19
10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen mit großer Beweglichkeit im aus- gefällten Bodenkörper oder durch die Bildung undissoziierter Wassermoleküle gebunden und durch solche mit geringerer Beweglichkeit ersetzt, treten Änderungen der Leitfähigkeit ein, die sich für Messzwecke ausnutzen lassen. Man kann daher z. B. bei einer Neutralisati- onsreaktion den Äquivalenzpunkt auch ohne Anwendung von Farbindikatoren bestimmen (Abschn. 9.2.10). Diese Methode der Maßanalyse heißt konduktometrische Titration (Leitfähigkeitstitration). Auch der Endpunkt von Fällungsreaktionen ist durch Leitfähigkeits- messungen zu erfassen. Leitwert Äquivalenz- punkt Reaktions- gerade Überschuss- gerade Volumen NaOH Bild 10.4 Leitwertsänderung bei der Neutralisation von Salzsäure Beispiel: Bei der Neutralisation der starken Salzsäure mit der ebenfalls starken Natronlauge werden, wie aus der folgenden Reaktionsgleichung hervorgeht, H + -Ionen hoher Beweglichkeit durch Na + - Ionen ersetzt (unter den Ionen stehen ihre Beweglichkeiten in der Einheit 10 4 cm 2 · V 1 · s 1 ; Tabelle 10.2): H + + Cl + Na + + OH Na + + Cl + H 2 O 32,7 6,8 4,5 18,0 4,5 6,8 Dadurch nimmt die Leitfähigkeit ab: Am Äquivalenzpunkt tritt ein Leitfähigkeitsminimum auf. Ist schließlich Lauge im Überschuss vorhanden, so nimmt die Leitfähigkeit wieder zu, weil zusätzlich Na + - und freie OH -Ionen auftreten. Bei der in Bild 10.4 gewählten Darstellung ist auf der Ordinate der Leitwert (Kehrwert des Widerstandes), welcher der spezifischen elektrischen Leitfähigkeit direkt proportional ist, aufgetragen. 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 10.3.1 Verhalten der Metalle gegenüber Oxonium- oder Hydronium-Ionen Bringt man Chlorwasserstoffgas in Wasser, so tritt folgende Reaktion ein: HCl + H 2 O Cl + H 3 O + Auch in chemisch reinem Wasser sind H 3 O + -Ionen enthalten (Autoprotolyse): H 2 O + H 2 O H 3 O + + OH Bestimmte Metalle reagieren mit den H 3 O + -Ionen. Hierfür kann man die nachstehende verallgemeinerte Gleichung angeben: Me + n H 3 O + Me n+ + n 2 · H 2 + n H 2 O Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

  • Upload
    others

  • View
    10

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189

10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung

Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen mit großer Beweglichkeit im aus-gefällten Bodenkörper oder durch die Bildung undissoziierter Wassermoleküle gebundenund durch solche mit geringerer Beweglichkeit ersetzt, treten Änderungen der Leitfähigkeitein, die sich für Messzwecke ausnutzen lassen. Man kann daher z. B. bei einer Neutralisati-onsreaktion den Äquivalenzpunkt auch ohne Anwendung von Farbindikatoren bestimmen(→ Abschn. 9.2.10). Diese Methode der Maßanalyse heißt konduktometrische Titration(Leitfähigkeitstitration). Auch der Endpunkt von Fällungsreaktionen ist durch Leitfähigkeits-messungen zu erfassen.

Lei

twer

t

Äquivalenz-punkt

Reaktions-gerade Überschuss-

gerade

Volumen NaOHBild 10.4 Leitwertsänderung bei derNeutralisation von Salzsäure

Beispiel: Bei der Neutralisation der starken Salzsäure mit der ebenfalls starken Natronlauge werden,wie aus der folgenden Reaktionsgleichung hervorgeht, H+-Ionen hoher Beweglichkeit durch Na+-Ionen ersetzt (unter den Ionen stehen ihre Beweglichkeiten in der Einheit 10−4 cm2 · V−1 · s−1;Tabelle 10.2):

H+ + Cl− + Na+ + OH− → Na+ + Cl− + H2O32,7 6,8 4,5 18,0 4,5 6,8

Dadurch nimmt die Leitfähigkeit ab: Am Äquivalenzpunkt tritt ein Leitfähigkeitsminimum auf. Istschließlich Lauge im Überschuss vorhanden, so nimmt die Leitfähigkeit wieder zu, weil zusätzlichNa+- und freie OH−-Ionen auftreten. Bei der in Bild 10.4 gewählten Darstellung ist auf der Ordinateder Leitwert (Kehrwert des Widerstandes), welcher der spezifischen elektrischen Leitfähigkeit direktproportional ist, aufgetragen.

10.3 Elektrochemische Gleichgewichte

10.3.1 Verhalten der Metalle gegenüber Oxonium- oder Hydronium-Ionen

Bringt man Chlorwasserstoffgas in Wasser, so tritt folgende Reaktion ein:

HCl + H2O � Cl− + H3O+

Auch in chemisch reinem Wasser sind H3O+-Ionen enthalten (Autoprotolyse):

H2O + H2O � H3O+ + OH−

Bestimmte Metalle reagieren mit den H3O+-Ionen. Hierfür kann man die nachstehendeverallgemeinerte Gleichung angeben:

Me + n H3O+ � Men+ +n2· H2 ↑ + n H2O

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 2: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

190 10 Elektrochemie und Korrosion

Führt man diese Reaktionen mit Magnesium-, Zink- und Eisenstücken (etwa gleich großerOberfläche) durch, so entsteht bei der Umsetzung mit Salzsäure Wasserstoff. Dabei ist zubeobachten, dass in der gleichen Zeit das entwickelte Wasserstoffvolumen beim Magnesiumgrößer ist als beim Zink und beim Zink wieder größer als beim Eisen. Das Reaktionsvermögengegenüber den H3O+-Ionen ist also abgestuft (Reihenfolge: Mg, Zn, Fe). Diese Erscheinunghängt mit der unterschiedlichen Tendenz dieser Metalle zusammen, in den Ionenzustandunter Abgabe von Elektronen überzugehen. Silber und Kupfer reagieren nicht mit verdünnterSalzsäure. Sie besitzen demnach eine größere Bindungsneigung (Affinität) zu den Elektronenals die vorher genannten Metalle. Bringt man jedoch ein Kupferstück in eine Lösung, dieSilberionen enthält (z. B. aus AgNO3), so findet eine Reaktion statt, bei der das Kupfer alsIon in Lösung geht:

Cu + 2 Ag+ � Cu2+ + 2 Ag ↓Die Silberionen oxidieren dabei das Kupfer und nehmen Elektronen auf. Sie besitzen dem-nach eine größere Elektronenaffinität als das Kupfer. Bringt man ein Stück Silber in eineKupfersulfatlösung, so tritt praktisch keine Reaktion ein.

Ordnet man die genannten Metalle nach ihrer Elektronenaffinität und nach ihrem Verhaltengegenüber den Oxoniumionen (H2 + 2 H2O � 2 H3O+ + 2 e−), so entsteht folgende Reihe:

Mg Zn Fe H2 Cu Ag−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→Zunahme der Elektronenaffinität

Der mit in die Reihe aufgenommene Wasserstoff kann, genau wie die Metalle, positivgeladene Ionen bilden.

Bestimmte Metalle sind sogar in der Lage, die H3O+-Ionen des neutralen Wassers (pH = 7)zu entladen, was mit Magnesium und Zink nicht möglich ist. Beispiele dafür sind das Lithium,Natrium und Kalium. Mit Kalium lautet die Reaktionsgleichung:

2 K + 2 H3O+ → 2 K+ + H2 ↑ +2 H2O

Daran ist zu erkennen, dass das Kalium eine noch kleinere Elektronenaffinität besitzt als z. B.das Magnesium. Die Umsetzung verläuft beim Natrium nicht so heftig wie beim Kalium. DasNatrium ist also zwischen dem Kalium und Magnesium einzuordnen. Andererseits zeigendiese Ergebnisse, dass die oxidierende Wirkung der H3O+-Ionen von ihrer Konzentration(Aktivität) abhängig ist. Diese Erkenntnis lässt sich verallgemeinern und auf andere Ionenar-ten übertragen.

In die gefundene Reihe lassen sich nun weitere Metalle einbeziehen, deren Einordnung ausähnlichen Experimenten mit Lösungen vergleichbarer Konzentration zu bestimmen ist. Mankommt so zu nachstehender Aufstellung, der sogenannten elektrochemischen Spannungsrei-he:

Li K Ca Na Mg Al Mn Zn Cr Fe Co Ni Sn Pb H2 Cu Ag Pt Au

Je weiter ein Metall links vom Wasserstoff steht, um so unedler ist es. Die Tendenz, unterAbgabe von Elektronen in den Ionenzustand überzugehen, ist dann besonders ausgeprägt.Diese Metalle können daher die Ionen der rechts von ihnen stehenden Elemente in ungela-dene Atome überführen. Sie wirken also als Reduktionsmittel. Bezeichnet man bei solchen

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 3: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 191

Umsetzungen zwischen zwei Metallen das eine Metall mit IMe und das andere mit IIMe, sosind die folgenden Teilreaktionen möglich:

IMe → IMen+ + n · e− OxidationIIMem+ + m · e− → IIMe Reduktion

Wenn die Reaktionen in Richtung des Pfeiles ablaufen, so ist IMe unedler als IIMe. Das MetallI gibt n Elektronen ab; sein Ion ist dann auch n-mal positiv geladen. Das Ion des Metalles IIist m-mal positiv geladen; um es zu entladen, sind m Elektronen notwendig.

Die oben angegebenen Oxidations- und Reduktionsgleichung lassen sich dann zu der folgen-den Redoxgleichung zusammenfassen (→ Abschn. 9.3):

m · IMe + n · IIMem+ � m · IMen+ + n · IIMe

Diese Gleichung kann wie folgt interpretiert werden:a) Betrachtet man die linke Seite der Gleichung als den Ausgangszustand des Systems, so

verläuft die Reaktion im Sinne des oberen Pfeiles, wenn IMe unedler ist als IIMe. Ist jedochIMe das edlere Metall, so tritt keine Reaktion ein.

b) Wäre die rechte Seite der Gleichung der Ausgangszustand, so verläuft die Reaktion inder durch den unteren Pfeil angegebenen Richtung, wenn IIMe das unedlere Metall ist. Imanderen Falle kommt es zu keiner Umsetzung (→ Aufg. 10.6).

10.3.2 Galvanische Zellen

Taucht ein Zinkstab in eine Kupfersulfatlösung (CuSO4), so geht das Zink freiwillig inLösung. Dabei geben die Zinkatome Elektronen ab und entladen dadurch Kupferionen. DasZink ist das unedlere Metall (IMe : Zn; IIMe : Cu; IMen+ : Zn2+; IIMem+ : Cu2+). Da in diesemFalle m = n ist, lautet die Reaktionsgleichung:

Zn → Zn2+ + 2 e− Oxidation

Cu2+ + 2 e− → Cu Reduktion

Cu2+ + Zn → Cu + Zn2+ Redoxreaktion

Diese Reaktion läuft im Prinzip auch dann ab, wenn man die nachstehende Versuchsanord-nung zusammenstellt und den Kupfer- bzw. Zinkstab mit einem metallischen Leiter (z. B. alsVerbindungsdraht) in Kontakt bringt.

In einem Gefäß befinden sich, getrennt durch eine poröse Scheidewand – auch Diaphragmagenannt –, die ein Durchmischen der Elektrolyten verhindern soll, eine Kupfersulfat- undZinksulfatlösung, in die ein Kupferstab bzw. Zinkstab eintaucht. Verbindet man beide Metalleaußerhalb der Lösungen elektrisch leitend, so ist, weil das Diaphragma (z. B. Asbestpapier,Glasfritte) keinen besonders hohen elektrischen Widerstand verursacht, der Stromkreis ge-schlossen, und es fließen Elektronen vom Zink zum Kupfer. Dabei ist zu beobachten, dass dieMasse des Kupferstabes größer und die des Zinkstabes kleiner wird. Am Kupferstab scheidensich Cu2+ -Ionen aus der Lösung ab.

Kupferstab (Cu/Cu2+): Cu2+ + 2 e− → Cu (Reduktion)

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 4: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

192 10 Elektrochemie und Korrosion

e–

Zn + SO2+ 42– Cu + SO2+ 4

2–

Cu2+Zn2+

Zn CuDiaphragma

Bild 10.5 Galvanisches Element aus einerKupfer- und Zinkelektrode (Daniell-Element)

Am Zinkstab gehen Zinkatome als Ionen in Lösung:

Zinkstab (Zn/Zn2+): Zn → Zn2+ + 2 e− (Oxidation)

Es laufen somit, nur an getrennten Stellen, die gleichen chemischen Vorgänge wie imobigen Beispiel ab. Da Elektronen vom Zink zum Kupfer fließen, muss zwischen den beidenElektroden eine elektrische Spannung bestehen. Solche Versuchsanordnungen nennt manauch galvanische Zellen. Zur näheren Kennzeichnung dient das nachstehende Schema:

Metall 1 / Elektrolytlösung 1 // Elektrolytlösung 2 / Metall 2

Der Schrägstrich (/) symbolisiert die Grenzfläche (Phasengrenze) zwischen Metall undLösung. Zwei Striche (//) stehen für das Diaphragma. Metalle, die keinen direkten Einflussauf die elektrochemischen Vorgänge haben, klammert man häufig ein. So bedeutet z. B.(Pt)H2, dass die Elektrode aus Platin besteht, in dem Wasserstoff gelöst ist. Außer demAusdruck galvanische Zelle ist auch die Bezeichnung galvanisches Element üblich. DieAnordnung Metall 1/Elektrolytlösung 1 heißt auch Halbelement oder Elektrode (vgl. auchAbschn. 10.5.1).

An den Elektroden stellen sich heterogene Gleichgewichte ein, die durch elektrisch geladeneTeilchen (Ionen) bestimmt werden. Im Gegensatz zu homogenen Gleichgewichten zwischenungeladenen Teilchen (→ Abschn. 8.4) zeichnen sich solche Gleichgewichte durch Beson-derheiten aus. So verursacht z. B. der Austausch elektrisch geladener Teilchen an den Pha-sengrenzen eine elektrische Aufladung dieser Phasen, wodurch einem weiteren Stofftransportentgegengewirkt wird. Es stellen sich daher sogenannte elektrochemische Gleichgewichte ein.

Für das Daniell-Element ist die nachstehende Schreibweise möglich:

Zn/ZnSO4 // CuSO4/Cu oder verkürzt

Zn/Zn2+ // Cu2+/Cu

Elektroden sind mehrphasige Systeme, an denen sich zwischen elektrisch leitenden und elek-trisch in Reihe liegenden, benachbart angeordneten Phasen elektrochemische Gleichgewichteeinstellen können.

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 5: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 193

Die Anordnungen Zn/Zn2+ bzw. Cu/Cu2+ sind Elektroden. Der Schrägstrich (/) symbolisiertalso eine Phasengrenze, an der ein Austausch von Ladungsträgern vor sich gehen kann.

Meist verwendet man die Bezeichnung Elektrode jedoch auch in einer von hier abweichendenBedeutung und meint damit nur den Stab, über den die Stromzuführung vorgenommen wird(z. B. bei einer Elektrolyse).

Galvanische Zellen (galvanische Ketten) entstehen durch ein elektrisches Zusammenschaltenvon zwei Halbelementen.

An den Phasengrenzen der elektrisch in Reihe liegenden Phasen einer galvanischen Zelle tre-ten Spannungen auf (Potenzialdifferenzen), die durch elektrochemische Reaktionen bedingtsind.

10.3.3 Entstehen von Potenzialdifferenzen

Physikalisch ist das Potenzial ϕ eines Raumpunktes P1 durch die elektrische Arbeit bestimmt,die erforderlich ist (oder frei wird), wenn eine Ladung aus großer Entfernung (∞) langsambis an P1 herangeführt wird. Ist diese Arbeit für eine Stelle P2 genau so groß wie für P1, sohaben beide Stellen das gleiche Potenzial: ϕ1 = ϕ2. Im anderen Falle besteht zwischen P1 undP2 ein Potenzialunterschied, für den auch die Bezeichnung Spannung üblich ist.

Eine Spannung ist eine Potenzialdifferenz. Es gilt:U12 = ϕ1 − ϕ2 = ∆ϕ

Zwischen Punkten mit gleichem elektrischem Potenzial besteht keine Spannung.

Die elektrochemischen Reaktionen, die an der Phasengrenze Metall/Elektrolytlösung auf-treten, sind Umsetzungen, bei denen ein Übergang (Durchtritt) von Ladungsträgern (Elek-tronen/Ionen) von der einen in die andere Phase zu verzeichnen ist. Zwischen Metall undder Elektrolytlösung entsteht eine Potenzialdifferenz (Potenzialsprung), für die auch dieBezeichnung Galvanispannung üblich ist. Ursache für den Potenzialunterschied ista) eine elektrische Dipolschicht,b) eine Ladungsdoppelschicht.

Beide Schichten zusammen bilden die sogenannte elektrochemische oder elektrische Doppel-schicht, in der eine Potenzialdifferenz auftritt.

Dipolschichten könnten z. B. dadurch entstehen, dass Elektronen aus der Oberfläche einesMetalls austreten und dieses mit einer negativ geladenen Schicht überziehen, der positivgeladene Ladungsträger im Inneren des Metalls gegenüberstehen. Auch eine Adsorption vonDipolmolekülen, die in der Elektrolytlösung enthalten sind (z. B. Wassermoleküle), kann zusolchen Schichten führen.

Ein sehr vereinfachtes Modell einer Phasengrenze zeigt das Bild 10.6. Die Galvanispannungist durch den Potenzialsprung ∆ϕ an der Phasengrenze bestimmt.

∆ϕ = ϕ1 − ϕ2

Ursache für den Potenzialsprung ist nach Nernst der elektrolytische Lösungsdruck. Tauchtin Wasser ein Metall, so zeigt es eine unterschiedliche Tendenz, Metallionen aus dem

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 6: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

194 10 Elektrochemie und Korrosion

Gittverband abzustoßen und in die angrenzende flüssige Phase zu schicken. Ein Maß für dieseTendenz ist der elektrolytische Lösungsdruck p. Bei diesem Vorgang laden sich das Metallnegativ und die angrenzende Lösung positiv auf, bis er im elektrochemischen Gleichgewichtzum Stillstand kommt. Taucht das Metall hingegen in Wasser, das bereits Ionen dieses Metallsenthält, so ist dieser Übergang erschwert, weil zusätzlich die allgemeine Tendenz einerLösung, sich zu verdünnen, wirksam ist. Ein Maß dafür ist der osmotische Druck π, der ausdiesem Grunde dem elektrolytischen Lösungsdruck entgegenwirkt. Da der osmotische Druckvon der Konzentration der Ionen abhängt, folgt aus dieser Überlegung bereits qualitativ, dassder Potenzialsprung durch die Ionenkonzentration bestimmt ist. Formal sind nun drei Fällezu unterscheiden:a) Ist p > π, so gehen Metallionen in die Lösung über, und die Elektrode lädt sich negativ

auf.b) Ist p = π, so dürfte auch keine Potenzialdifferenz auftreten.c) Ist p < π, so scheiden sich Metallionen aus der Lösung auf der Elektrode ab, die sich

dadurch gegenüber dem angrenzenden Elektrolyten positiv auflädt.

Phase 2 Phase 1

Inneres derPhase 2

Inneres derPhase 1

Metall-elektrode

Elektrolyt-lösung

Phasengrenze mitelektrochemischer Doppelschicht

Potenzialsprung

ϕ

ϕ2

ϕ1

∆ϕ ϕ ϕ= –1 2

xBild 10.6 Elektrochemische Doppelschichteiner Elektrode

Unedle Metalle besitzen nach dieser Theorie einen sehr großen elektrolytischen Lösungs-druck. Eine Zinkelektrode, die in eine Zinkionen-Lösung eintaucht (Zn/Zn2+), treibt daherZn2+-Ionen in die Lösung und lädt sich negativ auf. Kupfer hingegen hat einen sehr kleinenLösungsdruck; hier scheiden sich umgekehrt Cu2+-Ionen auf dem Kupferstab ab. Er ist dahergegenüber der angrenzenden Lösung positiv geladen.

Eine Berechnung des elektrolytischen Lösungsdrucks führt für unedle und edle Metalle zuextrem kleinen bzw. großen Werten (z. B. für Cu 1,22 · 10−7 Pa, für Zn 4,05 · 1031 Pa).

Heute lassen sich die elektrischen Potenziale über andere theoretische Ansätze bestimmen. Esist jedoch ohne Zweifel, dass sich die Vorstellungen von Nernst sowie die von ihm aufgestell-ten mathematischen Beziehungen sehr befruchtend auf die Entwicklung der Elektrochemie

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 7: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 195

ausgewirkt haben. Man bezeichnet daher auch heute noch solche Gleichungen, die die Ab-hängigkeit elektrischer Spannungen von der Konzentration (Aktivität) im elektrochemischenGleichgewicht beschreiben, als Nernstsche Gleichungen.

Zink-Elektrode Kupfer-Elektrode

Zinksulfat-Lösung Kupfersulfat-Lösunga) b)

Zn++ Zn++ Cu++ Cu++

Cu++

p < πp > π

Zn++

Bild 10.7 Lösungsdruck und osmotischerDruck bei der Potenzialbildung

Die Spannung, die zwischen den Polen einer galvanischen Zelle gemessen werden kann, heißtZellspannung U .

Die Zellspannung setzt sich aus einer Summe von Galvanispannungen zusammen.

Hat sich an den einzelnen Phasengrenzen elektrochemisches Gleichgewicht eingestellt, sotritt an den Polen die Gleichgewichtszellspannung Ueq auf.

Potenzialunterschiede zwischen dem Inneren zweier benachbarter Phasen (Galvanispannun-gen) lassen sich nicht messen, weil es nicht möglich ist, eine Messanordnung ohne dieAusbildung zusätzlicher Phasengrenzen aufzubauen.

In galvanischen Zellen addieren sich stets mehrere Galvanispannungen zur messbaren Zell-spannung.

Beim Messen der Zellspannung eines Daniell-Elementes kann man z. B. die Zinkphase derZinkelektrode Zn/Zn2+ mit der Kupferphase der Kupferelektrode Cu/Cu2+ durch ein anderesMetall (z. B. Aluminium) verbinden. Es entsteht dann die Anordnung:

Al/Zn/Zn2+ (aq)//Cu2+ (aq)/Cu/Al

Um auszudrücken, dass die Metallionen in wässriger Lösung vorliegen, wendet man auch dasSymbol (aq) an. An den Metall/Metall-Phasengrenzen (z. B. Al/Zn; Cu/Al) treten zusätzlicheGalvanispannungen auf, die in die Zellspannung eingehen. Nach einer hier übergangenenÜberlegung kann man zeigen, dass diesen Galvanispannungen Rechnung getragen wird,wenn man an die (rechte) Kupferphase nochmal die Zinkphase ansetzt (dabei ist die Artdes elektrisch verbindenden Fremdmetalls belanglos). Das Daniell-Element müsste dahervollständig wie folgt symbolisiert werden:

Zn / ZnSO4 // CuSO4 / Cu / Zn

I II III IV I′

Zn / Zn2+ // Cu2+ / Cu / Zn

ϕ I ϕ II ϕ III ϕ IV ϕ ′I

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 8: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

196 10 Elektrochemie und Korrosion

Die Zellspannung U berechnet sich mit folgender Gleichung:

UDaniell = ϕ I′ − ϕ I = (ϕ I′ − ϕ IV) + (ϕ IV − ϕ III) + (ϕ II − ϕ I)

Der Potenzialsprung an der Phasengrenze ZnSO4//CuSO4 (Diffusionspotenzial) wurde beider Berechnung vernachlässigt.

Die bisherigen Darlegungen zeigten, dass zur Beschreibung der theoretischen Zusammen-hänge die Galvanispannungen eine Schlüsselfunktion haben. Eine Galvanispannung ist dieDifferenz der inneren elektrischen Potenziale zwischen einem Anfangs- und Endpunkt sichberührender Phasen. In der chemischen Fachliteratur werden Galvanispannungen auch häufigmit dem Zeichen g abgekürzt; als obere Indizes gibt man die Phasen an, zwischen denen dieSpannung auftritt:

gI, II = ϕ I − ϕ II

Für die Zellspannung des Daniell-Elementes ist somit auch die nachstehende Formulierungmöglich:

UDaniell = gI′,IV + gIV,III + gII,I

Galvanispannungen bilden sich nicht nur an der Phasengrenze von Elektroden aus, sondernz. B. auch an Kontaktstellen Metall 1/Metall 2 oder an der Berührungsstelle sich mischenderFlüssigkeiten unterschiedlicher Art oder Konzentration gelöster Ionen.

Taucht ein Silberstab in eine Lösung von Silbernitrat (AgNO3), so lässt sich diese Elektrodedurch folgendes Symbol darstellen:

Ag/Ag+ (aq)

Die Elektrodenreaktion besteht in diesem Beispiel in einem Durchtritt von Silberionen Ag+

durch die Phasengrenze. Diese Durchtrittsreaktion lässt sich, wenn man den festen Zustanddes metallischen Silbers mit s (solidus, lat. fest) kennzeichnet, wie folgt darstellen:

Ag+ (s,I) → Ag+ (aq, II)

Die linke Seite symbolisiert Silberionen als Bestandteil des Silbergitters, das mit demElektronengas in Wechselwirkung steht (Metallbindung; → Abschn. 5.4), die rechte Seitehingegen hydratisierte Silberionen in der wässrigen Lösung. Nach einer hier nicht möglichenHerleitung lässt sich die Gleichgewichtsgalvanispannung (elektrochemisches Gleichgewicht)dieser Ionenelektrode mit der nachstehenden Gleichung von Nernst berechnen:

gI, IIeq = gI, II

0 +RTzF

ln a

gI, II0 Standard-Galvanispannung

R allgemeine GaskonstanteT Temperaturz Betrag der Ionenwertigkeit der potenzialbestimmenden Ionen bzw. Zahl der pro Formelumsatz

ausgetauschten ElektronenF Faraday-Konstanteln a natürlicher Logarithmus vom Zahlenwert der Aktivität bzw. Konzentration

Die Aktivität ist eine Größe, die sich wie alle Größen aus einem Zahlenwert und einer Einheitzusammensetzt:

Größe = Zahlenwert · Einheit

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 9: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 197

Im Folgenden sei vereinbart, dass im Teil Elektrochemie mit a nur der Zahlenwert der Aktivitätgemeint ist, der bei der Verwendung der Einheit mol l−1 auftritt. Das bedeutet, dass bei der Aktivitäta = 1 mol l−1 in der Gleichung nur ln 1 erscheint.

Wie bereits früher vermerkt (→ Abschn. 9.1.2), kann die Aktivität bei hoch verdünntenLösungen durch die Konzentration ersetzt werden.

Gleichungen solcher Art hat erstmalig Nernst aufgestellt. Der erste Summand heißt Stan-dardglied, der zweite Überführungsglied. Im Falle der Ag/Ag+ (aq)-Elektrode ist der Betragder Ionenwertigkeit z = 1. Die Gleichung für die Gleichgewichtsgalvanispannung vereinfachtsich somit zu

gI, IIeq = gI, II

0 +RTF

ln aAg+

Wendet man diese Gleichung auf eine Kupferelektrode (Cu/Cu++ (aq)) an, so ist für z = 2einzusetzen. Man findet z auch aus der Zahl der Elektronen, die je Gleichungsumsatz despotenzialbestimmenden Vorganges auftreten: Cu → Cu2+ + 2 e−.

Prinzipiell hat der Potenzialsprung an einer Phasengrenze kein Vorzeichen. Durch die Wahlder Reihenfolge der Phasen kann g mit positivem Vorzeichen erhalten werden. Ist solch eineFestlegung jedoch einmal getroffen, führt die Umkehrung der Zählrichtung der Phasen auchzu einem Vorzeichenwechsel:

gI, II = −gII, I

Die Gleichgewichtsgalvanispannungen treten nur auf, wenn elektrochemisches Gleichge-wicht herrscht; das bedeutet, dass kein Stromfluss auftreten darf und dass die Gleichgewicht-seinstellung nicht gehemmt ist. Ist das nicht gewährleistet, so weichen die Galvanispannungenvom Gleichgewichtswert ab.

10.3.4 Standardpotenziale von Metallelektroden

Es wurde bereits betont, dass man weder Absolutwerte von Potenzialen noch Galvanispan-nungen einer direkten Messung zugängig machen kann. Messbar sind Zellspannungen alsSumme von Galvanispannungen. Um jedoch Elektroden untereinander vergleichen und cha-rakterisieren zu können, ist es möglich, die Zellspannung zwischen einer beliebigen ElektrodeV, die Versuchselektrode heißen soll, und einer Bezugselektrode B zu bestimmen. Ein solchesVorgehen ist auch deswegen vertretbar, weil für praktische Belange nicht Absolutwertevon Potenzialen, sondern Potenzialdifferenzen bedeutsam sind. Auf diese Weise lassen sichrelative Elektrodenspannungen bestimmen, die ihrem Wesen nach Zellspannungen zu einerVergleichselektrode sind. Zur Messung dient im Prinzip die nachstehende Anordnung:

Versuchselektrode Bezugselektrode

Metall- / Elektrolyt- // Elektrolyt- / Metall- / Metall-phase phase phase phase phase

V V B B V

I II III IV I′

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 10: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

198 10 Elektrochemie und Korrosion

Die relative Zellspannung oder relative Elektrodenspannung – ab hier mit dem momentanhäufiger verwendeten Symbol E bezeichnet – ist dann:

EV = ϕ I − ϕ I′

Für die relative Elektrodenspannung sind auch die Bezeichnungen Potenzial der Elektro-de, Elektrodenpotenzial oder Bezugsspannung in der Literatur anzutreffen. Eine wichtigeBezugselektrode ist die Standardwasserstoffelektrode, für die man in der Literatur auch dieBezeichnung Normalwasserstoffelektrode findet. Der schematische Aufbau einer Standard-wasserstoffelektrode ist im Bild 10.8 gezeigt.

Platin-elektrode

1-molareSalzsäure

Wasserstoff

Wasserstoff

Bild 10.8 Prinzipdarstellung einerStandardwasserstoffelektrode

Das gewünschte Potenzial stellt sich bei dieser Elektrode ein, wenn folgende Bedingungenerfüllt sind:

Taucht eine platinierte Platinplatte, die ständig von Wasserstoffgas umspült wird, bei einemDruck von p = 101,3 kPa in eine Lösung der H+-Ionenkonzentration cH+ = 1 mol · l−1

(genauer H+-Ionenaktivität) bei 25 ◦C ein, so bildet sich das gewünschte Bezugspotenzialaus.

An die Reinheit des Wasserstoffs sowie des Elektrolyten sind hohe Anforderungen zu stellen,weil durch Verunreinigungen Vergiftungen der Elektrode auftreten können, die zu falschen re-lativen Elektrodenspannungen führen. Zur Kennzeichnung der Standardwasserstoffelektrodedient das nachstehende Elektrodensymbol:

(Pt)/H2 (101,3 kPa), H+ (aq; cH+ = 1 mol · l−1)

Diese Wasserstoffelektrode kann man auch als ein Halbelement auffassen, mit dem sich belie-bige andere Halbelemente zu einer galvanischen Kette zusammenfügen lassen. Die zwischender Standardwasserstoffelektrode und dem anderen Halbelement gemessene Spannung (relati-ve Elektrodenspannung, Potenzial der Elektrode, Elektrodenpotenzial) beim Stromfluss I = 0wird als Normal- oder Standardelektrodenpotenzial bezeichnet, wenn die oben angegebenenBedingungen erfüllt sind.

An dieser Stelle sei nochmals vermerkt, dass der Begriff des Potenzials in der Fachliteratur zurElektrochemie nicht einheitlich angewendet wird und außerdem zweideutig ist. Die zwischender Normalwasserstoffelektrode und der Elektrode eines Halbelementes gemessene Spannungist eine Potenzialdifferenz, für welche jedoch auch die Bezeichnung Potenzial üblich ist. Das

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 11: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 199

Normalpotenzial ist also streng genommen kein Potenzial, sondern eine Bezugsspannung zueiner definierten Vergleichselektrode. Diese unexakte Bezeichnungweise hat sich jedoch inder Fachliteratur eingebürgert, so dass im Interesse einer Vergleichbarkeit der hier gemachtenAusführungen genauso verfahren werden soll. Wenn also im Folgenden vom Potenzial einesHalbelementes die Rede ist, so ist die Bezugsspannung zu einer Vergleichselektrode – in derRegel der Normalwasserstoffelektrode – gemeint.

Das Elektrodenpotenzial zur Wasserstoffelektrode unter Standardbedingungen erhält dieBezeichnung E0.

Zur Messung des Normalpotenzials einer Zinkelektrode müsste man im Prinzip die im Bild10.9 gezeigte Versuchsanordnung aufbauen. Die elektrische Verbindung zwischen den beidenHalbelementen wird durch einen sogenannten Stromschlüssel erreicht, der in unserem Fall auseinem U-Rohr besteht, in welches eine neutrale Elektrolytlösung eingefüllt ist, die Ionen etwagleich großer Beweglichkeit enthält. Dazu ist z. B. eine KCl-Lösung geeignet. Damit will manerreichen, dass Potenzialsprünge, die bei einer direkten Berührung der Säure und der ZnSO4-Lösung auftreten würden (Diffusionspotenziale), praktisch unwirksam werden. Es sei jedochbetont, dass sich auch mit KCl-Lösungen diese Potenziale nicht ganz vermeiden lassen. Siesind jedoch so klein, dass sie bei den folgenden Überlegungen immer vernachlässigt werdensollen. Die im Bild 10.9 gezeigte galvanische Kette kann man folgendermaßen kennzeichnen:

Zn/ZnSO4 // KCl // HCl / H2(Pt)

Zn/Zn2+ // KCl // H+ / H2(Pt)

c = 1 c = 1

1-molareZnSO -Lösung4

H2

1-molareHCl-Lösung

E0 =− 0,76 V

KClZn Pt

Bild 10.9 Anordnung zur Messung desStandardpotenzials einer Zinkelektrode

Verbindet man die beiden Elektroden über einen elektrischen Verbraucher, so fließt einelektrischer Strom. Da der Lösungsdruck des metallischen Zinks größer ist als der osmotischeDruck der Zinkionen in der Lösung, lädt sich das Zink negativ auf und schickt Zinkionenin die Lösung. Wäre keine Gegenelektrode vorhanden, so käme dieser Vorgang bald zumStillstand (Gleichgewicht). In unserem Falle können jedoch die frei werdenden Elektronen(Zn → Zn2− + 2 e−) im geschlossenen Stromkreis zur Wasserstoffelektrode fließen und dortWasserstoffionen entladen. Dadurch entsteht molekularer Wasserstoff.

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 12: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

200 10 Elektrochemie und Korrosion

Im stromlosen Zustand kann zwischen den beiden Elektroden eine Spannung von 0,76 Vgemessen werden. Dieser Wert ist mit dem Potenzial der Zinkelektrode identisch. Man gibtjedoch den Potenzialen der Metalle, die an die Wasserstoffelektrode Elektronen liefern, nachVereinbarung ein negatives Vorzeichen. Die auf die Normalwasserstoffelektrode bezogenenNormal- oder Standardpotenziale (Normalbezugsspannungen) sollen mit E0 gekennzeichnetwerden. Das Normalpotenzial der Zinkelektrode ist demnach E0

Zn = −0,76 V. Im Gegensatzzu den gI, II-Werten von Einzelektroden sind die E0-Werte als Bezugsspannungen einerdirekten Messung zugängig.

Stellt man eine galvanische Kette aus der Normalwasserstoff- und einer Kupferelektrodeder Ionenkonzentration cCu2+ = 1 bei 25 ◦C zusammen, so beträgt die Potenzialdifferenzim stromlosen Zustand 0,35 V. Wird der Stromkreis durch Einschalten eines Verbrauchersgeschlossen, so fließen die Elektronen von der Wasserstoff- zur Kupferelektrode. Die Verhält-nisse sind also gerade umgekehrt wie bei der Zinkelektrode. Das Potenzial von Elektroden,die von der Wasserstoffelektrode Elektronen aufnehmen, versieht man mit einem positivenVorzeichen. Für das Standardpotenzial der Kupferelektrode gilt somit

E0Cu = +0,35 V

In der beschriebenen Weise lassen sich die Potenziale anderer Metallelektroden ermitteln.Ordnet man diese nach abnehmenden Standardpotenzialen, so entsteht wiederum die elek-trochemische Spannungsreihe der Metalle (Tabelle 10.3). Die in der Kopfleiste angegebeneallgemeine Gleichung Red. � Ox. + n · e− soll zum Ausdruck bringen, dass die Metalla-tome als Reduktionsmittel, die Metallionen hingegen als Oxidationsmittel wirksam werdenkönnten. Vergleicht man diese Anordnung mit der im Abschn. 10.3.1 angegebenen, so ist eineÜbereinstimmung zu erkennen. In Verbindung mit den dort gemachten Ausführungen kommtman daher zu folgenden Feststellungen:a) Ein Metall ist um so unedler, je negativer sein Potenzial ist.b) Das Metall mit dem negativeren Potenzial wirkt einem anderen gegenüber als Reduktions-

mittel. Liegt dieses Metall elementar vor, so geht es unter Abgabe von Elektronen in dieIonenform über.

c) Metalle mit positiven Potenzialen wirken meist als Oxidationsmittel, wenn sie in Ionen-form vorliegen.

Die früher beschriebene Reaktion zwischen Metallen und H3O+-Ionen (c = 1 mol · l−1)

Me + n H3O+ � Men+ +n2

H2 ↑ +n H2O

verläuft somit im Sinne des oberen Reaktionspfeils, wenn E0 < 0 V ist; im anderen Falle giltdie umgekehrte Reaktionsrichtung. Es sei jedoch betont, dass mitunter Hemmungserschei-nungen auftreten können, so dass es nicht zum erwarteten Elektronenaustausch kommt. Dadie Potenziale in der Spannungsreihe der Metalle alle auf die gleiche Elektrode bezogen sind,können sie auch zur Berechnung von Potenzialdifferenzen zwischen beliebigen Halbelemen-ten benutzt werden.

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 13: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 201

Tabelle 10.3 Standardpotenziale der Metalle (25 ◦C, Aktivität = 1) in wässriger Lösung,gemessen gegen die Standardwasserstoffelektrode

Halbelement Standard- Halbelement Standard-Red. � Ox. + n e− potenzial Red. � Ox. + n e− potenzial

in Volt in VoltCs � Cs+ + 1 e− −3,02 Ni � Ni2++ 2 e− −0,23K � K+ + 1 e− −2,92 Sn � Sn2++ 2 e− −0,14Ca � Ca2+ + 2 e− −2,84 Pb � Pb2++ 2 e− −0,12Na � Na+ + 1 e− −2,71 H2 � 2 H++ 2 e− ±0Mg � Mg2++ 2 e− −2,38 Cu � Cu2++ 2 e− +0,35Al � Al3+ + 3 e− −1,66 Ag � Ag+ + 1 e− +0,80Zn � Zn2+ + 2 e− −0,76 Pt � Pt2+ + 2 e− +1,2Fe � Fe2+ + 2 e− −0,44 Au � Au+ + e− +1,69Co � Co2++ 2 e− −0,27

Potenzial derKupfer-Elektrode

Potenzial der Normal-wasserstoffelektrode

Potenzial derMagnesium-Elektrode

+0,35 V±0 V

–2,38 V

2,38

V0,

35V

E0

= 2

,73

VE E E0 0 0= –Cu Mg

E0

Bild 10.10 Potenzialdifferenz zwischeneiner Kupfer- und Magnesiumelektrode

Beispiel: Wie groß ist die Spannung E0 zwischen einer Magnesium- und Kupferelektrode, wenn dieBedingungen für das Entstehen der Standardpotenziale eingehalten werden?

Lösung: Nach Tabelle 10.3 ist die Potenzialdifferenz zwischen der Magnesium- und Wasserstoffelek-trode 2,38 V. Da Magnesium ein unedles Metall ist, beträgt sein Standardpotenzial E0

Mg = −2,38 V. FürKupfer gilt: E0

Cu = +0,35 V. Die Potenzialdifferenz zwischen beiden Elektroden ist somit E0 = 2,73 V.Für die Berechnung der Spannung aus den Potenzialen gilt daher:

E0 = E0edlereElektrode − E0

unedlereElektrode

E0 = E0Cu − E0

Mg = +0,35 V − (−2,38 V) = 2,73 V

Die Spannungsdifferenz hat ein positives Vorzeichen.

Die in der Tabelle 10.3 angegebenen Potenziale gelten exakt nur bei 25 ◦C und der Ionenakti-vität a = 1. Liegen davon abweichende Bedingungen vor, lassen sich die Standardpotenzialenach der folgenden Beziehung berechnen, die der Gleichung im Abschnitt 10.3.3 analog ist:

E = E0 +RTzF

ln a

E Elektrodenpotenzial bei Temperaturen und Aktivitäten, verschieden von den StandardbedingungenE0 Standardelektrodenpotenzial (Bezugsspannung zur Standardwasserstoffelektrode bei a = 1 und

25 ◦C)

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 14: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

202 10 Elektrochemie und Korrosion

Zwischen der Aktivität a bzw. der Konzentration c und dem Elektrodenpotenzial ergeben sichfolgende Beziehungen:a) a = 1 : E = E0, weil ln 1 = 0 ist.b) a > 1 : E > E0, weil der Logarithmus einer Zahl größer 1 positiv ist.c) a < 1 : E < E0, weil der Logarithmus einer Zahl kleiner 1 negativ ist.

Setzt man für R = 8,314 W · s · K−1 · mol−1

und für F = 96 500 A · s · mol−1 in die Gleichungein, so entsteht der folgende Ausdruck:

RTzF

=8,314 W · s · T

96 500 A · s · K · z=

8,62 · 10−5 V · TK · z

Soll mit dem dekadischen Logarithmus gerechnet werden, so ist entsprechend der Gleichungln a = 2,303 lg a noch mit dem Faktor 2,303 zu multiplizieren. Man erhält daher die Glei-chung

E = E0 + 2,3038,62 · 10−5 V · T

K · zlg a = E0 +

1,984 · 10−4 V · TK · z

lg a

Wählt man weiterhin für T einige in der Praxis übliche Temperaturen, so ist die Gleichungnoch weiter zu vereinfachen. Im einzelnen gilt für

10 ◦C =̂ 283 K : 1,984 · 10−4 · 283 V = 0,056 V

20 ◦C =̂ 293 K : 1,984 · 10−4 · 293 V = 0,058 V

25 ◦C =̂ 298 K : 1,984 · 10−4 · 298 V = 0,059 V

Für die Abhängigkeit des Potenzials von der Aktivität bei 20 ◦C entsteht somit die Gleichung:

E = E0 +0,058 V

zlg a

Beispiel: Wie groß sind die Potenziale einer Kupferelektrode, wenn die Aktivitäten der Cu2+-Ionenbei 25 ◦C a = 1, a = 0,1 und a = 0,01 betragen?

Lösung: E = E0 +0,059 V

zlg a

E0 = 0,35 V

z = 2

a = 1 : E = 0,35 V + 0 V (lg 1 = 0)

E = 0,35 V

a = 0,1 : E = 0,35 V − 0,059 V2

(lg 0,1 = −1)

E = 0,321 V

a = 0,01 : E = 0,35 V − 0,059 V2

(lg 0,01 = −2)

E = 0,291 V

Beispiel: Welches Potenzial hat eine Wasserstoffelektrode bei einer Konzentration der H+-Ionen von10−7 mol · l−1 (Temperatur = 25 ◦C)?

Lösung: Die vorliegende Elektrode ist nicht mit der Standardwasserstoffelektrode identisch, weilandere Konzentrationen vorliegen. Die Reaktion für die Potenzialbildung ist

H2 � 2 H+ + 2 e−

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 15: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 203

Das Elektrodenpotenzial dieser Wasserstoffelektrode EH ist die zur Standardwasserstoffelek-trode gemessene Spannung. Beachtet man, dass pH = − lg aH+ und E0 = 0 V, so folgt mit

EH = E0 +0,059 V

2lg(aH+)2

Das Quadrat der Aktivität (aH+)2 erscheint in dieser Gleichung, weil beim potenzialbestim-menden Vorgang bei zwei ausgetauschten Elektronen (z = 2) auch 2 H+-Ionen entstehen (vgl.zum Massenwirkungsgesetz → Abschn. 8.9.1).

EH = E0 + 0,059 V · lg aH+ = −0,059 V · pH = −0,059 V · 7 = −0,413 V

Das Potenzial beträgt bei den angegebenen Bedingungen E = −0,413 V.

Die H+-Ionen im Wasser (pH = 7) sind daher nur von solchen Metallen zu Wasserstoff zureduzieren, deren Potenzial unedler als −0,413 V ist (z. B. Na, K) (→ Aufg. 10.8).

Aus diesen Beispielen geht hervor, dass mit abnehmender Konzentration das Potenzialeiner Metallelektrode unedler wird. Aus der Abhängigkeit des Potenzials einer Elektro-de von Aktivität bzw. Konzentration und Temperatur folgt eine für die Praxis wichtigeSchlussfolgerung, die mit der Erscheinung der Korrosion im Zusammenhang steht, derenUrsache elektrochemische Reaktionen sein können. In solchen Fällen bilden die Metalle inGegenwart von Elektrolyten (z. B. Wasser, das CO2 oder Salze gelöst enthält) galvanischeElemente, für die auch die Bezeichnung Korrosionselement üblich ist. Da das Metall mit demunedleren Potenzial immer die Elektronenquelle darstellt, gehen seine Atome als Ionen inLösung. Das kommt einer Zerstörung des Werkstoffes gleich. Die Entstehung verschiedenerPotenziale ist aber nicht nur möglich, wenn unterschiedliche Metalle vorliegen, sondern siewird auch dann auftreten, wenn das gleiche Metall bei unterschiedlichen Temperatur- undKonzentrationsbedingungen vorliegt. Zur Ausbildung von Potenzialdifferenzen, die zu einerungewollten Zerstörung der eingesetzten Werkstoffe führen, kann es daher z. B. in folgendenFällen kommen:a) wenn eine Legierung aus verschiedenen Gefügebestandteilen besteht,b) wenn verschiedene Metalle vorliegen,c) wenn dasselbe Metall in Elektrolyten unterschiedlicher Konzentration, Temperatur oder

Belüftung eintaucht.

Nähere Einzelheiten werden später behandelt (→ Abschn. 10.7, → Aufg. 10.9–10.12).

Die zwischen den Elektroden wirksame Spannung ist stets auch eine Zellspannung. Diean den Polen (Klemmen) wirksame Zellspannung heißt Quellen- oder Urspannung, wennLeerlauf vorliegt, d. h., wenn kein Stromfluss auftritt. Ist das nicht der Fall, so tritt anden Klemmen eine niedrigere Spannung als die Quellenspannung auf, für die auch dieBezeichnung Klemmenspannung üblich ist.

10.3.5 Standardpotenziale für Elektroden mit Nichtmetall-Ionen

Die Neigung eines Atoms, in den Ionenzustand überzugehen, ist nicht nur bei den Metallen,sondern auch bei den Nichtmetallen unterschiedlich stark ausgeprägt. Gibt man z. B. zu

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 16: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

204 10 Elektrochemie und Korrosion

Lösungen von Kaliumbromid und Kaliumiodid Chlorwasser, so entsteht entweder Brom oderIod:

Cl2 + 2 KBr � 2 KCl + Br2

Cl2 + 2 KI � 2 KCl + I2

Diese Reaktionen dienen in der analytischen Chemie zum Nachweis dieser beiden Ionenarten.Die Ionengleichungen lauten:

Cl2 + 2 Br− � 2 Cl− + Br2

Cl2 + 2 I− � 2 Cl− + I2

Bei diesen Vorgängen nimmt das Chlor Elektronen auf und geht in die Ionenform über. DieNeigung, negativ geladen aufzutreten, ist somit beim Chlor größer als beim Brom und Iod. Daandererseits das Brom Iod aus dessen Verbindungen freisetzt, findet man für die drei Elementefolgende Anordnung, die mit ihrer Stellung im Periodensystem übereinstimmt:

Cl2 Br2 I2←−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−Zunahme der Elektronegativität

Diese Reihe kann man durch weitere Elemente ergänzen:

F2 Cl2 Br2 I2 S Se Te←−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−Zunahme der Elektronegativität

Je weiter links ein Nichtmetall in dieser Reihe steht, um so unedler ist es, d. h., seine Tendenzzur Ionenbildung ist groß. Die Nichtmetalle nehmen dabei Elektronen auf und wirken ge-genüber dem Partner eines Redoxsystems als Oxidationsmittel. Metalle hingegen geben beimÜbergang in den Ionenzustand Elektronen ab und sind in solchen Fällen Reduktionsmittel.

Die Stärke der oxidierenden Wirkung von Nichtmetallen lässt sich – genau wie bei denMetallen (Spannungsreihe) – durch ein Potenzial gegenüber der Normalwasserstoffelektrodeausdrücken. Die Vorgänge, die auch hier zur Potenzialbildung führen, sind Redoxreaktionen,für die man ganz allgemein die nachstehende Gleichung formulieren kann:

Red � Ox + z · e−

In der Gleichung für Redoxpaare stehen links die Stoffe mit der niederen (reduzierte Form)und rechts die mit der höheren Oxidationsstufe (oxidierte Form). Beispiele für korrespondie-rende Redoxpaare sind in den Tabellen 10.4 und 10.5 angegeben.

Taucht z. B. eine Platinplatte, die von Chlorgas umspült ist, bei 25 ◦C und 101,3 kPain eine Lösung von Chloridionen (a = 1), so tritt zwischen dieser Chlorgaselektrode undder Standardwasserstoffelektrode eine Spannung von 1,36 V auf. Das Normalpotenzial desHalbelements 2 Cl− � Cl2 + 2 e− beträgt somit E0 = +1,36 V.

Weicht die Aktivität der Chloridionen von 1 ab, so nimmt die Elektrode ein anderes Potenzialan, das bei 25 ◦C nach folgender Gleichung zu berechnen ist:

E = E0 +0,059 V

zlg

aOx

aRed= 1,36 V +

0,059 V2

lgaCl2

aCl− · aCl−

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 17: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 205

E0 = 1,36 V

Cl2 H2

KCl

HCl

Pt Pt

Bild 10.11 Schematische Darstellungeiner Chlor-Knallgas-Kette

Der Einfluss der Aktivität des Chlors auf die Rechnung ist vereinbarungsgemäß bereits durchden Wert von E0 erfasst. Für aCl2 kann daher eins in der Gleichung gesetzt werden. Schreibtman das Produkt der Aktivitäten von Cl− über den Bruchstrich, so tritt der Exponent −2 auf:(aCl−)−2. Die Anwendung der Logarithmengesetze liefert somit:

E = 1,36 V +0,059 V

2lg aCl2 +

0,059 V2

lg(aCl−)−2

E = 1,36 V − 0,059 V lg aCl−

Im Gegensatz zu der bei den Metallionen besprochenen Form der Nernstschen Gleichung tritthier hinter E0 ein Minuszeichen auf. Das gilt allgemein, wenn Anionen potenzialbestimmendsind. Die Oxidationswirkung eines anionbildenden Nichtmetalls steigt daher mit abnehmen-der Aktivität. Dadurch wird das Potenzial positiver; die Tendenz, Elektronen aufzunehmen,nimmt somit zu. Die Potenzialwerte sind also ein Maß für die Stärke der reduzierenden oderoxidierenden Wirkung eines Redoxsystems.

Tabelle 10.4 Standardpotenziale einiger Nichtmetalle(25 ◦C, a = 1, p = 101,3 kPa)

Red � Ox + z · e− Potenzialin Volt

Te2− � Te + 2 e− −0,91Se2− � Se + 2 e− −0,77S2− � S + 2 e− −0,512 OH− � 1

2 O2 + 2 e− + H2O +0,402 I− � I2 + 2 e− +0,582 Br− � Br2 + 2 e− +1,072 Cl− � Cl2 + 2 e− +1,362 F− � F2 + 2 e− +2,85

Setzt man voraus, dass durch die KCl-Lösung im Stromschlüssel nur eine elektrische Ver-bindung zwischen den beiden Gefäßen gewährleistet wird, also keine zusätzlichen Potenzial-sprünge auftreten, kann die Zelle wie folgt symbolisiert werden:

(Pt)/Cl2 (g), //HCl (aq), //H2 (g)/(Pt)

I II I′

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 18: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

206 10 Elektrochemie und Korrosion

Mit (g) soll darauf verwiesen werden, dass H2 und Cl2 im gasförmigen Zustand eingesetztwerden. Da in diesem Beispiel die beiden Metallphasen durch ein gleiches Metall repräsen-tiert sind, treten auch nur zwei Galvanispannungen auf, deren Summe gleich der Zellspannungoder auch der relativen Elektrodenspannung (Elektrodenpotenzial) ist.

In der Tabelle 10.4 sind Standardpotenziale einiger Nichtmetalle angegeben. Die Anordnungnach zunehmenden Potenzialwerten liefert die gleiche Reihenfolge, wie bereits früher durchqualitative Überlegungen gefunden wurde. Je positiver das Potenzial ist, um so stärker ist dieNeigung zur Elektronenaufnahme ausgeprägt. Die bevorzugte Reaktionsrichtung ist dann vonrechts nach links:

Red � Ox + n e−

Bringt man z. B. Chlor mit Bromidionen zusammen, so nimmt das Chlor Elektronen auf undgeht in Chloridionen über, weil E0

Cl− = +1,36 V größer als E0Br− = +1,07 V ist.

10.3.6 Standardpotenziale bei Ionenumladungenund bei anderen Redoxvorgängen

Auch für Ionenumladungen in Redoxgleichungen sind Potenzialwerte bekannt, bei derenKenntnis die chemische Reaktionsfähigkeit zu beurteilen ist (Tabelle 10.5). Unter bestimmtenBedingungen hat z. B. die Reaktion

NO−3 + 4 H+ + 3 e− � NO + 2 H2O

ein Potenzial von E0 = +0,95 V. Das Standardpotenzial des Kupfers (Cu � Cu2+ + 2 e−)ist E0

Cu = 0,35 V. Gibt man demnach Kupfer in konzentrierte Salpetersäure, so ist es wegenseines kleineren Potenzials der Elektonenlieferant. Das Metall geht somit als Ion in Lösung.Da die Zahl der ausgetauschten Elektronen gleich sein muss, gilt für die Reaktionsgleichung:

3 Cu � 3 Cu2+ + 6 e−

2 NO−3 + 8 H+ + 6 e− � 2 NO + 4 H2O

3 Cu + 2 NO−3 + 8 H+ � 3 Cu2+ + 2 NO + 4 H2O

Tabelle 10.5 Standardpotenziale für Ionenumladungenund andere Redoxvorgänge (25 ◦C, a = 1, p = 101,3 kPa)

Red � Ox + z · e− Potenzialin Volt

Cr2+ � Cr3+ + 1 e− −0,41Sn2+ � Sn4+ + 2 e− +0,20Fe2+ � Fe3+ + 1 e− +0,75NO + 2 H2O � NO−

3 + 4 H+ + 3 e− +0,95Mn2+ + 2 H2O � MnO2 + 4 H+ + 2 e− +1,35I− + 3 H2O � IO−

3 + 6 H+ + 6 e− +1,08Cl− + 3 H2O � ClO−

3 + 6 H+ + 6 e− +1,45Mn2+ + 4 H2O � MnO−

4 + 8 H+ + 5 e− +1,52

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3

Page 19: 10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189...10.3 Elektrochemische Gleichgewichte 189 10.2.3 Anwendung der Leitfähigkeitsmessung Werden bei chemischen Reaktionen in Lösungen Ionen

10.4 Galvanische Elemente 207

Beispiel: Bei der Fertigung gedruckter Leiterplatten für die Elektronik ist von einer Trägerplattemetallisches Kupfer an den Stellen abzulösen, wo keine Leiterzüge benötigt werden. Ist dazu eineFeCl3-Lösung geeignet?

Lösung: Eisen(III)-chlorid dissoziiert nach folgender Gleichung:

FeCl3 � Fe3+ + 3 Cl−

Nach Tabelle 10.5 lassen sich Fe3+-Ionen umladen. Das Potenzial beträgt E0 = +0,75 V. Für Kupfergilt +0,35 V. Die Umladung von Fe3+-Ionen in Fe2+-Ionen ist mit Kupfer möglich, weil dessenPotenzial kleiner ist. Bei diesem Vorgang liefert das Kupfer die Elektronen und geht als Ion in Lösung:

Cu + 2 Fe3+ � 2 Fe2+ + Cu2+

10.4 Galvanische Elemente

Galvanische Zellen, die als Spannungsquellen dienen, heißen auch galvanische Elemente.Je nach Anwendung oder Wirkprinzip unterscheidet man Primärelemente und Sekundär-elemente. Bei Primär- und Sekundärelementen steht die Lieferung elektrischer Energie imVordergrund. Dabei laufen chemische Reaktionen ab, die sich durch Aufladen umkehren(Sekundärelemente) oder nicht umkehren (Primärelemente) lassen.

Zur Erhöhung der Spannung schaltet man einzelne galvanische Elemente elektrisch in Reiheund spricht dann von einer Batterie. Für die an den Polen (Klemmen) eines galvanischenElements wirkende Zellspannung, für die auch die Bezeichnung Klemmenspannung üblichist, ist nicht nur die Art der potenzialbestimmenden chemischen Reaktionen bedeutsam,sondern auch, ob diese Spannung mit oder ohne Stromfluss gemessen wird.

10.4.1 Quellenspannung und Klemmenspannung

Die Quellenspannung UQ oder auch Zellspannung E einer elektrischen Spannungsquelle istgleich dem im sogenannten Leerlauf (I = 0) vorhandenen Potenzialunterschied (Potenzial-differenz) zwischen ihren Klemmen (Polen). Für Quellenspannung ist auch noch die Be-zeichnung Urspannung üblich. Mit Leerlauf ist gemeint, dass der an den Klemmen wirksameäußere Widerstand praktisch unendlich groß ist (dann ist I = 0; offene Zelle).

Die Quellenspannung des Daniell-Elementes ist z. B. bei 25 ◦C und der Ionenaktivitäta = 1 mol/l (wenn Diffusionspotenziale vernachlässigbar klein gehalten sind):

UQ Daniell = 0,35 V − (−0,76 V) = 1,11 V

Diese Spannung tritt jedoch nur dann auf, wenn das Element nicht durch einen elektrischenVerbraucher belastet ist. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so ist die KlemmenspannungUK kleiner als Quellenspannung UQ. Treten keine Reaktionshemmungen auf, so sind dieQuellenspannungen (Urspannungen) mit den Gleichgewichtsspannungen identisch.

Die Abweichung der Klemmenspannung eines Elements von der Gleichgewichtsspannunghat mehrere Ursachen:• Durch die Abweichung vom Gleichgewichtszustand ändern sich die Werte der einzelnen

Galvanispannungen.

Verlag Harri Deutsch R. Pfestorf: Chemie – Ein Lehrbuch für Fachhochschulen ISBN 978-3-8171-1783-3