96
1. DER RAUM IM ISLAM 13

1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

  • Upload
    habao

  • View
    216

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

1. DER RAUM IM ISLAM

13

Page 2: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 1 Saal der Moschee in Córdoba.

Abb. 2 Palmenoase in der Wüste Saudi Arabiens.

14

Page 3: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DER RAUM IM ISLAM

„Nur immer wieder Säulen und nichts als Säulen, Pfeiler undnichts als Pfeiler...“, so beschrieb Höver (1922, S. 19) dencharakteristischsten Raum der islamischen Architektur: denHaram, den Saal der Moschee (Abb. 1). „Es ist, als ob sich dasmonumentale Gefühl des Orientalen nur in einer Multiplikationder tektonischen Glieder voll auswirken und wahrhafteBefriedigung finden kann“ , kritisierte Höver, und kam zu derSchlussfolgerung, dass das wichtigste Gebäude des Islam eher„einem Säulenwald“ (Abb. 2) als einem architektonischen Raumähnelt.

Der Vergleich mit einer Oase mit ihren Palmen liegt auf derHand. Tatsächlich ging es darum, eine große schattige Fläche zuschaffen, die möglichst viele Gläubige aufnehmen kann. EinDach aus Tonnengewölben, das auf einer Vielzahl von Säulenoder Pfeilern als alleinigem Strukturelement ruht, ist diewirtschaftlich günstigste, bautechnisch einfachste und derBestimmung des Gebäudes am besten angepasste Lösung. In derarabischen Kultur, die in ihren Anfängen vom Nomadendaseindurchdrungen war und noch keine großen architektonischenMonumente kannte, prägten die einfachen Strukturen derersten Moscheen das Raumverständnis der gesamten späterenislamischen Welt.

Das Gebäude der frühen Moschee (Abb. 3) ist ein schlichterStützensaal, der einen Hof umgibt. Diese scheinbare Einfachheitist Ausdruck einer Weltanschauung, die im Gegensatz zumKonzept der westlichen Architektur mit ihren geschlossenen,hierarchisch gegliederten Räumen steht. Für Nebel (1958), derdie maurische Architektur Andalusiens in den 50er Jahren desvergangenen Jahrhunderts studierte, ist der islamische Raum„eine bloße Summe, bei der sich die Seinskraft im Bauelementund nicht im Ganzen aufhält“ (S. 13). Wie so viele Autorensahen Höver und Nebel offenbar in der Moschee den Raum vorlauter Säulen nicht.

Der Raum der frühen Moschee entspricht den Traditionen derNomaden-Völker, die den Islam im ganzen Mittelmeerraumverbreiteten. Ihre nur temporären Siedlungen dehnten sich indie Breite aus, statt -wie in der nord- und mitteleuropäischenArchitektur- in die Höhe zu wachsen. Nebel befasste sich mitder Moschee von Córdoba und bezeichnet sie als „eine riesigeSteinmasse“ und als ein „in zwei Dimensionen plattgedrücktenKoloss“, der die Vertikale verachtet.

Abb. 3 Grundriss derGroßen Moschee in Kufa.Rekonstruktion nachCreswell.

15

Page 4: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Die islamische Architektur wird durch die bereits erwähnteBetonung der horizontalen Richtung, der Unbestimmtheit derinneren Räume und eine strenge Geschlossenheit desGebäudes nach Außen gekennzeichnet (Abb. 4). Den Raumentdeckt erst, wer das Innere des Gebäudes betreten hat.Nichts in der Außenmauer lässt vermuten, wie die Innenräumeangeordnet sind. Erst im Inneren, in der Aufeinanderfolge derHöfe, setzt der moslemische Baumeister den räumlichenSchwerpunkt der Architektur. Es reicht eine einfache Mauer,die nichts andeutet oder preisgibt, um den Raum einzuschließenund zu verhüllen.

Das Private vor den Blicken der Öffentlichkeit zu verbergen, istein Leitmotiv auch in islamisch geprägten Gesellschaften. DasInnere ist ein Spiegel der Wüstenlandschaft: Der Raum isteinheitlich und weitläufig. Er wird durch keine markanteGrenze eingeengt und lässt sich bei Bedarf problemloserweitern. Im Gegensatz zur westlichen Architektur, in der dieGrenze den Bau bestimmt, verliert die Mauer ihrenbegrenzenden Charakter, um die Aufmerksamkeit auf den Raumselbst zu lenken. Dieser Raum wird nicht als in sichgeschlossene und vollendete Einheit gesehen, sondern alsSumme einer unbestimmten Zahl von Räumen, die sich auseinem einheitlichen und sich immer wiederholendenstrukturellen System ergeben.

Trotz der vielen Vorurteile, von denen Nebels Sicht geprägt war,spürte er offenbar doch die Andersartigkeit dieses Raums. Seinekurze Beschreibung der Moschee in Córdoba ist, ohnewissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden zu wollen, eintreffendes Essay über den Raum in islamischen Architekturen.Nebel schrieb: „So wenig das schwarze Beduinenzelt von derTeppichbuntheit des Innern verrät, so wenig stellt sich derRaum der Mezquita nach außen dar“ (S. 17).

Abb. 4 Luftaufnahme der Córdoba-Moschee.

16

Page 5: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Anfang des 10. Jahrhunderts, als die große Moschee gebautwurde, war Córdoba die Hauptstadt eines wohlhabendenReiches, ein wichtiges Zentrum der Kultur und die Stadt mitden meisten Einwohnern in Europa. Unter diesen Umständenkonnte „der Verzicht auf Höhe und Fassade nicht Unvermögenoder Nachlässigkeit sein, er muss sich (anders) begründen,unter dem Druck eines unwiderstehlichen Raumgefühlsgeleistet worden sein“ (S. 17).

Während die Wüste „unheilig ist, weil ihre schreckliche,feindliche Öde zu unruhiger Wanderschaft treibt -um sosprungloser wölbt sich der Frieden, wenn ein heiliger Ort zumBleiben lädt, das Bleiben leicht und notwendig macht“ (S. 17).Auch für Höver (1923) ist nicht das Langgestreckte oder derKorridorcharakter für das Raumhafte entscheidend, sondernnur das, „was uns zum Verweilen bei allseitigemUmschlossensein auffordert, uns in einem Zentrum festhält.Nicht das Longitudinale, das Zentrale ist Urzelle desRaumgedankens“ (S. 44).

Diese besondere Raumordnung der islamischen Architekturberuht „auf einem System von Ausschlüssen, das fortlaufendkleinere Kammern innerhalb von größeren Räumen herstelltund geschützte `Innenwelten´ aus der undifferenzierten`Außenwelt´ auszusondern sucht“ (Bianca 1991, S. 28). Diesgeschieht innerhalb eines in sich zusammenhängendenkomplexen Raumgebildes, in dem das `Heilige´ nichtkonzentriert auftritt, sondern auf eine Vielzahl kleinererBrennpunkte verteilt ist.

In seinem Buch „Invariantes castizos de la arquitecturaespañola“, das ein Klassiker der spanischenArchitekturgeschichte ist, widmet Fernándo Chueca Goitía(1947/1979) ein Kapitel dem Raum in der islamischenArchitektur. Chueca gründete seine These auf Schriften desfranzösischen Islamisten Louis Massignon (1932). Massignonglaubte, dass sich die islamische Kunst aus einer bestimmtenTheorie des Universums ableitet: den dogmatischen Thesen dermuslimisch-orthodoxen Philosophen, die nicht durch diegriechische Philosophie beeinflusst waren.

In seinen Studien geht er davon aus, dass sich die Kunst undArchitektur des Islam auf die islamisch-orthodoxe Theologie,insbesondere die Atomistische Philosophie, stützte (Hourani1994, S.143-158; Jammer 1954/1993, S. 51-62; Pines/Holt 1970,S. 780; Ben Maimon 1190-1200/1995, S. 314-358). Meine Arbeitstützt sich nicht auf Massignons theologische oderphilosophische Ideen, sondern nur auf seine Gedanken überKunst und Architektur, die eine ganze Generation spanischerund französischer Architekturhistoriker beeinflusste.

17

Page 6: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Laut Massignon existieren für Moslems keine Formen oderEinheiten an sich, sondern zufällige Gruppierungen, von denendie Formen abstammen. Diese Formen haben aber „keineninneren Wert und sind nicht von Dauer, weil nur Gott ewig ist“(S. 261). Für einen Moslem ist eine Linie „nicht mehr als einwandernder Punkt, was eine sehr moderne Definition ist“ (S.263). Massignon erwähnt die „Ablehnung der Form“ in derislamischen Architektur. Damit meint er eine gewisseSelbstbeschränkung der moslemischen Baumeister, die bei derErrichtung von Gebäuden die Architektur selbst verleugnen.Moslems „lassen sich nicht von der Form täuschen, weil dieWelt, die viel schöner ist als alle Kunst, ein von Gott gesteuerterMechanismus ist“ (S. 261).

Die Wissenschaft des Kalam, die sogenannte Atomenlehre derislamischen Orthodoxie aus dem 10. und 11. Jahrhundert,verneint die Zeit, da „es nur Augenblicke gibt, die nicht einmalüber die notwendige Zeitfolge verfügen“

(S. 263). Chueca (1947/

1979) vergleicht die zwei gegensätzlichen Raumvorstellungen,die abendländisch-europäische und die orientalisch-islamische:„Während die Griechen Gefallen finden an ganzen Zahlen, anebenmäßigen Vielecken sowie an Kreisen als geschlossene undunveränderliche Formen, so verstehen Araber nur das ständigeFließen offener Formen und immer weiter teilbare Zahlen“ (S.56). Nach Chuecas Ansicht baut die islamische Ornamentik undArchitektur auf die bereits erwähnte „Atomenlehre und auf diebeharrliche Wiederholung offener Muster“ auf (Abb. 6). Chuecakommt zu dem Schluss, dass „es der arabischen Kultur niegegeben war, einen Begriff von Grenze zu entwickeln, derInbegriff des westlichen faustischen Geistes“ (S. 58) sei.

Während der Orient sich „durch die unendliche Annäherung desVielecks an die Kreisform auszeichnet, hat die westliche Kulturdie Grenze erreicht, den perfekten Kreis“ (S. 57). Das Fehleneiner klaren Grenze, das Unzusammenhängende, sich ständigWiederholende und das Unterteilbare wird in derArchitektursprache als eine „Raumfolge von Aufschichtungen“(Abb. 5) übersetzt, die sich vom Beobachter aus bis zumHintergrund durch zweidimensionale, mehr oder wenigerdurchsichtige Verhüllungen aus schleierartigen Loggien -mitden Worten Chuecas- in “Raumsprüngen” (S. 59) abstuft.

Wenn der westlich geprägte Raum perspektivisch und deshalbmit einem Fluchtpunkt versehen ist, erreicht der Blick in derislamischen Architektur nie den Horizont, und „wenn wir ihn(doch) wahrnehmen, dann nur durch einen lediglichintellektuellen Akt“ (S. 58) der Vorstellung. Als Beispiel für dieabendländische Vorstellung eines perspektivischen Raumesschlägt Chueca die französischen Gärten von Le Notre vor (Abb.7). Massignon (1932) stellt die orientalischen Gärten derrationalistischen Raumidee entgegen: “Das Ideal der Klassiksucht die Welt durch die Perspektive zu beherrschen, indem derBlick von einem zentralen Punkt aus den Horizont erreicht” (S.270).

18

Abb. 5 «Raumsprüngen»oder Raumfolge vonAufschichtungen nachChueca.

Page 7: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 6 Ornamentierte Fassade der Freitags-Moschee in Herat, Afghanistan.

19

Page 8: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Im Garten des Orient hingegen geschieht das Gegenteil: EinStückchen Natur wird der Geometrie unterworfen, vom Rest desAußenraumes abgesondert und durch hohe Mauern geschützt(Abb. 8). Der orientalische Raum „kennt die Perspektive nichtund oft scheint er sie durch verschiedene Vorkehrungen sogarnoch absichtlich zu verneinen: der Ablenkung oder Verstellungdes Blickes durch architektonische Schleier“ (Hamann 1952, S.619). Die Säulenreihen der Höfe und Säle „mit ihrerfadenhaften Dünne, ihrem Abgleiten aus teppichhaftgeschmückten flachen Wänden, unbelastet von Gebälk“, sind„wie der Schleier einer arabischen Frau, mit dem sich derMensch und was ihm eigen ist, beim Eintritt in dieÖffentlichkeit verhüllt“ (S. 619) .

Die islamische Architektur gibt sich erst im Inneren zuerkennen: „Sonnenscheu hat mitgebaut an diesen weißen, Lichtund Glut zurückstrahlenden Wänden geschlossener Kästen,hinter denen niemand ein von irdischer Wohnkunstverzaubertes Paradies vermutet. Im Innern bilden nicht dievielen Höfe das Zentrum des Baues, sie sind nicht eine auch imPrivathaus geschaffene Öffentlichkeit wie die antiken” Höfe (S.618). Die orientalischen Höfe gleichen oft nur einem großenWasserbecken, einem Reservoir, einer Oase, die durch dievielen Öffnungen ihre Kühle in die Innenräume spendet.

So steigt der Blick „von einer zur anderen Stelle, und die Ideeeines durchgehenden Raumes geht verloren. In der islamischenArchitektur gehen „Richtung und Blick vom Freien insVerschlossene, vom Weiten ins Enge, vom Sonnigen insSchattige, vom Heißen ins Kühle“ (S. 618). Dieser Effekt ist vorallem im Saal der Moschee zu bemerken, einem Raum ausvielen Reihen gleichartiger Schiffe, ohne dass ein bestimmterTeil des Gebäudes hervorgehoben wäre. Auch in derAufeinanderfolge der Höfe und Säle der Alhambra, deren Raumspäter (S. 91 - 96) beschrieben werden soll, wird der Verzichtauf jede Form von Perspektive und Wahrnehmung des Ganzendeutlich.

Massignon (1932) beschreibt die Architektur als „dasschwebende Kleid des Hauses“. Er glaubte, dass die islamischeArchitektur keinesfalls versucht, die Natur zu ersetzen, indemdie Formen und Figuren für sich stehen. Für Massignon ist dasGebäude im Islam „nur der Hintergrund“, während dieArchitektur das Gefühl einer bergenden Hohlform durch dieWiederholung geometrischer offener Gestaltungsformen schafft.Erneut findet der Franzose die Erklärung in der islamischenPhilosophie: „Die Figuren existieren nicht für sich, sie werdenunaufhörlich von Gott erfunden“ (S. 267).

20

Page 9: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 7 Gärten von André le Notre, Vaux-le-Vicompte, 16. Jahrhundert.

Abb. 8 Crucero von Sevilla, Palast des al-Mu´tamid, 12. Jahrhundert.

21

Page 10: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Die offene Form wird auch in der Ornamentik verwendet. DieArabeske „ist eine Art, geometrisch geschlossene Formen zuverneinen“ (S. 267). Genauso wie „in diesem Irrgartenverschlungener Fäden eines dichten, ewig wechselnden, immerwieder ausweichenden und doch in ein Gesetz und schönsteFlächenproportion gebändigten Ornaments“ (Hamann 1952, S.618-619) stellt der Grundriss der Moschee eine unfertigeZeichnung dar. Der Innenraum wird nicht von der Mauerdefiniert, sondern sie ist eine einfache Begrenzung, die vomSaal aus nicht einmal zu sehen ist. Die Wahl einer Struktur ausSäulen und Stützen -Elementen, die sich willkürlichaustauschen lassen- zeigt die Flexibilität und die offene Gestaltder Moschee.

Ein wichtiges Element der islamischen Architektur sind dieÜbergänge von einem Raum in den anderen. Von denumlaufenden Gängen „quellen loggienartig schön proportionierteInnenräume in diese Höfe hinein, die Form des Hofes und seinRecht auf Ausweitung zerstörend. Die Umgänge(Zwischenräume) selber sind nicht Umwandlungen des Hofes,sondern mit Kuppeln in Einzel- und Innenräume zerlegt“(Hamann 1952, S. 619). Die verschiedenen Räume werden nichtdurch einfache Türen getrennt, sondern durch komplexeFlursysteme und oft durch verwinkelte Zugänge, die mitChuecas Worten an „versetzten Achsen“ (Chueca 1947/1979, S.71) organisiert sind. Der Charakter der Abgeschiedenheit derInnenräume und die Verlangsamung der Wege wird nochdadurch verstärkt, dass keine axialen Eingänge die „ruhendenRäume“ (Hamann 1952, S. 619) stören, die streng vomAußenraum abgesondert sind.

Für Bianca (1991) ist dieses System der “geschütztenRaumnischen und Raumbuchten innerhalb der städtischenWohnkultur des Islam zu höchster Verfeinerung getriebenworden, ohne seine grundsätzlichen Qualitäten zu verlieren, dieauf einem archaischen Raumgefühl beruhen“ (S. 28). Das Tor ander Außenmauer ist das einzige Zeichen einerFassadengestaltung. Reich ornamentierte und oft monumentaleTore verzieren die meist kahlen Mauern der islamischenBauten.

22

Page 11: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DIE WÜSTE UND DIE ARCHITEKTUR

„Das Zelt des Mannes istwie der Tempel Gottes“

Kirgisischer Beduinenspruch(Talib 1984, S. 26).

Chadwin (1996) schrieb in seinem Buch über dasNomadendasein, dass er schon nach einigen Monaten derWanderung durch die Wüste in eine Art “islamischen Hass aufbildliche Darstellungen” verfallen sei und “ernsthaft daranglaubte, dass man sich nie vor einem Trugbild verbeugen solle”(S. 98). Das Herumziehen des Nomadenlebens erfordert eineenorme Disziplin: „Luxus ist ein Hindernis für dieBeweglichkeit“, schrieb Chadwin und „die Beduinenführerwussten, dass ein Übermaß an Besitztümern ihr Systembedrohte“ (S. 98). Es sei kein Wunder, dass die großenmonotheistischen Religionen in Wüsten entstanden sind,schrieb Abercrombie (1968), einer der letzten Westler, der vorder sowjetischen Invasion Afghanistan besuchte. Dort habe derReisende nur wenig Raum für Götzen und auch kaum Bedarfnach ihnen. Auf den Gipfeln der Berge oder zwischen denendlosen Sanddünen fühlt sich der Mensch auch so schon Gottnahe genug, um mit ihm ins Zwiegespräch zu treten“ (S. 332).

A´rab bedeutet Nomade. Arabien, das Land des Propheten, istdas Land der Nomaden. Wie in vielen islamischen Ländernprägten die Geographie und das extreme Klima nicht nur dieTraditionen, sondern auch die Architektur und die Beziehungzwischen Mensch und Umgebung. Creswell (1958) bezeichnetedie frühen Jahre des Islam als eine „architektonische Leere“.Arabien scheint „nichts hervorgebracht zu haben, das denNamen Architektur verdient und nur ein kleiner Teil derBevölkerung lebte damals überhaupt in festen Behausungen, dienichts anderes als Hütten waren“ (S. 1).

Der englische Karawanen-Reisende des 18. Jahrhunderts,William Beawes, war von den Bauten der Araber entäuscht, dieer auf seinem Weg durch die Wüste beobachten konnte: “DieHäuser, wenn man sie denn überhaupt so nennen darf, ähnelneher einem Müllhaufen, denn einer Unterkunft” (Carruthers1996, S. 22) . Als der britische Reisende Gaylard Roberts 1748mit einer Karawane die Wüste Mesopotamiens querte, fiel ihmdie Gleichgültigkeit seiner arabischen Begleiter angesichts derRuinen des immensen Uhaidir-Palastes (Abb. 9), des aus seinerSicht großartigsten Baus der Region, auf: „Der Palast aufhalbem Wege zwischen Basra und Aleppo ist nach meinemDafürhalten der festeste und grandioseste der Welt; aber es istkeine Eleganz und kein Geschmack in ihm und die Araberwussten auch nicht, wer ihn erbaut und wer ihn bewohnt hatte;meine Begleiter, von wilder Natur und ohne feste Bleibe,interessierten sich für diese imposante Anlage nicht mehr alsdie Tiere, die sie führten“ (S. 44-45).

23

Page 12: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Der maghrebinische Historiker und Kulturphilosoph des 14.Jahrhunderts, Ibn Chaldun (1377/1989), schrieb, dass die ganzeNatur des nomadischen Daseins die Verneinung des Bauens ist,das doch die Basis der städtischen Kultur darstellt (S. 93;Bianca 1991, S. 43). Die Ursprünge der Zivilisation liegen nachIbn Chaldun im Nomadendasein der Wüstenvölker, wo es einMinimum an Solidarität und ein Maximum an Kampf gab. DieMenschheit neigt nach Ansicht des maghrebinischenPhilosophen zwangsläufig dazu, Städte zu gründen. Obwohl esein Widerspruch zu sein scheint, war Ibn Chaldun derÜberzeugung, dass das Leben der Nomaden in islamischenLändern zugleich Grundlage und Ursprung der zivilisiertenGesellschaft war (Ortega y Gasset 1934, S. 661-679; Chueca1968/1991, S.70; Bianca 2003, S.172). Beide Lebensformen, diesesshafte und die nomadische, sind nicht miteinander vereinbarund liegen in einem ewigen Kampf.

Auf der einen Seite steht die „unendliche Weite des offenen,ungestalteten und ungesicherten Außenraumes, auf deranderen Seite die in sich geschlossene Hülle des Innenraumes“(Bianca 1991, S. 47). Zeltlager, Haus, Dorf und Stadt sindjedoch „keine vollständig voneinander geschiedene Welten,sondern verschiedene Erscheinungsformen einer gemeinsamenLebenskultur“ (S. 47). “Alle Verfestigungen des sesshaftenLebens sind menschliches Stückwerk, dem keine absolutenWerte zuzumessen sind, weil sie von einem Tag auf den anderenweggewischt werden können. Das Vorläufige undnotwendigerweise Unvollkommene menschlicher Werke wird alsTatsache hingenommen. Es wäre Vermessenheit, «für dieEwigkeit» bauen zu wollen, und würde den Spielraum derirdischen Existenz unnötig einschränken, ein Gedanke, der dieoft bemerkte Vorliebe der islamischen Architektur fürvergängliche Materialien erklärt“ (S. 46).

Abb. 9 Ruine des Uhaidir-Palastes im heutigen Irak, 8. Jahrhundert.

24

Page 13: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Ibn Chaldun schrieb: „Wenn ein Moslem Steine benötigt, umeinen Tempel zu bauen, dann zerstört er einfach dasnächstgelegene Gebäude und verwendet dessen Materialien;wenn er Holz braucht, um seine Zelte abzustützen, zerstört erdie Dächer der Häuser in der Umgebung. Der Moslem stehtallem Gebauten feindlich gegenüber“ (Ortega y Gasset 1934, S.669; Chueca 1968/1991, S. 71).

Die frühe Abneigung gegen das Bauen, die Beschränkung aufdas Wesentliche und die klare Trennung zwischen demGebauten und der Natur sind typisch für die islamischeArchitektur. Wenn ein moslemischer Baumeister seine Gebäudeerrichtet, kehrt er der Natur oder der Stadt den Rücken zu.Zwar wird das `Außen´ als Hof oft wieder ins `Innen´hereingeholt, doch ist es dann „ein Stück verwandelter underhöhter, oft auch sublimierter Natur, das innerhalb derschützenden Mauern der Architektur neu hergestellt wird (...).Aus dem anonymen, grenzenlosen Raum der Wüste wird einquantitativ und qualitativ genau bestimmter Ort, einpersonifiziertes Territorium“ (Bianca 1991, S. 47).

In dem Prozess, ein Haus oder eine Moschee zu bauen, ist dieDefinition der Grenze von außerordentlicher Bedeutung. DerBegriff der Mauer als „Haut“ des Gebäudes ist der islamischenMentalität fremd. Für einen Moslem als Nachfahre und Erbe derNomaden, besteht die Grenze nicht aus einer Wand, sondernaus dem Haus selbst. Das Zentrum des Hauses ist der Hof, einzum Himmel hin offenes Innen, das von Zimmern umgeben ist(Abb. 10). Die Räume um den Hof wirken als «Polster», das dasHaus vom Außen trennt und zugleich schützt. Der Hof wird nichtdurch eine geschlossene Wand von den Zimmern getrennt,sondern durch loggienartige Umsäulungen, die wiedurchsichtige Schirme das Außen vom Innen scheiden. Wie dasGewand der Beduinen, das den Menschen verhüllt und vor demextremen Klima schützt, ist das Haus die Kleidung der innerenRäume. Mit den Worten von Massignon (1932) lässt sich sagen,dass die islamische Architektur nach einem flexiblen zugleichschlichten und körperlosen Stoff strebt, das einem schwebendenKleid ähnelt.

25

Abb. 10 Der Hof als Zentrum des Hauses. Innenräume als schützende «Polster».

Page 14: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DIE ABGRENZUNG DES RAUMES

Es bieten sich zwei Definitionen von Grenze, um die„architektonische Leere“ (Creswell 1958, S. 1) der ersten Zeitdes Islam zu verstehen. Die erste bezieht sich auf den einfachenund elementaren Begriff von Grenze: die lineare Trennung, diein einem offenen undifferenzierten Gelände einen bestimmtenOrt definiert. Diese Grenze kann ein Zaun, eine Mauer odereinfach ein Graben sein. Obwohl es sich um eine sehrelementare Form von Bau handelt, wird diese Art derRaumtrennung wichtig für den frühen islamischen Bau. Dieersten sakralen Plätze des Islam waren nichts anderes alsoffene Gelände, die durch einfachste bauliche Mittel wie etwaPalisaden aus Bäumen oder niedrigen Mauern eingefasst waren.Sie lagen entweder in der Stadt, aber auch am Rande derSiedlungen oder sogar in der Wüste.

Die zweite Definition von Grenze bezieht sich auf eine subtilereTrennung von Außen- und Innenraum, die sich erst in etwasweiterentwickelten Bauten findet. Es handelt sich nichtnotwendigerweise um geschlossene Mauern, sondern wie schonoben erwähnt, um architektonische Elemente wie Loggien, diespäter eingehender zu beschreibenden Iwane oder auch umZwischenräume, die die Höfe vom Rest des Gebäudes abgrenzen.In islamischen Bauten ist es meist recht schwierig, klarzwischen Außen und Innen zu unterscheiden und oft haben dieAußenbereiche, wie etwa die Höfe, zugleichInnenraumcharakter. Die inneren Räume dagegen sind nie ganzgeschlossen, da fast immer eine direkte Beziehung zwischenZimmer und Hof besteht.

In diesem Teil der Arbeit soll der erste Begriff von Grenze imVordergrund stehen. Das arabische Wort Sakan bedeutet„Einfrieden“ aber auch Wohnen. Wie Bianca (1991) festgestellthat, stammt der Begriff des Einfriedens oder Umzäunens ausder Grundbedeutung von `Ruhe´ und `Frieden´. Das durch einenZaun, eine Hecke oder eine Mauer eingefriedete Grundstück isteine archaische Art der Landnahme, die in vielen islamischenLändern gebräuchlich ist: „Wer ein herrenloses oderbrachliegendes Stück Land einzäunt und unterhält, erwirbt sicheinen unanfechtbaren Eigentumsanspruch darauf“ (S. 48).

Entlang der Landstraßen des iranischen Mittelplateaus siehtman noch heute große, durch lange Mauern eingefriedigteGrundstücke, die wie Paradiesgärten aus der unwirtlichen undverdorrten Steppe oder sogar aus der Wüste wachsen: derFeldbau wird so vor den extremen klimatischen Verhältnissen,den heißen Wüstenwinden, geschützt (Abb. 11). Die Mauernweisen meistens nur einen Eingang auf, der durch ein Torverschlossen ist. Die Anlagen befinden sich oft weitab der Städteund müssen vor Dieben und anderen Gefahren geschütztwerden. Aus einem anonymen und grenzenlosen Raum entstehtso ein klar abgegrenzter und damit privater Ort.

26

Page 15: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Die landwirtschaftliche Urbarmachung, die Belebungursprünglich ”toten” Landes, ist auch eine Form spontanerUrbanisierung: „Wo zugewanderte ländliche Siedler sich ihrLebensrecht durch Einfriedung eines persönlichen StückchenLandes sichern, das dann Schritt für Schritt ausgebaut wird, vonden Innenseiten der Außenmauer her beginnend und gegen dieMitte des eingeschlossenen offenen Raumes hin wachsend. Diemeisten dieser Siedlungen werden nachträglich legalisiert undvon der Stadtverwaltung mit Infrastruktur versehen“ (Bianca1991, S. 48). Der Anbau des Inneren ist dann eine Folge derstrikten Trennung vom Außenraum. So entsteht ein in sichgefasster Raum.

Diese einfache Methode ist nicht nur auf dem Lande, sondernauch in den Städten zu beobachten. Der abgesonderte undgeschützte private Stadtraum wird durch das Umschließen desTerritoriums gebildet und enthält in seiner Mitte einen mehroder weniger gestalteten Hof. Seit Urzeiten wird dieseUrbanisierung und Art der Landnahme in den Ländern desMaghrebs als Duar bezeichnet, ein Begriff, der an das arabischeWort für Haus Dar erinnert. Duar war ursprünglich ein Lagerviehzüchtender Nomaden, das eine runde Form hatte: „Es isteine ringförmige, aus trockenem Stachelgebüschzusammengesetzte und mit einem äußeren Graben verseheneEinzäunung, an deren Innenseite sich einzelne oder mehrereZelte ansetzen, auf einen freien Mittelplatz sich öffnend, dergemeinsam genutzt wird und auch das Vieh und die ganzebewegliche Habe aufnehmen kann“ (S. 48).

Abb. 11 Ummauerte Grundstücke im iranischen Mittelplateau.

27

Page 16: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Es gibt auch eine kleinere Form des Duar, die Nuala heißt. DieNuala ist eine Art Gehöft Ackerbau betreibender Beduinen. FürBianca (1991) vollzieht sich aus ihrer Anlage der „Übergang vonder runden Zeltordnung zum rechtwinkligen System desHauses“ (S. 49).Die Nuala besteht aus „einer im Rechteckgepflanzten Stachel- oder Kaktushecke und aus einzelnenrechtwinkligen, dem Mittelhof zugewandten Hütten, die entlangder Innenseite dieser natürlichen Umfassung aufgestelltwerden. In einer späteren Phase des Zusammenschlusseswerden diese Hütten zu Zimmern, und die lebende Hecke wirddurch eine steinerne Ummauerung ersetzt“ (S. 49).

Der Grundriss dieses Gehöfts wird „verengt und aufgestockt,zum Grundriss des typischen marokkanischen Hofhauses, indem sich römisch-mediterrane und uralte beduinischeTraditionen treffen“ (S. 49). Die archaischen Formen räumlicherAbsonderungen lassen sich auch linguistisch mit dem Begriffvon Raum, wie er im Nahen Osten verstanden wurde,assoziieren. Das vom undifferenzierten, offenen Raumabgesonderte Terrain wurde schon in vorislamischen Zeiten mitdem sakralen Raum identifiziert. Die Musalla, deren Gestalt denBau der frühen Moscheen beeinflusst haben soll, war einoffenes, durch eine Mauer eingefriedetes Grundstück für dasgemeinsame Gebet, erhob jedoch noch keinen architektonischenAnspruch.

MAKOM UND MUSALLA

Das althebräische Wort Makom benutzten die Juden des erstenJahrhunderts in Palästina, um einen Platz oder Raum aber auchum Gott zu benennen. Jammer meint, dass das Wort alsVerkürzung für einen heiligen Ort (makom kadosch) steht(Jammer 1954/1993, S. 28-29). Auf Arabisch bedeutet Makam

heilige Stätte, sakraler Ort oder einfach Platz. Wenn der Ort miteinem wichtigen religiösen Ereignis assoziiert wird, dann wirddas Wort Maschad benutzt, das auch ein Synonym fürMausoleum ist (Grabar 1966, S. 7). In der Nähe heiliger Stättenwurden auch große umfriedete Freiflächen geschaffen, die demgemeinsamen Gebet vorbehalten waren. Auch der ProphetMohamed pflegte in einer Musalla zu beten, der Musalla BanuSalamah. Musalla bedeutet auf arabisch „Ort, wo gebetet wird“(Diez 1917, S. 8).

28

Page 17: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Viele Autoren sehen in der Musalla (Abb. 12) den Ursprung derMoschee: „Als einer der Quellen (des Kultbaues) dürfen wir denschon vor Mohamed in Arabien bekannten Musalla (Betort)ansehen, einen außerhalb der Städte gelegenen, durch eineneinfachen Mauerzug umfriedeten Platz, der bestimmt war, beibesonderen Gelegenheiten, vor allem an Festtagen, einegrößere Menge von Andächtigen zu vereinigen“ (Diez 1917, S. 8;Kühnel 1949/1974, S. 5). Wie auch Creswell (1958, S. 1) betont,gab es zu Zeiten des Propheten keine große islamischeArchitektur. Das gilt insbesondere in Bezug auf religiöseGebäude, die meist sehr einfach gestaltet und aus schlichtenMaterialien errichtet waren und nur unkompliziertenZeremonien dienten. Architektonische Zurschaustellung waruntypisch für die traditionelle arabische Gesellschaft (Grabar1990, S. 89-90).

Die frühe Lehre des Islam missbilligte auch jede Form derGlorifizierung des Todes durch prunkvolle Grabstätten oderreligiöse Anlagen. Die taswiyah al qubur, das heißt dieMimetisierung oder Angleichung der Gräber an die unmittelbareUmgebung war typischer Ausdruck der Gleichstellung allerMenschen vor Gott (Grabar 1966, S. 8). Diese Einstellung warauch bezeichnend für die islamische Architektur der erstenJahrhunderte, aus der so gut wie keine Beispiele die Zeitüberdauert haben.

Die Musalla oder Saria, wie der Betplatz im islamischen Westen(Maghreb) auch genannt wurde, waren rechteckig oderunregelmäßig angelegt und befanden sich meist inunmittelbarer Nähe der Stadt in offenem und ebenem Gelände.Die Friedhöfe der islamischen Städte lagen außerhalb derStadtmauern, oft neben einer Musalla (Torres Balbás 1985, S.219; Kühnel 1949/1974, S. 5).Diese Flächen wurden auch fürmilitärische Paraden und Spiele genutzt und manchmal alsMarktplatz.

Die vorislamische orientalische Tradition, unter offenemHimmel zu beten, ist in vielen Länder Nordafrikas und Arabiensbis heute erhalten geblieben. Aber dieser Brauch war ingewisser Weise auch gefährlich, weil eine große Zahl Gläubigevöllig unbewaffnet die Städte und deren schützende Mauernverlassen mussten. Später durften die Männer deshalb dieMusallas auch mit Waffen betreten. Als Vorsichtsmaßnahmegingen sie nach dem Beten nur in Gruppen und aufverschiedenen Wegen in die Stadt zurück (Prochazka 1986, S.74). Viele Musallas verfügten auch über eine Reihe von Bautenfür die verschiedenen religiösen Rituale. Auch Chueca (1989)vermutete den Ursprung der Moschee in diesen offenen Plätzen:„Für das Nachmittagsgebet versammelte sich die Menge auf denPlätzen von Kairo und während der Muezzin seine Stimmeerhob, warfen sich die Gläubigen alle in eine Richtung nieder“(S. 288).

Abb. 12 Musalla imMerw, Chorasan,Afghanistan.

29

Page 18: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Die Musalla ist in vielen Gegenden bis auf den heutigen Tag inGebrauch, vor allem an Wallfahrtsstätten, für Feldgottesdiensteund andere Feierlichkeiten, gelegentlich auch in„architektonisch anspruchsvollerer Ausführung“ (Kühnel 1949/1974, S. 5). Es wird vermutet, dass sich hier in alter Zeit vorallem Bauern für die Istisqa’ versammelten, das Gebet um Regen(Torres Balbás 1985, S. 219). Musallas gibt es überall in derislamischen Welt. In einigen Städten des Maghrebs werdenprovisorische Plätze angelegt, die während des Gebets mitTeppichen ausgelegt sind. Auf Persisch heißt die Musalla

Namazgah und im islamischen Teil Indiens Idgah.

Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts gab es in Spanien nochMusallas, die sogar noch von den wenigen nach der Reconquistaauf der iberischen Halbinsel lebenden Mauren genutzt wurden.Dies geht aus zeitgenössischen Dokumenten der Mauren hervor,aber die meisten waren natürlich verlassen oder sogar schonvon Christen überbaut. Die Musallas waren im christlichenSpanien so vertraut und allgegenwärtig, dass die Conquistadoresdieses islamische Modell nach Amerika exportiert haben(Gutierrez 1992, S.31-35). Die Capillas de Indios, “teokalli” oderdie sogenannten Indianerkirchen (Abb. 13) wurden für dieEvangelisierung der Eingeborenen angelegt: große ebeneFlächen wurden für große Mengen von Konvertiten freigemacht.Die in Reih und Glied betenden Indianer müssen die Spanier andie betenden Moslems ihrer Heimat erinnert haben. An derStirnseite dieser Plätze befanden sich kleine, zum Platz hingeöffnete Bauten, in denen der katholische Priester die Messelas. Auch diese Gebäude erinnern an die Nischen, die Mihrab inder Qibla-Wand der Moscheen und der Musalla. Diese Geländelagen in den ersten Jahren der Kolonisierung Südamerikasmeist in unmittelbarer Nähe der Kirchen und es liegt nahe,dass die Plazas Mayores Amerikas als christliche Musallas genutztwurden.

Die ersten Musallas waren noch auf Jerusalem ausgerichtet. ZuZeiten Mohameds änderte sich die Richtung gen Mekka. In derMauer, die Qibla heißt und die Orientierung für das Gebetaufzeigt, befand sich eine Nische, der Mihrab. Die Mauer hattekeine architektonische Funktion, sondern eine rein praktische:sie diente oft mit einem kleinen Podest versehen als Mimbar

oder Kanzel für den Mullah und begrenzte den Blick, so dass derGläubige sich beim Beten konzentrieren konnte und nichtabgelenkt wurde. Einige Musallas hatten anstelle der einfachenQibla einen länglichen Bau, eine Art informelle Moschee, diespäter als Modell für die Sommermoscheen der Prinzen dienten(Abb. 14-17).

30

Abb. 13 Indianerkirchen,«teocalli» oder Capilla de Indios,

offene Plätze mit tragbareKanzel für den Priester. Stichaus dem 15. Jahrhundert.

Page 19: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Besonders wichtig für die Entwicklung des Moscheebaus ist dieBedeutung des freien Raumes. Nicht nur aus praktischenGründen ließen moslemische Baumeister eine großzügigbemessene Fläche mitten in der Moschee frei. Der Hof ist einwesentlicher Teil der Moschee und in seinem Raum bewahrt derGläubige die Idee eines freien, neutralen und reinen Geländes,ohne dass seine Aufmerksamkeit von bildlichen Darstellungenoder durch die Architektur abgelenkt würde. Der leere Hof,meist mit einen Becken versehen, ist ein Bestandteil nicht nurder sakralen Bauten, sondern auch der profanen Architekturdes Islam. Schulen, private Häuser und Paläste,Krankenhäuser, jeder Bau hat mindestens einen Hof.

Das Nomadendasein, vorislamische religiöse Bräuche und dasFehlen einer strikten Liturgie waren entscheidend für dieFähigkeit der neuen Kultur, den Raum auf eine ganz eigene Artzu gestalten und zu empfinden. Zusammen mit anderen Mittelnder „Einfriedung“, wie sie etwa der Typ des primitivenarabischen Hauses darstellt, waren es diese ersten offenenRäume, die die Gestaltung der frühen Moscheen beeinflussten.Die Moschee, das wichtigste Gebäude des Islam, war dieÜbersetzung eines bestimmten Raumempfindens in die Spracheder Architektur.

Abb. 15 Musalla in Aswan, Ägypten.Abb. 14 Musalla in Nisa, Turkestan.

Abb. 16 Musalla in Guzar, Turkestan. Abb. 17 Musalla im Qasbi, Turkestan.

31

Page 20: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 18 Hof des Genaralifegartens bei der Alhambra von Granada.

Abb. 19 Plan des Generalife nach James Cavanah Murphy, London 1813.

32

Page 21: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DER GARTEN: DAS GEOMETRISCHE PARADIES

„Der französische Garten –wie der Trianon, Malmaison, dieTullerien– ist aus Zierstücken komponiert und soll denBetrachter in Erstaunen versetzen: Blumen undverschiedenfarbige Bäume in geometrischen Figuren. Derjapanische Garten vereint alle Landschaften der Natur aufkleinstem Raum: einen Wasserfall, eine Holzbrücke, einenHügel und einen Bach. Der englische Garten ist eine grüneWiese, auf deren Mitte ein Haus steht: es ist ein Garten, umdarin leben zu können“ (Martínez Montálvez 1992, S. 181).Hingegen steht der arabische Garten für Abgeschiedenheit undGeborgenheit: „Hohe Mauern und große Bäume trennen denGarten vom Leben ringsum. Hinter dieser Mauer sitzt allein derBesitzer des Gartens, um das wunderschöne Werk Gottes zubetrachten oder um den Genuss vielleicht mit einem gutenFreund zu teilen. Das Element des Wassers ist untrennbar mitdem arabischen Garten verbunden und sein Gemurmel lässtdas Schweigen noch größer erscheinen. Die Wasseroberflächespiegelt den Himmel wider; die Gärten des Generalife sinddafür ein glanzvolles Beispiel“ (S. 181). Der Autor dieserBeschreibung ist der arabische Historiker Husain Munis, derSpanien in den sechziger Jahren des 20. Jahrhundertsbesuchte und sich von den Gärten der Alhambra inspirierenließ (Abb. 18, Abb. 19).

Das Wort Paradies (lateinisch Paradisus, griechisch Parádeisos)stammt vom persischen Faradis und bedeutet „ein von einerMauer umgebener Garten“. Die enge Verwandtschaft derWörter Garten und Paradies erklärt sich durch denJahrtausende alten Urglauben, der das Paradies mit demGarten Eden und seinen vier Strömen gleichstellt. Dergeometrisch angelegte Garten, der aus einem Rechteck bestehtund von vier sich kreuzenden Bächen durchteilt wird, ist vondieser Legende vom Garten Eden inspiriert, die vielen altenReligionen gemein ist.

Der Garten wurde als „Spiegel oder eher Vorahnung desParadieses“ (Dickie 1976, S. 90) verstanden. Im Koran wird dasWort Garten sehr oft und dann als Synonym für Paradiesgebraucht: auf Arabisch Dschannatun, `Baumgarten´ (Schimmel1990, S. 20; Hoag 1986, S. 204). Schon vor dem Islam insumerischer Zeit gab es in Mesopotamien, dem asiatischenZweistromland, in diesem Sinne paradiesisch angelegteGärten, meist „zusammen mit der Vorstellung von vierStrömen, die dem Weltberg, dem Mittelpunkt des irdischenKosmos entspringen und ein kreuzförmiges Koordinatensystembilden“ (Bianca 1991, S. 108).

33

Page 22: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Ein Keramik-Fragment aus dem Jahre 2000 vor Christi Geburtwurde in den Ruinen von Samarra gefunden. Die Zeichnungstellt einen kreuzartigen Garten mit Pflanzen und Vögeln dar.Bianca (1991) sah in der Schaffung eines Paradiesgartens einen„symbolischen Akt der Weltaneignung, durch den sich der Königgleichsam in die Mitte aller Dinge stellte und die ursprünglicheSchöpfung auf seine Art wiederholte“ (S. 108). Die Assyrerbegannen damit den Ausblick von einer überhöhtenPalastterrasse weit ins Land hinaus in die Bauplanungeinzubeziehen: „Dabei wurde eine höchst wichtige Entdeckunggemacht: Man hat augenscheinlich die Landschaft zu sehen undzu genießen gelernt. Man läßt nun den nach außen gewendetenTeil der Palastterrasse frei und schließt ihn nur mit einerniedrigen Brüstung ab (...). Der freie Raum wird zurAussichtsterrasse“ (Wirth 2000, S. 404).

Gärten mit komplizierten Bewässerungssystemen lassen sichspätestens für die Zeit der Achämeniden ab den Jahre 401 vorChristi Geburt im iranischen Hochland nachweisen: „Pavillionsöffneten sich an vier oder zwei Seiten durch Säulenkolonnadenzum Garten hin und gaben so den Blick in die Gartenlandschaftfrei. Zwischen den Pavillions, die Wohn- und Empfangszweckengedient haben können, floß Wasser in geometrisch angelegten,offenen Kanälen und verband sie so miteinander zu einerEinheit“ (S. 404). Diese Parkanlagen waren oft im Bewusstseinihrer Eigentümer wichtiger als die Bauten selbst. DieArchitektur verlor sich sozusagen in den Gärten der königlichenResidenzen (Gothein 1926/1997, S. 41).

Der griechische Geschichtsschreiber Xenophon (ca. 430-354v. C.) reiste mehrere Male durch Asien und besuchte dabei inPersien auch zahlreiche Paradeisoi. Sokrates beschrieb alsStudent die persischen Gärten in seinem Buch‚Oeconomicus´: „Überall (...), wohin der Perserkönig sichbegibt, ist er eifrig besorgt, dass er dort Gärten findet, die sieParadiese nennen, die voll sind von allem, was die Erde anGutem und Schönem hervorbringt. Hier hält er sich dengrößten Teil der Zeit auf, wenn es die Jahreszeit nichtverbietet“ (Bianca 1991, S. 108).

Abb. 20 Schema eines typischen Gartenteppichs mit sich kreuzendenWasserachsen, der einen paradiesischen Garten darstellt.

34

Page 23: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Xenophon verdanken wir auch die wichtigste Nachricht überdie vollkommen regelmäßige Anlage dieser orientalischenParks. Er berichtet von einem Augenzeugenbericht über dasvom jüngeren Kyros angelegte “Paradies” in Sardes, das demLysander, einem Abgesandten der Griechen, zugeschriebenwird“ (S. 108). Lysander bewunderte die Schönheit derBäume, die in geraden Reihen geordnet waren und „wiegenau die Winkel gebildet“ (Gothein 1926/1997, S. 42) waren,die Üppigkeit der Blüten auf allen Wegen, deren Duft dieLustwandelnden überall begleitete. Noch mehr aber wunderteer sich darüber, dass Kyros „selbst die Anlage seinerResidenz bis in alle Einzelheiten entworfen und zum Teileigenhändig gepflanzt habe“ (S. 41; Bianca 1991, S. 108-109).

In Ländern mit wüstenähnlichem Klima mussten die Gärtenvor den heißen und große Mengen Sand transportierendenWinden durch hohe Mauern geschützt werden. Die Idee einesgeschlossenen Raumes stimmt im Islam mit dem mystischenBegriff des ‚Weltinnenraums´ überein: Im Koran wird derursprüngliche Garten als ein geschlossener Bereich mitTüren erwähnt (Schimmel 1976, S. 15). Die Vegetation durftenicht zu hoch sein, um nicht in Konkurrenz mit derArchitektur zu treten. So verwandelte sich der Garten ineinen blumigen Teppich, der den Regeln der Geometrieunterworfen war (Dickie 1976, S.100).

Als die moslemischen Heere in Mesopotamien einfielen, fandensie in den Ruinen des Ktesiphon-Palastes einen Teppich, derden Namen ‚Der Frühling Jusrau“ trug. Der riesige Teppich, derals Kriegsbeute in kleinere Teile zerstückelt wurde, stellteeinen vierteiligen paradiesischen Garten dar, ein Motiv, dasspäter in vielen persischen Teppichen wiederholt wurde (Abb.20). Die Unterteilung der Gärten in vier Teile, die auf PersischTschahar Bagh oder „vier Gärten“ genannt wird, ist dieWiederholung der Ur-Idee. Die Tradition des königlichenParadiesgartens „lebte unter islamischer Herrschaft weiter: DasBild der eingerahmten, gehobenen und veredelten Natur, zueinem geometrischen Mandala gefügt, in dem der Fürst seineMacht als Spiegelbild der großen Schöpfung darstellen undgenießen konnte, musste auch die moslemischen Herrscherverlocken“ (Bianca 1991, S.110).

Der islamische Garten ist der Garten der wüstenartiger Länder.Chueca (1991) drückte diese Beobachtung so aus: „Wenn esunmöglich ist, die Natur der regnerischen Ländernachzuahmen, wird eine vom Menschen erfundene Landschafterschaffen, die den Regeln der Geometrie unterworfen ist“ (S.13). Prinzen, Kalifen und Sultane errichteten ihre Paläste, umauf Erden das Urparadies wiederherzustellen.

35

Page 24: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Stierlin (1996) behauptet, dass sich dieser vierteilige Grundrissin der gesamten Architektur auswirkte und deshalb sowohl diespäteren Paläste wie auch die Stadtplanung von einemrechteckigen Plan geprägt wurden (S. 130). Während die GärtenEuropas sich nach ästhetischen Prinzipien weiter entwickelten,wahrten die islamischen ‚geschlossenen Paradiese´ immer dieursprüngliche Idee, ein Nutzgarten zu sein: statt Blumenbeetenoder romantisierenden Landschaftsarrangements wuchsen inden orientalischen Gärten immer noch Obst und Gemüse. „AufUmwegen gaben die islamischen Gärten auch mancherleiAnstöße zur Erneuerung des europäischen Gartens, der sichdann im Barock in eine andere Richtung entwickelte: Währenddas orientalische Vorbild immer auch Obst- und Gewürzgartenblieb und den Nutzen mit ästhetischen Prinzipien verband,wurde der europäische Garten immer stärker formalisiert undzunehmend seiner ursprünglichen paradiesischen Bedeutungberaubt“ (Bianca 1991, S. 110).

In diesem Sinne ähnelten die islamischen Gärten dem hortus

(römische Gemüsegärten), der auch typisch für die Höfechristlicher Klöster und Kirchen war. Die Idee des Gartens alsSchatten spendender Aufenthaltsort ist fest im Koranverankert. „Das arabische Wort al-dschana (Plural al-dschinan) fürGarten wird mehr als 100 mal (im Koran) benutzt und steht füreinen schattigen, verborgenen und beschützten Ort, der miteinem Wasserbecken, Bäumen, Blumen und Düften lockt. Dasislamische Raumempfinden betont stets das Intime einesInnenraumes, der vom Rest getrennt ist. Madinat al-Zahra war936 die erste Stadt Andalusiens, bei der „höfische Bauten,Pavillions usw. in der bewässerten Gartenzone extra muroserrichtet wurden- als Garten-Vorstadt mit Residenzfunktion“(Wirth 2000, S. 404).

Petruccioli (1999) weist darauf hin, dass es im Islam«mindestens drei unterschiedliche Konzeptionen von Natur,Landschaft und Raum gibt, denen unterschiedlicheGestaltungsprinzipien der Gärten entsprechen: die persische,die türkische und die arabische -vielleicht auch noch diemaurisch-andalusische. Während die persischen und diemaurisch-andalusischen Gärten achsensymmetrisch und nachstreng geometrischen Muster angelegt sind, ist die Gestaltungder türkisch-osmanischen Gärten und Freiflächen naturnäher,bewußt unregelmäßig und eher zufällig-gewachsen» (Wirth 2000,S. 407).

Der Garten hatte auch Einfluss auf die Stadtgestaltung. DerAusbau Isfahans im 16. Jahrhundert zur Residenzstadt nachPlänen von Schah Abbas brachte eine große Erweiterung desStadtgebietes im Süden der Altstadt (Abb. 21). Die Hauptachseder Anlage in Isfahan war ein vier Kilometer langer Boulevard,der Tschahar Bagh genannt wurde.

36

Page 25: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

An beiden Seiten dieses Boulevards wurden geometrischgestaltete Gärten angelegt, die durch Strassen voneinandergetrennt waren. In den Gärten wurden königliche Pavillonserrichtet, deren Architektur im Hintergrund stand. Sie warenumgeben von der Pracht der Bäume und Wasserbecken. Mit derZeit wuchs die Stadt, und Wohn- sowie Marktviertel besetztendie rechteckigen früheren Gärten. Der Tschahar Bagh ist heuteeine der Hauptstraßen Isfahans und wenig erinnert daran, dasses sich früher um ein offenes Gelände handelte.

Auf Zeichnungen des deutschen Gesandten E. Kämpfer aus derZeit von Schah Abbas (Abb. 22) sind hinter der Mauer desMaidans, des königlichen Platzes, noch die Gartenanlagen undeine Reihe unterschiedlicher Bauten dargestellt. Dieseeinfachen, aus Arkaden bestehenden Pavillons schlossen dieGärten ein. Sie erhielten dadurch eher den Charakter einesbepflanzten Hofes, als den eines Gartens im europäischenSinne. Der geschlossene Garten, von Mauer oder Arkadenumgeben und mit Toren versehen, wiederholte auch hier dieIdee des ursprünglichen Paradiesgartens. Jeder dieser Hof-Gärten ist eine in sich geschlossene Welt. Die große Zahl vonGärten, die vom Rest des umliegenden Geländes getrennt sindund immer ein und dasselbe Muster wiederholen, zeigen, wasChueca (1947/1979) „die sehr islamische Verachtung desAußen“ (S. 72) nennt.

Die Natur wird in einen architektonischen Rahmen gepresst,und der Betrachter, der in einem solchen Garten sitzt, erhältnie einen Eindruck vom Ganzen. Dort, wo es keine Architekturgibt, ersetzen Baumreihen die Wände der Paläste in einer Art´pflanzlichen Architektur´. Auch die Gärten des Generalife inder Alhambra von Granada (Abb. 18, Abb. 19) sind in sichgeschlossene Räume.

Abb. 21 Tschahar Bagh in Isfahan.

37

Page 26: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

38

Abb. 22 Palastgärten in Isfahan. Zeichnung des deutschen Gesandten E. Kämpfer um 1700.

Page 27: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

In Iran wurde 1587 während der Zeit des Schah Abbas I. naheder Stadt Kaschan die festungsartige Sommerresidenz Bagh-i

Fin angelegt und zu Beginn des 19. Jahrhunderts renoviert. Eshandelt sich um ein großes, von dicken Mauern umgebenesGelände. Der Grundriss zeigt zwei übereinander liegende, jevierteilige Muster (Abb. 23). Innerhalb der Mauern läuft einWassergraben ringsum. Obwohl der königliche Pavillon fast imgeometrischen Mittelpunkt der Anlage liegt, befindet sich dieKreuzung der Wasserströme, die die Flüsse des Paradiesessymbolisieren, in einer seitlich vom Palast versetzten Achse.

Der zentrale Pavillon oder Palast, der vor einem großenWasserbecken liegt, passt sich in seiner Form dem unbebautenGelände an und verfügt über eine große Zahl offener undzugleich schattiger Räume um einen Innenhof. An und zum Teilsogar in den Außenmauern befinden sich andere Bauten.Dieses Beispiel zeigt, wie der offene, zentrale Raum dieHauptrolle in der islamischen Architektur übernimmt. Dieserummauerte Garten spiegelt die ursprüngliche Idee eines Faradis

oder irdischen Paradieses wider. Bagh-i Fin ist mit seinemWasser, den Farben und Pflanzen hinter hohen Mauern derextreme und absichtliche Kontrapunkt zu dem trockenen,trostlosen und unwirtlichen Außen.

Abb. 23 Sommerresidenz des Schah Abbas Bagh-i-Fin, nahe der Stadt Kaschanin Iran. Grundriss und Perspektive der Anlage.

39

Page 28: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

40

Abb. 24 Wohngebiet im Zentrum von Medina, Tunis.

Abb. 25 Drei Wohnhäuser im Zentrum von Medina, Tunis.

Abb. 26 Isometrie einer Straße in Isfahan.

Page 29: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DAS HAUS

„Wichtig ist, was in dem Manne ist undnicht sein Äußeres. Das Geheimnis verbirgtsich in den Menschen, die das Hausbewohnen und nicht im Hause selbst“;

Arabische Weisheit (Talib 1984, S. 3).

Es gibt verschiedene Ausdrücke für das Haus im Islam. Dar, Bait,Han oder Sarai sind die üblichen Begriffe, die in Verbindung mitweiteren Wörten die Funktion eines Gebäudes bezeichnen. Dasarabische Wort Dar bedeutet ein um einen Mittelhof gelegenesHaus. Dar leitet sich von einer Wortwurzel her, die zugleicheinen räumlichen Bereich und die Bewegung des Kreisensmeint, das heißt, einen „eingekreisten, in sich geschlossenenLebensraum, der von Fall zu Fall verschiedensteGrößenordnungen und Bedeutungen umfassen kann“ (Bianca1991, S. 197). Dar bezeichnet auch die Idee der Welt: Dar al-Islam

ist das Land des Friedens, in anderen Begriffen die Gebiete, indenen das Gesetz des Islam gilt, während Dar al-Harb das Landdes Krieges ist, der Raum, der dem Gesetz des Islam nichtunterliegt. Auf den städtischen Raum bezogen, ist mit Dar „derabgegrenzte Lebenskreis der Familie gemeint, das von ihrbesetzte Territorium, das innerhalb des sozialen Verbandes desQuartiers eine heimliche Welt für sich bildet: Heimat undGeheimnis zugleich“ (S. 197).

Bianca (1991) erklärt das islamische Konzept des geschütztenund unantastbaren Familienbezirkes, das „den Innenraum desHauses zu einer geweihten Sphäre aufwertet, die mit strengemTabu belegt ist - eine Vorstellung, die dem europäischen Denkenin diesem Ausmaß nie geläufig war“ (S. 196). Das Haus ist Hülleund Schale zugleich, eine Art Kleid, das das Innere schützt (Abb.24-26). Im traditionellen Islam werden die Stadtviertel, dasHaus, die Familie und insbesondere die Frau beschützt. Dasdrückt sich in der Kleidung aber auch in der Architektur und inder Gestaltung der Stadt aus. Die Frau muss sich, sobald siesich außerhalb des Hauses aufhält, vor unerwünschten Blickendurch ein Kopftuch, Tschador oder Runama, schützen. Daspersische Wort Runama leitet sich von der Wurzel Nama oderFassade ab. Auf Arabisch heißt Fassade wahj al bait oder dasGesicht des Hauses.

In einigen Stämmen des Jemen bemalen sich die Frauen ihreGesichter und ihre Hände mit den selben Zeichnungen, dieauch ihre Häuser schmücken. Sie tragen sozusagen ihr Hausmit sich herum und diesen besonderen Gewohnheiten derBemalung, Verhüllung oder Verschleierung folgt auch dieArchitektur, nach der Kleidung gleichsam die «dritte Haut» desMenschen. Das Wort Parda bedeutet im Persischen so viel wieSchleier oder Vorhang. Es bezeichnet zuallererst dieVerschleierung und Verhüllung der Frauen, findet aber ebensoVerwendung in der Architektursprache.

41

Page 30: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Das Verborgene, Beschützte und Heilige des Hauses spiegeltsich im islamischen Konzept des Hurm wider, das aus derarabischen Wurzel h-r-m herrührt. Die Grundbedeutung ist diedes „Abwehrens und Ausschließens, im rituellen Sinne auch desVerbietens (im Gegensatz zu Halal, dem Zulässigen undGestatteten)“ (Bianca 1991, S. 196). Wie schon weiter obenerwähnt, bedeutet Haram ‚heiliger Raum´. Das Haram ist dasAusgeschlossene, im religiösen Sprachgebrauch gleichbedeutendmit einem geweihten, unverletzlichen Ort. Das Wort wird auchim übertragenen Sinne für den Saal oder das Innere derMoschee verwendet, genauso wie als Synonym für Mekka,Medina und andere religiöse heilige Stätte des Islam (Schimmel1990, S. 57).

Die Räume der Frauen bilden in den Häusern einen besonderenBereich und oft gibt es auch eine spezielle Tür, durch dieweibliche Besucher ins Haus schlüpfen können, ohne gesehenzu werden und auch, um ebenso wieder hinauszukommen. DerBegriff Harem geht auf die Wurzel Hurm zurück. Im häuslichenLebensbereich meint Haram “die dem Fremden untersagteprivate Sphäre der Familie und ganz besonders dieFrauengemächer, die vor Zutritt und Einblick geschützt werdenmüssen. Die weibliche Sphäre wird mit dem Inneren des Hausesgleichgesetzt, und damit wird die Frau zugleich zur Seele desHauses und Hüterin der Ehre des Mannes und seiner Sippeerhoben“ (Bianca 1991, S. 196).

Der einzige Ort, an dem sich Frauen unter freiem Himmel ohneSchleier und von unerwünschten Blicken unbehelligt freibewegen können, ist der häusliche Hof (Abb. 27). Auf Persischbedeutet Hajat Hof und auch Leben, während der Innenhof inÄgypten Hossch genannt wird. Das arabische Wort für Hof ist el

hawi el batn, was in der literarischen Übersetzung «das Innerstedes Bauches« heißt. Der Hof ist der offene und zugleich durchhohe Mauern geschützte Raum des Hauses, das Zentrum einerinneren privaten Welt. Der geometrische Innenhof derislamischen Architektur symbolisiert die Mitte der Welt.

42

Abb. 27 Erdgeschoß, Obergeschoß und Schnitt eines Wohnhauses in Medina, Tunis.

Page 31: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DER HOF ODER DIE MITTE DER WELT

„Ganz wie das Herz, das sich in der Mittedes Körpers befindet, ist das Land Irankostbarer als alle anderen Länder, weil esin der Mitte der Welt liegt“

(Bollnow 1963, S. 60).

In der Antike und bis ins Mittelalter waren viele Völker derÜberzeugung, sich in der Mitte des bekannten Universums zubefinden, an einem ganz bedeutsamen Ort, dem alle anderenuntergeordnet seien. Das Bedürfnis der Menschen, ihren Platzin der Welt zu besetzen, drückte sich je nach Kultur inverschiedenen Formen aus. Die Chinesen nannten ihr Land das„Reich der Mitte“, in dessen Zentrum nach ihrer Vorstellung derkaiserliche Himmelspalast in Peking lag. Die Griechen hieltenDelphi für den Nabel der Welt. Die Juden glaubten ihr Zentrumauf dem Felsen in Jerusalem, auf dem der erste Tempel stand,und die Germanen hielten Mitgart für die Mitte der Welt.Bekannt sind die Bräuche einiger Indianervölker und andererNomaden, auf ihren Wanderungen stets einen heiligen Pfahlmitzuführen, der an den wechselnden Lagerstädten als Symbolder jeweiligen Mitte der Erde in den Boden gerammt wurde.

Im Mittelalter verkörperte die Kathedrale die „überzeitlicheHimmelstadt, die im Herzen der irdischen Stadt aufgerichtetwurde“ (Bianca 1991, S. 27). Für die Moslems ist die Kaaba inMekka die Mitte ihrer Welt. Über dem schwarzen Stein(wahrscheinlich ein Meteorit) haben angeblich schon Abrahamund sein Sohn Ismael einen viereckigen Bau errichtet. Dieirdische Kaaba liegt nach dem islamischen Glauben einer Kaabaim Zentrum des Himmels spiegelbildlich gegenüber. Der Nameweist im Arabischen auf einen Kubus hin, der die vierHimmelsrichtungen anzeigt. Nord, Süd, Ost und West sind derAnfang aller räumlichen Beziehungen in der Welt, die immerwieder von verschiedenen Zentren ausgehen (Schimmel 1995, S.175).

Moslems sind während ihres gesamten Lebens verpflichtet, sichauf den Ort der Kaaba auszurichten. Um den Kubus, der denheiligen Stein in sich fasst und die Zentrierung des geistigenKosmos definiert, ordnet sich der physische Raum inkonzentrischen Kreisen. Eine der wichtigsten Aufgaben dermoslemischen Mathematiker und Geographen war es, von jedembeliebigen Punkt der Welt aus zu bestimmen, in welcherHimmelsrichtung Mekka liegt, damit jeder Moslem dieseRichtung bei den täglichen Gebeten einnehmen konnte. Das«wahre Zentrum des Glaubens» verleiht den Gläubigen bis heuteein Gefühl der Einheit. Die fünfte und wichtigste Säule desIslam ist der Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mekka, die jederGläubige, gleich ob Mann oder Frau, wenigstens einmal imLeben antreten muss. Dennoch ist die Kaaba eher eingeistliches oder mystisches Zentrum, als ein wirklicher realerMittelpunkt.

43

Page 32: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 28 Ansicht von der Kaaba in Mekka nach einem Stich von d´Ohson, 1790.

Die Kaaba ist kein Monument im architektonischen Sinne und„die Erscheinung des Göttlichen (ist) nicht an bestimmtearchitektonische Formen gekettet“ (Bianca 1991, S. 25-26). Wiees im geometrischen Kosmos nur eine Mitte geben kann, ist dieKaaba im strengen Sinne auch das einzige einem Tempelvergleichbare `Gotteshaus´ des Islam (Abb. 28).

Doch schließt die Symbolik der Mitte ein, dass sie „nicht nur aufden Umkreis ausstrahlen, sondern durch Analogie wiederholtund gewissermaßen in Vertretung immer wieder neu erzeugtwerden kann“ (S. 25-26). Die Sure 2/109 des Koran lautet: „UndAllahs ist der Westen und der Osten, und wohin ihr euch daherwendet, dort ist Allahs Angesicht“. Schimmel (1990) behauptet,dass die Kaaba eine Richtung lediglich andeutet, weil sie nureine irdische Offenbarung der Beziehung zwischen Mensch undGott ist und „Allah überall ist“. Für einen Moslem ist auch dieWelt des Dar al-Harb, die Welt des Krieges, wo der Islam (noch)nicht herrscht, ein zumindest potenzielles Heiligtum. DasSakrale kann „durch Hinwendung zum Zentrum überallvergegenwärtigt werden, sei es im Haus, in der Moschee oder infreier Landschaft“ (S. 26).

Der Hof stellt eine Form dar, ein Zentrum der Welt -der Innen-Welt- immer wieder neu zu erschaffen. Das Wasserbecken inder Mitte ist oft als Versuch interpretiert worden, dasursprüngliche Paradies wiederzuerschaffen und somit derBeziehung zwischen Mensch und Gott, zwischen Himmel undErde, in jedem Haus und in jeder Moschee Gestalt zu verleihen.

44

Page 33: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Obwohl das Gebet immer Richtung Mekka – angezeigtdurch den Mihrab in der Qibla-Wand – gerichtet sein soll, istder Raum der Moschee selbst von keiner bestimmtenAusrichtung bestimmt. Wer den Grundriss einer Moscheebetrachtet, dem fällt vor allem die zentrierte Form desGebäudes auf. Eigentümlich ist der islamischenArchitektur ihre Zurückgezogenheit (Abb. 29). Fast jedesGebäude ist ein in sich geschlossenes, von der Stadt oderder Natur abgewandtes Universum, dessen Mitte offenbleibt.

Der Hof ist der geordnete und geometrisierte Mittelpunkt,der einzig gestaltete Raum, der die räumliche Umsetzungeiner Zentrierung der Welt symbolisiert. In der Denk- undVerhaltensweise islamischer Gesellschaften ist zunächstdas Gebaute unwichtig. Die Architektur ist nur ein Mittel,um einen Hof zu gestalten, während die geformte undgefasste Leere des Hofes eine bergende Hohlform schafft,die islamischem Raumdenken entspricht, das gewiss auchältere Würzeln im vorantikischen Hofhaus hat. DasGebäude selbst hat eine eher beiläufige und je nach Bedarfwechselnde Kontur. Das Gebaute ist ein Rest, der sichzwischen dem Außenraum der Stadt und der klaren Formdes Hofes einfügt. Abgesehen von Größe und Bedeutungdes Gebäudes wahrt der Hof immer seine Eigenschaft, eineinnere und geordnete Welt zu sein. Die islamischeArchitektur kann auch als eine Architektur der Höfebezeichnet werden.

45

Abb. 29 Zurückgezogenheit und Hofarchitektur in der Stadt Chiwa, Usbekistan.

Page 34: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DIE MOSCHEE UND DAS HAUS DES PROPHETEN

„Bauen ist wahrlich das nutzlosesteDing und frisst den Reichtum einesGläubigen auf“

(Creswell 1958, S. 4; Hoag 1986, S. 8).

Nach Überlieferung des Schriftgelehrten Ibn Sa’d soll derProphet Mohamed im Jahre 626 diesen Satz zu einer seinerFrauen namens Umm Salama gesprochen haben, als er voneiner seiner Reisen nach Hause zurückkehrte. Die Frau hattewährend der Abwesenheit des Propheten ein Zimmer an dessenHaus in Medina anbauen lassen, um den Platzmangel zulindern. Der einfache, aus Backsteinen errichtete Anbau warder Anlass für die erste überlieferte Kritik des Gründers des Is-lam an der Architektur, die er allem Anschein nach alsüberflüssig empfand. Mohamed hinterließ seinen Nachfolgernkeine eindeutige Erklärung, wie ein religiöses Gebäude des Is-lam beschaffen sein sollte. Auch der Koran und der Hadithenthalten nicht eine Andeutung, wie eine Moschee gebautwerden soll. Dem Propheten lag keine „Festsetzung bestimmterreligiöser Formen oder Gebäude am Herzen, (er wollte) nur seinVolk zu ihrem Gotte führen. Mohamed wollte kein Gotteshaus,weil er auch keine Priesterschaft wollte, die sich zwischen dasVolk und Gott stelle“ (Diez 1917, S. 7).

Alle monotheistischen Religionen lehnten es in der Frühzeitihrer Entstehung ab, einen speziellen, ihrem Glaubengewidmeten Bau zu errichten: „Die Idee, einen Tempel zubauen, erschien den wahren Gläubigen paradoxerweise als einnicht hinnehmbares Zugeständnis an die menschliche Eitelkeitund, was noch schlimmer war, als der Beginn einesketzerischen Götzendienstes“ (Frishman/Khan 1994, S. 30).Auch im Islam wurde das Priestertum und die Liturgieabgelehnt. Mohamed selbst betete mit seinen Anhängern imeigenen Wohnhaus oder auf einer Musalla außerhalb der StadtMedina.

Das Wort Moschee (englisch mosque, französisch mosquée,italienisch moschea, spanisch mezquita) geht aus dem arabischenMasgid (Plural: Masagid) zurück, das seinerseits aus der Wurzel‘sich niederwerfen´ stammt. Es bezeichnet also ursprünglicheinen “Ort, an dem man sich niederwirft“, um gen Mekka zubeten, ein schlichter Ort des Gebetes zu Gott, aber keinGotteshaus. Masgid ist auch mit dem altsemitischen BegriffHaram verwandt, das wie schon weiter oben erwähnt, ‘heiligerRaum´ bedeutet. Masgid wird im Koran als Bezeichnung für dieMoschee in Mekka gebraucht: „Von wannen du immer herauskommst, kehre dein Gesicht in die Richtung der heiligenMoschee“ (Sure 2, 144. (149.). Die arabischen AusdrückeDschami oder Freitagsmoschee und Masgid wurden von allenSprachen der islamischen Welt übernommen, vom Türkischenbis Urdu (Indien) oder Pashtu (Pevsner/Fleming/Honour 1981, S.396-397).

46

Page 35: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Einige Autoren halten das Haus von Mohamed in Medina für dieerste Moschee und es gibt keine Zweifel, dass seine Form undAufteilung großen Einfluss auf die ersten religiösen Bauten desIslam ausübte. Es sind verschiedene Versionen überliefert, wieMohameds Haus ausgesehen hat, aber alle stimmen in etwa mitder literarischen Beschreibung überein (Abb. 30). Das Haus wieskeine besonderen architektonischen Qualitäten auf. Dieanerkannteste Darstellung stammt von Creswell, die derWissenschaftler als erster anhand von Ausgrabungsergebnissenin seinem Buch „Islam“ veröffentlichte (Creswell 1958, S. 3).

Creswell beschrieb das Haus so: „Es gab vier Häuser ausLehmziegeln, deren Räume durch mit Lehm bestrichenenWänden aus Palmenblätter unterteilt waren, und fünf weitere,nicht unterteilte Häuser, deren Wände aus mit Lehm bedecktenPalmenblättern errichtet waren. Vor den Türöffnungen hingenVorhänge aus schwarzer Haarwolle. Jeder Vorhang maß 3 mal 3cubits (1 Cubit = ca. 0,52 Meter). Die Räume waren so niedrig,dass man die Zimmerdecke mit der Hand anfassen konnte“. Ander Südwestseite des Hofes stand eine primitive Konstruktion,ähnlich dem Portico an der nördlichen Seite; es diente alsAufenthaltsort für die Armen, die Mohamed aus Mekka folgtenund deswegen auch als die ‘Leute des Säulengangs´ bezeichnetwurden (S. 3).

Abb. 31 Haus des Propheten vor derErweiterung, nach Creswell.

Abb. 30 Axonometrie des Hauses vonMohamed, nach Kuban.

47

Abb. 32 Haus des Propheten nach derErweiterung, nach Creswell.

Page 36: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Grabar (1990) veröffentlichte zwei mögliche Grundrisse desHauses in Medina nach der Beschreibung Creswells: Einer zeigtdas Gebäude vor und einer nach der „Renovierung“ (Abb. 31, Abb.32). Das Haus besteht aus einem großen Raum oder Hof, der voneiner 3,65 Meter hohen Mauer umgeben ist. Das umbaute Arealmisst in etwa 52 x 52 Meter. Das Dach soll aus Palmenblätternbestehen haben, die durch Lehm versteift von einer doppeltenReihe von Palmenstämmen oder Sulla getragen werden. Die Sulla

nahm die ganze Länge des Gebäudes ein und öffnete sich zumHof: der halb offene, schattige und luftige Raum diente als Saal,wo der Prophet sich mit seinen Anhängern traf.

Eine andere, etwas kürzere Sulla befand sich an dergegenüberliegenden Seite des Hofes und wurde als Stall oderSuffa benutzt: ein separater Raum, wo später Gäste übernachtenkonnten. An der Ostseite lagen eine Reihe von Zellen oder Zulla,die jeweils circa 5 mal 5 Meter groß waren. Sie dientenMohamed und seinen Frauen als Zimmer. Sie standenaußerhalb der Grenze, die den Hof gestaltete, sozusagen an derGrenzlinie des Hauses. Sie waren zum Hof hin offen, das heißt,durch Öffnungen in der Mauer mit dem Hof verbunden. Mit derZeit stieg die Zahl der Zullas wie schon erwähnt auf InitiativeUmm Salamas, der zupackenden Frau des Propheten, von etwafünf auf sieben.

Die Tatsache, dass der Saal von der Nord- an die Südseitewechselte, wurde mit der Entscheidung Mohameds erklärt, dieanfängliche Ausrichtung beim Gebet auf Jerusalem aufzugebenund statt dessen Mekka als Orientierungspunkt zu wählen. Fürdie neue Religion sollte sich diese Umorientierung als vonentscheidender Bedeutung erweisen. Das Haus hatteursprünglich vier Eingänge, eine auf jeder Seite des Vierecks.Mit der Zeit ließ der Prophet den Eingang an der Seite derHauptsulla schlissen, um während des Betens ungestört zubleiben.

48

Abb. 33 Haus von Mohamed, nachSauvaget.

Page 37: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Palmenarkade ist bereits drei Reihen tief, während dienördliche Seite über zwei Arkadenreihen verfügt. Das Gebäudeist immer noch ein durch den Außenraum dominierter primitiverBau mit einem wichtigen Innenhof. Die Vergrößerung desSchatten spendenden Saales war aller Wahrscheinlichkeit nacheine Folge des großen Zustroms an Gläubigen. Das Haus wurdeab 632, dem Todesjahr des Propheten, von Mohameds Anhängernals heilig verehrt. Das hinderte sie aber nicht daran, dasGebäude im Jahre 707 abreißen zu lassen. An seiner Stellewurde dann die so genannte „Moschee des Propheten“ errichtet.Mohamed wurde unter dem Fußboden seines früheren Zimmersbegraben, das nun Teil des Moschee-Saales wurde. Zu dieserZeit gab es schon einige Beispiele früher Moscheen in Arabienund auch in den eroberten Ländern, wie etwa die Moschee vonKufa im heutigen Irak (638-639) oder in Damaskus, aber dieVerlängerung des Säulensaales an den vier Seiten der Moscheeüber Mohameds Haus stellte eine bedeutende Neuerung im Bauder Moschee dar.

Mohameds Haus in Medina kann als die erste Moschee derGeschichte bezeichnet werden. Tatsächlich folgten alle späterenreligiösen Gebäude des Islam ein und demselben Plan: der großevon einem Säulensaal umgebene Hof wurde, mit einigenVeränderungen, das Leitmotiv der islamischen Architektur inden 12. Jahrhunderten seit Mohameds Tod. Getreu derursprünglichen Idee, das Sakrale mit dem Säkularen zuvereinen, waren die ersten Moscheen keine Tempel, sondernwie das Haus des Propheten, „Häuser zum Beten“.

49

Abb. 34 Rekonstruktion von Haus des Propheten in Medina nach Leacroft.

Mit der Orientierung gen Mekka verwandelte sich die Sulla-Wandin eine Qibla-Wand und die Sulla verwandelte sich durch dieseVergrößerung in einen richtigen Saal. So wurde das ‘renovierte´Haus Mohameds das erste Gebäude im Islam, das für religiöseZwecke zumindest umgebaut wurde. Sauvagets Grundriss (Abb.33) zeigt das Haus in einer späteren Phase. Die südliche

Page 38: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DIE ERSTEN MOSCHEEN

622 ist das Jahr eins der moslemischen Zeitrechnung, das Jahrder Hedschra, als der Prophet nach seiner Flucht aus Mekkasich in Medina als Anführer einer kleinen religiösen Gemeindeniederließ. Grabar (1990) bezeichnet dieses Jahr zugleich alsden Anfang der islamischen Kunst und Kultur. Obwohl dieserZeitpunkt für die Architektur nur ein symbolisches Datumdarstellt, „unterscheiden sich die Gestalt, der Inhalt und dieFolgen des neuen Geistes von Medina von dem älteren Mekkas“(S. 17). Wie schon weiter oben erläutert, benötigte die neueReligion keine Tempel, weil den Moslems jeder Ort geeigneterschien, um in Kontakt mit Gott zu treten. Der Prophet selbstbetete in seinem privaten Wohnhaus oder in einer Musalla unterfreiem Himmel und soll einmal gesagt haben, dass „sich für ihndie ganze Welt in ein Masgid verwandelt hätte“ (Kühnel 1949, S.5). Diese Haltung bezeugt auch folgender Mohamedzugeschriebener Ausspruch: „An dem Ort, wo Du betest, da istauch Deine Moschee“ (Kühnel 1949/1974, S. 5).

Das religiöse Gebäude des Islam war ein einfacher Raum auseinem Säulensaal oder Haram und einem Hof oder Sahn imZentrum. Keine Wand trennte den Saal vom Hof und die einzigeBegrenzung war die meistens aus Lehm gebaute Außenmauer,die das Innere des Gebäudes vor Unbefugten und Tierenschützte. Es war gerade die Einfachheit und Flexibilität derersten Bauten und nicht zuletzt die unkomplizierten Rituale derneuen Religion, die ihre Ausbreitung erleichterten. DieMoscheen verbreiteten sich daher schnell und im Laufe wenigerJahre verfügte jede eroberte Stadt über eine al-Dschami oderFreitagsmoschee. Aus den ersten Jahren des Islam sind so gutwie keine archäologischen Reste erhalten und schon gar nichts,was der Bezeichnung Architektur würdig wäre. Stierlin (1996)unterstrich den Charakter der Improvisation der islamischenKultur jener Epoche: „Die Araber des 7. Jahrhunderts warenkeine großen Baumeister“ (S. 29). Trotzdem existierte demHadith oder der Überlieferung zufolge in einem Dorf unweit vonMedina bereits eine Moschee, und noch zu Lebzeiten Mohamedsentstanden eine große Zahl von Masgids und Musallas (Kuban1974, S. 12).

Es wird behauptet, dass die im Jahre 635 in Basra im heutigenIrak errichtete Moschee in Wirklichkeit eine Musalla war: siebestand aus einer großen unbebauten Fläche vermutlich voneiner umlaufenden Mauer abgesehen ohne jede weiterenRäume oder Gebäude (Creswell 1958, S. 15; Kuban 1974, S. 12).Basra war ein von arabischen Kriegern gegründetes Militärlagerund bei der Moschee handelte es sich nur um einenumfriedeten Hof, den nur für einen begrenzten Zeitraumerrichtet wurde (Diez 1917, S. 9). Es gibt aber eine zweite,spätere Version der Basra-Moschee. Obwohl dieses omaijadischeGebäude “spurlos verschwunden” (Kühnel 1949/1974, S. 17) ist,hat Sauvaget (1947) dessen ursprünglichen Grundrissrekonstruiert (Abb. 35).

50

Page 39: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Hinter einer dicken Mauer betrat man einen Säulensaal ausinsgesamt sechs Schiffen, die parallel zur Qibla-Mauer verliefen.Der rechtwinklige Mittelhof nahm vier beziehungsweise zweiArkaden in Anspruch. Der Sahn wirkte wie eine mitten imGebäude freigelassene Fläche, die keine besonderenarchitektonischen Merkmale aufwies. An der Nordostseite derAußenwand befand sich ein Minarett. Von dieser frühenMoschee in Basra ist heute noch die Außenmauer, das Minarettund der südliche Teil des Harams erhalten.

Die erste Moschee von Kufa aus dem Jahre 638-39 (Abb. 36)hatte eine Länge von 200 Ellen oder 103,6 Metern (Hoag 1986, S.9). Die Maße der Moschee wurden nach einem alten Brauchbestimmt: „Und sie (die Moschee) wurde errichtet auf demPlatze der Seifenbesitzer und der Dattelhändler vom Markte.Man grenzte (den Platz) also ab. Darauf stellte sich ein Mann inseiner Mitte auf, ein Bogenschütze, kraftvoll im Bezug auf dasPfeilschießen, er schoss also von seiner Rechten weg und dabefahl der, der wollte, dass gebaut würde hinter dem Orte, wojener Pfeil niederfiel. Und er schoss vor sich hin und hinter sichund es befahl der, der wollte, dass gebaut würde, hinter demPlatze, wo beide Pfeile niederfielen“. Danach wurde um dasTerrain herum ein Graben ausgehoben wie bei der Musalla, umFremde und Tiere fernzuhalten (Creswell 1958, S. 16f; Kuban1974, S. 12).

Der arabische Geschichtsschreiber Tabari berichtet: „So wurdedas Masgid auf einem Quadrat errichtet, dessen Höhe von jederseiner Seiten war (sic), und es wurde erbaut eine gedeckteHalle auf seiner Vorderseite, die keine Seitenflügel und keineHintergebäude hatte. Und das Quadrat diente zur Versammlungder Leute, damit sie sich nicht drängten“ (Diez 1917, S. 9).Es ist interessant, dass Tabari die Moschee als „Quadrat“bezeichnet, also seine Qualität als Fläche unterstreicht. Andersals beim Beispiel der Moschee von Basra war Tabari überzeugt,dass die erste Moschee in Kufa einen Haram hatte oderzumindest teilweise überdacht war.

51

Abb. 35 Rekonstruktion der omaijaden-Moschee in Basra, 635, nach Sauvaget.

Abb. 36 Kufa-Moschee, 638-639, nachCreswell.

Page 40: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Auch Creswell (1958) vermutete, es habe in der Kufa-Moscheeeinen schattigen Haram an der Qibla-Wand gegeben. Das Dachder Halle wurde nicht von Palmenstämmen, sondern vonMarmorsäulen getragen, „die den Kaisern gehörten, ihr Dachwar wie die Dächer der römischen Kirchen“ (Diez 1917, S. 9-10).Das Dach selbst soll wie bei syrischen Kirchen aus Holzbestanden haben. Der Saal war vier oder fünf Säulenreihen tiefund sein Portikus zum Hof hin offen. Der Historiker schreibt:„Und also waren so die Moscheen, ausgenommen das Masgid elHaram (sc. Mekka), man pflegte also die Moscheen ähnlich zumachen als Ehrung für ihre Heiligkeit“ (S. 9). Auch in einemzeitgenössischen Bericht über Kufa aus dem Jahre 17 d. H.(638) wird der Hof vom Saal unterschieden: Es gebe „einenquadratischen Platz mit einer überdachten Halle an derVorderseite (Qibla-Seite), so dass sich die Soldaten auf diesemfreien Platz ohne Gedränge aufstellen konnten“ (S. 10). ImJahre 657 verlegte ‘Ali, der Nachfolger Mohameds, seinen Sitzvon Medina nach Kufa.

52

Abb. 37 Große Kufa-Moschee, 670,nach Creswell.

Eine neue Moschee wurde 670 an der selben Stelle odervielleicht auch neben dem alten Bau errichtet. Diese zweiteMoschee von Kufa hatte ähnliche Proportionen wie die erste,wies aber einige Änderungen auf. Die sogenannte GroßeMoschee von Kufa (Abb. 37) hatte fünf Schiffe und die Säulenerreichten eine Höhe von 15,54 Metern. Die anderen zweiseitlichen Portiken oder Riwaqs aus zwei Säulengängenvergrößerten den Raum des Harams. Diese Lösung erklärt sichwahrscheinlich durch den Versuch, mehr schattigen Raum zuerhalten ohne einen zu tiefen Haram bauen zu müssen. So bleibtdie Qibla-Wand relativ gut belüftet und erhält noch genügendTageslicht. Die Außenmauer war aus Backstein und vonhalbkreisförmigen Türmchen befestigt, die dem Gebäude denAnschein einer Festung verliehen. Die Außenmauer war dannnicht mehr wie in früheren Moscheen Teil des Hofes, sondernblieb hinter den Säulengängen der Riwaqs verborgen. So ist dieAußenwand nicht mehr Teil der Räumlichkeit des Hofes undwandelt sich zum einfachen Mittel der Eingrenzung, das nachBelieben veränderbar ist.

Page 41: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

53

In Kufa entstand ein ganz neuer Typ von Moschee: Der Hof istnicht mehr ein Rest, der durch die vom Haram freigelasseneLeere und die Platzierung der Außenmauer entsteht, sondernein an allen vier Seiten durch Kolonnaden definierter Raum.Der Hof bekommt damit ein Gesicht, das wie die italienischenCortile von luftigen Arkaden und nicht von einer geschlossenenMauer begrenzt ist. Während die ersten Bauten des Islam voneiner Umgebungsmauer ausgehend nach Innen gewachsen sind,entsteht in der Kufa-Moschee zum ersten Mal der Hof als einRaum, der durch Kolonnaden gestaltet wird. Es lässt sich sagen,dass sich der Hof in diesem Stadium bereits von der Mauerbefreit hatte. Von der Moschee in Kufa abgesehen, werden dieGebäude nicht mehr aus der Perspektive einer begrenzten Leereoder eines offenen Raumes gedacht, sondern von Innen her, ausder Sicht des Hofes.

Die Baumeister der Kufa-Moschee waren Perser. Sie arbeitetenim Auftrag der Sassanidenkönige (Diez 1917, S. 10), wasmöglicherweise die einzigartige Gestaltung des Hofes erklärt.Während die persischen Baumeister das erste Gebäude im Irakerrichteten, das als Modell für eine ganze Generation vonMoscheen diente, nutzten die arabischen Eroberer Persiens dieoffenen Hallen oder Iwane der Paläste als Versammlungsorte fürdas Freitagsgebet, ohne sich übrigens damals von den bildlichenDarstellungen von Menschen und Tieren stören zu lassen (S.10).

Damit war der Typus der frühen Hof- oder Säulenmoscheeentstanden: Die Säulenhalle und der Hof mit Riwaqs sind diezwei wesentlichen Bestandteile der religiösen Gebäude desIslam, die in den nächsten Jahrhunderten von Persien bis nachAndalusien Verbreitung finden sollten. In Syrien, wo dasChristentum anfangs eine starke Stellung hatte, waren dieMoscheen vom basilikalen Grundriss beeinflusst, ohne jedochdas neue Raumempfinden des Islam außer Acht zu lassen.

Anfangs teilten sich Moslems und Christen sogar die Kirchenund später wurden die Kirchen zum Teil in Moscheen umgebaut.Im Folgenden werden einige Beispiele dargestellt, die dasZusammenspiel beider Religionen in ein und denselben Räumenverdeutlichen. Die Gegenüberstellung zweier räumlich undorganisatorisch sehr unterschiedlicher Religionen in einemGebäude zeigt, wie verschieden die Raumbegriffe beiderKulturen sind. In Syrien haben die arabischen Heere des Islamnicht nur die Kirchen besetzt und genutzt, sondern auch ganzeStadtviertel. Die Verwandlung eines typisch öffentlichenRaumes wie die Agora von Damaskus in eine Moschee zeigt dieTendenz der islamischen Architektur, einen offenen Raum mitprivatem Charakter zu schaffen: Der Platz als Innenhof.

Page 42: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

KIRCHEN UND MOSCHEEN

Die Eroberer, die den Islam verbreiteten, brachten keineeigene Bautradition mit, zudem wahrscheinlich schon Bau-Konzepte. Oft fanden sie große Städte vor, und tausendjährigeKulturen wie im hellenistisch geprägten Damaskus oder diemonumentale Architektur der Paläste Persiens werden siestark beeindruckt haben. In der ersten Phase der Eroberungwurden Kirchen, Synagogen, zoroastrische Feuertempel undApadanas in Moscheen umgewandelt (Diez 1917, S. 10). Wiebereits kurz erwähnt, teilten sich die Moslems zu Anfangsogar einige Gebäude mit den besiegten Christen. DieseMeinung vertreten zumindest Creswell (1958), Golvin (1970)und Sauvaget (1947).

In Syrien seien „eine Reihe kleinerer Moscheen entstanden,die teils umgebaute christliche Kirchen, teils auch veränderteantike Tempel wie etwa in Aleppo, Hama, Homs, Baalbek undTripolis (heute Tripoli im Libanon) waren, beziehungsweiseunter Verwendung des Abrissmaterials und vor allem derSäulen christlicher Kirchen“ (Diez 1917, S. 19 - 20;Kuban1974, S. 12). Obwohl teilweise auch die Anpassung anbereits bestehende ältere Gebäude die äußere Form und dieLage von Moscheen beeinflusst haben soll, mussten dieMoslems doch einige allgemein gültige Regeln undAnweisungen respektieren wie zum Beispiel die Ausrichtungdes Gebäudes gen Mekka.

Die Umwandlung einer Kirche basilikalen Typs in eineMoschee wurde durch die einfache Änderung der Richtungerreicht (Sourdel Thomine 1970, S. 99). Während die KirchenRichtung Jerusalem ausgerichtet waren, in Damaskus alsogen Süden, mussten die Moscheen nach Südosten zeigen. Dasführte dazu, dass in den Moscheen der frühere christlicheLangsaal dann in etwa quer zur Ausrichtung des Gebäudeslag. Der Saal der Basilika mit dem daneben liegenden Hofließ sich sehr leicht in eine Moschee umwandeln. Die Wand,die zum Hof lag, wurde abgerissen oder durch eine Loggiaersetzt, so dass man aus dem Hof den Saal und vor allem dieQibla-Wand sehen und auch Tageslicht in den Saal gelangenkonnte.

Der tiefe, längliche Raum des Hauptschiffes verwandelte sichin den breiten, querliegenden Saal der Moschee. „Das tiefeSäulenlanghaus wurde so zur seichten Breithalle derMoschee“ (Diez 1917, S. 10).Wenn Christen und Moslems einGebäude gleichzeitig nutzten, wurde der Raum durch eineschlichte Mauer getrennt. Wurde die Kirche zwischenChristen und Muslims geteilt, so war “nichtsselbstverständlicher als eine Abgrenzung des Moscheetraktesdurch einen vorgelegten ummauerten Hof, dessen Ost- oderWestmauer quer durch das ehemalige Langhaus gezogenwurde“ (S. 10).

54

Page 43: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Die Einbeziehung eines Hofes an der gegenüberliegenden Seitedes Saales schuf zusätzlichen Platz für Gläubige, deren Zahl mitder Einverleibung der städtischen Kultur ständig wuchs. DiesesNebeneinander von Islam und Christentum in ein unddemselben Gebäude war „in bikonfessionellen Gegenden imInteresse des religiösen Friedens erste Forderung“ (S. 10). Sobildete sich “der Typus der Hof- und Säulenmoschee in Syrien inganz natürlicher Weise und es scheint, dass dieser Typus vonSyrien aus weitere Kreise zog“ (S. 10).

Abb. 38 Umbau einer Kirche ineine Moschee in Hama, Syrien, 637,nach Creswell.

Abb. 39 Hama-Moschee nach derRenovierung aus dem 12. und 13.Jahrh..

55

Abb. 40 Hofarkaden in der Hama-Moschee.Abwecheslung von Säulen und Pfeilern an der östlichen Loggia.

Die Hama-Kirche in Syrien wurde 636-637 in eine Moscheeumgewandelt (Abb. 38 - 40). Laut Creswell (1958, S. 7) undSauvaget (1947, S. 104 - 105) errichteten die Moslems ihr Masgid

auf den Resten eines christlichen Tempels. Michell (1991, S.234) erwähnt auch die Existenz eines römischen Tempels,dessen Struktur in der Moschee wieder aufgenommen wurde(Abb. 39). Ein dreischiffiger, ursprünglich in die Längeorientierter Saal wechselte die Richtung: die Seitenmaueröffnete sich durch Türen zum Hof und die südöstliche Wandwurde zur Qibla-Wand mit angeschlossenem Mihrab. Der frühereHaupteingang wurde zugemauert und an der Stelle, wo sich derchristliche Altar befand, wurden drei Öffnungen durch die Wandgeschaffen und so wurde der Saal geräumiger.

Page 44: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Ein anderes Gebäude, bei dem es sich ursprünglich allerWahrscheinlichkeit nach um eine frühe christliche Kirchehandelte, war die Baalbek-Moschee im heutigen Libanon (Abb.41). Den drei Schiffen wurde ein viertes hinzugefügt, das alsRiwaq eher dem Hof zugehörig scheint, denn ein Teil desHarams zu sein. Der Haram besteht aus Arkaden- undSäulenreihen, die parallel zur Qibla-Wand verlaufen (Diez1917, S. 18-19; Strzygowski 1910, S. 324).

Auf dem Gelände der Omaijaden-Moschee in Damaskus gabes früher einen heidnischen Tempel, der im 4. Jahrhundertin einen antoninischen Jupiter-Tempel umgewandelt wurde(Abb. 42). 379 nach Christus errichteten Christen dort dieJohanniskirche, die 705 einen außen umlaufenden Portikuserhielt (Diez 1917, S. 20). Nach der Eroberung von Damaskus634 durch die Moslems teilten sich die moslemische und diechristliche Gemeinden die Anlage. Das Gebäude war eineinfacher rechteckiger Raum mit Ecktürmen und die ganzumlaufende Arkade formte einen Platz, ähnlich dergriechischen Agora. Zu Zeiten des Kalifen al-Walid wuchs diemoslemische Bevölkerung und der Raummangel in der altenKirche spitzte sich zu: Al-Walid kaufte den Christen deshalbdas Gebäude ab und ließ es niederreißen. So wurde esmöglich, das ganze Gelände bis zu den Arkaden für eine neueMoschee zu nutzen, in der eine größere Zahl Gläubige amGebet teilnehmen konnte. Die 714-715 errichtete Moscheevon Damaskus (Abb. 43) war das erste religiöse Gebäude desIslam in Syrien und als solches ein außerordentlichesarchitektonisches Monument. Dem Saal wurde ein Hof miteinem Minarett im Norden hinzugefügt (Diez 1917, S. 20). ImGegensatz zu den Kirchen aus derselben Zeit, die einfache,durch dicke Mauern umschlossene Innenräume waren, ist dieMoschee in Damaskus von großer Transparenz. EinigeAutoren vermuten, die Moschee von Damaskus wäre wegenihrer räumlichen Dreiteilung ursprünglich eine Kirchegewesen, die später in eine Moschee umgewandelt wurde(Chueca 1989, S. 268). Creswell (1958) belegt, dass dieseTheorie falsch ist. Aus seinen archäologischenUntersuchungen ergibt sich eindeutig, dass der Saal vonAnfang an als Haram einer Moschee angelegt war.

56

Abb. 41 Grundriß der großen Moscheevon Baalbek, nach Max v. Berchem.

Page 45: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 43 Große Moschee von Damaskus, 714-715. Grundriss nach Creswell.

Abb. 42 Kirche und Moschee teilen sich ein und dasselbe Gelände in Damaskus, 705.

Kirche

Moschee

57

Page 46: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Ihrer räumlichen Anordnung nach ist die Moschee vonDamaskus nach Ansicht Hoags (1986) eine Überlagerung zweiverschiedener Strukturen, und zwar der basilikalen und derdes Hofhauses. Trotzdem wird die typische Ausrichtung desbasilikalen Grundrisses durch die Öffnung der Seitenmauerverzerrt. Für Chueca (1989) ist klar, dass „die Idee einesHofes und eines in seiner Länge geöffneten Betsaals nur alstypisch islamisch betrachtet werden kann“ (S. 270).

Der Unterschied zwischen dem dreischiffigen Saal derMoschee in Damaskus und der einer Kirche besteht in der

58

Ebenmäßigkeit der Arkadenreihen des islamischen Gebäudes:Die Säulengänge sind an Breite und Höhe gleich imUnterschied zur Kirche, wo das Mittelschiff höher ist, um denBlick auf den Altar zu ermöglichen. Der Haram ist einundifferenzierter Raum, der nicht von den Außenmauernbestimmt ist. Die Kuppel in der Zentralachse des Saalesändert wenig an der Räumlichkeit des Gebäudes, währendder nachträglich gebaute Kreuzgang wahrscheinlichbyzantinischen Einflusses ist.

Die Riwaqs des Hofes sind von hohen, übereinander liegendenArkaden bestimmt, die einen offenen Eindruck machen. DieseHoffassaden sind alles andere als geschlossene Mauern,sondern eine von Arkaden durchlöcherte Struktur. Es gibtkeinen geschlossenen Innenraum, wie es in einer Kircheüblich war. Der Raum ist mit einer neuen Empfindsamkeitgestaltet, die keine klare Trennung zwischen Innen undAußen kennt und sucht. Der Kreuzgang ist das einzigeElement, das eine axiale Richtung betont, aber dieseRichtung wird zugleich von der Kürze des Transepts verneint.

Abb. 44 Innenhof der Omaijaden-Moschee in Damaskus, historische Aufnahme von Bonfils um 1890.

Page 47: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Stierlin (1996) beschrieb das Raumempfinden in der Moscheevon Damaskus so: „Beim Eintreten in den großen Saal erscheintes dem Besucher, als ob er (der Saal) um 90 Grad aus seinerLängsachse gedreht worden sei. Dieses räumliche Gefühl istwie eine Erinnerung an die Innenausrichtung einer Kirche“(Abb. 45). Stierlin meint, dass „die gesamte Struktur trügerischist, die Gewölbe der Arkaden werden mit den eigentlichenSchiffen verwechselt; so hat der Besucher den Eindruck, dasGebäude aus der falschen Richtung betreten zu haben“ (S. 46).

59

Abb. 45 Haram der Moschee in Damaskus.

Abb. 46 Omaijaden-Moschee in Damaskus, Luftphoto.

Der wichtigste Teil der Moschee von Damaskus ist der Hof(Abb. 44, Abb. 46). Zu ihm hin öffnen sich der 140 Meterlange Saal und die Arkaden der Riwaqs. Die Breite desganzen Komplexes ist einer Folge der Berücksichtigung desTemenos, das schon in früheren Zeiten als Eingang fungierte.

Page 48: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Der Hof ist mit einer Tiefe von 60 Metern etwas größer als derSaal, der 40 Meter misst. Diese Proportion, die eigentlich dieFolge eines Zufalls war, wurde in den künftigen Moscheen alsausschlaggebend betrachtet und respektiert. Das Modell dersyrischen Moschee wurde in allen Ländern des Islamwiederholt. In einigen Beispielen wie Aleppo liefen dieArkadenreihen parallel zum Hof, während die Säulengänge inder al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, zwischen 709 und 715gebaut, oder auch in der Moschee von Córdoba ebenfalls ausdem 8. Jahrhundert, quer zur Qibla-Wand lagen.

Die Moschee von Damaskus lieferte auch die Vorlage für denWiederaufbau des Hauses von Mohamed in Medina (Abb. 47).Derselbe al-Walid ordnete während einer seiner dreiPilgerreisen zur heiligen Stadt die Umgestaltung desGebäudes an. Der omaijadische Kalif ließ das alte Hausniederreißen und an der Stelle wurde zwischen 707 und 709die Moschee des Propheten errichtet. Mohameds Grab wurdeebenso wie das zweier Kalifen in den Saal der Moscheeverlegt, und zwar genau dorthin, wo sich die Wohnräume desfrüheren Hauses befunden hatten.

Der monumentale Bau, ähnlich syrischer Kirchen ausMarmorsäulen errichtet, ersetzte die primitivePalmenkonstruktion des früheren Hauses. Das neue Gebäudewar wesentlich größer als das ursprüngliche Haus und alleinder Hof war einige Meter breiter als der, den Mohamed alsSahn in seinem Haus benutzte. Die größte Neuerung war dieAusweitung des Säulensaales auf die restlichen drei Seitendes Hofes. Der Haram bestand aus fünf Säulenreihen undauch der gegenüberliegende Saal war gleich tief, während dieseitlichen Riwaqs aus drei oder vier Reihen bestanden. Sonahm der Hof eine zentrale Stellung im Ganzen ein undwurde dann an allen vier Seiten von Arkaden umgeben, ohnedass eine davon das Ganze beherrschte. Die Säulen warenwie in Damaskus durch Bögen miteinander verbunden.

Anstelle der früheren primitiven Moschee mit Palmstämmenhatte al-Walid in Medina eine „monumentale Säulenmoschee“(Diez 1917, S. 10) gebaut. Bianca (1991, S. 73-74) sah in derGrabmoschee ein Beispiel monumentaler Architektur: „WieZeitgenössische Stimmen sehr wohl feststellten, war mit demNeubau dieser Grabmoschee ein Schritt von der alten Art deseinfachen Versammlungsraumes (Masgid), wie er nochMohamed beim Bau seines Hauses vorgeschwebt habendürfte, in Richtung auf den Sakralbau getan, und derVorwurf, al-Walid habe «in der Art der Kirchen» gebaut, warunüberhörbar. Dennoch wurde die Moschee (mit Ausnahmeder drei heiligen Stätten) später nie ein geweihter Raum imSinne der alten christlichen Kirche, sondern blieb immer einVersammlungsraum im sozialen und im geistigen Sinne desWortes, der sich jeder gebauten Umgebung einfügen ließ“ (S.73-74).

60

Page 49: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 47 Moschee des Propheten in Medina, 705-712, nach Sauvaget.

Diez (1917, S. 10) berichtet: „Am Ende des Jahres 93 (711/12) der Hedschra war der Bau vollendet und als al-Walid (i.J. 95) wieder zur Wallfahrt nach Medina kam, ging er in derMoschee umher und betrachtete sie; er rief den ‘Omar zusich, welchen Aban ben ‘Othman begleitete, und als er sichgenug umgesehen hatte, wandte er sich zu Aban und sagte:Wie sticht doch unser Bau gegen den Eurigen ab! (sc. gegenden früheren Bau des Kalifen ‘Othman, des Vaters desAban). Aban erwiderte: Wir hatten im Stil der Moscheengebaut, ihr baut im Stil der Kirchen“. Diese Anekdote zeigt,wie in so früher Zeit der Unterschied zwischen einemchristlichen und einem islamischen Bau wahrgenommenwurde.

61

Page 50: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DIE AGORA UND DIE MOSCHEE

Einige Autoren wie Thiersch (1909) und van Berchen (1910)erklärten den Ursprung der Moschee aus einer Entwicklungdes städtebaulichen Raumes heraus, insbesondere dergriechischen Agora und ihrer römischen Version, des Forums(Diez 1917, S. 10-11). Chueca (1989, S. 288) leitete dieMoschee sogar von dem arkadenumsäumten Plätzen Kairosab. Der spanische Historiker sah die Entstehung derSäulenmoschee als eine Weiterentwicklung dieser Plätze an.Für ihn wurden die parallel zur Qibla-Mauer laufendenArkaden erweitert und so entstand ein Haram, der dieGläubigen vom Unbill der Witterung schützt.

Die Plätze, die Chueca im Maghreb besuchte, waren nichtislamischen Ursprungs und wurden in moderner Zeit voneuropäischen Kolonialherren gebaut, ähnlich den vonSpaniern errichteten Arkadenplätzen. Chueca erkannte indiesen Stadträumen, die die Idee eines Platzes und derMoschee vereinigen, ein ursprünglich gemeinsamesRaumgefühl. Die Arkadenreihen oder Portiken alsraumschaffendes Stadtelement sind griechischen Ursprungsund waren in den Ländern des Mittelmeerraums verbreitet.

Der Unterschied zwischen einer griechischen Agora undeinem von Arkaden umgebenen Platz sowie zwischen dem Hofeiner Moschee besteht in dem intimen Charakter der beidenletzteren und ihrer Beziehung zur Stadt. Die Plätze und dieHöfe der Moscheen sind von der gemeinsamen Idee geformt,einen Raum zu schaffen, der städtisch, das heißt öffentlichist, aber zugleich die Qualität eines Innenraumes besitzt.

62

Abb. 48 Luftaufnahme von Aleppo mit der Großen Moschee.

Page 51: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 49 Hof der Großen Moschee von Aleppo, die sich auf dem Areal derfrüheren griechischen Agora befindet. Die Arkaden des Hofes stammen ausdem 13. Jahrh..

Dieses Raumverständnis war Chueca (1947/1979, 1968/1991,1989) bereits von den spanischen Plätzen am anderen Ende desMittelmeeres vertraut. In dieser Arbeit soll es nicht darumgehen, welche Plätze zuerst gebaut wurden, sondern zuverstehen, wie das schon seit den Griechen bekannte Elementder Arkadenreihe in Verbindung mit einem ganz neuenRaumempfinden neue Stadträume hervorbrachte. Bianca (1991)sah das typisch Islamische „nicht auf bestimmtenarchitektonischen Elementen, sondern vor allem aufbestehenden Denk- und Verhaltensweisen beruhen, die sich ineiner rituellen, fast liturgischen Abwicklung des Alltagslebensniedergeschlagen haben“ (S. 58). Ebenso haben die Moslemsbestehende Architekturformen genutzt, um ganz neue Räume zuschaffen.

Es gibt wenigstens einen bekannten Fall, wo ein städtischerRaum in eine Moschee umgewandelt wurde: Die Agora vonAleppo (Abb. 48-50), die in den Hof einer Moschee umgestaltetwurde. Dem großen Platz wurde einen Säulensaal hinzugefügtund zusammen mit der Arkadenstraße, die zum Platz führte,wurde er in ein großes religiöses Zentrum verwandelt. Bianca(1991) sah in dieser Art der Land- und Stadtbesetzung dastypische Verhalten einer Nomadenkultur. Die Aneignung desstädtischen öffentlichen Terrains und die allmähliche Besetzungdes Raumes durch kleine, nebeneinander liegende Marktbuden,die mit der Zeit einen Suq oder eine Marktstraße formen, ist invielen islamischen Ländern üblich. Besonders in syrischenStädten, wo es große architektonische und städtebaulicheKomplexe gab, ersetzte diese Art der Raumaneignung den Bauvon Moscheen und Bazaren.

63

Page 52: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Das Öffentliche und Offene bekommt als Moschee-Hof einennicht minder öffentlichen aber dennoch auch schon privatenCharakter. Der Platz verwandelte sich in einen Hof und derHof der Moschee verlor nicht ganz den Charakter einesPlatzes.

Für den Moslem war die Stadt eine Summe labyrinthischerBazare und geordneter Höfe, die einem öffentlichen Zweckdienten. Ob Hof oder Platz, beide Räume wurden als ein Innenverstanden, eine immer wieder geschaffene Mitte, die dasZentrum einer Welt symbolisierte. Wie bei denNomadenstämmen, die den heiligen Stamm der Weltmitteimmer bei sich trugen, schufen die islamischen Eroberer mitder Besetzung jeder neuen Stadt ihre Mitte und ihren Platzauf der Welt aufs Neue.

Abb. 50 Große Moschee von Aleppo.

64

Page 53: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DIE FRÜHE MOSCHEE

Bis zu diesem Punkt der Arbeit wurde der Ursprung der Moscheeanhand des typischen “Dar” und dem Beispiel des Hauses vonMohamed beschrieben. Außerdem wurden die ersten religiösenGebäude des Islam und ihre Beziehung zu den Basilika-Kirchenund zu den öffentlichen Plätzen der antiken Stadt behandelt. ImFolgenden nun soll die Moschee selbst als Gebäude eigener Artmit genau definierter Funktion dargestellt werden.

Strzygowski (1910) unterscheidet zwischen zwei Grundtypen derfrühen Moschee: die syrisch-ägyptischen, der auch dienordafrikanischen und andalusischen Moschee entsprechen unddie mesopotamische Moschee, benannt nach dem persisch-türkischen Modell, das sich später dann auch in Ägyptenverbreiten sollte. Beim ersten Typ besteht die Struktur ausmonolithischen, aus einem Stein gehauenen Säulen, diemeistens aus früheren christlichen oder griechischen Tempelnherausgebrochen worden waren. In der sogenanntenmesopotamischen Moschee hingegen ruht die Struktur desHaram auf Pfeilern, die aus Ziegeln gemauert sind (Strzygowski1910, S. 323).

Das Gebäude der frühen Moschee -auch Lagermoscheegennannt (Kühnel 1949/1974, S. 17)- ist grundsätzlich auseinem großen Säulen- oder Pfeilersaal (dem Haram) und einemvon Loggien oder Arkaden (Riwaqs) umgebenen Innen-Hof (demSahn) zusammengesetzt. Die Zahl der Schiffe des Haram variiertje nach Größe der Gemeinde. Die Arkadenreihen des Betsaalskönnen parallel oder rechtwinklig zur Qibla-Wand verlaufen unddas Mittelschiff bzw. das Mihrab-Schiff sind oft etwas breiter alsdie anderen. Es gibt auch keine feste Regel für die Zahl derRiwaqs. Sie können nur aus einem, aber auch aus vier odermehreren Säulengängen bestehen. Bei einigen Beispielen ist esschwer, den eigentlichen Saal von den verbreiterten seitlichenRiwaqs zu unterscheiden, und nur die Lage des Mihrabs an derQibla-Wand verrät, wo sich der Haupt-Haram befindet.

Im 9. Jahrhundert breitet sich im Herrschaftsbereich derOmaijaden im ganzen Mittelmeerraum ein bestimmter Moschee-Typ aus. Ein frühes Beispiel ist der Teil der Moschee vonCórdoba aus dem Jahre 789. Das Gebäude wurde im Laufe derZeit drei mal vergrößert, dennoch änderte es seinenurspünglichen Charakter nicht. Die Moschee von Córdoba, ander die Raumidee der frühen Moschee am besten ablesbar ist,soll anhand zeitgenössischer Reiseberichte dargestellt werden.

Mitten in den Saal der Moschee wurde 1523 –einunddreißigJahre nach der Wiedereroberung Spaniens durch die Christen–eine Kathedrale gebaut, die eine Spannung schafft, die die zweiunterschiedlichen und gegensätzlichen Raumvorstellungen inein- und demselben Gebäude offenbart. Zwei Moscheen inSamarra im heutigen Irak und eine Reihe religiöser Gebäude imMaghreb verdeutlichen die Entwicklung der frühen islamischenArchitektur.

65

Page 54: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DIE VIELSEITIGKEIT DES RAUMES:DIE MOSCHEE VON CÓRDOBA

Die Mezquita in Córdoba (Abb. 51-55) ist ein klassisches Beispielder frühen Moschee (Kühnel 1924, S. 16). Sauvaget (1947) stelltdie Moschee von Córdoba in die Tradition der frühen syrischenMoscheen. Das omaijadische Emirat in Andalusien war amAnfang ein Satellit von Damaskus und überlebte später sogarden Niedergang der syrischen Omaijaden-Dynastie. Ewert(1997) sieht in der Mezquita ein von außen stammendesElement: Die Moschee von Córdoba entspricht wie die Al-Aqsa inJerusalem dem Typus der frühen Stützenmoschee. Wegen derklassisch islamischen Gliederung, die wenig mit dem basilikalenMoschee-Typus gemeinsam hat, ist es schwer zu glauben, dassdie Damaskus-Moschee dem Bau von Córdoba Pate gestandenhaben soll, wie viele Autoren behaupten. Chueca (1989)bestreitet das und argumentiert, dass die zur Qibla-Wandrechtwinklige Anordnung der Schiffe eine logischere Lösungwar, als die von Damaskus, wo die Arkaden-Schiffe parallel zurQibla verlaufen. Unter dem räumlich-strukturellenGesichtspunkt betont die Anordnung der Arkadenreihen dieRichtung des Gebets.

66

Während die ersten Gebäude aus einer einfachen Struktur vonpunktuellen Säulen oder Pfeilern bestanden, die oft T-förmigeGrundrisse bildeten, waren die späteren Moscheen von einemorthogonalen System gemauerter Pfeiler bestimmt, in das sichdie Höfe einfügten. Zum ersten Typus gehören die Moscheen inKairuan, Fes, Tunis und Fustat (Alt-Kairo).

Diese Art Moschee ist auch das charakteristische Gebäude derersten Periode der islamischen Architektur, die dieKunsthistoriker zwischen 650 und 1250 ansiedeln. In diesenMoscheen wirkt der Raum undifferenziert und der Hof erscheintwie ein fast nur zufällig vom Saal verschonter Rest. In denspäteren Beispielen wie die Große Moschee von Algerien (1096),Tlemcen in Algerien (1082) und Tinmal in Marokko (1035) ist derHof vom Saal unabhängig und wird ein in sich geschlossenerarchitektonischer Organismus.

Die ersten Fassaden islamischer Bauten sind Hof-Fassaden,dass heißt, Innen-Fassaden. Das Gebäude wird dann von innengesehen und der Hof ist der Protagonist der Architektur. Bei derchronologischen Beschreibung der frühen Moschee werden derundifferenzierte Innenraum des Haram und vor allem dieEntwicklung des Hofes untersucht. Die Gestaltung des Hofes als„Raumgefäß“ und die Entstehung einer Innenfassade, die ausder strengen Absonderung vom Außenraum hervorgeht, sindwesentliche Punkte, um das Raumempfinden in der islamischenArchitektur zu beschreiben und zu verstehen.

Page 55: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

67

Obwohl Córdoba wesentliche Unterschiede zur syrischenOmaijaden-Moschee aufweist, ist der andalusische Bauinsgesamt jedoch der syrischen Tradition verhaftet (Sauvaget1947, S. 103; Renz 1977, S. 159). Die auffallend von der Mekka-Richtung abweichende Orientierung der Córdoba-Moschee istauch mit ihrem syrischen Ursprung zu erklären. Die Qibla-Wandder Córdoba-Moschee befindet sich –wie bei ihren syrischenVorläuferinnen- im Süden und ist nicht wie in Spanien undNordafrika eigentlich erforderlich im Osten gelegen. Die«häretische Aberration vom klassisch-islamischen Kanon» (Liedl1990, S. 154) und die Missachtung der vorgeschriebenen Qibla-Richtung zeigt die kulturelle Abhängigkeit der Moslems von Cór-doba vom Kalifat von Damaskus. Trotzdem ist Córdoba keineorientalische Moschee im Sinne des Wortes (Sauvaget 1947, S.103).

Es wird vermutet, dass sich auf dem Gelände der Moscheeurspünglich ein westgotischer Tempel befand (Beban o.D., S. 60).Teil dieses religiösen Zentrums war auch eine christlicheKirche, die Kathedrale von San Vicente hieß. Wie bei densyrischen Kirchen zu Zeiten der Islamisierung teilten dieChristen den Raum ihrer Kathedrale mit den Moslems und dieHälfte der Kirche verwandelte sich für mehr als 70 Jahre ineine Moschee (Burckhardt 1979, S. 17). Als die Zahl derMoslems wuchs, kaufte der Emir den Christen Córdobas – auchMozaraber genannt – den Rest der Kirche für 100.000 Dinare ab(Beban, S. 60). Abd al-Rahman I. ließ das Gebäude 785niederreißen und an der Stelle des westgotischen Tempels einJahr später die Freitagsmoschee von Córdoba errichten. DieBauzeit betrug nur ein Jahr (786/87). In der Moschee wurdenSäulen aus früheren Gebäuden verwendet, die vor allem ausrömischen Bauten stammten, von denen es in der Gegend vielegab. Aber es fanden auch Säulen aus gotischen, byzantinischenund sogenannten „asturianischen“ Kirchen Verwendung.

Der vielsäulige Saal, der aus einem additiven Grundrissgestaltet ist, erlaubt eine große Flexibilität: Das Gebäude wurdeim Laufe der Zeit mehrmals erweitert und auch der Sahn

änderte seine Form und Größe. In der ersten Phase (Abb. 51-53)war das Mittelschiff des Haram etwas breiter als die anderenund stellt damit nach Worten Chuecas “eine kleine Konzessionan die Axialität der christlichen Tempel wie in Damaskus”(Chueca 1989, S. 295) dar. Dennoch bildete der Saal keinen T-förmigen Grundriss wie das in den maghrebinischen Moscheenüblich war. Ihre Baumeister passten sich lokalen Bautraditionenan und die Moschee verschloss sich trotz spätererErweiterungen den Neuerungen, die aus dem Maghreb oderPersien kamen. In diesem Sinne ist Córdoba eine Ausnahme,weil sie den Prinzipien der frühen Moschee auch später treublieb.

Page 56: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 51 Moschee von Córdoba,Grundriss der ersten Moscheeaus dem 8. Jahrhundert, nachGómez Moreno.

Abb. 52 Moschee von Córdoba,erste Erweiterung unter Abd al-Rahman II., 833-848, nachGómez Moreno.

Abb. 53 Moschee von Córdoba,zweite Erweiterung unter al-

Hakam II., 951-962, nach Chueca.

68

Der Grundriss der Moschee ist besonders interessant, weil erdeutlich erkennen lässt, wie das Gebäude allmählich wuchs undseine heutige Ausdehnung erreichte. Einige Autoren vermuten,dass die vielen Erweiterungen der Moschee das Wachstum derBevölkerung Córdobas wiederspiegeln. Die Stadt hatte im 10.Jahrhundert zwischen 100 000 (Torres Balbás 1985, S. 8) undeine Million Einwohner (Jürgens 1926/1992, S. 39; Gutkind1967, S. 485). Die Moschee wuchs zu „monumentaler Größe“(Chueca 1989, S. 295) und im Inneren entstand ein räumlichesMuster.

Der Saal verwandelte sich in einen wahren Säulenwald, in einLabyrinth ohne Zwischenmauern, wo der Raum unendlich undundefiniert wirkt. Die hohen doppelten Arkadenreihen derverschiedenen Teile der Moschee wirken wie visuelle Schleier,die durch Farb- und Formenspiele den Blick in unterschiedlicheRichtungen lenken. Der Raum der Moschee ist nicht als Ganzeserfassbar: Er ist bestimmt „durch die große Anzahl überlangerArkaden, die durch die doppelten Bogenstellungen optisch mehroder weniger voneinander getrennt sind. Man erlebt immer nurein Schiff auf einmal als homogenen Raum, dessen Anfang und

Page 57: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 54 Moschee von Córdoba. Grundriss der letzten

Erweiterung von Almanzor, nach Gómez Moreno.

Abb. 55 Grundriss der Moschee von Córdoba mit derKathedrale aus dem 15. und 18. Jahrhundert.

69

Ende sich jedoch in der Ferne verwischen und dessenseitliche Begrenzungen durchlässig sind“ (Barrucand 1992,S. 100). Im Gegensatz zu den omaijadischen Basiliken desVorderen Orients mit ihrer geschlossenen Größe und Wuchtist der Raumeindruck im vielschiffigen Säulensaal vonCórdoba “der spätantik-frühchristlichen Basilika durch dieVervielfältigung und Verlängerung der Seiteschiffe völligaufgehoben” (S. 100).

Von den ursprünglich 1400 Säulen sind etwa 900übriggeblieben, “genug, um den Eindruck horizontloserFerne, eines mit Säulen bestandenen Alls” (S. 100) zuerwecken. Auch Kühnel (1949/1974) beschrieb die“horizontale Ausdehnung” der Moschee: “Wie man sich inden ersten primitiven Anlagen in einen Palmenhein mitgleichmäßigen Intervallen zwischen den Stämmen versetztglauben konnte, so bekommt bei den großen Lagermoscheendie wiederholende Reihung der Stützen die Bedeutung einesSäulenwaldes, der, wenn er unübersehbar sich dehnte, dieVorstellung unendlicher Weite erwecken mußte” (S. 18).

Page 58: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Die Moschee ist ein Raum zum Wandern. Erst nachdem manden Haram erlebt hat, erschließt sich ein Eindruck des Ganzen.Das Ausweiten des Raums durch die Verwischung derarchitektonischen Grenzen wird durch die Tiefe des Harams

erreicht. Obwohl die Moschee eine durch die Anordnung derSchiffe richtungsbezogene Struktur ist, wird der Blick durch dieWiederholung und Unterteilung der Bauelemente in dieHorizontale und in der Höhe zusätzlich verwirrt. Im Säulensaalder Moschee entsteht eine Multiplizierung der Perspektiven.Gutkind (1967) verglich die visuelle Vielfalt des Haram mit denzahlreichen Perspektiven, die die willkürlichen Gassen derislamischen Stadt Córdoba eröffnen: “Die Hunderte von Säulen,das plötzliche Erscheinen oder Verschwinden derStadtansichten, die sich ständig verändernde Umgebung und dietypische Verwandlung der schmalen Gassen entstammendemselben Ursprung; sie erregen die Neugier des Besuchers,der in Versuchung gerät, umher zu wandern und dasVerborgene zu suchen; die Moschee verleitet ebenso zumWandern auf den Straßen mysteriöser Tiefe” (S. 490).

Trotz der Vielseitigkeit der einzelnen Elemente bleibt dieEinheit des Raumes gewahrt und kein Teil der Moschee wirdeinem anderen bevorzugt. Die Verschiedenartigkeit der Formen(Abb. 56, Abb. 57) bei zugleich fast militärischer Strenge derRaumordnung verdeutlicht die Flexibilität des Grundschemas:Das räumlich orthogonale Stützensystem des Haram und diezweigliedrige Anordnung aus Hof und Betsaal sind die besteBeschreibung der frühen Moschee und das Vorbild für diemeisten späteren Moscheen. Bianca bezeichnete die Moscheevon Córdoba als “den ersten völlig muslimischenMonumentalbau” (Bianca 1991, S. 79).

Abb. 56 Doppelte Arkaden aus dem alten

Teil der Córdoba-Moschee.

70

Abb. 57 System sich kreuzender Bögen amBetsaal der Córdoba-Moschee.

Page 59: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DIE UNBESTIMMTHEIT DES RAUMES =ZWEI MOSCHEEN IM IRAK

Die Große Moschee Al-Mutawakkils in Samarra , zwischen 847und 861 (Hoag 1986, S. 27; Ettinghausen/Grabar 1987, S. 86) ander Stelle einer älteren Moschee gebaut, war zu ihrer Zeit diegrößte Moschee der islamischen Welt und gewährte 150 000Betenden Raum (Abb. 58, Abb. 59). Die massige, 2,65 Meterstarke Außenmauer umschloss ein 240 mal 156 Meter großesRechteck. Die Umfassungsmauer, die erhalten geblieben ist,war mit Türmen versehen, die alle 15 Meter eine Strebemauerbildeten und der Anlage einen festungsähnlichen Charakterverliehen. Der Haram, dessen Struktur fast völlig verschwundenist, hatte 25 Schiffe und eine Tiefe von 9 Jochen. Die seitlichentiefen Riwaqs hatten vier Schiffe und der restliche Riwaq

gegenüber des Haram drei. Dieser war an der Mittelachse miteinem spiralförmigen 5-stöckigen Minarett-Turm auf einemquadratischen Sockel, dem berühmten Malwiyya, verbunden. DerTurm, der sich im Norden der Anlage befindet und babylonischenund assyrischen Einfluss aufweist, scheint die einzigeAndeutung einer Richtung darzustellen.

Keine der inneren Stützen steht mehr. Es handelte sich umzehn Meter hohe Bündelpfeiler aus achteckigen Ziegelkernen,die Marmor imitierten, und ein flaches Holzdach trugen. DasDach ruhte ohne Arkaden unmittelbar auf den Pfeilern, deshalbhatte der Haram keine einheitliche Ausrichtung. An derAußenmauer befanden sich dreizehn Portale, die sich auf eineinnere Ziyada (Einfriedung) öffneten. Die Ziyada bezog das ganzeGebäude ein, mit Ausnahme der Qibla-Wand, die wiederum voneiner ausgedehnten äußeren Ziyada umschlossen wurde, die aneinen Bazar grenzte.

71

Abb. 58 Große Moschee Al-Mutawakkils in Samarra, 847-861.

Page 60: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

72

Der Herrscher al-Mutawakkil ließ eine zweite Stadt nördlich vonSamarra bauen, mit einer etwas kleineren Version der erstenMoschee. Die sogenannte Abu Dulaf-Moschee hatte einenweniger tiefen Haram, bestehend aus einer in zwei Richtungensich erstreckenden Struktur (Abb. 60 - 61). An der Südseiteliefen zwei Schiffe parallel zur Qibla-Wand, während dierestlichen 17 Arkadenschiffe rechtwinklig zu den Qibla-Schiffenstanden. Die seitlichen Riwaqs waren die Verlängerung desHarams in zwei in Längsrichtung der Moschee verlaufendenSchiffen. Der Eingangs-Riwaq aus Arkaden, die drei Joche tiefwaren, stand mit einer Malwiyya in Verbindung. Derspiralförmige Turm im Norden markierte die axiale Richtung derAnlage. Die Umfassungsmauer war durch halbrunde Türmebefestigt.

Beide Moscheen waren nur von kurzer Lebensdauer. Sie weiseneine sehr ähnliche Grundstruktur auf, die aus einem von einerdicken Mauer umfriedeten Areal bestand, auf dem sich einSäulensaal und ein großer Hof befanden. Zahlreiche Toreermöglichten einen leichten und schnellen Zugang zu denMoscheen. Beide Gebäude verkörpern durch ihreMonumentalität und außerordentliche Schlichtheit die Idee desarchitektonischen Raumes im frühen Islam.

In den ersten irakischen Moscheen gab es keine großenarchitektonischen und räumlichen Unterschiede zwischen Hofund Haram. Grabar (1990) glaubt, dass es nicht präzise wäre, beider Beschreibung früher Moscheen bereits von einem vonArkaden umgebenen Hof zu sprechen.

Abb. 59 Grundriss der GroßenMoschee Al-Mutawakkils inSamarra, 847-861.

Page 61: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 60 Grundriss der Abu Dulaf-Moschee in Samarra, 859.

Abb. 61 Abu Dulaf-Moschee, Arkaden desHarams.

73

Die islamischen Baumeister “erfanden keine aus zwei Teilen(Hof und Saal) bestehende Komposition, sondern sie bauteneinen einzigen Raum, der teilweise überdacht war” (S 20).

Wie im Haus des Propheten oder in der Kufa-Moschee wurdendie zum Himmel hin offenen Räume der Moscheen noch nichtals Sahn und die Portiken noch nicht als Riwaqs verstanden. Dieüberdachten Teile der Moschee wurden in alten, überliefertenDokumenten Sulla genannt, womit ein schattiger Platz innerhalbeiner Mauer beschrieben wurde. Die einzige Abweichung stelltdie Moschee von Damaskus dar, weil dieses frühe Beispiel vomchristlichen Kirchenbau beeinflusst war.

In den ersten frühen Gebäuden des Islam ist der Raum flexibelund wird nicht von der Bauweise bestimmt. Die einzige Grenzeist die Umfassungsmauer, die ein wandelbares Element ist, dasdie Architektur nicht festlegt. Die Mauer kann verlegt und dieMoschee damit verändert und erweitert werden und doch ihrenursprünglichen Raum-Charakter beibehalten.

In Laufe der Zeit änderten sich die Moscheen je nach Regionund die Grundrisse wurden komplexer. Die räumlicheEinordnung und der einheitliche Raum des Haram blieb jedochmeist unverändert. Die wichtigste Veränderung trat ab dem 12.Jahrhundert mit der Gestaltung der inneren Grenze, dass heißtder Hoffassade ein. Die Gestaltung des Hofes, derenEntwicklung viel früher einsetzte als die der monumentalenAußen-Fassaden der Moscheen, wirft ein Schlaglicht auf dieBedeutung des Innenraumes in der Architektur des Islam.

Page 62: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Die Amr-Moschee in Kairo (Abb. 62-64), die alte Fustat, wurdeschon kurz nach der arabischen Eroberung Ägyptens 641-642errichtet. Dieses Gebäude, eine der ältesten und geachtetstender islamischen Welt, wurde bald zum Zentrum der Stadt, aneinem Ort der Begegnung und des Marktes. DieFreitagsmoschee wurde mehrmals in den Jahren 698, 711, 750,791 und 827 umgebaut, um einer immer größeren Zahl vonGläubigen Platz bieten zu können. Die Moschee misst nach derletzten Erweiterung der Abbasiden-Zeit von 827 heute 105 mal117 Meter (Behrens-Abouseif 1989, S. 49-50; Chueca 1989, S.273; Hoag 1986, S. 29; Michell 1991, S. 223). Der Betsaal aus 6Schiffen und die drei einschiffigen Riwaqs umfassen einemquadratischen Sahn. Die Schiffe des Harams (Abb. 64) liefenursprünglich parallel zur Qibla-Mauer wie im Haus desPropheten. Die Arkaden ruhen auf Säulen, die aus älterenGebäuden stammen und sind in beide Richtungen mit Hilfekräftiger Holzdachbindern verankert. Der Sahn (Abb. 62) bestehtaus Halbkreisbögen über dünnen Säulen und ist einer dereinfachsten und zugleich schönsten Höfe der islamischenArchitektur.

Abb. 63 Grundriss der Amr´-

Moschee, Fustat, Kairo, 641-642.

Abb. 62 Hof der Amr´-Moschee in Fustat, Kairo.

Abb. 64 Haram der Amr´-Moschee.

74

VOM UNBESTIMMTEN RAUM ZUR GESTALTUNGDES HOFES: MAGHREBINISCHE MOSCHEEN

Page 63: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 66 Grundriss der Sidi Ocba-Moschee, Kairuan, Tunis, 836.

75

Die Sidi Ocba-Moschee in Kairuan in Tunis wurde 836 errichtet.Das Gebäude bildet ein leicht verzerrtes 120 Meter langes und72 Meter breites Rechteck (Abb. 66). Der Haram ist sehr tief: erbesteht aus 16 Schiffen von je 10 Jochen zu beiden Seiten eineswesentlich breiteren Mihrab-Schiffes. Dieses Mittelschiff wird ander Mittelachse des Hofes von einer Kuppel gekrönt und führt zueiner weiteren Kuppel über dem Mihrab. Das hierarchisierteMittelschiff bildet mit dem breiten Qibla-Schiff einen T-Plan.Dieser Grundriss, der sich wahrscheinlich schon in derMoschee von Medina fand und mit Sicherheit jedoch in der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem vorhanden war, ist typisch für diespäteren nordafrikanischen Moscheen (Golvin 1971, S. 62). DieSäulen des Harams stammen aus römischen Bauten, von denenes in der Gegend noch viele gab. Über die Säulen erheben sichmeist rund oder leicht hufeisenförmige Bögen aus Ziegeln oderStein (Abb. 67). Die Bögen, die die Segmentkuppel tragen, sindausnahmsweise leicht zugespitzt. Die elegante Struktur wird –wie in Amr´– von kräftigen Holzdachbindern verankert.

Abb. 65 Hof und Minarett der Sidi Ocba-Moschee in Kairuan, Tunis.

Abb. 67 Haram der Sidi Ocba-Moschee.

Page 64: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Der Hof besteht in seinen drei restlichen Seiten aus zweiSchiffen, die an der dem Haram gegenüber liegenden Seite voneinem rechteckigen Turm unterbrochen werden (Abb. 65).Dieser hohe Turm, der aus drei sich in der Vertikalenverjüngenden Teilen besteht, betont die Mittelachse der GroßenMoschee. Die Außenmauer wird von Strebemauern verstärkt,zwischen denen sich die Eingänge befinden. Die Nordwestmauermit den Turm hat keinen Eingang, obwohl sich vor dem hohenTurm ein breiter Platz erstreckt (Abb. 68).

Die T-förmige Anordnung wurde im 10. und 11. Jahrhundert invielen Moscheen Kairos verwendet. Den Ursprung derSäulenmoschee mit T-Plan sehen viele Autoren (Kuban 1985;Hoag 1986; Ettinghausen/Grabar 1987) in den zeremoniellenAchsen der islamischen Paläste, die oft an basilikale Grundrisseerinnern. Grabar (1990) schlägt aber eine andere Erklärung vor,die Aspekte der Gestaltung und der religiösen Funktionberücksichtigt. Der Saal mit seinen zahlreichen Säulen ist einRaum für das gemeinsame Gebet, besitzt aber keineOrientierung und somit keinen architektonischen Schwerpunkt.Die Ausrichtung ist für die Moschee von grundsätzlicherBedeutung, da eine der Pflichten des Koran das Gebet genMekka vorschreibt.

Die frühen Gebäude des Islam “hatten den Charakter einesVersammlungssaales für politische und soziale Anlässe – unddafür war der vielsäulige Saal sehr geeignet – und dieOrientierung war nur durch die Lage oder die Größe derüberdachten Flächen“ (S. 136) vorgegeben. Vor allem in dengroßen Moscheen ging die Orientierung im Säulenwald desHaram verloren. Die spätere islamische Architektur versuchtedie Orientierung durch verschiedene Elemente zu betonen, ohnedie ursprüngliche Grundidee eines unbestimmten Raumesaufzugeben. Grabar selbst schlägt eine weitere Erklärung vor.Die Idee, einen vielsäuligen Raum als Betsaal zu bauen, fandnicht immer eine Übersetzung in die lokalen Bautraditionen unddie Baumeister konnten “nicht mehr die einfachen Stützen alseinzigen Grundgedanken der Raumgliederung betrachten“ (S.136-137). Für die neuen Bauten suchte man kompliziertereLösungen, die den Erfordernissen der Moscheen angepasstwurden.

76

Abb. 68 Axonometrie der Sidi Ocba-Moschee.

Page 65: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Die Moschee el-Qarawin in Fes wurde 847 als Stiftung derTochter eines reichen arabischen Einwanderers aus Kairuangegründet und erst 919 oder 933 zu Zeiten der Fatimiden alsFreitagsmoschee genutzt. Im Grundriss der späterenErweiterung von Abd al-Rahman III. aus Córdoba (Hoag 1986, S.49; López Guzmán 1995, S. 107) verbirgt sich noch die Gestaltdes frühen Gebäudes, das vom Sahn aus gerechnet die viertenbis siebten parallel zur Qibla gelegenen Schiffe umfasste. DieSchiffe waren zwölf Joch breit, wobei die Joche links des Mihrab-Schiffes der Symmetrie wegen etwas schmäler waren.

Ohne die Qibla-Wand zu verrücken, wurden dem Haram dreiweitere Schiffe in den Hof hinein hinzugefügt. Die früherenSchiffe wurden zu beiden Seiten um 5 Joche erweitert. Derfrühere Hof wurde von den neuen Arkaden eingenommen unddurch einen neueren etwas schmäleren und langgezogenenSahn ersetzt, an dessen Westseite ein Minarett errichtet wurde.Diese Hofform und die parallel zur Qibla verlaufenden Schiffegelten als typisch nordafrikanisch.

77

Abb. 69 Stadtplan von Fes mit der Moschee el-Qarawin, 847-919 oder 933.

Page 66: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Zwischen 1134 und 1143 fand die letzte Vergrößerung derMoschee statt (Hoag 1986, S. 49-50). Sultan Ali ibn Yusuf ließ ander gesamten Breite des älteren Gebäudes südlich der Qibla-Wand drei neue Schiffe hinzufügen. An den schmalen Seitendes Hofes wurden tiefe Riwaqs errichtet, die wiederumrechtwinklig zur Haram-Richtung verlaufen. Während die Formder ursprünglichen Bögen aus dem 9. Jahrhundert nichtbekannt ist, wurden für die späteren Pfeiler und Bögen Ziegelverwendet. In der el-Qarawin-Moschee gibt es auch eineMittelachse, die im Grundriss von dickeren Pfeilern und imDach durch ein etwas höheres Schiff betont ist. Diese mittlereArkade, die sich über den Rest des Gebäudes erhebt, ist daseinzige Zeichen einer bestimmten Richtung in der ganzenAnlage. El-Qarawin ist auch ein gutes Beispiel für dieMöglichkeiten der Erweiterung der Moschee und der Flexibilitätihrer ursprünglichen Struktur (López Guzmán, S. 107). DieBauten wurden zwischen 1134 und 1143 ausgeführt, zweiJahrhunderte nach der Errichtung der frühen Moschee. Trotzdes großen Zeitunterschiedes wurde die ursprünglicheräumliche und architektonische Einheit bewahrt (Abb. 71). Wereinen Stadtplan (Abb. 69) oder eine Luftaufnahme (Abb. 70) vonFes betrachtet, erkennt die völlige Einbettung der Moschee indas Gefüge der Stadt. Der Bazar und die Privathäuser schließenden unregelmäßigen Umriss der Moschee ein, dessen innererRaum im Vergleich zur Umgebung luftig und geordnet wirkt. Zuder Anlage des el-Qarawin gehören einige weitere religiöseGebäude, wie etwa eine Bibliothek, das Kadi-Haus, einMausoleum und die verschiedenen Medresen.

78

Abb. 70 Luftaufnahme der el-Qarawin-Moschee, Fes, 847-919/933.

Page 67: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

79

Abb. 72 Hof der el-Qarawin-Moschee.

Die vielen kleinen Ladenlokale der Bazarstrasse schmiegen sichan die religiöse Anlage und verhindern jede Entwicklung einerFassade. Der einzige formalisierte und gestaltete Raum imGewirr der Stadt ist der Hof (Abb. 72). Andere maghrebinischeMoscheen aus derselben Zeit und auch spätere Bautenbeachten denselben T-Plan mit langgezogenem Hof und Axial-Schiff. Auch die Moscheen in Tlemcen, Nedroma und Algier sindeine Variation derselben ursprünglichen Idee. Die Höfe sindeher klein verglichen mit den syrischen, irakischen oderpersischen Beispielen und erinnern an die Höfe privater Häuseroder der Medresen.

Abb. 71 Haram der el-Qarawin-Moschee in Fes.

Page 68: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 73 Grundriss der Ibn Tulun-Moschee.

80

876 begann der Bau der Ibn Tulun-Moschee (Abb. 73 - 77) in al-Qata´i´, einer neugegründeten Stadt nördlich von Fustat(Behrens-Abouseif 1989, S. 5; Chueca 1989, S. 276; Hoag 1986,S. 29). Aus dieser Stadt-Anlage ist heute nur noch die Moscheeerhalten, die als Ersatz für eine ältere, zu kleine Moscheeerrichtet wurde. Ibn Tulun ist die “geordnete” Version Amrs. DerSaal und der Hof haben die gleichen Proportionen, aber dasneue Gebäude ist regelmäßiger und der Hof bildet ein Quadratvon 92 Metern Seitenlänge. Die Schiffe liegen parallel zur Qibla-Wand und die zweischiffigen Riwaqs folgen der Richtung desHofes. Wie in Samarra ist das Gebäude mit Ausnahme der Qibla-Wand von einer äußeren Einfriedung, die Ziyada, umschlossen,die wie abgestufte Terrassen die Fläche der Moscheevergrößerten. Obwohl die eigentliche Moschee eine Fläche von122 mal 140 Metern umschließt, wirkt der Komplex durch dieHinzufügung der Ziyadas wie ein Quadrat von 162 MeternSeitenlänge.

In der Ibn Tulun-Moschee ruhen die Arkaden zum ersten mal imwestlichen Islam nicht auf Säulen, sondern auf Pfeilern (Abb.74, Abb. 75). Das ist eine Neuheit, die weitreichende Folgen fürdie Entwicklung der Moschee im Maghreb haben sollte. DieLegende besagt, dass der Baumeister der Ibn Tulun Moschee,ein christlicher Sklave, mit dieser neuen, konstruktiven Lösungseine Freiheit zurückgewann (Chueca 1989, S. 277). An Säulenbestand jedoch Mangel in der Region und der Sklave ersanneine Struktur aus hartgebrannten roten Ziegeln, die esermöglichte, die Pfeiler und Arkaden aus ein und demselbenMaterial zu errichten und damit zu einem einigenarchitektonischen Element zu verschmelzen. Es gibt auch eineandere Erklärung, die wahrscheinlicher erscheint.

Page 69: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Ibn Tulun, geboren 835, war der Sohn eines türkischen Sklaven,den der Kalif al-Ma´Mun als Tribut aus Buchara erhalten hatte.Ibn Tulun, Statthalter Ägyptens, bekam seine militärischeErziehung in Samarra, wo er vermutlich Zeuge des Baus derabbasidischen Großen Moscheen wurde (Hoag 1986, S. 29).

81

Abb. 74 und 75 Haram der Ibn Tulun-Moschee.

Abb. 76 Hof der Ibn Tulun-Moschee.

Page 70: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

82

Abb. 77 Luftaufnahme der Ibn Tulun-Moschee.

Der Betsaal ist nur fünf Schiffe tief und die Arkaden sind sehrhoch, was eine ideale Beleuchtung des Harams mit Tageslichtermöglicht. Die kräftigen Pfeiler, von leicht gespitzen Bögenentlastet, stützen das flache Holzdach, ohne Zwischenanker zubenötigen. Chueca (1989) lobt die Struktur der Ibn Tulun-Moschee, “die nicht einfacher und effektiver sein kann” (S. 276).Er schlägt das ägyptische Gebäude als Modell für die typischeMoschee vor. Die Säulen, früher stützende Elemente,verwandeln sich hier an den Ecken eines jedes Pfeilers invorgesetzte Ziegelsäulen, die echten Säulen nachahmen.Über den Halbsäulen ruhen ornamentierte Archivolten, diezusammen mit den Säulen einen logischen Diskurs bilden, deran die früheren Kombinationen aus Säulen und Arkadenerinnert. Auch Hoag (1986) beschrieb den Innenraum der Ibn-Tulun-Moschee als besonders gelungen: “Man wird schwerlichein Bauwerk finden, in dessen Innerem der gleiche feierlicheFriede herrschte wie in diesem Raum, in dem einemajestätische Prozession massiger Pfeiler und breiter Bögen dieBewegung in geräumige Schiffe leitet und alle Geräuschedämpft” (S. 29 - 30).

Die 912 gegründete Mahdiya war die erste Moschee derFatimiden in Tunis. Das Gebäude hatte Anfangs eine Fläche von60 mal 90 Metern und einen fast quadratischen Hof miteinfachen Arkaden-Riwaqs. Das Neue der Moschee stellt dieRaumverteilung des Saales dar: Ein T-Plan mit rechtwinkligenSchiffen, die vom Hof durch einen zur Qibla-Wand parallelverlaufenden Riwaq versehen sind, der nicht mehr zum Haram,sondern zur Struktur des Hofes gehört (Abb. 78). Der innereRaum der Moschee ist nicht mehr nur ein schattiger Ort nachder Art einer primitiven Sulla, sondern ein durch eineRaumhierarchie gestalteter Saal.

Page 71: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 78 Mahdiya-Moschee, Tunis, 912.

83

Das Gebäude kann zwar verlängert und verändert werden, seinearchitektonische Gliederung aber würde dadurch nicht zerstört.Der T-Plan ist nach Grabars (1986) Ansicht das “Rückgrat” dernordafrikanischen Moscheen. Vom Qibla-Schiff her erstreckensich die neun Schiffe mit je drei Jochen wie ein Kamm. DasMittelschiff ist etwas breiter als die restlichen Arkaden, die aufDoppelsäulen ruhen, während sich die mittlere Arkade auf jevier Säulen stützen. Vor dem Mihrab erhebt sich eine Kuppel, diedie T-Form betont.

Der Saal ist vom angrenzenden Hof-Riwaq durch gemauertePfeiler getrennt, die die Richtung des Hofes sowie der Qibla-Mauer begleiten und eine Schließung des Innenraumesbewirken. Die Wahl zwei unterschiedlicher Strukturen für denSaal und für den Hof betont die Trennung und Hierarchie derRäume innerhalb des Gebäudes. Der Sahn weist einenquadratischen Grundriss auf. An allen vier Seiten ist er voneinschiffigen Riwaqs umgeben. Im Gegensatz zu den früherenMoscheen, wo der Hof ein leerer, vom Saal freigelassener Raumwar, und die umliegenden Arkaden eine Verlängerung desHarams darstellten, ist der Hof der Mahdiya-Moschee eingestalteter Raum, der unabhängig vom Saal gedacht und vomSaal aus betrachtet werden soll.

In der Mahdiya sind die Ecken des Hofes geschlossen. Dortbefinden sich Räume, in die man durch schmale Öffnungengelangt. Dies sind die einzigen wirklich geschlossenen Räumeder Moschee, deren Hauptmerkmal ein Raum ohnearchitektonische Barrieren ist. Der Saal in der Mahdiya-Moschee wird durch den Wechsel der Struktur wie ein Innenwahrgenommen, obwohl der Haram faktisch offen ist. Obwohl dieMahdiya auf den ersten Blick ihrer strukturellen Klarheit undihrer relativ kleinen Abmessungen wegen im Vergleich zu derspektakulären und eindrucksvollen Ibn Tulun-Moschee wie eineinfaches Gebäude erscheint, kündigt der tunesische Bau eineneue Generation von Moscheen an.

Page 72: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

84

Während in der Sidi Ocba-Moschee in Kairuan oder in el-Qarawin in Fes die Riwaqs die Verlängerung des Saalesdarstellen, und die tiefen, zweischiffigen Riwaqs der Ibn Tulun-Moschee der erste Schritt zu einer Trennung zwischen Hof undSaal ist, lassen sich die Hof-Arkaden der Mahdiya als ersterVersuch verstehen, dem Hof eine architektonische undräumliche Einheit zu geben. Dies ist die logische Folge derStruktur aus gemauerten Pfeilern, die längliche Schiffe entlangder Außenmauern oder einen T-Plan bilden.

Die al-Azhar-Moschee in Kairo (Abb. 79) aus dem Jahre 970kehrt zu der alten Tradition der Säulenmoscheen Kairuans undAmrs in Fustat zurück (Beherns-Abouseif 1996, S. 59). Diefatimidische Moschee mit T-Plan ist etwas kleiner als ihreVorgänger und erinnert wegen ihres asketischen Charaktersund der leichten Struktur an die Moschee in Kairuan. In ihrerGestalt nähert sie sich eher Ibn Tulun an, vor allem wegen derfünf parallel zur Qibla-Wand verlaufenden Schiffe, die sich in dieselbe Richtung um den Hof verlängern. Der größte Unterschiedzur Ibn Tulun-Moschee ist die stärkere Hervorhebung derMittelachse durch ein wesentlich klareres Mittelschiff und dieKuppeln vor dem Mihrab sowie an den Ecken des Qibla-Schiffes.Die Kuppeln fügen sich in die Säulenweiten ein und sind ebensogroß.

Die Vermeidung einer Hierarchisierung der Vertikale ist nochtypisch für die frühe Moschee. Die Grundstruktur auspunktuellen Stützen breitet sich im gesamten Raum derMoschee wie das geometrische Ornament eines Teppichs aus,ohne das Schwerpunkte hervorgehoben würden. In der al-Azhar-Moschee fehlt ein Riwaq an der nördlichen Seite des Hofes, derdort von einer einfachen Mauer begrenzt wird. So betritt man dieMoschee von außen ohne Zwischenräume. Wie schon erwähnt,stellen die seitlichen tiefen Riwaqs eine Verlängerung desHarams dar. Die zum Hof hin rechtwinkligen Schiffe von jedreieinhalb Jochen umgeben einen Hof, der wie ein Restraumerscheint. Im Creswells Grundriss der ursprünglichen Moscheekann man die doppelten und dreifachen Säulen erkennen, diean den am stärksten belasteten Punkten des Gebäudesstanden.

Abb. 79 Al-Azhar-Moschee, Kairo, 970.

Page 73: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 80 Grundriss der al-Hakim-Moschee in Kairo.

Abb. 81 Isometrie der al-Hakim-Moschee in Kairo, nach Creswell.

Die al-Hakim-Moschee in Kairo (Abb. 80, Abb. 81) wurde 990 vonal-Aziz (al Hakims Vater) gegründet. Es handelt es sich um eineT-Plan-Moschee. Der Transept erhebt sich über das ganzeGebäude und drei Kuppeln krönen die wichtigsten Punkte desMihrab-Schiffes. Diese Anordnung wurde zum Standard dermaghrebinischen Moscheen, was Grabar als “den klassischenHöhepunkt der frühen Moschee” bezeichnete (Grabar 1986, S.137). Das “Rückgrat” des Gebäudes ist mehr eine formelleLösung als eine rein praktische, da es nicht die eigentlicheLiturgie und die innere Räumlichkeit des Gebäudes beeinflusst.Das mittlere Schiff in al Hakim lässt sich nicht mit demperspektivischen Raum einer Basilika vergleichen. Die T-Gliederung betont die horizontale Ausdehnung des Gebäudes:die Mittelachse endet nicht an einem Punkt, sondern in einer indie Breite gezogenen Qibla-Wand.

Der Hof in al Hakim weist keine großen Veränderungen inBezug auf die anderen maghrebinischen Moscheen auf. DieRiwaqs sind Ergebnis eines Umbaus im 11. Jahrhundert und wiein der Ibn Tulun-Moschee begleiten sie den offenen Raum desHofes in dessen gesamter Länge. Die eigentümliche Gestaltungder Eckpfeiler erinnert an die späteren Paläste der italienischenRenaissance. Wie im Palazzo Medici in Florenz treffen sich dieEck-Arkaden in einem einzigen Punkt, das heißt ohne das nötigeStückchen Mauer, das den Eindruck einer „schwebenden“Struktur verhindern würde.

Eine Reihe maghrebinischer Moscheen aus dem 11. und 12.Jahrhundert verdeutlichen die Entwicklung des Hofes bis zuseiner Verwandlung in ein architektonisch eigenständigesElement. Die große Moschee von Algier, aus dem Jahre 1096 istein Rechteck von etwa 40 mal 50 Metern (Abb. 82). Der Haram

hat 11 Schiffe, die parallel zur Qibla-Wand liegen.

85

Page 74: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

86

Abb. 82 Grundriss derGroßen Moschee von Algier.

Abb. 83 Haram der Großen Moschee von Algier.

Abb. 84 Abwechselnde Arkadenam Hof der Algier-Moschee

Er ist drei Schiffe tief und geht in die je drei Joche breitenRiwaqs über. Der Hof misst 12 mal 20 Meter und hat imVergleich zum Haram harmonische Proportionen. Trotzdem wirktder Sahn verglichen mit früheren Moscheen klein. DieserEindruck wird durch die relativ tiefen Riwaqs verstärkt, dieweitere Säle zu bilden scheinen. Die Struktur des Gebäudes hateine Richtung, weil alle Schiffe, inklusive des Riwaqs

rechtwinklig zur Qibla verlaufen, in der so gennanten“horizontalen Ausdehnung.”

Die Schiffe des Harams sind miteinander durch Arkaden übergemauerten Pfeilern von je zwei Jochen verbunden (Abb. 83),während die Bindung im Transept an der Achse des Mihrabs anjeder Arkade liegt. Durch diese Anordung wirkt die Perspektivedes Raums absichtlich beschleunigt. Die Struktur, die imGrundriss noch klar erscheint, wird im Raum durch die zweiRichtungen der Arkaden wieder verneint. Im Raum der Moscheegibt es eine starke Spannung, die durch die Konstruktion nochverstärkt wird: Die doppelte Richtung des Harams wird in Algierdurch die unterschiedliche Behandlung der Arkaden betont.Jeder Pfeiler trägt vier Bögen, von denen die auf die Qibla-Wandzulaufenden glatt, die der Parallelreihen aber gezackt sind. DerWahl zwei unterschiedlicher Arkadenformen gibt den Gläubigenzusätzliche Orientierung während des Gebets.

Drei Jahrzehnte vor der Erweiterung der al Azhar-Moscheegebaut, wird bei der Algier-Moschee die Absicht offensichtlich,den Hof architektonisch zu gestalten. Es ist erst im Sahn, wo diedoppelte Ausrichtung des Raumes im Plan ablesbar wird: DieStützen sind nicht mehr einfache Mauerstücke wie in al-Hakim,sondern verstärken diese Idee durch die Hinzufügungdekorativer Pilaster. Die Stützen tragen abwechselnd schlichteRundbögen, Hufeisenbögen, Fächerbögen oder Spitzbögen vonverschiedenen Stichhöhen, die von rechteckigen Mauerteileneingerahmt werden (Abb. 84). Diese Mauerteile werden Arraba

genannt, die dem persischen Pistaq oder dem andalusischen Alfiz

entsprechen (Kühnel 1949/1974, S. 27).

Page 75: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 85 Grundriss der AlAqmar-Moschee in Kairo.

Abb. 86 Grundriss der Kutubiya-Moscheein Marrakesch.

87

Die Große Moschee in Algier steht nicht nur wegen ihreseigentümlichen Dekors in der Tradition des “maurischen Stils”(S. 27). Der entscheidende Unterschied zu den Moscheen derersten Generation ist die oben genannte Systematisierung derStruktur und die Gestaltung des Hofes. Die Säule verschwindetfast völlig und die neue Gliederung ist eine Folge derKonstruktionsweise: Im Gegensatz zur Freiheit, die eineStruktur aus Säulen ermöglicht, macht die Verwendunggemauerter Stützen die Anordnung der Schiffe in eine oder zweiRichtungen notwendig. Der Saal ordnet sich in ein Systemrechtwinkliger Koordinatenlinien ein, die aus Stützen undArkaden bestehen. In dieses System fügt sich auch der meistnur kleine Hof ein.

Die kleine al Aqmar-Moschee in Kairo wurde 1125 gebaut. Auchihr Plan beruht auf einem rechtwinkligen Stützensystem (Abb.85). Der Saal hat nur drei Schiffe von je 5 Jochen. Das Qibla-Schiff ist breiter als die restlichen Arkaden und wirkt durchdiese Absonderung von der Hauptstruktur unabhängig.

1147 wurde die erste Kutubiya-Moschee (Abb. 86) in Marrakescherrichtet. Die Baumeister bezogen eine bereits existierendeStadtmauer als Qibla-Wand in das Gebäude ein. Die Kutubiyafolgt den Grundrissen und der Struktur der Moscheen von elQarawin, Fes und anderen großen maghrebinischen Moscheen.Der T-Plan des breiten Harams nimmt in der Kutubiya die dreimittleren Schiffe ein. Der längliche Hof ist neun mal vier Jochegroß. Die Struktur unterscheidet sich vom Rest des Gebäudesdurch stärkere Pfeiler. Auch die Pfeiler der dreischiffigenMittelachse, die auf das Mihrab zuläuft, sind wuchtiger, als dierestlichen Pfeiler des Harams. Der Hof ist vom Haram durch einedeutlich erkennbare Struktur hervorgehoben, die den Eindruckeiner Innenfassade erweckt.

Page 76: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

88

Abb. 87 Tinmal-Moschee,Marokko, 1035.

Diese Hervorhebung des Hofes ist in der Tinmal-Moschee inSüd-Marokko, mit der das Kapitel der maghrebinischen Moscheeendet, noch deutlicher. Das erste Gebäude wurde dort 1035gebaut (Abb. 87). Es handelt sich um einen typischen T-Plan mitbreitem Qibla-Travee und Mittelschiff. Über dem Mihrab-Raumerhebt sich ein rechtwinkliger Turm, der als Minarett diente. Inder urspünglichen Moschee wurde der Hof gegenüber desHarams durch eine einfache Mauer ohne Riwaq begrenzt. Dieseerste Moschee behielt ihre Form mehr als ein Jahrhundert. Beieinem Umbau von 1153 bis 1154 (Abb. 88) wurde dem Hof an derSeite des Haupteingangs ein Riwaq hinzugefügt, wobei der Sahn

etwas verkleinert wurde. Die wichtigste Neuerung war dieStellung des Hofes, der nicht mehr das Produkt eines Zufallsoder eine einfache Freifläche ist, sondern aus derGitterstruktur des Saales erwächst, deren Teil er wird.

Ein zusätzlicher Eingang in der Mitte des neuen Riwaqs betontden T-Plan des Gebäudes. Die Tinmal-Moschee ist sehrharmonisch und der Grundriss regelmäßig. Die Schiffe desHarams, die der Riwaqs und die der Eingänge bilden einsymmetrisches Ganzes. Räumlich wird die Tiefe des Saals mitdurchlaufenden Arkaden an zwei Punkten verkürzt: vor demMihrab-Schiff und an der Grenze zwischen Riwaqs und Haram.Diese Arkaden verdeutlichen die zweite Richtung des Gebäudes:eine Ermahnung zur strikten Ausrichtung der Betenden. Dieseräumliche Annordnung kann auch als konstruktive Lösungverstanden werden, indem die ganze Breite des Harams durchrechtwinklig verlaufende Arkaden verankert und dadurch dieLasten auf die Außenmauern reduziert werden. Die Mauern derTinmal-Moschee werden nicht wie in Córdoba von Strebemauernverstärkt.

Die Arkaden, die die Riwaqs vom Haram trennen, sind dieVerlängerung der Hof-Fassade in die Breite des Baues, einekonstruktive Entscheidung, die die Riwaqs wiederum alsunabhängig vom Saal wirken lässt. Die doppelte Richtung imSaal bildet auch ein räumliches Skelett im Innenraum. So wirdder Blick und der Gang durch die Moschee durch die Richtungder Arkaden begleitet und angedeutet. Tinmal ist die Synthesefünf Jahrhunderte islamischen Bauens in Nordafrika. Derursprüngliche Grundriss der frühen Moschee wurde vollendet,indem der Saal durch eine logische Stützenstruktur rechwinkligwurde und der Hof seine Unabhängigkeit vom Saal gewann.

Abb. 88 Tinmal-Moschee, 1153 - 1154

Page 77: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DIE RÄUMLICHE VERKLAMMERUNG

Am Anfang dieses Kapitels über die Raumvorstellung in derislamischen Welt hat die Verfasserin das Hauptaugenmerk aufbestimmte Besonderheiten der islamischen Architektur undStadt gelenkt. Die Geschlossenheit der architektonischenMasse, das Fehlen einer Fassade im westlich-europäischenSinne und die Konzentration des architektonischen Interessesauf das Innere, insbesondere auf die Höfe, sind die Konstantendieser Architektur und der Schlüssel zum Verständnis einerganz eigenen Raumidee. Ob es sich um eine Medrese, ein Hausoder ein Krankenhaus handelt, das Innere des Gebäudes istimmer einer Grundregel unterworfen: Die einander ähnelndenZimmer stehen nebeneinander, so dass sie einen linearen oderum einen zentralen Hof geordneten Grundriss bilden. In dieZimmer gelangt man direkt vom Hof aus oder durchZwischenräume in der Form von Iwanen (die im 3. Teildargestellt werden).

Die Abgeschiedenheit der einzelnen Räume und dieUnmöglichkeit, das Gebäude durch eine innere zentrale Achsezu durchschreiten, sondern immer wieder von einem Außen –dem Hof– zu betreten, erzeugt den Eindruck einer räumlichenVerklammerung. Diese Teilung des Innenraumes findet nichtnur zwischen den verschiedenen Räumen statt, sondern auch inihnen selbst, wie das Beispiel der Alhambra von Granada zeigt.In komplexeren Gebäuden wie etwa Palästen, die verschiedeneFunktionen zugleich erfüllen mussten, folgt die Gruppierung derInnenräume der Grundanordnung um einen Mittelhof. DieVerbindung zwischen den Höfen ist nie gradlinig und Chueca(1947/1979) spricht von “versetzten Achsen”. Um von einem Saaloder einem Hof zum anderen zu gelangen, muss der Besuchereinen vielfach gewinkelten Weg zurücklegen, der vollerRichtungswechsel und Überraschungen ist.

Ein islamischer Gebäudekomplex wird selten mit Hilfe deraxialen Symmetrie gestaltet. Wenn es Axialität ausgestalterischen Erfordernissen einer Fassade oder desGrundrisses wegen doch einmal gibt, wird sie durch den Wegund durch die Verteilung der Räume verneint. Das besteBeispiel für die Vervielfältigung der Wege durch das Gebäudeund das Fehlen jeder Symmetrie sind die in die Horizontalegezogenen Räume der Moscheen.

Die räumliche Verklammerung und die “versetzten Achsen” dermoslemischen Bauten entsprechen ein und derselben Idee der„Schichtung“ der Form und des Raumes. Der Bau einzelnerRaumkammern entstand auch aus konstruktivenNotwendigkeiten: Die frühen gewölbten Strukturen aus Ziegeln,dass heißt aus dicken Mauern und geringen Spannweiten,erforderte ein ästhetisches Empfinden, das für vieleJahrhunderte und bis zum heutigen Tag bestehen blieb, auchwenn die sich entwickelnde Technik andere Lösungenermöglichte.

89

Page 78: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

90

Abb. 90 Murphys Plan der Alhambra von Granada aus dem Jahre 1813.Legende:

1. Tor der Gerechtigkeit.2. Weintor.3. Palast Karls V..4. Gärten des Generalife

1

4

32

Abb. 89 Alhambra von Granada, Stich von Cavanah Murphy, 1813.

Page 79: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DIE ALHAMBRA VON GRANADA

Die Alhambra (al-hamra), “die rote” oder “rote Burg” (Liedl 1990,S. 15) ist kein Einzelgebäude, sondern ein Komplex von Sälen,Höfen und Gärten (Abb. 89). Die Anlage ist mehrmals erweitertund geändert worden. Verschiedene moslemische Herrscher,später die Christen und zum Schluss sogar verarmte Besetzerprägten die Alhambra. Die Bauten werden durch dicke Mauerngeschützt und befinden sich innerhalb der Burg, die die StadtGranada beherrscht. Jedes Teil ist vom Rest des Komplexesunabhängig in der Tradition, nach der der Prinz zwar die Kleiderdes Königs nicht aber dessen Haus mit dessen Frauen undKindern erbte (Goodwin 1991, S.70).

91

“In der Alhambra bewegt man sich von einemSaal zum anderen, ohne einem anderenarchitektonischen Rhythmus als derÜberraschung und des Erstaunens zugehorchen” (Camón/Chueca 1947/1979, S.69).

Die Tore der Alhambra, wie die Puerta de la Justicia(Gerechtigkeitstor) (Abb. 90; 1), die der Siete Suelos (SiebenBoden-Tür) oder die Puerta de las Armas (Waffentor) sindarchitektonische Organismen, die wegen der Kontroll- undSicherheitsmaßnahmen dem System „versetzter Achsen“(Chueca 1947/1979, S. 71) gehorchen und jedem Hindernisse inden Weg legen. Der ständige Wechsel der Richtung soll demEindringling die Orientierung und einen Gesamtüberblickerschweren. Nach einem eher labyrinthischen Weg durch einenhöhlenartigen Flur gelangt man nicht direkt in das Innere einesGebäudes, sondern zunächst nur in einen Art Empfangshof. Die“Puerta del vino” oder Weintor (Abb. 90; 2) war der Eingang zumHauptgebäude der Alhambra, die von den Gärten des Generalifein Nordosten und der Alcazaba (der Palast des 13. Jahrhunderts)(Abb. 90; 4) im Nordwesten getrennt war.

Wo heute der Touristeneingang liegt, befand sich vor derWiedereroberung Granadas ein länglicher Eingangshof (Abb. 91).Dieser Eingang lag in der nordöstlichen Ecke des Hofes, dasheißt außerhalb der Hofachse und führte zum “Mexuar” oder al-

Mashwar, dem Audienzsaal. Schon in diesem Stadium setzen dieräumlichen und die Richtung wechselnden Spiele derislamischen Baumeister ein: Während der Eingang zumöffentlichen Teil des Palastes (das Volk hatte Zugang zumAudienzsaal) eine einfache Öffnung an der Hofmauer war,befand sich hinter der Wand ein Korridor, der quer zumeigentlichen Weg lag und damit irreführend sein konnte. Einquadratischer Vorsaal diente als räumliches Polster deseigentlichen Audienzsaales. Der Weg spaltete sich dort in zweiRichtungen: Die Zugänge sind nicht an der Achse desAußeneingangs situiert, sondern seitlich. Im Saal des im 13.Jahrhundert errichteten Mexuar gelangen die Besucher nichtdirekt zum zentralen Raum, sondern wurden hinter den Säulenin zwei schmale Schiffe geführt. So wird der Mittelsaal vonunerwünschten Besuchern geschützt.

Page 80: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Eingangshof

Audienzsaalal Mexuar

Vorsaal

Vorraum

Galerie

Hof des

goldenenZimmers

Saal

Galerie

Myrtenhof

Abb. 91 Grundriss der Alhambra von Granada nach Murphy, 1813.

GoldenesZimmer

Thronsaal

92

Korridor

Page 81: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Löwenhof

93

Page 82: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

An der gegenüberliegenden Seite des Saales hingegen, von denGemächern des Herrschers aus, befand sich der Eingang auf derMittelachse und führte dirket in den Mittelsaal. Hierdurchwurde die Hierarchie betont: Während der Emir demonstrativ indie Mitte des Saales gelang, blieben die Untertanen an denSeiten des Raumes, hinter der Säulenwand. Das Mittelschiffbesteht aus sechs ornamentierten Spitzbögen, die von einemAlfiz, dem andalusischen Pistaq, eingerahmt werden. Aus derSicht des Herrschers gesehen, ist der Weg viel interessanterund abwechselungsreicher. Hinter dem Audienzsaal bietet einschmaler Vorraum, der genauso breit wie das Mexuar ist, zweiVerbindungen an den Seiten an, die zu Fluren oder kleinenRäumen führen.

Ein weiterer Eingang an der Mittelachse des Mexuar verbindetden Vorraum mit einer zur Landschaft hin offenen Galerie. Umden Audienzsaal herum liegen eine große Anzahl Kammernmehr oder weniger hintereinander gelegen, die durch Flure,Terrassen oder Treppen miteinander verbunden sind.

Abb. 92 Galerien, Zwischenräumen, visuelle Schleiern und Verspiegelungen amMyrtenhof der Alhambra.

Abb. 93 Die schlanken Marmorsäulen des Löwenhofes bilden offene Interieursoder geschlossene Aussenräumen.

94

Page 83: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 94 Kleiner Portico und Ajimez-Fenster an der Alhambra von Granada.

Geheime Säle, versteckte Flure und Irrgänge führen dann zumTurm des Comares, auch Thronsaal genannt, der an der Achsemit den “Patio de la Alberca”, “Myrtenhof”, liegt (Abb. 92). Obwohlim Grundriss zwischen dem Thronsaal und dem Alberca-Hofeine Axialität besteht, wird diese bewusst räumlich verneint.Das längliche Wasserbecken befindet sich mitten in dem Hofund der Besucher, der vom Saal aus die Hofloggia aufMittelachse betreten hatte, muß nun wieder seine Richtungändern, indem er seitlich an dem mittigen Wasserbeckenvorbeigeht. Es scheint, als ob die Axialität ein Privileg desMonarchen gewesen wäre: Nur vom Thronsaal aus läßt sich derHof vollständig überblicken. Wieder wird der Blick von visuellenSchleiern in der Form von Galerien und Zwischenräumenunterschiedlicher Höhe und Belichtung verwirrt.

Eine Aufeinanderfolge von Licht und Schatten markieren dieräumlichen Abstufungen. Keine Perspektive stimmt mit demzurückzulegenden Weg überein: Während der Blick durchGalerien, schattige Vorräume und von grellem Sonnenlichtdurchflutete Höfe eine axial-perspektivisch orientierteArchitektur vortäuscht, gleicht der Weg einem Hindernislauf.Auch im Thronsaal ist der Raum in Breite und Höhe unterteilt.In den dicken Mauern des Saales befinden sich Nischen, vondenen aus sich die Landschaft durch kleine Fenster betrachtenlässt. Ach die Fensteröffnungen wiederum sind durch einedünne Säule in der Mitte unterteilt. Dieses typisch islamischeFenster ist in Andalusien als Ajimez bekannt (Abb. 94). DieserInnen-Balkon ist im Vergleich zur Höhe des Saales sehr niedrig.Zwischen Thronsaal und Patio befinden sich die oben erwähntenGalerien. Sie teilen den Raum nicht nur in der Horizontalen,sondern auch in der Vertikalen.

95

Page 84: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Die engen, in entgegengesetzten Richtungen verlaufendenFlure, die eher die Funktion eines Polsters als die einesVerbindungsraumes erfüllen, sind außerordentlich hoch. Diezum Hof hin offene Galerie lenkt den Blick auf eine Vielzahlmöglicher Durchgänge. Der Blick und der Weg spalten sichnochmals kammartig durch die Arkaden. An den Schmalseitendes Patio de la Alberca befinden sich Galerien, die sich imWasser des Beckens wiederspiegeln. Diese Multiplikation derFormen wiederholt sich auch im Patio de los Leones, demLöwenhof (Abb. 93), zu dem man auf labyrinthischen Umwegengelangt. Dieser Hof verkörpert das Wesen der Alhambra. Mitseinen vielen Säulen erinnert er an den Höfe der Moscheen.

Der „Oratorio del Partal“ (Palast-Moschee) ist ein weiteresBeispiel eines in Kammern unterteilten Raumes. Im Schnitt vonTorres Balbas (Abb. 95) lässt sich die Aufschichtung der Räumegut erkennen. Diese räumliche Folge zeigt die Tendenz derislamischen Baumeister, keine geometrisch klaren Säle zuerrichten, sondern Räume, die immer in kleinere Stückeunterteilt sind (Abb. 96). Auch die Ornamentik dient diesemZweck: Die Mukarnas sind ein typisches Mittel der Verdeckungund der Nichtdefinierung von Grenzen. Selten sind klare Linienin der islamischen Architektur zu sehen. Die Formen und dieRäume bleiben fließend in einem ständigen geometrischenSpiel, dessen einzige Regel die Wiederholung ein und desselbenMotivs zu sein scheint (Abb. 97).

Chueca (1947/1979) erwähnt das höhlenartige Aussehen derislamischen Architektur. Die Aufeinanderfolge von Sälen,Zwielicht, die doppelten Galerien, die das grelle Licht des Hofesfiltern und die labyrinthischen Wege bestätigen diese Sicht.Trotzdem ist zu unterstreichen, dass diese Effekte beabsichtigtsind und nicht zufälliges Resultat einer primitivenKonstruktionsweise. Die Anordnung der verschiedenen Räumeverleitet dazu, den Schritt zu verlangsamen und inne zu halten.In den Höfen wird der Besucher vom Plätschern des Wasserszum Verweilen und Sinnen verführt; die Nischen mit ihrenSitzen und andalusischen Ajimeces-Fenstern laden zurBetrachtung der Natur ein. Erst in der Aufeinanderfolge derHöfe lässt sich die eigentliche Fassade des Gebäudes erahnen.Die Patios öffnen sich nicht zur Natur, sondern wiederholeneine geometrisierte Landschaft, die in ihren architektonischenAusdruck übersetzt ist.

Während des Spaziergangs durch die Alhambra muss derBesucher ständig Entscheidungen treffen, eine von drei odervier Türen auswählen, sich in einem der vielen Flure verlieren,weitergehen oder in einem Saal oder Hof verweilen, ohne zuwissen, wohin der nächste Schritt führen wird. Die Reihenfolgekleiner und großer Räume, schattiger und heller Plätze,geschlossener Säle oder im gleißenden Licht der andalusischenSonne liegender Höfe, von breiten sich kreuzenden Fluren, dieunerwartet hoch sein können, überraschen immer wieder.Durch die Alhambra zu wandern, ist eine wahre Raum-Übung.

96

Page 85: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 95 Schnitt und Grundriss des Oratorio del Partal (Palast-Moschee), nachTorres Balbás.

Abb. 96 Schematischer Schnitt des Oratorio del Partal, nach Chueca.

Abb. 97 Ornamentierter Raum des Goldenen Zimmers, auch «Saal derBotschafter» gennant, an der Alhambra von Granada.

97

Page 86: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 98 Schnitt des Tschihil Sutun-Palastes in Isfahan.

Abb. 99 Grundriss des Tschihil Sutun-Palastes in Isfahan.

98

Page 87: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

AUßENRAUM UND INNENRAUM:DER TSCHIHIL SUTUN-PALAST IN ISFAHAN

Um die architektonische Gliederung zwischen Außen- undInnenraum und die Gestaltung der Zwischenräume zuverstehen, soll der persische Palast Tschihil Sutun in Isfahanals Beispiel dienen (Abb. 98, Abb. 99). Der königliche Pavillonbefindet sich in den Gärten der neuen Safawiden-Hauptstadtund wurde in zwei Phasen gebaut. Den westlichen hinteren Teil,ein geräumiger Saal mit drei Kuppeln, ließ der Schah Abbas I.im Jahre 1590 errichten. Der Raum nimmt eine Fläche von 24 x11 Metern ein. Außer dem breiten Saal gibt es noch vierkleinere Räume. Zwischen ihnen ist jeweils auf der MittelachsePlatz für zwei Iwane gelassen, von denen der östliche derEingangs-Iwan war. Zwei Galerien an der Nord- und Südseite“umarmen” das Gebäude und vervollständigen die axialeSymmetrie.

Der östliche vordere Teil, unter der Herrschaft des SchahSultan 1647 errichtet, gibt dem Gebäude den Namen. TschihilSutun bedeutet “vierzig Säulen” und ist die poetischeBeschreibung für die insgesamt 20 Säulen der Terrasse, die sichauf der Wasseroberfläche des Gartenbassins spiegeln. DieserVorderteil nimmt ein Drittel der gesamten Fläche des Gebäudesein. Die Terrasse liegt auf einem Podest und ist über eine in derMittelachse des Baus gelegene Treppe erreichbar. Ein solchoffener Vorsaal oder Talar aus hohen meist reichornamentierten Holzsäulen war zu Zeiten der Timuriden einetypische Bauweise. Auch in mittelasiatischen Moscheen undTschaikanas oder Tschaihune, den beliebten Teehäusern, sind siebis heute erhalten geblieben. Aus dieser Zeit stammen auch diesymmetrisch angelegten Flügel in der Form kleiner Säle, diezwischen dem ursprünglichen Rechteck und dem Talar liegen.Von ihnen aus führt je eine niedrige Tür in den älteren Teil derAnlage. Diese beiden Flügel bilden zusammen mit dem älterenTeil einen großen Iwan oder ein räumliches Tor, das den erstenIwan aus dem vorhergehenden Jahrhundert erweitert.

Der Eingang zum eigentlichen Saal ist eine Abfolge offenerRäume, die einen Weg stark zeremonieller Bedeutung bilden:Von der Treppe aus gelangt man in den Talar (Abb. 100), wo einkleines Wasserbassin auf der Mittelachse den Besucher zueinem Richtungswechsel zwingt. Der Talar bildet ein homogenesräumliches Muster und die unterschiedlichen Abständezwischen den Säulen fallen deshalb kaum ins Auge. Hinter denhohen Säulen öffnet sich der erste große Iwan, der mit dem sichanschließenden zweiten Iwan eine Art Trichter formt. Trotz derOffenheit der ganzen Anlage ist der Weg vom Außen ins Innerenicht direkt, sondern voller Hindernisse. Wie bei der zweiJahrhunderte jüngeren Alhambra ist auch der Tschihil Sutunvon dem Spiel der vielen sich überlagenden Raum- undSchleierschichten sowie Zwischenräume geprägt.

99

Page 88: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Die Innenräume sind hierarchisch in typische Raumkammernunterteilt. Die Verbindung zwischen den Sälen verläuft aufeinem Weg versetzter Achsen. Nur der Hauptsaal wird in derMitte betreten, während die kleineren Säle ihre Eingänge auchan den Ecken haben. Allerdings befindet sich dieser Zugangnicht an der Stirnseite, sondern an der Längsseite. Als ob derPalast nicht schon genügend Terrassen, offene Vorsäle undAußenräume besessen hätte, fügten die persischen Baumeisterzwei zusätzliche balkonartige Galerien auf jeder Seite desGebäudes hinzu. Diese Fragmentierung des Gebäudes könntemisserstanden werden als das was Höver (1923) “das Unfesteislamischer Bauten” (S. 45) nannte.

Im Tschihil Sutun-Palast spielt der Außenraum eine aktive Rollebei der Gestaltung der Gebäudes und es scheint, als ob dieInnenräume sich der Landschaft anpassen und durch eineReihe von Terrassen, Galerien, Nischenportale und offeneSäulensäle geschützt werden. Der königliche Pavillon mit seinensich nach außen öffnenden Räumen scheint das perfekteGegenteil der typischen islamischen Bauten zu sein, bei denensich die Zimmer um einen Innenhof gruppieren und das Ganzenach außen durch eine Mauer hermetisch abgeschlossen wird.Die Dominanz der Außenräume über die Innenräume erklärtsich natürlich auch dadurch, dass sich der Palast in Isfahan ineiner Gartenanlage befindet, zu dem nur wenige Zutritt hatten.Trotz des verhältnismäßig kleinen Maßstabs des Palastes istTschihil Sutun ein gutes Beispiel für die Beziehung zwischenInnen- und Außenraum im Islam der zweiten Periode und desspielerischen Umgangs der Perser mit dem Raum.

Abb. 100 Talar des Tschihil Sutun-Palastes in Isfahan oder «Palast der VierzigSäulen».

100

Page 89: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Über den Palast schrieb Hoag (1986): “Kein anderes Bauwerk(…) bringt so deutlich zum Ausdruck, wie sehr die Perser esliebten, Innen- und Außenräume harmonisch zu vereinen” (S.183-184). Vom großen Portal aus in Richtung Wasserbeckenschauend (Abb. 101) ergibt sich der Eindruck, man befände sichin einem großen Gebäude. Der eindrucksvolle Talar mit denvielen Säulen erinnert an den Saal einer Moschee und diehohen Säulen ähneln den Stämmen der Bäume des Parks.

Vom Inneren aus betrachtet erscheint das Außen gerahmt wieein großer Hof. Der Tschihil Sutun-Palast ist nicht einzig inseiner Art. Eine lange Reihe königlicher Pavillons und kleinerPaläste, einige verschwunden und im besten Fall dokumentiert,belegen, wie die islamischen Herrscher in geometrisierteLandschaften wie Gärten, Parks oder sogar mitten in die Wüste,“offene” Anlagen der Art des Isfahaner Palastes bauten. O´Kane(1995) untersuchte die nomadische Traditionen der islamischenKönige in Persien und die Entwicklung von Pavillons undPalästen, die sich der Natur öffnen.

Wie die arabischen Nomadenvölker, die den Islam verbreiteten,liebten die Perser ihre Wüstenlager, die mit einer Art Reinigungund einem Zurück zur Natur identifiziert wurden. DieFürstenzelte wurden oft nach der Form und Anordnung derPaläste aufgebaut und die königliche Wüstenlager oder Ordu

ähnelten mobilen Städten, die mit Basaren, Moscheen und sogarBibliotheken ausgestattet waren. Die Geschichte des persischenGroßvisirs Abdul Kassem Ismael, der im 10. Jahrhundert lebte,ist bekannt: Er konnte sich während der Reisen nicht von seinerBibliothek trennen. Auf seinen Wanderungen waren 400 Kamelenotwendig, um seine 17 000 Bücher zu schleppen, diealphabethisch geordnet waren (Manguel 1998, S. 226).

Abb. 101 Sicht durch den Talar auf den Garten. Stich nach Flandin-Coste, 1854.

101

Page 90: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 102 Bazar von Tabriz, erster Sektor.

Abb. 103 Bazar von Tabriz, zweiter Sektor. Schnitt und Grundriss.

102

Page 91: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

DIE GESTALTUNG DES ÖFFENTLICHEN RAUMES:BAZARSTRAßEN UND BAZARPLÄTZE IN IRAN

Obwohl Bazare insgesamt eine relativ unregelmäßige Formbesitzen, fällt die gestalterische Regelmäßigkeit derAußenräume, insbesondere der Höfe, Plätze und Kreuzungenauf. Das scheinbare Chaos ist paradoxerweise Folge desVersuchs, die vielen in sich regelmäßigen Gebäude zu verbindenund zueinander in Beziehung zu setzen: Genauso wie sich derSaal der Moscheen nach mehreren Erweiterungen um einengeometrisch definierten Hof erstreckt, bilden die unzähligenkleinen Lokale der Bazarstraßen ein meist geordnetes Mustergereihter Kammern. Die Grenze zwischen Innen- undAußenraum ist immer geometrisch gestaltet, so dass imGrundriss eines Bazars über die Reihung kleinerer Räume eineOrdnung ablesbar ist. Wie in der Moschee, wo die Trennliniezwischen Saal und Hof, das heißt der Hoffassade, das einzigarchitektonisch eindeutige Element des Gebäudes ist, wird derAußenraum in den Bazaren auf Kosten der vielen kleinenInnenräume geometrisch gestaltet. Einige Bazare in Iran undSyrien werden hier als Beispiel dieser gereihten Ordnunggezeigt.

Der Bazar in Tabriz, in Nordwesten Irans, ist ein interessantesBeispiel für die Grenze zwischen Innen- und Außenraum in derStadt. Im ersten Sektor (Abb. 102) sind die öffentlichenVerkehrsräume geometrisch geordnet, während sich die Lokaledem Außenraum anpassen. Kein Laden gleicht dem anderenund Form, Größe und Orientierung ändern sich je nach Bedarf.Die einzige Regel, die das Ganze zu beherrschen scheint, isteine Symmetrie, in der die Lokale auf beiden Seiten der Straßenangeordnet sind. Das erklärt sich aus der Konstruktion und derStruktur: Die Straßen sind überdacht und die Bögen ruhen aufStützen oder Mauern, die gleichzeitig den Abstand zwischen denLokalen bestimmen. Obwohl der Grundriss einen weniggeordneten Eindruck macht, fügen sich Außen- und Innenräumezu einem Formbild großer Unterschiedlichkeit. Die Bauweise,bei der zuerst die Außenräume und danach die Innenräume aufdiese hin gereiht werden, ist durchaus europäischer Prägungvergleichbar. Jedoch ist das Außen in der europäischenArchitektur oft eine Folge inneren Anordnung.

Im zweiten Sektor (Abb. 103) kann man ein Stück derHauptbazarstraße sehen. Ein Tor führt auf einen großen Hofoder Platz. Auch da scheint die Architektur von außen hergedacht: die Läden sind unterschiedlich in Form und Größe unddie Ecken sind abgeschrägt. Das Gebäude hat keine äußereFassade, sondern nur eine Innenfassade, wo dieUnregelmäßigkeiten des Grundrisses durch die Geometrieverborgen werden.

103

Page 92: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Es gibt aber eine Außenmauer im Norden und Westen: eineeinfache Wand ohne Öffnungen oder architektonische Akzente,die die unterschiedlichen Tiefen der Läden einebnet. In derislamischen Stadt gibt es selten freistehende Außenwände: EinGebäude “klebt” am nächsten in einer unförmigen Masse ausZimmern oder Läden. In heißen Gegenden ist dies einepraktische Lösung, die nicht nur Material und Kosten spart,sondern auch schattige und kühle Räume sichert. Vombedachten Raum der Bazarstraße erreicht man einen ebensogeschlossenen nur zum Himmel hin offenen Innenhof. DieAufeinanderfolge öffentlicher Innenräume ist typisch islamischgeprägt, gewiss auch von älteren orientalischen Raummusternbestimmt.

Der dritte Sektor (Abb. 104) zeigt eine Straßenkreuzung desTabriz-Bazars und einen Han mit dem dazugehörigen Hof. Erneutlässt sich beobachten, wie der öffentliche Raum von denangrenzenden Läden her gestaltet ist. Im Gegensatz zurallgemeinen Auffassung westlicher Autoren, der Stadtraum imIslam sei nur ein Restraum, zeigt der Bazar in Tabriz, wie strenggestaltet und durchdacht der städtische Außenraum inWirklichkeit ist. Die feine, unsichtbare Trennlinie zwischenöffentlichem- und privaten Raum ist nur im Grundrisserkennbar. Die islamischen Baumeister respektieren dieseLinie: Die Läden passen sich dem öffentlichen Raum an. DieBestimmung der Grenze zwischen Außen- und Innenraum isteine ausschließlich architektonische Entscheidung: es ist nichtder Innenraum oder die Fassade, die diese Linie definieren,sondern nur der Raum selbst. Bei den Moscheen oder derAlhambra von Granada wurde deutlich, dass die islamischeBaukunst auch eine Architektur der Innenräume ist. DieseDefinition gilt ebenso für den städtischen Raum: er kann als einöffentliches Innen im städtischen Maßstab bezeichnet werden.

Abb. 104 Bazar von Tabriz, dritter Sektor.

104

Page 93: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Der erste Sektor des Bazars in Isfahan (Abb. 105) zeigt einegroße Zahl von Straßen und Bauten, die ein dichtes Stadtgefügebilden (Gaube/Wirth, 1978). Die fast rechtwinklige Anlage istnur im Grundriss ablesbar: Der Ortsunkundige verliert imStraßengewirr die Übersicht und kann sich nur an denumliegenden Straßen orientieren. Fast alle Gassen diesesSektors sind überdacht und nur Höfe, die oft nicht öffentlichsind, bleiben zum Himmel hin offen.

Die Läden sind unterschiedlich groß und wie in Tabriz passensie sich ohne große architektonische Ansprüche dem Wegenetzan offen zu den öffentlichen Wegen hin. Die meisten Lokale sindkleine Kammern ohne Lüftung, die nur zur Straße hin offensind. Oft verlagert sich die Verkaufsfläche während derÖffnungszeiten auf die Straße und die Trennlinie zwischenAußen- und Innenraum ist „verwischt“. In dieser riesigenBaumasse haben wichtige Gebäude wie Moscheen oder Medresen

keine Fassade zur Straße. Die Eingänge befinden sich zwischenden Läden und nur eine kleine Öffnung in der Form einesBogens, eine tagsüber offene Tür oder eine Passage kündigenden Hof der Moschee an. Diese „Innen-Plätze“ sind die einzigenoffenen und öffentlichen Orte des Bazarviertels, an denen dieBesucher sich vom Treiben und Herumfuhrwerken derHandelsleute erholen können. Einige Medresen haben Gärtenund Wasserbecken, die Höfe sind von Balkonen umgeben undihre Mauern sind mit Kachelornamenten geschmückt. Als Inselnder Ruhe ermöglichen sie eine Rast vom Getümmel der oftschmutzigen Straßen der Bazare.

Abb. 105 Bazar in Isfahan,erster Sektor mit klarerwegstruktur, Reihung undKammerung allerVerkaufsräume.

105

Page 94: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Im zweiten Sektor (Abb. 106) ist die schlangenförmigeHauptstraße des Bazars dargestellt. Die Läden und die Gebäudereihen sich dicht an dicht entlang der Straße und auch derletzte Quadratmeter wird noch als Verkaufsfläche genutzt. DieEingänge zu den Medresen, Moscheen und Karawansaraien sindmittig oder befinden sich an den Ecken der Gebäude. Nur dieMoscheen und manchmal die Medresen müssen die Orientierunggen Mekka wahren. Das ergibt eine abwechslungsreiche Gestalt.Die Bazarstraße ist wie schon erwähnt mit Tonnengewölben undKuppeln überdacht. Sie hat keine Fassade in eigentlichen Sinnedes Wortes. Nachts und an Feiertagen sind die Lädengeschlossen und die einzige “Fassade” sind die Ladentüren ausHolz oder Metall. In der labyrinthischen Bazar-Anlage Isfahanssind die Höfe die einzig geometrisch gestalteten Räume. DieseHof-Kette, die sich hinter der Straße ohne Fassaden verbirgt,bildet einen Weg voller Überraschungen. Dasselbe gilt für denBazar in Aleppo (Abb. 107). Die vielen zum Bazar parallellaufenden Strassen mit den Hanen, Medresen und Moscheensind wie ein Spinnennetz und zugleich das Rückgrat der Stadt.Die einzig gestalteten Räume sind die Höfe der Moscheen,Medresen und Hane. Dieses Muster wiederholt sich in fast jederislamischen Stadt.

Im Bazar von Kerman (Abb. 108) im Zentralhochplateau Irans befindetsich hinter der Bazarstraße ein großer Hof. Er ist von Arkadenumgeben, hinter denen die Werkstätten und Läden der Handwerkerliegen. Der Bazar-Hof hat alle Eigenschaften eines Platzes. Mit einemTeehaus (Tschaikana), das in dem früheren Dampfbad untergebrachtist, wirkt dieser Platz mit seinen Eisbuden und Bäumen wie ein Ortder urbanen Begegnung, wie ein Raum der Ruhe inmitten desgeschäftigen Treibens des Bazars.

Abb. 106 Bazar inIsfahan, zweiterSektor.

106

Page 95: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

Abb. 107 Bazar in Aleppo.

Abb. 108 Arkadenplatz am Bazar, Kerman. 107

Page 96: 1. DER RAUM IM ISLAM - tuprints.ulb.tu-darmstadt.detuprints.ulb.tu-darmstadt.de/1964/2/1_DER_RAUM_IM_ISLAM.pdf · Für Massignon ist das Gebäude im Islam „nur der Hintergrund“,

108