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12.6 Verletzungen und Verletzungsfolgen 12.6 Verletzungen und Verletzungsfolgen 12.6.1 Unterschenkelschaftfraktur 12.6.1 Unterschenkelschaftfraktur Definition. Definition. Der Begrikomplette Unterschenkelfrakturbezeichnet den Bruch sowohl der Tibia als auch der Fibula im Gegensatz zur isolierten Tibia- oder Fibula- fraktur. Ätiopathogenese: Die komplette Unterschenkelfraktur kann entweder durch indi- rekte Energieeinwirkung erfolgen, z. B. beim Snowboardfahren, wenn der fixierte Fuß in eine andere Richtung als der restliche Körper gezogen wird, oder durch di- rekte Energieeinwirkung, z. B. beim Ausführen eines Drehschlags gegen ein fixiertes Hindernis (z.B. Knie des Gegners beim Kickboxen bzw. Fußball oder Stoßstangen- unfall). Die isolierte Fibulafraktur entsteht bei direktem Trauma von lateral oder in- direkt beim Valgustrauma des Sprunggelenkes (Maisonneuve-Fraktur). Einteilung: Alle Schaftfrakturen werden nach AO-Klassifikation (S. 306) in einfache (A-), Keil- (B-) und komplexe (C-) Frakturen unterteilt. Am Unterschenkelschaft (anatomische Lokalisation 42 nach AO) erfolgt die Einteilung in den Frakturtyp und die -gruppe einzig anhand der Tibiafraktur (eine evtl. begleitende Fibulafraktur fließt nur bei A- und B-Frakturen und dort nur in die Untergruppe ein.). Oene Frakturen werden nach Gustilo und Anderson, der Weichteilschaden nach Oestern und Tscherne eingeteilt (Tab. B-10.6). Klinik: Unterschenkelschaftfrakturen gehen mit z. T. erheblichen Schmerzen und einem sofortigen Funktionsverlust der unteren Extremität einher, das Bein kann nicht mehr belastet werden. Aufgrund der relativ dünnen Weichteildeckung, vor al- lem über den anterioren Anteilen der Tibia, treten häufig ausgeprägte Weichteil- schäden und/oder oene Verletzungen auf. Die Maisonneuve-Fraktur der Fibula kann dagegen übersehen werden, weil sich die klinische Symptomatik vorwiegend am Sprunggelenk abspielt. Isolierte Fibulafrakturen treten klinisch sehr unterschiedlich in Erscheinung. Da die Tibia lasttragend ist, können die Patienten durchaus normal laufen. Die Therapie ist, nach sicherem Ausschluss einer Maisonneuve-Fraktur, konservativ zunächst mit Mobilisation an Unterarm-Gehstützen für 7 Tage und anschließendem Kontroll- Röntgen. Bei Ausbleiben weiterer Verletzungen kann eine Aufbelastung erfolgen. Diagnostik: Bei jeder Unterschenkelfraktur muss untersucht werden, ob ein Kom- partmentsyndrom (S.322) vorliegt: Dies ist der Fall, wenn die zugängigen Muskello- gen palpatorisch prall gespannt sind. Typischerweise sind die arteriellen Pulse in der Peripherie erhalten, da der arterielle Blutdruck den Gewebedruck übersteigt. Merke. Merke. Bei einer Unterschenkelschaftfraktur muss immer auf ein Kompartment- syndrom (S. 322) untersucht werden. Die peripheren Pulse sind typischerweise da- bei erhalten. Die periphere DMS (Durchblutung, Motorik, Sensibilität) ist zu prüfen und zu doku- mentieren. Die Bilddiagnose liefern Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen, nach deren Be- fund sich unter anderem auch die Therapie richtet. Therapie: Die Unterschenkelschaftfraktur kann unterschiedlich therapiert werden. Eine konservative Versorgung ist möglich bei Kindern und Jugendlichen, bei gerin- ger Dislokation und ausreichender Compliance des Patienten (z. B. Sarmiento-Gips, Abb. C-12.9a). Auch eine isolierte Fibulafraktur kann konservativ behandelt werden, wenn eine Maisonneuve-Verletzung (S.613) ausgeschlossen wurde. Operationsindikationen stellen z. B. größere Dislokationen und oene Frakturen dar. Die operative Therapie sollte vor allem bei Schaftfrakturen mit einem intramedullä- ren Kraftträger erfolgen. Hier stehen unterschiedliche Systeme wie das aufgebohrte oder das unaufgebohrte Marknagel-System mit und ohne Führungsdraht zur Ver- fügung. Bei primär geschlossenen Frakturen sollte versucht werden, diese geschlossen indi- rekt zu reponieren, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Falls dies nicht möglich Ätiopathogenese: Direktes oder indirektes Trauma als Ursache. Einteilung: Einteilung nach AO-Klassifikation (S. 306) anhand der Art der Fraktur der Tibia in A- bis C-Frakturen. Zur Einteilung oener Verletzungen s. Tab. B-10.6. Klinik: erhebliche Schmerzen und sofortiger Funktionsverlust der Extremität. Oft erhebli- che Weichteilschäden und/oder oene Verlet- zungen. Maisonneuve-Frakturen können da- gegen übersehen werden. Diagnostik: Untersuchung auf Kompart- mentsyndrom: Palpation der Muskellogen/ Weichteile. Untersuchung der peripheren DMS, Röntgen in 2 Ebenen. Therapie: Konservative Versorgung (Brace/ Gips) möglich bei Kindern, Jugendlichen, ge- ringer Dislokation und ausreichender Compli- ance sowie bei isolierte Fibulafraktur nach Ausschluss einer Maisonneuve-Verletzung (Abb. C-12.9a). Operative Therapie z. B. bei stärkerer Dis- lokation und oenen Verletzungen. Wenn möglich Versorgung mit Marknagel. Plattenosteosynthese bei metaphysärer Frak- tur. aus: Niethard u.a., Duale Reihe Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131308177) © 2014 Georg Thieme Verlag KG 608 C 12 Unterschenkel und oberes Sprunggelenk

12.6 Verletzungen und Verletzungsfolgen Verletzungsfolgen ... · Tibia lasttragend ist, können die Patienten durchaus normal laufen. Die Therapie ist, Die Therapie ist, nach sicherem

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Page 1: 12.6 Verletzungen und Verletzungsfolgen Verletzungsfolgen ... · Tibia lasttragend ist, können die Patienten durchaus normal laufen. Die Therapie ist, Die Therapie ist, nach sicherem

12.6 Verletzungen und Verletzungsfolgen12.6 Verletzungen undVerletzungsfolgen

12.6.1 Unterschenkelschaftfraktur12.6.1 Unterschenkelschaftfraktur

▶Definition. ▶Definition. Der Begriff „komplette Unterschenkelfraktur“ bezeichnet den Bruchsowohl der Tibia als auch der Fibula im Gegensatz zur isolierten Tibia- oder Fibula-fraktur.

Ätiopathogenese: Die komplette Unterschenkelfraktur kann entweder durch indi-rekte Energieeinwirkung erfolgen, z. B. beim Snowboardfahren, wenn der fixierteFuß in eine andere Richtung als der restliche Körper gezogen wird, oder durch di-rekte Energieeinwirkung, z. B. beim Ausführen eines Drehschlags gegen ein fixiertesHindernis (z. B. Knie des Gegners beim Kickboxen bzw. Fußball oder Stoßstangen-unfall). Die isolierte Fibulafraktur entsteht bei direktem Trauma von lateral oder in-direkt beim Valgustrauma des Sprunggelenkes (Maisonneuve-Fraktur).

Einteilung: Alle Schaftfrakturen werden nach AO-Klassifikation (S.306) in einfache(A-), Keil- (B-) und komplexe (C-) Frakturen unterteilt. Am Unterschenkelschaft(anatomische Lokalisation 42 nach AO) erfolgt die Einteilung in den Frakturtyp unddie -gruppe einzig anhand der Tibiafraktur (eine evtl. begleitende Fibulafrakturfließt nur bei A- und B-Frakturen und dort nur in die Untergruppe ein.).Offene Frakturen werden nach Gustilo und Anderson, der Weichteilschaden nachOestern und Tscherne eingeteilt (Tab. B-10.6).

Klinik: Unterschenkelschaftfrakturen gehen mit z. T. erheblichen Schmerzen undeinem sofortigen Funktionsverlust der unteren Extremität einher, das Bein kannnicht mehr belastet werden. Aufgrund der relativ dünnen Weichteildeckung, vor al-lem über den anterioren Anteilen der Tibia, treten häufig ausgeprägte Weichteil-schäden und/oder offene Verletzungen auf. Die Maisonneuve-Fraktur der Fibulakann dagegen übersehen werden, weil sich die klinische Symptomatik vorwiegendam Sprunggelenk abspielt.Isolierte Fibulafrakturen treten klinisch sehr unterschiedlich in Erscheinung. Da dieTibia lasttragend ist, können die Patienten durchaus normal laufen. Die Therapie ist,nach sicherem Ausschluss einer Maisonneuve-Fraktur, konservativ zunächst mitMobilisation an Unterarm-Gehstützen für 7 Tage und anschließendem Kontroll-Röntgen. Bei Ausbleiben weiterer Verletzungen kann eine Aufbelastung erfolgen.

Diagnostik: Bei jeder Unterschenkelfraktur muss untersucht werden, ob ein Kom-partmentsyndrom (S.322) vorliegt: Dies ist der Fall, wenn die zugängigen Muskello-gen palpatorisch prall gespannt sind. Typischerweise sind die arteriellen Pulse inder Peripherie erhalten, da der arterielle Blutdruck den Gewebedruck übersteigt.

▶Merke. ▶Merke. Bei einer Unterschenkelschaftfraktur muss immer auf ein Kompartment-syndrom (S.322) untersucht werden. Die peripheren Pulse sind typischerweise da-bei erhalten.

Die periphere DMS (Durchblutung, Motorik, Sensibilität) ist zu prüfen und zu doku-mentieren. Die Bilddiagnose liefern Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen, nach deren Be-fund sich unter anderem auch die Therapie richtet.

Therapie: Die Unterschenkelschaftfraktur kann unterschiedlich therapiert werden.Eine konservative Versorgung ist möglich bei Kindern und Jugendlichen, bei gerin-ger Dislokation und ausreichender Compliance des Patienten (z. B. Sarmiento-Gips,Abb. C-12.9a).Auch eine isolierte Fibulafraktur kann konservativ behandelt werden, wenn eineMaisonneuve-Verletzung (S.613) ausgeschlossen wurde.Operationsindikationen stellen z. B. größere Dislokationen und offene Frakturen dar.Die operative Therapie sollte vor allem bei Schaftfrakturen mit einem intramedullä-ren Kraftträger erfolgen. Hier stehen unterschiedliche Systeme wie das aufgebohrteoder das unaufgebohrte Marknagel-System mit und ohne Führungsdraht zur Ver-fügung.Bei primär geschlossenen Frakturen sollte versucht werden, diese geschlossen indi-rekt zu reponieren, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Falls dies nicht möglich

Ätiopathogenese: Direktes oder indirektesTrauma als Ursache.

Einteilung: Einteilung nach AO-Klassifikation(S.306) anhand der Art der Fraktur der Tibiain A- bis C-Frakturen.

Zur Einteilung offener Verletzungens. Tab. B-10.6.

Klinik: erhebliche Schmerzen und sofortigerFunktionsverlust der Extremität. Oft erhebli-che Weichteilschäden und/oder offene Verlet-zungen. Maisonneuve-Frakturen können da-gegen übersehen werden.

Diagnostik: Untersuchung auf Kompart-mentsyndrom: Palpation der Muskellogen/Weichteile.

Untersuchung der peripheren DMS, Röntgenin 2 Ebenen.

Therapie: Konservative Versorgung (Brace/Gips) möglich bei Kindern, Jugendlichen, ge-ringer Dislokation und ausreichender Compli-ance sowie bei isolierte Fibulafraktur nachAusschluss einer Maisonneuve-Verletzung(Abb. C-12.9a).

Operative Therapie z. B. bei stärkerer Dis-lokation und offenen Verletzungen.Wenn möglich Versorgung mitMarknagel.Plattenosteosynthese bei metaphysärer Frak-tur.

aus: Niethard u.a., Duale Reihe – Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131308177) © 2014 Georg Thieme Verlag KG

608 C 12 Unterschenkel und oberes Sprunggelenk

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ist bzw. gelingt, z. B. bei starker Dislokation, muss die offene Reposition und ggf. zu-sätzliche Schraubenosteosynthese erfolgen. Die Plattenosteosynthese sollte meta-physären Frakturen vorbehalten bleiben.Offene Verletzungen sollten sofort versorgt und die Wunden ausgeschnitten wer-den, da sich dadurch das Risiko einer postoperativen Osteomyelitis bzw. von Mark-raumphlegmonen reduzieren lässt. Auch bei kritischer Weichteilsituation wird pri-mär mit Fixateur externe stabilisiert (Abb. C-12.9e).Polytraumatisierte Patienten sollten in Abhängigkeit von der Verletzungsschwerezunächst passager mittels Fixateur externe versorgt werden und nach systemischerStabilisierung auf der Intensivstation dann mittels definitivem Osteosynthesever-fahren versorgt werden (Damage control Surgery bzw. Orthopedics).Bei Beeinträchtigung der peripheren DMS erfolgt in jedem Fall eine zusätzlicheDiagnostik (z. B. Angiografie) und dann ebenfalls die unverzügliche operative Ver-sorgung mit entsprechender Rekonstruktion bzw. Freilegung der betroffenen Struk-turen.

Komplikationen: Wesentliche Komplikationen der Unterschenkelfraktur und Mark-nagelosteosynthese sind die Verletzung von Nerven und Gefäßen, Infektionen(Markraumphlegmone) und im Langzeitverlauf die Ausbildung einer Pseudarthrosesowie die Amputation.

⊙ C-12.9 Behandlung von Unterschenkelschaftfrakturen

a

c

b d e

f g

a Unterschenkelbrace nach Sarmiento.b Operative Behandlung mit gelenknaher Plattenosteosynthese und interfragmentärer Zugschraube.c Bei offenen Frakturen erfolgt zunächst die primäre Versorgung mittels Débridement und Fixatuer externe, der dann, nach Konsolidierung der

Weichteile, in einem Zweiteingriff durch einen Marknagel ersetzt werden kann.d IIIA-offene Fraktur, Unterschenkel Unfallbild.e Nach primärer Versorgung durch Débridement, Spülung, Fixateur externe und VAC-Anlage.f Postoperative Röntgenkontrolle.g Definitive Versorgung mittels Verriegelungsmarknagel, nachdem die Weichteil- und Infektsituation saniert wurde.

Fixateur externe zur primären Stabilisierungbei kritischer Weichteilsituation

und bei polytraumatisierten Patienten.

Bei pathologischem Befund der DMS-Prüfungsind die entsprechenden diagnostischen undtherapeutischen Maßnahmen einzuleiten.

Komplikationen: Verletzung von Nerven undGefäßen, Infektionen, Pseudarthrose.

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C 12.6 Verletzungen und Verletzungsfolgen 609

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12.6.2 Pilon-tibiale-Fraktur12.6.2 Pilon-tibiale-Fraktur

▶Definition. ▶Definition. Distale Unterschenkelfraktur mit Beteiligung oder Abkippung der Ge-lenkfläche.

Ätiopathogenese: Axiale Gewalteinwirkungen, welche die Strukturen des oberenSprunggelenks von unten gegen die Gelenkfläche der Tibia pressen. Seltener auchdurch Zug an der Achillessehne.

Einteilung: Nach AO-Klassifikation (S.306) werden bei gelenknahen Frakturen ex-traartikuläre (A-), partiell artikuläre (B-) und vollständig artikuläre (C-)Frakturenunterschieden.

Klinik: Da die Pilon-tibiale-Fraktur durch erhebliche Gewalteinwirkung entsteht,liegt fast immer ein erheblicher Weichteilschaden vor. Daher bestehen oft eine aus-gedehnte Weichteilschwellung und Schmerzen. Dadurch können die häufig beste-hende Luxations- oder Subluxationsstellung übersehen werden, die aber in jedemFall sofort reponiert werden muss.

▶Merke. ▶Merke. Luxations-/Subluxationsstellung wegen der drohenden Weichteilnekrosesofort reponieren.

Diagnostik: Die Röntgenaufnahme des Unterschenkels und Sprunggelenks(Abb. C-12.10d) mindestens in 2 Ebenen ist obligatorisch, bei Unklarheiten sollte dieComputertomografie freizügig angewendet werden. In jedem Fall muss eine sorgfäl-tige Beurteilung der Weichteile erfolgen, um einen ggf. bestehenden „Frakturdruck“,d. h. Druck durch Knochen(teile) von innen gegen die Haut, zu erkennen und früh-zeitig durch Reposition zu beseitigen. Die periphere DMS muss unbedingt doku-mentiert werden.

Therapie: Die Therapie der Pilon-tibiale-Fraktur ist wegen der meist vorliegendenInstabilität und erheblichen Dislokation in der Regel operativ.Subluxationen bzw. Luxationen müssen sofort reponiert werden. Sollte sich das Ge-lenk nicht in einer akzeptablen Stellung halten lassen (Röntgenkontrolle), muss eineStabilisierung z. B. mittels Fixateur externe erfolgen. Häufig disloziert die distaleTibia nach ventral, dadurch kann sie die A. dorsalis pedis komprimieren.Wegen des erheblichen Weichteilschadens wird die Extremität zunächst hochgela-gert und gekühlt. Die operative Versorgung erfolgt erst, wenn die Extremität so weitabgeschwollen ist, dass ein komplikationsfreier postoperativer Wundverschlussmöglich ist.Sollten Blasen als Anzeichen einer erheblichen Weichteilschwellung bzw. eines„Frakturdruckes“ auftreten, müssen die Stellung der Fragmente durch neue Rönt-genaufnahmen und die periphere Durchblutung kontrolliert werden. Die Blasenkönnen abgetragen und mit Desinfektionslösung behandelt werden, um die sekun-däre Kontamination zu reduzieren. Diese Vorbehandlung ist am besten im Fixateurexterne möglich.

▶Merke. ▶Merke. Die Versorgung von Pilon-tibiale-Frakturen – auch die Fixateur-externe-Anlage – ist komplex, z. B. müssen bei der Anlage von Schrauben und Drähten spä-tere Weichteillappenplastiken berücksichtigt werden.

Die endgültige operative Versorgung erfolgt in vier Schritten:1. Osteosynthese der Fibula zur Stellung der Länge2. stufenlose Rekonstruktion der Gelenkflächen (Kirschner-Drähte, Kleinfragment-

schrauben)3. eventuelles Auffüllen eines Knochendefektes mittels Spongiosa4. stabile Fixation über eine mediale, ggf. winkelstabile, Platte (Abb. C-12.10f)Der Hautverschluss darf nicht unter Spannung erfolgen. Hautnekrosen werden füreinige Tage mit der Vakuumtherapie (S.81) versorgt, dann erfolgt der sekundäreHautverschluss entweder mit vorhandener Haut, Spalthaut oder bei komplett feh-lender Weichteildeckung mittels Lappenplastik. Ein Wundverschluss, der nur unterAnwendung von grober Kraft möglich ist, wird seinen Zweck nicht erfüllen und istdaher unnötig.

Ätiopathogenese: Meist axiale Gewalt.

Einteilung: AO-Klassifikation (S.306).

Klinik:meist erheblicher Weichteilschadenund Schmerzen. Häufig Sub-/Luxationsstel-lung.

Diagnostik: Röntgen, großzügige Anwen-dung der CT. Beurteilung der Weichteil-situation („Frakturdruck“) und der periphe-ren DMS.

Therapie: In der Regel operativ.

Initial bestehende (Sub-)Luxationen reponie-ren. Lässt sich das Gelenk nicht halten, musspassager mit Fixateur externe stabilisiert wer-den.

Damit postoperativ die Wunde spannungsfreiverschlossen werden kann, zunächst Ab-schwellen unter klinischer Kontrolle (DMS,Weichteile).

Blasen sind Zeichen von Druck und Anlass fürKontrollen der Fragmentstellung und derDurchblutung. In den meisten Fällen erfolgtinitial die Fixateur-externe-Anlage.

Endgültige operative Versorgung in 4 Schrit-ten (Fibula-Osteosynthese, Rekonstruktionder Gelenkfläche, Spongiosaplastik, Osteo-synthese der Tibia). Wichtig ist der span-nungsfreie Hautverschluss.

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610 C 12 Unterschenkel und oberes Sprunggelenk

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▶Merke.▶Merke. Die Reposition von Fragmenten sollte, wenn möglich, über Ligamentota-xis und somit weichteilschonend erfolgen. Denn je mehr Weichteile entfernt odernoch stärker kompromittiert werden, umso schlechter wird die Durchblutungs-situation und desto größer ist die Gefahr der postoperativen Infektion.

Komplikationen: Aufgrund der erheblichen Weichteilkompromittierungen haben Pi-lon-tibiale-Frakturen ein erhebliches Risiko für eine postoperative Wundheilungs-störung und -infektion. Eine posttraumatische Arthrose ist häufig.

12.6.3 Kompartmentsyndrom des Unterschenkels 12.6.3 Kompartmentsyndrom desUnterschenkels

▶Definition.▶Definition. Posttraumatische Schwellung innerhalb der 4 Muskellogen des Unter-schenkels (Extensoren-/Tibialis-anterior-, oberflächliche Flexoren-, tiefe Flexoren-und Peronäusloge), welche durch den erhöhten Gewebedruck den venösen Rück-fluss erschwert. Bei erhaltenem arteriellem Druck entsteht ein Circulus vitiosus, beidem die Schwellung immer weiter zunimmt.

Ätiopathogenese: Die Muskellogen des Unterschenkels (Abb. C-12.11) sind von rela-tiv straffen Weichteilen bzw. Sehnen umhüllt, die bei einer Schwellung der Musku-latur nicht nachgeben können. Es resultiert eine Druckerhöhung im Gewebe, die inden oben beschriebenen Circulus vitiosus mündet mit der Folge der Schädigung derin den Logen verlaufenden Nerven (N. peronaeus!). Dieses Problem kann in allen 4Muskellogen des Unterschenkels auftreten. Eine Beteiligung der tiefen Flexorenlogeist allerdings besonders gefürchtet, da sie nicht palpabel ist, bzw. bei nicht betroffe-

⊙ C-12.10 Operative Therapie distaler intraartikulärer Unterschenkelfrakturen

a b c

d e f

a Ausgeprägte Zertrümmerung der distalen Tibia mit Knochenverlust durch axiale Stauchung.b Längenausgleich und Stabilisierung der Fibulafraktur.c Anatomische Rekonstruktion der Tibia mit autologer Spongiosaunterfütterung und Osteosynthese.d Pilon-43B3-Fraktur rechts.e Pilon-43B3-Fraktur (siehe d) nach passagerer geschlossener Reposition und Gips zum Abschwellen der Weichteile.f Pilon-43B3-Fraktur (siehe d und e) nach definitiver Versorgung mit winkelstabilem Plantat (laterale L-Platte Synthes®).

Komplikationen: Postoperative Wundhei-lungsstörung und -infektion sowie Arthrose.

Ätiopathogenese: Die Extensorengruppe desUnterschenkels ist durch kräftige Faszien um-hüllt (Abb. C-12.11). Hämatome und Ödemekönnen binnen weniger Stunden zur irrever-siblen Schädigung der Nerven und Muskulaturführen (Kompressionssyndrom/Kompart-mentsyndrom).

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C 12.6 Verletzungen und Verletzungsfolgen 611

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nen oberflächlichen Logen ein Kompartmentsyndrom irrtümlich ausgeschlossenwerden kann.Mögliche Ursachen des Kompartmentsyndroms sind z. B. Hämatombildung nachstumpfem Trauma (häufig), Schnürwirkung eines Gipsverbandes, zu lange Blutsper-re im OP (z. B. bei Kreuzbandersatzoperationen), Distraktionsbehandlung des Unter-schenkels, seltener auch ungewohnte Anstrengungen (z. B. Langstreckenlauf) unddie Schnürwirkung von Pflasterextensionsverbänden bei Kindern.

Klinik, Diagnostik: Häufig beginnt das Kompartmentsyndrom mit lokalen Beschwer-den (bohrende und brennende Schmerzen, harte Schwellung), wobei der Schmerzdas Leitsymptom ist und so lange als Kompartmentsyndrom gedeutet werden mussbis zum Beweis des Gegenteils. Spätere Symptome sind die Beeinträchtigung derNervenfunktion. Kennzeichnend für eine N.-peronaeus-Schädigung (Extensorenlo-ge) sind Zehenheberschwäche und aufgehobene Sensibilität zwischen der 1. und 2.Zehe dorsal. Druckmessungen in der Muskelloge zeigen die Drucksteigerung, siesind jedoch nur additive Maßnahmen.

▶Merke. ▶Merke. Das Kompartmentsyndrom ist eine klinische Diagnose: In dubio pro inci-sionem! (= Im Zweifel Logen spalten.)

Therapie: Notfallmäßige Spaltung aller 4 Muskelfaszien.Bei eingetretener Nekrose der Muskulatur sind rekonstruktive Eingriffe wie bei derVolkmann-Kontraktur (S.477) der oberen Extremität durchzuführen. Eine Restitutioad integrum ist in diesem Stadium nicht mehr möglich.

▶Merke. ▶Merke. Bei klinischem Verdacht auf ein Kompartmentsyndrom muss notfall-mäßig die Muskelfaszie breit eröffnet werden.

Prophylaktisch sollte bei Frakturen eine Hochlagerung erfolgen, ggf. Antiphlogisti-kagabe. Bei offener Frakturversorgung ist neben der subtilen Blutstillung das Ein-legen einer Redondrainage indiziert. Ein dichter Faszienverschluss sollte ebensounterbleiben wie ein geschlossener Gipsverband.

12.6.4 Oberes Sprunggelenk12.6.4 Oberes Sprunggelenk

Fraktur des oberen SprunggelenksFraktur des oberen Sprunggelenks

▶ Synonym. ▶ Synonym. OSG-Fraktur.

▶Definition. ▶Definition. Knöcherne oder kombiniert knöchern-ligamentäre Verletzungen imoberen Sprunggelenk.

⊙ C-12.11 Extensoren-/Tibialis-anterior-Loge

Fibula

N. fibularis profundus,A. u. V. tibialis anterior

M. tibialis anterior

M. extensor digitorum longus

M. extensor hallucis longus

V. saphenamagna

Tibia

V. saphena parva

N. tibialis,A. u. V. tibialis

posterior

A. u. V. peronaea

N. peronaeussuperficialis

Membranainterossea cruris

Am Unterschenkel werden vier Kompartimenteunterschieden. Die Extensoren-/Tibialis-anterior-Loge liegt ventrolateral der Tibia und Fibula undderen Verbindung – der Membrana interossea.(aus Schünke, M., Schulte, E., Schumacher, U., Prometheus – All-gemeine Anatomie und Bewegungssystem, Thieme 2011)

Mögliche Ursachen sind Hämatome nachTrauma (häufig), Schnürwirkungen von Ver-bänden, Hämatome, lange Blutsperre im OP,Distraktionsbehandlung des Unterschenkelsund seltener ungewohnte Belastung.

Klinik, Diagnostik: Im akuten Stadium er-hebliche Beschwerdesymptomatik und Unfä-higkeit, die Zehen dorsal zu extendieren.

Therapie: Notfallmäßige Spaltung derFaszie. Sekundär rekonstruktive Eingriffe sindbei irreversibler Schädigung der Muskulaturangezeigt.

Prophylaktisch Hochlagerung der Extremität.Bei Operation Einlage einer Redondrainage,Antiphlogistikagabe. Kein geschlossener Gips-verband!

aus: Niethard u.a., Duale Reihe – Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131308177) © 2014 Georg Thieme Verlag KG

612 C 12 Unterschenkel und oberes Sprunggelenk

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Ätiopathogenese: Direkte (Anpralltraumen), häufiger aber indirekte Gewalteinwir-kungen sind von Bedeutung. Stauchungsbrüche, die oft zur Zertrümmerung der Ge-lenkfläche der distalen Tibia führen, entstehen beim Sturz aus großer Höhe oderdurch Vordringen der Bodengruppe des Fahrzeugs bei Frontalkollisionen. Am häu-figsten sind nichtdislozierte Weber-B-Frakturen. Luxationsfrakturen entstehendurch Torsions- und Biegekräfte. In Abhängigkeit von der Bewegungsrichtung undder vorausgehenden Fußstellung entstehen dabei unterschiedliche Bruchformen.

Einteilung: Im Gegensatz zu den sich am Unfallmechanismus orientierenden Ein-teilungen erlaubt die einfache Klassifikation der OSG-Fraktur von Weber(Abb. C-12.12), die anhand der Lokalisation der Frakturlinie an der Fibula erfolgt,auch Rückschlüsse auf die therapeutisch wichtige Syndesmosenruptur (Syndesmo-se = Bandverbindung zwischen der distalen Tibia und der Fibula, Abb. C-12.1):■ Typ Weber A: Fraktur der Fibula unterhalb/distal der Syndesmose – hier ist dieSyndesmose intakt.

■ Typ Weber B: Fraktur der Fibula in Höhe der Syndesmose – hier ist die Syndesmo-se fakultativ verletzt.

■ Typ Weber C: Fraktur der Fibula oberhalb/proximal der Syndesmose – hier ist dieSyndesmose immer verletzt.

■ Maisonneuve-Fraktur: Proximale Fibulafraktur mit Läsion am Innenknöchel (Ab-rissfraktur oder Bandzerreißung); sie kann leicht übersehen werden.

Klinik: Das Leitsymptom der OSG-Fraktur ist der belastungsabhängige Schmerz unddie Schwellung. Eine eventuell bestehende Luxationsstellung ist ein eindeutigesFrakturzeichen. Fakultativ kann bei offenen Fraturen eine Durchspießung oder ins-besondere bei verbleibender Luxationsstellung ein innerer Dekubitus (Hautnekrosedurch Druck des Knochens auf die Haut) entstehen.

Diagnostik: Das Nativröntgenbild erlaubt eine Klassifizierung der Verletzung(Abb. C-12.13a). Bei entsprechendem Verdacht (auf eine Maisonneuve-Fraktur) soll-te der gesamte Unterschenkel geröntgt werden (z. B. bei Schmerzen im proximalen

⊙ C-12.12 Einteilung der Frakturen des oberen Sprunggelenks

d

a b

c e

(aus Andreae, S., Lexikon der Krankheiten und Untersuchungen,

Thieme 2008)

Die Klassifikation der Luxationsfrakturen (nachWeber, a–c) richtet sich nach der Höhe der Fibu-lafraktur (Weber A/B/C) unabhängig von der Artder medialseitigen Verletzung (Innenbandrupturoder Innenknöchelbruch). Differenziert hiervonwird der (d) Stauchungsbruch = Pilon-tibiale-Fraktur (S.610). Die (e) Maisonneuve-Frakturstellt eine Sonderform der Luxationsfrakturendar. Die Pfeile zeigen die Richtung der Kraftein-wirkung.a Typ A: Fraktur der Fibula distal der Syndesmose.b Typ B: Fraktur der Fibula in Höhe der Syn-

desmose.c Typ C: Fraktur der Fibula proximal der Syn-

desmose.d Stauchungsfraktur (Pilon tibiale).e Maisonneuve-Fraktur: Kombination der hohen

Fibulafraktur mit Verletzung am Innenknöchel.

Ätiopathogenese: Direkte, häufiger aber in-direkte Gewalteinwirkungen.

Einteilung: Siehe Abb. C-12.12

■ Typ Weber A: Fibulafraktur unterhalb derSyndesmose – Syndesmose intakt

■ Typ Weber B: Fibulafraktur in Höhe derSyndesmose – Syndesmose fakultativ ver-letzt

■ Typ Weber C: Fibulafraktur oberhalb derSyndesmose – Syndesmose verletzt

■ Maisonneuve-Fraktur: Kombinationaus hoher Fibulaschaftfraktur und Innen-knöchelfraktur

Klinik: Durch die oberflächige Lage sindalle Frakturzeichen nachweisbar. Fakultativbestehen Durchspießung oder ein innererDekubitus.

Diagnostik: Nativröntgen, bei Verdacht(auf eine Maisonneuve-Fraktur) immer dergesamte Unterschenkel. Neben dem Außen-

aus: Niethard u.a., Duale Reihe – Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131308177) © 2014 Georg Thieme Verlag KG

C 12.6 Verletzungen und Verletzungsfolgen 613

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Unterschenkel oder Sprengung der Sprunggelenksgabel ohne sichtbare [distale] Fi-bulafraktur). Neben der isolierten Fraktur des Außenknöchels kann auch der Innen-knöchel gebrochen sein (Bimalleolarfaktur) sowie eine Abtrennung eines vorderenund hinteren Kantenfragmentes der Tibia (Volkmann-Dreieck: Trimalleolarfraktur)vorliegen (Abb. C-12.14).

Therapie: Bei Luxation/Subluxation sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine Re-position vorgenommen werden, um Zirkulationsstörungen sowie einen inneren De-kubitus zu verhüten. Kann das Repositionsergebnis nicht gehalten werden, so ist dieAnlage eines Fixateur externe angezeigt. Aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeitder frühen Arthroseentstehung bei inkompletter Wiederherstellung des Sprung-gelenkes wird außer bei unverschobenen Frakturen (meist Typ A oder isolierte In-nenknöchelfraktur) bzw. beim älteren Menschen mit hohem Allgemein- oder loka-lem Operationsrisiko die operative Rekonstruktion angestrebt (Abb. C-12.13b). Diesesollte aufgrund des Risikos für Wundheilungsstörungen erst nach erfolgter Ab-schwellung im Intervall erfolgen.Der Goldstandard für die Rekonstruktion von Außenknöchelfrakturen ist die offeneReposition und Osteosynthese mittels Zugschrauben und Drittelrohrplatte (für os-teoporotische Frakturen auch winkelstabil verfügbar).

⊙ C-12.13 Außenknöchelfraktur in Höhe der Syndesmose

(E. Rummeny, Institut für diagnostische und interventionelleRadiologie, TU München)

a Erkennbar ist die schräg verlaufende Bruchliniemit Verkippung der distalen Fibula (→).

b Versorgung mit Zugschraube und Drittelrohr-platte.

⊙ C-12.14 Tibiaabsprengungen bei Frakturen des oberen Sprunggelenks

Tubercule de Chaput (b) anterior

posteriorVolkmann-Dreieck (a)

TibiaFibula

Bei Frakturen im oberen Sprunggelenk kanndurch Zug der Syndesmose an der distalen Tibiaentweder ein anteriores oder ein posterioresFragment abgerissen werden.a Volkmann-Dreieck (posteriores

Fragment = dorsal).b Tubercule de Chaput (anteriores

Fragment = ventral).

knöchel kann auch der Innenknöchel (Bimal-leolarfraktur) sowie ein hinteres oder vor-deres Kantenfragment der Tibia mit fraktu-riert sein (Abb. C-12.14).

Therapie: Frühestmögliche Reposition der Lu-xationsstellung. Der unverschobene Typ Awird konservativ, die sonstigen Frakturen ope-rativ behandelt (Abb. C-12.13). Bei verzöger-ter operativer Therapie ist die Anlage einesFixateur externe notwendig.

aus: Niethard u.a., Duale Reihe – Orthopädie und Unfallchirurgie (ISBN 9783131308177) © 2014 Georg Thieme Verlag KG

614 C 12 Unterschenkel und oberes Sprunggelenk

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Verschobene Brüche des Innenknöchels werden entweder mittels Zugschrauben-osteosynthese oder Drahtcerclage versorgt. Unverschobene Innenknöchelfrakturenkönnen je nach Einschätzung der sekundären Dislokationstendenz und der Gesamt-stabilität entweder prophylaktisch stabilisiert oder konservativ (Teilbelastung) be-handelt werden.Bei der Maisonneuve-Verletzung wird die Stellung von Tibia und Fibula, d. h. dieOSG-Gabel, mit einer Stellschraube fixiert.

Distorsion des Bandapparates des oberen Sprunggelenks Distorsion des Bandapparates des oberenSprunggelenks

▶ Synonym.▶ Synonym. Supinationstrauma.

▶Definition.▶Definition. Läsion des Bandapparates am oberen Sprunggelenk. Häufigste Band-verletzung des Menschen.

Ätiopathogenese: Distorsionen im oberen Sprunggelenk sind sehr häufige Verlet-zungen. Meist entstehen diese durch varisches Umknicken des Rückfußes. Die late-rale Kapselbandruptur im oberen Sprunggelenk wird bei Laufsportarten beobachtet,typischerweise bei Handball, Squash, Volley-/Basketball.

Klinik: Das Sprunggelenk ist vor und unter dem Außenknöchel geschwollen. Es be-steht ein Druckschmerz über den Bandansätzen. Die Gehfähigkeit ist stark einge-schränkt oder aufgehoben.

Diagnostik: Neben der Hämatombildung und Druckschmerzhaftigkeit ist die lateraleAufklappbarkeit des Gelenkes richtungweisend. Röntgenologisch erfolgt der Frak-turausschluss.

Therapie: Die Akutbehandlung erfolgt durch Hochlagerung, Bandagierung und Käl-teapplikation. Bei massiver Schwellung und wenn nicht mehr belastet werden kann,sollte zunächst die kurzzeitige Entlastung unter Thromboseprophylaxe empfohlenwerden. Im weiteren Verlauf bzw. bei nur mäßig ausgeprägtem klinischem Befundsind zunächst Unterarmgehstützen für die Dauer von 1 Woche indiziert. Anschlie-ßend zunehmende Mobilisation unter Vollbelastung, ggf. Rezeptierung einerSprunggelenksorthese (Abb. C-12.15), um Pronation und Supination zu begrenzen.Zeigen sich nach 6–8 Wochen weiterhin Sprunggelenksinstabilitäten oder Zeicheneiner Kapsulitis, ist eine MRT-Untersuchung indiziert. Da die frühfunktionelle The-rapie bei über 90% der Patienten selbst nach nachgewiesener Ruptur der Außenbän-der zur Stabilisierung des oberen Sprunggelenks führt und die Ergebnisse nach se-kundärer Rekonstruktion denen nach primärer Rekonstruktion gleichen, ist die pri-märe Außenbandrekonstruktion nicht indiziert.

⊙ C-12.15⊙ C-12.15 Außenbandruptur

Sprunggelenksorthese zur funktionellenBehandlung der Außenbandruptur.

Frakturen des Innenknöchels werden bei Dis-lokation mit Zugschraubenosteosyntheseoder Drahtcerclage, unverschobene Frakturenwerden prophylaktisch stabilisiert oder kon-servativ therapiert.

Bei Maisonneuve-Verletzungen Fixierungder OSG-Gabel.

Ätiopathogenese: Distorsionsverletzungensind häufig. Die deutlich häufigere Außen-bandläsion entsteht durch varisches Umkni-cken des Rückfußes.

Klinik: Schwellung und Druckschmerzhaftig-keit vor und unterhalb des Außenknöchelsmit eingeschränkter Gehfähigkeit.

Diagnostik: Stabilität der Syndesmose prü-fen. Laterale Aufklappbarkeit oder Schub-ladenphänomen sprechen für Instabilität desBandapparates. Röntgenologisch wird eineFraktur ausgeschlossen.Therapie: Auch bei gesicherter Außenband-ruptur wird eine primäre Rekonstruktion nichtmehr primär empfohlen. Die frühfunktionelleTherapie stellt inzwischen das Mittel der Wahlzur initialen Therapie dar (Abb. C-12.15).

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C 12.6 Verletzungen und Verletzungsfolgen 615

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Außenbandinstabilität des oberen SprunggelenkesAußenbandinstabilität des oberenSprunggelenkes

▶Definition. ▶Definition. Chronische Außenbandinsuffizienz des oberen Sprunggelenkes.

Ätiopathogenese: In seltenen Fällen kommt es zur chronischen Instabilität nach un-zureichender Therapie einer Außenbandruptur.

Klinik: Im Vordergrund steht die Gangunsicherheit. Durch Kapselreizung kann dasGelenk anschwellen. Eine Synovialitis kann die Ursache der chronischen Beschwer-den sein.

Diagnostik: Nach der klinischen Untersuchung des Gangbildes sowie der Aufklapp-barkeit wird auch röntgenologisch die Ruptur mittels MRT nachgewiesen.

Therapie: Durch Auftrainieren der Peronäalmuskulatur wird die aktive Stabilisie-rung des Gelenkes verbessert. Tape- oder Stützverbände können längerfristig, ins-besondere aber auch als Schutz vor extremen sportlichen Beanspruchungen ver-wendet werden. Operativ wird durch Bandersatzplastiken eine passive Stabilisie-rung des Gelenkes erzielt.

InnenbandrupturInnenbandruptur

Eine isolierte Ruptur des Lig. deltoideus ist viel seltener als eine Außenbandruptur,weil bei der Hyperpronation meist auch die Fibula bricht.Für die Therapie der isolierten Innenbandverletzung gilt Ähnliches wie beim Außen-band: Zunächst konservative Therapie unter Entlastung an Unterarm-Gehstützenfür 7 Tage, danach vorsichtige Steigerung der Belastung.

12.6.5 Achillessehnenruptur12.6.5 Achillessehnenruptur

▶Definition. ▶Definition. Riss der zusammenlaufenden Endsehnen der Mm. soleus und gas-trocnemius, welche vom Unterschenkel zum Hinterrand des Kalkaneus (Tuber calca-nei) führen. Die Sehne reißt meist 2–3 cm oberhalb des Ansatzes im Bereich der kri-tischen Durchblutung mit frühzeitigen degenerativen Veränderungen.

Ätiopathogenese: Betroffen sind v. a. sportlich aktive Männer zwischen 30 und40 Jahren. Meist liegen degenerative Vorschäden mit minimalen Überlastungsschä-den der Sehne zugrunde. Die degenerativen Veränderungen sind als „hypoxisch de-generative Tendinopathie“ beschrieben worden. Die Ruptur entsteht bei einer aku-ten Kontraktion der Wadenmuskulatur beim Start oder durch plötzliches Abbrem-sen, wie beispielsweise beim Squashspiel oder Sprint. Eine vor der Verletzung statt-gefundene lokale Injektion von Kortikosteroiden erhöht das Rupturrisiko erheblich.

Klinik: Die Patienten beschreiben häufig einen starken Knall oder ein Krachen („Peit-schenschlag“). Sie geben ein Gefühl an, als hätten sie einen Schlag oder Tritt gegendie Sehne erhalten. Palpatorisch lässt sich eine deutliche Delle oberhalb des Tubercalcanei finden. Der Zehenstand ist nicht möglich (im Liegen kann aber gegen gerin-gen Widerstand plantar flektiert werden). Der Achillessehnenreflex (ASR) ist nega-tiv.

Diagnostik: Die Achillessehnenruptur ist eine klinische Diagnose: Der Thompson-Test (Abb. C-12.16a) weist eine Achillessehnenruptur nach. In Zweifelsfällen kannals apparative Diagnostik eine sonografische Darstellung oder ein Kernspintomo-gramm (Abb. C-12.16b) durchgeführt werden.

Therapie: Patienten mit Kontraindikationen für operative Verfahren lassen sich kon-servativ therapieren. Dies ist im Unterschenkelgipsverband oder auch im Spezial-schuh möglich. Der Fuß wird dabei in leichter Plantarflexion eingestellt, um eineAdaptation der Sehnenenden zu ermöglichen. Zur Spitzfußprophylaxe wird diePlantarflexion im Verlauf der Heilung zunehmend abgeschwächt und passive Bewe-gung empfohlen.In der Regel wird der junge, sportliche Patient mittels operativer Refixation versorgtwerden. Die Nachbehandlung sieht zunächst die Ruhigstellung in Neutralstellung imoberen Sprunggelenk (Cave: Spitzfuß) vor.Auch beim seltenen knöchernen Ausriss ist die operative Therapie angezeigt.

Ätiopathogenese: Insuffiziente Therapieeiner Außenbandruptur.

Klinik: Gangunsicherheit mit Schmerzen imGelenk.

Diagnostik: Konventionelles Röntgen in2 Ebenen, ergänzt durch MRT.

Therapie: Auftrainieren der Peronäalmuskula-tur, Stützverbände. Bei Beschwerdepersistenzkann die operative Stabilisierung mit Band-plastiken angezeigt sein.

Eine isolierte Innenbandverletzung (Lig. delto-ideus) ist aufgrund der häufigen Mitbetei-ligung der Fibula selten. Die Therapie ähneltder bei Außenbandverletzungen.

Ätiopathogenese: V. a. sportlich aktive Män-ner mittleren Alters mit degenerativen Vor-schäden der Sehne sind betroffen. Lokale Kor-tikoid-Injektionen erhöhen das Rupturrisiko.

Klinik: Typisch ist ein starker Knall („Peit-schenschlag“). Oberhalb des Tuber calcaneilässt sich eine Delle palpieren. Der Zehen-stand ist unmöglich, der ASR ist negativ.

Diagnostik: Die Diagnosestellung erfolgtklinisch mittels Thompson-Test(Abb. C-12.16a). Im Ausnahmefall Sonografieoder MRT (Abb. C-12.16b).

Therapie: Liegen Kontraindikationen für eineoperative Therapie vor, wird die Achillesseh-nenruptur konservativ mittels Unterschenkel-gipsverband oder Spezialschuh versorgt inleichter Plantarextension.

In der Regel erfolgt beim jungen sportlichenPatienten die operative Refixation.

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616 C 12 Unterschenkel und oberes Sprunggelenk

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12.7 Begutachtung 12.7 Begutachtung

Für die funktionelle Leistungsfähigkeit von Unterschenkel und Sprunggelenk sindder plantigrade Auftritt sowie die Abrollmöglichkeit des Fußes maßgebend. Un-günstige Fehlstellungen des Unterschenkels und eine schmerzhafte Wackelbeweg-lichkeit des Gelenkes sind daher bei der Begutachtung vorrangig zu bewerten. Vonwesentlicher Bedeutung sind darüber hinaus neurologische Ausfälle und Durchblu-tungsstörungen, die die Belastungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen können.

⊙ C-12.16 Diagnostik der Achillessehnenruptur

c I c II

a

b

a Thompson-Test: Bei gerissener Achillessehne bleibt bei Kompression der Wade die Plantarflexion des Fußes aus.b MRT-Darstellung einer Achillessehnenruptur in T 2-Wichtung. Deutlich zu erkennen sind der nach proximal gewanderte und der distale

Sehnenstumpf (Pfeile) sowie das helle Hämatom (*).c Intraoperative Versorgungsbilder. Deutlich zu erkennende Abrisskante der Achillessehne (I) und nach Kernnaht nach Kirchmeyer-Kessler (II).

Maßgebend für die gutachterliche Einschät-zung ist der plantigrade Auftritt des Fußes so-wie die Abrollmöglichkeit. Unterschenkelfehl-stellungen sowie eine schmerzhafte Wackel-beweglichkeit des oberen Sprunggelenkessind deshalb von wesentlicher Bedeutung.

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C 12.7 Begutachtung 617