20
1. SINFONIEKONZERT 15/16

15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

  • Upload
    ngonhu

  • View
    213

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

1. SINFONIEKONZERT

15/16

Page 2: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

Wassily Kandinsky: Kleine Welten IV, 1922

Page 3: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

SchöNbERg bEEThOvEN bRahmS 1. SINFONIEKONZERT

27.9.15 11.00 gROSSES haUS 28.9.15 20.00 gROSSES haUSDauer ca. 2 Stunden, Einführung 45 Minuten vor Konzertbeginn

Arnold Schönberg Fünf Orchesterstücke op. 16 16‘(1874 – 1951) I. [Vorgefühle] II. [Vergangenes] III. [Farben] IV. [Peripetie] V. [Das obligate Rezitativ]

Ludwig van Beethoven Klavierkonzert Nr. 3 c-moll op. 37 37‘(1770 – 1827) I. Allegro con brio II. Largo III. Rondo: Allegro

– Pause –

Johannes Brahms Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90 38’(1833 – 1897) I. Allegro con brio II. Andante III. Poco allegretto IV. Allegro

Shai Wosner KlavierJustin brown DirigentbaDISchE STaaTSKaPELLE

Wir machen darauf aufmerksam, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen durch jede Art elektronischer Geräte strikt untersagt sind.

Page 4: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

2

Das 1. Sinfoniekonzert der BADISCHEN STAATSKAPELLE entführt Sie nach Wien. Schon in der Barockzeit war die Residenz-stadt der Habsburger musikalisch nicht un-bedeutend. Im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aber entwickelte sie sich neben Paris und London zur musikali-schen Führungsmacht, während Italien da-mals gerade eine Krise durchmachte, aus der die Belcanto-Oper hervorging.

Auf dem Gebiet der Instrumentalmusik wurden in Wien musikgeschichtlich gleich zweimal die Weichen gestellt. Die „Erste Wiener Schule“ mit Komponisten wie Monn, Reutter, Wagenseil und Albrechts-berger fand für Sonate, Sinfonie und Solo-konzert eine neue, die bis heute gültige Form. Die Wiener Klassik – Haydn, Mozart, Beethoven – schuf zwischen 1770 und 1827 die Referenzwerke, die diese Gattun-gen weltweit durchsetzten und bis heute zum Inbegriff der Instrumentalmusik, ja der klassischen Musik überhaupt machten.

100 Jahre später löste der Schönberg-Kreis, die sogenannte „Zweite Wiener Schule“ – Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton Webern –, eine vergleichbare Revo-lution aus, als er die Musik aus dem Kor-sett der Dur-/Moll-Harmonik befreite und die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter nach neuen Kriterien anordnete. Die soge-nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit der Spätromantik und vor allem seit Wag-ners Tristan-Akkord ohnehin schon durch leiterfremde Töne „erweitert“, das heißt, zersetzt worden waren.

Diesen Schritt kann man sich so vorstellen: Der Septakkord, mit dem Beethoven im Jahre 1800 seine 1. Sinfonie begann, klang schockierend schrill. Ein paar Jahrzehnte später empfand man ihn nur noch als schräg. Wieder ein paar Jahrzehnte später fand man den funktionsharmonisch nicht mehr zu deutenden Tristan-Akkord bereits schon interessant. Und wieder ein paar

WER haT

abSTRaKTION?aNgST

vOR

Page 5: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

3

Jahrzehnte später entwickelte der Schön-berg-Kreis für jedes Stück eine eigene Zwölftonreihe. Der Bezug zur Dur-/Moll-Harmonik wurde gekappt. In diesem Sinne leiterfremde Töne wurden zur Normalität. In der Musik vollzog sich dasselbe wie zur gleichen Zeit in der Bildenden Kunst: Der Schritt zur Abstraktion, die Ablösung von eingefahrenen Wahrnehmungsmustern.

Diese Wiener Erfindung hat die Musik bis in unsere Gegenwart geprägt. Oft wird in diesem Zusammenhang von „atonaler“ Musik gesprochen. Schon Alban Berg aber wehrte sich vehement gegen diese Zu-schreibung von Seiten der Schönberg-Gegner. „Atonale Musik“, entgegnete er, sei wörtlich verstanden ja eine „Musik ohne Töne“. Dies treffe aber für die Musik des Schönberg-Kreises nicht zu. Schon damals gab es Komponisten, die mit Ge-räuschen komponierten oder Geräusche als Spezialeffekte einsetzten. Diese Ent-wicklung, von der sich der Schönberg-Kreis distanzierte, wurde in der Musik nach 1945 in unterschiedliche spannende Richtungen ausdifferenziert. Berg meinte, dass man nur bei ihnen von atonaler Musik sprechen könne.

Und auch Schönberg wollte keiner sein, der mit der Tradition brach. Das hat er außer in seiner Musik in zahlreichen Äußerungen, Interviews und Vorträgen immer wieder deutlich gemacht. Sprichwörtlich ist der Ti-tel seines Vortrags brahms, der Fort-schrittliche geworden. Schönberg hatte den verehrten Meister in seiner Jugend noch selbst erlebt. Und auch nach Brahms‘ Tod 1897 galten seine Werke noch lange als verbindlicher Maßstab. Schönberg ist, mit einer kurzen Ausnahme, nie davon abgewi-chen. Seinem Kompositionsunterricht legte er die Werke Brahms‘ zu Grunde.

In Sinne dieser Traditionslinie geht es in unserem Programm im Spiegel Wiens nicht primär um Brüche, die in harmoni-scher Hinsicht unüberhörbar sind, sondern vor allem um Kontinuitäten, die zu hören wir Sie einladen möchten: Beethoven – Brahms – Schönberg.

Punkt und Linie zu Fläche: Schönbergs Fünf Orchesterstücke op. 16

Schönbergs Fünf Orchesterstücke op. 16 entstanden im Sommer 1909 und erlebten drei Jahre später in London ihre Urauffüh-rung. Sie wurden im Rahmen einer Reihe ähnlicher Werke komponiert, die absicht-lich ebenfalls rein technische Titel trugen (Komposita aus Besetzungsangabe und „Stück“: Klavierstücke, Stücke für Kam-merorchester usw.) und in der Art von Stu-dien mit der traditionellen Tonalität bra-chen. „Die charakteristischsten Merkmale dieser Stücke in statu nascendi waren ihre äußerste Ausdrucksstärke und ihre außer-ordentliche Kürze“, gibt Schönberg später Rechenschaft. Kürze sollte durch Vermei-dung von Wiederholung erreicht werden. Jeder Klangmoment ist neu. Und die Neu-heit jedes Klangmoments wurde erreicht, indem Schönberg den Rückfall des jeweili-gen Klangmoments in gewohnte, durch vieles Hören eingeübte und dadurch zur „zweiten Natur“ gewordene Klangmuster (Kadenzharmonik) unter allen Umständen vermied. Natürlich ist der Zwang, ständig neue Klänge zu finden und die damit ver-bundene Abwehr von Hörgewohnheiten oder Klangklischees nur mit äußerster Mühe durchzuhalten. Somit führt auch die-se Forderung zur Kürze der Stücke.

Die Idee oder Aussage jedes einzelnen Stückes ist nicht durch außermusikalische

Page 6: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

4

Inhalte bestimmt (Freude, Liebe, Trauer, Frühlingsgefühle und dergleichen), sondern durch Klänge. Der Klangverlauf entspringt dem, was Schönberg „entwickelnde Varia-tion“ nennt und auf Mozart und Brahms zu-rückführt: Aus einem Akkord (c – gis – h – e – a) werden die unterschiedlichsten Kom-binationen und Veränderungen seiner In-tervalle abgeleitet. Dieses teils permutati-ve, teils variierende Verfahren ermöglicht die angestrebte Neuheit jenseits eingefah-rener Hörklischees. Sodann ermöglicht das große Orchester unterschiedlichstes Ein-färben dieser Klänge durch Instrumental-farben und -kombinationen.

In seiner abstrakt-experimentellen Periode zwischen 1909 und 1911 ähneln Schön-bergs Kompositionen den abstrakten Bil-dern seines Freundes Wassily Kandinsky in der Bauhaus-Periode. Sie bestehen aus unterschiedlichen Farbpunkten, Flächen, geometrischen Körpern sowie geraden oder geschlängelten Linien unterschiedli-cher Dicke, die in Bezug zu einander eine Dynamik entwickeln, mit Hilfe eines „Wör-terbuches“ auch dechiffrierbar sind. Far-ben haben eine bestimmte Bedeutung. Ein-wirkung von Kräften „deformieren“ geometrische Körper oder Linien, wodurch diese Kräfte fühlbar werden. Zwischen den Körpern wird ein Kampf um den Raum auf der Fläche ausgetragen usw. Es geht aber immer ausschließlich um „das Leben“ der Klänge, Farben, Kräfte und ihre Anord-nung auf der Bildfläche bzw. im Zeitraum, der von dem Musikstück in Anspruch ge-nommen wird.

Als Schönbergs Fünf Orchesterstücke ge-druckt wurden, regte sein Verleger Satz-überschriften an. Schönberg kam diesem Wunsch widerwillig nach. Eigentlich wollte er nichts sagen, was die Musik nicht selbst

sagte. Sie sind deswegen im Programm in eckigen Klammern wiedergegeben.

Neu sein wollen: beethovens 3. Klavier-konzert

Geht man von Schönbergs Fünf Orchester-stücken aus, hört man noch genauer, dass auch Beethovens Klavierkonzert abstrakte Musik im Kandinsky‘schen Sinne ist. Es geht um Klangballungen, Farben und Lini-en, um fließende oder gestauchte Bewe-gungen. In die Sprache der Musik über-setzt entsprechen die Farben der Harmonik und ihren Modulationen sowie die Linien den entweder fließenden Läufen bzw. den punktierten oder gestoßenen Rhythmen. Gleich das erste Motiv im Or-chester, erst von den Streichern intoniert, dann von den Holzbläsern übernommen, sollte man sich merken. Es ist das Haupt-thema des ganzen Satzes: Eine aufwärts steigende Linie, die auf ihrem Gipfelpunkt stockend wieder herabfällt. Das ist das op-tische Äquivalent zu Kandinskys Wellen. Nach einer sehr ausführlichen Orchester-einleitung, in der auch das zweite Thema anklingt und beide Themen kurz durchge-arbeitet werden, entwickelt der Solist dann aus dem gestuften und gestauchten Hauptthema sanfte Schlängelbewegun-gen.

Beethoven war 26 Jahre jung, als er gleich nach seinem zweiten vollendeten Klavier-konzert die ersten Ideen zu seinem dritten skizzierte. Er wollte unter allen Umständen neu sein. Zum einen dadurch, dass er sich eine Art Zwitter oder Synthese aus Sinfo-nie und Klavierkonzert vorstellte. Dazu hatte es Ansätze zwar schon bei Mozart gegeben. Beethoven dachte das Konzert aber nicht vom Klavier, sondern vom Or-

Arnold Schönberg: Blaues Selbstporträt

Page 7: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

5

Page 8: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

6

chester aus. Teilweise ist der Klaviersatz sinfonisch, teilweise ist das Klavier eine Stimme des Orchestersatzes. Das Prinzip des konzertierenden Gegeneinanders ist noch erkennbar, aber die Grenzen lösen sich auf. Zum zweiten war die erste Idee, die er sich für dieses Konzert notierte, eine Kadenz für Klavier und Pauke. Es hat zwar in der virtuosen Barockoper und Instru-mentalmusik Doppelkadenzen gegeben. Auch Paukenkadenzen waren vor allem in Kriegs- und Trauermusiken nicht unbe-kannt. Aber eine konzertierende Kadenz für Klavier und Pauke, in der die Pauke die zweite Hälfte des Hauptthemas spielt, blieb ein exzentrischer Einfall. Wie Beet-hoven ihn gemeint hat, zeigt die vollendete Komposition. In ihr dient die Doppelkadenz als fließende Überleitung von der Soloka-denz zum Schlussteil, der Coda.

Drittens entwickelte Beethoven die Idee der absoluten Musik weiter. Sie stellt sich in Gegensatz zur barocken Klangrede, folgt statt Affekte auszudrücken abstrakten Formmodellen (Sonatensatz, Rondo, Varia-tion, Scherzo/Trio etc.) und variiert das Themenmaterial, indem sie immer neue musikalische Gestalten aus ihm entwi-ckelt. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf unser Hauptthema, die „Treppe“, richten, können Sie im 1. Satz sehr schön verfol-gen, wie diese Treppe ihre Gestalt durch unterschiedliche Anschlagsarten, Zwi-schennoten, Verzierungen, Kürzungen, Dehnungen, Tonartenwechsel, Instrumen-talzusammenhänge usw. permanent verän-dert, bis sich aus ihm genau in der Mitte der Durchführung auf einmal die Gestalt des 2. Themas, eine andere Treppe, entwi-ckelt, aus dieser wieder weitere Gestalten usw. Das ist genau das Prinzip der abs-trakten Kompositionen Wassily Kandins-kys, der nicht zufällig mit Schönberg be-

freundet war und ein Stück namens Der gelbe Klang schrieb. Auch Beethoven komponierte, wenn man so will, Klänge von allen möglichen Formen und Farben. Brahms und Schönberg sollten diese Idee fortführen.

Beethoven schrieb das c-moll-Konzert für sich selber, um sich als freischaffender Musiker einen Namen zu machen und von seinem Beruf leben zu können. Die Entste-hung erstreckt sich mit langen Pausen über acht Jahre. Die mehrfach angekün-digte Uraufführung wurde immer wieder verschoben. Aus den Erinnerungen seines Umblätterers und dem Manuskript wissen wir, dass er den Solopart, als das Werk 1803 endlich aus der Taufe gehoben wur-de, nur in seinem allgemeinen Verlauf skiz-ziert hatte. Er „korrigierte“ die Stimme im Konzert frei improvisierend, füllte sie mit Nebenstimmen auf, harmonisierte und verzierte sie. Ein Verfahren, das auch von Mozart überliefert ist. Erst als Beethovens Schüler Ferdinand Ries das Konzert ein Jahr später in sein Repertoire aufnehmen wollte und es kurz darauf im Druck er-schien, fixierte der Komponist die Solo-stimme endgültig. Parallel dazu entstan-den die ersten drei Sinfonien, was den sinfonischen Charakter des Konzertes er-klärt. Dieser Charakter unterscheidet es von seinen beiden Vorgängern. Oder ei-gentlich von seinen drei Vorgängern, denn ein „Nulltes“ Klavierkonzert des 14-Jähri-gen hat er später selbst verworfen.

Leicht fasslich: brahms‘ 3. Sinfonie

Brahms‘ F-Dur-Sinfonie, die dritte seiner vier Sinfonien, ist diejenige, die zu seinen Lebzeiten die begeistertste Aufnahme ge-funden hat. Bei der Wiener Uraufführung

Ludwig van Beethoven

Page 9: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

7

Page 10: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

8

am 2. Dezember 1884 gab es spontanen Zwischenapplaus nach dem 1. und 3. Satz sowie Ovationen am Schluss. In Berlin wurde sie schon im Folgemonat gleich zweimal hintereinander vom Hochschulor-chester unter Joseph Joachim und vom Berliner Philharmonischen Orchester unter des Komponisten eigener Leitung aufge-führt. „Der dritte Satz mußte auf stürmi-sches Verlangen wiederholt werden“, hält der Kritiker der Leipziger „Signale für die musikalische Welt“ fest. „Brahms war Ge-genstand begeisterter Huldigungen, die in Lorbeerspenden und einem Orchestertusch ihren Höhepunct erreichten.“ Wiesbaden, Meiningen, Leipzig folgten auf dem Fuße. Der Grund für die Beliebtheit der Sinfonie ist leicht zu erkennen. Er war schon damals kein Geheimnis: „Das hoch interessante Werk ist in sich abgerundet, klar, faßlich schon bei erstmaligem Anhören.“

Das gilt vor allem für das thematische Ma-terial aller vier Sätze, das sich leicht ein-prägt und dessen plastische Verarbeitung auch für Nichtmusiker mühelos zu verfol-gen ist. Zweitens setzt Brahms in der Inst-rumentation die Bläser- und Streicherre-gister deutlich gegeneinander ab und greift in der Durcharbeitung aller vier Sät-ze vor allem zu dialogischen Strukturen. Eine Gruppe formuliert ein Motiv, das die andere Gruppe entweder wiederholt oder verändert. Oder die bei Brahms stets mehrgliedrigen Motive werden zwischen den Gruppen auseinandergenommen und neu wieder zusammengeschraubt, wie vor allem im 1. Satz. Oder die Streicher sind das Echo der Holzbläser wie zu Beginn des 2. Satzes. Diese Wiederholungen und Ver-änderungen sind somit auch klangfarblich gut voneinander abgehoben. Drittens sind alle vier Sätze von überschaubarer Länge und so schlank gegliedert, dass sich nie-

mand in rätselhaften Labyrinthen verirren muss. Die ingeniöse und komplexe Durch-arbeitung der Themen aber ist das A und O des Brahms’schen Musikverständnisses, das nichts von Programmmusik, sinfoni-schen Dichtungen und dergleichen hielt, sondern streng dem von Beethoven einge-schlagenen Weg der absoluten Musik folgt. Daraus entsprang auch die Gegner-schaft zu Wagner. Der Wiener Kritiker und Brahms-Verehrer Eduard Hanslick brachte das auf eine ebenso griffige wie radikale Formel: „Die Wortsprache ist nicht sowohl eine ärmere, als vielmehr gar keine Spra-che der Musik gegenüber, da sie letztere nicht zu übersetzen vermag.“

Der 1. Satz hat ein pathetisches Hauptthe-ma voll heroischen Schwungs und stellt dem ein tänzerisches Ländler-Thema zur Seite. Der 4. Satz enthält das Drama und mündet in eine Apotheose, die dem Erlö-sungsmotiv des Fliegenden holländers er-staunlich nahe kommt. Die Binnensätze sind von volksliedhafter Melodik. Die ge-stockten, punktierten Rhythmen der The-men aller vier Sätze bilden eine Klammer und verwirklichen das bereits bei Beetho-ven zu beobachtende Prinzip, die Sätze ei-nes Werkes durch Ähnlichkeiten der Mo-tivbildung mit einander zu verbinden. Damit sind sie nicht mehr beliebig in ande-re Werke übertragbar, wie das noch im 18. Jahrhundert möglich war. Darin spricht sich aber auch das Prinzip der entwickeln-den Variation aus, das sich nicht mehr nur über einen Satz erstreckt, sondern über vier Sätze und damit die Veränderung der melodischen Gestalten selbst zum eigentli-chen Thema der Musik macht. Der absolu-ten Musik.

Boris Kehrmann

Johannes Brahms

Page 11: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial
Page 12: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

10

ShaI WOSNERShai Wosner genießt Anerkennung für seinen außergewöhnlich intelligenten und künstlerischen Geist, seine Virtuosität und seine tiefe musikalische Seele. Sein breites Repertoire reicht von Beethoven und Mozart bis hin zu Schönberg, Ligeti und Neuer Musik. Er spielte mit weltweit führenden Orches-tern wie denen von Chicago, Cleveland, Los Angeles oder Philadelphia in den USA sowie dem hr-Sinfonieorchester, London Symphony Orchestra, den Wiener Philharmonikern und der Staatskapelle Berlin. Er arbeitete mit Di-rigenten wie Daniel Barenboim, Alan Gilbert, Zubin Mehta, Donald Runnicles oder Leonard Slatkin zusammen. Highlights der Saison sind eine Wiedereinladung zu den Hamburger Symphonikern, darüber hinaus debütiert er u. a. mit dem Iceland Symphony Orchestra,

dem Danish National Symphony Orchestra und gibt Rezitale in Kopenhagen, Atlanta, New York und Philadelphia. Als hochgelobter Schubert-Interpret hat er sich auf diesen Komponisten konzentriert und spielte dessen Solowerke in den USA und in der Londoner Wigmore Hall. Zahlreiche CD-Aufnahmen komplettieren sein Wirken. Aufgrund seiner Vielseitigkeit und Kollegialität ist er bei Musikerkollegen sehr gefragt. Er spielt häufig mit Geigern wie Viviane Hagner und Veronika Eberle und gastiert regelmäßig bei Kammer-musikfestivals. In Israel geboren, erhielt er bereits in jungen Jahren eine vielseitige musi-kalische Ausbildung. Er studierte bei Emanuel Krasovsky und Emanuel Ax sowie Kompositi-on und Improvisation bei André Hajdu. Er lebt mit Frau und zwei Kindern in New York.

KLavIER

Page 13: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

11

JUSTIN bROWNShaI WOSNERJustin Brown studierte in Cambridge und Tanglewood bei Seiji Ozawa und Leonard Bernstein und arbeitete später als Assistent bei Leonard Bernstein und Luciano Berio. Als Dirigent debütierte er mit der gefeierten britischen Erstaufführung von Bernsteins mass. Für seine Programmgestaltung beim Alabama Symphony Orchestra, wo er fünf Spielzeiten als Chefdirigent wirkte, wurde er drei Mal mit dem ASCAP-Award ausgezeich-net. Auf Einladung des renommierten „Spring for Music Festival“ dirigierte er 2012 das Orchester in der Carnegie Hall. Brown leitete zahlreiche Uraufführungen und dirigierte wichtige Stücke bedeutender Zeitgenossen wie Elliott Carter und George Crumb. Er mu-sizierte zudem mit namhaften Solisten wie Yo-Yo Ma, Leon Fleisher und Joshua Bell.

Zahlreiche Gastengagements führten ihn an renommierte Opernhäuser und zu Orches-tern weltweit, in Deutschland u. a. an die Bayerische Staatsoper München und zu den Dresdner Philharmonikern. Komplettiert wird sein Erfolg durch viele CD-Einspielungen, 2006 wurde er für einen Grammy nominiert. Als Generalmusikdirektor am STAATSTHE-ATER KARLSRUHE, der er seit 2008 ist, wird Brown vor allem für seine Dirigate von Wagners Ring sowie den Werken Berlioz, Verdis und Strauss gefeiert. Unter seiner Leitung stehen auf dem facettenreichen Konzertspielplan Werke wie amériques von Edgar Varèse, Mahlers 5. Sinfonie oder die gurre-Lieder von Schönberg. Gemeinsam mit seinem Team erhielt er die Auszeichnung „Bestes Konzertprogramm 2012/13“.

DIRIgENT

Page 14: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

12

DIE baDISchE STaaTSKaPELLE

Als sechstältestes Orchester der Welt kann die BADISCHE STAATSKAPELLE auf eine überaus reiche und gleichzeitig gegen-wärtige Tradition zurückblicken. 1662 als Hofkapelle des damals noch in Durlach resi-dierenden badischen Fürstenhofes gegrün-det, entwickelte sich aus dieser Keimzelle ein Klangkörper mit großer nationaler und internationaler Ausstrahlung. Berühmte Hofkapellmeister wie Franz Danzi, Hermann Levi, Otto Dessoff und Felix Mottl leiteten zahlreiche Ur- und Erstaufführungen, z. B. von Hector Berlioz, Johannes Brahms und Béla Bartók, und machten Karlsruhe zu einem der Zentren des Musiklebens. Neben Brahms standen Richard Wagner und Richard Strauss gleich mehrfach am Pult der Hofkapelle; Niccolò Paganini, Clara Schumann und viele andere herausragen-de Solisten waren gern gehörte Gäste. Hermann Levi führte 1856 die regelmäßigen Abonnementkonzerte ein, die bis heute als Sinfoniekonzerte der BADISCHEN STAATS-KAPELLE weiterleben.

Allen Rückschlägen durch Kriege und Finanznöten zum Trotz konnte die Tradi-tion des Orchesters bewahrt werden. Generalmusikdirektoren wie Joseph

Keilberth, Christof Prick, Günther Neuhold und Kazushi Ono führten das Orchester in die Neuzeit, ohne die Säulen des Reper-toires zu vernachlässigen. Regelmäßig fan-den sich zeitgenössische Werke auf dem Programm; Komponisten wie Werner Egk, Wolfgang Fortner oder Michael Tippett standen sogar selbst vor dem Orchester, um ihre Werke aufzuführen.

Die große Flexibilität der BADISCHEN STAATSKAPELLE zeigt sich auch heute noch in der kompletten Spannweite zwi- schen Repertoirepflege und der Präsen-tation zukunftsweisender Zeitgenossen, exemplarisch hierfür der Name Wolfgang Rihm. Der seit 2008 amtierende General-musikdirektor Justin Brown steht ganz besonders für die Pflege der Werke Wagners, Berlioz’, Verdis und Strauss’ sowie für einen abwechslungsreichen Konzertspielplan, der vom Deutschen Musikverleger-Verband als „Bestes Konzertprogramm 2012/13“ ausgezeichnet wurde. Auch nach dem 350-jährigen Jubi-läum 2012 präsentiert sich die BADISCHE STAATSKAPELLE – auf der reichen Auf-führungstradition aufbauend – als lebendi-ges und leistungsfähiges Ensemble.

Page 15: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

13

bESETZUNg

1. violineKm. Stephan SkibaKatrin AdelmannRolf GelbarthAyu IdeueRosemarie Simmendinger-KàtaiSusanne IngwersenThomas SchröckertWerner MayerleHerbert Pfau-von KügelgenJuliane AnefeldJudith SauerClaudia SchmidtSandra HuberAnne-Catherine Eibel

2. violineAnnelie GrothShin HamaguchiKm. Toni ReichlGregor AngerKm. Uwe WarnéAndrea BöhlerChristoph WiebelitzDiana DrechslerBirgit LaubSteffen HammEva-Maria VischiMoritz von Bülow*

violaKm. Franziska DürrChristoph KleinKm. Joachim SteinmannOrtrun Riecke-WieckKyoko KudoSibylle LangmaackAkiko SatoTanja LinselNicholas CliffordNathalie Kusmirek*

violoncelloThomas GieronBen GroocockKm. Norbert GinthörWolfgang KursaweAlisa BockHanna GieronJohannes VornhusenEmily Härtel

KontrabassKm. Joachim FleckPeter CernyMonika KinzlerKarl Walter JacklRoland FunkChristoph Epremian

harfeKm. Silke Wiesner

FlöteEduardo BelmarGeorg KappHoratiu RomanCarina Mißlinger

OboeKai BantelmannNobuhisa AraiKm. Ilona Steinheimer

KlarinetteDaniel BollingerMartin NitschmannJochen WeidnerLeonie Gerlach

FagottLydia PantzierMartin DrescherUlrike Bertram

hornKm. Susanna Wich- WeißsteinerPeter BühlFrank BechtelKm. Jürgen Danker

TrompeteWolfram LauelKm. Peter HeckleUlrich Warratz

PosauneIstván JuhászAngelika FreiHolger Schinko

TubaDirk Hirthe

Pauke & SchlagzeugHelge DafernerRaimund SchmitzMarco DalbonAlexander Schröder*

celestaMiho Uchida

* Gast der STAATSKAPELLEKm.: Kammermusiker/in

Page 16: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

14

Page 17: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

15

Page 18: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

16

bILDNachWEISE

UmSchLag Marco BorggreveINNENSEITE Herzog Anton Ulrich- MuseumS. 5 Arnold Schönberg CenterS. 7 Ölgemälde von Joseph Willibrord MählerS. 9 Unbekannter FotografS. 10 Marco Borggreve S. 11 Felix Grünschloß S. 14, 15 Falk von Traubenberg

ImPRESSUm

hERaUSgEbER BADISCHES STAATSTHEATERKARLSRUHE

gENERaLINTENDaNT Peter Spuhler

vERWaLTUNgSDIREKTOR Michael Obermeier

ORchESTERDIREKTOR & KONZERTDRamaTURgAxel Schlicksupp

REDaKTIONAxel Schlicksupp

KONZEPTDOUBLE STANDARDS Berlinwww.doublestandards.net

gESTaLTUNg Kristina Schwarz

DRUcKmedialogik GmbH, Karlsruhe

STAATSTHEATER KARLSRUHESaison 2015/16Programmheft Nr. 272www.staatstheater.karlsruhe.de

TEXTNachWEISE

S. 2 – 8 Originalbeitrag von Dr. Boris Kehrmann

Sollten wir Rechteinhaber übersehen ha-ben, bitten wir um Nachricht.

abONNEmENTbÜROT 0721 3557 323F 0721 3557 [email protected]

ab 10,50 bZW. 5,50 EURO PRO KONZERT

UNSERE KONZERTE –am bESTEN Im abO!Jederzeit einsteigen – unser Abonnementbüro berät Sie gerne!

Page 19: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial

am bESTEN Im abO!

DIE NächSTEN KONZERTE1. SONDERKONZERT Vorspiel und 3. Aufzug aus Parsifal

Vom Karfreitagszauber zur endgültigen Ent-hüllung des Grals durch den neuen Gralskönig Parsifal: Mit dem im Konzertsaal sehr ein-drücklichen dritten Aufzug von Wagners Büh-nenweihfestspiel beginnt die Sonderkonzert-reihe, wie auch ein kleines Wagner-Festival, an den Folgetagen mit dem gesangswettbe-werb für Wagnerstimmen (2.10.) und der sze-nischen Wiederaufnahme des Parsifal (3.10.).

Renatus meszar Amfortas Friedemann Röhlig a. g. Gurnemanz Erik Nelson Werner a. G. Par-sifal christina Niessen Kundry axel Schlick-supp Moderation Ulrich Wagner Choreinstu-dierung Justin brown Dirigent baDISchE STaaTSKaPELLE, baDISchER STaaTSOPERNchOR & EXTRachOR

2.10.15 20.00 gROSSES haUS

gESaNgSWETTbEWERb FÜR WagNERSTImmEN – FINaLKONZERT Arien & Orchesterwerke von Richard Wagner

Erleben Sie nach einer Vorauswahl in Bayreuth im Finale sechs junge, talentierte Sängerinnen und Sänger.

Finalisten Eva Wagner-Pasquier Jury-Vorsitz achim Sie-ben Moderation christoph gedschold DirigentbaDISchE STaaTSKaPELLE

3.10.15 18.00 gROSSES haUS

2. SINFONIE- & 2. SONDERKONZERTFranz Schubert Sinfonie Nr. 8 h-Moll „Unvollendete“ Karol Szymanowski Violinkonzert Nr. 1 Jean Sibelius Sinfonie Nr. 5 Es-Dur op. 82

Von der vollendeten Unvollendeten Schuberts bis zu Sibelius‘ energisch-optimistischer 5. Sinfonie reicht das Programm, es umschließt ein unbedingt entdeckenswertes Solowerk: Der Karlsruher Shooting-Star Tianwa Yang interpretiert Szymanowskis sinnliches und klangprächtiges 1. violinkonzert.

Tianwa Yang Violine Justin brown Dirigent baDISchE STaaTSKaPELLE

25. & 26.10. 11.00 & 20.00 gROSSES haUS 30.10.15 19.00 gROSSES haUS

1. NachTKLäNgE – EL cImaRRON hans Werner henze El CimarrónZu Henzes eindrücklichsten Kompositionen gehört das „Rezital für vier Musiker“ El cimar-rón. Dieses dramatische Werk zeigt ihn als poli-tischen Komponisten, der kunstvoll die Balance hält zwischen der Knappheit und auch Härte einer modernen Musiksprache und der farbi-gen Reichhaltigkeit effektvoller Operngesten.

gabriel Urrutia benet Bariton Ulrich Wagner Dirigent & Moderator mitglieder der baDISchEN STaaTSKaPELLE

6.11.15 21.00 INSEL

Page 20: 15/16 - staatstheater.karlsruhe.de · die zwölf Halbtonschritte der Tonleiter ... nannte Reihe, lat.: series, trat an die Stelle der 24 Dur- und Moll-Tonleitern, die seit ... terial