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© Schelling Architekturstiftung | Riefstahlstraße 8 | 76133 Karlsruhe | www.schelling-architekturpreis.org Laudatio für Diébédo Francis Kéré Diébédo Francis Kéré wurde 1965 im Dorf Gando in Burkina Faso, West Afrika, geboren. Da es im Dorf keine Schule gab, schickte ihn sein Vater, Häuptling von Gando, den Siebenjährigen in die Stadt. Er absolvierte eine Tischlerlehre, er- hielt ein Stipendium der Carl Duisberg Gesellschaft, um in Deutschland in der Entwicklungshilfe ausgebildet zu werden. Kéré holte das Abitur nach und schloss an der TU Berlin das Architekturstudium ab. Mit Hilfe von Freunden fasste Kéré 1998 während seines Studiums den Entschluss, Gelder für eine Grundschule in Gando zu sammeln. Als Diplomprojekt wurde seine Schule in Gando 2004 fertiggestellt. Hierfür erhielt Kéré im gleichen Jahr den Aga Khan Award for Architec- ture. Es folgten zahlreiche bedeutende Preise, darunter der Schweizer Architekturpreis 2010 und der Marcus Prize for Archi- tecture von der University of Wisconsin 2011. Die Grundschule in Gando wurde erweitert; es entstanden eine Bibliothek, ein Schulgarten, ein Haus für die Lehrer; sodann eine weiterführende Schule – und das aktuelle Bauvorhaben ist ein Kulturzentrum. Mit diesen Bauten ist es Kéré gelungen, seine Mitmenschen in Gando in vorbildlicher Weise an einer Bildung teilhaben zu lassen, die nur er damals als erstes Kind des Dorfes genießen konnte. Zusammen mit zahlreichen Freunden und Kollegen, die Diébédo Francis Kéré in seiner charismatischen Art überzeugen konnte, hat er mit diesen Projekten und Bauten die Lebensgrundlagen in einem kleinen Maßstab, in einem der nach westlichen Maßstäben ärmsten Länder der Welt wesentlich verbessern können. Als Synthese zwischen ethischer Haltung und ansprechender wie angemessener architektonischer Gestaltung ist es Kéré gelungen, in kurzer Zeit international auf die Notwendigkeit der schulischen Ausbildung auch in entlegenen Regio- nen der Welt aufmerksam zu machen. Dieser ganzheitliche Ansatz schließt auch landschaftsgestalterische wie ökologi- sche Überlegungen mit ein. Kéré scheut sich in dieser Hinsicht nicht, mit etablierten Vorgehensweisen oder Konstrukti- onsmethoden zu brechen, wenn diese der gesellschaftlichen Entwicklung oder dem Klima vor Ort nicht entsprechen. Diébédo Francis Kéré ist mittlerweile ein viel gefragter Architekt für Ausstellungen – zum Beispiel jener im Museum of Modern Art Small Scale, Big Change, oder unlängst in London an der Royal Academy of Art. Als Hochschullehrer unter- richtete er unter anderem an der Harvard University und in Mendrisio. Darüber hinaus arbeitet sein Büro derzeit an Projekten in Asien und Europa. Dabei ist selbstverständlich, dass die unmittelbare Bauweise in Afrika, eben aufgrund der äußerst begrenzten Finanzmittel, den Erfindungsgeist der Archi- tekten geradezu herausfordert: Materialbeschaffung und Herstellungsmethoden, Ausdrucksform und Funktion müssen möglichst vor Ort relevant sein. Was in sogenannten entwickelten Ländern letztlich zu einem Labyrinth von Gesetzen, Normen und Vorurteilen verwoben ist, findet man in sogenannten unterentwickelten Ländern noch nicht vor. Aus dieser Unschuld können sich aber Erfindungen entwickeln, die viel eher langfristig von kulturellem Wert sein könnten als vieles, was aus den Industriestaaten an hochtechnisierten Systemen und Produkten dort derzeit angeboten wird. Kérés Arbeiten sind direkte bottom-up-Hilfen zur Weiterentwicklung einer lebendigen Gesellschaft. Aus dieser Initiative und in dieser angemessenen Architektur entwickelt sich allmählich eine eigenständige, unabhängige Generation von Menschen. Kéré beweist damit, dass Architektur eine unmittelbare Daseinsberechtigung sowie eine profunde wie alltäg- liche Bedeutung für Menschen haben kann. Das ist viel in einer Zeit des medialen Überflusses. Wilfried Wang, 12. November 2014

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  • Schelling Architekturstiftung | Riefstahlstrae 8 | 76133 Karlsruhe | www.schelling-architekturpreis.org

    Laudatio fr Dibdo Francis Kr

    Dibdo Francis Kr wurde 1965 im Dorf Gando in Burkina Faso, West Afrika, geboren. Da es im Dorf keine Schule gab, schickte ihn sein Vater, Huptling von Gando, den Siebenjhrigen in die Stadt. Er absolvierte eine Tischlerlehre, er-hielt ein Stipendium der Carl Duisberg Gesellschaft, um in Deutschland in der Entwicklungshilfe ausgebildet zu werden. Kr holte das Abitur nach und schloss an der TU Berlin das Architekturstudium ab. Mit Hilfe von Freunden fasste Kr 1998 whrend seines Studiums den Entschluss, Gelder fr eine Grundschule in Gando zu sammeln. Als Diplomprojekt wurde seine Schule in Gando 2004 fertiggestellt. Hierfr erhielt Kr im gleichen Jahr den Aga Khan Award for Architec-ture.Es folgten zahlreiche bedeutende Preise, darunter der Schweizer Architekturpreis 2010 und der Marcus Prize for Archi-tecture von der University of Wisconsin 2011.

    Die Grundschule in Gando wurde erweitert; es entstanden eine Bibliothek, ein Schulgarten, ein Haus fr die Lehrer; sodann eine weiterfhrende Schule und das aktuelle Bauvorhaben ist ein Kulturzentrum. Mit diesen Bauten ist es Kr gelungen, seine Mitmenschen in Gando in vorbildlicher Weise an einer Bildung teilhaben zu lassen, die nur er damals als erstes Kind des Dorfes genieen konnte.

    Zusammen mit zahlreichen Freunden und Kollegen, die Dibdo Francis Kr in seiner charismatischen Art berzeugen konnte, hat er mit diesen Projekten und Bauten die Lebensgrundlagen in einem kleinen Mastab, in einem der nach westlichen Mastben rmsten Lnder der Welt wesentlich verbessern knnen.

    Als Synthese zwischen ethischer Haltung und ansprechender wie angemessener architektonischer Gestaltung ist es Kr gelungen, in kurzer Zeit international auf die Notwendigkeit der schulischen Ausbildung auch in entlegenen Regio-nen der Welt aufmerksam zu machen. Dieser ganzheitliche Ansatz schliet auch landschaftsgestalterische wie kologi-sche berlegungen mit ein. Kr scheut sich in dieser Hinsicht nicht, mit etablierten Vorgehensweisen oder Konstrukti-onsmethoden zu brechen, wenn diese der gesellschaftlichen Entwicklung oder dem Klima vor Ort nicht entsprechen.

    Dibdo Francis Kr ist mittlerweile ein viel gefragter Architekt fr Ausstellungen zum Beispiel jener im Museum of Modern Art Small Scale, Big Change, oder unlngst in London an der Royal Academy of Art. Als Hochschullehrer unter-richtete er unter anderem an der Harvard University und in Mendrisio.

    Darber hinaus arbeitet sein Bro derzeit an Projekten in Asien und Europa. Dabei ist selbstverstndlich, dass die unmittelbare Bauweise in Afrika, eben aufgrund der uerst begrenzten Finanzmittel, den Erfindungsgeist der Archi-tekten geradezu herausfordert: Materialbeschaffung und Herstellungsmethoden, Ausdrucksform und Funktion mssen mglichst vor Ort relevant sein. Was in sogenannten entwickelten Lndern letztlich zu einem Labyrinth von Gesetzen, Normen und Vorurteilen verwoben ist, findet man in sogenannten unterentwickelten Lndern noch nicht vor. Aus dieser Unschuld knnen sich aber Erfindungen entwickeln, die viel eher langfristig von kulturellem Wert sein knnten als vieles, was aus den Industriestaaten an hochtechnisierten Systemen und Produkten dort derzeit angeboten wird.

    Krs Arbeiten sind direkte bottom-up-Hilfen zur Weiterentwicklung einer lebendigen Gesellschaft. Aus dieser Initiative und in dieser angemessenen Architektur entwickelt sich allmhlich eine eigenstndige, unabhngige Generation von Menschen. Kr beweist damit, dass Architektur eine unmittelbare Daseinsberechtigung sowie eine profunde wie alltg-liche Bedeutung fr Menschen haben kann. Das ist viel in einer Zeit des medialen berflusses.

    Wilfried Wang, 12. November 2014