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100 Jahre Beton-Kalender

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740 Bautechnik 82 (2005), Heft 10

Berichte

nicht genug. Der Berliner VerlegerGeorg Ernst (Bild 2) und der öster-reichische Bauingenieur Fritz vonEmperger (Bild 3) entwickelten 1904bis 1907 ein völlig neuartiges Systemtechnischen Publizierens, in dem derBeton-Kalender eine tragende Rollespielte und noch immer spielt. Dieseserfolgreiche System adaptierte derVerlag Wilhelm Ernst & Sohn auf den

100 Jahre Beton-Kalender1

Karl-Eugen Kurrer

Mit der kommenden Ausgabe 2006feiert der Beton-Kalender seinen100. Geburtstag. Als Taschenbuch fürden Beton- und Stahlbetonbau sowieverwandte Fächer begleitet er den Bau-ingenieur in seiner täglichen Arbeit.Im Beton-Kalender fokussiert sich dieGeschichte des Bauingenieurwesensder letzten 100 Jahre, die im folgen-den exemplarisch dargestellt wird.

1 Der Stahlbeton wälzt das Bauwesenum – der Beton-Kalender begleitetund gestaltet die Bauweise

In seiner Ansprache bei der Grün-dungsversammlung des DeutschenAusschusses für Eisenbeton in Berlinam 8. Januar 1907 bezeichnete derUnterstaatssekretär Dr. Holle den Ei-senbeton als „Erreger einer vollstän-digen Umwälzung auf dem Gebietedes Bauwesens“ [1, S. 139]. Ein gutesJahr zuvor erschien mit dem erstenJahrgang des Beton-Kalenders (Bild 1)ein Jahrbuch, das sich zum erfolg-reichsten Fachbuch des Bauingenieursim deutschsprachigen Raum entwik-keln und beachtliche internationaleWirkung erzielen sollte. Die Durch-setzung des Eisenbetons in den erstenbeiden Dezennien des vorigen Jahr-hunderts induzierte die zweite indu-strielle Revolution im Bauwesen, dieim Kräftespiel zwischen Baupraxis,Bauwissenschaft und Bauverwaltungnicht nur zur Entstehung der Bauin-dustrie führte, sondern das Bauen mitBeton technisch-wissenschaftlich be-gründete und normierte, mithin dasFremd- und Selbstbild des modernenBauingenieurs prägte.

Von den mehr allgemein gehalte-nen Ingenieur-Kalendern unterschiedsich der Beton-Kalender dadurch, daßer erstmals einen Ingenieurbaustoff inden Mittelpunkt stellte, dessen Pro-tagonisten mit dem universellen An-spruch auftraten, das althergebrachteBauen mit Holz, Natursteinen undkünstlichen Steinen durch Beton undStahlbeton zu ersetzen. Aber damit

1 Eine ausführlichere Fassung dieses Be-richtes ist unter demselben Titel in derZeitschrift „Beton- und Stahlbetonbau“100 (2005), Heft 9, S. 795–811 erschie-nen.

Bild 1. Bucheinband (a) und Titelblatt (b) des Beton-Kalenders 1906

Bild 2. Georg Ernst(1880–1950)(Quelle: [2, S. 42])

Bild 3. Fritz von Emperger (1862–1942)(Quelle: Archiv des Autors)

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Stahlbau (der 1. Jg. des Stahlbau-Ka-lenders erschien Ende 1934) (Bild 4a),den Mauerwerkbau (der 1. Jg. desMauerwerk-Kalenders erschien Ende1975) (Bild 4b) und die Bauphysik(der 1. Jg. des Bauphysik-Kalenders er-schien 2001) (Bild 4c). Andere Fach-verlage folgten dem Konzept des Be-ton-Kalenders.

2 Der Beton-Kalender im fachpublizi-stischen System des Stahlbetonbaus

Der Beton-Kalender wurde von der1901 durch Emperger begründetenZeitschrift „Beton und Eisen“ (seit1942 „Beton- und Stahlbetonbau“)herausgegeben und „unter Mitwirkunghervorragender Fachmänner“2 – wieauf den Titelblättern bis 1968 ver-merkt – inhaltlich gestaltet.

Nachdem die Zeitschrift „Betonund Eisen“ seit 1905 im Verlag vonWilhelm Ernst & Sohn erschien (zurhistorischen Entwicklung der Zeit-schrift s. [3] u. [4]), lag es nahe, imselben Verlag ein Jahrbuch zu schaf-fen, welches die vollständige Umwäl-zung des Bauwesens fachpublizistischbegleiten und gestalten sollte, um dieStahlbetonbauweise im Bauwesen zuverbreiten. So schrieb Emperger imVorwort des ersten Beton-Kalenders:„Die jüngsten Neuerungen im Bau-wesen sind an den meisten Hand-büchern insofern spurlos vorüberge-gangen, als sie derer bestenfalls a l sA n h a n g z u d e r a l t e n P r a x i sgedenken und sagen, was in Betonund Eisenbeton geschaffen werdenkö n n t e . Die jetzige Praxis hat aber

dieses Verhältnis umgekehrt. Manwird heute bei allen technischen Auf-gaben zuerst sich die Frage vorzule-gen haben, ob hier eine Lösung mitB e t o n am Platze ist, und nur aus-nahmsweise auf die veralteten Me-thoden zurückgreifen, wenn die Um-stände es besonders verlangen… DieseSachlage verlangt gebieterisch eineDarstellung, d i e d e n B e t o n i nd i e e r s t e S t e l l e r ü c k t , wie siein dem vorliegenden Kalenderversuchtwurde“ [BK 1 (1906), Teil I, S. III]3.Emperger fügte hinzu, daß es sich beimBeton-Kalender um einen ersten Ver-such handelt, das Gebiet von einer„Reihe hervorragender Fachmänner“zeitgemäß darzustellen und „das Ge-botene, möglichst vielseitig in der Auf-fassung zu gestalten und so jener Ein-seitigkeit auszuweichen, die persön-lichen Arbeiten unvermeidlich anhaf-tet“ [BK 1(1906),Teil I, S. III]. Schließ-lich muß der Beton-Kalender „dieErfahrungen und Anschauungen dergesamten Fachgenossenschaft wider-spiegeln“. Daher lud Emperger „jedenin der Praxis tätigen Fachgenossen zuVerbesserungsvorschlägen ein“ undkündigte an, alle diese Arbeiten in ei-nem „H a n d b u c h e d e s E i s e n -b e t o n s zusammenzufassen, als des-sen Vorläufer und späteren Auszug wirden vorliegenden Kalender fortzufüh-ren gedenken“ [BK 1 (1906), Teil I,S. IV]. Diese Zeilen formulierte Em-perger im November 1905. Schon1907 gab er das „Handbuch für Eisen-betonbau“ im Verlag Wilhelm Ernst &Sohn heraus, das in der 2., neu bear-beiteten Auflage (1910–1917) insge-

samt 14 Bände umfaßte und als „En-zyklopädie des Stahlbetonbaus“ [5,S. 48] begriffen werden kann.

So bildete der Beton-Kalender(BK) mit der Zeitschrift „Beton undEisen“ (BuE) und dem „Handbuch fürEisenbetonbau“ (HfE) den fachpubli-zistischen Kristallisationskern der Um-wälzung des gesamten Bauwesens imdeutschsprachigen Raum (Bild 5), de-ren Inhalt und Erscheinungsfrequenznach qualitativer und quantitativerSeite von der Schriftleitung der Zeit-schrift „Beton und Eisen“ und demVerlag Wilhelm Ernst & Sohn feinaufeinander abgestimmt wurden.

Bild 4. Bucheinband des Stahlbau-Kalenders 2005 (a), Mauerwerk-Kalenders2005 (b) und Bauphysik-Kalenders 2005 (c)

a) b) c)

2 Mit der Ausgabe 1954 wurde das Wort„Fachmänner“ durch das geschlechts-neutrale Wort „Fachleute“ ersetzt.

3 Zur Zitierweise des Beton-Kalenders:BK 3 (1908), Teil I, S. 12 beispielsweisebedeutet Seite 12 von Teil I des Beton-Kalenders 1908 (hier im 3. Jahrgang).

Bild 5. Das fachpublizistische Systemdes Stahlbetonbaus; a) Themenflüsseund Derivate, b) Autorenpool

a)

b)

3 Der Beton-Kalender, seine Autoren,Leser und Inserenten

In seiner 100jährigen Geschichte ak-kumulierte der Beton-Kalender einestattliche Anzahl von Autoren ausden gesellschaftlichen Bereichen derBauverwaltungen, Bauwissenschaftenund Wirtschaft. Bild 6 zeigt eine Aus-wahl von Persönlichkeiten aus dengenannten Bereichen, die den Beton-Kalender über viele Jahrgänge inhalt-

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lich begleiteten. Unter ihnen findensich Gründer bedeutender Bauunter-nehmen wie Ed. Ast, V. Brausewetter,F. Schlüter und die Gebrüder Rank,aber auch Unternehmeringenieure wieE. Mörsch, K. W. Mautner, W. Nakonz,G. Ehlers und H. Rüsch, die demStahlbetonbau in seiner Heldenzeitim Bauwesen zur materiellen Gestaltverhalfen. Mit Mörsch und Rüsch sindPersönlichkeiten benannt, die auchals Professoren in der Stahlbeton-forschung international tiefe Spurenhinterließen. Diese Autorengruppepflegte im Beton-Kalender insbeson-dere die Kapitel über den Entwurf,die Bemessung, die Konstruktion unddie Ausführung von Stahlbetontrag-werken.

Aus der nach 1900 dynamischsich entwickelnden Gruppe der Bera-tenden Bauingenieure, die den Beton-Kalender von Anbeginn mitgestalte-ten, seien nur R. Roll, G. Mensch,A. Schleusner, J. Born und W. Fuchs-steiner erwähnt. Nicht wenige Persön-lichkeiten dieser Autorengruppe wirk-ten gleichzeitig als Professoren an denTechnischen Hochschulen wie etwa J. Melan, M. Möller, M. Foerster,A. Kleinlogel und F. Leonhardt. Sosetzte sich das von Professor J. Melan1892 erfundene Stahlbetonsystem mitsteifer Bewehrung im Bogenbrücken-bau zuerst in den USA und kurz dar-auf in Europa – insbesondere in Spa-nien – durch; für zahlreiche Brückenstellte J. Melan die statische Berech-nung auf. Noch heute spielt das in Ja-pan, China und Österreich weiterent-wickelte System Melan als interes-sante Alternative zur Überbrückung

tief eingeschnittener Täler mit Bogen-tragwerken eine beachtliche Rolle [6].

Da der Beton-Kalender maßgeb-lich zurVerbreitung der für das Bauenmit Beton wesentlichen technischenRegelwerke sorgte, traten auch lei-tende Beamte aus wichtigen Einrich-tungen der öffentlichen Verwaltungals Autoren des Beton-Kalenders aufwie z. B. A. Laskus, H. Lorenz-Meyer,E. Lohmeyer, B. Wedler und H. Ehm.Auch hier gab es Persönlichkeiten, dieim Laufe ihres Berufslebens sowohlin derWirtschaft als auch in den Bau-wissenschaften erfolgreich tätig waren.Der Autorenpool des Beton-Kalenderszeichnete sich also durch zahlreicheÜberschneidungen aus den BereichenBauverwaltungen, Bauwissenschaftenund Wirtschaft aus.

Die Leser des Beton-Kalendersrekrutierten sich in erster Linie ausder Wirtschaft (Bauindustrie, Bera-tende Bauingenieure, Bauprodukten-

hersteller und die privaten Prüfstellen),den Bauverwaltungen auf allen Ebe-nen (einschließlich der Materialprü-fungsanstalten), aber auch den Tech-nischen Hochschulen und den Bau-gewerkschulen.

Die Inserenten des Beton-Kalen-ders lesen sich wie ein Who is Whoder mit dem Bauen verbundenen Wirt-schaft. Mit dem Beton-Kalender eta-blierte sich vor 100 Jahren erstmalsein einheitlicher, weit verzweigter,effizienter und kundennaher Werbe-markt im Bauwesen, welcher von derBauindustrie (Bild 7) über die Bau-stoffindustrie, Baugeräteindustrie undBauproduktenindustrie bis hin zu pri-mären (Beratende Bauingenieure) undsekundären Baudienstleistern (Arbeits-mittel für Beratende Bauingenieure)reicht. Das Bild der werbenden Wirt-schaft im Beton-Kalender wird abge-rundet durch Bauschulen und Bau-fachverlage einschließlich der Eigen-anzeigen des Verlages Wilhelm Ernst& Sohn. Schon der Beton-Kalender1906 enthält ein Bezugsquellen-Ver-zeichnis, das den Nutzer über die wich-tigsten Marktteilnehmer des moder-nen Bauens informiert – mithin alsAuszug eines Branchenbuches geltenkann.

4 Höhepunkte des Bauens mit Beton imBeton-Kalender von 1906–2006

In den letzten 100 Jahren begleiteteder Beton-Kalender auf knapp über120000 Seiten und tausenden Anzei-genseiten als wichtigstes Arbeits- undInformationsmittel des Bauingenieursdas Bauen mit Beton im deutschspra-chigen Raum und darüber hinaus. Soerschienen beispielsweise Versionen

Bild 6. Der Beton-Kalender und seine Autoren von 1906 bis 2006 (nach Alphabetund Erstpublikation geordnet)

Bild 7. Inserat der Fa. Dyckerhoff & Widmann A.-G. mit der Jahrhunderthalle inBreslau (Quelle: BuE 14 (1915), H. 20)

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auf Niederländisch (1931) (Bild 8),Spanisch (1952), Finnisch (1955), Ita-lienisch (1960), Griechisch (1970),Englisch (1995) und sogar auf Japa-nisch (1978). Im Beton-Kalender wi-derspiegelt sich die Geschichte desBetonbaus in all seinen Facetten. Imfolgenden wird versucht, exempla-risch jeweils einige Schwerpunkte zuidentifizieren, die für die Schriftlei-tungen bzw. Herausgeber des Beton-Kalenders charakteristisch waren.

4.1 Fritz von Emperger

Von 1906 bis 1922 wurde der Beton-Kalender von der Zeitschrift „Betonund Eisen“ herausgegeben – lag alsoin den Händen von v. Emperger (s.Bild 3). Insgesamt erschienen im ge-nannten Zeitraum 16 Ausgaben mitca. 10800 Seiten.

Den dynamischen Prozeß derStandardisierung der Ingenieurarbeitim Stahlbetonbau begleitete der Be-ton-Kalender von Anbeginn: Die beiWayss & Freytag von ihrem damaligenTechnischen Direktor Emil Mörsch indie Ingenieurpraxis umgesetzte Stahl-betontheorie sollte in den ersten Jah-ren den Gang der Normenentwick-lung in Deutschland (zur Betonbau-normung von 1904 bis 2004 s. [7]) tiefbeeinflussen. Als „Taschenbuch für denBeton- und Eisenbetonbau sowie ver-wandte Fächer“ (s. Bild 1) stellte derBeton-Kalender dem Nutzer stets Be-messungshilfen zur Verfügung, die zueiner Standardisierung und Rationa-lisierung der alltäglichen Ingenieur-arbeit beitrugen. Im Teil I des Beton-

Kalenders fand der Leser alljährlichdie für seine Arbeit wesentlichen neuenund fortgeschriebenen Bestimmungen,vorläufigen Bestimmungen, Leitsätze(technische Regelwerke der Fachver-bände), einschlägigen Normen undGesetze. Der Internationalisierung desBauens folgend druckte der Beton-Kalender seit 1912 regelmäßig aus-ländische Stahlbetonbestimmungen indeutscher Sprache ab.

Die im Beton-Kalender abge-druckten technischen Regelwerkeund Bemessungshilfen trugen ent-scheidend zur Rationalisierung derIngenieurarbeit bei.

4.2 August Laskus

Im Zeitraum von 1923 bis 1926 wurdeder Beton-Kalender von der Zeitschrift„Beton und Eisen“, von 1927 bis 1943vom Verlag derZeitschrift „Beton undEisen“ und 1944 vom Verlag der Zeit-schrift „Beton- und Stahlbetonbau“,d. h. vom Verlag Wilhelm Ernst &Sohn, herausgegeben. Prägende Per-sönlichkeit dieses Entwicklungsab-schnittes des Beton-Kalenders war derGeheime Regierungsrat August Las-kus (Bild 9), der von 1923 bis 1939auch die Schriftleitung der 1923 be-gründeten Zeitschrift „Die Bautech-nik“ innehatte.

Die unverstandene Entdeckungder Ästhetik des reinen Ingenieurbau-werks und seine Anbetung durch die„Neue Sachlichkeit“ besitzt eine fürArchitekturschriftsteller wenig be-kannte Realgeschichte, die sich imStahlbetonbau in der historisch-logi-

schen Tragstrukturentwicklung mani-festiert: Balken, Plattenbalken, Durch-laufbalken, Rahmen, Platte, Scheibe,Faltwerk und schließlich Schale. Wirt-schaftlich zu konstruieren im Stahl-betonbau heißt nach H. Craemer, den„durch die Fugenlosigkeit entstehen-den Spannungsausgleich auszunutzenund gegebenenfalls durch geeigneteAnordnung bewußt herbeizuführen“[9, S. 254]. Dieses Kontinuitätsprin-zip ist logischer Kern der historischenEntfaltung der Tragstrukturen desStahlbetonbaus. Craemer spricht so-gar von der „neue(n) Sprache desStahlbetons“ [9, S. 255]: Mit denSchalentragwerken der Fa. Dycker-hoff & Widmann von Franz Dischin-ger und den nach dem Prinzip desebenen Flächentragwerks bei Wayss &Freytag von Georg Ehlers entwickel-ten Kesselhausbunkern fand der Stahl-betonbau die ihm eigene konstruktiveSprache, untersetzt durch eine bau-statische Theorie der Flächentrag-werke, die später mit der Einführungdes Tensorkalküls selbst zur formalenSprache wurde (s. [10, S. 368–371]).Der Beton-Kalender brachte die hi-storisch-logische Tragstrukturentwick-lung im Stahlbetonbau praxisgerechtzur Geltung. Hier sei nur auf den vonH. Leitz 1926 völlig neu bearbeitetenAbschnitt über die Berechnung ebe-ner Platten verwiesen, den er 1931 umSchalen und Behälter erweiterte; 1934übernahm G. Worch diese Abschnitteund entwickelte sie später zu eigen-ständigen Kapiteln im Beton-Kalen-der über Schalen, Scheiben und Plat-ten weiter.

Der Beton-Kalender übersetztedie konstruktive und technologischeSelbstfindung des Stahlbetonbausin die „Alltagssprache“ des Bauin-genieurpraktikers.

4.3 Bernhard Wedler und Georg Ehlers

In der Phase des Wiederaufbaus von1945 bis 1968 oblag die Schriftleitungdes Beton-Kalenders dem Ministerial-beamten Bernhard Wedler (1945–1950)und danach dem Beratenden Inge-nieur und Prüfingenieur Georg Ehlers(Bild 10). Insgesamt sind im genann-ten Zeitraum 19 Ausgaben mit ca.25100 Seiten erschienen. Mit Ehlersgewann der Verlag Wilhelm Ernst &Sohn eine Persönlichkeit, die als Un-ternehmeringenieur bei Wayss & Frey-tag bis 1945 einen enormen fachlichen

Bild 8. Bucheinband der niederländi-schen Version des Beton-Kalenders

Bild 9. August Laskus (1859–1946)(Quelle: [8, S. 1])

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Erfahrungsschatz anhäufen konnte,und der es gelang, im Beton-Kalen-der, noch stärker als zuvor, die fach-lichen Bedürfnisse der Bauindustrieund Beratenden Ingenieure geltendzu machen.

„Der vorliegende Jahrgang desBetonkalenders“, heißt es im Vorwortdes Beton-Kalenders 1954, „möchteein Verdienst für sich in Anspruchnehmen: Er bringt zum erstenmal einL e h r b u c h d e r S p a n n b e t o n -b e m e s s u n g in Gestalt des Beitra-ges Rüsch, Bemessung von Spannbe-tonbauteilen“ [BK 43 (1954), Teil I,S. III]. Mitverfasser des genanntenBeitrages von Professor Hubert Rüschwar sein Mitarbeiter und Nachfolgeran der TU München Herbert Kupfer.Da sich der Spannbetonbau damalssehr dynamisch entwickelte, warendie Verfasser von DIN 4227 bemüht,in erster Linie die für den Entwurfund Ausführung wichtigen Grundge-danken im Normentext niederzulegenund möglichst keine fertigen Rezeptefür bestimmte Bauformen zu schaf-fen. „Die allgemeine Regel“, schriebenRüsch und Kupfer, „daß d i e e n t -we r f enden und au s f üh r endenIngen i eu r e a l l e i n d i e Ve r a n t -wo r t u n g f ü r j e d e s B a u we r kü b e r n e h m e n m ü s s e n und des-halb gezwungen sind, in jedem Falleselbst den besten Weg auszuwählen,gilt f ü r S p a n n b e t o n b a u t e i l ea l s o i n ve r s t ä r k t e m Maße“[BK 43 (1954), Teil I, S. 401]. Der In-genieurverantwortung im Spannbe-tonbau, aber auch der Übersichtlich-keit wegen verzichteten die Autorenvon DIN 4227 auf Begründungen derdort aufgestellten Forderungen. In

klassischer Klarheit unterscheidenRüsch und Kupfer zwischen den In-tentionen in DIN 4227 [BK 43 (1954),Teil I, S. 639–666], den Erläuterungenhierzu [11] und ihrem Beitrag „Be-messen von Spannbetonbauteilen“[BK 43 (1954), Teil I, S. 401–468]:Während DIN 4227 nur feststellt, wasnachzuweisen ist, findet sich in denErläuterungen zu DIN 4227 die Ant-wort auf die Frage nach dem Warumund im Beitrag „Bemessen von Spann-betonbauteilen“ die Klarstellung, wieim einzelnen der Rechnungsgang zurErfüllung der Forderungen gemäßDIN 4227 durchzuführen ist.

Insbesondere im Spannbetonbauerleichterte das im Beton-Kalenderdargebotene operative Fachwissendas alltägliche Ingenieurhandeln.

4.4 Gotthard Franz

Von 1969 bis 1990 wurde der Beton-Kalendervon Gotthard Franz (Bild 11),Leiter des Instituts für Beton- undStahlbetonbau derTH Karlsruhe, her-ausgegeben. Mit Franz ging erstmalsdie Herausgeberschaft an einen Uni-versitätsprofessor mit jahrzehntelan-ger Erfahrung als Firmeningenieur beiWayss & Freytag (s. [12, S. 148–152]).Unterstützt von Dipl.-Ing. KlausSchnitzke verantwortete ProfessorFranz 22 Ausgaben des Beton-Kalen-ders mit ca. 41140 Seiten und erzieltein der 100jährigen Geschichte des Be-ton-Kalenders mit durchschnittlich1870 Seiten/Ausgabe ein Rekordergeb-nis. Mit der Edition des Beton-Kalen-ders 1969 erarbeitete Schnitzke bis zuseinem Ausscheiden aus der Schrift-leitung des Beton-Kalenders zu Endedes Jahres 2001 alljährlich ein um-

fangreiches Stichwortverzeichnis, dasdie Grundlage für die ab dem Beton-Kalender 1997 als CD beigelegte elek-tronische Beton-Kalender-Recherchebildet; seit einiger Zeit kann über dieHomepage des Verlages Ernst & Sohn(http://www.ernst-und-sohn.de) vonder aktuellsten Ausgabe bis 1980 un-entgeltlich online recherchiert werden.

Den Auflagenrekord erreichte derBeton-Kalender 1971 mit einer ver-kauften Auflage von weit über 30000Exemplaren; damit überrundete derBeton-Kalender erstmals das seit 1857im Verlag Wilhelm Ernst & Sohn er-scheinende Ingenieur-Taschenbuch„Die Hütte“. Bis heute ist es noch kei-nem deutschsprachigen Fachbuch ge-lungen, die vom Beton-Kalender 1971erzielte Auflagenhöhe zu übertreffen.Der Grund dieses Erfolges ist inhalt-licher Natur: Nach langjährigen Vor-arbeiten wurde im März 1968 derEntwurf für eine Neufassung vonDIN 1045 „Beton- und Stahlbeton-bau – Bemessung und Ausführung“veröffentlicht; im Einvernehmen mitdem Vorsitzenden des DAfStb, Pro-fessor Bernhard Wedler, entschloß sichFranz, den Entwurf zusammen mitdem Vorschlag zur Neubearbeitungvon DIN 4224 (Hilfsmittel für diepraktische Anwendung der DIN 1045)im Beton-Kalender 1969 abzudrucken[BK 58 (1969), Teil II, S. 415–566].Schon ein Jahr zuvor konnte sich derLeser des Beton-Kalenders mit dern-freien Querschnittsbemessung derStahlbetonbestimmungen der DDR[BK 57 (1968), Teil II, S. 416–535] ver-traut machen. Unter großer Beteiligungder Fachwelt am Diskussionsprozeßvollzog die DIN 1045 im Jahre 1971endgültig den längst fälligen Übergangzur n-freien Querschnittsbemessung,die von A bis Z im Beton-Kalender1971 abgedruckt wurde [BK 60 (1971),Teil I, S. 1147–1292]. Die neuen Be-messungsverfahren wurden im Beton-Kalender 1972 von Heinz DuddecksBeitrag „Traglasttheorie der Stab-tragwerke“ [BK 61 (1972), Teil II,S. 621–676] und im Beton-Kalender1973 von Fritz Leonhardts Beitrag„Das Bewehren von Stahlbetontrag-werken“ [BK 62 (1973), Teil II,S. 331–433] flankiert.

Seit 1968 begleitete der Beton-Kalender den langen Abschied vonder elastizitätstheoretisch begründe-ten zur traglasttheoretisch begrün-deten Querschnittsbemessung.

Bild 10. Georg Ehlers (1890–1972)(Quelle: Hessisches Wirtschaftsarchiv)

Bild 11. Gotthard Franz (1904–1991)(Quelle: [12, S. 148])

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4.5 Josef Eibl

Im Zeitraum von 1991 bis 2002 hatteder Nach-Nachfolger auf dem Lehr-stuhl von Gotthard Franz an der THKarlsruhe, Josef Eibl (Bild 12), dieSchriftleitung des Beton-Kalendersinne. Insgesamt sind im genanntenZeitraum 12 Ausgaben und zwei Er-gänzungsbände mit ca. 17740 Seitenerschienen. Zusätzlich editierte Eiblim Jahre 1995 das aus dem I. Teil desBeton-Kalenders abgeleitete Hand-buch „Concrete Structures. Euro-De-sign Handbook“, im Jahre 2000 ein„Kalender Spezial“ unter dem Titel„Bemessen und Konstruieren im Stu-dium: Beton, Mauerwerk und Stahl-verbund“ mit ausgewählten Beiträgenaus Beton-Kalender und Mauerwerk-Kalender. Vollständige Ausgaben fürStudenten im Sondereinband wurdenin den Jahren 1996, 1997, 1999 und2002 veröffentlicht.

Mitarbeiter Klaus Schnitzke. Damitbetonte die Schriftleitung den Cha-rakter des Beton-Kalenders als Ar-beitsmittel der alltäglichen Bauinge-nieurpraxis, den dieses Handbuch seit1906 besaß. Die Darstellung neuerBauverfahren, Bauausführungen undEntwicklungen, aber auch die Euro-päisierung des technischen Regelwerkskonzentrierten sich im II. Teil desBeton-Kalenders. Der Fortschritt imeuropäischen Betonbau wird an derEntwicklung des Beitrages „Kon-struieren im Stahlbetonbau“ von J.Schlaich und K. Schäfer in den Aus-gaben des Beton-Kalenders von 1984,1989, 1993, 1998 und 2001 besondersdeutlich: Dank ihrer Praxisnähe er-freuten sich die dort weiterentwik-kelten Stabwerkmodelle von Ritter,Mörsch, Leonhardt und Walther sogroßer Beliebtheit, daß sie ohne Zu-tun der Autoren Eingang in den EC 2fanden (s. [BK 90 (2001), Teil II,S. 311]).

Durch kluges Beitragsmanage-ment und gezielte Gewinnung neuerAutoren gelang es Eibl, das Be-währte und Neue im Beton-Kalen-der im dynamischen Fließgleich-gewicht zu halten.

4.6 Konrad Bergmeister und Johann-Dietrich Wörner

Mit dem Beton-Kalender 2003 über-nahmen die Professoren Konrad Berg-meister von der Wiener Universität fürBodenkultur (Bild 13) und Johann-Dietrich Wörner von der TU Darm-stadt (Bild 14) die Herausgeberschaft.Bislang sind drei Ausgaben mit ca.3600 Seiten erschienen.

Heute prägen die Verknüpfungvon Sicherheit und Risiko, Funktion,Gebrauchstauglichkeit, Ästhetik, Wirt-schaftlichkeit, Dauerhaftigkeit undNachhaltigkeit das moderne Bauen.Die dadurch bedingte systemischeIntegration der Tätigkeitsformen desBauingenieurs erfordert den differen-zierten Blick des Bauingenieurs aufsGanze im Ingenieurbau. „Im Sinne ei-ner materialgerechten Konstruktion“,schrieben Bergmeister und Wörner imVorwort des Beton-Kalenders 2003,„haben wir für den Beton-Kalenderunter unserer Schriftleitung eine neueKonzeption erarbeitet. Jährlich wer-den Schwerpunkte auf spezielle Inge-nieurkonstruktionen und Bauwerkegelegt. Dabei sollen die Entwurfskon-

zepte, die konstruktive Detaillierunggesamtheitlich bis hin zur Bauaus-führung betrachtet werden. Selbstver-ständlich wird der Beton als Kon-struktionsmaterial stets eine gewich-tige Rolle in dem Buch spielen. (…)Auch Nachbardisziplinen werden er-gänzend betrachtet, sofern sie für dieBauwerke von Wichtigkeit sind. DerBeton-Kalender wird auch weiterhinüber die neuen Entwicklungen derNormen und Richtlinien informieren“[BK 92 (2003), Teil I, S. III–IV].

Durch die neue Schwerpunktset-zung des Beton-Kalenders entstehtüber mehrere Jahre ein „lebendes“Nachschlagewerk, ein fachpublizisti-sches clusterartiges Netzwerk des ge-samten Ingenieurbaus, das dem Bau-ingenieur in der Lösung komplexerProbleme thematisch zur Seite steht.Aus diesem Grunde sind seit 2003alle folgenden Ausgaben des Beton-Kalenders lieferbar. Bislang wurdendie folgenden Schwerpunkte behan-delt:– Beton-Kalender 2003: Hochhäuserund Geschoßbauten

Bild 12. Josef Eibl (Quelle: [12, S. 134])

Bild 13. Konrad Bergmeister

Bild 14. Johann-Dietrich Wörner

Eibl folgte dem bewährten Kursseines Vorgängers, setzte aber neueAkzente. So blieb der Handbuchcha-rakter des I. Teils des Beton-Kalen-ders erhalten, worin der Nutzer etwaKennwerte relevanter Ingenieurbau-stoffe, einfache baustatische Formelnund Einzelheiten von Bemessungs-verfahren schnell und effizient nach-schlagen konnte; auch wurde die aufder Grundlage des EC 2 erarbeiteteNeufassung von DIN 1045-1 von K.Zilch und A. Rogge sowie von K. Kor-dina und U. Quast schon im Beton-Kalender 2000 vorgestellt [BK 89(2000), Teil I, S. 171–379] und demPraktiker von H.-U. Litzner mit zahl-reichen Beispielen nahegebracht[BK 89 (2000), Teil I, S. 381–512]. Fürpersonelle Kontinuität sorgte Eibls

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– Beton-Kalender 2004: Brücken undParkhäuser– Beton-Kalender 2005: Fertigteileund Tunnelbauwerke.

Im Beton-Kalender 2006 (Bild 15)finden sich Turmbauwerke und Indu-striebauten als Schwerpunkte. Nachwie vor werden die fachlichen Be-dürfnisse des Ingenieuralltags syste-matisch bedient.

Der Beton-Kalender bildet heutenicht mehr nur das klassische Nach-schlagewerk für den Ingenieuralltag,sondern ein „lebendes“ fachpublizi-stisches Netzwerk des gesamten In-genieurbaus.

Bauingenieurs und aus Verlagsper-spektive darzustellen. Im Beton-Ka-lender durchdringen sich Bautech-nik- und Verlagsgeschichte auf faszi-nierende Weise. Dieser Beitrag solltenicht zuletzt zeigen, daß die in derWirtschaft, den Bauverwaltungen undBauwissenschaften tätigen Bauinge-nieure mit den in den letzten 100 Jah-ren erschienenen 93 Ausgaben desBeton-Kalenders über ein einzigarti-ges, weitverzweigtes und wohlstruktu-riertes Gedächtnis verfügen, das –durch sie lebendig geworden – zurProduktivkraft der Ingenieurarbeitwerden könnte, birgt doch die Ver-gangenheit Zukunft auch. Denn auchfür Bauingenieure gilt Heinrich Hei-nes Vierzeiler: „Der heutige Tag ist einResultat des gestrigen./ Was dieser ge-wollt hat, müssen wir erforschen,/wenn wir zu wissen wünschen,/ wasjener will.“

Literatur

[1] Festschrift 75 Jahre Deutscher Aus-schuß für Stahlbeton. Deutscher Aus-schuß für Stahlbeton, Heft 333. Berlin/München: Verlag von Wilhelm Ernst &Sohn 1982.

[2] Kleinlogel,A.: Georg Ernst. Beton undEisen 29 (1930), H. 4, S. 57.

[3] Stiglat, K.: Im 100. Jahrgang: „Betonund Eisen“/„Beton- und Stahlbeton-bau“ und ihre Schriftleitungen. Beton-und Stahlbetonbau 100 (2005), H. 9.

[4] Kurrer, K.-E.: 100 Jahre Zeitschrift„Beton- und Stahlbetonbau“. Beton-und Stahlbetonbau 96 (2001), H. 4,S. 212–222.

[5] Kurrer, K.-E.: Zur Entwicklung derdeutschsprachigen Fachliteratur aufdem Gebiet des Stahlbetonbaus bis1920. In: Zur Geschichte des Stahlbe-tonbaus – Die Anfänge in Deutschland1850 bis 1910, hrsgn. v. HartwigSchmidt. Beton- und StahlbetonbauSpezial 1999, S. 42–50. Berlin: Ernst &Sohn 1999.

[6] Eggemann, H., Kurrer, K.-E.: Bogen-brücken mit steifer Bewehrung: EinBeitrag zur Entwicklungsgeschichtedes Systems Melan. ÖsterreichischeIngenieur- und Architekten-Zeitschrift(ÖIAZ) 150 (2005), H. 2–3, S. 45–53.

[7] Fingerloos, F., Litzner, H.-U.: Von1904 bis 2004. 100 Jahre Betonbaunor-mung in Deutschland. Beton- und Stahl-betonbau 99 (2004), H. 7, S. 608–616.

[8] An unsere Freunde, Mitarbeiter undLeser. Die Bautechnik 18 (1940), H. 1,S. 1–2.

[9] Craemer, H.: Scheiben und Faltwerkeals neue Konstruktionselemente imEisenbetonbau. Beton und Eisen 28(1929), H. 13, S. 254–257 u. H. 14,S. 269–272.

[10] Kurrer, K.-E.: Geschichte der Bau-statik. Berlin: Ernst & Sohn 2002.

[11] Rüsch, H.: Spannbeton, Erläuterun-gen zu den Richtlinien für Bemessungund Ausführung. Berlin: Verlag vonWilhelm Ernst & Sohn 1953.

[12] Stiglat, K.: Bauingenieure und ihrWerk. Berlin: Ernst & Sohn 2004.

Autor dieses Beitrages:Dr.-Ing. Karl-Eugen Kurrer, Verlag Ernst & Sohn,Bühringstraße 10, 13086 Berlin

Bild 15. Bucheinband des Beton-Kalenders 2006

5 Schlußbemerkung

Es wurde versucht, die Geschichtedes Beton-Kalenders aus Sicht des