ist?

    Herr Klein, wie war das Verhltnis zwischen Ihnen und Ihrem Vater, als Sie Kind waren?

    Und dann, dann stand doch das ganze Dorf vor dem Garagentor. Ich kann noch heute hren, wie sie meinen Namen rufen und es geht, Klein(!), Klein(!) wir wissen, dass du da drin bist, komm raus oder wir brechen die Tr auf. Klein, Klein wir wissen Es knackte das Holz, es bog sich der Rahmen und es barst das Garagen-tor. Die Kinder hatten sich hinter dem Rcken ihrer Mutter versteckt.Es war Nacht. Ihre Eltern mussten entweder gesehen haben, wie die Tochter in der Kche des Bauernhauses stand und wie sich flchtiges Leuchten der Taschenlampe in Streifen ber das Feld zog oder sie hat-ten gehrt wie jemand fluchend ber den Acker kroch, oder aber hatten sie vielleicht schon lange von der nicht enden wollenden Liaison ihrer Tochter gewusst und nur auf den passenden Moment in einer ruhigen

    kurz nach der Trennung, tatschlich im Zimmer der Pension schlief, da lie ich mich von den Kindern auch wchentlich einmal besuchen. Sie wissen ja, wie lang eine Woche fr Kinder sein kann. Wie peinlich es war, als eine Freundin mich anrief, mein Sohn auf dem Bett sa und sie mich fragte, wann ich ihr das geborgte Geld zurck geben werde und ich statt zu antworten und nur ghnend fragte, ob ich mir noch etwas leihen knne. Spter einmal, als ich schon lnger in der Garage hauste, da mietete ich das Zimmer fr wenige Stunden, um den Kindern vorzugaukeln, ich wrde dort wohnen. Gott wei, was die Pensionsbesitzerin dachte, wenn ich sie darum bat, dass Zimmer nicht aufzurumen es soll so aussehen, als wohne jemand im Zimmer Gott wei, was die dachte, als ich dann, die Kinder im Schlepptau, das Foyer betrat, meinen Schlssel abholte und noch laut vorgab, dabei die Besitzerin anschaute, Kinder ihr msst die Unordnung entschuldigen, ich bin einfach noch nicht dazu gekommen aufzurumen. Gott wei, was die dann dachte, als ich fr ein paar Stunden das Zimmer mietete um meinen Kindern vorzugaukeln

    Herr Klein, wozu denn diese Fassade?

    Was sollten denn die Kinder fr ein Bild von Vtern haben, die sich in Garagen einrichten?

    Wrden Sie sich selbst als einen Mann beschreiben, der Probleme hat die Wahrheit zu sagen?

    Sie wissen, was es fr einen Sohn bedeutet, wenn sein Vater zu den Verlieren gehrt. Ist das denn keine Enttuschung? Denkt sich so ein Sohn dann nicht, da habe ich mich getuscht, wie so ein Mann ist, und ist er dann nicht frchterlich entsetzt? ber den Mann mit der hohlen und seichten Stimme und den Lippen die asynchron laufen

  • Die Enttuschung67 Entweder Ja oder Nein 68

    In manchen von diesen fnftgigen Wochen, verbrauchte ich aus Sehn-sucht gleich drei Finger an einem Tag. Sie kam dann, aber erst zwei Finger spter.

    Denken Sie ihre Frau Tekla, weshalb ich mit den Fragen fort fuhr, empfand Ihre Versorgung als eine bung in Sachen Pflicht und Diszi-plin oder denken Sie Tekla brachte Ihnen Essen und Trinken aus Liebe und wenn nicht, dann als Ersatzleistung fr die fehlende Liebe? Wo Herr Klein, verrichteten Sie eigentlich Ihre Notdurft?

    Die Garage, war ja nicht auf mich als ihren Bewohner ausgerichtet. Man darf es sich, also nicht so vorstellen: dass es dort eine Couch gab, die ausklappbar war und vielleicht auf einem rotbraunen Perserteppich stand, auf dem dann auch noch einer von diesen silbernen Opium Ti-schen war. Nein, es war die Garage meines Schwiegervaters, die er nach dem Schlag-anfall nur noch selten nutzte. Ich schlief dort zwischen Schraubstcken, Klebstoff, Hebelmaschinen, Holz, Tackernadeln, Skalpellen, Schnittun-terlagen Papier, Pappe, Bleistiften, endlosen Haufen von Papierresten und anderen Materialien.Als sediert allerdings, kann man meinen Zustand zu dieser Zeit schon beschreiben.

    Das war also die Nacht ihrer Flucht. Man hatte sie aus der Garage mit Pauken und Trompeten, Mistgabeln und Spaten vertrieben. Sie kmpften sich durch den Wald, zogen ihre Koffer durch das Gestrpp und Dornen zerkratzten Ihnen die Haut War es ein Zufall, dass Sie auf dem Bahnsteig eines verlassenen Bahn-hofs kollabierten? Dachten Sie, in der Dunkelheit der Nacht, hier ist ein Bahnhof. Hier kann ich warten und morgen frh kommt ein Zug, und der bringt mich weit weg, oder wussten Sie von vornherein, dass Sie sich vorstzlich

    Nacht gewartet? Haben sie dann, als ich mich in die Garage schlich und in ihr sicher whnte, eine Telefonkette in Gang gesetzt, dass binnen 30 Minuten das ganze Dorf vor der Tr stand und, dass Fackeln, flackernde Schatten der aufgebrachten Gemeinschaft gegen das Garagentor schlugen Wie es auch gewesen war, ich hatte meine Koffer sowieso griff bereit. Ich wartete doch nur sehnlichst darauf, dass diese Liaison beendet werden wrde

    Eine Sache, die Sie selbst nicht beenden konnten, richtig Herr Klein? Es fragt sich ja, weshalb und wozu Sie das nicht konnten?

    Die Fragen nach dem weshalb und dem wozu, sind so ziemlich die ersten Angelegenheiten, welche sich von selbst erbrigen.

    Schauen Sie sich das an Herr Klein, suchte ich zu Kleins Vorteil, ihm ein wenig Ablenkung und Defokussierung zu verschaffen, erhob mich von Tisch und Stuhl, ging rber zu den Portraitmalern und Collagen-setztern, nahm einige fertige Arbeiten mit zum Tisch und: ist das nicht ein wahnsinnig gutes Portrait? Ich finde Ihre Nase richtig schn auf dem Gemlde. Schauen Sie sich diese Augen an: Zorn und Verachtung. Schn, Schn, Schn. Und sehen Sie erst mal diese Collage, so shen Sie aus, wre ihr Gesicht symmetrisch. Schn, Schn, Schn, dabei guckte ich nickend und knstlich lchelnd zu den Schaffenden. Besonders die Dialogschreiber taten mir leid.

    Weil meine Frau, wovon er sich, weniger ablenken lie, mich ja nicht so oft besuchen konnte und ich in der Garage weder eine Uhr, noch einen Kalender besa, bekam ich von ihr einen Latexhandschuh, dessen Finger sie mit Kaffee gefllt hatte. Jeden Tag einen Finger Kaffee, das wurde zu einer Maeinheit fr die neue Zeit.

  • Die Enttuschung69 Entweder Ja oder Nein 70

    normalen Umstnden lebten, wunderte ich mich immer darber, wie ich zwar suchte weniger zu Arbeiten, um mehr fr die Familie da zu sein und dann aber ganz im Gegensatz dazu mit Rechnungen und allgemei-nen Kosten so sehr laissez-fair umging, das daraus stndig Mahnungen und sogar Gerichtsverfahren wurden, dass ich letztlich horrende Sum-men zu bezahlen hatte, dazu war ich noch dem Glcksspiel verfallen. Was heit Glcksspiel?, ruft er wtend aus, und so konnte ich, gar nicht weniger Arbeiten und mehr fr die Familie da sein. Es ist mir ehr-lich gesagt, schleierhaft wie ich diesen offensichtlichen Zusammenhang nicht sehen konnte. Ich war ich bin blind.

    Wenn es Ihnen so sehr in der Schule gefiel, weshalb blieben Sie denn nicht einfach dort?

    Es hatte der Schuldirektor leider keinen Schlafsack mehr ber, so dass ich nicht in der Schule schlafen konnte. Ich glaube aber, dass er es sich nicht leisten konnte mich aufzunehmen. Und wieder ging es mir auch um die Kinder. Was sollten die den denken, wenn ihr Vater in der Schule nchtigt. Sich womglich noch aus den Tischen und Sthlen, an denen sie sonst lernten, ein Bett baute und kurz bevor der Unterricht begann, hastig suchte den normal Zustand wieder herzustellen. Was wenn ich einmal verschlafen wrde, die Kinder zum Unterricht k-men und den eigenen Vater auf ihrem Tisch beim Pennen erwischten? Ihren Vater; den schwachen, den nutzlosen, damit lscht er die Ziga-rette ausdrckend.

    Wie war das Verhltnis zu Ihrer Frau, rein sexuell gestaltet, Herr Klein?

    Zum ersten Mal, wendet sich sein Blick von mir ab, der ich ihn ausfra-

    tuschten und als Sie auf dem Bahnsteig zusammenbrachen, dachten Sie sich dann; Schon wieder eine Sackgassen.

    Ich denke, Man muss die Sackgassen seines Lebens erkunden, um zu erkennen, dass es Sackgassen sind, spricht er Zhne knirschend, ein Ghnen unterdrckend. Herr Klein, meinen Sie: man muss sich seine Unzulnglichkeiten, wie frh morgendliches Wasser ins Gesicht klatschen oder denken Sie, dass ist eine Tuschung zur Einladung in die und zum Genuss der Lethar-gie?

    Es gab im Dorf einen Menschen, der mir half. Besonders, wenn es darum ging, Essen und Trinken auszuscheiden. Ferner war er auch so freundlich mir ab und an einige Aufgabe aufzutragen, auf dem Tisch steht eine Tabaksdose, Klein bedient sich und rollt sich eine Zigarette. Steckt sie an, nimmt den ersten Zug und fhrt den Rauch auspustend fort: der Direktor der drflichen Grundschule, wusste von der Situati-on. Er war wohl auch ein einsamer Mensch. So durfte ich, aber mindes-tens einmal tglich die Toiletten der Schule benutzen. Gemessen in Fingern, war das etwa ein achtel Finger des Tages, den ich damit beschftigt war durch den Wald zur Schule zu finden. Man muss sich ja, trotz selbst gewhlter Gefangenschaft, beschftigen, er pau-siert, raucht, schaut auf den Tisch, blst Rauch nach oben, ber seinen Kopf: beziehungsweise muss man die Zeit tot schlagen.

    Wie geht es Ihnen Herr Klein? Brauchen Sie ein Pause? Wir nehmen uns hier die Zeit, die Sie brauchen, Ihre Geschichte zu erzhlen.

    Nein brauche ich nicht, als Tekla und ich noch unter, die Zigaret-te brennt ohne, dass er raucht. Er zieht Luft durch seine Zhne, macht dabei Gerusche, als stechen Nadeln in seine Finger: sagen wir unter

  • Die Enttuschung71 Entweder Ja oder Nein 72

    besonderer Mensch sein. Der muss wissen, was er will, und der muss gewillt sein, sich fr ein hehres Ziel zu opfern und das(!) das sind Quali-tten, meine Herren, die sie hier anwesend sind, ja das sind Qualitten, die zu bewundern sind. Ich hoffe Ihnen ist das klar.

    Nun ja schlielich konnte ich mich nicht einfach in der Garage er-hngen oder in den Schraubstock zwngen, und warten bis ich ver-hungere.

    Mein lieber Herr Klein, haben Sie sich doch nicht so und lassen Sie mich noch eines sagen; was dazu fhrte, dass Sie diesen Garagenmo-ment berlebten, ist Ihnen nicht frderlich, sogar wird es Ihnen in Ihrer neuen Realitt dem aus dem Garagen-Leben-entkommenden-Leben, genau dort wird es Sie hindern, berhaupt als Lebendiger am lebedingen Leben teilzunehmen, passen Sie also auf! Was Herrn Klein, zur Ent-tuschung aller, nicht davon abhielt uns weiter Geschichten aus seiner nahen Vergangenheit, statt von der Gegenwart oder gar von seiner Zu-kunft, zu erzhlen.

    Auch, wenn ich nicht in der Schule schlafen konnte, was ich dem Schuldirektor auch weniger bel nahm, hatten wir doch, eine Art Tauschgeschft zu laufen. Er war Historiker. Die Pflichten in der Schule jedoch, lieen ihm, man mag es bei so einer Provinzschule kaum glau-ben, nicht die geringste Zeit, seiner wahren Berufung nachzugehen sie blockierten ihn regelrecht. Deswegen beauftragte er mich, die Geschich-te von Josef Jakubowski niederzuschreiben.

    Herr Klein, wer war dieser Jakubowski?

    Ich glaube auch, dass er mir diese Aufgabe anvertraute aus Sorge, ich knne in der Aufgabenlosigkeit untergehen. Man muss sich ja beschf-tigen oder ablenken

    ge, und flieht aus den groen Atelierfenstern nach drauen. Er beit sich aber nicht auf die Lippen, wie es zu dieser Frage passen wrde. Bittet auch nicht um eine weitere Zigarette und ferner auch nicht um einen Aschenbecher um von der nervs gerauchten Kippe ab-zu-aschen.

    Meine Damen und Herren, wendet er sich in einem Ruck wieder aus der Ferne des Fensters und erffnete lauthals, Sie drfen es sich nicht so vorstellen, dass meine Frau alle Fnf Tage, mit einem neuen Kaffee gefllte Latexhandschuh, zu mir kam und wir dann eine sogenannte wilde Nacht hatten. Sie also, in die Garage strmte, mich der ich auf der ausgeklappten Couch schlief, bermannte. Mir den Hals ksste, die Brust strich und ihre warmen Hnden an meinem Rcken rieb. Sie auf meinen Knien sa, ich ihr die Bluse ffnete, sie mehr und mehr entklei-dete und aus einem Plattenspieler ergiebig schwere tieftragende Musik tnte. Wir fr einen Moment vergaen, wo wir waren und wir uns fr-derhin fr diesen Moment in Sthnen und Keuchen verloren et cetera.So und so drfen Sie es sich nicht vorstellen(!), meine Damen und Her-ren. Wissen Sie, es gab ja auch keine Couch, die man ausklappen konnte es gab nur den Schraubstock. Aber meine sehr verehrte Audienz, es war unser Verhltnis, immerhin meinerseits nicht ganz und gar asexuell und anhedonisch. Es waren die kleinen Berhrungen, die mich erregten. Wenn die Tekla mir etwas zu Essen brachte und Getrnke durch das Garagentor reichte und dabei er-gab sich ein flchtiger Augenblick, in dem ich die Dinge entgegen nahm, die sie mir reichte und dabei berhrten sich unsere Finger. Es war Tekla auch nie selbst in der Garage. Es war sie nie mein Gefan-genschaftsgast

    Mein lieber Herr Klein, ich muss Ihnen schon sagen, wie beeindruckt ich von Ihnen bin, geifere ich fast scheinheilig, will sagen, wer eine solch desolate Situation zu berleben im Stande ist, der muss ein ganz

  • Die Enttuschung73 Entweder Ja oder Nein 74

    1917 geriet Jakubowski fr zwei Jahre in deutsche Kriegsgefangen-schaft. Anscheinend gefiel es ihm im deutschen Reich und er blieb in der Nhe von Lbeck und wurde Lagerarbeiter wozu auch die vergebliche Liebesmh?Wollte er seine Tter verstehen und wollte er ihnen deswegen nahe sein? Wollte er wissen, wo er Opfer und wo er Tter gewesen war und wollte er wissen, wo die Opfer und wo die Tter gewesen waren? Der Direktor, als ich ihn danach fragte, wusste keine Antwort.Im Dorf lernte er eine gewisse Ina Nogens kennen. Nogens hatte bereits ein Kind und dieser Junge Ewald entstammte einem unhelichen ehemaligem Verhltnisses Nogens. J. und N. wollten heiraten, leider luteten fr Nogens nicht die Heiratsglo-cken sondern die Trauerglocken, denn sie verstarb kurz bevor, Josef sie zum Altar fhren konnte. Bevor sie leider verstarb, gebar sie Jakubowski eine Tochter, er nannte sie Anna

    Es ist ruhig im Atelier. Die Studenten, ich und die restlichen Knstler, hren gespannt Herrn Kleins Geschichte zu. Es wird Literatur erst dann interessant, entdeckte man in ihr ein Motiv.

    Die beiden Kinder kamen bei ihrer Gromutter unter. Die Gromama war Witwe, wie Jakubowski Witwer war. Fr seine Kinder zahlte er Un-terhalt. Als Josef, (er war ja nicht bescheuert nicht in der offiziellen Fassung enthalten) bemerkte wie die Kinder bei ihrer Witwenoma verdar-ben und verwahrlosten, da stellte er den Unterhalt ein, an dieser Stelle pausierte Herr Klein eine Weile, starrte lange aus dem Fenster und ist dieses Mal, zu meiner Erleichterung, endlich nervs. Niemand von uns, traute sich aber, ihm eine Frage zu stellen.

    Am 09.11.1924 verschwand Ewald Nogens unverhofft. Er wurde eine Woche spter, auerhalb des Dorfes tot aufgefunden. An seinem blulichen Hals waren deutlich Postmortale Anzeichen von Erwrgen zu erkennen.

    Zweifelsohne Herr Klein, das ist es, was uns am Leben erhlt.

    Es gibt zwei Arten von Menschen sage ich Ihnen, den einen reicht ihre bloe Existenz. Die Leben, Atmen, Fressen, Sprechen (oder Quaken) und Sterben. Die Anderen allerdings, mssen ihre Existenz immer wie-der durch Aufgaben, die sie bewltigt haben, verifizieren. Die mssen etwas tun und sehen, dass sie etwas getan haben. Wie Atem, dessen Existenz man erst glaubt, wenn man ihn sieht. Ich gehrte also, zur letz-teren Art von Menschen. Das muss der Schuldirektor gewusst haben. Wer erwartet schon dafr, dass er einen seine Notdurft verrichten lsst einen Gegengefallen?, was ist dieser Herr Klein nur fr ein Mensch?

    So schrieb ich dann in den Rumen der Schule, in Waldeslichtungen und in der Garage zwischen Schraubstock und Leim die Geschichte von Josef Jakubowski.

    An dieser Stelle nimmt Herr Klein eine Ledermappe hervor, die er zuvor unter seinem Stuhl zu liegen hatte, entnimmt dieser ein kleines, anscheinend selbst gebundenes Heftchen, schlgt es auf und beginnt vorzulesen: wir schreiben das Jahr 1926, als Josef Jakubowski zum Tode verurteilt wird und so eher ungewollt fr einen der grten Justiz-irrtmer der Weimarer Republik sorgte.

    Inwieweit Herr Klein, konnten Sie sich selbst in Josef Jakubowski wiederfinden?

    Dieser J. Jakubowski diente im ersten Weltkrieg in der russischen Ar-mee und wird daher oft flschlicher Weise fr einen Russen gehalten. Er war aber, ein in Litauen geborener Pole. Der Irrtum rhrt auch daher, weil Litauen damals zum russischen Reich gehrte, schrieb ich in der Garage auf dem Werkhckerchen sitzend, mich vor den Eltern frchtend nie-der, erklrte sich Klein.

  • Die Enttuschung75 Entweder Ja oder Nein 76

    die Maler und Setzer, wieder an die Arbeit machen und Portraits vom Geschichten erzhlenden Klein malten, Collagen von ihm setzen und den Dialog in Stenografie protokollierten.

    Wie Jakubowski auf seiner Zellenbank sa, seine Hnde auf dem Zel-lentisch gefaltet lagen, die Fe im Zellendreck schabten, fragte er sich in aller Ruhe der Wiederholung, wann war es? Wann habe ich eine unum-kehrbare Entscheidung getroffen? Und neben ihm tropft braunes Zellen-wasser aus dem rostigen Zellenwasserhahn in das dreckige Zellenwaschbe-cken und da drber ist der Zellenspiegel angebracht, wie alle Ttigkeiten und alle Gegenstnde das Wort Zelle als Vorwort enthalten, weil Josef Jakubowsi ein Zellenleben mit einem Zellenende fhrte und da sieht sich Jakubowski im dreckigen Zellenspiegel und schaut in seine verhunzte Zel-lenvisage und verfllt augenblicklich in das ewige eruieren der Erinnerun-gen, war es schon, als ich entschied in diesem Land meiner Gefangenschaft zu bleiben? Fragt er sich, whrenddessen er sein Gesicht in den Hnden vergrbt und sich vor seinem Antlitz versteckt, wie Herr Klein erneut das Heftchen schliet um in der eigenen Geschichte fortzufahren, geht ein erleichtertes Seufzen durch den hohen Raum.

    Wie ich durch das Unterholz des Waldes stolperte, meine Koffer von Dornen aufgeschlitzt waren, stoe ich zu einer Gruppe, die angeregt diskutierte. Denken Sie nicht, dass ich womglich ein Haus im Wald, auf meiner Flucht fand, weil ich vom gesamten Dorf aus der Garage vertrieben wor-den war. Denken Sie nicht, dass ich dort einbrach und mich an der angeregten Diskussion beteiligte. Nein, ich kreuzte auf meiner Flucht, deren Nacht-wanderung. Es schaukelten die Laternen, als sie, von meiner Gestalt berrascht, erschraken. Nach dem Schock suchten die mich wiederum freudig in ihrer Runde aufzunehmen. Tatschlich verblieb ich einen Moment bei diesen jenen, die sich die Ky-

    Die Familie Nogens gab den entscheidenden Hinweis und Josef Jakubow-ski, der in Litauen geborene Pole, der im ersten Weltkrieg fr ein frem-des Reich dienende, der in die deutsche Gefangenschaft geratene, der seine Tter kennen lernen wollende Jakubowski, Vater der verwahrlosten Anna Nogens und Stiefvater des erdrosselten Ewald Nogens, wurde als Hauptver-dchtiger festgenommen. Nach 5 Monaten Haft begann im Mrz 1925 der Prozess gegen Josef Jakubowski

    Wie gespannt wir zuhrten, bemerken wir erst spter, dass Herr Klein hierbei an dieser Stelle, das Heftchen, einen Finger zwischen die Seite legend, zuklappte und in seiner eigenen Geschichte fortfuhr.

    Auch bin ich nicht unverzglich zum Bahnhof, obgleich ich wusste, dass er verlassen wie ich verloren war, so war er doch das erklrte Ziel, und habe ich einen Entschluss gefasst, verfolgen ich diesen auf Hngen und Wrgen die Sache mit den Einbahnstraen

    Einige Studenten werden unruhig und es geht ein Flstern der Unruhi-gen durch das Atelier, das ein Saustall ist. Weswegen ich mich aufraffe, um die Balkontr zu ffnen und es str-men die Maler, Setzer und Schreiber zum Rauchen hinaus an die Balus-trade.

    Klein, noch immer am Tisch sitzend, sichtlich wieder entspannt, knpft an die Geschichte Jakubowskis an, nach dem Prozess, welcher sein Todesurteil zur Folge hatte, sa Josef Jakubowski wiederum 11 lange Monate in seiner Zelle, und wartete auf die Vollstreckung seines Urteils. Wann war es, dachte sich Josef Jakubowski, auf der Bank seiner Todes-zelle sitzend aus dem einzigen Fenster schauend, in seinen Erinnerungen herumirrend. Wann war es? Wann wurde mein Leben, ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen? Wann war es? Fragte sich Josef Jaku-bowski auf den steinernen Boden seiner Zelle schauend, erzhlt Klein, indessen sich

  • Die Enttuschung77 Entweder Ja oder Nein 78

    dern galt, ist nun antiquiert. Es ist nicht weiter verwunderlich, wie das Atelier zu diesem Saustall werden konnte. Herrn Kleins Pose vormals eher lger, ist jetzt beinahe laszive.

    Haben Sie, denn je dem Direktor Ihre Arbeit bergeben? Konnten Sie berhaupt damit fertig werden? Was wre dann das Folgende ge-wesen? Herr Klein, belastete Sie die Gedanken derart oder wirkten sie erleichternd? Und, sollten Sie dadurch belastet worden sein; haben Sie je darber nachgedacht diese Last abzugeben? Sprich haben Sie je darber nachgedacht, aufzugeben?

    Es scheint, als ignoriere Herr Klein die Fragen oder sucht er sie nur mit der Parabel seiner Niederschrift zu beantworten?

    Josef Jakubowski trat an die Gitter seiner Zelle und es ging ein Wim-mern durch den dunklen Zellentren gesumten Flur. Wie er an den Git-terstben zu Boden sank, auf dem dreckigen Zellenboden sa, entkommen Phrasen suselnd aus seinem Mund, oder war es, als ich mit den Brdern nicht saufen ging? War das mein Fehlgriff? Wann war es? Wann war es? Wann war es? War es, als ich den Unterhalt einstellte? Wann war es?In unendlichen Zellenkreisen umherwandert und in endlosen chronologisch unlogischen