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1. Was heißt empirische Sozialforschung? Sozialwissenschaften sind (zunächst) an Theorien interessiert Sozialwissenschaftliche Theorien stützen sich auf empirische Sachverhalte Empirie (Gr.) = Sinneserfahrung Sowi eine Erfahrungswissenschaft

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1. Was heißt empirische Sozialforschung?

Sozialwissenschaften sind (zunächst) an Theorien interessiert

Sozialwissenschaftliche Theorien stützen sich auf empirische

SachverhalteEmpirie (Gr.) =

Sinneserfahrung

Sowi eine Erfahrungswissenschaft

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1. Was heißt empirische Sozialforschung?

„Empirische Sozialforschung ist die systematische Erfassung und Deutung sozialer Tatbestände“ (Atteslander).Systematisches Erfassen: Anwendung methodischer Verfahren (Regeln) zur Erhebung sozialer Daten. Soziale Tatbestände:

Menschliches Verhalten, von Menschen geschaffene Objektivationen, Einstellungen, Meinungen etc. Deutung:

Will man einen Erkenntnisgewinn erzielen (Forschungsziel), müssen die erfassten Daten analysiert und interpretiert werden.

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2. Empirische Sozialforschung für Studierende der Sozialarbeit/-pädagogik?

Ja! Gründe:Das Studium ist praxisorientiert und zugleich wissenschaftlich (Sozialarbeitswissenschaft) … um Befunde empirischer Studien (kritisch) nachvollziehen und bewerten zu können

… um Sinnstrukturen Hilfebedürftiger erkennen und diese Erkenntnisse in der Praxis anwenden zu können:

Wissen über qualitative Erhebungs-/ Auswertungsmethoden erforderlich

,

Daneben sind Kenntnisse über quantitative Methoden wichtig.

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3. Gegenstand: Soziale Arbeit in Praxis und Forschung bzw. Wissenschaft

Grundfragen empirischer Sozialforschung

1. Was soll erfasst werden?: Gegenstandsbestimmung!Sozialarbeitswissenschaft ist:

Empirie bezogenpraxisnahmehrdimensional (Mikro-, Meso-, Makroebene)interdisziplinärinterventionsorientiert

2. Warum soll erfasst werden?: Gegenstandserklärung => Theoriebezug

3. Wo/wer soll erfasst werden? => G-Bereich

4. Wie/womit soll erfasst werden? => G-Bearbeitung (Methoden)

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4. Einige Begriffe des Wissenschaftssystems

Alltagswissen vs. wissenschaftliches Wissen

Arten wissenschaftlicher Theorien:

MetatheorienObjekttheorienGroße TheorienTheorien mittlerer ReichweiteAd-hoc-TheorienNomothetische TheorienIdiographische TheorienDeskriptive TheorienNormative Theorien

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Durch quantitative Methoden werden Mengen, Häufigkeiten und statistische Zusammenhänge der erhobenen Daten ermittelt.

Durch qualitative Methoden werden Sinnstrukturen und Handlungsmuster in ihrer sprachlichen Vermitteltheit und Prozesshaftigkeit erfasst und analysiert.

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Methoden zur systematischen Erfassung und Interpretation sozialer Sachverhalte (qualitativ wie quantitativ):

BefragungenBeobachtungenExperimente Dokumenten-/Textanalyse

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Erkenntnistheoretische GrundannahmenTraditionelle Leitmethodologie quantitativ operierender Forschung ist der „Kritische Rationalismus“ (Popper):Nomothetische Theorien (Gesetzmäßigkeiten) stehen im Zentrum des Erkenntnisprozesses: Alle Schwäne sind weiß (All-Aussage: räumlich-zeitlich unbegrenzt gültig).

Falsifikationsprinzip (Falsifikation=Falschheitsbeweis/Verifikation= Wahrheitsbeweis): Es gibt keine wahren Aussagen, nur bewährte.

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

FalsifikationsprinzipFalsifikationsprinzip:Hypothesen, die falsifiziert wurden, werden ausgesondert, die anderen (zunächst) beibehalten. Auf diese Weise stellen sich Erkenntnisgewinne ein.

Qualitativ operierende Forschung lehnt die Orientierung am naturwissenschaftlichen Wissenschaftsbegriff ab.

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Soziale Phänomene existieren nicht – wie naturwissenschaftliche – außerhalb menschlicher Sinnstrukturen und Handlungen:

=> Allgemeine Gesetzesaussagen (All-Aussagen) gibt es in den Sozialwissenschaften nicht.

Qualitative Forschung zielt auf die soziale Wirklichkeit, so wie sie die Menschen sehen und konstruieren (=> gesellschaftliche Konstruktion der Realität).

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Einerseits eignen sich die Menschen bestimmte Handlungsroutinen und Deutungen, die sie vorfinden, an.

Andererseits interpretieren sie diese immer wieder neu und entwickeln neue Routinen.

Besonderheit der Sozialwissenschaften: Daten beruhen auf Deutungen von

Menschen (Interpretationen 1. Grades). Diese müssen vom Sozialforscher

rekonstruiert und verstanden werden (Interpretationen 2. Grades).

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Grundzüge qualitat./quantitat. Verfahren

Quantitative Verfahren: Hypothesen werden mittelsMessvariablen überprüft und gegebenenfalls falsifiziert.

Qualitative Verfahren: zielen auf die „Entdeckung“ von Theorieaussagen (Rekonstruktionsmethoden).

Quantitative Forschung fragt nach statistischen Zusammenhängen (im Rahmen meist großer Datensätze).

Qualitative Forschung hat dagegen den einzelnen Fall als analytischen Bezugspunkt.

Charakteristisch für quantitative Verfahren ist das statistische Sample, für qualitative das theoretische.

Quantitative Verfahren sind geschlossen und starr. In der qualitativen Sozialforschung gelten dagegen die Prinzipien Offenheit und Flexibilität.

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Grundzüge qualitat./quantitat. Verfahren

Quantitative Verfahren gehen den deduktiven Weg, qualitative den induktiven bzw. den abduktiven Weg der Erkenntnisgewinnung.

Deduktion:Die Deduktion (Ableitung) ist eine logische Form des Schließens => vom Allgemeinen zum Besonderen. Hypothese (allg. Regel): Einbrecher, die auch den Medizinschrank leer plündern sind drogenabhängig.

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Grundzüge qualitat./quantitat. Verfahren

Deduktion:Beobachtung: Herr X hat eingebrochen und den Medizin-schrank geplündert.Interpretation: Ist Herr X nicht drogenabhängig, ist die allgemeine Aussage (These) falsifiziert. Deduktionen übertragen insofern Wahrheit:die allgemeine Aussage hat Gültigkeit bis sie am FalsifikationsprinzipFalsifikationsprinzip scheitert.

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Induktion:Die Induktion schießt vom Besondern auf das Allgemeine. Aus Einzelfällen wird eine allgemeine Aussage (Hypothese) entwickelt. Beobachtung:Bei drei Einbrüchen ist auch der Medizinschrank leer geplündert worden.

Deutung:Die Spuren weisen auf die gesuchten drogen-abhängigen Einbrecher X, Y (Typen aus der Kartei) hin. Hypothese: Einbrecher, die auch den Medizinschrank plün-dern sind drogenabhängig.

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Induktion:Die Interpretation der Daten (Spuren) führt dazu, dass sie mit bestimmten vorhanden und bekannten Typen/Kategorien in Verbindung gebracht werden; dies ist charakteristisch für die Induktion. Die Übertragung existierender Typen/Kategorien auf Beobachtungssbefunde führt genau genom-men nicht zu wirklich Neuem.

Die Induktion führt nicht zu wahren, sondern lediglich zu wahrscheinlichen Aussagen.

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Abduktion:Typen bzw. Kategorien, mit denen eine Beobachtung in Verbindung gebracht werden könnte, sind nicht bekannt bzw. nicht vorhanden.

Es muss die Kategorie erst er- bzw. gefunden werden, um ihr

Daten zuzuordnen. Beobachtung:Bei drei Einbrüchen ist auch der Medizinschrank leer geplündert worden.

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Abduktion:Deutung:Spuren weisen nicht auf Drogenabhängige hin, sondern unverständlicherweise auf Sozial-arbeiter des örtlichen Migrationsdienstes. Hypothese: Die Unbekannten U und Z haben eingebrochen (Typen- bzw. Kategorienbildung):

Anzunehmen ist: Sozialarbeiter, die auch den Medizinschrank leer

plündern, organisieren Medikamente für Dritte, z. B. für illegale Ausländer.

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Abduktion:=> Schluss von der Beobachtung auf Typ und allgemeine Aussage bzw. Regel zugleich.

„Mit der Abduktion arbeiten ForscherInnen Neues heraus, insofern sie eine ganz neue Kategorie kreieren müssen, um ihre Daten erklären zu können. Dies ist notwendig, falls keine bisherige Theorie den empirischen Sachverhalt beschreibt und erklärt“ (Brüse-meister: 32).

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Positionen zum Verhältnis quantitativer und qualitativer Forschung

Die Verfahren sind gegensätzlich (Lagerdenken)

Die Verfahren ergänzen sich gegenseitig

Die Verfahren können die Methoden wechsel-seitig nutzen

Qualitative und quantitative Verfahren sind in-einander eingebettet

Die Anwendung qualitativer Methoden geht der Anwendung quantitativer voraus

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Gütekriterien

Kann von Reproduzierbarkeit der Ergebnisse gesprochen werden (=> Objektivität)?

Sind die Ergebnisse verallgemeinerbar (=> Repräsentativität und Generalisierbarkeit)?

Wurde wirklich das erfasst, was erfasst werden sollte (=> Validität = Gültigkeit)?

Habe ich den Gegenstand durch die Art des empirischen Vorgehens exakt erfasst (=> Reliabilität = Zuverlässigkeit)?

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Gütekriterien

Objektivität:In quantitativer Forschung bedeutet Objektivität: Reproduzierbarkeit der Ergebnisse unabhängig vom Forscher und vom spezifischen Forschungskontext.

In qualitativer Sozialforschung bedeutet Objektivität: Die Authentizität der kommunikativ strukturieren Lebenspraxis bleibt weitgehend unangetastet.

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Gütekriterien

Repräsentativität:Unter quantitativen Aspekten heißt dies: Übereinstimmung von (statischen) Merkmalen zwischen einer Teilgruppe (Stichprobe) mit denen der Gesamtgruppe (Grundgesamtheit).

Unter qualitativen Gesichtspunkten interessiert nicht die Repräsentativität im statistischen, sondern im exemplarischen Sinne. Es geht um Generalisierung durch Typenbildung (induktiv oder abduktiv).

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Gütekriterien

Validität (Gültigkeit):Die Validität soll einschätzen, ob auch wirklich das erfasst wurde, was erfasst werden sollte (=> Frage nach der Ergebnisgüte). In quantitativer Forschung geht es dabei vor allem um die ‚richtige’ Operationalisierung, d. h. der sprachlichen Überführung von theoretischen in konkrete, messbare Begriffe (=> Bildung von Indikatoren).

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Gütekriterien

Validität (Gültigkeit):In der qualitativen Forschung bezieht sich die Frage nach der Gültigkeit vor allem auf die ‚richtige’ Deutung der Daten durch die/den Forscher.

Wie kann das gewährleistet werden? Argumentative ValidierungKommunikative Validierung Triangulation

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Gütekriterien

Reliabilität (Zuverlässigkeit):In quantitativer Forschung bedeutet Zu-verlässigkeit: Grad der Genauigkeit mit der ein Gegenstand erfasst bzw. gemessen wurde (eine Wiederholungsuntersuchung kommt zu gleichen Resultaten).

Zuverlässigkeit in der qualitativen Forschung bedeutet, dass die Interpretation konsistent, d.h. in sich stimmig ist.

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5. Qualitative und/oder quantitative Sozialforschung

Zusammenfassung: Qualitativ vs. Quantitativ

Rekonstruktionsverfahren Messung sozialer Sachverhalte

(Einzel-)Fallstudien Analyse größerer Datensätze

Theoretisches Sample Statistisches Sample

Offenheit und Flexibilität Geschlossen und starr

Kommunikativ Neutral

Induktiv/Abduktiv Deduktiv

Objektivität: Authentizität Objektivität: Reproduzierbarkeit

Verallgemeinerung: exemplarisch durch Typenbildung

Verallgemeinerung:statistische Repräsentativität

Validität: ‚richtige’ Deutung (? !) ‚richtige’ Operationalisierung (? !)

Reliabilität: Stimmigkeit der Deutung

Reliabilität: Grad der Genauigkeit des Messens

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Émile Durkheims Studie: „Der Selbstmord“Diese klassische quantitative Studie (1897) ist die erste umfassende sozialwissenschaftliche Untersuchung der Suizidforschung.

Der Forschungsprozess

=> Problemdefinition: Wahl eines Untersuchungsgegenstands

und Begriffsbildung: Was heißt Selbstmord?

„Man nennt Selbstmord jeden Todesfall, der direkt oder indirekt auf eine Handlung oder Unterlassung

zurückzuführen ist, die vom Opfer selbst begangen wurde, wobei es das Ergebnis seines Verhaltens im Voraus kannte. Der Selbstmordversuch fällt unter dieselbe Definition, bricht die Handlung aber ab, ehe der Tod eintritt“ (Durkheim 1973: 27).

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Émile Durkheims Studie: „Der Selbstmord“

=> Problemdefinition: Untersuchungsvariable ist die Selbstmordrate

bzw. -ziffer. D. ging davon aus, dass die Selbstmordrate von anderen

Variablen abhängt.

Fragestellung:

Durkheims Hauptinteresse galt nicht der Frage, was der Selbstmord für Menschen bedeutet oder was die betroffenen Familien empfinden.

Ihm ging es darum, die sozialen Variationsmuster in den Selbstmordraten soziologisch zu erklären.

Warum sind die Suizidraten zu gewissen Zeiten, an gewissen Orten und in gewissen Gruppen

verschieden hoch?

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Émile Durkheims Studie: „Der Selbstmord“

=> Literaturrecherche:

=> Hypothesenbildung:„Je besser die Menschen in soziale

Gruppen integriert sind, desto unwahrscheinlicher ist es,

dass sie Selbstmord begehen“ (ebd.).

Variablen: Integrationsgrad einer sozialen Gruppe

bzw. Grad der Entfremdung

Suizidrate (abhängige Variable)

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Émile Durkheims Studie: „Der Selbstmord“

=> Wahl eines Untersuchungsplans und

Datenerhebung: Festlegung der Untersuchungsmethode (Umfrage, Experiment, Auswertung von Statistiken/ Dokumenten etc.)Sammeln von Informationen zur Überprüfung der Hypothese

D. stütze sich auf amtliche Dokumente, Aufzeichnungen von Todesursachen durch Dritte

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Émile Durkheims Studie: „Der Selbstmord“

=> Wahl eines Untersuchungsplans und

Datenerhebung: Während so für die Variable „Suizid“ Material

vorlag, musste D. für die Variable „Integrationsgrad einer sozialen

Gruppe“ bzw. „Grad der Entfremdung“ eine Messgröße als ‚Ersatz’ finden

(=> Indikatorenbildung - Operationalisierung)

Als Indikator für soziale Integration wählte er: Familienstand u. KirchenmitgliedschaftFamilienstand u. Kirchenmitgliedschaft

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Émile Durkheims Studie: „Der Selbstmord“

=> Datenanalyse: D. suchte nach sozialen Konstellationen,

unter denen Suizid häufiger bzw. weniger häufig vorkam.

Ergebnisse:„Protestanten, so fand er, begingen dreimal so oft Selbstmord wie Katholiken, und diese wiederum

öfter als Juden, Alleinlebende öfter als Verheiratete, und Verheiratete mit Kindern am seltensten von allen“ (Joas 2001: 46). Demnach sind die Selbstmordraten dann ver-gleichsweise höher, wenn die Menschen nur

geringe oder sehr schwache Bindungen an eine soziale Gruppe haben.

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Émile Durkheims Studie: „Der Selbstmord“

=> Datenanalyse: Selbstmordarten:=> Egoistischer Selbstmord

… durch Herauslösung des Einzelnen aus gesellschaftlichen

Zusammenhängen („übermäßige Individuation“)

=> Altruistischer Selbstmord „Wenn der Mensch aus der Gesellschaft

herausgelöst wird, begeht er leicht Selbstmord. Das tut er auch, wenn er zu sehr in sie verstrickt ist“

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Émile Durkheims Studie: „Der Selbstmord“

=> Datenanalyse: Selbstmordarten:

=> Anomischer Selbstmord (Anomie: „Zustand gestörter Ordnung“

Regellosigkeit, Orientierungslosigkeit)

Jede rasche soziale Veränderung „zerbricht oder untergräbt oft die sozialen und kulturellen Normen, die dem Leben einen Sinn geben, den Individuen ein starkes Identitätsgefühl und geeignete Ziele

vermitteln und ihren Bestrebungen Grenzen setzten. Ein solcher Norm- und Sinnverlust

führt, so Durkheim, zum anomischen Selbstmord“.

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

=> Datenanalyse: Selbstmordarten:

=> Fatalistischer Selbstmord Es gibt einen Selbstmordtyp, „der dem

anomischen S. genauso entgegengesetzt ist wie der egoistische dem altrutistischen. Nämlich der, welcher aus einem Übermaß von Reglementierung erwächst“

=> Schlussfolgerungen:

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse, Bewertung ihre Relevanz, Hinweise auf

Probleme für die künftige Forschung Durkheims Hypothese, wonach die

Selbstmordraten steigen, wenn die sozialen Bande geschwächt sind, und dass sie sinken, wenn diese gestärkt sind, wurde durch seine Ergebnisse bestätigt.

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

M. Geiger/E. Steinert: „Alleinstehende Frauen ohne Wohnung“ (eine qualitative Studie)

=> GegenstandsbestimmungFrage nach dem Entstehungszusammenhang der Untersuchung:Formulierung des Untersuchungsgegenstands Förderungsmöglichkeiten und -mittel klären

Sozialarbeitswissenschaftlicher Gegenstand der Studie: „Das Problem der Wohnungslosigkeit soll in seinen Hintergründen und dem Umgang sowohl der Betroffenen als auch des Hilfesystems damit beschrieben und erklärt werden“

Primär richtet sich das Erkenntnisinteresse auf die Bewältigungsstrategien der Betroffenen im

Umgang mit Wohnungslosigkeit. Die Realität wohnungsloser Frauen sollte alltagsnah rekonstruiert werden.

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

M. Geiger/E. Steinert: „Alleinstehende Frauen ohne Wohnung“ (eine qualitative Studie)

=> ForschungsdesignBestimmung der Erhebungs- evtl. auch der Auswertungsmethode, der Untersuchungsgruppe, Erstellung eines Zeitplans

Erhebungen in vier Großstädten und zwei ländlichen Regionen (Kontraste)

Teilstrukturierte (Leitfaden-)Interviews mit Experten desHilfesystems

Qualitative (narrative) Interviews mit betroffenen Frauen

Teilnehmende Beobachtung an einschlägigen Aufenthaltsorten

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

M. Geiger/E. Steinert: „Alleinstehende Frauen ohne Wohnung“ (eine qualitative Studie)

=> ForschungsdesignUntersuchungsgruppe:

Wohnungslose Frauen in der Straßenszene

Frauen in Wohnheimen und betreuten Einrichtungen

Frauen, die in unsicheren Wohn-verhältnissen (z. B. unter

befristeten Mietbedingungen) leben

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

M. Geiger/E. Steinert: „Alleinstehende Frauen ohne Wohnung“ (eine qualitative Studie)

=> ErhebungsphaseZunächst: schwieriger Feldeinstieg

=> Schneeballsystem)

Kontakte zu Wohnungslosen über Mitarbeiter von sozialen Einrichtungen

und Streetworkern auch Polizei als Informationslieferant unmittelbare Kontaktaufnahme an

einschlägigen Aufenthaltsorten (Szenetreffpunkte)

(Weiter-)Vermittlung durch wohnungslose (bereits befragte) Frauen zu denen ein guter Kontakt aufgebaut werden konnte

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

M. Geiger/E. Steinert: „Alleinstehende Frauen ohne Wohnung“ (eine qualitative Studie)

=> AuswertungsphaseAufbereitung und Analyse (Interpretation) der transkribierten Daten, Beantwortung der

Forschungs-fragen Zentrale Frage nach der Orientierung und den Bewältigungsstrategien wurde mittels

typologischer Analyse zu beantworten gesucht:

Aus den Interviewtexten werden typische sozialeOrientierungsweisen und Bewältigungsstrategienerschlossen.

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

M. Geiger/E. Steinert: „Alleinstehende Frauen ohne Wohnung“ (eine qualitative Studie)

=> AuswertungsphaseGrundtypen wohnungsloser Frauen:

Die NormalitätsorientierteFrauen diesen Typs schätzen sich selbst als (noch) handlungsfähig ein; sie wollen so bald wie möglich wieder normalisierte Verhältnisse (=> leben, wohnen, arbeiten) erreichen.

Die Bewältigungsstrategie betreffend, reagieren diese Frauen „mit einer Strategie der aktiven Veränderung ihrer Lebensbedingungen auf die eingetretene Notlage“ (ebd., S.140). Sie planen einzelne Schritte, um wieder vom Hilfesystem unabhängig zu werden.

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

M. Geiger/E. Steinert: „Alleinstehende Frauen ohne Wohnung“ (eine qualitative Studie)

=> AuswertungsphaseGrundtypen wohnungsloser Frauen:

Die Institutionenorientierte Dieser Typus von Frauen hat sich mit dem Hilfesystem arrangiert. Sie schreiben sich selbst nicht mehr die Kompetenz und Kraft zu, aus der Wohnungslosigkeit herauszukommen.

Unter Bewältigungsaspekten haben sie sich an ein Leben ohne eigene Wohnung angepasst. Das

Leben erscheint ihnen so einfacher, genauer: ohne den beschützenden Rahmen einer sozialen Institution sehen sich verloren.

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M. Geiger/E. Steinert: „Alleinstehende Frauen ohne Wohnung“ (eine qualitative Studie)

=> AuswertungsphaseGrundtypen wohnungsloser Frauen:

Die Alternativorientierte Dieser Typ ist das Pendant zum Normalitätsorientierten. Für Alternativorientierte sind bürgerliche Werte, wie Erwerbstätigkeit oder ein fester Wohnsitz, nur von untergeordneter Bedeutung.

Sie bewältigen ihre Situation durch eine soziale Umorientierung. Für sie ist das Hilfesystem keine relevante soziale Ressource, da für sie das Leben im Straßenmilieu eine erfolgreiche alternative Strategie darstellt, mit der Wohnungslosigkeit umgehen zu

können.

„Das Hilfesystem sollte deswegen die Milieubindung akzeptieren und zum Ausgangspunkt der sozialen Arbeit machen“

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

M. Geiger/E. Steinert: „Alleinstehende Frauen ohne Wohnung“ (eine qualitative Studie)

=> Geltungsbegründung und Erkenntnistransfer

Objektivität: Der Forschungsprozess ist transparent nachvollziehbar. Die Daten wurden gegenstandsnah bzw.

lebenspraxisnah erhoben (=> Authentizität)

Generalisierbarkeit:Die Typologie (beruhend auf 48 qualitativen Interviews) kann über die befragten Frauen hinaus verallgemeinert werden. Sie kann für die alten Bundesländer gelten; „ob sie allerdings auch für wohnungslose Frauen in den

neuen Bundesländern zutrifft, muss offen (…) bleiben.“

Validität:Vorgenommen wurde sowohl eine kommunikative als

auch eine argumentative (=> Tagungen, Fachausschüsse, Arbeitskreise) V.„Für die Validität spricht, dass die Typologie

überwiegend positiv aufgenommen wurde“.

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Marie Johada/Paul F. Lazarsfeld/Hans Zeisel: „Die Arbeitslosen von Marienthal“

Diese erste empirische Untersuchung über psycho-soziale Auswirkungen bei von Arbeitslosigkeit Betroffenen kombiniert qualitative und quantitative Methoden. Damals wurde allerdings noch nicht so wie heute explizit zwischen qualitativen und quantitativen Verfahren unterschieden.

Marienthal ist ein niederösterreichischer Ort. Die Be-wohner lebten fast ausschließlich von der im Ort an-sässigen Textilfabrik, die 1930 Massenentlassungen vornahm und bald darauf ganz geschlossen wurde. Die Arbeitslosigkeit beherrschte das gesamte lokale Leben.

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Marie Johada/Paul F. Lazarsfeld/Hans Zeisel: „Die Arbeitslosen von Marienthal“

Ziel der Untersuchung

„Was war die erste Reaktion auf die Arbeitslosigkeit?

Was hat der einzelne getan, um Arbeit zu finden?

Typen und Phasen des Verhaltens?

Wirkung auf den physischen Zustand der Bevölkerung?

Wirkungen auf die Schulleistungen der Kinder?

Haben sich allgemeine Interessenverschiebungen gezeigt?

Welche Veränderungen hat die Zeitbewertung durchgemacht?

Veränderungen innerhalb der Familie?“

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Marie Johada/Paul F. Lazarsfeld/Hans Zeisel: „Die Arbeitslosen von Marienthal“

Erhebungsverfahren

Die Arbeit der Sozialforscher begann nicht mit einer (Vorab-)Theorie/Hypothese, sondern mit einer Liste offener Fragen (siehe oben). Klassische qualitative Studie

Erhebungen wurden am Ort des Geschehens teilnehmend erhoben.

Um das Vertrauen der Bevölkerung zu ge-winnen, sollte jeder Mitarbeiter eine kon-struktive Funktion im Ort übernehmen =>

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Marie Johada/Paul F. Lazarsfeld/Hans Zeisel: „Die Arbeitslosen von Marienthal“

„Wir brachten eine Kleidersammlung von

Wien mit; (…) ein Schnittzeichenkurs wurde eingerichtet;

die vier Ärzte unter den Mitarbeitern hielten regelmäßige Sprechstunden und verteilten Medikamente;

ein Turnkurs für Jugendliche wurde arrangiert“

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Marie Johada/Paul F. Lazarsfeld/Hans Zeisel: „Die Arbeitslosen von Marienthal“

Erhebungen vor Ort bezogen sich auf eine Vielzahl quantitativer und qualitativer Quellen:

Katasterblätter mit Daten pro Einwohner Ausführliche Lebensgeschichten von 62

Frauen und MännernZeitverwendungsbögen, die Auskunft

geben über den Ablauf eines TagesSchulaufsätzeInventare der MahlzeitenStatistische Daten: Geschäftsbücher des Konsumvereins, Bibliotheksstatistiken,

Vereinsmitgliedschaften, Bevölkerungsstatistik

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Marie Johada/Paul F. Lazarsfeld/Hans Zeisel: „Die Arbeitslosen von Marienthal“

Auswertung des Datenmaterials und Ergebnisse der Studiedie öffentlichen Anlagen verwilderten der örtliche Kindergarten musste geschlossen werdenöffentliche Veranstaltungen fanden nur noch selten stattdie Ausleihrate in der Arbeiterbibliothek sank um fast die

Hälfte (trotz Gebührenfreiheit)die Mitgliederzahlen in den (politischen) Vereinen sankenErosion des Zeitbewusstseins und der Zukunftsperspektive:

die Veränderung der Zeiterfahrung und -verwendung => betrifft vor allem die Männer: Messungen der Gehgeschwindigkeit auf der Dorfstraße ergaben, dass die Männer sich im Vergleich zu den Frauen langsamer fortbewegten und häufiger stehen blieben.

Da wo die Arbeit ihre sinn- und (zeit-)strukturierende Kraft einbüßt, werden die Tage inhaltsleer und orientierungslos.

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Marie Johada/Paul F. Lazarsfeld/Hans Zeisel: „Die Arbeitslosen von Marienthal“

Auswertung des Datenmaterials und Ergebnisse der Studie:=> Haltungstypen:Die Ungebrochenen (16%)Haltungskriterien: „Aufrechterhaltung des Haushalts, Pflege der Kinder, subjektives Wohlbefinden, Aktivität, Pläne und Hoffnungen für die Zukunft,aufrechterhaltene Lebenslust, immer wieder Versuche zur

Arbeitsbeschaffung“

Die Resignierten (48%)Haltungskriterien: „keine Pläne, keine Beziehung zur Zu-kunft, keine Hoffnungen, max. Einschränkung aller Bedürfnisse, die über die Haushaltungsführung hinaus gehen, dabei aber die Aufrechterhaltung d. Haushaltes, Pflege der Kinder und bei allem ein Gefühl relativen Wohlbefindens“

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Marie Johada/Paul F. Lazarsfeld/Hans Zeisel: „Die Arbeitslosen von Marienthal“

Auswertung des Datenmaterials und Ergebnisse der Studie:=> Haltungstypen:

Die Verzweifelten (11%)Haltungskriterien: „Wie die Ungebrochenen

und die Resignierten halten auch sie in ihrem Haushalt noch Ordnung, pflegen auch sie ihre Kinder. (…) Es kommen aber noch hinzu: Verzweifelung, Depression, Hoffnungslosigkeit, das Gefühl der Vergeblichkeit aller Bemühungen

und daher keine Arbeitsuche mehr, keine Ver- suche zur Verbesserung sowie häufig wieder- kehrende Vergleiche mit der besseren Ver- gangenheit“

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Marie Johada/Paul F. Lazarsfeld/Hans Zeisel: „Die Arbeitslosen von Marienthal“

Die Apathischen (25%)

Haltungskriterien: Energieloses, tatenloses Zusehen, man läst den Dingen ihren Lauf. „Wohnung und Kinder sind

unsauber und ungepflegt, die Stimmung ist nicht verzweifelt, sondern indolent. Es werden keine Pläne gemacht, es besteht keine Hoffnung; die Wirtschafts- führung ist nicht mehr auf die Befriedigung der wichtigsten Bedürfnisse gerichtet, sondern unrationell.

In dieser Gruppe finden wir die Trinker des Ortes. Die Familie zeigt Verfallserscheinungen, es gibt viel Streit; Betteln und Stehlen sind häufig Begleiterscheinungen. Nicht nur für die weitere Zukunft, schon für die nächsten Tage und Stunden herrscht völlige Planlosigkeit. Das Unterstützungsgeld wird schon in den ersten Tagen verbraucht, ohne dass bedacht würde, was in der übrigen Zeit geschehen soll.“

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6. Beispiele quantitativer und/oder qualitativer Sozialforschung

Marie Johada/Paul F. Lazarsfeld/Hans Zeisel: „Die Arbeitslosen von Marienthal“

=> Annahme: Die Hierarchie der Haltungstypen korrespondiert mit dem durchschnittlichen - den Familien in unter-schiedlicher Weise zur Verfügung stehenden -

Einkommen (=> ökonomischer Determinismus).Nachträgliche Relativierung:„… aus den Lebensgeschichten aber ging

hervor, dass die Haltung psychologisch bestimmt war und schon vor der Arbeitslosigkeit in unterschiedlichen Lebensstilen zum Ausdruck kam.

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7. Relevante Ansätze qualitativer Sozialforschung

(1) Biographieforschung „Die Biographieforschung eröffnet den

Sozialwissenschaften einen Zugang zur sozialen Wirklichkeit, bei dem die

Individualität des Akteurs berücksichtigt bleibt und diese Individualität sozial verursacht und strukturiert gedacht wird“

Gesellschaftliche Sachverhalte erschlossen über subjektive Sinn- und Bedeutungs-

zusammenhänge

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7. Relevante Ansätze qualitativer Sozialforschung (1) Biographieforschung

Empirischer Bezug: erzählte Lebensgeschichten von Menschen

=> Autobiographien, Tagebücher, Memoiren, Zeugenaussagen,

biographische Interviews

Lebens(ver-)lauf – BiographieLebens(ver-)lauf dokumentiert die Abfolge

der tatsächlichen Lebensereignisse. Er kann in einer Gesellschaft sozial institutionalisiert sein (z .B. der sog. Normallebenslauf)

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7. Relevante Ansätze qualitativer Sozialforschung (1) Biographieforschung

Die Biographie ist demgegenüber die Deutung des Lebens(ver-)laufs: mit der Biographie

thematisiert das Individuum sein Leben (bzw. Ausschnitte des Selben).

=> selektive Vergegenwärtigungen

Die Biographie (= Lebensgeschichte) ist also eine soziale Konstruktion mit der das Subjekt die

Fülle von Erfahrungen und Lebensereignissen in einen Sinnzusammenhang bringt.

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7. Relevante Ansätze qualitativer Sozialforschung (1) Biographieforschung

Es geht in der Biographieforschung um zweierlei:

Studium individueller Lebensgeschichten und Rekonstruktion von Regelmäßigkeiten in den

Biographien. => Merke: Gegenstand der Biographieforschung ist

nicht das Individuum, sondern das soziale Konstrukt ‚Lebensgeschichte’

Zugang zu gesellschaftlichen Sachverhalten über individuelle Lebensgeschichten.

=> Die subjektive Lebensgeschichte (=> Autonomie des Subjekts) ist stets eingebettet in einen sie

prägenden sozialen Kontext (=> soziale Eingebundenheit

des Subjekts)

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7. Relevante Ansätze qualitativer Sozialforschung (1) Biographieforschung

Interpretationsarbeit bezieht sich auf die genannten 2 Aspekte:

Adäquate Beschreibung der Biographie (Längsschnittperspektive) undIdentifikation sozialer Einflussgrößen,

die die Biographie strukturieren (Querschnittperspektive)

Nachdem der EinzelfallEinzelfall mit diesen beiden Schritten aufgearbeitet wurde, „gilt es die Einzelfallbefunde verschiedener case-studiesverschiedener case-studies zusammenzuführen.

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7. Relevante Ansätze qualitativer Sozialforschung (1) Biographieforschung

Vom Besonderen (Einzelfall) zum Allgemeinen

Die Verallgemeinerung erfolgt zumeist durch Typenbildung (=> Induktion/Abduktion) Das Typische kann abhängig sein von der sozialen

Schicht, von der Generation, in der ein Mensch aufwächst, von weltgeschichtlichen Ereignissen, zum Beispiel ein Weltkrieg oder der Wieder- vereinigung, die in die jeweilige Biographie fallen, (…) von der beruflichen Karriere etc.

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7. Relevante Ansätze qualitativer Sozialforschung

Ziele und Aspekte der BiographieforschungProzesshaftigkeit des Lebens wird zugänglich

Zugang zu unterschiedlichen Kulturen, Lebens- und Realitätsauffassungen

Grundlegender Einblick in subjektive Orientierungen und Bewältigungsformen von (unterschiedlichen)

Menschen Mit der Biographieforschung können Institutionen aus der

Innenperspektive beschrieben werdenMit der Biographieforschung können Tiefenstrukturen

rekonstruiert werden, die den Individuen nicht bewusst sind

Die Biographieforschung ist für Fragen nach formalen Strukturen des biographischen Erzählens zentral

Biographieforschung erfüllt in hohem Masse das Kriterium der Authentizität und Kommunikativität qualitativer Forschung

Biographieforschung ‚passt’ in die heutige Zeit: Tendenz zur Individualisierung und Biographisierung

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7. Relevante Ansätze qualitativer Sozialforschung

(2) Praxisforschung Als praxisorientierter Ansatz der Sozialarbeitsforschung

verbindet die Praxisforschung Theorie und Praxis.

Handlungsforschung

… knüpft an konkrete soziale Probleme an (z. B. Verbesserung der Lebensbedingungen von Personen in Altenpflegeheimen; Humanisierung der Arbeitsbedingungen in einem Walzwerk etc.).

(Teil-)Ergebnisse werden während des Forschungsprozesses in die Praxis umgesetzt. Handlungsforschung ist interventionsorientiert

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7. Relevante Ansätze qualitativer Sozialforschung (2) Praxisforschung

Mit ihren unterschiedlichen Rollen und Aufgaben begeben sich Praktiker und Forscher in einen gleichberechtigten gleichberechtigten

DiskursDiskurs und entwickeln gemeinsame Handlungsstrategien (z. B. in Arbeitsgruppen, die das Projekt begleiten).

Prozessphasen:

Informationsgewinnung/Bestandsaufnahme

Diskurs und Reflexion im Dialog mit den Beteiligten

Handlungsorientierung und Zielbestimmung

Umsetzung, der vereinbarten Handlungsschritte (Implementierungsphase)

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7. Relevante Ansätze qualitativer Sozialforschung

(2) Praxisforschung Handlungsforschung muss insbesondere

folgende Kriterien erfüllen: Der Forschungsprozess muss für alle Beteiligten nachvollziehbar sein; Ziele und Methoden des

Forschungsprojekts werden offen gelegt (=> Transparenzkriterium).

Anwendungsgebiete: Immer wenn an konkreten Praxisproblemen

angesetzt wird, um Veränderungsmöglichkeiten zu erarbeiten, ist Handlungsforschung einsetzbar.

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7. Relevante Ansätze qualitativer Sozialforschung

(2) Praxisforschung Evaluationsforschung

Evaluieren heißt ganz allgemein auswerten, bewerten und damit zugleich auch empfehlen, beraten und bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Dies geschieht auf der Grundlage von Informationen, die mit den Methoden der empirischen Sozialforschung gesammelt und interpretiert werden. Der Evaluationsforschung geht es primär um die

Überprüfung der Wirksamkeit und um die Beurteilung eines Praxisprojekts oder einer praktischen Maßnahme.

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7. Relevante Ansätze qualitativer Sozialforschung

(2) Praxisforschung Evaluationsforschung hat somit folgende

Aufgaben:Wirksamkeits- und Effizienzüberprüfung (=> Beurteilungsaspekt: => Qualitätssicherung)Veränderungen anregen (gesellschaftlich oder

organisationsintern) (=> Übertragbarkeits- bzw. Transferaspekt)

Man unterscheidet:

Fremdevaluation (externe E.):Experten von außen führen die BegutachtungSelbstevaluation (interner E.):Organisationsmitglieder führen selbst die Evaluation durch

Mischformen von interner und externer Evaluation

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8. Das qualitative Interview Was kennzeichnet das qualitative Interview?

persönliche, mündliche Befragung (face to face Situation)nicht standardisiert, gegebenenfalls wohl aber Leitfaden gestütztausschließlich offene Fragen bzw. Impulse zur Darstellung

der persönlichen Sichtweise gegebenProzesscharakter (=> Ermittlung von

Sinnzusammenhängen)alltagsgesprächsnah entscheidend sind die Relevanzen des BefragtenI. reagiert variabel auf die Bedürfnisse des Befragtenentspannte, vertrauliche Interviewatmosphäre ist wichtig nur geringe Fallzahlen normalerweise aufgezeichnet (Tonband oder Video) und

anschließend (teil-)transkribiertes dauert zumeist länger als ein quantitatives Interviews

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8. Das qualitative Interview Varianten des qualitativen

InterviewsRelevante Formen des qualitativen Interviews: das narrativenarrative, das problemzentrierteproblemzentrierte und das fokussiertefokussierte Interview. Die Interviewsituation kann gar nicht, sehr wenig oder teilweise (durch die Verwendung eines Gesprächsleitfadens) vorab strukturiert sein. => Ein Leitfaden legt aber die Abfolge der

Fragen nicht fest. Er dient lediglich als Erinnerungsstütze (noch) anzusprech- ender Themen.

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8. Das qualitative Interview

Das narrative Interview

… ist das am Wenigsten vorab strukturierte.Der Interviewpartner wird zum Erzählen seiner Lebensgeschichte oder von Teilaspekten der- selben (z. B. seiner Berufsbiographie) gebeten (=> Stegreiferzählung).Rolle des Interviewers: aktiver Zuhörer(=> erzählgenerative Anfangsfrage).

Zugzwänge der StegreiferzählungZugzwänge der StegreiferzählungEine Stegreiferzählung entwickelt eine Eigendynamik

Zugzwänge des Erzählens:

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8. Das qualitative Interview

Zugzwänge der StegreiferzählungZugzwänge der Stegreiferzählung::GestaltschließungszwangDetaillierungszwangKondensierungszwang=> Eine vergangene Erfahrung wird

(re-) konstruiert und in einen Sinn- zusammen hang gebracht

DarstellungsformenDarstellungsformen::Argumentationen BeschreibungenErzählungen (dominante Form)

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8. Das qualitative Interview

Phasen des narrativen InterviewsPhasen des narrativen Interviews::AnwerbungsphaseSuche nach einem Interviewpartner

EinstiegsphaseDer Interviewpartner wird gebeten, mit der Erzählung zu beginnen

Phase der HaupterzählungIn dieser Phase sollte der Interviewer sich in die Geschichte hinein hören (Perspektive des Erzählers verstehen) und das Verstehen durch Zeichen (…) signalisieren („hm“)

NachfragephaseRückgriff an Punkte der Haupterzählung

BilanzierungsphaseErklärungen und Gründe für das erlebte Geschehen

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8. Das qualitative Interview

AnwendungAnwendung::

vor allem im Rahmen der Biographieforschung

wenn Verarbeitungsmuster von Statuspassagen (z. B. der Übergänge von Schule zu Beruf, Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen, Übergang vom Arbeitnehmer zum Arbeitslosen, etc.) analysiert werden sollen

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8. Das qualitative Interview

Das problemzentrierte Interview

… ist auf eine bestimmte Problemstellung hin ausgerichtet (z. B. Auswirkungen von Migrationsentscheidungen auf die soziale Stellung der Migranten/innen im Aufnahmeland.Das Problem ist dem Forscher nicht ganz unbe-kannt (=> Literaturstudium). Die bekannten Aspekte (wie z.B. Statusverlust, Orientierungsschwierigkeit, Arbeitsmarktteilhabe etc.) werden in einen Leitfaden aufgenommen. => Das problemzentrierte I. ist damit Leitfaden Leitfaden gestützt und offengestützt und offen.

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8. Das qualitative Interview

Phasen der Interviewsituation:

Phase 1Phase 1: : Festlegung des ProblembereichsFestlegung des Problembereichs, der , der Thema des Interviews sein sollThema des Interviews sein soll

Phase 2Phase 2: : Allgemeine SondierungAllgemeine Sondierung. Einzelne . Einzelne Themenkomplexe werden mit Erzählstimulus Themenkomplexe werden mit Erzählstimulus eingeleiteteingeleitet

Phase 3Phase 3: : Spezifische SondierungSpezifische Sondierung. In dieser Phase . In dieser Phase geht es um die Verständnisgewinnung:geht es um die Verständnisgewinnung:

ZurückspiegelungVerständnisfrage Konfrontation

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8. Das qualitative Interview

Phasen der Interviewsituation:

Phase 4Phase 4: Hier werden vom Interviewer so genannte : Hier werden vom Interviewer so genannte Ad-hoc-FragenAd-hoc-Fragen gestellt, Fragen zu Themenbereichen, gestellt, Fragen zu Themenbereichen, die vom Befragten bislang noch nicht die vom Befragten bislang noch nicht angesprochen wurden.angesprochen wurden.

=> Einsatz eines Kurzfragebogens und die Erstellung eines Postscripts:

Der KurzfragebogenKurzfragebogen (zu Beginn, besser aber am Schluss des I.) dient vor allem dazu,

wichtige demographische Daten des Befrag- ten zu erfassen.

Im Postscript Postscript werden bestimmte Eindrücke der Interviewsituation festgehalten.

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8. Das qualitative Interview

Anwendung:

Das problemzentrierte I. eignet sich vor allem dann, wenn ein Gegenstand untersucht wird, über den bereits nähere Kenntnisse vorliegen; diese Kenntnisse gehen dann in den Interview-leitfadenInterview-leitfaden ein.

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8. Das qualitative Interview

Das fokussierte Interview

… ist vorab auf einen festgelegten Gesprächs-gegenstand bzw. Gesprächsanreiz bezogen. Nach Vorgabe des Gegenstands (ein Film, den die Befragten gesehen haben, ein Schriftstück, das sie gelesen haben, eine bestimmte soziale Situation an der sie beteiligt waren) wird dessen Interpretation durch die Befragten anhand eines Leitfadens mit offenen Fragen erhoben. => Der Leitfaden beruht auf zuvor entwickelte Annahmen, die überprüft werden sollen.

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8. Das qualitative Interview

Interviewbestandteile:

Nicht-BeeinflussungNicht-Beeinflussung::Der Interviewer gibt dem Befragten Gelegen- heit, Sachverhalte zu äußern, die ihm sehr wichtig sind.Die zuvor entwickelten Annahmen finden im Interview keine Erwähnung. Kriterium der SpezifitätKriterium der Spezifität::Der Interviewer drängt auf eine Spezifizierung bzw. Präzisierung der Aussage(n) des Befragten.Kriterium der TiefgründigkeitKriterium der Tiefgründigkeit::Der Interviewer gibt sich nicht mit reinen Beschreibungen zufrieden.

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8. Das qualitative Interview

Anwendung:

Das fokussierte I. eignet es sich gut, subjektive Sichtweisen bei verschiedenen sozialen Gruppen, die vorher festgelegt sind, zu untersuchen.

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9. Weitere qualitative Erhebungs- verfahren

Die Gruppendiskussion

Subjektive Bedeutungsstrukturen sind in soziale Zusammenhänge eingebunden. Die Gruppendiskussion als qualitatives Erhebungs-verfahren wird vor allem angewendet, wenn der Sozialforscher öffentliche Meinungen bzw. kollektivekollektive Einstellungen oder bestimmte latente Ideologien herausfinden will. In Gruppendiskussionen können psychische Sperren durchbrochen werden: Einstellungen etc. werden offen gelegt.

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9. Weitere qualitative Erhebungs- verfahren

Die Gruppendiskussion

Eine Gruppendiskussion sollte aus nicht mehr als 15 Personen (mind. 5) bestehen.Die Gruppe sollte so auch im Alltag bestehen. Ablauf:GruppenbildungPräsentation eines sog. GrundreizesFreie DiskussionGegebenfalls weitere DiskussionsanreizeDiskussionsbewertung bzw. Metadiskussion (konnten alle Einstellungen formuliert werden? Lernprozesse?)

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9. Weitere qualitative Erhebungs- verfahren

Teilnehmende Beobachtung

Bei der teilnehmenden Beobachtung steht der Forscher in direkter persönlicher Beziehung zu den Beobachteten; in deren alltäglicher Lebenssituation sammelt er seine Daten, oft mittels eines offenen (verinnerlichten) Beobachtungsleitfadens. Problem: Zugang zum Untersuchungsfeld.Feldnotizen und Protokolle halten Beobachtetes detailliert fest.Anwendungsgebiete:Gegenstandsbereiche, die durch Innenperspektive genauer erschlossen werden sollen.

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9. Weitere qualitative Erhebungs- verfahren

Teilnehmende Beobachtung Anwendungsgebiete:über neuartige Lebenswelten sollen Erkenntnisse gewonnen werden(rein hypothesengenerierendes Interesse)

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10. Auswertung qualitativer Befragungsmethoden Typologische Analyse

Die typologische Analyse ist ein eher beschrei-bendes Auswertungsverfahren. Aus dem Datenmaterial heraus werden typische Sicht- weisen, Handlungs- und Bewältigungsmuster erschlossen.Die gewonnen (Real-)Typen repräsentieren den erforschten Wirklichkeitsausschnitt und lassen sich im exemplarischen Sinne verallgemeinern. Je nach Fragestellung sind bestimmte Kriterien anzugeben, die beim Aufspüren von Typen zu beachten sind.

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10. Auswertung qualitativer Befragungsmethoden Typologische Analyse

Auswertungsschritte:Unter Beachtung der Typisierungskriterien wird der Text einzelfallbezogeneinzelfallbezogen feinanalytisch erschlossen (=> Beschreibung in der „Sprache des Falles“). Lokalisierung typischer Muster durch FallvergleichFallvergleich. Anschauliche Textstellen, die den Typus bzw. die Typen kennzeichnen, müssen ausgewählt und detailliert beschrieben werden.

KontrollphaseKontrollphase: die herausgearbeiteten Typen müssen mit dem erhobenen Gesamtmaterial ‚konfrontiert’ werden, um Fehlinterpretationen auszuschließen und zu einer generalisierten Darstellung der Forschungsergebnisse zu kommen.

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10. Auswertung qualitativer Befragungsmethoden Narrationsanalyse

Mit der Narrationsanalyse werden Erzählungen interpretiert (=> Auswertung narrativer I.)

Verfahrensschritte zur Analyse narrativer Interviews formale Textanalyse strukturell-inhaltliche Beschreibung analytische Abstraktion Wissensanalyse kontrastive Vergleiche Konstruktion eines theoretischen Modells

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10. Auswertung qualitativer Befragungsmethoden Narrationsanalyse

Formale Textanalyse: Die Erzählsegmente werden von anderen Darstellungsformen (Beschreibungen und Argumentationen) getrennt (=> sequentielle Ordnung). Argumentative und beschreibende Passagen des I. werden jeweils besonderes markiert und im Anschluss an die Erzählanalyse gesondert analysiert.

Narrative RahmenschaltelementeNarrative Rahmenschaltelemente ermöglichen die Lokalisierung von Erzählsequenzen.

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10. Auswertung qualitativer Befragungsmethoden Narrationsanalyse

Strukturell-inhaltliche Beschreibung: Die strukturelle Beschreibung arbeitet die einzelnen Prozessstrukturen des Lebensablaufs heraus.

Die ProzessstrukturenDie Prozessstrukturen beschreiben Formen der Verknüpfung von Ereignissen und Erfahrungen in einem biographischen Zeitraum:

=> Biographische Handlungsmuster=> Verlaufskurven (positiv/negativ)

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10. Auswertung qualitativer Befragungsmethoden Narrationsanalyse

=> Institutionell bestimmte Lebenssituationen=> Biographische Wandlungsprozesse

Analytische Abstraktion:In der dritten Phase wird die biographische Gesamtformung (re-)konstruiert. Biographische Strukturen und Zusammenhänge werden herausgearbeitet.

Wissensanalyse:Die bislang eingeklammerten argumentativen und beschreibenden Phasen werden mit dem Biographiemuster in Beziehung gesetzt:

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10. Auswertung qualitativer Befragungsmethoden Narrationsanalyse

=> mögliche Differenzen zwischen bio- graphischen Prozessen der Lebensgeschichte und der Deutung durch ihren ‚Träger’ werden deutlich.

Beschreibt der Biographieträger sich selbst so (Selbstbild), wie er gehandelt hat?

Kontrastiver Vergleich:

=> minimaler Vergleich

=> maximaler Vergleich

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10. Auswertung qualitativer Befragungsmethoden Narrationsanalyse

Konstruktion eines theoretischen Modells: Auf der Grundlage mehrerer Fallvergleiche werden abschließend theoretische Modelle entwickelt. (Z. B.: Unterschiedliche Biographie-/Motivations-typen beruflicher Orientierung.)Sie abstrahieren von konkreten Einzelfällen, müssen aber für den Einzelfall noch genügend Erklärungskraft besitzen.

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10. Auswertung qualitativer Befragungsmethoden Inhaltsanalyse

Die Inhaltsanalyse ordnet das erhobene Material nach Themen. Oft werden leitfadengestützte Interviews (z. B. das problemzentrierte) inhaltsanalytisch ausgewertet. Ablauf (9 Stufen):

1. Stufe1. Stufe: Festlegung des zu analysierenden Datenmaterials (AuswahlAuswahl einschlägiger Interview- texte bzw. -textstellen)

2. Stufe2. Stufe: Analyse der Entstehungssituation (Zustandekommen des Interviews, Beteiligte/ Anwesende)

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10. Auswertung qualitativer Befragungsmethoden

Inhaltsanalyse

3. Stufe3. Stufe: Formale Charakterisierung des Materials (wie wurde das Material erhoben?)

4. Stufe4. Stufe: Richtung der Analyse (Fragestellung?)

5. Stufe5. Stufe: Theoretische Einordnung der Fragestellung

6. Stufe6. Stufe: Bestimmung der Analysetechnik

7. Stufe7. Stufe: Definition der Analyseeinheit (Festlegung der Textteile der Interviewprotokolle, die ausge- wertet werden sollen; Kategorienbildung: Zuordnung von Textteilen zu einer Kategorie [=> Codeplan => Interviewleitfaden])

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10. Auswertung qualitativer Befragungsmethoden

Inhaltsanalyse

8. Stufe8. Stufe: Analyse des Materials (s. u.)

9. Stufe9. Stufe: Fallübergreifende Interpretation und Generalisierung des Datenmaterials

Stufe 8: Analyse <=> Zusammenfassende InhaltsanalyseDatenmaterial wird auf einen Kurztext reduziert. Dieser enthält die wesentlichsten Inhalte (=> Forschungsfrage).

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10. Auswertung qualitativer Befragungsmethoden Inhaltsanalyse

Beispiel (=> Studie über Frauenhausbewohnerinnen):Beispiel (=> Studie über Frauenhausbewohnerinnen):

Ausgangspunkt (Stufe 7): Codeplan (Kategorienbildung) in Anlehnung an Interview-leitfaden

Konkrete Textstellen aus den Interviews werden den (Sub-)Kategorien des Codeplans zugeordnet.

Zusammenfassende, verdichtende Beschreibung in ‚der Sprache des Falles’ (Paraphrasierung).

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10. Auswertung qualitativer Befragungsmethoden Inhaltsanalyse

Gruppentypische Zusammenfassung und Analyse des Materials (z. B. => zum Ehemann zurück-gekehrte Frauen; vom Ehemann getrennt lebende Frauen).

Theoriebezogene Interpretation des Materials (hier: Moralentwicklung von Frauen)

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11. Quantitative Sozialforschung Vorgehensweise

(1) Entdeckungszusammenhang, Problemwahl/-definition=> Anlass/Grund für ein Forschungsprojekt => Problemwahl/-definition

(Fragestellungen)

(2) Literaturrecherche

(3) Hypothesenbildung

(4) Wahl der Methode, OperationalisierungOperationalisierung Übersetzung abstrakter,

theoretischer Begriffe in die Erhebungssprache. Die übersetzen Begriffe müssen messbarmessbar sein.

=> Exkurs: Indikatorbildung/Messinstrumente

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11. Quantitative Sozialforschung Indikatorbildung/Messinstrumente quantitativer Methoden

=> Indikatorenbildung:Indikatoren sind Anzeiger, durch die wir

Informationen über die zu untersuchenden Personen oder Gruppen erhalten.

Folgende Bedingungen müssen erfüllt sein:- eindeutig definiert- die relevanten Aspekte einbeziehen- möglichst hoher Aktualitätsgrad

=> Messinstrumente:=> IndizesIndizes sind Hilfsmittel, die in Form von

Kennzahlen die komplexe Realität anschaulicher machen (z. B. Preisindex, DAX, HDI).

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11. Quantitative Sozialforschung Messinstrumente quantitativer Methoden

=> SkalenMan unterscheidet: Nominal-, Ordinal- und IntervallskalenNominalskala:Messung, die das Niveau einer Klassenzu-ordnung besitzt.Nominalstrukturierte Variablen:

Geschlecht, Nationalität, Alter, Wohnort etc.=> Variablen werden in ihren

Merkmalsaus- prägungen nach Gleichheit und Ver- schiedenheit klassifiziert

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11. Quantitative Sozialforschung Messinstrumente quantitativer Methoden

=> SkalenDie einfachste Form der

Nominalskalierung ist die Antwortdichotomie – z. B. Ja/Nein.

Ordinalskala:Messung von Intensität, Größe, Stärke

einer bestimmten Eigenschaft des Untersuchungs- objekts.

Z.B.: Beurteilung eines Sachverhalts als sehr gut, gut, weniger gut, unzureichend. Oder: sehr stark, stark, weniger stark, überhaupt nicht.

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11. Quantitative Sozialforschung Messinstrumente quantitativer Methoden

=> SkalenIntervallskala:Im Unterschied zur Ordinalskala sind bei

der Intervallskala die Abstände zwischen zwei Punkten genau bestimmt.Z. B. monatliches Nettoeinkommen:

0 < 500 €500 < 1000 €1000 < 1500 € usw.

(5) Durchführung/Auswertung des Forschungsprojekts

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11. Quantitative Sozialforschung Vorgehensweise

(5) Durchführung/Auswertung des Projekts

Durchführung: Typisch die Befragung mittels eines (standardisierten) Fragebogens.

Auswertung: Welche Hypothesen lassen sich bestätigen, welche konnten anhand der Daten nicht nachgewiesen werden?

- Schlussfolgerungen - Was muss noch eingehender untersucht

werden?- Voraussagen möglich?

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11. Quantitative Sozialforschung Befragung mittels Fragebogen

(1) Vor-/Nachteile einer schriftlichen standardi- sierten Befragung

Vorteile:Vorteile:- kostengünstiger

- administrativ leichter zu bewältigen - relativ große Anzahl von Personen - Ergebnisse exakt messbar

Nachteile:Nachteile:- über die Antwortkategorien hinaus keine

Antworten - keine (interaktive) Kontrolle des Antwortverhaltens - höhere Ausfallquoten

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11. Quantitative Sozialforschung Befragung mittels Fragebogen

(2) Fragebogenkonstruktion (Makroplanung)

Aufbau des FragebogensAufbau des FragebogensAuf der 1. Seite deutlich machen, wer und zu

welchem Zweck die Befragung durchführt.Verweis auf die Zusicherung der Anonymität.Themenbereiche mit Einleitungs-/Überleitungssatz

ein- führen. Filterfragen, wenn unterschiedliche Befragte

angesproch- en werden; sie leiten die Befragten durch d. Fragebogen.

Auf der letzten Seite kann eine offene Frage formuliert werden: Gibt es noch etwas hinzuzufügen?

Für die Mitarbeit ist dem Befragten zu danken.

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11. Quantitative Sozialforschung Befragung mittels Fragebogen

(3) Besonderheiten bei der Formulierung von Fragen=> Fragetypen:FaktfrageFaktfrage:… bezieht sich auf einen konkreten,

nachprüf- baren Sachverhalt (Alter, Geschlecht etc.).MeinungsfrageMeinungsfrage:… bezieht sich auf eine subjektive Stellung-

nahme.VerhaltensfrageVerhaltensfrage: … bezieht sich auf Handlungen in

bestimmten Situationen bzw. auf Überzeugungen bezüglich des eigen Verhaltens.

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11. Quantitative Sozialforschung

Befragung mittels Fragebogen

(3) Besonderheiten bei der Formulierung von Fragen

Offene/geschlossene Fragen:Die offene Frageoffene Frage ist eine Frage ohne Antwort- vorgabe.=> Anwortkategorien müssen im Nachhinein codiert werden.Geschlossene FragenGeschlossene Fragen enthalten Antwortvorgaben.=> Vorteile: - Vergleichbarkeit der Antworten

- direkte DV-gestütze Auswertung

Hybridfragen:Hybridfragen:… kombinieren geschlossene mit offenen Fragen (=> Antwortkategorie: Sonstiges)

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(3) Besonderheiten bei der Formulierung von Fragen

Regeln/Prinzipien, die beim Fragebogenentwurf zu berücksichtigen sind:

- Fragen sollen eindeutig verständlich sein- Fragen sollten sich auf einen Sachverhalt beziehen- Keine Suggestivfragen- Fragen neutral formulieren- Hypothetische Fragen vermeiden- Fragen sollten den Befragten nicht überfordern

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(4) Anordnung der Fragen (Mikroplanung)

- Schwierige Fragen in die Fragebogenmitte

- Einfache Fragen im ersten und letzten Teil

- Einführung: Fragen, die das Interesse wecken

- Fragen zur Person in der Mitte/im zweiten Drittel

- Heikle od. intime Fragen ans Ende des F-Bogens

- Kontrollfragen (dienen dem Test nicht wahrheitsgetreuer Angaben) nicht im unmittelbaren Anschluss an die zu kontrol-lierenden Fragen

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(4) Bildung von Antwortkategorien

Den Fragen werden schließlich Antwortvorgaben (items) zugeordnet (=> Indikatorbildung).Dabei geht es zum einen um die richtige Operationalisierung. Zum anderen sollten möglichst alle Antworten, die gegeben werden könnten, gefunden werden (=> Regel: Vollständigkeit und Übersichtlichkeit).