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NEWSLETTER GESCHICHTE www.klett.de © Ernst Klett Verlag GmbH, Leipzig 2017. Von dieser Druckvorlage ist die Vervielfältigung für den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. Die Kopiergebühren sind abgegolten. 1 Guernica und der Spanische Bürgerkrieg Unweit der Berliner Stadtautobahn Avus verläuft die Spanische Allee. Diesen Namen trägt die einstige Wannseestraße in Berlin-Zehlendorf seit Anfang Juni 1939. Ihre Umbenennung erfolgte anlässlich der Rückkehr der Legion Condor, einer deutschen Luftwaffeneinheit, die im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Putschisten um General Franco gegen die demokratisch gewählte Volksfrontregierung gekämpft hatte. Nach Beendigung des Bürgerkrieges 1939 kehrten die Angehörigen der Eliteeinheit nach Deutschland zurück. Ihrem feierlichen Empfang im Hamburger Hafen folgte am 6. Juni 1939 eine große Siegesparade durch das Brandenburger Tor in Berlin. In aller Öffentlichkeit feierte die nationalsozialistische Führung den lange geheim gehaltenen Einsatz der Flugstaffeln und anderer deutscher Soldaten und Offiziere, die in Spanien gekämpft hatten. Bekannt wurde der Einsatz der Legion Condor vor allem durch das völkerrechtswidrige Bombardement der baskischen Kleinstadt Guernica (baskisch Gernika) am 26. April 1937, bei dem mehrere hundert Zivilisten getötet wurden. Die Weltöffentlichkeit hatte entsetzt auf die Nachrichten aus Guernica reagiert. Pablo Picasso schuf noch 1937 unter dem unmittelbaren Eindruck der Geschehnisse sein berühmtes gleichna- miges Antikriegsbild. In Berlin sollte es jedoch noch bis 1998 dauern, ehe die Ecke Spanische Allee/Breisgauer Straße den Namen Guernica-Platz und eine Gedenktafel erhielt, die an die zivilen Opfer erinnert. Ein Jahr zuvor hatte sich der damalige Bundespräsident Roman Herzog in Spanien offiziell für dieses Kriegsverbrechen entschuldigt. Spanien – eine tief gespaltenes Land Die spanische Gesellschaft war seit dem frühen 19. Jahrhundert tief gespalten – ökonomisch durch den Gegensatz zwischen einem noch feudal geprägten Agrarsektor und einer in nur wenigen größeren Städten sich verzögert entwickelnden Industrie, kulturell durch den offenen Gegensatz zwischen der katholischen Kirche und liberal-republikanischen, später auch sozial- revolutionären Kräften, sozial durch eine tiefe Kluft zwischen Arm und Reich sowie national durch die Unabhängigkeitsbestrebungen der Basken und Katalanen gegen die spanische Zentralregierung. Gewalt, soziale Unruhen, Regierungswechsel und die ständige Gefahr eines Putsches des Militärs, das über großen Einfluss im traditionell schwachen Staat ver- fügte, prägten die spanische Gesellschaft auch nach dem faktischen Ende der Monarchie 1931. In der soge- nannten Zweiten Spanischen Republik verschärften sich zum Teil die Gegensätze noch weiter. Die Strukturprobleme des Landes blieben weitgehend un- gelöst, angekündigte Reformen wurden nur halbherzig in Angriff genommen oder blieben ganz aus. Der poli- tischen Rechten gingen allerdings schon diese zag- haften Reformversuche zu weit. Ein erster Militärputsch scheiterte zwar im August 1932, doch die rechten © Picture-Alliance (Design Pics /Axiom Photographic), Frankfurt 1 Nachbildung des Gemäldes „Guernica“ von Pablo Picasso in der heutigen Stadt Gernika-Lumo. Foto

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1 Guernica und der Spanische Bürgerkrieg

Unweit der Berliner Stadtautobahn Avus verläuft die Spanische Allee. Diesen Namen trägt die einstige Wannseestraße in Berlin-Zehlendorf seit Anfang Juni 1939. Ihre Umbenennung erfolgte anlässlich der Rückkehr der Legion Condor, einer deutschen Luftwaffeneinheit, die im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Putschisten um General Franco gegen die demokratisch gewählte Volksfrontregierung gekämpft hatte. Nach Beendigung des Bürgerkrieges 1939 kehrten die Angehörigen der Eliteeinheit nach Deutschland zurück. Ihrem feierlichen Empfang im Hamburger Hafen folgte am 6. Juni 1939 eine große Siegesparade durch das Brandenburger Tor in Berlin. In aller Öffentlichkeit feierte die nationalsozialistische Führung den lange geheim gehaltenen Einsatz der Flugstaffeln und anderer deutscher Soldaten und Offiziere, die in Spanien gekämpft hatten.

Bekannt wurde der Einsatz der Legion Condor vor allem durch das völkerrechtswidrige Bombardement der baskischen Kleinstadt Guernica (baskisch Gernika) am 26. April 1937, bei dem mehrere hundert Zivilisten getötet wurden. Die Weltöffentlichkeit hatte entsetzt auf die Nachrichten aus Guernica reagiert. Pablo Picasso schuf noch 1937 unter dem unmittelbaren Eindruck der Geschehnisse sein berühmtes gleichna-miges Antikriegsbild. In Berlin sollte es jedoch noch bis 1998 dauern, ehe die Ecke Spanische Allee/Breisgauer Straße den Namen Guernica-Platz und eine Gedenktafel erhielt, die an die zivilen Opfer erinnert. Ein Jahr zuvor

hatte sich der damalige Bundespräsident Roman Herzog in Spanien offiziell für dieses Kriegsverbrechen entschuldigt.

Spanien – eine tief gespaltenes LandDie spanische Gesellschaft war seit dem frühen 19. Jahrhundert tief gespalten – ökonomisch durch den Gegensatz zwischen einem noch feudal geprägten Agrarsektor und einer in nur wenigen größeren Städten sich verzögert entwickelnden Industrie, kulturell durch den offenen Gegensatz zwischen der katholischen Kirche und liberal-republikanischen, später auch sozial-revolutionären Kräften, sozial durch eine tiefe Kluft zwischen Arm und Reich sowie national durch die Unabhängigkeitsbestrebungen der Basken und Katalanen gegen die spanische Zentralregierung. Gewalt, soziale Unruhen, Regierungswechsel und die ständige Gefahr eines Putsches des Militärs, das über großen Einfluss im traditionell schwachen Staat ver-fügte, prägten die spanische Gesellschaft auch nach dem faktischen Ende der Monarchie 1931. In der soge-nannten Zweiten Spanischen Republik verschärften sich zum Teil die Gegensätze noch weiter. Die Strukturprobleme des Landes blieben weitgehend un-gelöst, angekündigte Reformen wurden nur halbherzig in Angriff genommen oder blieben ganz aus. Der poli-tischen Rechten gingen allerdings schon diese zag-haften Reformversuche zu weit. Ein erster Militärputsch scheiterte zwar im August 1932, doch die rechten

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2 Guernica und der Spanische Bürgerkrieg

Kräfte im Lande radikalisierten sich in den nächsten Jahren zusehends – nicht zuletzt unter dem Einfluss des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus. Ihre Parteien, Vereinigungen und Bewegungen zeichneten sich durch eine besonders aggressive, rassistische und auf Vernichtung der politi-schen Gegner – Linke, Liberale, Republikaner, Frei-maurer, Juden und Gewerkschafter – setzende Haltung aus. In diesem Radikalisierungsprozess gewann eine Organisation zunehmend an Gewicht: die faschistische Bewegung Falange Español. Auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums, der politisch zersplit-terten Linken, kam es zu Radikalisierung und Gewaltbereitschaft. Die politische Mitte war um 1935 in Spanien nahezu bedeutungslos geworden.

Bei den Wahlen zu den Cortes Generales, dem spa-nischen Parlament, im Februar 1936 siegte der Frente Popular (Volksfront), ein heterogenes und instabiles Bündnis aus Sozialisten, Kommunisten, Republikanern und katalanischen Liberalen, das auch von den Anarchisten, den Gewerkschaften und baskischen Nationalisten unterstützt wurde. Es konnte sich gegen den rechtsgerichteten Frente Nacional (Nationalfront) durchsetzen, der vor allem von Monarchisten, Rechts-katholiken, vielen Offizieren und der faschistischen Falange-Bewegung getragen wurde. Dem Frente Popular gelang es in den ersten Monaten seiner Regierung nicht, das Land zu beruhigen, ganz im Gegenteil: Die Lage eskalierte. Gewalt, Terror und Straßenkämpfe bestimmten stärker als zuvor das poli-tische Klima. Auf der einen Seite forderte die radikale Linke erfolglos die Durchsetzung sozialer Reformen, auf der anderen schürte die Rechte die Angst vor einer kommunistischen Machtübernahme. Teile des Militärs lehnten die neue Regierung und mit ihr die Zweite Republik offen ab, ohne dafür ernstlich belangt zu wer-den. Zwar wurden einige Offiziere strafversetzt, doch an ihren neuen Standorten, vornehmlich in Spanisch-Marokko und auf den spanischen Inseln, bereiteten sie weiter den bewaffneten Aufstand vor.

Der Spanische BürgerkriegAls der Rundfunksender von Ceuta, einer zu Spanien gehörenden Stadt an der nordafrikanischen Küste, in der Nacht zum 18. Juli 1936 die zuvor vereinbarte Losung „Über ganz Spanien wolkenloser Himmel“ ver-breitete, schlugen die Putschisten los. An ihrer Spitze standen General Emilio Mola (1887–1937) und Francisco Franco (1892–1975), Generalstabschef des Heeres, so-wie José Sanjurjo (1872–1936), der als Führungsfigur der Putschisten vorgesehen war. Sanjurjo war lange Chef der Guardia Civil, einer paramilitärischen Polizeieinheit, sowie der Carabineros und der spa-nischen Grenz-, Zoll- und Küstenwache gewesen, ehe er 1932 erfolglos gegen die republikanische Regierung geputscht hatte und nach Portugal ins Exil gehen musste. Alle drei Generäle zeichneten sich durch eine

besonders radikale, antirepublikanische, antidemokra-tische und antikommunistische Haltung sowie eine ho-he Bereitschaft zu Gewalt und Terror aus.

Der Militärputsch gegen die demokratisch gewählte Volksfrontregierung in Spanien entwickelte sich schnell zu einem blutigen Bürgerkrieg, der bald das ganze Land erfasste. Getragen wurde er vor allem von Offizieren und Unteroffizieren sowie den Verbänden der in Nordafrika stationierten, vorwiegend aus marok-kanischen Söldnern bestehenden „Afrika-Armee“, der spanischen Fremdenlegion (Legión Española) sowie den paramilitärischen Milizen des Frente Nacional und der Falange. Aber längst nicht alle Militärangehörigen folgten den Putschisten. Schätzungen zufolge standen etwa die Hälfte der Armee und der Luftwaffe, zwei Drittel der Marine sowie fast zwei Drittel der Cara-bineros und der Guardia Civil sowie sogar die große Mehrheit der Generäle loyal zur Republik. Ver stärkung erhielten die republikanischen Truppen in den näch-sten Wochen zudem von eilig aufgestellten Arbeiter-milizen, die sich vor allem aus den Reihen der Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, Gewerkschafter sowie baskischen und katalanischen Nationalisten re-krutierten. Ab Frühherbst 1936 kamen, organisiert von der Kommunistischen Internationale und verschie-denen linksgerichteten Exilorganisationen vor allem in Frankreich, auch zahlreiche internationale Freiwillige der spanischen Volksfrontregierung zu Hilfe. Diesen Internationalen Brigaden gehörten ungefähr 50 000 bewaffnete Freiwillige unter anderem aus Deutschland, Frankreich, Italien und der Sowjetunion an.

Die Putschisten gingen nach ihrer Landung in Süd-spanien im Sommer 1936 mit äußerster Härte gegen die Republikaner vor. Trotz der Mobil machungs-maßnahmen der Regierung und des Widerstands, der ihnen vor allem in den spanischen Großstädten sowie in Katalonien und Zentralspanien entgegenschlug, ge-lang es den Putschisten relativ schnell, ihre Macht-position von Südspanien aus zu festigen. Bereits eine Woche nach dem Putsch riefen sie in Burgos eine vor-läufige Gegenregierung aus, den Nationalen Ver-teidigungsrat. Nachdem Sanjurjo schon eine Woche nach dem Putsch bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war und auch General Mola ein Jahr später auf die gleiche Weise starb, stieg General Franco, gestützt vor allem auf die Falange, zum unein-geschränkten Führer (Caudillo) der Putschisten auf. Anfang Oktober 1936 wurde er zum Oberbefehlshaber (Generalissimo) sowie zum Staats- und Regierungschef des „nationalen“ Spaniens ernannt.

Unterstützung für FrancoIn ganz Europa, aber auch in Amerika wurde die Entwicklung in Spanien aufmerksam verfolgt. Während europäische Demokratien, vor allem Frankreich und Großbritannien, sowie die USA eine Politik der Nichteinmischung verfolgten, unterstützten andere

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3 Guernica und der Spanische Bürgerkrieg

Staaten eine der beiden spanischen Bürger kriegs-parteien. Während sich Mexiko und die Sowjetunion für die republikanische Seite engagierten, sicherten das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland Franco in seinem Kampf gegen den „Bolschewismus“ ihre Hilfe zu. Am 18. Novem ber 1936 erkannten beide Staaten die Franco-Regierung als rechtmäßige spanische Regierung diplomatisch an. Sie beließen es aber nicht bei einer symbolischen, politi-schen, ideologischen und wirtschaftlichen Unter-stützung, sondern griffen auch militärisch in den Kon-flikt ein.

Schon am 25. Juli 1936, also nur eine Woche nach dem Beginn des Aufstands, hatte Hitler den Putschisten auf ein entsprechendes Hilfegesuch hin weitgehende Unterstützung zugesagt. Neben den genannten Motiven spielten dabei vor allem militärstrategische Gründe eine Rolle. Schon wenige Tage nach der Zusage Hitlers an Franco liefen die ersten Hilfs maßnahmen an. Zwischen Ende Juli und Oktober 1936 transportierten deutsche Zivil- und Militär flugzeuge, abgesichert durch deutsche Kriegsschiffe, einen großen Teil von Francos Truppen von Spanisch-Marokko aufs spanische Festland. Ohne diese Luftbrücke, so die Einschätzung vieler Historiker, wäre Francos Putsch vermutlich schon nach wenigen Wochen gescheitert. Zur militärischen Unterstützung war die Legion Condor, eine schnell-stens aufgestellte Spezialeinheit der Luftwaffe, nach Spanien geschickt worden. Sie verfügte über Transport-, Aufklärungs- sowie Kampf- und Jagdflugzeuge, später auch über Bomber. Aus Gründen der Tarnung und Geheimhaltung trugen weder die Angehörigen der Legion noch die Flugzeuge deutsche Hoheitsabzeichen. Ziel ihres Einsatzes war nicht nur die Unterstützung Francos, sondern vor allem die Erprobung neuer Waffensysteme und Taktiken für einen kommenden Luftkrieg.

Zudem kamen weitere deutsche Militärberater ins Land. Ab Herbst waren außerdem Schiffe und U-Boote der deutschen Kriegsmarine vor Spanien im Einsatz. Sie beteiligten sich nicht nur an der internationalen Seeblockade gegen die spanische Republik, deren Ziel die Durchsetzung eines Waffenembargos war, sondern auch aktiv an Kampfhandlungen gegen die republika-nische Marine. Bei der Beschießung von Málaga im Februar 1937 oder der des Hafens von Alméria im Mai des gleichen Jahres wurden auch viele spanische Zivilisten getötet. Zudem unterstützten Angehörige der SS, der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und des Sicherheitsdienstes (SD) die Franquisten bei der Verfolgung politischer Gegner, bei der Einrichtung spa-nischer Konzentrationslager sowie beim Aufbau eines Geheimdienstnetzes.

Die Bombardierung von GuernicaVor allem aber ein Ereignis ist in der spanischen und deutschen Erinnerung mit dem Einsatz der Legion

Condor eng verbunden: die völkerrechtswidrige Bombardierung der kleinen baskischen Stadt Guernica (Gernika), einer Stadt, die für das baskische Selbstverständnis große Bedeutung hatte. Die Zerstörung von Guernica gilt heute als Beginn des to-talen Luftkrieges und als Sinnbild für die Brutalität des Krieges überhaupt. Dem massiven Luftangriff, an dem neben den deutschen Bombern und Jagdfliegern auch Flugzeuge der italienischen Luftwaffe beteiligt waren, fielen am späten Nachmittag des 26. April 1937 vermut-lich etwa 300 Zivilisten – Männer, Frauen und Kinder – zum Opfer. Ihre genaue Zahl lässt sich nicht mehr er-mitteln. Obwohl der Angriff offiziell der Zerstörung ei-ner militärisch wichtigen Brücke am Rande der Stadt dienen sollte, schlugen die Bomben vor allem im Zentrum ein. Der anschließende Großbrand, der erst am nächsten Tag gelöscht werden konnte, zerstörte mehr als 80 Prozent der Gebäude. Wenige Tage nach dem Luftangriff nahmen franquistische Truppen die Stadt ein, die inzwischen weitgehend von ihren Einwohnern verlassen worden war.

Die Nachricht von der Zerstörung der Stadt verbrei-tete sich sehr schnell in der internationalen Öffentlichkeit. Erste Meldungen englischer und franzö-sischer Journalisten, die den Ort gleich nach dem Bombardement besucht hatten, waren schon am nächsten und übernächsten Tag in vielen Tages-

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2 Die Stadt Guernica nach dem Bombenangriff der deutschen Legion Condor. Foto, April 1937.

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zeitungen der Welt zu lesen. Anders als bei vorherigen deutschen Luftangriffen, etwa der Bombardierung der nordspanischen Stadt Durango Ende März 1937, bei der auch schon 330 Menschen den Tod gefunden hatten, führte die Zerstörung von Guernica zu einer weltwei-ten Welle der Empörung und zu zahlreichen Soli-daritätsaktionen mit der spanischen Zivil bevöl kerung. Die Franco-Regierung und die Befehlshaber der Legion Condor – die eine deutsche Beteiligung anfangs ab-stritten –, sahen sich genötigt, das Geschehene zu rechtfertigen. Franco beschuldigte die republikanische Seite, den Brand selbst gelegt zu haben, um dem Ansehen der Franquisten zu schaden. Ungeachtet ihrer Unglaubwürdigkeit diente diese Anschuldigung im Spanien Francos noch sehr lange zur Rechtfertigung des Luftangriffs. Doch Guernica wurde schnell zum Symbol für die Brutalität der Antirepublikaner und des Faschismus, aber auch insgesamt für das Leid der Zivilbevölkerung und für die Grausamkeit des Krieges ganz allgemein. Künstler wie der deutsche Schriftsteller Hermann Kesten (1900–1996) oder der französische Dichter Paul Éluard (1895–1952) widmeten den Opfern von Guernica schon unmittelbar nach dem Geschehen bewegende Er zäh lungen und Gedichte. Am bekanntes-ten wurde aber sicher das gleichnamige Wandgemälde, das der spanische, in Frankreich lebende Pablo Picasso (1881–1973) spontan für die Pariser Weltausstellung 1937 schuf. Picassos universelle Anklage gegen den Krieg trug erheblich dazu bei, dass das Grauen und die Opfer von Guernica nicht vergessen wurden.

3 Ein „voller technischer Erfolg“Wolfram Freiherr von Richthofen (1985–1945), Oberstleut-nant der deutschen Luftwaffe und Stabschef, befehligte als Kommandeur der Legion Condor am 26. April 1937 den Luftangriff auf Guernica. In seinem Tagebuch notierte er vier Tage später, am 30. April:Guernica, Stadt von 5000 Einwohnern, buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht. Angriff erfolgte mit 250-kg- und Brandbomben, letztere etwa 1/3. Als die 1. Jus [Junkers Ju 52, Behelfskampfflugzeuge] kamen, war überall schon Qualm von VB [Versuchsbomberabteilung], die mit 3 Flugzeugen angriffen, keiner konnte mehr Straßen-, Brücken- und Vorstadtziel erkennen und warf nun mitten hinein. Die 250er warfen eine Anzahl Häuser um und zer-störten die Wasserleitung. Die Brandbomben hatten nun Zeit sich zu entfalten und zu wirken. Die Bauart der Häuser: Ziegeldächer, Holzgalerie und Holzfachwerkhäuser, führte zur völligen Vernichtung. […] Bombenlöcher auf Straßen noch zu sehen, einfach toll. – Stadt war völlig gesperrt für mindestens 24 Stunden, es war die geschaf-fene Voraussetzung für einen großen Erfolg, wenn Truppen nur nachgerückt wären. So nur ein voller tech-nischer Erfolg, unserer 250er u[nd] EC.B 1 [1-kg-Brandbom-be B1E].

Zit. nach: Klaus A. Maier, Die Zerstörung Gernikas am 26. April 1937, in: Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung 1, 2007, S. 18 ff., hier S. 19.

4 Guernica als ExperimentierfeldDer Historiker Dietmar Süß (geb. 1973) beschreibt die deutschen Terroreinsätze im Spanischen Bürgerkrieg als Experimentierfeld für den wenige Jahre später begin-nenden Zweiten Weltkrieg:Ein erstes und zentrales Experimentierfeld für den Ernstfall war der Spanische Bürgerkrieg, der für die [deut-sche] Luftwaffe die Möglichkeit eröffnete auszuprobieren, was vorher nur theoretisch durchgespielt werden konnte. Der faschistische Bündnispartner Italien hatte bereits 1935 in Äthiopien erste praktische Erfahrungen mit Kampffliegern sammeln können und seine Bomber für den Gaskrieg gegen Soldaten und Zivilbevölkerung einge-setzt. […]

Diese Erfahrung fehlte den Deutschen […]. Anfangs hatte man den aufständischen Putschisten um General Franco dabei geholfen, den Nachschub und die Truppentransporte zu organisieren. Der Einsatz der Legion Condor konnte nun endlich dazu dienen, eigene Erfahrungen zu sammeln, neue Techniken und neue Flugzeugtypen zu erproben – und die fielen sehr unter-schiedlich aus. […] In der Praxis des Luftkrieges ließen sich zivile und militärische Ziele gleichwohl kaum unter-scheiden. Städte und Dörfer galten jedenfalls für die Jagd- und Kampfflieger der Legion Condor als legitime Ziele, gehörten sie doch zu den „Kraftfeldern“ der feindlichen „Roten“ – Guernica war in dieser Hinsicht keineswegs ein Einschnitt oder gar ein besonders brutales Bombardement, sondern lag ganz auf der Linie dessen, was zur Normalität geworden war, wie die Bombardierungen beispielsweise Madrids gezeigt hat.

Eine „willkürliche“ Terrorisierung der Zivilbevölkerung erschien zwar auch der deutschen Luftwaffenführung als illegitim. Und nach wie vor galt als primäres Ziel, die feindlichen Streitkräfte niederzuringen. Gleichwohl schloss dies unmittelbar mit ein, auch „verteidigte“ Städte anzugreifen und dabei gezielt Einsätze gegen die Moral der Bevölkerung zu fliegen. Schließlich führte der Weg zum Sieg nicht zuletzt über das Hinterland des Feindes. In der Theorie mochten die Unterschiede bestehen bleiben, in der Praxis freilich war allen Beteiligten klar, dass Bomben auf Städte sich nie nur gegen Militäranlagen richteten. Der Tod von Zivilisten war damit eben gerade nicht etwa ein Kollateralschaden, sondern immer Teil der inneren Logik strategischer Bombereinsätze.

[… In England] hatten der Spanische Bürgerkrieg und der Überlebenskampf der jungen Republik die britische Linke elektrisiert. Die Berichte von der Iberischen Halbinsel schienen bereits einen ersten Vorgeschmack darauf zu vermitteln, wie Kriege künftig aussehen würden. Alles sprach dafür, dass Spanien gleichsam das Vorspiel zu die-ser neuen, modernen Art der Kriegsführung sei – mit ihren fatalen Konsequenzen, mit ihrer brachialen Gewalt und ihrer grausamen Zerstörungskraft. Was Deutsche und Italiener in Spanien seit dem Sommer 1936 betrieben, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, was Luftkrieg in der Zukunft bedeuten würde. Madrid, die republikanische

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5 Guernica und der Spanische Bürgerkrieg

Hauptstadt, erlebte unter dem Einsatz faschistischer Bomber stellvertretend für alle Demokratien, wie [der im Spanienkrieg kämpfende, aus Deutschland emigrierte Publizist] Alfred Kantorowicz festhielt, eine „Höllenfahrt des Abendlandes“, und in der britischen und amerika-nischen Presse überschlugen sich die Horrormeldungen über das „sadistische“ und „barbarische“ Bombardement, den „Zivilisationsbruch“, der auf der Iberischen Halbinsel stattfand, und die hemmungslose Gewalt, der das bis da-hin so friedliche und zivile Zentrum spanischen Lebens ausgesetzt sei. London und Paris, daran schien jetzt kein Zweifel mehr zu bestehen, würden die nächsten Opfer der faschistischen Allianz sein. Mit der Bombardierung der baskischen Kleinstadt Guernica am 26. April 1937 schienen die Dämme nun weitgehend gebrochen: Zunächst war von mehr als 1600 Toten die Rede, die auf das Konto der deutschen Legion Condor gingen. […]

Der Korrespondent der Times, George Steer, war bereits unmittelbar nach dem Angriff aus dem nahen Bilbao nach Guernica gefahren und hatte sich dort einen Eindruck von der Wucht der Angriffe gemacht. Sein Artikel „Tragedy of Guernica“ [„Tragödie von Guernica“], der kurze Zeit später auch in der New York Times erschien und für helles Entsetzen sorgte, schilderte eindringlich das Leid der Menschen und ließ keinen Zweifel am brutalen Zerstörungswillen der Deutschen. Dem Hitlerregime sei es um nichts anderes gegangen als um die Demoralisierung der Zivilbevölkerung und die Vernichtung der baskischen Nation. Der Welle internationaler Empörung, die in den Tagen nach dem Angriff folgte, begegnete die national-spanische Propaganda [Francos] zunächst mit dem Versuch, alles zu leugnen, dann, als dies gescheitert war, mit der Lüge, die „Roten“ hätten die Stadt selbst in Brand geschossen, um die „nationale Befreiung“ durch Francos Truppen zu sabotieren.

Doch es war nicht nur die Sorge um die europäische Demokratie, die die politische Linke in England umtrieb. Der Bürgerkrieg hatte in der Wahrnehmung britischer Militärs und Regierungsvertreter die Notwendigkeit des Luftschutzausbaus angesichts der faschistischen Be-drohung unterstrichen.

Dietmar Süß, Tod aus der Luft. Kriegsgesellschaft und Luftkrieg in Deutschland und England. © 2011 Wolf Jobst Siedler Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, S. 48 ff.

5 Die öffentliche Debatte in der BundesrepublikDie Historikerin Stefanie Schüler-Springorum (geb. 1962) schreibt über die öffentliche Wahrnehmung und die Debatten um die Legion Condor und die Bombardierung von Guernica:Durch den Generations- und Paragdigmenwechsel der späten sechziger und frühen siebziger Jahre begann sich nicht nur eine breitere Öffentlichkeit für die Defizite im Umgang mit der NS-Vergangenheit zu sensibilisieren, gleichzeitig wuchs gerade unter den Studenten das Interesse am Spanischen Bürgerkrieg und die Begeisterung für die Kämpfer auf der Seite der Republik.

Während es z. B. in den fünfziger Jahren keinen weiteren Anstoß erregt zu haben scheint, dass die Lufthansa ihre Chartergesellschaft, die von Anfang an vor allem spa-nische Ziele im Programm hatte, ausgerechnet „Condor“ nannte, erlitt der Brinkmann-Konzern 1968 mit der Wiederentdeckung eben dieses Traditionsnamens für eine Zigarettenmarke Schiffbruch: Nach vehementer Kritik aus „linken Raucherkreisen“ musste das Produkt vom Markt genommen werden und die verantwortliche Werbe-abteilung gestand ein, dass man nicht damit gerechnet hätte, dass „die Deutschen so sensibel sind“. […]

Die öffentliche und historiographische [geschichtswis-senschaftliche] Debatte um Verantwortung, Motive und Opfer der Bombardierung der baskischen Kleinstadt [Guernica/Gernika] begann seit den siebziger Jahren eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der deutschen Intervention in Spanien und dem fast dreijährigen Einsatz der Legion Condor zu überlagern. Dass Gernika zu einem so machtvollen Symbol aufsteigen konnte, hatte verschie-dene Gründe, die eng mit der Vergangenheitspolitik der beiden beteiligten Länder verknüpft sind.

Im franquistischen Spanien gehörte die Legende, die „Roten“ hatten die Stadt angezündet, wohl zu den dreis-testen Propagandalügen des Regimes. Während die Augenzeugen in der Stadt und mit ihnen wohl zumindest die baskische Bevölkerung vierzig Jahre lang genau wuss-te, was am 26. April 1937 geschehen war, mussten sie nicht nur diese von Franco selbst (oder gerade) bei Besuchen im Baskenland immer wieder wiederholte Behauptung hinnehmen, sondern auch so entwürdigende öffentliche Akte wie die 1962 vorgenommene Ehrung der im Nordfeldzug gefallenen deutschen Flieger. Hinsichtlich der deutschen Beteiligung hatte die offizielle Version in Spanien hingegen mehrfach gewechselt. […] Erst in den letzten Jahren des Franco-Regimes begann man, wenn auch zögerlich, der deutschen Intervention in der Bürgerkriegshistoriographie mehr Platz einzuräumen […]. Nach Francos Tod nahm das heikle Thema deutlich an medialer Fahrt auf, konzentrierte sich jedoch […] schnell auf die Bombardierung von Gernika. Während die fran-quistische Geschichtsschreibung nun eine Kehrtwendung vollzog und den Einfluss der Deutschen betonte, die allein und ohne Francos Wissen die Zerstörung der Stadt betrie-ben hätten, ging es ihren demokratischen innerspa-nischen Gegnern um die Betonung der politischen und militärischen Verantwortung Francos, ohne die deutsche Führung dabei aus der Pflicht entlassen zu wollen. Angesichts einer fast schon universell zu nennenden „Opferkonkurrenz“ und nicht zuletzt vor dem Hintergrund des innerspanisch-baskischen Konflikts entwickelte sich „Gernika“ so zum machtvollen Symbol für die Brutalität des Faschismus im Allgemeinen, das durch den Anschluss an die spezifisch nationalsozialistischen Verbrechen einen besondere, beinahe mythische Aufladung erhielt – eine Deutung, die durch distanziert-arrogante Auftritte ehema-liger deutscher Flieger im spanischen Fernsehen noch zusätzlich individuell unterfüttert wurde.

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6 Guernica und der Spanische Bürgerkrieg

[…] Gleichzeitig begann in den 1980er Jahren verschie-dene private Initiativen in der Bundesrepublik sich entwe-der mit der spanischen Vergangenheit vor Ort auseinan-derzusetzen, wie der Arbeitskreis Regionalgeschichte in Wunstorf [deutscher Standort der Legion Condor], oder aber, wie [die Grünen] Petra Kelly und Gert Bastian, Kontakte nach Gernika selbst aufzubauen. Während sol-che Begegnungen auf lokaler und individueller Ebene ausgesprochen erfolgreich verliefen – hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Partnerschaft Gernika-Pforzheim –, überboten sich die staatlichen Institutionen in ihrem Verhalten gegenüber der Stadt Gernika im glei-chen Zeitraum an Peinlichkeiten und Würdelosigkeit. Vermutlich aus Sorge vor Reparationsforderungen und immer wieder blockiert durch selbsternannte Verteidiger der „Ehre“ der Luftwaffe (vor allem aus den Reihen der CDU) wurden sämtliche baskische Initiativen zur Zusammenarbeit und Versöhnung entweder abgewiesen oder mit kläglichen finanziellen Mitteln ausgestattet. Auch hier lieferte also eine interne politische Debatte ge-wissermaßen die Hintergrundfolie für die Interpretation des Einsatzes der Legion Condor, denn letztlich ging und geht es um die übergeordnete und bis heute diskutierte Frage nach der Rolle der Wehrmacht im National sozia-lismus. Nicht zuletzt deshalb löste die öffentliche Ver-handlung des Themas immer wieder wütende Reaktionen der noch lebenden Legionäre aus, die es nicht auf sich sitzen lassen wollten, nun plötzlich als „Kriegsverbrecher“ zu gelten. […] Bei manchen Legionären schien die Identifizierung mit ihrer sich ja meist nur auf wenige Monate belaufenden spanischen Vergangenheit nicht nur im Alter und mit dem zeitlichen Abstand zuzunehmen, sondern auch und gerade aufgrund der immer eindeu-tigeren öffentlichen Verurteilung. So beklagte sich z. B. noch in den neunziger Jahren ein ehemaliges Mitglied des Boden personals: „Wir waren keine Verbrecher. Das Guernica hängt uns aber immer noch an.“ […]

Als sich der deutsche Bundespräsident Roman Herzog ein Jahr später in einem öffentlich in Gernika verlesenen Schreiben zur „schuldhaften Verstrickung deutscher Flieger“ bekannte und um „Versöhnung“ bat, war der Kampf um die Deutung dieses Kapitels der Nachkriegsgeschichte der Legion Condor zumindest offi-ziell endgültig beendet. Die Fixierung auf Gernika hatte jedoch gleichzeitig bewirkt, dass der Einsatz der Legion Condor als Ganzes und mit ihm die Bombardierung zahl-reicher anderer spanischer Städte zwischen Bujalance und Barcelona mittlerweile fast völlig aus dem histo-rischen Bewusstsein gerückt sind.

Stefanie Schüler-Springorum, Krieg und Fliegen. Die Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg, Paderborn/München/Wien/Zürich (Verlag Ferdinand Schöningh) 2010, S. 254 ff.

6 „Guernica“ als europäischer ErinnerungsortAls „Erinnerungsorte“ gelten Orte, die in besonderer Weise als historischer Bezugspunkt für das soziale Gedächtnis einer Gruppe dienen und die entsprechende Erinnerungs-

kultur einer Gruppe oder Gemeinschaft prägen. In diesem Sinne schreibt der Schweizer Historiker Georg Kreis (geb. 1943) 2012:„Guernica“ ist in geradezu idealer Weise ein europäischer Erinnerungsort und insofern wegen seiner Ausgeprägtheit wahrscheinlich ein Ausnahmefall. Er erfüllt sozusagen alle Erfordernisse eines Erinnerungsorts, verstanden als kol-lektiver, nationaler wie transnationaler Referenzpunkt des gesellschaftlichen Bedeutungsvorrats. Im Internet figu-riert Picassos „Guernica“-Bild weit oben nicht nur auf der europäischen Hitliste, sondern sogar auf der Liste der Weltschätze […].

„Guernica“ ist erstens ein geografischer wie ein histo-rischer Ort, es hat seinen Platz auf der Karte wie in der Geschichte; zweitens ist das Wissen von diesem kleinen Ort vergleichsweise groß […]; drittens ist die Medien-präsenz dieses Ortes vergleichsweise groß. Die Medien setzten in ihren Bezügen eine gewisse Bekanntheit vo-raus. Viertens ist Wissen zu diesem Erinnerungsort in rei-chem Maße gespeichert und leicht abrufbar.

Zu 1 und 2: Das Baskenstädtchen – darum hier Gernika geschrieben – hatte bereits zuvor eine regionale Geschichte, war vor allem als Krönungs-, Gerichts- und ständischer Versammlungsort ein starker Erinnerungs-punkt und nicht zuletzt darum ein Zielpunkt des Aggressionskriegs innerhalb des spanischen Bürgerkriegs. Am 24. April 1937 wurde es von über 40 Flugzeugen der deutschen und – in einem kleinen Anteil – der italie-nischen Luftwaffe angegriffen, die sich an der Seite des faschistischen Generalissimo Francisco Franco am spa-nischen Bürgerkrieg gegen die Vertreter der Republik be-teiligten. Das offizielle Ziel war eine Brücke innerhalb der Stadt, die aber tatsächlich beim Angriff von keiner ein-zigen Bombe getroffen wurde. Stattdessen wurde die Stadt selbst mit Brand-, Spreng- und Splitterbomben überzogen. Etwa 80% der Gebäude wurden zerstört. Über die Zahl der Toten gibt es widerstreitende Zahlen – in der Forschung geht man inzwischen von 200 bis 300 Toten aus. Ungeachtet der Beteuerungen sowohl Francos als auch der deutschen Luftwaffen-Führung, das Bombardement sei ein Versehen gewesen, besteht heute kein Zweifel daran, dass die Zerstörung der Stadt gewollt war, um gezielt die moderne Luftkriegsführung zu erpro-ben. Das internationale Medienecho auf die Zerstörung Gernikas war groß; insbesondere in England reagierten Öffentlichkeit und Politik empört, ohne dass es aber Konsequenzen gab.

[…]Zu 3: Die Medienpräsenz war von den ersten Tagen an

durch die Berichte über die verheerenden Auswirkungen der Bombardierung und die Kontroverse um die Täterschaft gesichert. Dann war sie in wachsendem Maße gesichert durch das von Pablo Picasso für die Pariser Weltausstellung von 1937 geschaffene Wandgemälde und dessen Odyssee. Hinzu kamen die Kontroversen um den Besitz […] Und schließlich die Kontroversen um den „rich-tigen“ Standort in Spanien […] und schließlich sozusagen

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7 Guernica und der Spanische Bürgerkrieg

als Dreingabe dann und wann ein Bericht über den Zustand des Bildes. […]

Zu 4: Die leichte Zugänglichkeit lässt sich heute am ehesten mit der Präsenz auf Google und Yahoo und ande-ren Internet-Suchmaschinen messen. Für „Guernica“ fin-den sich in Google je 3,9 Millionen Einträge in deutscher, englischer und französischer Sprache (Dez. 2010). Das reichlich vorhandene Wissen kann auch mit traditionellen Buchpublikationen belegt werden. […]

Eine wichtige und deutlich ausgeprägte Eigenschaft dieses Erinnerungsorts ist, dass er nicht einzig wegen der grauenvollen Außerordentlichkeit des Terrorangriffs auf die kleine Stadt in die Geschichte eingegangen ist, son-dern wegen des von Anfang an vorhandenen Willens, richtige Erinnerung herzustellen und falsche Erinnerung nicht aufkommen zu lassen. […]

Es war Picassos individueller, aber nicht einsamer Entschluss, auf die Bombardierung mit einem Bilddenkmal zu reagieren. Der Entschluss war insofern individuell, als er sich aus eigenem Antrieb dafür entschied, den offen formulierten Auftrag, ein Wandbild für den spanischen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung zu gestalten, für das Guernica-Motiv nutzte. Es war aber insofern kein ein-samer Entschluss, als der Maler durch verschiedene Zeitungsberichte dazu motiviert wurde. Zudem haben auch andere Künstler das Thema bearbeitet, zum Beispiel der mit Picasso verbundene Paul Eluard mit dem Gedicht „La victoire de Guernica“ [„Der Sieg von Guernica“] (1938) oder Hermann Kesten mit dem Roman „Die Kinder von Gernika“ (Amsterdam 1939). Es war aber Picassos Werk, auch wegen seines Formats (349 × 777 cm) und des von Anfang an öffentlichen Status und erst nachträglich we-gen seiner künstlerischen Qualität, die dafür sorgten, dass Picassos persönlicher Erinnerungswille vom Welt-gedächtnis übernommen wurde.

Picasso verstand sich bis zu einem gewissen Grad nur als Medium. Er erklärte: „Die Malerei ist stärker als ich, sie macht mich malen, was sie will.“ In einer Botschaft an den an den American Artist’s Congress [Kongress amerika-nischer Künstler] vom Dezember 1937 vertrat er die Überzeugung, dass Künstler, die mit geistigen Werten le-ben und arbeiten, in einem Konflikt, in dem es um die

höchsten Werte der Menschheit und Zivilisation geht, nicht gleichgültig bleiben können und dürfen. […]

Dass sich Picasso bloß als Werkzeug verstand, bringt eine mehrfach kolportierte Anekdote zum Ausdruck. Ihr zufolge soll ein deutscher Offizier den Maler um 1940 im besetzten Paris auf das Bild angesprochen und gefragt haben, ob er, der Künstler, dies gemacht habe. Darauf soll Picasso geantwortet haben: „Nein, Sie!“. […]

Picassos Manifest wollte dazu beitragen, dass es den Tätern nicht gelingen wird, ihre Opfer durch Falschangaben (behauptete Selbstzerstörung durch baskische Terroristen) über den tatsächlichen Verlauf des Vorgangs zusätzlich mit Unwahrhaftigkeiten zu erniedrigen. Mittlerweile ist es ein anerkanntes Allgemeingut, dass der Zweck der Aktion darin bestand, „den totalen Bombenkrieg“ zu testen (Hannes Herr, in: Die Zeit vom 19. April 2007).

Die von Picasso angestrebte Wahrheits-Botschaft ist etwas zu kompliziert für einen europäischen Erinnerungs-ort. Der europäischen Erinnerungskultur genügt, dass „Guernica“ an eine von Europäern gegenüber Europäern begangene Barbarei erinnern, dass die Aktion gegen Gernika „der erste massive Luftangriff in der Kriegs-geschichte auf die unbewaffnete Zivilbevölkerung einer Stadt“ gewesen sei (DPA-Meldung 24. April 1997). Zu die-ser Aussage konnte es aber nur kommen, weil man Afrika und die im Rifkrieg (1921–1926) und im Abessinienkrieg (1935/36) verübten Terrorbombardierungen gegen afrika-nische Städte, die es durchaus gab, nicht mitzählte.

Was ist gewonnen, wenn wir „Guernica“ als europä-ischen Erinnerungsort erkennen? Wissen wir mehr über den Zustand der Identität Europas? „Guernica“ ist wie „Auschwitz“ Teil des negativen Gründungsmythos der Nachkriegsgemeinschaft. Es verweist auf einen Zustand, den man heute mit der neuen Ordnung überwunden hat. Wie sehr in Europa über die nationalen Identitäten hinaus eine supranationale Identität herangewachsen ist, kann man gestützt auf „Guernica“ jedoch weniger inhaltlich als formal festmachen.

Georg Kreis, „Guernica“, in: Pim den Boer/Heinz Duchardt/Georg Kreis/Wolfgang Schmale (Hg.), Europäische Erinnerungsorte, Bd. 2: Das Haus Europa, München (Oldenbourg) 2012, S. 445-453, hier S. 445 ff.

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8 Guernica und der Spanische Bürgerkrieg

1. Geben Sie mit eigenen Worten Hintergründe und Verlauf des Spanischen Bürgerkrieges wieder.

2. Nennen Sie Motive und Auswirkungen der Beteiligung des nationalsozialistischen Deutschlands am Spanischen Bürgerkrieg (M 2, M 3).

3. Erläutern Sie, welche Bedeutung die Zerstörung Guernicas für die Haltung der Alliierten gegenüber dem national-sozialistischen Deutschland im Zweiten Weltkrieg hatte (M 4).

4. Stellen Sie dar, wie die Mitglieder der Legion Condor in Deutschland zu unterschiedlichen Zeiten angesehen wurden (M 5).

5. Erklären Sie, welche Widerstände die Erinnerung an die Zerstörung Guernicas in der Bundesrepublik überwinden musste (M 5). Recherchieren Sie, wie die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen durch die Wehrmacht überhaupt erfolgte, und ordnen sie die Erinnerung an Guernica in diesen Kontext ein.

6. Erläutern Sie die Bedeutung Guernicas als Kriegsziel und arbeiten Sie heraus, welche Rolle Pablo Picassos Wand-gemälde „Guernica“ bei der Einschätzung spielt, Guernica sei ein europäischer „Erinnerungsort“ (M 1, M 6).

7. Diskutieren Sie gemeinsam die Fragen, die der Historiker Kreis am Ende seines Textes (M 6) formuliert: „Was ist gewonnen, wenn wir ‚Guernica‘ als europäischen Erinnerungsort erkennen? Wissen wir mehr über den Zustand der Identität Europas?“

Autor: Jens Thiel