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Kennwertermittlung für die FEM-Simulation Hauptfach-, Spezialisierungsfach- und APMB-Versuch 1 Einleitung Bild 1.1: FEM-Simulation eines uniaxialen Zugstabs Kunststoffe werden seit vielen Jahren als Konstruktions- und Funktionswerkstoffe eingesetzt. Ein spe- zieller Vertreter der Funktionswerkstoffe sind Elastomere. Elastomere weisen bei Raumtemperatur gummielastische Eigenschaften auf. Diese Eigenschaften hängen allerdings stark von Umgebungs- und Einsatzbedingungen ab. Für die Abschätzung des gesamten Bauteilverhaltens sind umfangreiche Kenntnisse über das mechanische Verhalten der Elastomere unter Belastung notwendig. Dies ist das Ziel der mechanischen Werkstoffprüfung. Um das mechanische Verhalten von Kunststoffen zu beschreiben werden entsprechende Material- modelle benötigt. Diese enthalten Modellparameter, die über Experimente bestimmt werden müssen (Optimierungsproblem). Die beispielsweise aus einem einachsigen Zugversuch ermittelten Modell- parameter werden häufig zur Berechnung komplexer dreidimensionaler Geometrien herangezogen. Meist liegt im Bauteil allerdings ein dreiachsiger Spannungszustand vor. Deshalb empfiehlt es sich, auch andere Spannungs- bzw. Dehnungszustände in die Kennwertermittlung einzubeziehen. Das unterschiedliche mechanische Verhalten eines Elastomers ist in Bild 1.2 für die drei Dehnungs- modi uniaxialer Zugversuch, reiner Scherversuch und biaxialer Zugversuch dargestellt. 10/ 2012 (Fe)

10/ 2012 (Fe) Kennwertermittlung für die FEM-Simulation · 2 Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“ Bild 1.2: Verschiedene Dehnungsmodi In diesem Praktikumsversuch

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Kennwertermittlung für die FEM-Simulation

Hauptfach-, Spezialisierungsfach- und APMB-Versuch

1 Einleitung

Bild 1.1: FEM-Simulation eines uniaxialen Zugstabs

Kunststoffe werden seit vielen Jahren als Konstruktions- und Funktionswerkstoffe eingesetzt. Ein spe-

zieller Vertreter der Funktionswerkstoffe sind Elastomere. Elastomere weisen bei Raumtemperatur

gummielastische Eigenschaften auf. Diese Eigenschaften hängen allerdings stark von Umgebungs-

und Einsatzbedingungen ab. Für die Abschätzung des gesamten Bauteilverhaltens sind umfangreiche

Kenntnisse über das mechanische Verhalten der Elastomere unter Belastung notwendig. Dies ist das

Ziel der mechanischen Werkstoffprüfung.

Um das mechanische Verhalten von Kunststoffen zu beschreiben werden entsprechende Material-

modelle benötigt. Diese enthalten Modellparameter, die über Experimente bestimmt werden müssen

(Optimierungsproblem). Die beispielsweise aus einem einachsigen Zugversuch ermittelten Modell-

parameter werden häufig zur Berechnung komplexer dreidimensionaler Geometrien herangezogen.

Meist liegt im Bauteil allerdings ein dreiachsiger Spannungszustand vor. Deshalb empfiehlt es sich,

auch andere Spannungs- bzw. Dehnungszustände in die Kennwertermittlung einzubeziehen.

Das unterschiedliche mechanische Verhalten eines Elastomers ist in Bild 1.2 für die drei Dehnungs-

modi uniaxialer Zugversuch, reiner Scherversuch und biaxialer Zugversuch dargestellt.

10/ 2012 (Fe)

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Bild 1.2: Verschiedene Dehnungsmodi

In diesem Praktikumsversuch geht es um die mechanische Werkstoffprüfung von Elastomeren und

deren Beschreibung zur Anwendung in der FEM-Simulation (Finite-Elemente-Methode).

An einer Zugprüfmaschine werden verschiedene Prüfungen durchgeführt. Über die gewonnenen

Messdaten werden die Modellparameter für verschiedene Materialmodelle bestimmt. Diese werden im

Anschluss zur FEM-Simulation eines Zugstabs weiterverwendet.

2 Mechanisches Verhalten von Kunststoffen

Metallische Werkstoffe haben den großen Vorteil, dass sich deren Eigenschaften bei Raumtemperatur

nicht signifikant ändern. Bei Kunststoffen ist dies in den meisten Fällen nicht der Fall. Das

mechanische Verhalten von Kunststoffen hängt stark von den Umgebungsbedingungen ab. Die

wichtigsten Abhängigkeiten sind die Temperatur, Zeit und Schädigungseffekte. Diese werden im

Folgenden kurz vorgestellt.

2.1 Chemischer Aufbau von Elastomeren

Das mechanische Verhalten von Kunststoffen wird maßgeblich durch deren chemischen Aufbau, d.h.

deren Molekülstruktur, bestimmt. Elastomere bestehen aus langen Kettenmolekülen (Polymere), die

ineinander zu einem Knäuel verschlungen sind, Bild 2.1. Über Nebenketten sind die Hauptketten

miteinander vernetzt.

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Bild 2.1: Molekülstruktur von Elastomeren

2.2 Temperaturabhängigkeit

Die mechanischen Eigenschaften von Kunststoffen sind temperaturabhängig. Bei tiefen Temperaturen

verhalten sie sich spröde, bei höheren Temperaturen weicher. Bei der sogenannten Glasübergangstem-

peratur bzw. einem dimensionslosen Temperaturverhältnis ändern sich die Eigen-

schaften abrupt (Wendepunkt der Kurve), Bild 2.2.

Bild 2.2: Temperaturverhalten

Oberhalb der Glasübergangstemperatur, im so genannten entropieelastischen Bereich, nimmt das E-

Modul sehr stark ab. Als Entropieelastizität bezeichnet man das Bestreben der Kettenmoleküle, nach

einer Verformung in den entropisch günstigsten Zustand, d.h. den Knäuelzustand, zurückzukehren.

Entropieelastischer

Bereich

Energieelastischer

Bereich

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Unterhalb der Glasübergangstemperatur, im so genannten energieelastischen Bereich verhalten sich

Kunststoffe deutlich steifer. In diesem Bereich sind die Bewegungen der Kettenmoleküle eingefroren.

Auf äußere Belastung reagiert der Kunststoff lediglich mit interatomaren und intermolekularen Ab-

standsänderungen.

Je nach Einsatzgebiet wählt man einen Kunststoff mit entsprechender Glasübergangstemperatur aus.

Konstruktionswerkstoffe wie Polyamid ( = 80 °C) für den Automobilbau werden in der Regel unter-

halb der Glasübergangstemperatur eingesetzt, während Elastomere ( = - 40 °C) oberhalb der Glas-

übergangstemperatur eingesetzt werden.

2.3 Zeitabhängigkeit (Viskoelastizität)

Die zeitlichen Effekte basieren wie auch die Temperaturabhängigkeit auf der molekularen Struktur des

Kunststoffs.

Belastungsgeschwindigkeit

Dieses Molekül-Netzwerk (vergleichbar mit einem Teller Spaghetti) antwortet auf zeitliche

Belastungen unterschiedlich. Wird das Netzwerk schnell belastet, haben die Ketten keine Zeit, sich zu

entfädeln oder aneinander abzugleiten. Das Netzwerk verhält sich steifer. Bei einer langsamen

Belastung haben die Ketten hingegen ausreichend Zeit, das Kettennetzwerk orientiert sich neu und es

verhält sich weicher. In Bild 2.3 ist der logarithmische Schubmodul über der logarithmischen Zeit

aufgetragen.

Bild 2.3: Zeitverhalten

Schubmodul und Elastizitätsmodul hängen über die Querkontraktionszahl zusammen,

(2.1)

Für inkompressible Werkstoffe ( ) gilt

(2.2)

5

Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Spannungsrelaxation

Ein weiterer Zeit-Effekt ist die Spannungsrelaxation: Eine Zugprobe wird mit konstanter Dehnrate bis

zu einer Maximaldehnung (z.B. 200 %) deformiert. Im Anschluss wird die Dehnung konstant gehal-

ten. Aufgrund von Entspannungsvorgängen und Reorientierungen im Polymer lassen die inneren

Spannungen nach. Dies ist mit einem Abfall der zu messenden Spannung verbunden, Bild 2.4.

Bild 2.4: Spannungsrelaxation

2.4 Schädigungseffekt

Bei der Deformation von Polymeren können sich Vernetzungspunkte lösen. Bei gefüllten Kunststoffen

kann die Füllstoff-Matrix-Kopplung versagen. Füllstoffe werden verwendet, um bestimmte Eigen-

schaften der Matrix gezielt zu verbessern. Bei Fahrzeugreifen wird dem Kautschuk beispielsweise Ruß

beigemischt, um die Verschleißfestigkeit zu steigern. Bei solchen rußgefüllten Elastomeren kann die

Ruß-Elastomer-Kopplung versagen. Dies reduziert die Steifigkeit und führt zu einer Art Plastizität,

einer bleibenden Dehnung. Dies wird z.B. bei mit Kohlenstoff gefülltem Gummi als Mullins-Effekt

bezeichnet, Bild 2.5.

Bild 2.5: Schädigungseffekt

bleibende Dehnung

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Für die Werkstoffprüfung bedeutet dies, dass die ersten Belastungszyklen eines Zugversuchs nicht

verwertbar sind, weil sich das Werkstoffverhalten bei jedem Zyklus ändert und nur einmal auftritt. Der

Probenkörper muss vor der eigentlichen Messung konditioniert, d.h. mehrmals (Empfehlung dreimal

[1], [2]) bis zur maximal im Bauteil auftretenden Dehnung (besser noch etwas darüber hinaus) be- und

entlastet werden.

3 Materialmodelle

Elastomere zeigen im Zugversuch einen stark nichtlinearen Zusammenhang zwischen Spannung und

Dehnung, Bild 3.1. Der Verlauf der Spannungs-Dehnungs-Kurve beschreibt eine liegende S-Form. Im

Gegensatz zu Metallen lässt sich dieser Verlauf nicht mittels eines Ursprungsmoduls (E-Modul,

Young’s modulus) beschreiben. Zur Beschreibung dieses nichtlinearen Werkstoffverhaltens werden so

genannte hyperelastische Materialmodelle verwendet werden.

Bild 3.1: Spannungs-Dehnungs-Diagramm

3.1 Grundlagen

Materialmodelle dienen dazu, das Verhalten von Werkstoffen mathematisch zu beschreiben. Sie stel-

len einen Zusammenhang zwischen Spannung, Dehnung, Temperatur und/ oder Zeit her. Im Folgen-

den werden die für hyperelastische Materialmodelle erforderlichen Größen (Spannung und Dehnung)

kurz vorgestellt.

3.1.1 Spannungen

Als Spannung wird der Quotient aus Kraft und Fläche bezeichnet,

(3.1)

Einfaches

Materialmodell

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Spannungstensor

Die Spannung ist wie die Kraft eine vektorielle Größe. Zur Beschreibung des Spannungszustandes an

einem bestimmten Punkt im Bauteil dient der Spannungstensor ,

(3.2)

Der Spannungstensor besteht aus Schubspannungen ( ) und Normalspannungen ( ).

Aufgrund des Momentengleichgewichts am infinitesimalen Würfelelement ist der Spannungstensor

symmetrisch ( ).

Unterschied zwischen technischer und wahrer Spannung

Bei der technischen Spannung wird als Fläche die Ursprungsfläche herangezogen. Zur Bestim-

mung der wahren Spannung wird dagegen die tatsachliche Fläche verwendet. Beim uniaxialen

Zugversuch wird dadurch z.B. die Querschnittsverkleinerung infolge Querkontraktion berücksichtigt,

(3.3)

3.1.2 Dehnungen

Jeder Körper reagiert auf angreifende äußere Kräfte mit einer Verformung. Wie die Spannung ist auch

die Verformung eine vektorielle Größe, die durch den Verformungstensor beschrieben wird,

(3.4)

Der Dehnungstensor besteht aus Dehnungen ( ), die durch Normalspannungen hervorgerufen

werden, und Gleitungen ( ), die durch Schubspannungen verursacht werden.

Unterschied zwischen technischer und wahrer Dehnung

Wie bei der Spannung, wird auch bei der Dehnung zwischen technischer und wahrer Dehnung

unterschieden. Die technische Dehnung ist definiert als die Längenänderung eines Körpers

bezogen auf die Ursprungslänge ,

(3.5)

8

Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Bei der wahren Dehnung wird die Längenänderung des Körpers auf die aktuelle Länge bezogen,

(3.6)

Im Bereich kleiner Dehnungen sind technische und wahre Dehnung ungefähr gleich,

(3.7)

3.1.3 Streckung

Die Streckung (auch Verstreckgrad genannt) beschreibt das Verhältnis aus Endlänge und Ur-

sprungslänge ,

(3.8)

Die drei Streckungen in Richtung der Hauptachsen werden zur Definition des Cauchy-Green-Tensors

herangezogen. Dieser Tensor wird in FEM-Programmen zur Beschreibung großer Deformationen

verwendet,

(3.9)

Der Cauchy-Green-Tensor kann durch seine drei Invarianten , und charakterisiert werden.

Diese sind unabhängig von der Wahl des Koordinatensystems, d.h. sie verändern sich bei Transforma-

tion (Drehung) des Koordinatensystems nicht.

Die erste Invariante beschreibt die Längenänderung der Raumdiagonalen des Würfelelements,

(3.10)

Die zweite Invariante drückt die Oberflächenänderung des Würfelelements aus,

(3.11)

Die dritte Invariante beschreibt die Volumenänderung des Würfelelements,

(3.12)

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Für inkompressible Werkstoffe gilt

(3.13)

Die Invarianten des Cauchy-Green-Tensors werden zur Formulierung von hyperelastischen Material-

modellen verwendet.

3.2 Beanspruchungszustände

Zur Gewinnung von Materialkennwerten werden bei der mechanischen Materialprüfung von Elasto-

meren verschiedene Untersuchungen mit unterschiedlichen Deformationszuständen (Deformations-

modi) durchgeführt. Im Folgenden werden die drei wichtigsten Deformationsmodi vorgestellt.

3.2.1 Uniaxialer Versuch

Beim Zugversuch, wie er auch bei der Prüfung metallischer Werkstoffe verwendet wird, stellt sich ein

einachsiger Spannungszustand im Messbereich des Probenkörpers ein, Bild 3.2.

Bild 3.2: Uniaxialer Zugversuch

Der Spannungstensor ergibt sich im Messbereich zu

(3.14)

Der zugehörige Deformationstensor lautet

(3.15)

Ausgangs-

geometrie

deformierte

Geometrie

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

3.2.2 Biaxialer Versuch

Ein zweiachsiger Spannungszustand lässt sich beispielsweise beim Aufblas-Versuch im Pol der

Membran erzielen, Bild 3.3 [3] und Bild 3.4,

(3.16)

Bild 3.3: Aufblas-Versuch

Bild 3.4: Biaxialer Versuch

Der zugehörige Deformationstensor lautet

(3.17)

Ausgangs-

geometrie

deformierte

Geometrie

Membran

Pol x3

x1

x2

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

3.2.3 Reine Scherung (Ebene Dehnung)

Reine Scherung („Pure Shear“) bzw. ein ebener Dehnungszustand („Plane Strain“) lässt sich erreichen,

indem beim Zugversuch die Querkontraktion in eine Raumrichtung durch die Einspannung über die

gesamte Probenbreite unterbunden wird.

Bild 3.5: Reine Scherung (Ebene Dehnung)

Der Deformationstensor ergibt sich in diesem Fall zu

(3.18)

3.3 Hyperelastische Materialmodelle

Beschränkt man sich bei Elastomeren auf die Berechnung quasistatischer Bauteileigenschaften, kön-

nen hyperelastische Materialmodelle verwendet werden. Diese Materialmodelle beschreiben das ge-

schichtsunabhängige, nicht-linearelastische und inkompressible Werkstoffverhalten von Elastomeren.

Zur Beschreibung des Spannungs-Dehnungs-Zusammenhangs dient bei hyperelastischen Material-

modellen die so genannte Formänderungsenergiedichte . Die Spannung ergibt sich durch partielle

Differentiation der Formänderungsenergiedichte-Funktion nach der jeweiligen Streckung ,

(3.19)

Je nach Materialmodell existieren unterschiedliche Ansätze zur Beschreibung der Formänderungs-

energiedichte. Im Folgenden werden drei Materialmodelle vorgestellt:

Neo-Hooke-Modell

Mooney-Rivlin-Modell

Ogden-Modell

Ausgangs-

geometrie

deformierte

Geometrie

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

3.3.1 Neo-Hooke-Modell

Das Neo-Hooke-Modell ist das einfachste hyperelastische Materialmodell. Die Formänderungs-

energiedichte wird dabei als Funktion der ersten Invarianten des Cauchy-Green-Tensors und einem

konstanten Materialparameter angenommen,

(3.20)

Die Anpassung des einzigen Parameters erfolgt beim Neo-Hooke-Modell anhand des uniaxialen

Zugversuchs. Alternativ lässt sich der Neo-Hooke-Paramater näherungsweise aus dem E-Modul

oder über den Schubmodul aus der Shore-A-Härte bestimmen,

(3.21)

(3.22)

Der Schubmodul kann aus der Shore-A-Härte abgeschätzt werden [1],

(3.23)

(3.24)

3.3.2 Mooney-Rivlin-Modell

Das Mooney-Rivlin-Modell kann als eine Erweiterung des Neo-Hooke-Modells aufgefasst werden.

Neben der Abhängigkeit von der ersten Invarianten des Cauchy-Green-Tensors ist die Form-

änderungsenergiedichte nun auch eine Funktion der zweiten Invarianten ,

(3.25)

Mit der Inkompressibilitätsbedingung, Gleichung (3.13), lautet das Mooney-Rivlin-Modell

(3.26)

Zur Verbesserung der numerischen Konvergenz nimmt MSC.Marc/Mentat eine (sehr kleine) Kom-

pressibilität an [4]. Diese berechnet sich zu

(3.27)

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

3.3.3 Ogden-Modell

Die in MSC.Marc/Mentat implementierte Form des Ogden-Modells ermöglicht eine Anwendung auf

kompressible Elastomere. Bei dieser Formulierung wird die Formänderungsenergiedichte als Funktion

der Hauptstreckungen des Cauchy-Green-Tensors dargestellt [4],

(3.28)

Dabei sind und Materialkonstanten und der Ordnungsgrad (üblich bzw. ). Das

Kompressionsmodul wird oft nur abgeschätzt, da volumetrische Tests sehr aufwändig sind. Ist kein

Kompressionsmodul bekannt, kann dies mit folgender Gleichung abgeschätzt werden,

(3.29)

3.3.4 Beispiel

Zur Verdeutlichung des Zusammenhangs zwischen Spannung und Dehnung soll dieser am Beispiel

des uniaxialen Zugversuchs mit Hilfe des Neo-Hooke-Modells hergeleitet werden [5].

Mit den drei Hauptstreckungen des einachsigen Spannungszustands

(3.30)

lautet die Formänderungsenergiedichte-Funktion beim Neo-Hooke-Modell

(3.31)

Die Spannung ergibt sich nach Gleichung (3.19) durch Ableiten der Formänderungsenergiedichte-

Funktion nach der Streckung ,

(3.32)

Damit lautet der Zusammenhang zwischen Spannung und technischer Dehnung

(3.33)

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Dieser nichtlineare Spannungs-Dehnungs-Verlauf ist (für = 0,7 MPa) in Bild 3.6 dargestellt.

Bild 3.6: Nichtlinearer Spannungs-Dehnungs-Zusammenhang beim Neo-Hooke-Modell

3.3.5 Gefahren von mathematischen Modellen

Nichtphysikalische, d.h. rein mathematische Materialmodelle sind im Gegensatz zu physikalisch

motivierten Ansätzen (Beispiel: 8-chain model) nur im angepassten Datenbereich hinreichend genau.

Außerhalb dieses Bereichs weichen sie meist stark von der Realität ab, Bild 3.7. Mathematische

Werkstoffmodelle dürfen deshalb nur innerhalb ihrer Gültigkeitsgrenzen verwendet werden.

Bild 3.7: Gültigkeitsbereich von Materialmodellen

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

4 Werkstoffprüfung

Im Rahmen des Praktikumsversuchs werden zwei Werkstoffprüfungen durchgeführt:

Härtemessung mittels Durometer

Aufzeichnung einer Spannungs-Dehnungs-Kurve mittels Zugprüfmaschine

4.1 Härtemessung

Die Härte von Elastomeren wird nach DIN 53505 [6] mit einem so genannten Durometer bestimmt,

Bild 4.1. Dabei wird das Härteprüfgerät stoßfrei auf den Probenkörper aufgesetzt, so dass es satt auf

der Auflagefläche aufliegt. Die gemessene Shore-Härte kann am Schleppzeiger der Messuhr abgelesen

werden.

Härteprüfgeräte nach Shore A sind im Bereich von 10 bis 90 Shore A anwendbar. Härtere Probekörper

werden mit einem Härteprüfgerät nach Shore D gemessen. Die Messgenauigkeit bei der Härtemessung

nach Shore A beträgt ± 5 Shore A.

Bild 4.1: Härtemessung mittels Durometer

4.2 Uniaxialer Zugversuch

Zur Ermittlung der Spannungs-Dehnungs-Kurve wird im Praktikum ein uniaxialer Zugversuch nach

DIN EN ISO 527 [7] an der Universalprüfmaschine Instron 5566 durchgeführt, Bild 4.2.

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Bild 4.2: Universalprüfmaschine Instron 5566

Die Zugprüfmaschine ermöglicht das gleichzeitige Aufzeichnen von Kraft und Traversenweg während

eines zuvor definierten Prüfzyklus. Mit Hilfe der Ausgangsgeometrie des Prüfkörpers lassen sich aus

den Messwerten die im Prüfkörper wirkende Spannung und die sich ergebende Dehnung berechnen,

vgl. Abschnitt 3.1.

4.2.1 Probengeometrie

Bei der Ermittlung der Spannungs-Dehnungs-Kurve werden als Prüfkörper Schulterstäbe der Form

„5A“ nach DIN EN ISO 527-2 [8] verwendet.

Bild 4.3: Probengeometrie Schulterstab 5A nach DIN EN ISO 527-2 [8]

Die Abmessungen des Schulterstabs „5A“ können Tabelle 4.1 entnommen werden.

Kraftmessdose

Rahmen

Probe

Video-

extensometer

Traverse

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Tabelle 4.1: Probenabmessungen Schulterstab „5A“ [8]

Größe Symbol Wert Einheit

Gesamtlänge ≥ 75 mm

Breite an den Enden 12,5 ± 1 mm

Länge des parallelen Teils 25 ± 1 mm

Breite des engen Teils 4 ± 0,1 mm

Kleiner Radius 8 ± 0,5 mm

Großer Radius 12,5 ± 1 mm

Anfangsabstand der Klemmen 50 ± 2 mm

Messlänge 20 ± 0,5 mm

Dicke 2 ± 0,2 mm

4.2.2 Kraftmessung

Die auf die Probe wirkende Kraft wird mittels einer austauschbaren Kraftmessdose gemessen. Vor

jeder Prüfung muss der erwartete Kraftbereich abgeschätzt werden. Dementsprechend ist die Kraft-

messdose zu wählen (100 N, 500 N, 2.000 N, 10.000 N). Als Faustregel gilt: Eine Kraftmessdose

sollte nicht unterhalb 10 % der Maximallast eingesetzt werden. Aus der gemessenen Kraft und der

Probengeometrie berechnet die Mess-Software die in der Probe wirkende (technische) Spannung.

4.2.3 Dehnungsmessung

Bei der Verwendung von Schulterstäben liegt nur im Messbereich des Prüfkörpers ein einachsiger

Spannungszustand vor. Zur Bestimmung einer Spannungs-Dehnungs-Kurve darf deshalb auch nur die

Dehnung dieses Messbereichs (Messlänge , vgl. Bild 4.3) herangezogen werden. Unter Last

verformt sich die Probe allerdings nicht nur im Messbereich, sondern im gesamten Bereich zwischen

den beiden Einspannungen. Deswegen darf die Dehnung (bzw. auch die daraus abgeleitete Dehnungs-

geschwindigkeit) nicht aus dem Traversenweg berechnet werden. Bei dieser Methode würde sich eine

viel zu große Dehnung ergeben, Bild 4.4.

Stattdessen muss eine andere Methode verwendet werden, mit der ausschließlich die Dehnung im

Messbereich der Probe erfasst wird. Dazu existieren zwei Möglichkeiten:

Videoextensometer

Berührendes Extensometer

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Bild 4.4: Dehnungsmessung über Traverse und Videoextensometer

Videoextensometer

Eine berührungslose und damit sehr elegante Möglichkeit zur Dehnungsmessung stellt das so genannte

Advanced Videoextensometer (AVE) dar, vgl. Bild 4.2. Hierzu werden vor Prüfbeginn mit einem Filz-

stift zwei Punkte auf der Probe im Abstand der Messlänge ( ) angebracht, Bild 4.5. Während der

Messung werden die optischen Mittelpunkte vom Videoextensometer verfolgt und aus deren Verschie-

bungen die Dehnung berechnet. Filzstift- und Elastomerfarbe sollten für eine gute Erfassung einen

möglichst großen Kontrast aufweisen.

Bild 4.5: Schulterstäbe mit Markierungen für die Messung mit Videoextensometer

Farbmarkierungen

Gesamte Dehnung der Probe

(aus Traversenweg berechnet)

Dehnung im Messbereich der Probe

(mittels Video-Extensometer gemessen)

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

Berührendes Extensometer

Alternativ kann die Dehnung der Probe auch über einen so genannten Clip-Gauge (DMS-Aufnehmer,

Bild 4.6) gemessen werden. Dessen scharfe Schneiden können aber die Probe beschädigen.

Bild 4.6: Berührendes Extensometer

5 Zusammenfassung

Sollen mit der mechanischen Werkstoffprüfung Kennwerte für die FEM-Simulation ermittelt werden,

sind möglichst viele Dehnungsmodi zu berücksichtigen. Die Deformationsgeschichte (Viskoelastizität,

Schädigungseffekte) spielt eine ebenso wichtige Rolle. Alle Werkstoffmodelle haben Limitierungen,

die berücksichtigt werden müssen: Werkstoffmodelle liefern nur innerhalb ihres Gültigkeitsbereichs

(angepasster Bereich) sinnvolle Ergebnisse.

6 Ablauf des Praktikumsversuchs

Der Praktikumsversuch gliedert sich in drei Teile:

Einführung ( Institutsbibliothek)

o Kurztest

o Besprechung der theoretischen Grundlagen

Materialprüfung (Messraum)

o Messung der Shore-Härte

o Manuelles „Ausprobieren“ des Mullins-Effekts

o Ermittlung einer Spannungs-Dehnungs-Kurve im Zugversuch

Kennwertermittlung (CAD-Arbeitsraum)

o Bestimmung der Parameter für verschiedene Materialmodelle:

Kurvenanpassung mit MSC.Marc/Mentat

o Finite Elemente Simulation:

Simulation des Spannungs-Dehnungsverhaltens eines Zugstabs

Probenkörper

Schneiden

Clip-Gauge

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Hauptfachversuch „Kennwertermittlung für die FEM-Simulation“

7 Literaturverzeichnis

[1] Stojek, Marcus, Stommel, Markus und Korte, Wolfgang. FEM zur mechanischen Auslegung

von Kunststoff- und Elastomerbauteilen. [Hrsg.] Walter Michaeli. Düsseldorf : Springer-VDI, 1998.

[2] DIN 53535. Prüfung von Kautschuk und Elastomeren : Grundlagen für dynamische Prüfverfahren.

März 1982.

[3] Baaser, Herbert. Simulationsmodelle für Elastomere. ATZ 05/2010. S. 364-369.

[4] MSC Software. Marc 2010 : Volume A: Theory and User Information. 2010.

[5] MSC Software. Nonlinear Finite Element Analysis of Elastomers.

http://www.axelproducts.com/downloads/WP_Nonlinear_FEA-Elastomers.pdf, 21.11.2011.

[6] DIN 53505. Prüfung von Kautschuk und Elastomeren : Härteprüfung nach Shore A und Shore D.

August 2000.

[7] DIN EN ISO 527-1. Kunststoffe : Bestimmung der Zugeigenschaften : Teil 1: Allgemeine

Grundsätze. Mai 2010.

[8] DIN EN ISO 527-2. Kunststoffe : Bestimmung der Zugeigenschaften : Teil 2: Prüfbedingungen für

Form- und Extrusionsmassen. Mai 2010.