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15 2 2 Aufbau der Materie (Atomlehre) In der Atomlehre liegt der Schlüssel für ein tieferes Ver- ständnis chemischer Vorgänge. Atome bilden die kleinsten, mit chemischen Mitteln nicht mehr teilbaren Bausteine der Materie. Sie bestehen aus Elementarteilchen, von denen Elektron und Proton in der Chemie besonders wichtig sind. Atommodelle veranschaulichen Aussagen über Atome und atomare Vorgänge in vereinfachter Form. 2.1 Vorstellungen vom Atom Die Entdeckung der Radioaktivität gegen Ende des 19. Jahrhunderts zerstörte die Vorstellung von der Unteilbarkeit der Atome. Nach zweieinhalbtausend Jahren fand damit die Naturphilosophie bedeutender Griechen ihre experimentelle Bestätigung. Bereits im Altertum war DEMOKRIT (400 v. Chr.) der Ansicht, dass die gesamte Materie aus sehr klei- nen, unteilbaren Teilchen aufgebaut sei. PLATON (427-347 v. Chr.) und ARISTOTELES (384-322 v. Chr.) lehnten die Atomistik ab. Warum sollte das gedankliche Zerteilen der Materie bei den Atomen halt machen? EPIKUR postulierte Atome, da Materie durch unbegrenzte Teilung vernichtet würde. Um 1650 gingen Atome als Naturbausteine (minima naturalia) in die Stofflehre ein. 1 BOYLE ordnete die wüsten Teilchenaggregate durch Strukturen und NEWTONs Gravita- tion (1686) erklärte ihren Zusammenhalt. DALTON prägte um 1803 die erste naturwissenschaftlich be- gründete Vorstellung von kleinsten Materieteilchen. 2 Atome – kugelförmig, fest und unteilbar – formen die kleinsten Teilchen der Elemente. Atome verschiedener Elemente bauen Verbindungen auf. Das „relative Atomgewicht“ kennzeichnet jedes Element. FARADAYs Elektrolyseversuche wiesen auf die Ladungs- quantelung hin. THOMSON entdeckte 1897, dass man Ato- men Elektronen entreißen kann. 1911 entwickelte RUTHER- FORD nach experimentellen Untersuchungen eine Theorie über den Aufbau der Atome, die BOHR, SOMMERFELD, SCHRÖDINGER und andere Wissenschaftler zum quanten- mechanischen Atommodell weiterentwickelten. Neuere Er- kenntnisse sehen das Elektron als echtes Elementarteilchen. Proton und Neutron denkt man sich aus Quarks aufgebaut – und selbst diese könnten sich als teilbar erweisen. 1 GASSENDI stellte Gott als erste Ursache klar und löste die Atomlehre von theologischen Einwänden gegen den leeren Raum. 2 Gegen den heftigen Widerstand seiner Zeitgenossen. Um 1900 noch kritisierte W. OSTWALD, dass die Eigenschaften der unveränderlichen Atome in einer chemischen Verbindung untergehen würden. THALES (600 v. Chr.): Wasser als Urstoff aller Dinge. LEUKIPPOS und DEMOKRIT (um 460-370 v. Chr.) erdenken unteilbare atoma als Bausteine des einen Urstoffes. EPIKUR (342-270 v. Chr.): „in Wahrheit gibt es nur Atome und Leeres“. Um 1250 ARISTOTELES’ Lehre der kontinuier- lich aufgebauten Materie ohne leeren Raum. 15.-17. Jh. Belebung der Atomistik durch N. VON CUES (1401-1464), N. KOPERNIKUS (1473- 1543), G. BRUNO (1548-1600, minima im Äther), P. GASSENDI (1592-1655), D. SENNERT (1572- 1637, Atome sind minima naturalia), D. BASSO (um 1621) und J. JUNGIUS (1587-1657). 1661 R. BOYLE (1627-1691) beschreibt Partikel einer „allgemeinen Materie“; sie bilden primäre Konkretionen (seit AVOGADRO: Atome und Moleküle) und mixturae (Verbindungen) von unterscheidbarer „Textur“' (Struktur). 1787 LAVOISIER unterscheidet Elemente und in solche zerlegbare Verbindungen. 1803/8 J. DALTON (1766-1844, Manchester): Atomhypothese und Atomgewichtstabelle. 1874/91 G. J. STONEY (1826-1911): das „Elek- tron“ als Träger der elektrischen Ladung. 1881 H. V. HELMHOLTZ (1821-1894): Elektri- sche Ladung als Vielfaches der Elementarladung. 1900 M. PLANCK (1858-1947): Quantentheorie 1904 J. THOMSON (1856-1940): Atommodell. Elektronen schwingen in einer homogen positiv geladenen Kugel von 10 -10 m Durchmesser. 1905 A. EINSTEIN (1879–1955) erklärt die Brown’ sche Teilchenbewegung mit der Atomtheorie. 1911 E. RUTHERFORD (1871-1937): Atommodell auf Basis von Streuversuchen mit -Strahlen. Atomkern aus Protonen (postuliert 1913) und Neutronen (postuliert 1920). R. A. MILLIKAN misst die Elementarladung (Öltröpfchenversuch). 1913 Atommodell von N. BOHR (1885-1962). 1916 Atommodell von A. SOMMERFELD. 1924 L.-V. DE BROGLIE (1892-1987): Materie- wellen, Welle-Teilchen-Dualismus. Bestätigung durch Elektronenbeugung an Kristallen (1926). 1925 Entdeckung des Elektronenspins. W. PAULI postuliert Kernspin und Pauli-Prinzip. F. HUND: Prinzip der größten Multiplizität. 1926 E. SCHRÖDINGER (1887-1961): Wellenme- chanisches Atommodell. 1927 HEISENBERG’sche Unschärferelation. 1928 DIRAC sagt das Positron voraus. 1931 PAULI postuliert das Neutrino. 1932 Entdeckung von Neutron und Positron. 1934 YUKAWA postuliert Mesonen; Nachw. 1937 1948 Schalenmodell der Nukleonen im Atomkern 1953 R. HOFSTADTER: Quarks. 1956 Anti-Neutrino und Neutrino (1959). © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015 P. Kurzweil, Chemie, DOI 10.1007/978-3-658-08660-2_2

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2 2 Aufbau der Materie (Atomlehre)

In der Atomlehre liegt der Schlüssel für ein tieferes Ver-ständnis chemischer Vorgänge. Atome bilden die kleinsten, mit chemischen Mitteln nicht mehr teilbaren Bausteine der Materie. Sie bestehen aus Elementarteilchen, von denen Elektron und Proton in der Chemie besonders wichtig sind. Atommodelle veranschaulichen Aussagen über Atome und atomare Vorgänge in vereinfachter Form. 2.1 Vorstellungen vom Atom Die Entdeckung der Radioaktivität gegen Ende des 19. Jahrhunderts zerstörte die Vorstellung von der Unteilbarkeit der Atome. Nach zweieinhalbtausend Jahren fand damit die Naturphilosophie bedeutender Griechen ihre experimentelle Bestätigung. Bereits im Altertum war DEMOKRIT (400 v. Chr.) der Ansicht, dass die gesamte Materie aus sehr klei-nen, unteilbaren Teilchen aufgebaut sei. PLATON (427-347 v. Chr.) und ARISTOTELES (384-322 v. Chr.) lehnten die Atomistik ab. Warum sollte das gedankliche Zerteilen der Materie bei den Atomen halt machen? EPIKUR postulierte Atome, da Materie durch unbegrenzte Teilung vernichtet würde. Um 1650 gingen Atome als Naturbausteine (minima naturalia) in die Stofflehre ein.1 BOYLE ordnete die wüsten Teilchenaggregate durch Strukturen und NEWTONs Gravita-tion (1686) erklärte ihren Zusammenhalt.

DALTON prägte um 1803 die erste naturwissenschaftlich be-gründete Vorstellung von kleinsten Materieteilchen.2 Atome – kugelförmig, fest und unteilbar – formen die

kleinsten Teilchen der Elemente. Atome verschiedener Elemente bauen Verbindungen auf. Das „relative Atomgewicht“ kennzeichnet jedes Element.

FARADAYs Elektrolyseversuche wiesen auf die Ladungs- quantelung hin. THOMSON entdeckte 1897, dass man Ato-men Elektronen entreißen kann. 1911 entwickelte RUTHER- FORD nach experimentellen Untersuchungen eine Theorie über den Aufbau der Atome, die BOHR, SOMMERFELD, SCHRÖDINGER und andere Wissenschaftler zum quanten- mechanischen Atommodell weiterentwickelten. Neuere Er-kenntnisse sehen das Elektron als echtes Elementarteilchen. Proton und Neutron denkt man sich aus Quarks aufgebaut – und selbst diese könnten sich als teilbar erweisen.

1 GASSENDI stellte Gott als erste Ursache klar und löste die Atomlehre von theologischen Einwänden gegen den leeren Raum. 2 Gegen den heftigen Widerstand seiner Zeitgenossen. Um 1900 noch kritisierte W. OSTWALD, dass die Eigenschaften der unveränderlichen Atome in einer chemischen Verbindung untergehen würden.

THALES (600 v. Chr.): Wasser als Urstoff aller Dinge. LEUKIPPOS und DEMOKRIT (um 460-370 v. Chr.) erdenken unteilbare atoma als Bausteine des einen Urstoffes. EPIKUR (342-270 v. Chr.): „in Wahrheit gibt es nur Atome und Leeres“. Um 1250 ARISTOTELES’ Lehre der kontinuier-lich aufgebauten Materie ohne leeren Raum. 15.-17. Jh. Belebung der Atomistik durch N. VON CUES (1401-1464), N. KOPERNIKUS (1473-1543), G. BRUNO (1548-1600, minima im Äther), P. GASSENDI (1592-1655), D. SENNERT (1572-1637, Atome sind minima naturalia), D. BASSO (um 1621) und J. JUNGIUS (1587-1657). 1661 R. BOYLE (1627-1691) beschreibt Partikel einer „allgemeinen Materie“; sie bilden primäre Konkretionen (seit AVOGADRO: Atome und Moleküle) und mixturae (Verbindungen) von unterscheidbarer „Textur“' (Struktur). 1787 LAVOISIER unterscheidet Elemente und in solche zerlegbare Verbindungen. 1803/8 J. DALTON (1766-1844, Manchester): Atomhypothese und Atomgewichtstabelle. 1874/91 G. J. STONEY (1826-1911): das „Elek-tron“ als Träger der elektrischen Ladung. 1881 H. V. HELMHOLTZ (1821-1894): Elektri-sche Ladung als Vielfaches der Elementarladung. 1900 M. PLANCK (1858-1947): Quantentheorie 1904 J. THOMSON (1856-1940): Atommodell. Elektronen schwingen in einer homogen positiv geladenen Kugel von 10-10 m Durchmesser. 1905 A. EINSTEIN (1879–1955) erklärt die Brown’ sche Teilchenbewegung mit der Atomtheorie. 1911 E. RUTHERFORD (1871-1937): Atommodell auf Basis von Streuversuchen mit -Strahlen. Atomkern aus Protonen (postuliert 1913) und Neutronen (postuliert 1920). R. A. MILLIKAN misst die Elementarladung (Öltröpfchenversuch). 1913 Atommodell von N. BOHR (1885-1962). 1916 Atommodell von A. SOMMERFELD. 1924 L.-V. DE BROGLIE (1892-1987): Materie-wellen, Welle-Teilchen-Dualismus. Bestätigung durch Elektronenbeugung an Kristallen (1926). 1925 Entdeckung des Elektronenspins. W. PAULI postuliert Kernspin und Pauli-Prinzip. F. HUND: Prinzip der größten Multiplizität. 1926 E. SCHRÖDINGER (1887-1961): Wellenme-chanisches Atommodell. 1927 HEISENBERG’sche Unschärferelation. 1928 DIRAC sagt das Positron voraus. 1931 PAULI postuliert das Neutrino. 1932 Entdeckung von Neutron und Positron. 1934 YUKAWA postuliert Mesonen; Nachw. 1937 1948 Schalenmodell der Nukleonen im Atomkern 1953 R. HOFSTADTER: Quarks. 1956 Anti-Neutrino und Neutrino (1959).

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015 P. Kurzweil, Chemie, DOI 10.1007/978-3-658-08660-2_2

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16 I Allgemeine und Anorganische Chemie

2.2 Aufbau der Atome aus Elementarteilchen Mit Hilfe der Raster-Tunnel-Mikroskopie gelang es, Atome sichtbar zu machen und ihre Abstände an elektrisch leiten-den Oberflächen zu vermessen (Physiknobelpreis 1986). Atome sind unvorstellbar klein. Die Durchmesser der

Atome liegen zwischen 10-10 und 10-9 m. Atome wiegen etwa zwischen 10-24 und 10-22 g. Atome bestehen aus Atomkern und Atomhülle.

Der Atomkern umfasst Protonen und Neutronen. Die Atom- oder Elektronenhülle besteht aus Elektronen.

Der Atomkern ist ungefähr zehntausend Mal kleiner als das gesamte Atom. Das bedeutet: Atommodelle können die tatsächlichen Größenverhältnisse im Atom nicht richtig abbilden. Proton und Neutron sind 1836-mal schwerer als ein Elek-tron. Könnte man die Elektronen an den Atomkern drücken, schrumpft der Atomdurchmesser auf 1/10 000, ohne dass sich dabei die Masse des Atoms ändern würde.

Die Masse des Atoms konzentriert sich im Atomkern (99,9 %). Die Masse der Elektronenhülle ist winzig.

Atomkerne, wie Kugeln in einem Kasten angehäuft, hätten 16 kg m–3. Eisen von 7870 kg m–3 muss

folglich große Hohlräume enthalten! Das Leervolumen ist 1012 bis 1015-mal größer als das der Atomkerne. „Weiße Zwerge“ (Sterne) erreichen 1010 kg m–3. Protonen (p+) sind stabile Bausteine der Materie. Das Pro-ton ist ähnlich schwer wie ein Neutron, aber 1836-mal schwerer als ein Elektron und hat die positive elektrische

–19 Coulomb. Protonen und Neutronen sind aus Quarks (Elementarbausteine) aufge-baut, die in der Chemie aber keine Rolle spielen. Chemische Elemente ( 3) unterscheiden sich durch die Zahl ihrer Protonen (Kernladungszahl). Atome sind nach außen elektrisch neutral, weil die Zahl der Elektronen und Protonen gleich ist. Die Protonenzahl ist chemisch nicht veränderbar und charakterisiert Elemente eindeutig; deshalb ist sie das Ordnungskriterium im Periodensystem.

Wer beim Atom die Größe betrachtet und intensiv die Dichte beachtet,

kommt bald zur Erkenntnis, und die ist nicht schwer, dass ein Atom ist im Grunde sehr leer.

PAUL SCHEIPERS

Auf 1 cm Länge kann man 50 Millionen Schwe-felatome anordnen (jedes 2,08 10-10 m).

1 g Wasserstoff enthält etwa 3 1023 H2-Moleküle oder 6 1023 H-Atome.

Atomkern und Hülle.

Zeichnet man einen Kreidepunkt von 5 mm Durchmesser als Atomkern, so müsste ein Elektron der Atomhülle (rot) mindestens 25 m entfernt dargestellt werden.

Aufbau eines Heliumatoms. Die zwei po-

sitiv geladenen Protonen im Kern ziehen die zwei negativ geladenen Elektronen der Atom-hülle an. Die Neutronen sind ungeladen.

( 4.1)

Teilchen Masse (kg)

relative Masse (u)

Energieäqui- valent (MeV)

Elementarladung (C = As)

Anordnung im Atom

Proton p+ 1,6726 10–27 1,007.276 938,272 positiv Atomkern +1,6022 10–19 Neutron n 1,6749 10–27 1,008.665 939,565 neutral Atomkern

Elektron e– 9,1094 10–31 0,000.5486 0,510 999 negativ Atomhülle –1,6022 10–19 1 u = 1,660 539 10-27 kg = atomare Masseneinheit u = 1/12 der Masse eines Atoms des Kohlenstoffisotops 12C 1 Coulomb = 1 Amperesekunde (As) ist die Ladungsmenge von 6,24 1018 Elektronen oder Protonen. 1 Megaelektronvolt -13 J, Energie von einer Million Elektronen im elektrischen Feld von 1 V.

Proton Neutron

1000100bis00010

dD

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2 Aufbau der Materie (Atomlehre) 17

Neutronen (n) bilden den „Kitt“ für den Zusammenhalt der Protonen im Atomkern. Neutronen haben keine elektrische Ladung. Sie spielen bei kernphysikalischen Vorgängen eine große Rolle. Die Atome aller Elemente, mit Ausnahme von Wasserstoff, enthalten Neutronen. Das Wasserstoffatom besteht aus einem Elektron und einem Proton.

Elektronen (e–) sind stabile Elementarteilchen. Die Ruhe-masse eines Elektrons beträgt 0,9109 10-27 g, die negative Elementarladung –1,602 10–19 Coulomb. Chemische Reak-tionen werden durch Elektronen der Atomhülle bewirkt. Durch Elektronenabgabe oder -aufnahme entstehen aus den ungeladenen Atomen elektrisch geladene Ionen. Der Atom-kern lässt sich mit chemischen Mitteln nicht verändern.

Die Kernspaltung 4.12) setzt bis zu 30 000 km/s schnelle Neutronen frei, die Bleiwände bis 50 cm Dicke durchdringen.

„Schwerer Wasserstoff“ (Deuterium und Triti-um) enthält ein bzw. zwei Neutronen. Das schwerste technisch wichtige Atom ist Plutonium mit 94 Elektronen, 94 Protonen, 150 Neutronen.

Bildung von Ionen aus Atomen Kationen positiv geladen

Atome oder Moleküle, die ein oder mehrere Elektronen ab-gegeben haben 5.1.1)

Anionen negativ geladen

Atome oder Moleküle, die ein oder mehrere Elektronen auf-genommen haben

2.3 Der Atomkern 2.3.1 RUTHERFORDs Streuversuch RUTHERFORD bestrahlte dünne Aluminium- und Goldfo-

-Teilchen. Das sind Heliumkerne, die beim radi-oaktiven Zerfall entstehen und im elektrischen Feld auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt werden können. Sie bestehen aus zwei Protonen und zwei Neutronen und sind zweifach positiv geladen. Er beobachtete Erstaunliches: -Teilchen treten ungehindert durch. Wenige werden stark abgelenkt oder reflektiert; sie müs-

sen einer starken positiven Ladung nahe gekommen sein. Materie besteht demnach überwiegend aus „leerem Raum“ und positiv geladenen Massezentren. Die Masse eines Atoms konzentriert sich fast vollständig im Kern. Der Atomkern misst etwa 10-14 m = 10 fm = 0.01 pm, die Elektronenhülle hingegen 10-10 m = 100 pm = 0.1 nm (früher: 1 Ångström).

Atome bestehen aus einem positiv geladenen Atomkern und einer negativ geladenen Elektronenhülle. Die Elektronen bewegen sich um den Kern. Nach außen ist das Atom ungeladen (elektrisch neutral), denn: Die Zahl der Elektronen Z in der Hülle ist gleich der Zahl der Protonen (positiven Ladungen) im Atomkern.

Atomkerne müssen aus gleichartigen Bausteinen bestehen. Denn beim radioaktiven Zerfall entstehen gleichartige neue Atome (z. B. Blei- und Heliumatome aus Radiumatomen).

Der Atomkern besteht aus Nucleonen (= Kernbausteine aus Protonen bzw. Neutronen, 4.4).

Die Masse eines Atomkerns hängt von der Anzahl der Protonen und Neutronen ab. Zur Kernladung tragen nur die Protonen bei. RUTHERFORD verstand die ungeladenen Neutronen als „Kittsubstanz“' der sich abstoßenden Proto-nen. Heute wird der Zusammenhalt mit Gluonen erklärt.

GEIGER und MARSDEN (1909) zählten nach

RUTHERFORDs Vorschlag -Teilchen als mikro-skopische Lichtblitze (Szintillationen) auf dem Leuchtschirm. Die Anordnung ist auf einer Platte drehbar angeordnet. Unerwartet treten auch unter großen Ablenkungswinkeln Blitze auf.

Berechnung der Größe von Atomen

Atomkernradius. Aus experimentellen Daten und der Massenzahl A gefolgerte Schätzung:

fm4,1 3K Ar

Atomkerndichte. Dichte der Kernsubstanz mit Kernmasse mK (kg) und Atomkernvolumen VK:

kg/cm³102 11

K

K

Vm

K

Atomradius. Die kernfernste Elektronenbahn ist etwa 0,1 nm = 10-10 m groß (mA Atommasse in

fm5,0 3Amr

E. R

UTH

ERFO

RD

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ion

radioaktives Präparat

-Strahlen

abgelenkte -Teilchen

nicht / schwach abgelenkt

Goldfolie 0,4 μm

2

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18 I Allgemeine und Anorganische Chemie

Massenzahl A = gerundete Atommasse = Nucleonenzahl Ordnungszahl Z = Kernladungszahl = Protonenzahl = Elektronenzahl Neutronenzahl

N = A - Z Atommultiplikator (bei Verbindungen)

E Ladung

(bei Ionen)

A Z

z+

n

2.3.2 Elementsymbole und Atommassen

Die chemischen Eigenschaften der Elemente werden über- wiegend von der Zahl der Elektronen bestimmt. Alle Atome eines Elementes haben die gleiche Ordnungs- oder Kernladungszahl Z. Die Massenzahl A = Zahl der Nucleo-nen (Protonen + Neutronen) kann unterschiedlich sein.

Die Ordnungszahl wird links unten vor das Element-symbol gesetzt. Im Periodensystem sind die Elemente nach steigender Z geordnet.

Die Massenzahl A entspricht der gerundeten Atom-masse und steht links oben vor dem Elementsymbol.

Die Neutronenzahl N ergibt sich als Differenz von Massenzahl und Kernladungszahl.

Reinelemente kommen in der Natur nur mit jeweils einer Neutronenzahl (einem Isotop) vor. Es sind dies: Al, As, Au, Be, Bi, Cs, Co, F, Ho, I, Mn, Na, Nb, P, Pr, Rh, Sc, Tb, Tm, Th, Y. Die meisten Elemente sind Mischelemente; sie treten als Gemisch mehrerer Isotope – Nuklide, die sich in ihrer Atommasse (Neutronenzahl) unterscheiden – auf. Atomare Masseneinheit

Elementarteilchen vereinigen sich zu Atomen, Atome zu Molekülen. Massen beliebiger Teilchen werden im Verhält-nis zu 1/12 der Masse des Kohlenstoff-12-Atoms angegeben. Ein 12C-Atom wiegt definitionsgemäß 12 atomare Einhei-ten, was etwa der Masse von zwölf Wasserstoffatomen ent-spricht. Atom-, Isotopen- und Molekülmassen sind mittels Massenspektrometrie auf 10-7 u genau bestimmbar.

Atomare Masseneinheit = Masse eines 12C-Atoms

12

1 u = 1/12 m(12 -27 kg

1 kg 26 u

Die relative Atommasse Ar gibt an, wie viel Mal schwerer ein Atom ist als die atomare Masseneinheit.

Relative Atommasse Ar = Absolute Atommasse m(X) Atomare Masseneinheit u

Die im Periodensystem tabellierte Atommasse („Atomge-wicht“) berücksichtigt das natürliche Isotopengemisch der Elemente. Deshalb weicht der Wert von der ganzzahligen Nucleonenzahl ab. Die absolute Atommasse, das Produkt aus relativer Atom-masse und atomarer Masseneinheit Ar u, gibt an, wieviel ein Atom tatsächlich in Kilogramm wiegt. Wegen der kleinen Zahlenwerte sind absolute Massenangaben in der Praxis ungebräuchlich. Die gemessene Atommasse ist um den Massendefekt kleiner als die berechnete Summe aus Elekt-ronen-, Protonen- und Neutronenmasse ( Kap. 4.3).

Elementsymbole sind eindeutig; die Ordnungs-zahl darf entfallen. Al27

13 , kurz 27Al oder Al-27, hat 13 Protonen, 13 Elektronen, 14 Neutronen.

Ein Aluminium-27-Atom: 27Al Ein Aluminiumion: Al3+ Formel von Aluminiumoxid: Al2O3

Nuklide und Isotope ( 3.1, 4.2, 4.3)

Es gibt natürliche, künstliche, stabile und radio-aktive Nuklide (Radionuklide, „Kernarten“). Co-59 (27 p, 32 n) kommt natürlich vor. Co-60 (27 p, 33 n) wird für medizinische

Zwecke künstlich erzeugt.

Isotope sind Nuklide mit der gleichen Kernla-dungszahl, aber verschiedenen Neutronenzah-len. Sie gehören zum gleichen Element, besit-zen dieselben chemischen Eigenschaften und sind chemisch nicht trennbar. Leichte Kerne (wie Helium) enthalten etwa gleich viele Proto-nen und Neutronen, schwere Kerne (wie Uran) haben einen Neutronenüberschuss.

Kohlenstoffisotope: 12C, 13C, 14C Chlorisotope: 35Cl (17 p + 18 n)

37Cl (17 p + 20 n). Wasserstoffisotope: 1H

schwerer Wasserstoff: 2H = D (Deuterium) überschwerer W. 3H = T (Tritium)

Berechnung der relativen Atommasse Chlor ist ein Mischelement, die im PSE tabel-lierte Masse ein Mittelwert der Isotopenmassen.

Isotop Häufigkeit Isotopenmasse 35Cl 37Cl

34,968853 36,965903 =

Ar(Cl) 35,4527 Ein Sauerstoff-16-Atom wiegt etwa:

-27 -26 kg, ein Sauerstoffmolekül O2: -26 kg.

Die relative Molekülmasse von Wasser H2O mit Rücksicht auf die Isotopenverteilung ist . Die absolute Molekülmasse beträgt -27 -26 kg.

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2 Aufbau der Materie (Atomlehre) 19

2.4 Einblick in die Welt der Quanten

Quantenphysik und -chemie ermöglichen die moderne Halbleiterelektronik und Lasertechnik, Elektronen- und Rastertunnelmikroskopie, Kernspintomographie, die Nut-zung der Kernenergie und neuartige Möglichkeiten der Informationstechnik (Quantencomputer, Quantenkrypto-graphie). Mit Hilfe quantenchemischer Rechnungen wer-den heute neue Reaktionen, Moleküle und Wirkstoffe er-forscht („Drug design“). Ohne Quanten und ihre Gesetze gäbe es die uns bekannte Materie nicht.

Materie, Elektrizität und Energie bestehen aus kleinsten, unteilbaren = diskreten Einheiten, den Quanten.

Makroskopische Systeme ändern ihre Energie kontinuier-lich in beliebigen Beträgen. In atomaren Größenordnun-gen jedoch ändert sich die Energie stufenweise durch Quantensprünge zwischen den erlaubten Energieniveaus.

MAX PLANCK erklärte 1900 mit seiner Quantenhypothese die Strahlung eines schwarzen Körpers. Ein strahlender Oszillator schwingt nicht mit beliebiger Energie, sondern nimmt diskrete Werte En = n hf (n = 0, 1, 2, 3,...) an.

EINSTEINs Lichtquantenhypothese (1905) beschreibt jede Art von Strahlung als einen Strom aus einer unvorstellbar großen Zahl von Quanten, den Photonen, zwischen deren Energie und Frequenz der Zusammenhang E = hf besteht.

Jede Strahlung – Licht, Wärmestrahlung, Röntgenstrah-lung – besteht aus Photonen (Quanten), die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen und in Ruhe keine Masse besitzen. Das Produkt der umgesetzten Energie mal der Zeitdauer des Elementaraktes heißt PLANCKsches Wirkungsquantum h, eine fundamentale Naturkonstante.

Je nach Versuchsbedingungen zeigen sich Quanten als Welle oder Teilchen. Quanten erklären den Strahlungs-druck, Fotoeffekt und COMPTON-Effekt. Auch Nanoparti-kel, wie die Fullerene, haben Quanteneigenschaften.

COMPTON entdeckte 1922 bei der Durchleuchtung von Kristallen mit Röntgenstrahlen eine langwellige Streustrahlung. Er folgerte: Die Energie der einfallenden Strahlung (Photonen) geht in einem elastischen Stoß auf die Elektronen über, wobei die Photonen Energie verlie-ren. Nach der klassischen Theorie nimmt die Intensität des Röntgenstrahls ab, nicht aber dessen Wellenlänge.

Die Energie (eines Teilchens, einer Strahlung, eines Feldes etc.) und die Masse der materiellen Träger sind äquivalent.

Bei der Kernspaltung wird Materie gemäß E = mc² in Ener-gie umgewandelt. Bei chemischen Reaktionen gilt die Mas-senerhaltung: Reaktionswärmen von E stammen nicht aus einem Massenverlust von m

Fullerene, fußballförmige Gebilde aus 60 oder 70 Kohlenstoffatomen, gelten als große Quantenobjekte mit Wellen- und Teilchen- eigenschaften. Die Inter- ferenzstreifen am Doppel- spalt verschwinden bei 2700°C am Übergang der Quantenwelt zur klassischen Physik (Dekohärenz).

Fundament der Quantentheorie

Ladungsquantelung. Elektrische Ladung Q als ganzzahliges Vielfaches der Elementarladung e. Q = N e e -19 As

Energiequantelung

Energie eines Quants: E = h f = hc ~ =

E = m c² Frequenz: f = c

Wellenzahl: ~

Wellenlänge: Kreisfrequenz: f Lichtgeschwindigkeit: c = 299 792 458 m/s Wirkungsquantum: h -34 Js

h-quer: =2h =1 -34 Js

Experimente zur Existenz von Photonen

Strahlungsdruck. Dem mit Lichtgeschwindig-keit beweglichen Photon kommen relativistische Masse und Impuls zu. Die Ruhemasse ist null! Masseäquivalent: m = hf/c² = Impuls des Photons: p = mc =

Fotoelektrischer Effekt. Lichtquanten (Photo-nen) hoher Energie befreien Elektronen aus elektrischen Leitern (WA Austrittsarbeit, me Masse, v Geschwindigkeit des Elektrons).

Lichtquant: hf = WA + ½mev² COMPTON-Effekt. Streuung eines Photons an einem Elektron (z. B. in Graphit). Beim Aufprall sinkt die Energie des Photons bzw. Frequenz des Lichtes. Das Photon saust mit unveränderter

zwischen Einfall- und Ausfallrichtung davon.

Energieabgabe: hf = hf ' + Ekin Wellenlängenzunahme: C (1- COMPTON-Wellenlänge: C = hme/c = -12 m

A. E

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20 I Allgemeine und Anorganische Chemie

2.5 Optische Linienspektren der Elemente Wasserstoff und andere verdünnte Gase kann man in einer Gasentladungsröhre zum Leuchten bringen. Die Gasato- me werden durch Stöße mit Elektronen, die aus den Hoch-spannungselektroden austreten, angeregt und senden Licht aus, das sich im Prisma oder optischen Gitter in viele ein-zelne (diskrete) Linien zerlegen lässt. Freie Atome zeigen – anders als die kontinuierliche Hohlraumstrahlung – ein diskretes Emissions- und Absorptionsspektrum, das cha-rakteristisch für den jeweiligen Stoff ist. Die Auftragung der Strahlungsintensität gegen die Frequenz f, Wellenlän-

~ nennt man Spektrum. Beim Emissionsspektrum wird die Probe im BUNSEN-Brenner, Lichtbogen oder Hochfrequenzfeld angeregt und die ausgesandte Strahlung spektral zerlegt; z. B. das Bogenspektrum von Gasen und Metalldämpfen.

Beim Absorptionsspektrum wird die Probe mit Laser- oder Lampenlicht bestrahlt und die Lichtschwächung gemessen; z. B. Infrarotspektren von Molekülen.

Funkenemissions-, Röntgenfluoreszenz- und Atomabsorp- tionsspektrometer werden für die chemische Analyse von Stählen, Legierungen und Umweltproben eingesetzt. Die Spektroskopie ermöglicht die Strukturaufklärung der Ma- terie bis in die Dimensionen der subelementaren Teilchen.

Spektrum der elektromagnetischen Wellen

Zwischen den kilometerlangen Niederfrequenzwellen (Wechselstrom und Töne), über die Radio- und Lichtwel-len, bis zu den energiereichen = hochfrequenten Röntgen- und Gammastrahlen liegen 21 Größenordnungen.

Atome (typisch 10-10 m = 0,1 nm) und Moleküle (10-8 m = 10 nm) treten in Wechselwirkungen mit elektromagnetischer Strahlung und können daher spektroskopisch untersucht werden. Um winzige Strukturen aufzulösen, muss die „beobachtende“ Strahlung von

hoher Energie E = h c ein.

Struktur Wellenlänge Wellenart Festkörper 10 km ... 1 m

1 m ... 1 mm Rundfunk Mikrowellen

Molekül 1 mm ... 1 μm 770 nm ... 390 nm 400 nm ... 10 nm

Infrarot Sichtbares Licht Ultraviolett

Atom

10 nm ... 1 pm < 1 pm

Röntgenstrahlen -Strahlen

Elementarteilchen 10 fm = 10-14 m Quarks 0.1 fm = 10-16 m

Reizvoll – die Emission von Strontium- (rot) und Bariumsalzen (grün) in Feuerwerkskörpern.

Spektralanalyse

Wir glühen ein Magnesiastäbchen aus, nehmen einige Körnchen Kochsalz auf und halten es in die Brennerflamme. Natriumchlorid (NaCl) ver-dampft unter Aussendung des typisch gelben Na-triumlichts. Im BUNSEN-KIRCHHOFF-Spektro-meter sehen wir eine gelbe Linie ( = 589 nm). Nur ein Bruchteil der Natriumatome wird in der Flamme angeregt; doch die Methode verrät schon Natriumspuren – was für die Flammenfotometrie genutzt wird. Angeregte Elektronen springen von höheren Energieniveaus unter Energieabgabe (E = -19 J) in die frei gewordenen Plätze im tieferen Niveau zurück ( 2.6).

762 670 589 500 400 nm

Li

Na

K

Ca

Sr

Ba Kontinuierliches Sonnenspektrum, Linien-

spektren und typische Flammenfärbungen.

Ba

Sra

Ba

Sr

Sonnen-licht

Natrium-dampf- lampe

hellrot

violettrot

orange

dunkelrot

grün

gelb

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2 Aufbau der Materie (Atomlehre) 21

Das Wasserstoffspektrum Das Emissionsspektrum des Wasserstoffatoms ( 2.7) – und vieler Metalle – besteht aus diskreten Linien im sicht-baren und ultravioletten Frequenzbereich. In bestimmten Wellenlängenbereichen häufen sich die Linien und wer-den zu Serien zusammengefasst. Die Elektronen in der Atomhülle besetzen ganz bestimmte Energiezustände – sonst würde man ein kontinuierliches Spektrum beobach-ten. J. J. BALMER fand 1885 einen empirischen Zusam-menhang für die Wellenzahlen ~, den wir heute mit Hilfe der RYDBERG-Konstante R ausdrücken:

²1

²211~

nR

R -1 und n = 3, 4, 5,… (Schale).

Für n t-fernung vom Atomkern; das Atom wird ionisiert. Zur Ab-streifung des Elektrons muss die Ionisierungsenergie aufgewendet werden (H H+ + e–; 13,6 eV). An diese Seriengrenze bei ~ =R /4 schließt sich ein kontinuierli-ches Spektrum an, weil die befreiten Elektronen beliebig kinetische Energie aufnehmen können (im Absorptions- und Emissionsspektrum). Im Absorptionsspektrum zeigt Wasserstoff praktisch nur die LYMAN-Serie.

s (nicht maßstäblich) mit Linienserien -19 J

2.6 Das BOHR’sche Atommodell RUTHERFORDs Modell erklärte die experimentellen Li-nienspektren nicht. Nach der klassischen Elektrodynamik wären Atome instabil und von variabler Größe. PLANCKs Quantentheorie animierte NIELS BOHR zu drei Postulaten – die er weder theoretisch noch experimentell beweisen konnte, und die der klassischen Physik fremd sind. Elektronen umlaufen den Atomkern auf ganz bestimm-ten, diskreten Kreisbahnen.

Die Elektronenbahnen werden durch Quantelung des Bahndrehimpulses des Elektrons bestimmt. Die Bahnra-dien verhalten sich wie 1 : 2² : 3² : 4² : 5² ...

Die Bewegung auf den Bahnen erfolgt strahlungslos nach den Gesetzen der klassischen Mechanik. Übergän-ge von einer Bahn zur nächsten erfolgen sprunghaft.

BOHRs Korrespondenzprinzip fordert, dass für große Quantenzahlen die Gesetze der Quantenmechanik in die Gesetze der klassischen Physik übergehen. Die Energiezustände En im Einelektronensystem Wasser-stoffatom entsprechen den sieben Elektronenschalen (Kreisbahnen K bis Q) mit den Quantenzahlen 1 bis 7.

Hauptquantenzahl n = 1 ... 7 ( 3.4) Nummer der Elektronenschale (K bis Q) Periode (Zeile im Periodensystem der Elemente)

MAX PLANCK NIELS BOHR

Grenzen der klassischen Elektrodynamik

Jede periodisch bewegte Ladung sendet elektromagnetische Strahlung der Leistung

3o

22

3o

44

32

32

cae

cpP

aus (p a Be-schleunigung). Das kreisende Elektron würde fortwährend Energie abstrahlen, sich spiralför-mig dem Atomkern nähern und schließlich hineinstürzen. Könnten sich Elektronen auf beliebigen Bahnen um den Atomkern bewegen, müsste jedes Atom eines Elementes unterschiedlich groß sein!

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obel

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ion

2

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22 I Allgemeine und Anorganische Chemie

BOHR’sches Atommodell

Im Grundzustand besetzt jedes Elektron im Atom ein möglichst niedriges Energieniveau. Das Elektron im Was-serstoffatom saust mit 22 000 km/s auf der innersten Kreisbahn, die der Energiestufe E1 = –13,6 eV (gemessen von der Seriengrenze) und dem Kernabstand 0,52 -10 m = 52,9 pm = 0,0529 nm entspricht. Durch thermische oder elektrische Energiezufuhr springen einzelne Elektronen auf höhere Energieniveaus; das Atom erreicht einen angeregten Zustand. Da ein Elektron seine Energie nur um ganz bestimmte Beträge erhöhen kann (Zwischenwerte sind nicht möglich), muss es von einer kernnahen auf eine kernfernere Bahn hüpfen. Der angeregte Zustand E2 ist instabil; das Elektron springt nach 10-8 s in den Grundzustand E1 oder ein anderes tiefe-res Energieniveau zurück. Der Energieunterschied wird als charakteristische Linienstrahlung mit einer be-stimmten Frequenz f emittiert.

E = E2 – E1 = h f

Natriumatome geben die im Bunsenbrenner aufgenomme-ne Energie als gelbes Licht wieder ab – das aus einer gel-ben Spektrallinie besteht.

Rechenbeispiel: Die Energie der roten Linie im Wasser-stoffspektrum bei = 656,4 nm entspricht dem Übergang M L mit der Energie:

= -34 Js 8 m/s : -9 m -19 J = 1,9 eV -19 J)

Verteilung der Elektronen auf die Schalen Periode Schale

Elek-tronen

Elemente einer Zeile im Periodensystem

1 K 2 H, He 2 L 8 Li, Be, B, C, N, O, F,

Ne 3 M 8 Na ... Ar 4 N 18 K ... Kr 5 O 18 Rb ... Xe 6 P 32 Cs ... Rn 7 Q 32 Fr ... Eka-Rn

s Stickstoffatoms

verteilen sich auf die K- und L-Schale. Räumli-che und flächige Darstellung.

es Kohlenstoffatoms: 6 Elektronen,

6 Protonen und 6 Neutronen im Atomkern)

HH H

H

n=1n=2

n=3

n=4

n=5

n=6

U l t r a v i o l e t t

s i c h t b a r

I n f r a r o t

I n f r a r o t PFUND- Serie

BRACKETT- Serie

PASCHEN- Serie

BALMER- Serie

LYMAN- Serie

Anregung

EmissionGrund-zustand

angeregter Zustand

PASCHEN- Serie

BRACKETT- Serie PFUND-

Serie

BALMER- Serie

Stickstoff

LYMAN- Serie

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2 Aufbau der Materie (Atomlehre) 23

Exkurs: Theorie des BOHR-Modells für das Wasserstoffatom (Z = 1) und ähnliche Elemente

Das BOHR-Modell beschreibt das Wasserstoffatom semiklassisch auf der Basis dreier Postulate. Es gilt auch für wasserstoffähnliche Spektren (He+, Li2+, Be3+, B4+); allerdings erklärt es die Feinstruktur der Atomspektren in s-, p-, d- und f-Zustände nicht.

BOHR-Postulate

1. Elektronen mit der Masse me und der Ladung e von Elementen mit der Ordnungszahl Z umlaufen den Atomkern strahlungslos auf diskreten Kreisbahnen (stehende Welle rn = n Die Hauptquantenzahl n bezeichnet die Schale K bis Q bzw. Periode (Zeile 1 bis 7) des Periodensystems.

n = vn/rn beschreibt die Geschwin-digkeit vn des Elektrons auf der Kreisbahn vom Radius rn.

2e2

0

2

4 nnn

rmr

Ze

COULOMB-Kraft = Zentrifugalkraft

2. Der Bahndrehimpuls Ln ist gequantelt; er nimmt nicht beliebige Werte an, sondern nur Vielfache von „h quer“. Die Bahnradien verhalten sich wie 1 : 22 : 32 : 42 : 52...

nrmvmrL nnnenn2

e2 )(

= h –43 J s

3. Übergänge zwischen den Energieniveaus En der Kreisbahnen erfolgen sprunghaft. Nach dem BOHR-Korrespondenzprinzip gelten für n

E = E2 – E1 = h f =

e –19 C f Frequenz der Strahlung (Hz) h PLANCK –34 Js

r –12 F/m –1)

Bahnradius rn, Bahngeschwindigkeit vn und Bahnenergie En

e

20

22 4mZe

nnr

e2

022

meZhn

Z

n

a

2

0

10

RadiusBohr

m1021177529,0

vn n rn 0

2

2)(

nhZe

nZ 2

sm6106913187,2

En = Epot + Ekin 2220

e42

8 nhmeZ

218 J10872179,2

nZ

2eV692605,13

nZ

Strahlungsfrequenz fn , Wellenzahl n~ und RYDBERG-Konstante RH

hEn

nf 22'32

0

e42 11

8 nnhmeZ 22'

215 11

Frequenz-Rydberg

Hz104960841289,3nn

cR

Z

1~hcEn

n 22'32

0

e42 11

8 nnchmeZ 22'

27 11

Konstante-Rydberg

1-m1085156373097,1nn

R

Z

Für das Wasserstoffatom H wird die Relativbewegung von Elektron und Proton um den gemeinsamen Schwerpunkt durch die reduzierte Masse (statt me) berücksichtigt.

-1H cm5810677109

pe /1,R

mmR (1 cm–1 = 100 m–1)

2

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24 I Allgemeine und Anorganische Chemie

2.7 Das wellenmechanische Atommodell (Orbitalmodell) Die Feinstruktur der Atomspektren konnte das BOHR- sche Atommodell nicht erklären. Bei der Spektralanalyse von Wasserstoff und den Alkalimetallen wurden viele weitere Linien gefunden, von den Spektroskopikern s, p, d und f genannt. SOMMERFELD und PAULI erweiterten das BOHR-Modell um mittlerweile überholte Ellipsenbahnen und weitere Quantenzahlen, um die Bohr’schen Schalen in Unterenergieniveaus aufzuspalten. Zumindest das Was- serstoffatom wäre demnach eine Scheibe, was dem isotro-pen3 Aufbau der Materie widerspricht, und die Theorie macht schon beim Lithium falsche Voraussagen. Quantenobjekte – Photonen, Elementarteilchen, Moleküle – verhalten sich je nach Experiment als Teilchen oder Welle. DE BROGLIE schrieb jedweder bewegten Materie eine „Materiewellenlänge“ = h/p (p = Impuls) zu. Elekt-ronen im Atom betrachtete er als stehende Materiewellen. Tatsächlich zeigen sich bei der Beugung von Elektronen, Neutronen oder Protonen an Kristallen ähnliche Interfe- renzmuster wie bei der Beugung von Röntgenstrahlen – ein Widerspruch zum reinen Teilchenbild der Materie. HEISENBERGs Unschärferelation erfasst, dass es grund- sätzlich unmöglich ist, Ort und Impuls (Masse mal Ge-schwindigkeit) gleichzeitig exakt zu bestimmen. Je genau- er der Ort eines Teilchens ermittelt wird, desto unschärfer zeigt sich der Impuls und umgekehrt. Der Ort eines Teil- chens lässt sich mit Hilfe einer Lichtwelle ertasten. Je kurzwelliger (energiereicher) die elektromagnetische Wel-le wird, desto stärker stört sie die Geschwindigkeit des beobachteten Teilchens. Sein Impuls bleibt unklar. Bei makroskopischen Körpern ist die Unschärfe vernachläs-sigbar. Folglich können exakte Umlaufbahnen für Elekt-ronen nicht ermittelt werden. Anstelle der Kreisbahn tritt das Orbital4 als derjenige Raumausschnitt auf, in dem sich das Elektron überwiegend aufhält bzw. seine Ladung mit größter Wahrscheinlichkeit anzutreffen ist.

Ein Orbital (Elektronenwolke) ist der Raum, in dem sich ein Elektron mit 90%iger Wahrscheinlich-keit aufhält (Teilchenvorstellung),

der 90% der Ladung des Elektrons umfasst (Welle).

Das Orbital des Wasserstoffatoms ist eine Kugelschale -10 m = 14 pm = 0,14 nm Durchmesser (früher:

1,4 Ångström). Überwiegend befindet sich das Elektron darin, jedoch mit 10% Wahrscheinlichkeit auch außerhalb. Aufenthaltswahrscheinlichkeit und Ladungsdichte sind im Abstand 5,3 pm vom Kern am größten; am Atomkern und in weiter Entfernung vom Kern werden sie null.

3 isotrop = in alle Raumrichtungen gleiche Eigenschaften. 4 lat. orbis = Kreis; engl. orbit = Planetenbahn.

BOHR’schen Schalen Unterenergieniveaus (Orbitaltypen)

Elektro-nenzahl

BOHR-Schale

s sharp („scharf“) 2 1…7 p principal („hauptsächlich“) 6 ab 2 d diffuse („zerstreut“) 10 ab 3 f fundamental 14 ab 4

Dualismus von Welle und Teilchen

DE BROGLIE betrachtete 1924 das um den Kern laufende Elektron als stehende Materiewelle. Der Umfang der Elektronenbahn ist ein ganz-

Energie des Teilchens: E = me v² = h f

= h/mevn = h/pn

rn = n nh/mevn

Lichtgeschwindigkeit: c² = u v

u Fortpflanzungs- oder Phasengeschwindigkeit, v Teilchengeschwindigkeit, p Impuls.

Jeder Strahl aus Teilchen gleicher Masse m und einheitlicher Geschwindigkeit v verhält sich als Materiewelle. Die Materiewellenlänge wird für makroskopische Objekte extrem klein. Die Intensität der Materiewelle an einem Ort

ist ein Maß für die Aufenthaltswahrschein-lichkeit des Elektrons (in der Ladungswolke).

In den Knotenflächen der stehenden Wellen ist die Intensität null.

HEISENBERG'sche Unschärferelation

Größen von der Dimension einer Wirkung (Energie mal Zeit) können wegen des Welle-Teilchen-Dualismus grundsätzlich nicht exakt bestimmt werden. Es ist unmöglich, gleichzeitig Aufenthaltsort x und Geschwindigkeit v (Betrag und Richtung) anzugeben. Das Produkt der Unbestimmtheiten von Ort x und Impuls p = mv bzw. Energie E und Zeit t ist stets größer als das Elementarquantum .

x p /2

E t /2

-34 Js Ein bestimmtes Teilchen kann durch eine Mes-sung prinzipiell nicht exakt lokalisiert werden. Messen bedeutet immer „Stören“.

DE

BR

OG

LIE

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W. H

EISE

NB

ERG

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2 Aufbau der Materie (Atomlehre) 25

Quantenzahlen ( 2.4, 2.7, 3.5) Quantenzahl Formel-

zeichen Wert Spektroskopi-

sches Symbol Bedeutung Drehimpuls

Haupt- n 1,2,3,... K, L, M, N, O, P, Q

Schalennummer; n² Elektronen

Neben- l 0,1,2,...,n-1 s, p, d, f Bahn- bzw. Orbitalform

Bahn- 1ll | l |

Magnet- m 0, +1, +2, ..., +l räumliche Lage des Orbitals

1

cosllm

Spin- s +1/2 Eigendrehsinn des Elektrons

Spin- 1ss | s |

Orbitalformen

Neben-quan-tenzahl

Energiezu-stand der Elektronen

Aussehen der Orbitale Schreibweise

Form Teile Knoten Orbitale Sym-bol

l = 0 s sharp Kugel 1 0

1s²

l = 1 p principal Hantel 2 1

2p6

l = 2 d diffuse Rosette 4 2

3d10

l = 3 f funda-mental 2.7 8 3

4f14

xDie BOHR’schen Schalen mit der Hauptquantenzahl n = 1 bis 7 unterteilen sich in s, p, d- und f-Zustände, die sich in der Orbitalform unterscheiden. In den höheren Schalen verändert sich nur die Größe der Orbitale. Die Nebenquantenzahl l = 0 ... n-1 (Drehimpulsquanten-zahl) beschreibt die geometrische Gestalt des Orbitals, nämlich Kugel (s), Hantel (p) oder Rosette (d, f). Sie gibt die Zahl der Knotenebenen durch den Atomkern an, in denen sich das Elektron nicht aufhalten darf. Die s-, p-, d- und f-Orbitale einer Schale haben die gleiche Energie; sie sind „entartet“. Diese Entartung wird aufge-hoben, wenn äußere Felder auf die strahlenden Atome einwirken. Im Magnetfeld (ZEEMAN-Effekt) und im elektrischen Feld (STARK-Effekt) wurde eine weitere Auf-spaltung der Spektrallinien beobachtet – ausgenommen für die s-Elektronen, die sich folglich isotrop verhalten. Die Magnetquantenzahl m (von 0 bis +l) beschreibt die Zahl der Einstellmöglichkeiten der Elektronenwolke im Magnetfeld. Ein p-Orbital kann in x-, y- und z-Richtung ausgerichtet sein. Im BOHR-SOMMERFELD-Modell be-stimmt m den Winkel zwischen der Rotationsachse der Elektronenbahn und dem äußeren Magnetfeld der Stärke H . Das Elektron hat einen Eigendrehimpuls, bildhaft gleich einer Kugel, die sich um die eigene Achse dreht. Die Spinquantenzahl s = +½ oder –½ beschreibt die gleich-sinnige (parallel) oder gegensinnige (antiparallel) Eigen-drehung relativ zur Umlaufbahn. Die quantenmechanische Deutung des Elektronenspins ist unanschaulich.

Das 1s-Orbital des Wasserstoffatoms

Das s-Elektron ist ein kugelsymmetrisches Gebilde von 14 pm Durchmesser. Wäre die BOHR’sche Kreisbahn richtig, müsste sich das ebene Wasserstoffatom im Magnetfeld ausrich-ten, das umlaufende Elektron würde einen Kreisstrom induzieren und die s-Spektrallinie würde aufspalten. Das wird nicht beobachtet.

Elektronenspin

Die bildhafte Eigenrotation des Elektrons (Spin) erzeugt das magnetisches Moment des Elektrons

2

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26 I Allgemeine und Anorganische Chemie

Atomorbitale: Orbitalformen des Wasserstoffatoms und anderer Elemente

s-Orbitale (2 Elektronen): Wasserstoff, Helium, Alkali- und Erdalkalimetalle

p-Orbitale (6 Elektronen in 3 Orbitalen): Bor-, Kohlenstoff-, Sauerstoffgruppe, Halogene, Edelgase

d-Orbitale (10 Elektronen in 5 Orbitalen): Übergangsmetalle

f-Orbitale (14 Elektronen in 7 Orbitalen): Lanthanoide, Actinoide

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2 Aufbau der Materie (Atomlehre) 27

Exkurs: Woher kommen die Orbitale? Quantenmechanik des Wasserstoffatoms Die Wellenfunktion e-xe Schwingungsamplitude der Elektronenwolke am Ort = ( , , ) im Raum in Abhängigkeit von Energie E und Impuls l-lenvektor . Eine anschauliche Darstellung ist nicht möglich. D t-spricht nach BORN der Aufenthaltswahrscheinlich-keit des Teilchens am Ort (x, y, z) in einem Volu-menelement dV.

tkEtrp raAtr i/i ee,

P x,y,z)|² dV kinetische Energie: E = Impuls in x-Richtung: px x = 2

Die Wellenfunktion ist die Lösung der SCHRÖ-DINGER-Gleichung, eine partielle Differentialglei-chung. Der HAMILTON-Operator H entspringt der klassischen Gesamtenergie des Elektrons, indem man den Impuls durch den Impulsoperator ersetzt.

ERWIN SCHRÖDINGER MAX BORN

Zeitunabhängig

)()(

][

ˆ

0

²²

42

potkin

rEr

EEEEH

reZ

m

Zeitabhängig

),(i),(),(pot2² trtrtrE

tm

LAPLACE-Operator ²²²

²²

²²

yyx

Die exakte Lösung der SCHRÖDINGER-Gleichung ist nur für das Wasserstoffatom möglich. Schon beim Helium müssen Näherungen gemacht werden. Theoretisch gibt es unendlich viele Lösungen. Den gesuchten Eigenfunktionen entsprechen ganz bestimmte Eigenwerte E für die messbaren Energien des Elektrons. Sie erfüllen folgende Bedingungen: Die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen irgendwo im Raum anzutreffen ist eins. | | ² dV = 1 muss endlich sein und in unendlichem Abstand vom Atomkern verschwinden. muss stetig, differenzierbar und eindeutig sein.

Separationsansatz. Man transformiert die SCHRÖ-DINGER-Gleichung in Kugelkoordinaten und trennt die in einen radiusabhängigen Anteil R und einen Winkelanteil (Kugelflächenfunktion Y( , aus Azimutal- und Polargleichung) auf,

die wegen der Kugelsymmetrie unabhängig vonei-nander sind. Die Quantenzahlen n, l, m ergeben sich bei der Herleitung aus den physikalischen Randbe-dingungen. Die Linearkombinationen nlm

+ nl-m der Wellen-

funktionen bzw. die Betragsquadrate der Winkelan-teile |Ynlm|² zeigen die in der Chemie üblichen Orbi-tale.

ngigwinkelabhängigradiusabhä

),()(),,( ,, mllnnlm YrRr

Ekin kinetische Energie, Epot COULOMB-Potential, potentielle Energie zwischen Atomkern (k) und Elektron (e), E Gesamtenergie, H HAMILTON-Operator, m=memk/(me+mk) reduzierte Masse des Elektrons, t Zeit.

© T

he N

obel

Fou

ndat

ion

3p: R3,1(r)

Y1,1( , )

2

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28 I Allgemeine und Anorganische Chemie

PAULI-Prinzip

Zwei Elektronen im Atom stimmen niemals völlig in ihrer Energie überein. Nach dem Schweizer Physiker PAULI müssen sich zwei Elektronen mindestens im Spin unter-scheiden.

In einem Atom oder Molekül können nie zwei Elektronen in allen vier Quantenzahlen übereinstimmen.

Ein Orbital kann mit keinem, einem oder zwei Elektronen besetzt sein. Fasst das Orbital zwei Elektronen, sind die beiden nicht im gleichen Energiezustand, sondern unter-scheiden sich durch den entgegengesetzten Spin. Durch die sogenannte Spinpaarung – die auch einen Energievorteil bringt – wird die Abstoßung zweier Elektronen im Nahbe-reich des Orbitals überwunden. Theoretisch ist bei jedem Atom jedes mögliche Orbital vorhanden, auch wenn sich keine Elektronen darin aufhalten.

Ein Orbital kann maximal zwei Elektronen mit entgegenge-setztem (antiparallelem) Spin aufnehmen. HUND’sche Regel

Beim Auffüllen einer Unterschale mit Elektronen verteilen sich die Elektronen eines Energieniveaus (p, d oder f) so, dass sie möglichst lange gleiche Spins behalten.

p-, d- und f-Orbitale werden immer zuerst einfach besetzt.

s-Orbitale fassen maximal 2 Elektronen, die drei p-Orbitale maximal 6, die fünf d-Orbitale maximal 10, die sieben f-Orbitale maximal 14 Elektronen.

Hybridorbitale

Benachbarte Elektronenwolken stoßen sich auf Grund der negativen Ladungen gegenseitig ab.

Elektronenwolken suchen den größtmöglichen Abstand voneinander.

Das Orbitalmodell erklärt – anders als das BOHR-Modell – die räumliche Anordnung der Atome in Molekülen und Gittern durch die Art der Bindungen und Bindungswinkel. Durch Hybridisierung der Atomorbitale entstehen Mischor-bitale, wobei die individuellen s-, p- und d-Zustände aufge-hoben werden ( 5.2.3, 10.2).

Kohlenstoff (1s22s22p2) hat in der äußersten Schale vier Elektronen. Durch Anregung (äußere Energiezufuhr) springt ein 2s-Elektron in das freie 2pz-Orbital und es bilden sich daraufhin vier energiegleiche sp3-Hybridorbitale. Sie bilden auf Grund der Abstoßung der Elektronenwolken einen Tetraeder, wie er in Kohlenwasserstoffen vorkommt.

unbesetztes Orbital

Orbital mit einem Elektron.

Orbital mit zwei Elektronen (mit antiparallelem Spin)

Verletzung des

PAULI-Prinzips

1s2 Anzahl

der Elektronen

1. Schale Unter-energie-niveau

Vorstellungshilfe: In einem Parkhaus verändert sich die Zahl der Parkplätze nicht, wenn mehrere Plätze oder ganze Etagen unbesetzt sind. Solange im Atom freie p-Orbitale vorhanden sind, wird zunächst jedes p-Orbital mit einem Elektron besetzt (parallele Spins). Dieser Vor-gang ist energiegünstiger als die sofortige Auf-füllung eines Orbitals mit zwei Elektronen.

Beispiele: Hybridorbitale.

Das Wassermolekül ist auf Grund der Abstoßung der freien Elektronenpaare am Sauerstoffatom tetraedrisch und nicht linear gebaut.

sp3-hybridisierte Kohlenstoffatom,

wie es im Methan CH4 vorkommt

, nicht: H – O – H

W. P

AU

LI ©

The

Nob

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ound

atio

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2 Aufbau der Materie (Atomlehre) 29

2.8 Elektronenkonfiguration Jedes Elektron in der Atomhülle besitzt kinetische und potentielle Energie. Je kernnäher sich ein Elektron aufhält, umso schneller bewegt es sich auf der gedachten BOHR- Bahn; die potentielle Energie ist jedoch bei den äußeren Elektronen größer. Weil der Zuwachs der potentiellen Energie größer ist als die Abnahme der kinetischen Ener-gie, steigt die Gesamtenergie der Elektronen, je weiter sie vom Atomkern entfernt sind.

Elektronen suchen möglichst energiearme Zustände, damit das Atom eine geringe Gesamtenergie erreicht.

Die Verteilung der Elektronen auf die Atomorbitale – die sogenannte Elektronenkonfiguration der Elemente – er-möglicht erst ein tieferes Verständnis für den Aufbau der Atomhülle, das Periodensystem der Elemente ( Kap. 3) und die chemischen Bindungsarten ( Kap. 5).

Das Energieniveauschema zeigt die Energiezustände der Elektronen in der Atomhülle.

Die kinetische Energie hängt von der Elek-

tronenbewegung ab, die potentielle Energie vom Kernabstand des Elektrons ( 2.6).

Verteilung der 92 Elektronen des Uranatoms auf die Orbitale. Zur Reihenfolge der Orbitalauffüllung 3.5. Man schreibt kurz: [Rn] 5f3 6d1 7s2. [Rn] bedeutet die abgeschlossene Schale des Edelgases Radon.

Edel

gas

Rad

on (8

6 e– )

Vale

nzel

ektro

nen

Wer wissen will, wo Elektronen in den Atomen mietfrei wohnen,sieht sie in bis zu sieben Schalen sich als Quanten munter aalen.

PAUL SCHEIPERS

7s2 6d1

5f3

2

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30 I Allgemeine und Anorganische Chemie

2.9 Aufgaben mit Lösungen

Zum Üben die rechte Seite mit einem Blatt Papier abdecken, Aufgaben lösen und bei Bedarf „spicken“.

Konstanten m(n) = 1.0087 u m(p) = 1.0073 u m(e) = 0.00055 u e -19 C -27 kg uc2 = 931.5 MeV

Literatur zur Physikalischen Chemie und Datensammlungen[1] P. W. ATKINS, Physikalische Chemie, Wiley-VCH: Weinheim 52013. (Hochgestellte Ziffer = Auflage) [2] G. H. AYLWARD, T. J. V. FINDLAY, Datensammlung Chemie in SI-Einheiten, Wiley-VCH, Weinheim 42014. [3] CRC Handbook of Chemistry and Physics, CRC-Press: Cleveland 942014. [4] J. D'ANS, E. LAX, Taschenbuch für Chemiker und Physiker, 3 Bände, Springer: Berlin 42007. [5] F. ENGELKE, Aufbau der Moleküle, Vieweg+Teubner: Stuttgart 22002. [6] C. GERTHSEN, D. MESCHEDE, Physik, Springer: Berlin 242010. [7] P. KURZWEIL, B. FRENZEL, F. GEBHARD, Physik-Formelsammlung, Springer Vieweg: Wiesbaden 32014. [8] G. WEDLER, H.-J. FREUND, Lehrbuch der Physikalischen Chemie, Wiley-VCH: Weinheim 62012.

1. Aluminiumatome haben 14 Neutronen und 13 Protonen. a) Wie lautet das vollständige Elementsymbol? b) Wie viele Elektronen hat ein Aluminiumatom? c) Welche Ladung haben Aluminiumatome? d) Was wiegt ein Aluminiumatom ungefähr? (in u und kg). e) Was wiegt ein Aluminiumatom bei genauerer Rechnung? Warum stimmt der Wert nicht exakt mit der im PSE tabellierten Atommasse (26.98) überein? f) Wie groß ist die Kernbindungsenergie? Wie groß ist sie je Nucleon? g) Wie viele Isotope hat Aluminium?

a) 2713 Al

b) 13; siehe Ordnungszahl im Periodensystem c) keine

-27 kg e) m = (27,22 – 26,98) u = 0,24 u. f) E m c -27 kg 8 m/s)² = -11 J oder E = 0,24 u 931,5 MeV = 224 MeV E/A = 224 MeV / 27 = 8,3 MeV/Nucleon. g) ein Isotop (Reinelement)

2. Wie viele Wasserstoffatome passen auf 1 km Länge? 1000 m : 0,1 nm = 1013 Atome

3. Wie groß wäre im Vergleichsmaßstab der Atomdurch- messer, wenn man sich den Atomkern a) als Kugel von 1 cm, b) als die Erde (Radius: 6371 km) vorstellt?

Atomdurchmesser : Kerndurchmesser = 10 000 : 1 a) 10 000 cm = 100 m b) 0 = 127 Mio. km; das sind 85% des Abstandes Erde – Sonne!

4. Wie wirken chemische Reaktionen auf a) Atome? b) die Protonenzahl?

a) Chemische Reaktionen verändern die Elektronen-hülle, aber b) nicht die Atomkerne, also Z = konstant.

5. In welchem Zahlenverhältnis stehen die Massen eines Protons, Neutrons und Elektrons zueinander? Rund 1 : 1 : 0,0005.

6. Woran scheitern alle Atommodelle? Kein Modell erklärt die Vielfalt der Atome umfassend.

7. Welchen entscheidenden Mangel hat das BOHR’sche Atommodell?

Es berücksichtigt die HEISENBERG’sche Unschärfere-lation nicht (u. a.).

8. Mit welchem Experiment wurden die verschiedenen Energiestufen der Elektronen nachgewiesen?

Durch Spektralanalyse, ferner Linienaufspaltung im äußeren Feld (ZEEMAN- und STARK-Effekt)

9. Was versteht man unter einem Orbital? Ein Raum, in dem sich ein oder zwei Elektronen mit hoher Wahrscheinlichkeit aufhalten

10. Wie sehen s-, p- und d-Orbitale aus?

11. Was versteht man unter einem „Spin“. Drehimpuls, z. B. Eigendrehimpuls des Elektrons

Kugel (s) Hantel (p)

Rosette (d)

Page 17: 2 Aufbau der Materie (Atomlehre) 2 - christiani.de · kenntnisse sehen das Elektron als echtes Elementarteilchen. Proton und Neutron denkt man sich aus Quarks aufgebaut – und selbst

http://www.springer.com/978-3-658-08659-6