1 Jazz-Boy - · PDF file1 Jazz-Boy von Albert Scholz & Martin Lemke I. WIE KLINGT DIE GITARRE IM JAZZ Mit Jazzklang meine ich hier den Klang einer E-Gitarre, wie er im Jazz vorkommt

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    Jazz-Boyvon Albert Scholz & Martin Lemke

    I. WIE KLINGT DIE GITARRE IM JAZZ

    Mit Jazzklang meine ich hier den Klang einer E-Gitarre, wieer im Jazz vorkommt. Idealtypisch fr diesen Klang sind diePlatten von George Benson, Joe Pass oder Kenny Burrell. Ichbitte den Kenner um Entschuldigung, jetzt gerade sein Idolvergessen zu haben. Der jazzigste Jazzsound findet sich wohlin Kenny Burrells Midnight Blue, wer anderer Meinung ist,darf sie fr sich behalten.

    Denn ich will damit nicht sagen, dieser Klang sei der besteSound fr Jazz, es ist nur derjenige, den man so oder hnlicham hufigsten im Jazz findet. Es gibt immer Gegenbeispieleund im Jazz sowieso, denn diese Musik lebt vom kalkuliertenRegelbruch, oder sie sollte es zumindest. Aber Regelbrchesind ohne Regeln nicht mglich und in der Regel fallen einemdie oben genannten Beispiele fr Jazzklang ein. Dieser Klangist extrem clean, hat viel Sustain, mehr Dynamik als jederandere E-Gitarrenklang und ist sehr fein zeichnend.

    Wie clean ist clean?

    Jedes Instrument hat eine Art Fingerabdruck. Eine Kombina-tion von Grund und Obertnen, die seinen Klang ausmachen.Die Frequenz eines Obertons ist ein ganzzahliges Vielfachesdes Grundtons. Seine Lautstrke hngt vom Instrument ab undist diesem typisch. Marine Mersenne, ein Zeitgenosse vonRene Descartes, hat das entdeckt. Ganz nebenbei hat er alserstes die Schallgeschwindigkeit gemessen. Aber zur Sache:Dieses Obertonspektrum ist ein Grund, warum der Jazzklanganders ist, als z.B. derjenige von Angus Young, Jimmy Page,James Hetfield usw.

    Ein klassisches Orchester besteht aus vielen Instrumenten,die in vielen Frequenzbereichen mit verschiedenen Obertnenspielen. Ein guter Komponist kann diese Instrumente oderin der Fachsprache Stimmen so kombinieren, dass manvor allem als Laie nicht mehr hrt, dass da vier Geigen,drei Trompeten, ein paar Flgelhrner und Fagotte spielen,sondern man hrt etwas vllig neues eigenartig klingendes.Ein guter Komponist wei, wie er die Obertne verschiedenerInstrumente kombinieren muss, um einen bestimmten Klangzu erreichen. Ein sehr schnes Beispiel sind die Walkrenin Wagners Ringzyklus oder Edward Griegs Morgenerwachenaus der Per Gynt Suite. Beide Male spielt ein nur bestimmterTeil des Orchesters und beide Male hat das einen ganzbestimmten Effekt. Diese Kombination von Stimmen ist nurmglich, wenn keine Stimme alle anderen niederdrckt. Dazudarf kein Instrument aus dem Satz an Stimmen so vieleverschiedene Obertne produzieren, dass man es nicht mehrrichtig mit anderen Instrumenten kombinieren kann.

    Ein Beispiel eines Instrumentes, das sich wegen seines Ober-tonspektrums nicht mehr in einen Stimmensatz einbauen lsst,sind Platten von Rock- oder Heavy-Metalbands im Zusammen-spiel mit Sinfonierorchestern. Es fllt auf, dass die verzerrte E-Gitarre hier immer als Kontrast gegen das Orchester (meistensStreicherstze) gestellt wird, statt sie in Stimmenstze zuintegrieren. Die verzerrte E-Gitarre kann mit ihrer Flle anObertnen und damit Klangfarben das Orchester alleine inSchach halten. Die Verzerrung eines Klangs ist nichts anderesals, das extreme Ausweiten des Obertonspektrums.

    Ein anderes Beispiel ist der bereits erwhnte Angus Youngvon AC/DC. Er sagte einmal in einem Interview, er strebe mitdem Sound seiner Gitarre wie ein ganzer Satz aus Blsernzu klingen. Deswegen verzerrt er seinen Klang zu einem sehrgewaltigen Obertonspektrum und ersetzt so einen ganzen Satzan Stimmen, ist aber nicht mehr in einen solchen einzubinden,zu reich ist das Spektrum an Obertnen.

    Im Jazz gibt es jedoch seit der Bebop-ra keinen echtenUnterschied zwischen Soloinstrumenten, die gegen die Bandkontrastieren, und Begleitinstrumenten, die sich als Stimmein ein Gefge einpassen. Die Jazzgitarre muss solieren, alsogegen Band kontrastieren und sie muss auch von der Klangfar-be mit anderen Instrumenten kombinierbar sein knnen. Wresie sehr stark verzerrt, dann wre letzteres nicht mglich. EineJazzgitarre muss nicht nur gegen das Saxofon spielen knnen,sondern auch mit ihm mehrstimmig zu einem neuen Klangkombinierbar sein. Deswegen ist bei der Obertonerzeugungund demnach auch Verzerrung einer Jazzgitarre mehr Zurck-haltung angebracht, als Angus Young sie fr seine Musik ntighat.

    Das heit nicht, dass berhaupt keine Obertne im Verstrkererzeugt werden drfen. Was sich clean anhrt ist nmlichlngst nicht messtechnisch clean. Der Klirrfaktor eines Ver-strkers fr einen Jazzgitarrensound drfte dennoch sehr vielgrer als derjenige fr einen Hifiverstrker sein. Gerade derk2 (Oberton mit doppelter Frequenz des Grundtons) und derk4 (vierfache Frequenz) sind stark ausgeprgt, whrend k3und k5 nahezu ganz fehlen. Der k2 und k4 ist bei allenSaiteninstrumenten auch ohne Verstrker sehr hoch. Bei derGeige ist er gar deutlich grer als der Grundton selbst. Beider Jazzgitarre gilt das selbe und kann durch einen Rhrenver-strker noch stark erhht werden, ohne zustzlichen Aufwandin der Schalung treiben zu mssen, weil die Kennlinien derRhren diese ohnehin erzeugen.

    Eine Nase fr den Klang

    Der Frequenzgang einer Gitarre reicht theoretisch von etwa80Hz als tiefst mglichen Grundton, bis zum hchsten Oberton

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    bei etwa 8kHz. Eine stark verzerrte Gitarre kann wegen deserweiterten Obertonspektrums noch deutlich hher spielen.Nun gibt es aber fr den Groove im Jazz eine wichtigeInstrumentengruppe. Das sind die Hihat und das Ridebeckensowie weiteres Blech am Schlagzeug. Diese Instrumente ge-ben im wesentlichen Frequenzen zwischen 2kHz und 6kHzwieder. Auch der Schnarrteppich, der kleinen Trommel tntin diesem Bereich, ebenso wie sich das Wischen der Besenhier abspielt. Diese Schlaginstrumente mssen hier unbedingthrbar sein, denn der typische Shuffle-Groove des Jazz wirdmit ihnen durch Ghostnotes erzeugt. Deswegen beschneidetman die Hhen der Jazzgitarre meist recht stark und lsst demSchlagzeug so Freiraum.

    Der Bass einer Jazzband beginnt bei etwa 20Hz, wenn es einKontrabass, und bei etwa 40Hz, wenn es eine Bassgitarre ist.Seine wichtigsten Grundtne reichen aber bis etwa 300Hzhinauf. Wrde die Jazzgitarre zu basslastig klingen, dannwrde sie dem Bass keinen Platz im Gruppenklang lassen undalle interessanten Improvisationen berdecken. Deswegen wirdman die tiefen Frequenzen im Gitarrenverstrker herausdrehen.Nun kommt es der Gitarre entgegen, dass sie so viel k2wiedergibt. Denn statt ihrer tiefsten Frequenz von 80Hz wirdsie immer mehr 160Hz wiedergeben, wenn die Widergabe bei80Hz schon stark abgesenkt ist. Ihre tiefen Tne bleiben soals Oberton erhalten und hrbar.

    Die Jazzgitarre ist also zwischen dem Bass von unten und denBlechinstrumenten des Schlagzeugs von Ooben eingezwngt.Darber hinaus teilt sie sich ihren schmalen Frequenzbereichnoch mit eventuell anderen vorhanden Soloinstrumenten, wieKlarinetten, Saxofone, Trompeten, Klavieren usw. Letztereszwingt sie, wie wir sahen, zu Zurckhaltung bei den Obert-nen und damit Verzerrung, ersteres zur Zurckhaltung beimFrequenzgang.

    Der Frequenzgang eines Verstrkers fr Jazzgitarre hebt mittle-re Frequenzen (kurz: Mitten) stark hervor. Wrde man so eineEinstellung fr den Gesang vorsehen, klnge es sehr nasal, alshtte der Sprecher Schnupfen. Im Heavy Metal wrde mandagegen eher Bsse und Hhen anheben und die Mitten etwasabsenken, gerade um den Obertonreichtum dieses Sounds zubetonen.

    Dynamik

    Der Jazzklang tritt an Frequenzgang und Obertonreichtumhinter dem Klang im Rock zurck. Was jedoch die Dynamikangeht, ist er viel reicher. Damit sei nicht gesagt, dass der

    Jazzklang irgendwie besser oder schlechter als der Gitarren-klang im Rock oder Metal ist. Andere Anforderungen dieserMusikart haben einfach auch einen anderen Klang zur Folge.

    Die Dynamik ist der relative Abstand zwischen dem lautestenund leisesten Ton. Sie ist der Faktor um den der lauteste Toneines Instrumentes lauter als der leiseste ist. In der Rockmusikist dieser Abstand nicht gro. Eine stark verzerrte Gitarre kannauch nicht mehr viel lauter werden. Der Grund ist, dass sie denVerstrker bereits bersteuert, fhrt man dem Verstrker mehrPegel zu, dann wird er wohl noch mehr verzerren, aber ebennicht lauter werden, denn er arbeitet wegen der Verzerrungbereits an seiner Grenze. Der Rockmusiker kann den Ein-gangspegel in den Verstrker also nur noch reduzieren, danngeht ihm aber die Verzerrung und damit sein Sound verloren.Dieser Effekt, durch krftigeren Anschlag der Saiten nichtmehr lauter sondern nur verzerrter zu spielen, ist gewollt undwird oft als fettes Brett oder stehender Ton beschrieben.

    Der Jazzklang hingegen muss von der leisesten Note in ir-gendeinem Akkord der Begleitung einer Ballade bis hin zumzackigsten lauten Solo gleichmig gut und doch verschiedenlaut klingen. Man wrde sich andernfalls ein Ausdrucksmittelder Improvisation nehmen. Die vier Ausdrucksmittel der Mu-sik sind eben Melodik, Harmonik, Rhytmus und Lautstrkebzw. Dynamik. Im Rock wird letztere hauptschlich demSchlagzeug und dessen Akzenten berlassen. Der Jazz stelltden individuellen Musiker strker heraus und berlt ihn freizu tun was ihm beliebt in allen vier Ausdrucksmglichkeiten.Das soll nicht heien, der Jazzgitarrist sei besser oder schlech-ter als seine Kollegen, er hat nur andere Aufgaben und brauchtdafr eine andere Ausrstung. Welche das ist, haben wir ebenuntersucht.

    II. VOM SOUND ZUR SCHALTUNG

    Ein guter Verstrkerbauer zeichnet sich nicht dadurch aus,einen Nachbau eines achso berhmten Gertes mit teuerstenund besten Zutaten auf die Beine zu stellen. Noch weni-ger zeichnet er sich dadurch aus, dass seine Kontsruktionendie Qualitt industrieller Fertigung vom Piping bis hin zurgetzten Bedienplatte nachahmt. Das sind bestenfalls netteGimmicks, das Geheimnis liegt jedoch ganz woanders.

    Ein guter Verstrkerbauer hrt zu. Er hrt dem Sound zu, dener durch sein Gebude ermglichen soll. Wenn es den schongibt, kann er eine Platte dazu nehmen, wenn nicht, muss erihn in seiner Vorstellung hren. Er