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DISKUSSION

 Jörg Ganzenmüller, Freiburg i. Br.

Ungarische und deutsche Kriegsverbrechenin der Sowjetunion 1941-1944.

Eine Kleine Konferenz in Freiburg unddie methodischen Probleme eines Vergleichs

Im Herbst 1941 wurde die 102., 105. und 108. ungarische Infanteriebrigade südlich desBrjansker Waldes verlegt. Dort galt die Partisanenbewegung als ausgesprochen stark, und dieUngarn hatten die Aufgabe, das Gebiet zu befrieden. In gezielten Aktionen rückten deren

Truppen in die am Waldrand gelegenen Dörfer vor, stießen dabei allerdings auf keine Partisanen, da diese bereits in die Wälder geflüchtet waren und sich dort verschanzten. Mit unbeschreiblicher Grausamkeit massakrierten die Ungarn nun in wiederholten Fällen die Dorfbevölkerung und steckten deren Häuser in Brand. Nach der Rückkehr an ihren Stützpunktberichteten sie jeweils über eine erfolgreiche „Antipartisanenaktion", die ermordeten Zivilisten wurden als „erledigte Freischärler" gemeldet.1

Auch wenn der Antisemitismus in der ungarischen Armee weit verbreitet war, so scheideter als Motiv für diese Verbrechen aus, da im Gebiet um den Brjansker Wald keine Judenlebten. Vielmehr handelten die ungarischen Soldaten aus einer Kombination von Angst undUndiszipliniertheit. Sie agierten in einem fremden Umfeld, kamen an den Feind nicht wirklich heran und bekämpften stattdessen die ansässigen Dorfbewohner, in denen sie den Rückhalt der Partisanen vermuteten. Die Disziplinlosigkeit der ungarischen Truppen führte dabeizu willkürlichen Ausschreitungen gegen die Zivilbevölkerung und trug zu einer Radikalisierung der „Partisanenbekämpfung", die im Grunde nur reiner Aktionismus war, bei.

Krisztiän Ungväry stellte von diesem Befund ausgehend die provokante These auf, dieÄhnlichkeit der ungarischen und der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zeige, daßdie Wehrmachtsoldaten nicht aus spezifisch nationalsozialistischen Motiven gehandelt haben

könnten.2

 Damit wendet er sich gegen jene Forschungsarbeiten, welche die deutschen Kriegsverbrechen auf einen hohen Grad von ideologischer Übereinstimmung zwischen der nationalsozialistischen Führung und den Wehrmachtsoldaten zurückführen.3

1 Vgl. KRISZTIÄN UNGVÄRY Ungarische Besatzungskräfte  in der Ukraine 1941-1942 (unveröffentl.Manuskript). Siehe außerdem TRUMAN O.  ANDERSON A Hungarian Vernichtungskrieg? HungarianTroops and the Soviet Partisan War in Ukraine 1942, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 58 (1999)S. 345-366. Zum Themenkomplex allgemein PETER GOSZTONY Hitlers Fremde Heere. Das Schicksalder nichtdeutschen Armeen im Ostfeldzug. Wien 1976.

2 UNGVÄRY Ungarische Besatzungskräfte in der Ukraine.

3

 Vgl. HANNES HEER Killing Fields. Die

 Wehrmacht und der Holocaust,

 in: DERS. Tote

 Zonen. Diedeutsche Wehrmacht an der Ostfront. Hamburg 1999, S. 11-40, hier S. 38-39; OMER BARTOV HitlersWehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges. Reinbek bei Hamburg 1995, S.271-272.

Jahrbucher fur Geschichte Osteuropas 49 (2001) H 4 © Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart/Germany

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Ungarische und deutsche Kriegsverbrechen in der Sowjetunion 1941-1944  603

Auf einer „Kleinen Konferenz" in Freiburg wurde am 14./15. März 2001  daher ein Vergleich zwischen dem Vorgehen der deutschen und der ungarischen Besatzer angestellt.4 DasZiel dieses Vergleichs lag darin, zu differenzieren, welche Kriegsverbrechen durch die Logikder Verhältnisse vor Ort erklärt werden können, wo sich vermutlich anthropologische Konstanten in der Kriegführung niederschlugen, und worin im Gegensatz dazu die Besonderhei

ten  des deutschen Vernichtungskrieges  im Osten lagen. Den größten Erkenntnisgewinnversprach ein Vergleich zwischen dem ungarischen und deutschen Partisanenkrieg auf demBoden der Sowjetunion.5 Eine direkte Gegenüberstellung der Besatzungspolitik von Wehrmacht und Honved erschien methodisch kaum möglich, da ein erheblicher Teil der von dendeutschen Truppen eroberten Gebiete relativ bald nach der Besatzung der deutschen Zivilverwaltung unterstellt wurde. Damit lagen Sicherungsaufgaben nicht weiter im Zuständigkeitsbereich der Wehrmacht. Die Akteure der Vernichtungspolitik, die sich vor allem gegen Judenrichtete, waren hier überwiegend Polizeikräfte und SD.6

Der Vergleich wurde auf zwei Ebenen geführt. Zum einen wurden Ursprung und Ablaufder deutschen sowie der ungarischen Partisanenbekämpfung gegenübergestellt, zum anderennach den Ursachen für die starke Beteiligung der „einfachen Soldaten" an den Verbrechengefragt. Wie die Aktionen der Ungarn, so dürfte auch der Partisanenkrieg der Wehrmachtwenigstens teilweise „eine militärisch  oft  vergebliche Unternehmung gewesen sein,  die

angesichts der verbrecherischen Befehlslage sowie einer Enthemmung und Verrohung derSoldaten im Krieg die Option zum Massenmord in sich trug".7 Der wesentliche Unterschiedzum Vorgehen der Ungarn liegt indessen in der Organisation von „Großunternehmen", denendie in Weißrußland durchgeführte Operation „Bamberg" aus dem Frühjahr 1942 als Vorbild

diente.

8

 In der ersten von vier aufeinanderfolgenden Phasen hatten deutsche Truppen zunächst einen weiträumigen Kessel um das vermeintliche Partisanengebiet gebildet, der dannin der zweiten Phase verengt wurde. In der dritten Phase fand das sogenannte „Ausräumen"des Kessels statt. Auf ihrem Rückzug „durchkämmten" die beteiligten Einheiten das gesamte

4 Teilnehmer waren Christoph Dieckmann (Frankfurt/Main), Dieter Pohl (München), und KrisztiänUngväry (Budapest) sowie aus Freiburg Jörg Ganzenmüller, Günter Klein, Susanne Kuss, ManfredMesserschmidt, Joachim von Puttkamer und Gottfried Schramm.

5 Damit schied ein zunächst angestrebter Vergleich auch mit der mmänischen Besatzungspolitik aus,da die Rumänen in Transnistrien mit keiner nennenswerten Partisanenbewegung konfrontiert waren.

Nur in Odessa und seinem weitverzweigten Katakombensystem konnte sich eine Partisanenbewegungformieren.  ,6  In Litauen etwa währte die militärische Besatzung nur wenige Wochen. Bereits Ende Juli  1941

wurde das Gebiet der deutschen Zivilverwaltung unterstellt und in das Reichskommissariat Ostlandeingegliedert, vgl.  CHRISTOPH DIECKMANN Der Krieg und die Ermordung der litauischen Juden, in:ULRICH HERBERT (Hrsg.) Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939-1945. Neue Forschungenund Kontroversen. Frankfurt/M. 1998, S. 292-329; zur Ermordung der Juden in der Ukraine s. DIETERPOHL Schauplatz Ukraine: Der Massenmord an den Juden im Militärverwaltungsgebiet und im Reichskommissariat 1941-1943, in:  NORBERT FREI, SYBILLE STEINBACHER, BERND  C.  WAGNER  (Hrsg.)

Ausbeutung, Vernichtung, Öffentlichkeit. Neue Studien  zur nationalsozialistischen Lagerpolitik.München 2000, S. 135-173.

7 LUTZ KLINKHAMMER Der Partisanenkrieg der Wehrmacht 1941-1944, in: ROLF-DIETER MULLER,HANS-ERICH VOLKMANN (Hrsg.) Die Wehrmacht. Mythos und Realität. München 1999, S. 815-836,hier S. 836. Diese Interpretation auch bei Hannes Heers Untersuchung zur Einsatzgruppe Anderssen,vgl.  HANNES HEER Die Logik des Vernichtungskrieges. Wehrmacht und Partfsanenkampf,  in: DERS.Tote Zonen S. 41-79, hier S. 50.

8 Zum Partisanenkrieg in Weißrußland vgl. CHRISTIAN GERLACH Kalkulierte Morde. Die deutscheWirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944. Hamburg 1999, S. 859-1055; zurOperation „Bamberg" siehe S. 885-893, eine Übersicht der Großaktionen auf dem Gebiet Weißrußlandszwischen 1942 und 1944 auf  S. 899-904.

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604 JÖRG GANZENMÜLLER

Gebiet noch einmal, womit die vierte und letzte Phase abgeschlossen war. Bei der Operation„Bamberg" wurden binnen zwölf Tagen 6000 Menschen ermordet: vorwiegend ortsansässigeBauern, aber auch Juden, die es versäumt hatten, vor den deutschen Besatzern zu flüchten.Man verbrannte sie bei  lebendigem Leib in  ihren Häusern oder versammelte die Dorfbewohner, um sie gruppenweise zu erschießen. Das Vorgehen war meist gut organisiert, ein

deutige operative Anweisungen ließen  dem  einzelnen Soldaten kaum einen Handlungsspielraum. In der Regel kooperierte bei diesen Unternehmen die Wehrmacht mit der SS undPolizeieinheiten. An der Operation „Bamberg" waren etwa die 707. Infanteriedivision, dasslowakische Infanterieregiment 102 und das deutsche Polizeibataillon 315 beteiligt.

Bereits mit Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion hatten Hitler und die Wehrmacht-fuhrung durch eine Reihe von Befehlen, von denen der Kommissarbefehl und der Kriegsgerichtsbarkeitserlaß die bekanntesten sind, die Weichen auf Vernichtungskrieg gestellt. Dasbrutale Vorgehen  im rückwärtigen Heeresgebiet wurde demnach bereits geplant und auchumgesetzt, bevor eine Partisanenbewegung auf sowjetischem Boden entstand, Somit tragen

die Verbrechen der Wehrmacht den Charakter eines staatlich organisierten Massenverbrechens und waren nicht nur eine Aneinanderreihung durch die zentrale Führung begünstigterbrutaler Übergriffe.9 Während also die Ausschreitungen der Ungarn einer situationsbedingtenLogik entsprangen und damit als Kriegsverbrechen anzusehen sind, wie sie in militärischenKonflikten allzu häufig vorkommen, fallt das nüchtern geplante Vorgehen der Deutschen ausdem Rahmen. Es stellt die Ausnahme dar, die einer gesonderten Erklärung bedarf.

Warum führten  die Wehrmachtsoldaten Befehle aus, die offensichtlich verbrecherischwaren? Hier stößt man an die Grenzen der hermeneutischen Methode. Einmal lassen sich dieGründe kaum für jeden Einzelfall überprüfen. Zum anderen kann keine noch so einfühlendeBeschreibung der Umstände eine wirklich befriedigende Antwort auf  die  brennende Fragenach  den  Beweggründen dieser  von  „einfachen Soldaten" massenhaft begangenen Verbrechen geben. „Weltanschauungstäter", „die Situation des Partisanenkrieges'*, „Gruppendynamik", „Alkohol": bei jeder Erklärung geht die Gleichung allzu glatt auf, und die Schwierigkeiten,  die diese Antworten aufwerfen, wiegen oft schwerer als ihr Erkenntniswert undführen  den Betrachter letztlich wieder zur Ausgangsfrage zurück. Es ist aber als Erfolg zuwerten, daß mit der „Kleinen Konferenz" eine bewußt klein gehaltene Runde von Spezialisten und interessierten Generalisten die Probleme auf  den Punkt brachte und bestrebt war,

auch auf  komplexe Fragen wenigstens Möglichkeiten und Richtungen einer Antwort herauszuarbeiten.So deuten etwa die eher seltenen Fälle von Befehlsverweigerung,  die durchweg keine

ernsthaften Konsequenzen nach sich zogen, daraufhin,  daß ideologische Komponenten dieBeteiligten zumindest gehorsamsbereit gemacht haben. Dies ermöglichte ihnen mitzumachen,ohne dabei die Rechtmäßigkeit ihres Handelns in Frage zu stellen. Hierzu genügten bereitseinzelne Versatzstücke der nationalsozialistischen Weltanschauung wie Antibolschewismus,latenter Antisemitismus oder ein mit negativen Vorurteilen beladenes Rußlandbild, derenTradition in Deutschland weit älter war als der Nationalsozialismus. Einen besonderen Halt

gaben diese Vorstellungen und vermeintlichen Werte, wenn sie von Autoritäten -  hier dermilitärischen Führung - vertreten wurden. So litt bezeichnenderweise die militärische Disziplin unter den Massenverbrechen nicht: ganz gegen die Besorgnis von Teilen der Wehrmacht,

9  Vgl.  TIMM C.  RICHTER Die Wehrmacht und der Partisanenkrieg in den besetzten Gebieten der

Sowjetunion, in: MÜLLER, VOLKMANN (Hrsg.) Die Wehrmacht S. 837-857. - Ein konkretes Beispieldieses Partisanenkampfes ohne Partisanen im Herbst 1941 beschreibt anhand der 252.  Infanteriedivision(Eingreiftruppe Anderssen)  HEER Die Logik des Vernichtungskrieges S. 48-50.

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Ungarische und deutsche Kriegsverbrechen in der Sowjetunion 1941-1944 605

die mit einem „Verwildern" der Truppe als Folge des brutalen Vorgehens rechneten. Dieglatte Durchführung von Massenerschießungen und die Vernichtung ganzer Dörfer sind alsonicht allein durch eine wohlorganisierte Arbeitsteilung zu erklären, sondern deuten auf einefreiwillige Disziplin der Befehlsempfänger hin. Als Befund ist demnach festzuhalten, daßeine ideologische Indoktrination der deutschen Soldaten nicht die Voraussetzung für Kriegs

verbrechen war, daß aber mentale Dispositionen, die sich aus Elementen der NS-Ideologiespeisten, es dem einzelnen Soldaten ermöglichten, sein Handeln vor sich zu rechtfertigenoder einfach nicht weiter zu hinterfragen. Für einen reibungslosen Ablauf staatlich organisierter Gewalttaten war diese moralische Absicherung durch die Weltanschauung eine Grundbedingung.

Auch muß die Ausgangsthese, daß die ungarischen Soldaten ideologiefrei handelten,nochmals überdacht werden. Antibolschewismus gepaart mit einem allgemeinen Überlegenheitsgefühl gegenüber den „rückständigen Slaven" waren auch in der ungarischen Gesell

schaft tief verwurzelt. Außerdem war bei den ungarischen Soldaten durchaus das Bewußtseinverbreitet, daß man in diesem Krieg, der ja nicht der ihre war, für seine Taten letztlich nichtverantwortlich sei. Auch mag mitgespielt haben, daß man sich in seinem Verhalten vomgrößeren, mit Prestige ausgestatteten Partner anstecken ließ. Das ungarische Beispiel kannfolglich nicht dazu dienen, den deutschen Soldaten jegliche ideologischen Motive abzusprechen. Vielmehr legt das deutsche Beispiel nahe, auch bei den Ungarn Habitus und Weltanschauung auf der Suche nach den Motiven miteinzubeziehen. Hier bleiben freilich nochFragen zur Mentalität sowie zur sozialen und nationalen Zusammensetzung der ungarischenTruppen - insbesondere ihrer Offiziere - offen.

Auch die Zahlenstärke und tatsächliche Bedeutung der sowjetischen Partisanenbewegungist noch nicht eindeutig geklärt. Bisherige Versuche stehen vor dem Problem, daß ein Abgleichen von Wehrmachtsakten mit sowjetischen Angaben problematisch ist, da beide Seitendie Zahlen tendenziell nach oben korrigierten: die Nationalsozialisten, um den Vernichtungskrieg zu legitimieren, ihre Gegener, um den von Stalin ausgerufenen „Volkskrieg" Realitätwerden zu lassen. Nur so viel läßt sich sagen: Eine militärische Bedeutung hatten die Partisanen in der Sowjetunion - mit Ausnahme der Störung des deutschen Nachschubs beim Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte im Juli 1944 - nicht. Partisanen agieren in der Regelnur in Gegenden, die für eine Armee schwer zugänglich sind: auf dem Boden der Sowjet

union also in Sumpf- und Waldgebieten. Gerade solche Gebiete waren für die deutschenBesatzer und ihre wirtschaftliche Ausbeutungspolitik aber von keinerlei Bedeutung. DiePartisanen wiederum hinderten den deutschen Zugang zu den Fronten nicht und bedrohtenauch nicht - durch Ausfalle in die Umgebung - die Herrschaft in den umliegenden Besatzungsräumen. Das Hauptanliegen der Partisanen bestand darin, die Präsenz des Sowjetstaatesgegenüber der eigenen Bevölkerung zu demonstrieren und damit einer potentiellen Kollaboration mit den Besatzern entgegenzuwirken.10

Noch systematischer sollte in Zukunft überlegt werden, ob oder gegebenenfalls wieweit

sich die befehlsgebenden Stellen darüber klar wurden, daß Gewaltmaßnahmen gegen eineZivilbevölkerung, die man doch von den Partisanen trennen wollte und zudem für wirtschaftliche Zwecke brauchte, für die Besatzungsmacht kontraproduktiv waren. Wahrscheinlich sind solche Nützlichkeitserwägungen nicht - oder wenn, dann ohne Konsequenzen für

10  Zur sowjetischen Partisanenbewegung vgl. BERND BONWETSCH Sowjetische Partisanen1941-1944. Legende und Wirklichkeit des „allgemeinen Volkskriegs", in: GERHARD SCHULZ (Hrsg.)Partisanen und Volkskrieg. Göttingen 1985, S. 92-124; JOHN ARMSTRONG (Hrsg.) Soviet Partisans inWorld War IL Madison 1964.

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606 JORG GANZENMULLER

das eigene Handeln - angestellt worden. Vieles dürfte in noch früh eingeschliffenen Vorgehensmuster weitergelaufen sein: nicht zuletzt, weil man nach oben melden wollte, manhabe energisch durchgegriffen, so daß diese Politik der Vergeltung und Abschreckunginsgesamt als Erfolg gewertet wurde.

Auf allen Gebieten der NS-Vernichtungspolitik hat sich die nationalsozialistische Welt

anschauung als ein entscheidender, treibender Faktor erwiesen, sei es bei der Judenvernichtung, der Behandlung der Kriegsgefangenen, der Hungerpolitik gegen die sowjetischeStadtbevölkerung oder der Ermordung der Zigeuner.11 Es würde die Geschichtsschreibungin eine Sackgasse führen, den Partisanenkrieg von dieser NS-Vernichtungspolitik abzukoppeln und als  einen Sonderfall zu behandeln, indem man versucht, ihn allein aus dem Kriegsgeschehen heraus zu begreifen. Die Quellen sprechen hier eine deutliche Sprache und legeneine enge Verknüpfung mit anderen Feldern der deutschen Vernichtungspolitik im ZweitenWeltkrieg nahe, etwa wenn Hitler den Aufruf Stalins zum Volkskrieg vom 3. Juli 1941 eherals vorteilhaft ansieht, denn „er gibt uns die Möglichkeit auszurotten, was sich gegen unsstellt."12 Oder wenn Heinrich Himmler am  18. Dezember 1941 nach einer Besprechung mitHitler in seinen Dienstkalender notiert: „Judenfrage - als Partisanen auszurotten."13

11 Zur Judenvernichtung siehe unter anderem ULRICH HERBERT (Hrsg.) Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939-1945. Neue Forschungen und Kontroversen. Frankfurt/Main 1998; zum Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen immer noch grundlegend CHRISTIAN STREIT Keine Kameraden.Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945, Neuausg. Bonn 1991; zur NS-Politik gegenüber den sowjetischen Großstädten  vgl. JÖRG GANZENMULLER „... die Stadt dem Erdbodengleichmachen". Zielsetzung und Motive der deutschen Blockade Leningrads, in: STEFAN CREUZBERGER

[u.a.] (Hrsg.) St. Petersburg - Leningrad - St. Petersburg. Eine Stadt im Spiegel der Zeit. Stuttgart2000, S. 179-195 und KLAUS JOCHEN ARNOLD Die Eroberung und Behandlung der Stadt Kiew durchdie Wehrmacht im September  1941:  Zur Radikalisierung der Besatzungspolitik, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 58 (1999) S. 23-63; zur Ermordung der Zigeuner s. MICHAEL ZIMMERMANN Rassen

utopie und Genozid. Die nationalsozialistische „Lösung der Zigeunerfrage". Hamburg 1996.12  Geheime Absichtserklärung zur künftigen Ostpolitik: Auszug aus einem Aktenvermerk vomReichsleiter Martin Bormann vom 16.7.1941, in: GERDR. UEBERSCHAR, WOLFRAM WETTE (Hrsg.) Derdeutsche Überfall auf die Sowjetunion. „Unternehmen Barbarossa"  1941.  Überarb. Neuausg. Frankfurta.M. 1991.A276.

13 Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42. Im Auftr. d. Forschungsstelle für Zeitgeschichtein Hamburg bearb., kommentiert und eingeleitet von Peter Witte, Michael Wildt, Martina Voigt, DieterPohl, Peter Klein, Christian Gerlach, Christoph Dieckmann und Andrej Angrick, Hamburg 1999, S.294.