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SEMINARARBEIT GRUNDLAGEN DER WIRTSCHAFTSKOMMUNIKATION MASTERSTUDIUM WS 2010/11 Vorgelegt bei: DOZENT DIPL.-KOMM.WIRT KARSTEN SCHULZ B.A., M.A., MBA HTW Berlin Vorgelegt von: KRISTINA PENEVA 532545// VERA SCHNEIDER 532548// JANA HANKE 532507// THOMAS KURSCHAT 532719// Vorgelegt am: 28.02.2011

HABERMAS THEORIE DES KOMMUNIKATIVEN HANDELNS UND NACHHALTIGKEITSKOMMUNIKATION.

INHALTSVERZEICHNISABBILDUNGSVERZEICHNIS ............................................................................... III! ABKRZUNGSVERZEICHNIS.............................................................................. IV! 1! EINLEITUNG .................................................................................................. 5! 2! GRUNDLAGEN DER THEORIE DES KOMMUNIKATIVEN HANDELNS .............. 7!2.1! Begrifflichkeiten und Abgrenzung ............................................................................................................ 7! 2.1.1! Rationalitt und Vernunft ............................................................................................... 8! 2.1.2! Von der Kommunikation zur Handlung .......................................................................... 9! 2.2! Soziales Handeln...................................................................................................................................... 11! 2.2.1! Strategisches Handeln ................................................................................................ 11! 2.2.2! Kommunikatives Handeln............................................................................................ 12! 2.3! Universalpragmatik ................................................................................................................................. 13! 2.3.1! Die drei Weltbezge .................................................................................................... 13! 2.3.2! Sprechhandlungen und Sprechakttheorie ................................................................... 14! 2.3.3! Handlungstypologie und Geltungsansprche .............................................................. 18! 2.3.4! Kommunikative Rationalitt und Diskurs...................................................................... 21! 2.3.5! Die ideale Sprechsituation ........................................................................................... 23! 2.4! Lebenswelt und System .......................................................................................................................... 26! 2.4.1! Beziehungen der Lebenswelten zueinander ................................................................ 27! 2.4.2! Entkoppelung von System und Lebenswelt und Kolonialisierung der Lebenswelt ........ 28! 2.5! Zusammenfassung und kritische Wrdigung......................................................................................... 29!

3! KOMMUNIKATIVES HANDELN IN DER UNTERNEHMENSPRAXIS................ 31!3.1! Ansatz verstndigungsorientierter ffentlichkeitsarbeit (PR)............................................................... 31! 3.1.1! Grundlagen ................................................................................................................. 31! 3.1.2! Die vier PR-Phasen nach Burkhart .............................................................................. 33!

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3.1.3! Kritische Bewertung .................................................................................................... 34! 3.2! Kommunikatives Handeln in der Nachhaltigkeitskommunikation ........................................................ 36! 3.2.1! Stellenwert der Nachhaltigkeitskommunikation in der Wirtschaft ................................. 36! 3.2.2! Fallbeispiel Nachhaltigkeitskommunikation groer Energiekonzerne ............................ 37! 3.2.3! Fallbeispiel Unilever vs. Greenpeace (2008) ................................................................. 43! 3.2.4! Fallbeispiel Stuttgart 21 ............................................................................................ 46!

4! FAZIT UND AUSBLICK................................................................................. 47! 5! LITERATURVERZEICHNIS............................................................................ 50!

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II

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ABBILDUNGSVERZEICHNISAbbildung 1: Universalpragmatik nach Habermas ....................................................................... 17! Abbildung 2: Geltungsansprche und Weltbezge ...................................................................... 21! Abbildung 3: Eigene Darstellung in Anlehnung an Habermas (1981: 193) .................................... 27! Abbildung 5: Nachhaltigkeitskommunikation von Kernkraftwerken .............................................. 37! Abbildung 6: Auswahl Printwerbungen EnBW ............................................................................. 38! Abbildung 7: Auswahl Pintanzeigen Eon...................................................................................... 39! Abbildung 8: Energie-Riese von RWE.......................................................................................... 40! Abbildung 9: Internetauftritt Vattenfall .......................................................................................... 40! Abbildung 10: Energiespartipps von Energiekonzernen ............................................................... 41! Abbildung 11: Greenpeace Spot "Dove Onslaughter" (Adverblog 2008) ...................................... 44!

III

HABERMAS THEORIE DES KOMMUNIKATIVEN HANDELNS UND NACHHALTIGKEITSKOMMUNIKATION.

ABKRZUNGSVERZEICHNISAbb. Aufl. Bsp. bspw. Bd. d.h. ebd. et al. etc. f. Hrsg. http PR S. s. TdkH u.. u.a. vgl. VA z. B. Abbildung Auflage Beispiel beispielsweise Band das heit ebenda et alii (und andere) et cetera folgende Herausgeber hypertext transfer protocol Public Relations Seite siehe Theorie des kommunikativen Handelns und hnliche unter anderem vergleiche Verstndigungsorientierte ffentlichkeitsarbeit zum Beispiel

IV

HABERMAS THEORIE DES KOMMUNIKATIVEN HANDELNS UND NACHHALTIGKEITSKOMMUNIKATION.

1 EINLEITUNGStuttgart 21, die BP lkatastrophe im Golf von Mexiko oder auch der umstrittene Einsatz von Palml groer Nahrungsmittelkonzerne Kommunikations-Desaster gibt es vor allem in jngerer Vergangenheit zahlreiche. JRGEN HABERMAS Theorie des kommunikativen Handelns und seine Diskursethik scheinen daher so aktuell zu sein wie nie. Seine Gedanken, Theorien und sein unentwegtes Interesse uerst kritische und gesellschaftstheoretische Konzepte zu entwickeln machen ihn bis heute zu einem der populrsten Vertreter seiner Kategorie. JRGEN HABERMAS, 1929 in Dsseldorf geboren, Philosoph und Soziologe, zhlt zu den wichtigsten, einflussreichsten aber nicht unbedingt unumstrittenen Gesellschaftstheoretikern des vergangenen Jahrhunderts. Seine Assistenzttigkeit unter HORKHEIMER und ADORNO in den 50er Jahren am Institut fr Sozialforschung in Frankfurt ermglichte es ihm, sich mit den Schriften beider und anderer Vertreter der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule auseinanderzusetzen. Auch in der Theorie des kommunikativen Handelns (Habermas 1987) greift er Aspekte dieser Theorien auf, um sie zu analysieren und in seinem Sinne weiter zu entwickeln. HABERMAS Teilnahme an groen theoretischen nationalen aber auch internationalen Debatten einhergehend mit seinen Stellungnahmen zu gesellschaftspolitischen Kontroversen wie beispielsweise der Studentenbewegung oder dem Vietnam-Konflikt in den 70er Jahren, fhrten ihn zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den bestehenden Sozialisationstheorien. So verffentlichte HABERMAS 1981 sein aus zwei Bnden bestehendes Hauptwerk Theorie des kommunikativen Handelns. Es stellt das Konzept einer neuen Gesellschaftstheorie dar, welches zahlreiche Aspekte der Wissenschafts- und vor allem Soziologie-Geschichte auseinandernimmt und ihre Anwendbarkeit beleuchtet. Dabei berprft HABERMAS soziologische Klassiker und wertet diese Theorien aus und entwickelt sie entsprechend weiter. Band 1 seiner zweiteiligen Theorie trgt den Titel Handlungsrationalitt und gesellschaftliche Rationalisierung welcher auch als Leitgedanke seiner gesamten Theorie angesehen werden kann. Im Gegensatz zu LUHMANN interessieren hier HABERMAS grundstzliche Fragen nach der Moral und der Normsetzung und dies auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene. Diese Normen und Werte finden Anwendung in Sprache, Kommunikation und Interaktion. Darber hinaus stehen fr HABERMAS letztgenannte in einem besonders engen Zusammenhang (vgl. Treibel 2006: 165ff). Weiterhin geht HABERMAS in diesem und anderen Werken vom Grundgedanken aus, dass das Lsungsmittel Gewalt bei Handlungskon5

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flikten durch die vernnftige Einigung von Brgern zu ersetzen sei. Dabei setzt er auf die Vernunft aufgeklrter Brger der Verstndigung zu folgen. Damit wird das Ziel verfolgt, Konfliktlsungen, die bisher durch Gewaltszenarien herbeigefhrt wurden, mglicherweise zuknftig und langfristig durch kommunikative Handlungen zu verdrngen (vgl. Schfer 2005: 41). Seine ausfhrliche Gesellschaftstheorie basiert auf kommunikationstheoretischen Grundlagen, welche bis heute viel rezitiert, diskutiert, durchaus auch kritisch betrachtet werden und gelegentlich sogar zu Unmut wie auch Unverstndnis fhren knnen (vgl. Habermas 1987: 3). In seinem Werk setzt sich HABERMAS auch intensiv mit Grundfragen zum sozialen Zusammenleben von Menschen, der Kommunikation als Handlungstyp, als elementarer Ressource zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft oder auch der zwangfreien Problematisierung sowie Klrung essentieller Geltungsansprche auseinander. Er unterscheidet instrumentelles und soziales Handeln und weist weiterfhrend auf den intersubjektiven wie auch diskursiven Charakter von sozialem Handeln als einen Hauptschwerpunkt in seiner Ausarbeitung hin. Das Hauptanliegen dieser Arbeit ist zunchst die Vermittlung und kritische Auseinandersetzung mit den Kernelementen der HABERMASschen Theorie des kommunikativen Handelns. Diese bestehen vorrangig aus Aspekten der dialogischen Philosophie, seiner Interpretation von Lebenswelt und System, den Weltbezgen sowie der Sprechakttheorie. Der Schwerpunkt wird dabei auf der von HABERMAS viel zitierten verstndigungsorientierten Kommunikation samt ihrer Wirkung auf die (aktuelle) Nachhaltigkeitskommunikation von Organisationen liegen. Dabei werden wir kritisch beleuchten, ob sich die HABERMASschen Theorien realistisch in die Praxis umsetzen lassen und wenn dies als zutreffend beantwortet werden kann, wie diese verstndigungsorientierte Kommunikation in der Praxis aussehen wrde.

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2 GRUNDLAGEN DER THEORIE DES KOMMUNIKATIVEN HANDELNSIn seiner Theorie des kommunikativen Handelns (TdkH) vollzieht HABERMAS eine Verknpfung von Gesellschafts-, Handlungs- und Rationalittstheorie und unternimmt somit den Versuch einer normativen Gesellschaftstheorie (vgl. Jrke 2011: 2). Die TdkH bleibt dabei allerdings nicht nur Theorie ber Theorie sondern knpft, wie bereits erwhnt, an die Tradition der kritischen Gesellschaftstheorie von HORKHEIMER und ADORNO an und erweitert diese um eine kommunikationstheoretische Perspektive (vgl. Treibel 2006: 8). So konstatiert HABERMAS zu Beginn der ersten Auflage: Die Theorie kommunikativen Handelns ist keine Metatheorie, sondern Anfang einer Gesellschaftstheorie, die sich bemht, ihre kritischen Mastbe auszuweisen. Ich verstehe die Analyse der allgemeinen Strukturen verstndigungsorientierten Handelns nicht als Fortsetzung der Erkenntnistheorie mit anderen Mitteln (Habermas 1997: 7). HABERMAS spricht in diesem Zusammenhang von einer systematischen Auswertung handlungs- und systemtheoretischer Erkenntnisse, die Klassiker der Wissenschafts- und Soziologie-Geschichte dahingehend analysiert inwieweit sie Beitrge zu einer Untersuchung der Gesellschaft und zur stufenweise Entfaltung der TdkH leisten knnen (vgl. Treibel 2006: 9). Im Gegensatz zu LUHMANN widmet sich HABERMAS dabei weniger den Fragen der konomie sondern beschftigt sich primr mit den Fragen der Moral und Normsetzung auf individueller wie auch gesellschaftlicher Ebene (vgl. Treibel 2006: 10).

2.1

Begrifflichkeiten und Abgrenzung

Die TdkH nhrt sich aus einer Vielzahl verschiedener Forschungstraditionen und Disziplinen. Es ist daher nahezu unmglich den gesamten Umfang des monstrsen Werks, wie HABERMAS es selbst einmal bezeichnete, in wenigen Kernthesen zusammenzufassen. Dennoch gibt es einige wichtige Begrifflichkeiten, die sich durch das gesamte Werk ziehen und grundlegend fr ein besseres Verstndnis der Theorie sind. Im Folgenden wird der Fokus insbesondere auf die handlungs- und kommunikationstheoretischen Begriffe sowie die Begriffe Vernunft und Rationalitt gelegt, um die Herausbildung des zentralen Begriffs des kommunikativen Handelns in Kapitel 2.2 deutlich nachvollziehen zu knnen, 7

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ohne dabei nher auf die zugrundeliegenden Theorien von KANT, WEBER und anderen eingehen zu knnen, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen wrde. Ausgangspunkt der systematischen Entfaltung der TdkH ist die Kritik am einseitigen Rationalittsbegriff. HABERMAS versucht den Nachweis zu erbringen, dass die These des Sinn- und Freiheitsverlust nach WEBER sowie das pessimistische Szenario in der Dialektik der Aufklrung von HORKHEIMER und ADORNO eine verkrzte wenn nicht fehlerhafte Theorie der Moderne zugrunde liegt (vgl. Jrke 2011, 7). Er unterzieht die kritische Theorie der Frankfurter Schule einer Weiterentwicklung indem er fr einen Paradigmenwechsel von der subjektzentrierten Bewusstseinsphilosophie hin zum Aspekt der Intersubjektivitt allen gesellschaftlichen Handelns pldiert (vgl. Brugger 2010: 129f).

2.1.1

Rationalitt und Vernunft

Rationalitt und die damit einhergehende Fhigkeit zur Vernunft ist fr HABERMAS das grundlegende Merkmal sprach- und handlungsfhiger Subjekte (vgl. Rothe 2006: 120, Habermas 1997: 182). So nimmt er bereits zu Anfang des ersten Bandes seiner TdkH eine vorlufige Bestimmung des Begriffs vor. Was bedeutet nun aber, da sich Personen in einer bestimmten Lage rational verhalten; was heit es, da ihre uerungen als rational gelten drfen? (Habermas 1997: 27). Dieser Gedanke, oder viel besser diese Fragestellung, zieht sich konsequenter Weise durch die gesamte Theorie des kommunikativen Handelns und versucht schlielich in der so genannten Universalpragmatik, die in Kapitel 2.3 dieser Arbeit ausfhrlich vorgestellt wird, ein erklrendes Regelwerk aufzustellen. Seine anfnglichen berlegungen mnden zunchst in der abstrahierten Erkenntnis, die Rationalitt einer uerung sei vor allen Dingen auf deren Kritisierbarkeit und Begrndungsfhigkeit zurckzufhren (vgl. ebd.). Eine uerung erfllt die Vorraussetzungen fr Rationalitt, wenn und soweit sie fehlbares Wissen verkrpert, damit einen Bezug zur objektiven Welt, d.h. einen Tatsachenbezug hat, und einer objektiven Beurteilung zugnglich ist (Habermas 1997: 27). Eine objektive Beurteilung kann laut HABERMAS nur dann mglich sein, wenn sich die kommunizierenden Subjekte auf intersubjektiv anerkannte Geltungsansprche beziehen und diese wiederum in einem diskursiven Prozess klren knnen (vgl. Habermas 1997: 27). Weiter unterscheidet er an dieser Stelle zwischen den Begriffen kognitiv-instrumenteller sowie kommunikativer Rationalitt. Whrend die kognitive Fassung des Rationalittsbe8

HABERMAS THEORIE DES KOMMUNIKATIVEN HANDELNS UND NACHHALTIGKEITSKOMMUNIKATION.

griffs (vgl. Apel 1963) von der ... nicht-kommunikativen Verwendung propositionalen Wissens in zielgerichtete Handlungen ... ausgeht, beruft sich der kommunikative Rationalittsbegriff auf die Erfahrung der zwanglos einigenden, konsensstiftenden Kraft argumentativer Rede, in der verschiedene Teilnehmer ihre zunchst nur subjektiven Auffassungen berwinden und sich gleichzeitig der Einheit der objektiven Welt und der Intersubjektivitt ihres Lebenszusammenhangs vergewissern (Habermas 1997: 28). Auf der einen Seite also die Fhigkeit zur Manipulation von Dingen und Ereignissen aufgrund eines bestimmten Wissens, auf der anderen Seite die Fhigkeit zur intersubjektive(n) Verstndigung ber Dinge und Ereignisse (ebd.: 33). Hier zeigt sich bereits die Abkehr vom Mythos der Zweckrationalitt (Horkheimer 1947) hin zu einer sozialen Rationalitt. Den Schwerpunkt seiner darauffolgenden Analyse bilden demnach die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Konzepten ber Handlungsrationalitt und gesellschaftliche Rationalisierungsprozesse sowie der Ansatz der sprachphilosophisch begrndeten kommunikativen Rationalitt und die darber hinausgehenden Dimensionen der Vernunft (vgl. Treibel 2006: 10). Wenngleich er nicht leugnet, dass begrndete Behauptungen und effiziente Handlungen zweifelsohne ein Indiz fr Rationalitt seien, so bemerkt er dennoch, dass es offensichtlich auch andere Typen von uerungen gibt, die auf einer soliden Begrndung fuen, obgleich sie nicht mit Wahrheits- oder Erfolgsansprchen verbunden sind (Habermas 1997: 34). Er kritisiert somit den einseitigen Rationalittsbegriff und weist darauf hin, dass in kommunikativen Situationen auch derjenige als rational bezeichnet werden kann, der sein Handeln beispielsweise entlang bestehender Normen ausrichtet, seine innere Gefhlswelt aufrichtig nach auen preisgibt und sich in der Folge konsistent verhlt (Habermas 1997: 35). Hier wird HABERMAS stufenweise Argumentation hin zu einer kommunikativen Handlungsrationalitt deutlich, die er in seiner Analyse und Abwgung verschiedener handlungstheoretischer Konzepte entwickelt und in diesem Zug den Weg fr die Universalpragmatik und die damit verbundenen Geltungsansprche ebnet (siehe Kapitel 2.3.3). "Erschpfung des Paradigmas der Bewusstseinsphilosophie" (Habermas 1997: 518)

2.1.2

Von der Kommunikation zur Handlung

Bereits in seinen frhen Verffentlichungen Anfang der 70er Jahre spricht er von den Aufgaben einer Kommunikationstheorie als Theorie der umgangssprachlichen Kommunikati9

HABERMAS THEORIE DES KOMMUNIKATIVEN HANDELNS UND NACHHALTIGKEITSKOMMUNIKATION.

on. Etwa zwanzig Jahre spter konstruiert er mit der TdkH eine solche Kommunikationstheorie, die sich mit der alltglichen Kommunikation und Interaktion von Individuen beschftigt sich dabei jedoch vom Symbolischen Interaktionismus nach MEAD differenziert (vgl. Treibel 2006: 8). Den Fokus legt HABERMAS hierbei auf die Normativitt des Handelns eine der klassischen Fragestellungen der Soziologie (vgl. Habermas 1997: XX). Normen und Werte spiegeln sich demnach in Sprache, Kommunikation und Interaktion wider (vgl. Treibel 2006: 10). Somit sieht HABERMAS zwischen gesellschaftlichen Normen und Kommunikation einen signifikanten Zusammenhang. Des Weiteren hlt er einen sprachunabhngigen Zugriff auf die Wirklichkeit unmglich und vollzieht den so genannten linguistic turn (siehe Kapitel 2.3.2), den Ausgangspunkt seiner kommunikationstheoretischen Wende (vgl. ebd.: 11). Dabei handelt es sich um eine in der zweiten Hlfte des letzten Jahrhunderts verbreitete Auffassung, dass Sprache und Realitt sich gegenseitig bedingen. Er begreift die menschliche Sprache nicht nur als System von Stzen, sondern als Handlung (Sprechhandlung, Sprechakt). Kommunikation ist demzufolge nicht nur Medium der Information, sondern vorrangig Mittel zur Koordination von Handlungen. Es werden nicht nur praktische Handlungen koordiniert, vielmehr nehmen sprachliche uerungen selbst die Form von Handlungen an. HABERMAS steht mit dieser Annahme in der Tradition der Sprechakttheorie von AUSTIN und SEARLE, die ebenfalls davon ausgehen, dass sprachliche uerungen immer auch soziale Handlungen (siehe Kapitel 2.3.2) darstellen, und bedient sich der gleichen Terminologie. (vgl. Jrke 2011: 3f) Er fhrt diese Behauptung fort, indem fr ihn alle sozialen Handlungen in einem weiteren Sinne sprachlich vermittelt sind. (vgl. Jrke 2011: 3). Umgekehrt betrachtet er nicht alles Handeln gleichzeitig als kommunikatives auf Verstndigung abzielendes Handeln. HABERMAS definiert den Begriff des kommunikativen Handelns als die Interaktion von mindestens zwei sprach- und handlungsfhigen Subjekten, die (sei es mit verbalen oder extraverbalen Mitteln) eine interpersonale Beziehung eingehen. Die Aktoren suchen eine Verstndigung ber die Handlungssituation, um ihre Handlungsplne und damit ihre Handlungen einvernehmlich zu koordinieren (Habermas 1997: 128). Auch die Manipulation von Dingen im Sinne des instrumentellen Handelns nach WEBER und HORKHEIMER (vgl. Weber 1998, Horkheimer 1947) stellt eine Form des Handelns dar, wird aber bei HABERMAS als eine Erscheinung nicht-sozialen Handelns von dem Begriff des sozialen 10

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Handelns abgegrenzt. Das soziale Handeln wird zudem in strategisches Handeln (erfolgsorientiert) und kommunikatives Handeln (verstndigungsorientiert) unterschieden (s. Kapitel 2.2) (vgl. Habermas 1997: 384ff; vgl. Jrke 2011: 3). Diese Annherung, die wichtig fr das weitere Verstehen der TdkH ist, wird im folgenden Kapitel nher erlutert.

2.2

Soziales Handeln

Wie oben bereits erlutert, unterscheidet HABERMAS soziales Handeln hauptschlich in strategisches (erfolgsorientiert) und kommunikatives (verstndigungsorientiert) Handeln bzw. Verhalten und erweitert hiermit das WEBERsche Konzept vom sozialen Handeln (Weber 1998:19ff) um diejenigen rationalisierungsfhigen Aspekte die dort seiner Meinung nach vernachlssigt wurden (vgl. Treibel 2006: 14). Seine Klassifikation von Handlungen lehnt sich insofern an die WEBERsche Handlungstheorie an, als dass die oben genannten grundstzlichen Handlungsorientierungen unterschieden werden (vgl. Habermas 1997: 384). Whrend der erste Terminus das bergeordnete Ziel der Einflussnahme verfolgt widmet sich der zweite dem Ziel des Einverstndnisses. Mit Einflussnahme meint HABERMAS hierbei eine machtorientierte Beeinflussung wohingegen Einverstndnis durch die gegenseitige Anerkennung von kritisierbaren Geltungsansprchen gekennzeichnet ist (vgl. Opielka 2006: 11).

2.2.1

Strategisches Handeln

Im Modell des zweckrationalen Handelns wird angenommen, dass ein Akteur in erster Linie an der Erreichung eines zweckorientierten Ziels interessiert ist und hierfr Mittel whlt, die fr diese Situation angemessen erscheinen (vgl. Habermas 1997: 384f). Erfolg definiert HABERMAS als ...das Eintreten eines erwnschten Zustandes in der Welt, der in einer gegebenen Situation durch zielgerichtetes Tun oder Unterlassen kausal bewirkt werden kann. Die eintretenden Handlungseffekte setzen sich zusammen aus Handlungsergebnissen (soweit der gesetzte Zweck realisiert worden ist), Handlungsfolgen (die der Aktor vorhergesehen und mitintendiert bzw. in Kauf genommen hat) und Nebenfolgen (die der Aktor nicht vorhergesehen hat) (Habermas 1997: 385). Habermas nennt eine erfolgsorientierte Handlung strategisch, ...wenn wir sie unter dem Aspekt der Befolgung von Regeln rationaler Wahl betrachten und den Wirkungsgrad der Einflunahme auf die Entscheidungen eines rationalen Gegenspielers bewerten (Haber11

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mas 1997: 385). Strategisches bzw. zweckrationales Handeln setzt mindestens zwei zielgerichtet handelnde Subjekte voraus, die ihre Ziele und Zwecke durch Beeinflussung anderer zu verwirklichen suchen. Der Handlungserfolg ist letztlich auch durch andere Aktoren bedingt, die sich nur in dem Mae kooperativ verhalten in dem es ihrem egozentrischen Nutzenkalkl entspricht (vgl. ebd.: 131). Der strategisch Handelnde nutzt Mechanismen wie Zwang oder Belohnung (offenes strategisches Handeln) oder Manipulation in Form von scheinbar verstndigungsorientiertem Handeln (verdeckt strategisches Handeln) um seine intendierten Ziele unabhngig von einem Einverstndnis anderer zu verwirklichen (Habermas 1997: 386).

2.2.2

Kommunikatives Handeln

Der Begriff des kommunikativen Handelns bildet bei HABERMAS das Gegenstck zum strategischen Handeln und die Grundlage der TdkH (vgl. Habermas 1997: 148ff, vgl. Treibel 2006: 14). Kommunikatives Handeln zeichnet sich laut HABERMAS vor allem durch einen kooperativen Deutungsproze aus, in dem sich die Teilnehmer auf etwas in der objektiven, der sozialen und der subjektiven Welt zugleich beziehen, auch wenn sich ihre uerungen thematisch nur eine der drei Komponenten hervorheben (Habermas 1997: 151). Unter Verstndigung begreift HABERMAS die Einigung mehrerer sprach- und handlungsfhiger Subjekte ber die Gltigkeit einer uerung, whrend Einverstndnis die intersubjektive Anerkennung des Geltungsanspruchs, den der Sprecher fr sich erhebt meint (ebd.: 148). Verstndigung, so HABERMAS, wohnt als Telos der menschlichen Sprache inne. Im kommunikativen Handeln sind die Beteiligten nicht an der Durchsetzung ihrer egozentrischen Ziele orientiert sondern suchen die Verwirklichung ihrer individuellen Ziele durch gemeinsame Situationsdefinitionen und Handlungskoordinierung (vgl. Habermas 1997: 387). Ein kommunikativ erzieltes Einverstndnis unterscheidet sich also insofern, dass es nicht von auen induziert wurde, sondern von allen Beteiligten als gltig akzeptiert wird (vgl. Habermas 1997: 386). Im Gegensatz zum strategischen Handeln kann ein im Verstndigungsprozess gereiftes Einverstndnis nicht von auen auferlegt sein. Sei es ... instrumentell, durch Eingriff in die Handlungssituation unmittelbar, oder strategisch, durch erfolgskalkulierte Einflunahme auf die Entscheidungen eines Gegenspielers (Habermas 1997: 387). Verstndigungsorientiertes sprich kommunikatives Handeln fordert von allen am kommunikativen Akt beteiligten Individuen eine ausgeprgte Fhigkeit zur Distanzierung und Selbstreflexivitt, da es sich nicht nach hheren Instanzen wie Religion 12

HABERMAS THEORIE DES KOMMUNIKATIVEN HANDELNS UND NACHHALTIGKEITSKOMMUNIKATION.

oder Tradition richtet, sondern sich einzig dem besseren Argument bzw. guten Grnden verpflichtet. Diese Argumente wiederum mssen intersubjektiv anerkannt und berprfbar sein (vgl. Treibel 2006: 15). Kommunikatives Handeln kann somit gewissermaen als der Prototyp intersubjektiven Handelns betrachtet werden. Es ist nicht strategisch, nicht erfolgsorientiert und dennoch auf ein gemeinsames Ziel der Beteiligten hin ausgerichtet. Dieses Ziel lautet Verstndigung (ebd.). Die Handlungskoordinierung steht bei dieser Form des sozialen Handelns im Mittelpunkt der beteiligten Akteurinnen und Akteure, die ihre Handlungsplne nicht ber egozentrische Erfolgskalkle, sondern ber Akte der Verstndigung koordinieren (Habermas 1997: 385). Im Kontrast zum strategischen Handeln sind die Beteiligten nicht primr am eigenen Erfolg orientiert; sie verfolgen ihre individuellen Ziele unter der Bedingung, da sie ihre Handlungsplne auf der Grundlage gemeinsamer Situationsdefinitionen aufeinander abstimmen knnen (ebd.). HABERMAS betont an dieser Stelle, dass insbesondere das Aushandeln von Situationsdefinitionen grundlegend fr die Interpretationsleistungen im Rahmen des kommunikativen Handelns sind (vgl. ebd.).

2.3

Universalpragmatik

Nach HABERMAS sind Kommunikation und gesellschaftliche Normen also eng miteinander verknpft. Im Folgenden soll erlutert werden, wie HABERMAS in seiner TdkH systematisch der Frage nachgeht wie soziales Handeln mglich ist und wie es organisiert wird. Mit seiner Universalpragmatik, die eine Synthese und Weiterentwicklung verschiedener sprachphilosophischer, handlungs- als auch erkenntnistheoretischer Klassiker darstellt, rekonstruiert HABERMAS ein Regelsystem, welches die verstndigungsorientierte Handlungskoordinierung der Kommunikationsteilnehmer ermglicht, logisch herleitet und organisiert. Kommunikative Rationalitt und Vernnftigkeit (siehe Kapitel 2.1.1) bilden dabei die allumfassende Grundlage und der Begriff des Geltungsanspruchs das fundamentale Gerst fr die darauf fuende Diskursethik (vgl. Treibel 2006: 169). Dabei rckt HABERMAS stets auch die weltlichen Relationen, sprich die jeweilige Einbettung der Akteure, in den Vordergrund.

2.3.1

Die drei Weltbezge

HABERMAS stellt eine Verbindung zwischen Typen von Sprechhandlungen und Weltausschnitten her, auf die sich diese beziehen und bezeichnet sie als Weltbezge. Demnach 13

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knnen sich die Typen von Sprechhandlungen auf die objektive, subjektive oder soziale Welt beziehen. Mglich ist auch ein reflexiver Bezug auf alle drei Welten gleichzeitig, was beim kommunikativem Handeln der Fall ist (vgl. Schfer 2005: 45f). Die objektive Welt ist die Welt der Dinge, Sachverhalte und Personen, die uns umgeben. Diese mssen nicht zwangslufig materiell sein zur objektiven Welt gehren u.a. auch Ideen, Prozesse, Vorgnge, o.., die nicht greifbar sind. (vgl. ebd.) Die soziale Welt besteht aus den nach bestimmten Normen geregelten sozialen Beziehungen innerhalb der Gesellschaft. (vgl. ebd.) Zusammen bilden die ersten beiden Welten die Auenwelt. Ihr gegenber steht die innere, subjektive Welt, welche unsere Eindrcke, Erlebnisse, Empfindungen und Emotionen umfasst, die nur uns als Individuum persnlich zugnglich sind. Diese Welt kann nur ber die Sprache erschlossen werden. (vgl. ebd.)

2.3.2

Sprechhandlungen und Sprechakttheorie

In den 70er Jahren begann HABERMAS sich mit angelschsischer, analytischer Sprachphilosophie auseinanderzusetzen, wobei er eine, wie bereits in Kapitel 2.1.2. erwhnt, linguistische Wende vollzog. Bis dahin hatte sich bereits die Erkenntnis, in Anlehnung an WITTGENSTEIN, durchgesetzt, dass sprachliche uerungen eine hnliche Qualitt wie Handlungen aufweisen (vgl. Stark/Lahusen 2002: 134). Fr HABERMAS ist demnach Sprache nicht nur ein System von Stzen (also ein rein grammatikalisches, linguistisches Phnomen), sondern eine Handlung: eine Sprechhandlung oder ein Sprechakt (Treibel 2006: 167). Diese letztgenannten Begriffe bernimmt HABERMAS der Terminologie der von ihm untersuchten Sprachphilosophen. Demnach erschpft sich sprechen also nicht allein im formulieren von Stzen sondern unsere uerungen erhalten eine institutionellen Charakter -denn wer spricht, der handelt auch gleichsam. Diese Erkenntnis ist zentraler Bestandteil der linguistischen Wende. Insbesondere Beispiele wie Gratulationen, Namensgebungen oder auch Versprechen veranschaulichen uns die Handlungsqualitt von Sprechakten, welche soziale Konsequenzen nach sich ziehen (vgl. Stark/Lahusen 2002: 134). HABERMAS orientiert seine Sprechakttheorie vor allem an denen der beiden Philosophen AUSTIN und SEARLE wobei AUSTIN als Begrnder der Sprechakttheorie gilt und SEARLE als Schler AUSTINs, dessen Theorie weiterentwickelte. 14

HABERMAS THEORIE DES KOMMUNIKATIVEN HANDELNS UND NACHHALTIGKEITSKOMMUNIKATION.

Das 1962 nach seinem Tod erschienene Werk AUSTINs mit dem Titel How to do Things with words, wortwrtlich bersetzt Wie man mit Worten Dinge tut vermittelt somit im Titel auch gleich die Grundthese seiner Theorie (vgl. Schfer 2005: 31ff). HABERMAS analysiert die Klassifikationsversuche der beiden Oxford-Philosophen, welche er anhand einer kritischen Auseinandersetzung mit anderen Klassifikationsversuchen versucht zu rechtfertigen (Habermas 1987: 427). Er kommt zu dem Schluss, dass SEARLE zu einer schon recht bersichtlichen und intuitiv einleuchtenden Klassifikation gelangt (ebd.: 429). HABERMAS setzt auf die Theorie der universalen Geltungsansprche und setzt diese als Fundament der Gesellschaft in seiner Sprechakttheorie an. Die Idee der Vernunft ist dabei fr ihn ein unerlssliches Gut. Das bedeutet: Wenn zwei Individuen miteinander sprechen, gehen beide Akteure zunchst davon aus, dass die Ausfhrungen ihres Gegenbers wahr, richtig und aufrichtig/wahrhaftig sind. Darber hinaus beziehen sich Sprechhandlungen auch auf verschiedene Realittsbereiche, die wir als Welten in Anlehnung an POPPER bereits kennengelernt haben. Rckblickend auf Kapitel 2.3.1 steht also die uere Natur fr die objektive Welt existierender Tatsachen und die Gesellschaft fr die soziale Welt der Normen. HABERMAS bezeichnet beide Welten als Auenwelt. Demgegenber steht die innere Natur des Menschen, also die subjektive Welt. Sie stellt die inneren Ereignisse dar, welche nur dem empfindenden Individuum zugnglich sind (vgl. Treibel 2006: 167-168). Diese Erkenntnisse finden sich auch in den von HABERMAS klassifizierten Sprechakten wieder. Er fgt den von SEARLE bernommenen Sprechakten, den konstativen sowie den expressiven, sein neue Klasse der regulativen Sprechhandlungen hinzu. Insgesamt unterscheidet er allerdings sechs Typen von Sprechhandlungen, wobei lediglich drei von ihnen, die expressiven, regulativen und konstativen, sich auf die drei klar abgegrenzten Welten beziehen und als verstndigungsorientiert betrachtet werden knnen (vgl. Schfer 2005: 42). HABERMAS nennt sie auch reine Typen, besser Grenzflle des kommunikativen Handelns (Habermas 1987: 438). Imperative Sprechhandlungen: Bei den imperativen Sprechhandlungen nimmt der Aktor bzw. Sprecher Bezug auf einen Zustand in der ueren Natur, also der objektiven Welt der Tatsachen. Dies geschieht in der Weise, dass er sein Gegenber dazu bewegen mchte, diesen Zustand herzustellen. Um hier fr den Sprecher einen Erfolg erzielen zu knnen, ist eine entsprechende Durchfhrbarkeit dieser Handlung natrlich unabdingbar. Lehnt der Gegenber diesen Imperativen ab, bedeutet dies, dass in diesem Fall ein Machtanspruch zurckgewiesen wird. Diese Ablehnung basiert in der Regel nicht auf Kri15

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tik, sondern drckt einen entsprechenden Willen des Gegenbers aus. Diese Beeinflussung des Gegenspielers wird daher auch der Kategorie des strategischen, erfolgsorientierten Handelns zugeordnet und somit nicht dem verstndigungsorientierten also kommunikativen Handeln. (vgl. ebd.: 435) Konstative Sprechhandlungen: Bei der Anwendung konstativer Sprechhandlungen bezieht sich der Sprecher ebenfalls auf die objektive Welt der Tatsachen. Dabei steht die gettigte Aussage, also der geschilderte Sachverhalt, jedoch unter dem (Geltungs)Anspruch der Wahrheit. Das heit, es geht in diesem Fall darum, ob die Aussage vom Gesprchspartner als zutreffend oder nicht eingestuft wird. Eine Ablehnung wrde bedeuten, dass der Wahrheitsanspruch vom Gesprchsteilnehmer bestritten werden wrde. (vgl. ebd.) Regulative Sprechhandlungen: Durch Anwendung regulativer Sprechhandlungen bezieht sich der Sprecher auf die soziale Welt der Normen und Institutionen in der Gesellschaft, insofern als dass er eine als legitim anerkannte interpersonale Beziehung herstellen mchte (ebd.: 436). In dieser Klasse der von HABERMAS untergliederten Sprechhandlungen wird der Anspruch der Richtigkeit erhoben. Vereinfacht ausgedrckt bedeutet dies, dass es darum geht, ob die geschilderten sozialen Verhaltensweisen vom Gesprchspartner als gerechtfertigt angesehen werden oder die normative Richtigkeit bestritten wird. (vgl. ebd.) Expressive Sprechhandlungen: Bei den expressiven Sprechhandlungen bezieht sich der Redner auf Sachverhalte der subjektiven Welt, also der inneren Natur des Menschen. Bei Anwendung dieser mchte der Sprecher ein von ihm erlebtes Ereignis, also seine Erfahrung, mit seinem Gesprchspartner teilen. Diese Form der Sprechhandlungen steht aufgrund ihrer Subjektivitt unter dem Anspruch der Wahrhaftigkeit. Sind die vom Sprecher ausgedrckten Erlebnisse, Gefhle oder Wnsche authentisch oder nicht? (vgl. ebd.) Kommunikative Sprechhandlungen: HABERMAS entscheidet sich diese Form der Sprechhandlungen als eigene, selbstndige Klasse von Sprechakten auszuweisen, und nicht als Teilklasse der regulativen Sprechhandlungen. Sie dienen der Organisation von Reden beispielsweise in Form von Themen- und Beitragsgliederungen, der Gesprchsabfolgekoordination oder auch der Zuweisung von Gesprchsrollen. Aufgrund der reflexiven Bezugnahme auf den Kommunikationsform (ebd.: 436) entscheidet sich HABERMAS diese Klasse von den Regulativen zu separieren. Dies hat zum Vorteil, dass sich nmlich auch 16

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Sprechhandlungen wie beispielsweise Bejahungen und Verneinungen oder auch Rechtfertigungen und Widerlegungen mit einbeziehen lassen, da sie sich einerseits auf den Geltungsanspruch direkt beziehen oder aber, wie bei letzteren, auf deren argumentative Behandlung. (vgl. ebd.) Kommunikative Sprechhandlungen sind also auch insofern eine gesonderte Form der Sprechakte, als dass sie sich nicht auf eine bestimmte, der oben bereits genannten, Welten beziehen, sondern auf die in den Sprechhandlungen selbst benutzte Sprache. Somit stehen sie unter dem Anspruch der Verstndlichkeit, dem vormals vierten Geltungsanspruch des frhen Habermas. Der spte Habermas rckt die Verstndlichkeit von den anderen drei Geltungsansprchen ab und begreift sie seitdem als allgemeine Voraussetzung fr kommunikatives Handeln. (vgl. Schfer 2005: 48) Es geht also um die formale Grundlage, die Bedeutung des Gesagten und dem Ziel zu einer Verstndigung zu gelangen. (vgl. Stark/Lahusen 2002: 136) Operative Sprechhandlungen: Bleibt abschlieend die Klasse der operativen Sprechhandlungen. Hier werden konstruktive Regeln aus Logik, Grammatik oder auch Mathematik angewendet wie beispielsweise identifizieren, rechnen oder abzhlen. Diese Sprechakte haben zwar einen performativen aber nach HABERMAS keinen genuin kommunikativen Charakter. (vgl. Habermas 1987: 436)

Abbildung 1: Universalpragmatik nach Habermas1

Wie wir nun feststellen konnten sind fr HABERMAS die Geltungsansprche pragmatische Universalien, welche in jeder Sprechhandlung von den Aktoren unweigerlich vorausge1

Eigene Darstellung nach Habermas in Anlehnung an Schfer 2005 : 48

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setzt werden, wobei Zeit, Kultur, Ort und Individuum keine nennenswerte Rolle spielen. Gelangen die Gesprchsteilnehmer in den Klassen der konstativen, regulativen oder reprsentativen Sprechakten zu Nichtbereinstimmung ihrer Meinungen und bestreiten die entsprechenden Geltungsansprche, so kann nach Habermas ein bereinkommen in Form eines Diskurses erlangt werden, auf welchen wir in Kapitel 2.3.4 noch nher eingehen werden. Bei dieser Form der Metakommunikation wird das Gesprch selbst zum Thema. Die Diskursteilnehmer streiten nicht einfach miteinander, sie verlassen die inhaltliche Ebene ihrer Auseinandersetzung (Stark/Lahusen 2002: 135) und versuchen nun konstruktiv einen Weg zur Entschrfung der Situation zu finden.

2.3.3

Handlungstypologie und Geltungsansprche

Wie in den vorangehenden Abschnitten deutlich wurde, ist Sprache fr HABERMAS also ein doppeltes Medium. Sowohl Medium der Verstndigung und Handlungskoordinierung als auch der Vergesellschaftung von Individuen (Habermas 1997). Sprachliche Kommunikation wiederum ist laut HABERMAS an bestimmte fundamentale Regeln gekoppelt, die er mit dem zuvor erwhnten Begriff der Universalpragmatik beschreibt, und die kommunikative Vernunft erst ermglichen (siehe Kapitel 2.3.4). Wie eingangs im Zusammenhang mit HABERMAS Rationalittsbegriff erlutert, erfllen uerungen, die mit Ansprchen auf normative Richtigkeit und subjektive Wahrhaftigkeit verknpft sind, ebenso die zentrale Vorraussetzung fr Rationalitt wie Akte mit dem Anspruch auf propositionale Wahrheit: sie lassen sich sowohl begrnden als auch kritisieren. Normen regulierte Handlungen und expressive Selbstdarstellungen ergnzen folglich konstative Sprechhandlungen zu einer kommunikativen Praxis, die vor dem Hintergrund einer Lebenswelt auf die Erzielung, Erhaltung und Erneuerung von Konsens angelegt ist , der auf der intersubjektiven Anerkennung kritisierbarer Geltungsansprche beruht (Habermas 1997: 37). Nach Habermas gibt es neben der grundstzlichen Unterscheidung in erfolgsorientiertes und verstndigungsorientiertem Handeln verschiedene Handlungstypen, die unterschiedliche Arten von Wissen verkrpern (vgl. Rosken 2009: 91). Auf diese Weise konzipiert HABERMAS in einer stufenweise Abgrenzung zu anderen bis dato gngigen Handlungsbegriffen den Begriff des kommunikativen Handelns (siehe Kapitel 2.2.2) (vgl. Reese-Schfer 1994: 27, vgl. Rosken 2009: 91): 18

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Teleologisches (zielgerichtetes) Handeln hat die Verwirklichung eines Zwecks zum Ziel und verkrpert strategisch verwertbares Wissen. (Entscheidungs- und Spieltheorie) Normatives Handeln fokussiert auf gemeinsame Werteorientierungen innerhalb sozialer Gruppen und verkrpert moralisch faktisches Wissen. (Rollentheorie) Dramaturgisches Handeln betrifft die Selbstprsentation und Selbstdarstellung vor einem Publikum und vermittelt Subjektivitt. Kommunikatives Handeln meint die sprachliche Verstndigung zwischen sprach- und handlungsfhigen Subjekten. Das kommunikative Handeln innerhalb der HABERMASschen Handlungstypologie stellt gewissermaen eine Steigerungsform aller anderen Handlungstypen dar, die eher als eine Art Grenzfall betrachtet werden. Es ist die Summe aller weiteren Handlungsbegriffe (vgl. Reese-Schfer 1994: 29, Habermas 1997: 149). Denn hierbei handelt es sich nur noch um einen indirekten Weltbezug bei direkter Verstndigung. Die Akteure nehmen nicht mehr geradehin auf etwas in der objektiven, sozialen oder subjektiven Welt Bezug, sondern relativieren ihre uerungen an der Mglichkeit, da deren Geltung von anderen Akteuren bestritten wird (Habermas 1997: 148). Infolgedessen ist es unvermeidbar, dass die Aktoren ihre Sprechhandlungen in genau drei Weltbezge einbetten und fr sie, hinsichtlich jedem dieser Aspekte, Gltigkeit beanspruchen (Habermas 1997: 413). Die Gltigkeit einer Aussage bemisst sich laut HABERMAS an einem System universaler Geltungsansprche, ... die oft erst im Zusammenhang mit dem Kontext einer uerung erkennbar sind, die aber nicht nur durch Kontexte und Handlungen konstituiert werden (Habermas 1997: 64). Indem ein Sprecher mit seiner uerung einen Geltungsanspruch erhebt, ist dies gleichzusetzen mit dem Anspruch auf Gltigkeit seiner Aussage. Ein Geltungsanspruch ist quivalent der Behauptung, da die Bedingungen fr die Gltigkeit einer uerung erfllt sind (Habermas 1997: 65). Der Sprecher erhebt einen Geltungsanspruch entweder implizit oder explizit. Der Hrer hat in der Folge die Optionen diesen entweder anzunehmen, zurckzuweisen oder sich zu enthalten (Habermas 1997: 65). Dabei weist HABERMAS auf eine wichtige Unterscheidung hin: Auch im Falle von willkrlichen Aufforderungen, HABERMAS bezeichnet sie als Imperative, besteht die Mglichkeit diesen zuzustimmen oder sie abzulehnen. Seiner Meinung nach sind solche Stellungnahmen jedoch selbst Ausdruck einer Willkr (ebd.). Bei Geltungsansprchen hingegen 19

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stimmt der Hrer einer kritisierbaren uerung mit Grnden zu oder nicht (vgl. ebd.). Hier offenbart sich der entscheidende Punkt: Ein kommunikativ erzieltes Einverstndnis muss sich letztlich auf Grnde sttzen knnen und bemisst sich an drei kritisierbaren Geltungsansprchen, die sich jeweils auf eine der drei zuvor erluterten Welten beziehen (vgl. Habermas 1997: 37, 413): Wahrheit: Der Aktor erhebt den Anspruch, dass die gemachte Aussage wahr ist. (objektive Welt) Richtigkeit: Der Aktor erhebt den Anspruch, dass die Sprechhandlung geltenden normativen Kontexten und Regeln entspricht. (soziale Welt) Wahrhaftigkeit: Der Aktor erhebt den Anspruch in der Schilderung seiner inneren Einstellungen, Wnsche und Erlebnisse aufrichtig zu sein und zu meinen was er uert. (subjektive Welt) An manchen Stellen seines Werkes spricht HABERMAS auch von einem vierten Geltungsanspruch der Verstndlichkeit sprachlicher uerungen, der sich auf die formale Welt bezieht. Da seiner Argumentation nach Kommunikation nur zustande kommen kann, wenn eine uerung fr alle Kommunikationsteilnehmer verstndlich ist, begreift er Verstndlichkeit jedoch nicht als eigenen Anspruch, sondern als Vorraussetzung fr alle brigen Geltungsansprche (vgl. Reese-Schfer 1994: 28). Die drei Geltungsansprche bezeichnet HABERMAS als rational, da sie von den Akteuren zunchst die naive Unterstellung fordern, dass jeder Gesprchspartner vernnftig handelt. Ob diese Annahme in einem spteren Verlauf angezweifelt wird, bleibt vorerst dahin gestellt (vgl. ebd.: 29). Um kommunikatives Handeln zu ermglichen mssen Geltungsansprche zunchst universal erhoben werden. Der Hrer kann in der Folge mit ja oder nein Stellung nehmen. Akzeptiert er einen Geltungsanspruch, stimmt er nicht nur zu, dass die gemachte Aussage wahr, richtig oder wahrhaftig ist, sondern willigt zugleich ein, sein zuknftiges Handeln an diesem Einverstndnis zu orientieren, ...das sich einerseits auf den Inhalt der uerung, andererseits auf sprechaktimmanente Gewhrleistungen und interaktionsfolgenrelevante Verbindlichkeiten bezieht (Habermas 1997: 398). Wrde ein Sprecher diese Geltungsansprche nicht erheben, so liee sich nur vermuten, dass er nicht das kooperative Ziel der Verstndigung verfolgt, also nicht verstndigungsorientiert handelt sondern strategisch (vgl. Habermas 1997: 149).

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Abbildung 2: Geltungsansprche und Mglichkeiten der Kritik2

2.3.4

Kommunikative Rationalitt und Diskurs

Die beschriebenen Grundnormen kommunikativer Rationalitt dienen HABERMAS zu einer logischen Beschreibung des Diskurses (vgl. Jger/Baltes-Schmitt 2003: 74). Er spricht in diesem Zusammenhang von einer Doppelstruktur der Kommunikation. Solange Geltungsansprche nicht explizit thematisiert und angezweifelt werden, befinden sich die Kommunikationsteilnehmer auf der Ebene des kommunikativen Handelns. Hier wird die Geltung einer uerung naiv vorausgesetzt um Informationen auszutauschen. Im Diskurs wird die Kommunikation bzw. eine sprachliche uerung selbst zum Thema gemacht der Austausch von zustzlichen Informationen spielt hier keine Rolle. In diesem Fall handelt sich um so genannte Metakommunikation im Sinne von WATZLAWICK (Watzlawik et al 2007: 55), die dazu dient problematisierte Geltungsansprche verstndigungsorientiert zu klren und vorhandene Zweifel im gegenseitigen Einverstndnis zu beseitigen. Werden Geltungsansprche in Frage gestellt und intersubjektiv berprft, verlassen die Aktoren ergo die Ebene des kommunikativen Handelns und wechseln in die Ebene des Diskurses. Hier werden nach HABERMAS alltgliche Handlungszwnge auer Kraft gesetzt und es gilt einzig der zwanglose Zwang des besseren Arguments (Habermas 1975: 233, vgl. Schfer 2005: 49). Von Diskursen spricht HABERMAS folglich nur dann, wenn der Sinn des problematisierten Geltungsanspruchs dadurch legitimiert ist, dass grundstzlich ein rational motiviertes Einverstndnis erzielt werden knnte, vorausgesetzt die Argumentation wrde2

Eigene Darstellung in Anlehnung an Habermas (1997: 439) und Reese-Schfer (1994: 29)

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offen und lange genug gefhrt (vgl. Habermas 1997: 71, vgl. Jger/Baltes-Schmitt 2003: 63f). Der Diskurs gleicht somit einer Art kooperativen Wahrheitssuche und fungiert als Gegeninstitution schlechthin (Habermas 1971 zit. nach Jger/Baltes-Schmitt 2003: 64). Weiter nimmt HABERMAS eine klare terminologische Abgrenzung der Begriffe Diskurs, Kritik und Argumention vor. Argumentation bezeichnet er als ... den Typus von Rede, in dem die Teilnehmer strittige Geltungsansprche thematisieren und versuchen, diese mit Argumenten einzulsen oder zu kritisieren (Habermas 1997: 38). In Bezug auf die drei Geltungsansprche und die damit verknpften Handlungstypen zeigt HABERMAS folgende Mglichkeiten der Kritik bzw. Argumentation auf. Im theoretischen Diskurs knnen Zweifel an einem erhobenen Geltungsanspruch auf Wahrheit erhoben und argumentativ eingeklagt werden. Dies kann der Fall sein, wenn einer oder mehrere Kommunikationsteilnehmer der Meinung sind, dass eine propositionale uerung nicht mit einem Sachverhalt bereinstimmt. Im theoretischen Diskurs (wissenschaftliche Studien, Forschungsergebnisse etc.) besteht sodann die Mglichkeit den Wahrheitsgehalt einer solchen Aussage zu begrnden und zu kritisieren (vgl. Brugger 2010: 131, vgl. Marre 2010: 1ff). Wird im Rahmen einer uerung der erhobene Anspruch auf Richtigkeit angezweifelt und somit die dem Anspruch zugrundeliegende Norm oder Regel nicht anerkannt, so knnen die Gesprchsteilnehmer diese in einem praktischen Diskurs einer argumentativen Prfung unterziehen (vgl. Brugger 2010: 131). Wie im vorherigen Abschnitt skizziert, handelt ein Kommunikationsteilnehmer laut HABERMAS wahrhaftig, wenn sich die in seiner Rede geuerten subjektiven Intentionen und Einstellungen mit seinen tatschlichen Handlungen decken er zum Beispiel ein gegebenes Versprechen auch einlst. Der Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit ist somit immer nur in Handlungszusammenhngen berprfbar (vgl. Marre 2010: 1ff). So heit es bei HABERMAS: uerungen dieser Art knnen objektiv nicht wegen ihrer Unwahrhaftigkeit kritisiert werden, sie mssen vielmehr nach ihrem intendierten Erfolg beurteilt werden. In ihrer Wahrhaftigkeit knnen expressive uerungen nur im Kontext einer auf Verstndigung abzielenden Kommunikation gemessen werden (Habermas 1997: 42). Da sich der Anspruch auf Wahrhaftigkeit demnach nicht in einem Diskurs begrnden, sondern lediglich in einem systematischen Selbstaufklrungsprozess reflektieren lsst, nennt HABERMAS hierfr den Begriff der therapeutischen Kritik (vgl. Habermas 1997: 43): Wer ... aber 22

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imstande ist, sich ber seine Irrationalitt aufklren zu lassen, der verfgt nicht nur ber [die] Rationalitt ..., sondern ber die Kraft, sich seiner Subjektivitt gegenber reflexiv zu verhalten und die irrationalen Beschrnkungen zu durchschauen, denen seine ... uerungen systematisch unterliegen (Habermas 1997: 43). Zu guter Letzt nennt HABERMAS den explikativen Diskurs als Form der Argumentation, in der die Verstndlichkeit Wohlgeformtheit oder Regelrichtigkeit von symbolischen Ausdrcken nicht mehr naiv unterstellt oder abgestritten, sondern als kontroverser Anspruch zum Thema gemacht wird (ebd.: 44). Diese Form des Diskurses dient demnach sowohl der linguistischen als auch hermeneutischen Untersuchung von uerungen, die mitunter dazu dienen soll Bedeutungen von Aussagen erklren zu knnen (vgl. ebd.). Auf diese Weise entwirft HABERMAS einen Idealtypus der Kommunikation, in dem lediglich die konsensstiftende Kraft des besseren Arguments zhlt. Als Vorraussetzung fr einen echten gelingenden Diskurs konzipiert HABERMAS die ideale Sprechsituation.

2.3.5

Die ideale Sprechsituation

Mit der idealen Sprechsituation will HABERMAS die Schwierigkeit berwinden, welche durch die Konsensustheorie der Wahrheit vorliegen. Die Wahrheit ist nach dieser Theorie das Paradigma aller Geltungsansprche. Sie muss diskursiv einlsbar sein, d.h. die Aussage muss mglichen Gegenargumenten standhalten (Habermas 1989: 109). Hierbei treten allerdings zwei Probleme auf. Zunchst die Ungeklrtheit, wie hoch der Umfang mglicher Gegenargumente sein soll und die Frage, ob und wenn dann wie ein Diskurs zur Wahrheit fhrt. Die Verfasser dieser Arbeit orientieren sich an der Vermutung von LEE, dass HABERMAS diese Schwierigkeiten mit dem Begriff der idealen Sprechsituation berwinden will (vgl. Lee 2006: 162). HABERMAS fordert in seiner idealen Sprechsituation vier Bedingungen (vgl. Habermas 1989: 177f): 1) Alle potentiellen Teilnehmer eines Diskurses mssen die gleiche Chance haben, kommunikative Sprechakte zu verwenden, so dass sie jederzeit Diskurse erffnen sowie durch Rede und Gegenrede, Frage und Antwort perpetuieren knnen. 2) Alle Diskursteilnehmer mssen die Chance haben, Deutungen, Behauptungen, Empfehlungen, Erklrungen und Rechtfertigungen aufzustellen und deren Gel23

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tungsanspruch zu problematisieren, zu begrnden oder zu widerlegen, so dass keine Vormeinung auf Dauer der Thematisierung und der Kritik entzogen bleibt. 3) Zum Diskurs sind nur Sprecher zugelassen, die als Handelnde gleiche Chancen haben, expressive Sprechakte zu verwenden, d.h. ihre Einstellungen, Gefhle und Wnsche zum Ausdruck zu bringen. Denn nur das reziproke Zusammenstimmen der Spielrume individueller uerungen und das komplementre Einpendeln von Nhe und Distanz in Handlungszusammenhngen bieten die Garantie dafr, dass die Handelnden auch als Diskursteilnehmer sich selbst gegenber wahrhaftig sind und ihre innere Natur transparent machen. 4) Zum Diskurs sind nur Sprecher zugelassen, die als Handelnde die gleiche Chance haben regulative Sprechakte zu verwenden, d.h. zu befehlen und sich zu widersetzen, zu erlauben und zu verbieten, Versprechen zu geben und abzunehmen, Rechenschaft abzulegen und zu verlangen usf. Denn nur die vollstndige Reziprozitt der Verhaltenserwartungen, die Privilegierung im Sinne einseitig verpflichtender Handlungs- und Bewertungsnormen ausschlieen, bietet die Gewhr dafr, dass die formale Gleichverteilung der Chancen, eine Rede zu erffnen und fortzusetzen, auch faktisch dazu genutzt werden kann, Relativittszwnge zu suspendieren und in den erfahrungsfreien und handlungsentlastenden Kommunikationsbereich des Diskurses berzutreten. Die ersten beiden Bedingungen nennt HABERMAS in dem Zusammenhang trivial. Weniger trivial hingegen sind die letzteren Bedingungen, da diese erfllt sein mssen, damit die Gewhr besteht, dass die Gesprchsteilnehmer tatschlich einen Diskurs aufnehmen knnen und nicht blo whnen, einen Diskurs zu fhren, whrend sie in Wahrheit unter Handlungszwang kommunizieren. Des Weiteren sind nach HABERMAS die Bedingungen 1 und 4 Voraussetzung, die erfllt sein mssen, dass ein Diskurs berhaupt zustande kommt. (ebd.: 177f) Die ideale Sprechsituation ist somit konstitutiv und regulativ zugleich. D.h. sie ist gleichermaen Voraussetzung und eine Situation die angestrebt wird. In diesem Zusammenhang rumt HABERMAS ein, dass die Bedingungen der idealen Sprechsituation keineswegs nur regulativ sind aber die allgemeinen pragmatischen Voraussetzungen von Argumentation berhaupt, weil diese Bedingungen hic et nunc in hinreichender Annherung erfllt werden mssen, wenn wir berhaupt argumentieren wollen. Es verhlt sich vielmehr so, dass wir die Argumentationsvoraussetzungen, obwohl sie einen 24

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idealen und nur annherungsweise zu realisierenden Gehalt haben, faktisch machen mssen, wenn wir berhaupt in eine Argumentation eintreten wollen (Horster 2000: 5f). Die Unterstellung einer idealen Sprechsituation hat nach HABERMAS zur Folge, dass jeder Konsens, der unter ihren Bedingungen (Bedingungen der idealen Sprechsituation) erzielt werden kann, per se als vernnftiger Konsens gelten darf (Habermas 1989: 118). Diese Tatsache wird auch dadurch beschrieben, dass ein zwangloser Zwang des besseren Arguments besteht (vgl. Schneider 2006: 456). Da die ideale Sprechsituation auf sehr theoretischen Kenntnissen beruht, muss sie sich auch einer Kritik bei der praktischen Umsetzung unterziehen. Selbst HABERMAS bt bei der idealen Sprechsituation Selbstkritik. in dieser Hinsicht habe ich versucht, die allgemeinen kommunikativen Voraussetzungen der Argumentation als Bestimmungen einer idealen Sprechsituation anzugeben. Dieser Vorschlag mag im einzelnen unbefriedigend sein (Habermas 1981: 47). Die Verfasser dieser Arbeit mchten bei der Kritik auf die Teilnehmer der idealen Sprechsituation eingehen, im Speziellen auf Entscheidungen die getroffen werden, ohne dass die Betroffenen an dem Diskurs teilnehmen knnen. HABERMAS gibt bei seinen Bedingungen fr die ideale Sprechsituation Hinweise darauf, welche Regeln die Teilnehmer zu beachten haben, sagt aber nicht, wer alles an dem Diskurs teilnehmen soll/muss um einen vernnftigen Konsens zu erzielen. Dieser Problematik liegen die politischen Entscheidungen zugrunde. In der Tat wurden die demokratisch legitimierten Entscheidungstrger von der Bevlkerung gewhlt und handeln in der Demokratie zumindest theoretisch mit dem Wahlauftrag im Sinne der Whler. Was ist aber bei politischen Entscheidungen, die fr die Nicht-Wahlberechtigten Brger getroffen werden? Beispielsweise der Frderalismus in der Bildungspolitik oder der Stammzellenforscher. Bei letztgenannten werden sogar Entscheidungen getroffen, ber diejenigen, die noch nicht einmal geboren wurden. Die ideale Sprechsituation liefert einen Rahmen fr den Diskurs. Es werden Regeln aufgestellt und Freiheiten gegeben, die fr jeden Teilnehmer gleich sind. Dies ist absolut positiv zu bewerten. Allerdings zeigt die ideale Sprechsituation bei der praktischen Umsetzung am oben angerissenen Beispiel auch Schwchen und msste dahingehend noch weiterentwickelt werden.

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2.4

Lebenswelt und System

Im Rahmen seiner Theorie entwickelt HABERMAS ein zweistufiges Modell der Gesellschaft bestehend aus den Konzepten Lebenswelt und System und verbindet somit zwei unterschiedliche Perspektiven. Den ersten Begriff hat er von HUSSERL bernommen, den zweiten von LUHMANNs Systemtheorie, um beide so weiterzuentwickeln, dass sie in das Gesamtkonzept der Theorie des kommunikativen Handelns hineinpassen. Die konzeptionelle Verbindung beider Begriffe stellt eine Synthese zwischen einer Theorie der Rationalisierung und Differenzierung (der Lebenswelt) und einer Theorie der funktionalen Differenzierung gesellschaftlicher Subsysteme dar (Stark/Lahusen 2002: 133). Obwohl Lebenswelt ein fundamentaler Begriff fr die Theorie des kommunikativen Handelns ist, geht HABERMAS erst im sechsten Kapitel seines Werks nher darauf ein: Die kommunikativ Handelnden bewegen sich stets innerhalb des Horizonts ihrer Lebenswelt; aus ihm knnen sie nicht heraustreten. Als Interpreten gehren sie selbst mit ihren Sprechhandlungen der Lebenswelt an, aber sie knnen sich nicht auf etwas in der Lebenswelt in derselben Weise beziehen wie auf Tatsachen, Normen oder Erlebnisse. (Habermas 1981: 192). Charakteristisch fr das Konzept ist seine Komplexitt: HABERMAS unterscheidet zwischen der materiellen Grundlage, gebildet von der belebten und unbelebten Natur sowie der vom Menschen gestalteten Umwelt, und den symbolischen Komponenten Kultur, Gesellschaft und Persnlichkeit. Die Lebenswelt gestattet keine Zuordnung zu den anderen drei Welten und hat dementsprechend einen anderen Status: Diese bilden, zusammen mit kritisierbaren Geltungsansprchen, das kategoriale Gerst, welches dazu dient, problematische, d. h. einigungsbedrftige Situationen in die inhaltlich bereits interpretierte Lebenswelt einzuordnen. (Habermas 1981: 191) Im Gegensatz zu den formalen Welten, die den Bezugsrahmen fr das, worber Verstndigung erreicht werden sollte, bilden, ist die Lebenswelt fr die Verstndigung konstitutiv: Beide Kommunikationsteilnehmer verstndigen sich aus einer gemeinsamen Lebenswelt heraus ber etwas, was sich in einer der drei anderen Welten befindet. (vgl. ebd: 192) Der Lebenswelt wird das System als Ort des zweckrationalen, instrumentellen Handelns, der von Arbeit und Herrschaft bestimmt ist, gegenbergestellt. Zwei sind die Hauptsteuerungsmedien in der Systemwelt: Geld und Macht.

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2.4.1

Beziehungen der Lebenswelten zueinander

Im Rahmen des von HABERMAS entwickelten zweistufigen Modells der Gesellschaft verhalten sich die beiden Ebenen zueinander folgendermaen: die kommunikativ strukturierte Lebenswelt bentigt fr ihr Leben, allein ums sich zu reproduzieren, eine materielle Basis; und schon deswegen ist sie gezwungen, sich aus der Systemwelt lebenswichtige Elemente zu besorgen. (Brieskorn 2009: 274) Beide Komponenten funktionieren demnach nebeneinander und sind gleichermaen notwendig, um den komplexen Prozess der gesellschaftlichen Rationalisierung beschreiben und begreifen zu knnen. Zweckrationales und kommunikatives Handeln sind fr ihn zwei gleich wichtige Handlungsformen, die sich gegenseitig nicht ersetzen, ausschlieen oder widersprechen, sondern ergnzen sich. Trotzdem luft das kommunikative Handeln Gefahr von dem zweckrationalen Handeln berflutet zu werden. Auf diese Befrchtung wird ausfhrlicher im Unterkapitel Kolonialisierung der Lebenswelt ausfhrlicher eingegangen. In welcher Beziehung die vier Welten zueinander stehen wird anhand der nachfolgenden Graphik erlutert, welche der Illustration der Tatsache dienen, dass die Lebenswelt fr Verstndigung als solche konstitutiv ist, whrend die formalen Weltbegriffe ein Bezugssystem fr das, worber Verstndigung mglich ist, bilden (Habermas 1981: 192).

Abbildung 3: Eigene Darstellung in Anlehnung an Habermas (1981: 193)

Im Rcken beider Kommunikationspartner A1 und A2 steht die Lebenswelt als Kulisse, welche einen sinnstiftenden Kontext (Schfer 2005: 51) bildet. Sie versorgt die beiden 27

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mit kulturellen und sprachlichen Voraussetzungen, ohne die die Kommunikation nicht zustande kommen wrde. Sie stellt einen gemeinsamen Horizont von Grundberzeugungen, Werten und Normen (ebd: 51) bereit und ist somit fr das kommunikative Handeln von zentraler Bedeutung. Die sprachlichen uerungen der Aktoren beziehen sich auf Elemente der Kommunikationssituation, die sich vor ihnen befinden und ein Teil der objektiven oder der sozialen Welt sind wie z. B. Dinge, Sachverhalte oder Personen. Die drei Welten werden als Subsysteme der Systemwelt betrachtet. Die kommunikativen Handlungen erfllen eine Art Mediatorfunktion zwischen der Lebenswelt und den anderen drei Welten (Habermas 1981: 192).

2.4.2

Entkoppelung von System und Lebenswelt und Kolonialisierung der Lebenswelt

So unterschiedlich wie die beiden Begriffe sind, unterliegen sie selbstverstndlich unterschiedlichen Regelwerken: Whrend das System von der Zweckrationalitt geprgt ist, gehorcht die Lebenswelt der sozialen Rationalitt. Beide reproduzieren sich durch unterschiedliche Handelskategorien: Das strategisch-instrumentelle Handeln im System wird dem kommunikativen Handeln in der Lebenswelt entgegengesetzt. Im Rahmen seiner Theorie des kommunikativen Handelns liefert HABERMAS einen ausfhrlichen Umriss der historischen Entwicklung der Gesellschaftsordnung, die eng mit diesen beiden Begriffen verbunden ist. Die Entkoppelung von System und Lebenswelt ist fr ihn eine notwendige Voraussetzung fr den bergang von den politisch organisierten Klassengesellschaften des europischen Feudalismus zu den konomischen Klassengesellschaften der frhen Moderne (Reese-Schfer 2001: 63). Die Pathologien der modernen Gesellschaft sind nur fr diejenigen sichtbar, die System und Lebenswelt unterscheiden knnen. Eine davon, die HABERMAS als ihr Hauptproblem einstuft liegt nicht in den wirtschaftlichen Verhltnissen, welche die Ausbeutung begnstigen, sondern vielmehr in dem kontinuierlichen Eindringungsprozess brokratischer Instanzen des Systems in den lebensweltlichen Kontext. HABERMAS bezeichnet diesen Prozess als Kolonialisierung der Lebenswelt. Die sich immer mehr ausweitende Brokratie greift die lebensweltlichen Instanzen zunehmend an. Die zunehmende Verselbstndigung der Subsysteme Rechtsprechung, Wirtschaft und Politik und die spezifischen Gesetzmigkeiten, die sie in ihrem Zuge entwickeln, fhren ihrerseits zu ihrer fortschreitenden Ausdifferenzierung aus dem Kontext der Lebenswelt. HABERMAS befrchtet, dass dieser Pro28

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zess eine eventuelle Auflsung der Lebenswelt begnstigt und Verstndigungsprozessen ihre Kraft berauben knnte.

2.5

Zusammenfassung und kritische Wrdigung

Zusammenfassend lsst sich sagen, dass die TdkH vor allem die Bedeutung der Mglichkeit einer macht- und herrschaftsfreien Kommunikation fr die konsensorientierte Verstndigung zwischen Individuen in den Fokus rckt (vgl. Brugger 2010: 132). Er unterstreicht diesen Kerngedanken mit handfesten pragmatischen Argumenten im Sinne der Aufrechterhaltung des Dialogs (vgl. ebd.). Den Kern der HABERMASschen Theorie des kommunikativen Handelns bildet der Begriff des kommunikativen Handelns und die damit verbundene kommunikative Rationalitt sprach- und handlungsfhiger Subjekte. Nach HABERMAS knnen kommunikative Handlungen nie zugleich zweckrational sein. Kommunikative Handlungen zielen eindeutig auf Verstndigung ab whrend zweckrationale Handlungen auf den eigenen subjektiven Erfolg aus sind. Was HABERMAS hier auer Acht zu lassen scheint, ist, dass die Verstndigung per se einen Handlungserfolg darstellt, welcher unter den Bedingungen der Kooperation den Interessen des Individuums nutzen kann (Janich 2004: 32). Nichtsdestotrotz sttzen wir uns auf den Verstndigungsaspekt und vernachlssigen im Folgenden diesen Einwurf. Das Einverstndnis ist zentraler Aspekt seiner Kommunikationstheorie und unserer nun nachfolgenden Praxisanalyse. Unbestreitbar bleibt, dass die Gesprchsteilnehmer im Hinblick auf ein Einverstndnis die artikulierten Sprechhandlungen als verstndlich, wahr, wahrhaftig und normativ richtig anerkennen. Darber hinaus muss aber fr alle Teilnehmer als universale Grundregel gelten, dass die erhobenen Geltungsansprche jederzeit bezweifelt werden knnen. Problematisierte Geltungsansprche knnen auf der Ebene der Metakommunikation, im Diskurs begrndet und kritisiert werden. Diese Sonderform der dialogischen Kommunikation soll durch das fortwhrende Streben nach dem besseren Argument zu einem rational motivierten Einverstndnis fhren. Hier tritt das fr HABERMAS so wichtige handlungskoordinierende, normative Element der Sprache zum Vorschein. Das Resultat eines solch verstndigungsorientierten Prozesses ist grundstzlich offen. Welche Aspekte und Geltungsansprche akzeptiert werden oder inwieweit im Rahmen eines Diskurses eine Interessenklrung erfolgt, hngt vom konkreten Einzelfall und den situativen Rahmenbedingungen ab. (vgl. Zerfa 2010 : 57)

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Habermas konstruiert hiermit eine Art Prototyp der Dialog-, Verstndigungs- und Diskursorientierung, die mit dem Regelsystem der Universalpragmatik idealistische Mastbe und Bedingungen setzt. Dabei legt HABERMAS ein sehr optimistisches Menschenbild an den Tag: Er nimmt an, dass Menschen sich im Laufe der Sozialisation zu aktiven, (sprachlich) handelnden Subjekten entwickeln, grundstzlich potentiell mndig und vernnftig sind und nach den Regeln der Universalpragmatik handeln. Das Bild unserer alltglichen Kommunikationssituationen das von HABERMAS idealer Sprechsituation klaffen in der Realitt oft weit auseinander. HABERMAS Kritiker gehen so weit zu behaupten, dass die gesamte TdkH mit den Grundannahmen von kommunikativer Rationalitt und Vernnftigkeit steht und fllt (vgl. Treibel 2006: 169). So konstatiert GRIPP: Wenn es nicht gelingen sollte, berzeugend darzutun, da in der Tat in jedem kommunikativen Akt immer schon die Geltungsansprche Verstndlichkeit, Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Richtigkeit konstitutiv erhoben werden, da wir also quasi unserer Ausstattung mit kommunikativer Kompetenz eine Potenz in uns tragen, die Habermas kommunikative Rationalitt nennt, dann bricht das ganze Gebude zusammen (Gripp 1984: 120). Sptestens an dieser Stelle drfte nun die Frage nach der Anwendbarkeit der HABERMASschen Theorien in der Unternehmenspraxis aufkommen, welche nun auch in den kommenden Abschnitten geklrt werden soll. Dabei gehen wir zunchst auf die ffentlichkeitsarbeit von Organisationen ein. Kann es eine verstndigungsorientierte ffentlichkeitsarbeit im Rahmen der Unternehmenskommunikation geben, wo entsprechende Gesprchsvoraussetzungen herrschen, Diskurse initiiert und Ergebnisse verffentlicht werden?

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3 KOMMUNIKATIVES HANDELN IN DER UNTERNEHMENSPRAXISNur wenige Kommunikationswissenschaftler konnten von der Theorie von HABERMAS fr ihre Arbeit Gebrauch machen, vermutlich aufgrund ihrer Komplexitt und Sperrigkeit, die sie fr die praktische Umsetzung eher ungeeignet machen. Einem ist dies jedoch hervorragend gelungen 1991 entwickelte BURKART vor dem Hindergrund der Konfliktkommunikation ber zwei Sondermlldeponien in Niedersterreich das Modell der Verstndigungsorientierten ffentlichkeitsarbeit (hier kurz VA genannt), welches auf den nachfolgenden Seiten nher erlutert wird.

3.1

Ansatz verstndigungsorientierter ffentlichkeitsarbeit (PR)

Obwohl das Modell vor 20 Jahren entwickelt worden ist, ist es keinesfalls veraltet, da der Autor kontinuierlich daran weitergearbeitet hat. Seine Kernaussage zum Zeitpunkt seiner Aufstellung war, dass zeitgeme ffentlichkeitsarbeit sich an den Grundlagen der Verstndigung zu orientieren hat (Kunzcik 2002: 248). Dies bedeutet jedoch nicht die unmittelbare bertragung der HABERMASschen Voraussetzungen fr Verstndigung auf die real praktizierte ffentlichkeitsarbeit. Ziel des von seinem Verstndigungsbegriff ausgehenden Modells ist vielmehr Anregungen fr das Erfassen realer PR-Kommunikation zu gewinnen (Burkart in Schaffer 2010: 23).

3.1.1

Grundlagen

Der Ausgangspunkt des Modells ist, dass jedem Teilnehmer an einem Verstndigungsprozesses die Gltigkeit der bereits von Habermas formulierten universalen Geltungsansprche bewusst ist, nmlich Verstndlichkeit, Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Richtigkeit. (Vgl. Kunzcik 2002: 298). Das Anzweifeln eines jeden davon kann zu einem Diskurs fhren, der sich stets an der bereits geschilderten idealen Sprechsituation zu orientieren hat, in welcher jeder Teilnehmer gleiche Chancen zur Auswahl und Ausfhrung von kommunikativen Handlungen hat. Das Konzept basiert auf zwei Prmissen: Erstere bezieht sich auf die Tatsache, dass Geld nicht mehr der einzige Bestimmungsfaktor fr das Unternehmenshandeln in entwickelten Industriegesellschaften ist. Um langfristig ihre bereits erkmpfte Position auf dem Markt 31

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strken oder verbessern zu knnen, mssen sie die Gesellschaft berzeugen, dass ihre Interessen und Ziele vertretbar sind. Sie sehen sich allzu oft gezwungen, ihre konkreten Handlungen auf eine fr die ffentlichkeit verstndliche Weise nach auen zu kommunizieren (Burkart in Schaffer 2010: 18). Diese Anforderungen an die externe Unternehmenskommunikation sind in dem sich seit einigen Jahren vollziehenden gesellschaftlichen Wandel begrndet und hngen eng mit der Angst der Menschen zusammen, dass ein eventuelles verdecktes Unternehmenshandeln ihnen gravierende Schden zufgen knnte. Folglich sehen sich Public Relations der Herausforderung gestellt, nicht nur im Sinne der Absatzstrategie zu handeln, sondern mssen sich vor allem bemhen sozial zu sein und Konflikte mit den relevanten Teilffentlichkeiten vernnftig auszutragen. Die zweite Prmisse lautet: Menschliche Kommunikation ist aus grundstzlicher Perspektive heraus auf das Ziel wechselseitiger Verstndigung hin angelegt. (Burkart in Schaffer 2010: 18f) Fr die ffentlichkeitsarbeit bedeutet das, dass sie sich an den Prinzipien der Verstndigung zu orientieren hat, wenn sie ihrer kommunikativen Grundstruktur gerecht werden will (vgl. ebd.: 19). Ziele der VA Das bergreifende Ziel der VA besteht in der Sicherstellung eines mglichst strfreien Ablaufs des Kommunikationsprozesses zwischen der Organisation und ihren relevanten Teilffentlichkeiten. Damit sie diesem Ziel auch gerecht werden kann, soll auf folgenden drei Ebenen der Kommunikation Einverstndnis vorliegen (Burkart in Schaffer 2010: 25):

1) Ebene der zu thematisierenden Sachverhalte: Hier muss ersichtlich sein, was unterdem Sachverhalt, den es zu vertreten gilt genau zu verstehen ist und es muss Einverstndnis bezglich des Wahrheitsgehalts der von dem Unternehmen geuerten Behauptungen und Erklrungen herrschen (vgl. ebd.).

2) Ebene der involvierten Kommunikatoren: Wer im Unternehmen die Verantwortung frdie vertretenen Interessen und seine Plne trgt, muss im Vorfeld klar sein. Zudem drfen keine Zweifel bezglich der Vertrauenswrdigkeit der Organisation und ihrer Vertreter bestehen. (vgl. ebd.)

3) Ebene der vertretenen Interessen: Die von der Organisation nachgegangenen Interessen sollen nachvollziehbar sein und in den Augen der relevanten Teilffentlich32

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keiten entsprechend legitim. Die Frage, die es hier zu beantworten gilt, ist warum sie das konkrete Ziel verfolgt, wobei die Antwort den Teilffentlichkeiten plausibel genug erscheinen soll. (vgl. ebd.: 25) Zudem sind jeder Phase spezifische Ziele zugeordnet, die eine differenzierte Evaluation des Kommunikationsprozesses ermglichen (Zerfa 2010: 58). Im nchsten Unterkapitel wird nher darauf eingegangen.

3.1.2

Die vier PR-Phasen nach Burkhart

BURKART unterteilt das Modell in folgenden vier Phasen (vgl. Burkart in Schaffer 2010: 27ff): Informationsphase: Eine unabdingbare Voraussetzung fr eine rationale Meinungsbildung ist ein bestimmtes Mindestma an Wissen ber den jeweiligen Sachverhalt, welches im Rahmen der Informationsphase zur Verfgung gestellt wird. Zugleich werden die Interessen und die innere Struktur der jeweiligen Organisation transparent gemacht. In der sozialen Welt gilt es ihre Ziele adquat zu begrnden. Hauptaufgabe der ffentlichkeitsarbeit in dieser Phase ist eine ausreichende Menge an qualitativ guten, relevanten Informationen in der Form von Zahlen, Daten und Fakten rechtzeitig zur Verfgung zu stellen. Diskussionsphase: Diese Phase ist im Rahmen des Modells nicht zwingend erforderlich eine Diskussion wird ausschlielich bei strittigen Themen eingeleitet, bei welchen Geltungsansprche erheblich angezweifelt werden. In diesem zweiten (optionalen) Schritt sollten Kontaktmglichkeiten zwischen der Organisation und den relevanten Teilffentlichkeiten geschaffen werden. Eventuelle Zweifel an der Wahrheit oder Wahrhaftigkeit der Organisation, oder an der Legitimitt der von ihr verfolgten Interessen sind entsprechend zu kommunizieren. Besonders viel Wert wird hier auf die direkten Diskussionen zwischen dem Unternehmen und Mitgliedern seiner Teilffentlichkeiten gelegt. Zu empfehlen ist der Einsatz von interaktiven Verfahren / Medien, die eine bidirektionale Kommunikation erlauben wie z. B. offene Sprechstunden mit Verantwortlichen, Brgerversammlungen oder auf Internet-Plattformen gefhrte Dialoge. Das Unternehmen sollte ber mglichst viele Kanle kommunikative Aufgeschlossenheit demonstrieren, um die eigene Glaubwrdigkeit aufrechtzuerhalten bzw. unter Umstnden sogar zu strken.

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Diskursphase: Durch adquate Argumentation sollte in dieser Phase eventuell problematisch gewordenes Einverstndnis wieder hergestellt werden und Zweifel an den Geltungsansprchen beseitigt werden. ber einen Diskurs knnen ausschlielich die Geltungsansprche Wahrheit und Legitimitt erschlossen werden. BURKART unterscheidet zwischen einem theoretischen und einem praktischen Diskurs. Ersterer betrifft den Wahrheitsbeweis von umstrittenen Angaben (Zahlen, Daten, Fakten). Im Rahmen des praktischen Diskurs werden Interessen, Ziele und eventuell bereits gefllte Entscheidungen begrndet. Situationsdefinition: In dieser letzten Phase wird der Grad der erreichten Verstndigung ermittelt und den relevanten Teilffentlichkeiten mitgeteilt. Die Frage, die hier gestellt wird, ist, inwieweit bestehende Zweifel an der Wahrheit der Behauptungen des Unternehmens, seiner Vertrauenswrdigkeit oder der Legitimitt seiner Interessen und Ziele beseitigt bzw. minimiert werden konnten.

3.1.3

Kritische Bewertung

Der Ansatz von BURKART bringt ein idealtypisches Modell der ffentlichkeitsarbeit ans Licht, welches in der Praxis nur bedingt umgesetzt werden kann. In bestimmten Situationen stt es tatschlich schnell an seine Grenzen. Geeignet ist es nur wenn beide Seiten einer Konfliktkommunikation tatschlich bereit sind, an einem Verstndigungsprozess teilzunehmen und ihre eigentlichen Interessen zu kommunizieren. In der Praxis ist das jedoch selten der Fall. Unternehmen handeln selten kommunikativ. Das Ziel ihres erfolgsorientierten, offenen oder verdeckten strategischen Handelns ist demnach nicht Verstndigung zu erreichen, sondern die eigenen Interessen durchzusetzen, oftmals unbeachtet der Interessen der anderen Partei. Eine weitere entscheidende Schwche des Modells ist die oftmals vorgeworfene Konsens-Illusion (Fischer 2006: 116). Dieser Vorwurf ist jedoch nicht vllig gerechtfertigt von einem vollstndigen Konsens auf allen drei Ebenen der Geltungsansprche geht selbst HABERMAS nicht aus. Vielmehr geht es um einen rationalen Dissens im Sinne von MILLER (Burkart in Schaffer 2010: 32) am Ende des Prozesses sind die genauen Konfliktpunkte identifiziert. Unter Bercksichtigung des Auftragscharakters von Unternehmenskommunikation erscheint die Annahme, dass Public Relations als neutrale, parteilose Instanz fungieren und gleiche Kommunikationschancen fr beide Seiten eines Konflikts 34

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schaffen, sehr utopisch. Hinzu kommt der hohe Komplexittsgrad der meisten Konflikte, der eine fr beide Parteien zufriedenstellende Lsung eher verhindert, statt zu begnstigen (vgl. Fischer 2006: 116). Eine neutrale Verfahrensbegleitung seitens PR ist also sehr unwahrscheinlich. Zudem bercksichtig das Modell nicht die ungleiche Informationsverteilung zwischen den beiden Kommunikationsparteien, da es auf der Theorie von HABERMAS basiert, die von Gleichberechtigung der Kommunikatoren ausgeht (vgl. Saxer in Schaffer 2010: 44). Im Folgenden werden die vorangehenden Erkenntnisse hinsichtlich Theorie und praktischer Anwendbarkeit der Theorie des kommunikativen Handelns auf ihre Implikationen angesichts der Nachhaltigkeitskommunikation ausgewhlter Unternehmen berprft.

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3.2

Kommunikatives Handeln in der Nachhaltigkeitskommunikation

Bis jetzt ist das junge Themenfeld Nachhaltigkeitskommunikation kaum theoretisch ausgearbeitet und empirisch angewendet (vgl. Heinrichs 2009: 41). Aus umfnglichen und inhaltlichen Grnden wird auch diese Arbeit keine neuen Forschungsmethoden erarbeiten. Vielmehr wird auf den aktuellen Stand der Nachhaltigkeitskommunikation von Unternehmen eingegangen. Nach einer kurzen Einleitung, welche die Frage beantwortet, was Nachhaltigkeitskommunikation eigentlich ist, werden wir auf die Kommunikationsmethode Greenwashing am Beispiel der vier groen Energiekonzerne in Deutschland eingehen. Diese werden anschlieend nach den Mastben der Theorie des kommunikativen Handelns von JRGEN HABERMAS bewertet. Ein weiteres Beispiel (Stuttgart 21) soll wiederum verdeutlichen, dass ein Konsens durch einen diskurshnlichen Dialog erfolgen kann. Dass Nachhaltigkeitskommunikation nicht als Monolog von Unternehmensseite aus zu sehen ist, sondern auch von der ffentlichkeit beantwortet wird, werden wir anhand eines Beispiels mit Unilever und Greenpeace auffhren.

3.2.1

Stellenwert der Nachhaltigkeitskommunikation in der Wirtschaft

Seit der lkrise 1973, sptestens aber seit dem Brundtland-Bericht 1987 oder der Konferenz der Vereinten Nationen ber Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 ist die Akzeptanz der Bevlkerung in Bezug auf Nachhaltigkeit stark gestiegen3. Die zunehmende bernutzung begrenzter Ressourcen hat die Menschen zum Nachdenken angeregt. Fr Konsumenten wurde und wird es immer wichtiger, was hinter dem Produkt steckt. So geben Beispielsweise fast 75 % aller Befragten an, dass es sehr wichtig bzw. wichtig ist, dass ein Unternehmen einen sehr guten Ruf im Bereich Nachhaltigkeit hat (vgl. Engweiler 2009: 26). Wollen die Konsumenten Produkte die nachhaltig produziert wurden bzw. von nachhaltig agierenden Unternehmen stammen, so ist es wenig verwunderlich, dass die Kommunikation von Nachhaltigkeit diverser Unternehmen steigt. Stellt sich fr den Verbraucher dann nur die Frage: Ist das was kommuniziert wird, denn auch die Wahrheit? Werden nmlich nachweislich falsche Informationen im Bereich Nachhaltigkeit

3

Aus Platzgrnden verzichten wir auf eine detaillierte Beschreibung was Nachhaltigkeit ist. An dieser Stelle mchten wir auf die didaktisch gut aufbereitete kologische konomie von Holger Rogall (2008) hinweisen.

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publiziert, sehen das drei von vier Personen als Grund das Produkt nicht zu kaufen (vgl. ebd.: 27). Unter Nachhaltigkeitskommunikation versteht man demnach Verstndigungsprozesse, in denen es um eine zukunftsgesicherte gesellschaftliche Entwicklung geht, in deren Mittelpunkt das Leitbild der Nachhaltigkeit steht (Michelsen & Godemann 2007: 21). Als Beispiel hierfr kann man die Firma Apple nennen, deren Produkte vorwiegend nichts mit Nachhaltigkeit zu tun haben, trotzdem aber kommuniziert wird, dass sie die Produkte umweltgerechter gestalten wollen und ein Recyclingprogramm entwickelt haben (vgl. Apple 2011). Die Nachhaltigkeitskommunikation beschrnkt sich aber nicht nur auf einzelne Produkte. So werden bspw. auch ganze Industriezweige als nachhaltig kommuniziert. Die Werbekampagnen der Kernkraftwerke wollen wir hierfr im Folgenden als Beispiel auffhren.

Abbildung 4: Nachhaltigkeitskommunikation von Kernkraftwerken4

3.2.2

Fallbeispiel Nachhaltigkeitskommunikation groer Energiekonzerne

Ruft man sich in Erinnerung, dass kommunikatives Handeln nach HABERMAS die Handlungskoordination durch Verstndigung ist und es um machtfreie Diskurse, ergebnisoffene Dialoge und dem Ziel des Einverstndnisses geht, so ist die Nachhaltigkeitskommunikation der vier groen deutschen Energiekonzerne unter erschwerten Bedingungen zu be-

4

Quelle: http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/jo/johannesgraupner/text/regular/548232.jpg

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trachten. Die Kommunikation zwischen Unternehmen und Verbrauchern findet i.d.R. ber die Werbung statt. ber die traditionellen Kommunikationskanle TV, Radio und Print ist es fr den einzelnen Verbraucher schwer bis unmglich auf die dadurch sehr einseitige Kommunikation zu antworten und mit dem entsprechenden Unternehmen in einen Dialog zu treten. Die Kommunikation ber das Web 2.0, insbesondere soziale Netzwerke, ergeben hierfr mehr Mglichkeiten. Nichtsdestotrotz sollte bei der Kommunikation der Unternehmen Deckungsgleichheit vorliegen. D.h. Die bereinstimmung von kommunizierten Inhalten und dem Unternehmensverhalten ist notwendig fr die Glaubwrdigkeit der Nachhaltigkeitskommunikation. Ob dies fr die bereits angesprochenen vier groen deutschen Energiekonzerne EnBW, E.ON, RWE und Vattenfall zutrifft wollen wir im Folgenden kritisch und unter den theoretischen Erkenntnissen der Theorie des kommunikativen Handelns betrachten. EnBW Zitat aus einer Fernsehwerbung: Umweltschonende Energien, innovative Ideen, energieeffiziente Stdte keiner steckt mehr Energie in die Zukunft als die EnBW. Anschlieend Testimonial Franz Beckenbauer im bayrischen Dialekt: Des is a Wahnsinn.

Abbildung 5: Auswahl Printwerbungen EnBW

Bei der Abbildung in der Mitte/Oben steht auf den Fahrrdern: Die Rder drfen nicht stillstehen, in Anlehnung an die Energie, produziert von Windenergiekraftwerken. Mitte/Unten: Wir machen Baden-Wrttemberg zum Energie-Musterland. 38

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Bei der Kommunikation ber die eigene Internetseite werden die nachhaltigen Energieerzeugungsmglichkeiten neben den konventionellen und der Kernenergie aufgefhrt und in leicht verstndlichem Kontext erklrt (vgl EnBW 2011) E.ON E.ON differenziert sich bei der Nachhaltigkeitskommunikation in der Werbung von seinen Wettbewerben dahingehend, dass sie nicht nur auf den Bereich Umwelt setzen, sondern die Bereiche Soziales und konomie in den Vordergrund stellen.

Abbildung 6: Auswahl Pintanzeigen Eon

Der Fokus der Nachhaltigkeitskommunikation auf die Bereiche Soziales und konomie setzt sich allerdings nicht auf dem Internetauftritt von E.ON fort. Hier wird verstrkt der Umweltfaktor neben den Effizienzmethoden kommuniziert. RWE RWE hat in den letzten Jahren eine groe Kampagne mit dem Energie-Riesen gestartet. Dieses berdimensional animierte, freundliche Wesen zeigt in Kinospots, was man alles erreichen kann, wenn man ein Riese ist. In dem Video baut der Energie-Riese Windkraftanlagen und Gezeitenkraftwerke. Er repariert Strommasten, stellt die Landschaft in Tagebaugebieten wieder mustergltig her und sorgt mit einem ummontierten Riesenrad dafr, dass eine ganze Stadt durch die Wasserkraft mit Strom versorgt wird. (vgl. RWE 2011).

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Abbildung 7: Energie-Riese von RWE

Vattenfall

Abbildung 8: Internetauftritt Vattenfall

Auf der Internetseite des Unternehmens Vattenfall sieht man unter der Rubrik ber Vattenfall eine animierte Grafik auf welcher es heit: Zuknftig will Vattenfall seinen Strom und Wrme vollstndig CO2-neutral produzieren. Anschlieend erscheinen die Manahmen, wie Vattenfall dieses Ziel erreichen will. Dort werden Windkraft, Wasserkraft, Bio40

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energie, Kernkraft, CCS (Carbon Capturing and Storage) Innovationen, Wellenkraft und Umweltschutz aufgefhrt. Zudem wird in den Bereichen Engagement (gesellschaftliche Verantwortung, Kultur, Sport, Schule & Jugend, Gesellschaft und Sponsoring), Klimastrategie, Klimaschutz, Umweltschutz, Energiemix, erneuerbare Energien, Innovationen, etc. Nachhaltigkeit kommuniziert. Energiespartipps Neben der Kommunikation der drei Bereiche der Nachhaltigkeit kologie, konomie und Soziales ist ein weiterer Schwerpunkt der Nachhaltigkeitskommunikation von den Energiekonzernen die Einsparung von Energie. Ob mit Messgerten, Roadshows oder hilfreichen Tipps, die Stromanbieter setzen bei der Kommunikation auf den Vorteil fr die Verbraucher, dass diese durch deren Hilfe einen finanziellen Vorteil erzielen.

Abbildung 9: Energiespartipps von Energiekonzernen

Beurteilung durch die Erkenntnisse der Theorie des kommunikativen Handels Betrachtet man die eben erluterte Kommunikation der Energiekonzerne unter den Aspekten der Diskursethik, so kann man die Geltungsansprche in den Bereichen Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit in folgender Hinsicht problematisieren. Wahrheit: Bei dem Geltungsanspruch Wahrheit geht es um die Frage, ob die Fakten wahr oder verzerrt sind oder sogar etwas verheimlicht wird. Als Beispiel soll RWE genannt wer41

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den, die mit ihrer Energie-Riese-Kampagne ein Bild eines verantwortungsvollen, klimafreundlichen Energiekonzerns vermitteln. Die Fakten belegen hingegen genau das Gegenteil. 2006 war RWE mit 146,64 Millionen Tonnen CO2 Europas grter Emittent (vgl. Strom-Magazin 2007). Ein weiteres Beispiel ist ein TV-Spot von E.ON. In diesem erklrt ein sympathischer junger Mann, wie das Gezeitenkraftwerk von E.ON funktioniert. Dieses existiert allerdings bis jetzt nur auf dem Reibrett, was in dem Werbespot natrlich nicht erwhnt wird (vgl. Zeit 2008). Es werden somit unterbewusst falsche Tatsachen kommuniziert. Aus diesem Grund kann man die Wahrheit der Nachhaltigkeitskommunikation dieser Energiekonzerne anzweifeln. Richtigkeit: Hierbei geht es um eine normative Fundierung, also die Frage ob etwas nach gesellschaftlichen Normen richtig oder falsch ist. Selbstverstndlich ist es richtig erneuerbare Energien zu frdern und dies auch zu kommunizieren. Dies machen alle vier genannten Energiekonzerne. Man muss sich aber die Frage stellen, ob die Relationen stimmen. Wenn Vattenfall auf seiner Homepage sich zu Gute schreibt, dass Wasser eine der wichtigsten regenerativen Energietrger ist und lediglich 4,3 Prozent der gesamten Energie aus Wasserkraft stammt, so werden falsche Tatsachen vorgetuscht

(http://www.vattenfall.de/de/wasserkraft.htm und Greenpeace 2008: 4). Somit werden hier im Bereich der Nachhaltigkeitskommunikation die Verbraucher getuscht. Eine Tuschung ist im Sinne der gesellschaftlich ausgehandelten Normenstandards nicht richtig womit dieser Geltungsanspruch berechtigt angezweifelt werden kann. Im Sinne von HABERMAS sollte nun in einem praktischen Diskurs errtert werden was unter den gegebenen Voraussetzungen richtig ist vor allem auc