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648 Historische Zeitschrift Band 260 ( 1995) antifasc hi s ti sc hen Parteien ge tra ge nen Reg ierung Bonomi ( 17 . 6. 1944 ff.). Di e Abrec hnung mit dem Fasc hi smus und die ,,epurazione", die Entfasc hi sierung, gewann ein ga nz neues Ge wicht ; auch in der Frage der zukünfti ge n Nord ostgrenze, dem Nachbarscha ft sver hältnis zu Frankreich, den Problemen der militä ri schen Bes atzung, der Ro ll e Ita li ens in der zukünfti ge n Weltordnung (Bretton Woo ds, UNO , ILO , WHO) ze ige n d ie Dokumente einen weit höheren Wirklichkeitss inn der neuen Verantwortlichen. London hatte noch Anfang Juni 1944 an- ge droht, ein Sturz Bad og li os we rde sich se hr neg ati v auf das beiderse i- ti ge Verhältnis ausw irke n. In Wi rk li chkeit trat genau da s Gege nte il ein. Mit der ,,Erklärung vom Hy de Park" (27. 9. 1944) erreichte Rom di e direkter diplom a ti sch er Bez iehun ge n, di e Einb ez iehung Ita li ens 111 das ,, Lend and Lease Program" und die Anerkennuno se in er anti fasc hi s ti sc hen Be mühun ge n. Alle diese Punkte waren der 0 Reg ie- rung Bad og li o strikt verwei ge rt worden. Man da rf gespannt se in au f den bi s zum Kri egse nde reichenden zweiten Band der Se ri e IO, der in we ni ge n Monat en fol ge n soll. Rom .Jens Petersen Documents Dipl omatiques Suisses - Diploma ti sc he Dokumente der Sch we iz - Documenti Diploma ti ci S vi zze ri 1848- 1945 . Vo l. I 5 ( 194 3- 1945): 8 se pte mbre 1 943-8 mai 1945 (avec ann exes 21 juin 1945-11 j uin 1946 ). Prepare sous la dir ec ti on de PHILJPPE MAR- et LOUJS-EDOUARD ROUL ET par ROLAND BLATTLER, CATHE RlNE KRÜTTLJ -TÜSCHER, MAR C PER- RE NOUD avec la collaboration de MA URICE PERETTJ et MARI E-JE ANN E STEIN ER. Bern, Bente li 1992. CV, 1200 S ., I 50 ,- s fr. Bi s 1943 verharrte die Sc hweiz in der Un gew ißheit vor dem entsc hei- dende n Sc hl ag Deutsc hl ands gege n ihre Unabhängigkei t. Di e In va- sionsproj ek te kam en jedoch ni e zur An we ndung, da die militüri sc hen Kr äfte Deut sc hl ands andernorts bea nsprucht wurden. Di e Landung de r Alliierten in Ita li en 1943 und in der Normandie 1944 locke rt e endlich den sch we ren Dru ck und löste allmählich di e Spannung. Di e Rück- sc hl äge der deut sc hen Wehrmacht an der russisc hen Front tru ge n das ihre zur Verminderung der militä ri sc hen Be drohun g bei. Zur Ruhe ko mm en aber ko nnte di e Schweiz noch ni ch t. Schwie ri gkeiten erga ben sich für den neutralen Staat aus se iner geogra phischen Lage als Transit- Buchbesprec hu11 gen 20. Jahrhunde rt 649 land für Waren, Mate ri al und Mensc hen. Di e Handelssperre der Alliie r- te n gege n di e Achs enmä chte zwang die Schweiz zu schwie ri ge n Ve r- handlun ge n, in denen sie den Willen zur Neutralität und damit zur Gleichbehandlung aller Partner dokumentieren und andererse its aus ihrer Existenzangst dara uf bedacht se in mußte, das Kriegspotential der Ac hse nicht zu stärken. Entsprec hend dem Kri egsve rl a uf nahm der Handel mit Deutsch- land ab. Die Auff orderung der Alliierten im April 1944 an a ll e Neu- tralen, die Handelsbeziehungen zu den Achsenmächten a bzubrec hen, befolgte di e Sch we iz jed oc h ni cht, hälle di es doch einen Bruch des Völke rrec hts bedeute t. Endgültig wurde der Rin g des Verder be ns, der sich se it 1940 um die Schwe iz gelegt hatte, erst im August 1944 ge- sprengt, nachdem den Alliie rt en nach ihrer Landung in Südfrankreich ein rascher Vorstrhone- und saönea ufwärts ge lang. Ende August standen ame ri ka ni sche Streitkräfte bereits a uf der Höhe von Besan- s:o n, und im September stabilisierte sich die Front a uf der Höhe des Berner Jura s. In der humanitären Politik vo ll zog di e Sc hweiz endlich eine Ge - sinnungswende angesichts der Flüchtlingsströme und des Andrangs von Internierten oder Kri egsgefa ngene n. Der Umschwung der öffentli- chen Meinung war nicht zuletzt a uf di e Enthüllun ge n über die Greuel in den Konzentrationsla ge rn zurückzuführen. Di e Bez iehun ge n zum In - te rn a ti onalen Ko mitee vom Roten Kreuz wurden enger, die Hil fe inten- siviert. Die in diese m Band zu sa mmengestellten Akten geben ansc haulich Ausk unft ü be r di e schwie ri ge Situati on eines kl e in en Landes inmitten kri eg führender Länder, da s sich se in wirtschaftliches Übe rl eben si- chern muß durch den Handel mit de m potentie ll en Feind, die Alliierten andererse its zufriedenste ll en will, deren Forderungen jedoc h mit dem Ge ist der Neutralit ät ni cht immer in Einklang zu bringen sind. Er- sch were nd ko mmt da zu, daß die Schweiz zum Eckp fe il er des inte rn a- ti onalen Währungs- und Finanzsystems gewo rd en wa r. Di e Alliierten einerseits verl angten Vorschüsse, di e s ic h inll a ti onär auswirkten und de n sch we ize ri sc hen Markt aus de m Gleichgewicht zu brin ge n drohten, die Deutschen andererse its bege hr ten de n Schweizer Franken als für sie e in zig mög li che De vi se nbesc haffung. Es ga lt , die Freiheit des Wäh- rungsmarktes und der Geldtran sa ktionen zu wahren, um di e St abilität d es Sc hweizer Frankens aufrecht zue rhalten zur Rettung der eige nen Wirt sc ha ft. Zur Erhellung di ese r Zus ammenhänge sind die se m Band

17. 6....648 Historische Zeitschrift Band 260 ( 1995) antifaschistischen Parteien getragenen Regierung Bonomi ( 17.6. 1944 ff.).Die Abrechnung mit dem Faschismus und die ,,epurazione",

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648 Historische Zeitschrift Band 260 ( 1995)

anti fasc hi sti schen Parteien getragenen Regierung Bonomi ( 17. 6. 1944 ff.). Die Abrechnung mit dem Faschi smus und die ,,epurazione", die Entfaschi s ierung, gewann ein ganz neues Gewicht; auch in der Frage der zukün fti gen Nordostgrenze, dem Nachbarschaftsverhältnis zu Frankre ich, den Problemen der mil itäri schen Besatzung, der Ro lle Ita li ens in der zukünfti gen We ltordnung (Bretton Woods, UNO, ILO, WHO) zeigen d ie Dokumente ei nen weit höheren Wirklichkeitssinn der neuen Verantwortlichen. London hatte noch Anfang Juni 1944 an­gedroht, e in Sturz Badoglios werde sich sehr negati v auf das beidersei­ti ge Verhä ltnis auswirken. In Wi rk li chkeit trat genau das Gegente il ein . Mit der ,,Erklärung vo m Hyde Park " (27. 9. 1944) erreichte Ro m di e .Auf~ ahme direk ter diplomati scher Beziehungen, di e Einbeziehung Ita li ens 111 das ,,Lend and Lease Program " und di e Anerkennun o seiner anti fasc hi sti schen Bemühungen. All e d iese Punkte waren der

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Regie­run g Badog li o stri kt verweigert worden. Man darf gespannt sein au f den bis zum Kri egsende rei chenden zweiten Band der Serie I O, der in wenigen Monaten fol gen soll.

Rom .Jens Petersen

Documents Diplomatiques Suisses - Diplomati sche Dokumente der Schwe iz - Documenti Diplo mati ci Svi zzeri 1848- 1945. Vo l. I 5 ( 1943- 1945): 8 septembre 1943-8 mai 1945 (avec annexes 2 1 juin 1945-11 j uin 1946). Prepare sous la directi on de PHILJPPE MAR­GU~RAT et LOUJS-EDOUARD ROULET par ROLAND BLATTLER, CATH ERlNE KRÜTTLJ-TÜSC HER, MARC PER­RENOUD avec la collaboration de M AURICE PERETTJ et MARI E-JEANNE STEINER. Bern , Benteli 1992. CV, 1200 S ., I 50,- sfr.

Bi s 1943 verharrte die Schwe iz in der Ungewißheit vor dem entschei­de nden Schlag Deutschl ands gegen ihre Unabhängigkei t. Die In va­s ionsprojekte kamen jedoch ni e zur Anwendung, da di e militüri schen Kräfte Deutschl ands andernorts beansprucht wurden. Die Landung der Allii erten in Ita li en 1943 und in der Normandie 1944 lockerte endli ch den schweren Druck und löste allmähli ch di e Spannung. Di e Rück­schläge der deutschen Wehrmacht an der russ ischen Front trugen das ihre zur Verminderung der militäri schen Bedrohun g bei. Zur Ruhe ko mmen aber konnte di e Schweiz noch nicht. Schwieri gkeiten ergaben s ich für den neutralen Staat aus seiner geographischen Lage als Transit-

Buchbesprechu11gen 20. Jahrhundert 649

land für Waren, Materi al und Menschen. Die Handelssperre der Allii er­ten gegen di e Achsenmächte zwang die Schweiz zu schwieri gen Ver­handlungen, in denen sie den Will en zu r Neutralität und damit zur Gleichbehandlung aller Partner dokumenti eren und andererseits aus ihrer Ex istenzangst darauf bedacht sein mu ßte, das Kri egspotenti al der

Achse nicht zu stärken. Entsprechend dem Kri egsverl auf nahm der Handel mit Deutsch­

land ab. Die Aufforderung der Allii erten im April 1944 an alle Neu­tral en, die Handelsbeziehungen zu den Achsenmächten abzubrechen, befo lgte di e Schwe iz jedoch ni cht, hälle di es doch einen Bruch des Vö lkerrechts bedeute t. Endgülti g wurde der Rin g des Verderbens, der sich seit 1940 um die Schweiz gelegt hatte, erst im August 1944 ge­sprengt, nachdem den Allii erten nach ihrer Landung in Südfrankreich ein rascher Vorstoß rhone- und saöneaufwärts gelang. Ende August standen ameri kani sche Stre itkrä fte bereits auf der Höhe von Besan­

s:o n, und im September stabili s ierte s ich die Front auf der Höhe des

Berner Juras. In der humanitären Politik vo ll zog di e Schwe iz endli ch eine Ge­

s innungswende angesichts der Flüchtlingsströme und des Andrangs von Interni erten oder Kriegsgefangenen. Der Umschwung der öffentli ­chen Me inung war nicht zuletzt auf die Enthüllungen über die Greuel in

den Konzentrationslagern zurückzuführen. Die Beziehungen zum In­ternati onalen Komitee vom Roten Kreuz wurden enger, di e Hil fe inten­

s iviert. Die in diesem Band zusammengestellten Akten geben anschauli ch

Auskunft über di e schwieri ge Situati on eines kleinen Landes inmitten kri eg führender Länder, das sich sein wirt scha ftliches Überleben s i­chern muß durch den Handel mit dem potentie llen Feind , die All iierten andererseits zufri edenstell en will , deren Forderungen jedoch mit de m Geist der Neutralität ni cht immer in Einklang zu bringen sind. Er­schwerend kommt dazu , daß di e Schweiz zu m Eck pfe iler des intern a­ti onalen Währungs- und Finanzsystems geworden war. Die Allii erten einerse its verl angten Vorschüsse, di e s ich inll ationär auswirkten und den schweizeri schen Markt aus dem Gleichgewicht zu bringen drohten, di e Deutschen andererseits begehrten den Schwei zer Franken als für sie e inzig mögliche Devisenbeschaffun g. Es galt, die Freiheit des Wäh­rungsmarktes und der Geldtransaktionen zu wahren, um die Stabilität des Schweizer Frankens aufrechtzuerhalten zu r Rettung der eigenen Wirtschaft. Zur Erhellung di eser Zusammenhänge sind diesem Band

650 Historische Zeitschrift Band 260 ( 1995)

Dokumente der Schweizerischen Nationalbank aus dem .Jahre 1946 über die schweizerische Geldpolitik angefügt.

Schaffhausen Silvia P.feif.fer-Herkenrath

KARL DRECHSLER I CHRISTA LINK (Eds.), Alternative Concepts ofUnited States Foreign Policy 1943-1947. European and Global Aspects of Postwar Relations with the Soviel Union Documents. Berlin , Akademie 1992. XXlll, 272 S., 198,- DM.

Dies ist eine merkwürdige Edition. Sie wird von einem der rührenden Historiker der ehemaligen DDR mitverantwortet, der seit langem in US-Archiven zum Kalten Krieg recherchieren konnte. Die Alternative im Titel der Edition bezieht sich auf die Frage US-sowjeti scher Koope­ration oder ,,get tough to the Russ ians ", die schli eß lich 1947/48 ges iegt habe. Der Hrsg. läßt keinen Zweifel an sei ner Sympathie für di e erstere Linie und betont seinerseits das sowjetische Interesse an ,,peaceful co­existence between countries with differing social systems" (S. XI) . Wie s ich dazu aber die auch von ihm formuli erte ,,weil grounded fear, that Stalin's policies of terror, ... could once again be implemented in the Soviel Union and in those spheres beyond the Soviet borders where the Red Army was present" (S. XIV) verhielt, ist mir nicht klar. Denn die Alternative beruhte doch auf einer veränderten Wahrnehmung des sowje ti schen Systems, seines Herrschaftsanspru ches, se iner weiteren Rüstungen, se iner Durchsetzung in weiten Teilen des politisch-strategi­schen Vorfeldes der Sowjetunion.

So wich Wohlwollen bei einzelnen Protagoni sten in den USA un­terschiedlich schnell oder auch nur graduell Mißtraucn und Konfronta­tion . Die nur auf di e US-Seite fixierte Edition verzichtet ganz auf e ine eigene Einschätzung jener sowjetischen Kocxistenzrhetorik .

,,The readcr should not expcct spectacular ncw Facts" (S. Vll). Ei­nige Schlüsseldokumente sind wohlbekannt - Roosevelts Kongreßrede vom I. 3. 1945, Kennans Long Tclegram, Truman-Doktrin , Marshall­Plan. Andere Dokumente entstammen v. a. den Präsidentenbibliothe­ken Roosevelts und Trumans, andere aber auch der Publizistik , enthal­ten Eingaben von Gewerkschaften, Jndustri efirmen. Die Dokumente enthalten vertrauliche Berichte, Privatbriefe, Entwürfe für Formulie­rungen neuer Politikrichtlinien für Präsident oder Außenminister. Lei­der wird der Stellenwert der Verfasser im Entscheidungsprozeß oft

ßuchbesprechunge11 20. Jahrhundert 651

nicht deutlich gemacht. Der Hinweis auf Mentalitätsgeschichte als ei­

nes der Ziele verfängt dabei wenig. Der Themenkreis umfaßt neben dem Problem wirtschaftlicher Ko­

operation gerade di e anfangs angestrebte atomare Zusammenarbeit, so­dann aber alle weltwei ten Kooperations- und Konfliktfelder, wozu v. a. Ostmitteleuropa, Polen und Rumänien voran, gehörten; schlicßlich wird in fünf CIA-Reports von 1947/48 die Weltpolitik insgesamt er­faßt. Man findet schon sprechende Zitate, interessante Positionen von naivem Bekenntnis zu fortdauernder Zusammenarbeit bis hin zu rabi­atem Antikommunismus, begründet oft ausführlich mit kommunisti­schen Schandtaten im sowjetischen Einflußbereich , deren Druck in der DDR früher wohl brisant gewesen wäre. So fragt man sich eher nach dem Nutzen des dichotomischen Alternativbegriffes ebenso wie nach der Aussagekräftigkeit mancher Quellen bei einer ansonsten anregen­

den Edition.

Köln l ost Dü(ffer

JOHN W. YOUNG, Cold War and Detcnte 1941 -9 1. London/New

York , Longman 1993. XV, 355 S., f 11 ,99. Der äußerst produktive britische Historiker internationaler Beziehun­gen J . W. Young legt ein nützli ches Nachschlagewerk vor, das auf ,, Keesing's" (engl.) und anderen Sammlungen beruht. Jn sechs Sekto­ren wird vorgeführt: eine Chronologie der Ereigni sse, ein knapper Ab­riß von 70 internati onalen Kri sen von ,,Polen und Osteuropa 1944-48" bis zu Kuwait/Golfkrieg 1990/9 1, eine Übersicht über 28 Gipfelkonfe­ren zen; ein Abriß zu 41 wichtigen Verträgen, aufgeteilt nach Ost-West, inncrwcstli chcn und inneröstli chen Abschlüssen; eine Liste wichtiger Amtsträger für sechs Staaten sow ie UNO und NATO; I 03 Kurzbiogra­phien von Adenauer bis Zhukov; ein Glossar; ( fragwürdige) Daten zur Raketenbil anz der USA und der Sowjetunion; e ine annotierte Biblio­graphie engli schsprachiger Titel, e inige Karten, ein Namen- und Sach­

register beschließen den Band. Der Schwerpunkt liegt also ganz auf der zwischenstaatli ch-militä­

ri schen Dimension des ,,Kallen Kri eges", der im übrigen in der Chro­no logie anregend periodisiert wird. Statistiken etwa zu Demographie oder Wirtscha ft gibt es grundsätzlich nicht. Es dominieren sehr kom­pakte lex ikonartige Sachartikel, die durchweg abgewogen sind . Erste e ng li sche Kritiker haben auf Ungenauigkeiten hingew iesen, denen wei-