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1 Veit Probst Die Reorganisation zweischichtiger Bibliothekssysteme: Das Beispiel Heidelberg

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Veit Probst 

 

 

Die Reorganisation zweischichtiger Bibliothekssysteme:

Das Beispiel Heidelberg

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1. Einleitung

Fortbildung der deutschen Hochschulkanzler unter dem Titel: „Das Bibliothekswesen der wissenschaftlichen Hochschulen – rechtliche, organisatorische und ökonomische Aspekte“ (22.-24.10.1984)

Beitrag von Hermann Leskien (UB München): Probleme beim Aufbau einheitlicher Bibliothekssysteme in alten Universitäten.

Leskien stellte damals zusammenfassend fest, „dass eine Vereinheitlichung in den Bibliothekssystemen alter Universitäten dringend zu wünschen ist. ... Ein funktionsfähiges Bibliothekssystem einzurichten ..., ist ein außerordentlich wichtiger Beitrag im Dienst von Lehre und Forschung. Kanzler und Bibliothekare sitzen in dieser ständigen Auseinandersetzung in einem Boot.“

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Kennzahlen zweischichtiger Bibliothekssysteme:

 

• bis zu 150 Bibliotheken mit bis zu 7 Mio Medieneinheiten Bestand und bis zu 12.000 laufenden Zeitschriften

• jährlicher Zugang von bis zu 100.000 Einheiten

• Erwerbungsetats von mehreren Millionen Euro

• bis über 200 Personalstellen

• bis zu 1,5 Mio Bänden Ausleihleistung in den Zentralbibliotheken

• umfassende, in der Regel von den Zentralbibliotheken administrierte elektronische Dienste mit Tausenden von Volltextzeitschriften, netzgestützten Datenbanken, elektronischen Lieferdiensten, WLAN-Angebote etc.

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2. Das Bibliothekssystem der Universität Heidelberg bis 2002

 

Heidelberg: In den 1980er und 90er Jahren Bedeutungsaufstieg der UB; große Ausleihvolumina, Auf- und Ausbau der elektronischen Bibliothek.

Daneben Weiterbestehen der Strukturdefizite der Zweischichtigkeit.Für die dezentralen Bibliotheken gilt: 

1. Ausgeprägte Zersplitterung der Bibliothekslandschaft2. Ungleichmäßiger und unflexibler Personaleinsatz3. Verwirrende Vielfalt und deutlicher Modernisierungsrückstand in den

Geschäftsabläufen4. Unzureichende Abstimmung des Medien- und Informationsangebotes

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Zersplitterung

 

106 Bibliotheken:

• 9 Bibliotheken mit einem Bestand von über 100.000 Bände

• 24 zw. 30.000 und 100.000

• 22 zw. 10.000 und 30.000

• 19 zw. 5.000 und 10.000

• 32 bis 5.000

 

Problem Öffnungszeiten: Für die Öffnung der 54 größten Bibliotheken im Semester 2.500 Wochenstunden nötig. 24 Öffnungszeitenvarianten zw. 35 und 85 Wochenstunden. Beziehungen zwischen Öffnungszeiten einerseits

und Bestandsgröße oder Stundentenzahl andererseits nicht erkennbar.

Problem mangelnder Koordinierung der Geschäftsbeziehungen: Große Preisunterschiede bei Buchbindern und Auslandslieferanten.

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Unflexibler Personaleinsatz

 

Beispiele: 

• 11 Bibliotheken der Fakultät A mit 330.000 Bänden: 0,75 Diplombibliothekars-stellen, 8 Bibliotheken der Fakultät B mit 400.000 Bänden: 5,5 Stellen

• 1 Diplomkraft in Institutsbibliothek A erwirbt und katalogisiert 2.000 Bände/ Jahr, 1 Diplomkraft in Bibliothek B nur 300 Bände

Personaleinsatz insgesamt: 60 bibliothekarische Fachkräfte; viele kleine Institutsbibliotheken verfügen über kein Fachpersonal und behelfen sich mit Hilfskräften, Sekretärinnen und Assistenten. Große Bibliotheken dagegen ausreichend bis gut versorgt. Keinerlei Krankheits- oder Urlaubsvertretungen möglich.

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Vielfalt und Modernisierungsrückstand der Geschäftsgänge

 

• Rein konventionelle Erwerbung ohne EDV-Unterstützung: zahlreiche aufwendige Zettelkarteien

• Bereiche Etatkontrolle, Mahnwesen und Statistik unterentwickelt: nirgendwo systematische Mahnung säumiger Lieferanten; Statistiken über offene Bestellungen, Ausgabenstand, Mehrjahresentwicklung des Erwerbungsvolumens nur mit großem Aufwand möglich; häufig mehrmonatige Liegezeiten

Fortbildung und Schulung der Bibliothekare unterentwickelt

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Unzureichende Abstimmung des Medienangebots

 

Zahlreiche dublette Monographienerwerbungen zwischen Instituten und UB, aber auch unterhalb der Institutsbibliotheken; Grund: teilweise Autarkiestreben (gewollte Dublette), teilweise Mangel an Transparenz wegen fehlendem EDV-Nachweis (ungewollte Dublette)

Dubletten auch im Zeitschriftenbereich; Beispiel: Im Hauptgebäude der Juristischen Fakultät wurden von 661 Zeitschriftenabonnements 22 % dublett oder mehrfach gehalten; die 10 verbreitetsten Titel in 75 Exemplaren

 

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3. Grundsatzbeschluß des Rektorats = neue Verfassung des Heidelberger Bibliothekssystems

 

UG vom 01.02.2000, § 30 (3): Das Bibliothekssystem wird hauptamtlich durch einen Direktor, der zugleich Leiter der Universitätsbibliothek ist, nach einheitlichen bibliotheksfachlichen Grundsätzen geleitet. Der Direktor ist Vorgesetzter aller Mitarbeiter des Bibliothekssystems und übt die fachliche Aufsicht über das Bibliothekssystem aus; dies gilt auch für das Personal in den sonstigen Universitätseinrichtungen, soweit dieses bibliothekarische Dienstaufgaben wahrzunehmen hat oder sonst für die Verwaltung einer bibliothekarischen Einrichtung tätig wird ...

Praxis der Universitätsleitung Heidelberg bis Ende 2002: nur freiwerdende Stellen des Bibliothekssystems sollten der UB zugeordnet werden.

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Ausweg über als Vorbild wirkende Modellprojekte. „Die Einrichtung einer Fakultätsbibliothek Chemie ohne Institutsbibliotheken im Jahr 1968 hat in der

Universität Freiburg überzeugender und nachhaltiger gewirkt als alle danach publizierten Bibliothekspläne und Universitätsgesetze.“ (Wolfgang Kehr)

Als Vorbild wirkte die Bereichsbibliothek Altertumswissenschaften, die nach anderthalbjährigen Verhandlungen aus zunächst drei, später vier Institutsbibliotheken gebildet wurde und am 1.10.2001 den Betrieb aufnahm.

Zum 1.4.2003 erfolgte der Grundsatzbeschluß des Rektorates über die Zusammenführung aller bibliothekarischen Stellen im Stellenplan der Universitätsbibliothek.

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Strategische Ziele:

1. Standardisierung von Geschäftsprozessen2. Intensivierter Austausch von bibliothekarischem Knowhow3. Stärkere Leistungsanreize durch verbesserte Fortbildungs- und

Karrierechancen4. Sukzessive Überwindung des Dualismus Universitätsbibliothek –

dezentrale Bibliotheken zu Gunsten einer neuen Loyalität gegenüber dem Gesamtsystem

5. Höhere Leistungseffizienz und damit Kosteneinsparungen

Maßnahmen:

1. Automatisierung der Erwerbungsgeschäftsgänge, bessere inhalt- liche Abstimmung der Erwerbungen, Vereinheitlichung des Buchbindergeschäfts

2. Flexibilisierung des Personaleinsatzes3. Auflösung kleinerer Bibliotheken und Bildung von Verwaltungsver-

bünden4. Verwaltungsordnung für das Bibliothekssystem

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Standardisierung der Geschäftsprozesse

1. Katalogisierung der Neuerwerbungen in den Institutsbibliotheken seit 1990 im SWB, seitdem gemeinsamer elektronischer Gesamtkatalog

2. seit dem 1.1.2003 tranchenweise Einführung und Verbreitung von SISIS; zur Zeit wird die Verwaltung von 41 Bibliotheken über SISIS abgewickelt.

3. Zusammenfassung und Ausschreibung aller Buchbinderarbeiten

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Vorteile der Erwerbungsautomatisierung:

1. Vermeidung von Doppelarbeiten durch Mehrfachnutzung einmal erfasste Daten (Bestellkatalogisate erfolgen im SWB und werden für die Formalerschließung genutzt)

2. Nutzung von Fremddaten (bibliographische Daten von Bibliotheks- lieferanten und anderen Bibliotheken)

3. Erwerbungsabstimmung zwischen fachverwandten Bibliotheken (Titelanzeige im Gesamtkatalog schon nach Eingabe der Bestellung): Reduzierung ungewollter Dubletten, größere Titelvielfalt

4. professionelle Etatkontrolle

5. vielfältige Statistikfunktionen

6. automatische Mahnroutinen

7. Datenaustausch mit anderen elektronischen Systemen (z.B. Haushaltssystem SAP/R3)

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Flexibilisierung des Personaleinsatzes

1. Sukzessive Beseitigung der erheblichen Ungleichgewichte in der Personalausstattung durch Umsetzungen bzw. nicht vorgenommene Nachbesetzungen

2.  Ausgleich längerer urlaubs- oder krankheitsbedingter Fehlzeiten

3.  Personalaufstockung für befristete Spezialaufgaben

4.  Schulung und Fortbildung: Kontinuierliche Angebote von Workshops (z.B. Verwaltung elektronischer Medien, Benutzerschulung etc.), systematische Qualifizierung im Erwerbungssystem SISIS.

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Auflösung oder Integration kleinerer Bibliotheken, Bildung von Verwaltungsverbünden

Räumliche Dislozierung der Universität verlangt die flexible Kombination dreierAlternativen:

1. Einrichtung von Verwaltungsverbünden: gemeinschaftliche Erwerbung, Erschließung und Bereitstellung von Medien für mehrere Teilstandorte.

• Bereichsbibliothek Altertumswissenschaften (2001)

• Bereichsbibliothek Physik und Astronomie (2003)

• Fakultätsbibliothek Theologie (2004)

• Fakultätsbibliothek Mathematik und Informatik (2004)

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2. Die vollständige Integration fachverwandter Bibliotheken folgt der baulichen Entwicklung der Universität; z.B. Zusammenführung der Institute der Wirtschafts- und Sozialwiss. Fakultät an einem Standort: Bildung eines großen Medienzentrums aus urspr. 3 Institutsbibliotheken.

3. Schließung kleiner Bibliotheken zu Gunsten begrenzter Handapparate und elektronischer Medien. Verhandlungen über die zukünftige Struktur der Klinikversorgung mit bisher noch 30 Bibliotheken angelaufen.

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Die neue Verwaltungsordnung für das Heidelberger Bibliothekssystem

1. Entwicklungsziel funktionaler Einschichtigkeit festgeschrieben (§ 1.3).2. Bildung weiterer Bereichsbibliotheken vorgegeben (§ 9.1).3. Direktor der UB ist Vorgesetzter des gesamten Bibliothekspersonals (§ 3.1).4. Die Leiter der dezentralen Bibliotheken werden vom Direktor der UB bestellt

(§ 4.2).5. Die UB ist Kompetenz- und Steuerungszentrale für alle bibliothekarische

Geschäftsprozesse auf der Basis eines gemeinsamen elektronischen Bibliothekssystems (§ 3.3).

6. Zentrale Serviceeinrichtungen für das Bibliothekssystem (EDV-Clearingstelle, E-Journal-Redaktion, Digitalisierungswerkstatt) sind bei der UB angesiedelt (§ 8).

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7. Die zur Führung der dezentralen Bibliotheken erforderlichen Ressourcen (Räume, Sachmittel etc.) werden, soweit nicht zentral zugewiesen, von den Instituten bereitgestellt. Diese Verpflichtung endet, wenn dem Bibliothekssystem die Mittel unmittelbar zufließen. Beispiel: zentrale Zeitschriftenverwaltung (§ 9.2).

8. Angesichts der Regelungsvielfalt bei den dezentralen Benutzungsordnungen wird eine Rahmenbenutzungsordnung (Zulassung zur Benutzung, Ausleihpraxis, etc.) angestrebt (§ 6.1).

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4. Erfolgsfaktoren

1. engagierte BibliothekarInnen auf der Leitungs- und Durchführungs-ebene

2. eine tat- und entscheidungsfreudige Universitätsleitung

3. im operativen Geschäft: a) intensiver Informationsaustausch mit Institutsleitungen und InstitutsbibliothekarInnen b) rege Unterstützung und Betreuung vor Ort c) tabufreie Vorausinvestitionen in sächlicher und personeller Hinsicht

4. Qualifikations- und Motivationssteigerung der InstitutsbibliothekarInnen

5. Erfolgreich abgeschlossene Projekte führen zu Imagegewinnen in der Universität und damit zu einer Verstetigung der Entwicklung.