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41 2. Das Arbeitsverhältnis im Insolvenzverfahren 2.1. Der Arbeitsvertrag bei Eröffnung Die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechten Arbeitsverträge werden durch die Eröffnung nicht automatisch aufgelöst oder abgeändert. Die Arbeitgeberin verliert alle Befugnisse und die Insolvenzverwalterin tritt an ihre Stelle. Im § 25 Abs 1 IO ist diese Funktion der Insolvenzverwalterin als Arbeitgeberin klargestellt. Im Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung teilen sich die Sanierungsverwalterin und die Arbeitgeberin (in ihrer Funktion als Eigenverwalterin) diese Befugnisse. Ausschließlich die Insolvenzverwalterin ist befugt, Anordnungen gegenüber der Arbeit- nehmerin zu treffen, Urlaubsvereinbarungen zu treffen, die Arbeitsverhältnisse aufzu- lösen oder neue Arbeitsverhältnisse einzugehen. Sie kann andere Personen, also auch die Schuldnerin, mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben beauftragen. Diese handeln jedoch immer im Auftrag der Insolvenzverwalterin und deren Wirken ist ihr zuzurechnen. 2.2. Auswirkung der Verfahrenseröffnung Von der Insolvenz sind vorerst nur die Forderungen (Lohn, Gehalt, Sonderzahlungen, Barauslagen und Aufwandsersatz etc) der Arbeitnehmerin betroffen, die bis einschließlich dem Tag der Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses entstanden sind. Die Fälligkeit dieser Forderung ist unbeachtlich. Die Löhne und Gehälter und die Sonderzahlungen für die Zeit nach dem Tag der Be- kanntmachung sind von der Insolvenz nicht betroffen. Sie sind Masseforderungen und müssen am Tag der Fälligkeit von der Insolvenzverwalterin zur Gänze bezahlt werden. 2.3. Auflösung des Arbeitsverhältnisses Durch die Insolvenzeröffnung erlöschen die allgemeinen Beendigungsmöglichkeiten nicht. An Stelle der Arbeitgeberin tritt nur die Insolvenzverwalterin, außer im Sanierungs- verfahren mit Eigenverwaltung. An sie ist die Lösungserklärung der Arbeitnehmerin zu richten. Nur sie kann die Lösungserklärung als Arbeitgeberin abgeben. Im Sanierungs- verfahren mit Eigenverwaltung bedarf die Lösung nach § 25 IO der Zustimmung der Sa- nierungsverwalterin. Wird der § 25 IO wörtlich interpretiert, hätten nur die Arbeitnehmerinnen das Lösungs- recht und nicht auch die Masseverwalterin im Konkursverfahren und Schuldenregulie- rungsverfahren oder Sanierungsverfahren. Dieses Ergebnis ist sicherlich nicht gewollt. Daher muss der Begriff Insolvenzverwalterin als Oberbegriff für diese Verfahrensab- schnitte betrachtet werden (vgl dazu Kapitel 1.1.4.2.). Die Art der Auflösung des Arbeitsverhältnisses hat Auswirkung auf den Rang der For- derung als Insolvenzforderung oder Masseforderung (§ 46 und § 51 IO). Die wichtigsten Lösungsarten nach der Eröffnung sind: z Zeitablauf z Einvernehmliche Lösung (Aufhebungsvertrag)

2. Das Arbeitsverhältnis im Insolvenzverfahren · Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG), dem Arbeitsplatzsicherungsgesetz (APSG) oder dem Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) geregelt

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2. Das Arbeitsverhältnis im Insolvenzverfahren

2.1. Der Arbeitsvertrag bei Eröffnung

Die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechten Arbeitsverträge werden durch dieEröffnung nicht automatisch aufgelöst oder abgeändert. Die Arbeitgeberin verliert alleBefugnisse und die Insolvenzverwalterin tritt an ihre Stelle. Im § 25 Abs 1 IO ist dieseFunktion der Insolvenzverwalterin als Arbeitgeberin klargestellt. Im Sanierungsverfahrenmit Eigenverwaltung teilen sich die Sanierungsverwalterin und die Arbeitgeberin (in ihrerFunktion als Eigenverwalterin) diese Befugnisse.Ausschließlich die Insolvenzverwalterin ist befugt, Anordnungen gegenüber der Arbeit-nehmerin zu treffen, Urlaubsvereinbarungen zu treffen, die Arbeitsverhältnisse aufzu-lösen oder neue Arbeitsverhältnisse einzugehen. Sie kann andere Personen, also auch dieSchuldnerin, mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben beauftragen. Diese handeln jedochimmer im Auftrag der Insolvenzverwalterin und deren Wirken ist ihr zuzurechnen.

2.2. Auswirkung der Verfahrenseröffnung

Von der Insolvenz sind vorerst nur die Forderungen (Lohn, Gehalt, Sonderzahlungen,Barauslagen und Aufwandsersatz etc) der Arbeitnehmerin betroffen, die bis einschließlichdem Tag der Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses entstanden sind. Die Fälligkeitdieser Forderung ist unbeachtlich.Die Löhne und Gehälter und die Sonderzahlungen für die Zeit nach dem Tag der Be-kanntmachung sind von der Insolvenz nicht betroffen. Sie sind Masseforderungen undmüssen am Tag der Fälligkeit von der Insolvenzverwalterin zur Gänze bezahlt werden.

2.3. Auflösung des Arbeitsverhältnisses

Durch die Insolvenzeröffnung erlöschen die allgemeinen Beendigungsmöglichkeitennicht. An Stelle der Arbeitgeberin tritt nur die Insolvenzverwalterin, außer im Sanierungs-verfahren mit Eigenverwaltung. An sie ist die Lösungserklärung der Arbeitnehmerin zurichten. Nur sie kann die Lösungserklärung als Arbeitgeberin abgeben. Im Sanierungs-verfahren mit Eigenverwaltung bedarf die Lösung nach § 25 IO der Zustimmung der Sa-nierungsverwalterin.Wird der § 25 IO wörtlich interpretiert, hätten nur die Arbeitnehmerinnen das Lösungs-recht und nicht auch die Masseverwalterin im Konkursverfahren und Schuldenregulie-rungsverfahren oder Sanierungsverfahren. Dieses Ergebnis ist sicherlich nicht gewollt.Daher muss der Begriff Insolvenzverwalterin als Oberbegriff für diese Verfahrensab-schnitte betrachtet werden (vgl dazu Kapitel 1.1.4.2.).Die Art der Auflösung des Arbeitsverhältnisses hat Auswirkung auf den Rang der For-derung als Insolvenzforderung oder Masseforderung (§ 46 und § 51 IO).Die wichtigsten Lösungsarten nach der Eröffnung sind:

ZeitablaufEinvernehmliche Lösung (Aufhebungsvertrag)

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Kündigung der Insolvenzverwalterin ohne „Insolvenzbezug“Kündigung der Insolvenzverwalterin nach § 25 IOBerechtigte bzw unberechtigte Entlassung durch die InsolvenzverwalterinKündigung der ArbeitnehmerinBerechtigter bzw unberechtigter Austritt der ArbeitnehmerinBerechtigter Austritt der Arbeitnehmerin nach § 25 IOEx-lege-Endigung nach dem BerufsausbildungsgesetzTod der ArbeitnehmerinLösung in der Probezeit

Die Insolvenzverwalterin wird bestrebt sein, jene Auflösungsart zu finden, die für die In-solvenzmasse die niedrigste Belastung bringt. Dies ist in der Regel die Kündigung nach§ 25 IO.Die Arbeitnehmerin wird jene Auflösungsart bevorzugen, die ihr die beste Absicherungsowohl der Höhe als auch dem Rang nach bringen wird. Die Arbeitnehmerin kann beiVorliegen der Voraussetzungen den Austritt nach § 25 IO erklären, ist dazu aber nichtverpflichtet!In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Beendigung der Arbeitsverhältnisse. Manch-mal ist ein Kompromiss zu suchen, um beiden Vertragspartnerinnen ein Optimum anZielerreichung zu ermöglichen. Dies kann zB ein Zuwarten der Insolvenzverwalterin mitder Kündigung sein, damit die Arbeitnehmerin durch einen Austritt gegen Ende der Mo-natsfrist einen Abfertigungssprung erreicht. Im Gegenzug dafür erklärt die Arbeitneh-merin den Austritt nach § 25 IO. Die Arbeitnehmerin erhält die höhere Abfertigung alsInsolvenzforderung und die Insolvenzverwalterin erspart sich die Lohnzahlung als Mas-seforderung für die Dauer der Kündigungsfrist.

2.3.1. Lösungsrecht nach § 25 IO

Die Insolvenzordnung gewährt für die am Tag der Insolvenzeröffnung aufrechten Ar-beitsverhältnisse ein besonderes Lösungsrecht. Die Ausübung dieses Rechtes ist vomStand des Insolvenzverfahrens und damit vom Schicksal des Unternehmens abhängig. Esknüpft hauptsächlich an die Unternehmensschließung und die Berichtstagsatzung an.Wurde nur ein Teil des Unternehmens oder ein Unternehmensbereich geschlossen, be-trifft das besondere Lösungsrecht nur jene Arbeitnehmerinnen, die in diesem Bereich be-schäftigt sind (§ 25 Abs 1b IO).Bei Verkauf des Unternehmens, Betriebes oder Betriebsteiles im Sanierungsverfahrenohne Eigenverwaltung und im Konkursverfahren gelten die Bestimmungen des Arbeits-vertragsrechts-Anpassungsgesetzes nicht (§ 3 Abs 2 AVRAG, OGH 19.12.2007 9 ObA106/06p). Die Übernehmerin übernimmt daher keine Arbeitsverhältnisse. Die Arbeits-verhältnisse zur Insolvenzmasse bleiben aufrecht und müssen daher gelöst werden!Von der Insolvenzverwalterin eingegangene Arbeitsverhältnisse können nicht nach § 25IO gelöst werden!

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2. Das Arbeitsverhältnis im Insolvenzverfahren

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2.3.1.1. Auswirkung auf den Insolvenzrang der Beendigungsansprüche

Durch die Auflösung nach § 25 IO werden alle Beendigungsansprüche der Arbeitnehmerinzu Insolvenzforderungen. Nur das laufende Entgelt und die Sonderzahlungen bis zumEnde des Arbeitsverhältnisses bleiben Masseforderungen.Durch die Einfügung des Satzteiles „auch wenn während der Kündigungsfrist das Ar-beitsverhältnis wegen Nichtzahlung des Entgelts beendet wurde“ in § 51 Abs 2 Z 2 lit aIO ist ein Konflikt bei Kündigung der Insolvenzverwalterin nach § 25 IO und später ein-tretender Vorenthaltung des Entgelts gelöst. Die Beendigungsansprüche sind Insolvenz-forderungen, auch wenn die Arbeitnehmerin während der Kündigungsfrist wegen derEntgeltvorenthaltung austritt.Besteht im Zeitpunkt der Austrittserklärung die Austrittsmöglichkeit des § 25 IO und derAustrittsgrund der Vorenthaltung des Entgelts, hätte es die erklärende Arbeitnehmerin in derHand, ob die Beendigungsansprüche Insolvenzforderungen oder Masseforderungen werden.Dass der Insolvenzrang von der „Willkür“ der Erklärenden abhängen soll, ist rechtspolitischproblematisch. Daher hat die Literatur für diese Fallkonstellation die Einordnung der Been-digungsansprüche als Insolvenzforderung angenommen (Schnetzinger, Die Auflösung derArbeitsverhältnisse im Konkurs nach dem IRÄG 1997, ZIK 1998/1, S 7ff).

2.3.1.2. Zeitraum für die Auflösung

Die Lösungsmöglichkeit ist ausschließlich vom Stand des jeweiligen Insolvenzverfahrensabhängig und muss nicht für alle Arbeitnehmerinnen der Schuldnerin gleich sein!Der Zeitraum für die Lösungserklärung nach § 25 IO ist ein Monat. Innerhalb dieses Zeit-raumes muss die Erklärung der Insolvenzverwalterin bzw der Arbeitnehmerin zugehen.Die Lösungserklärung muss Bezug auf das Lösungsrecht nehmen, weil der Inhalt der Er-klärung Auswirkung auf den Rang von Forderungen hat.Ist das Unternehmen bei Insolvenzeröffnung bereits stillgelegt, beginnt die Monatsfrist mitder Bekanntmachung der Feststellung der Schließung. Die Feststellung kann entweder ge-meinsam mit dem Insolvenzedikt oder aber mit einem gesonderten Beschluss erfolgen.Im Schuldenregulierungsverfahren beginnt die Monatsfrist für die Lösung mit der Eröff-nung.Wird das Unternehmen während der Fortführung geschlossen, beginnt die Monatsfristmit der Bekanntmachung des Schließungsbeschlusses.Fasst das Gericht in der Berichtstagsatzung keinen Beschluss über die Fortführung, be-ginnt die Monatsfrist mit der Berichtstagsatzung.Die Fristenberechnung richtet sich nach § 125 Zivilprozessordnung. Die Monatsfrist endetdaher mit jenem Tag, der durch seine Zahl dem Tage entspricht, an welchem die Frist be-gonnen hat. Fehlt dieser Tag, so endet die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monats.

Beispiel: Fristberechnung für Beendigung nach § 25 IOBeginn der Frist Ende der FristBekanntmachung 29.01.2010 28.02.2010Bekanntmachung 15.02.2010 15.03.2010Bekanntmachung 28.02.2010 28.03.2010

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2.3.1.3. Spezialfall Auslandsinsolvenz bzw Insolvenz ohne Berichtstagsatzung

Die arbeitsrechtlichen Normen der Insolvenzordnung gelten im Sinne des Artikels 10 derEuropäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) auch für die österreichischen Arbeitsver-hältnisse. Das ausländische Verfahrensrecht ist jedoch nicht mit dem Lösungsrecht nach§ 25 IO abgestimmt. Die Auflösung bei einem ausländischen Verfahren war immer sehrkompliziert und mit einigen rechtlichen Risiken behaftet.Für die nach dem 30.6.2010 eröffneten ausländischen Verfahren gilt die neue Bestim-mung des § 25 Abs 1 Z 3 IO.Demnach kann die Arbeitnehmerin oder die ausländische Verwalterin im vierten Monatnach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Lösung nach § 25 IO aussprechen, wenn bisdahin keine Berichtstagsatzung stattgefunden hat und die Fortführung des Unternehmensnicht in der österreichischen Insolvenzdatei bekannt gemacht wurde.Diese Bestimmung hilft auch bei österreichischen Verfahren, wenn das Gericht wegender bereits erfolgten Unternehmensstilllegung keine Berichtstagsatzung anberaumt.

2.3.1.4. Lösungsrecht der Insolvenzverwalterin

Das Lösungsrecht der Insolvenzverwalterin im Sanierungsverfahren ohne Eigenverwal-tung und im Konkursverfahren ist die Kündigung nach § 25 IO. Sie muss nur die gesetz-liche oder kollektivvertragliche Kündigungsfrist unter Berücksichtigung gesetzlicherKündigungsschutzbestimmungen einhalten. An vertragliche Kündigungsfristen sowie anKündigungstermine (zB Monatsletzter, Quartal oder Ende der Arbeitswoche) ist sie nichtgebunden. Die Insolvenzverwalterin kann daher befristete Arbeitsverhältnisse oder solchemit vertraglichem Kündigungsschutz kündigen.

2.3.1.4.1. Allgemeine Voraussetzungen

Ist ein Betriebsrat eingerichtet, muss die Insolvenzverwalterin rechtzeitig über die zu kün-digenden Arbeitnehmerinnen den zuständigen Betriebsrat (§ 105 ArbVG) verständigen.Erst nach der Stellungnahme des Betriebsrates bzw dem Verstreichen der Frist zur Stel-lungnahme des Betriebsrates kann die Kündigung rechtswirksam ausgesprochen werden.Das Kündigungsfrühwarnsystem des § 45a Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG) istzu beachten. Nach § 25 Abs 1a IO ist die Anzeige nach § 45a AMFG fristwahrend für denAusspruch der begünstigten Kündigung nach § 25 IO. Nach Vorliegen der Genehmigungdes Arbeitsmarktservice bzw nach Ablauf der Wartefrist nach dieser Bestimmung muss dieInsolvenzverwalterin unverzüglich die Kündigung aussprechen. Von der Arbeitgeberinoder der Insolvenzverwalterin veranlasste einvernehmliche Auflösungen von Arbeitsver-hältnissen sind auf die zahlenmäßigen Voraussetzungen der Anzeigepflicht bei „Massen-entlassungen“ nach § 45a Abs 1 AMFG anzurechnen (OGH 13.7.1995, 8 ObA 258/95).Genießt die Arbeitnehmerin einen gesetzlichen Kündigungsschutz, muss bei aufrechtemBetrieb vor Ausspruch der Kündigung die Kündigungsermächtigung des Arbeits- undSozialgerichtes oder des Bundessozialamtes eingeholt werden. Liegt noch keine Zustim-mung vor, muss die Insolvenzverwalterin die Klage oder den Antrag innerhalb der Mo-natsfrist des § 25 IO einbringen. Nach § 25 Abs 1a IO wird mit der Klage die Kündi-gungsmöglichkeit des § 25 IO gewahrt. Nach Entscheidung des Gerichtes oder des Bun-dessozialamtes muss unverzüglich die Kündigung ausgesprochen werden. Der gesetz-

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2. Das Arbeitsverhältnis im Insolvenzverfahren

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liche Schutz ist im Mutterschutzgesetz (MSchG), dem Väter-Karenzgesetz (VKG), demBehinderteneinstellungsgesetz (BEinstG), dem Arbeitsplatzsicherungsgesetz (APSG)oder dem Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) geregelt. Der Kündigungsschutz (ausge-nommen BEinstG) erlischt mit der tatsächlich erfolgten Schließung des Unternehmens(OGH 12.9.1996, 8 Ob 2092/96x). Die einseitige Auflösung der Lehrverhältnisse ist der Insolvenzverwalterin nicht mög-lich. Wird die Gewerbeberechtigung von der Behörde entzogen oder von der Schuldnerinzurückgelegt, endet das Lehrverhältnis im Insolvenzverfahren nicht automatisch mit demTag vor dem Entzug oder der Zurücklegung. Der Grund dafür liegt im gewerberecht-lichen Fortführungsrecht nach § 41 Abs 1 Ziffer 4 Gewerbeordnung (OLG Linz,3.3.2010, 12 Rs 12/10m).Der Arbeitnehmerin gebührt der Schadenersatz nach § 25 Abs 2 IO für die Zeit zwischendem Ende des Arbeitsverhältnisses und dem nächstmöglichen gesetzlichen oder vertrag-lichen Kündigungstermin unter Einhaltung der vertraglichen Fristen. Dieser Schadener-satz ist eine Insolvenzforderung und entspricht arbeitsrechtlich der Kündigungsentschä-digung. Der Anrechnungsausschluss des in einem neuen anderen Arbeitsverhältnis er-worbenen Entgelts nach § 1162 b letzter Satz ABGB bzw § 29 Abs 2 AngG kommt zurAnwendung. Eine Arbeitnehmerin muss sich ein nach dem Austritt anderwärtig ver-dientes Entgelt bis zur Dauer von drei Monaten nicht anrechnen lassen (OGH 6.10.2005,8 ObS 16/04t).

2.3.1.4.2. Auflösung nach Fortführungsbeschluss in Berichtstagsatzung

Wurde in der Berichtstagsatzung die Fortführung des Unternehmens beschlossen, kanndie Insolvenzverwalterin eine Arbeitnehmerin in einzuschränkenden Bereichen (Ratio-nalisierungskündigung) nach § 25 IO kündigen (§ 25 Abs 1b letzter Satz IO).

2.3.1.4.3. Lösungsrecht im Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung

Im Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung ist die Schuldnerin weiterhin handlungs-fähig. Der neue § 25 Abs 1c IO räumt der Schuldnerin die Möglichkeit einer „Rationali-sierungskündigung“ in einzuschränkenden Bereichen ein. Diese Lösungserklärung nach§ 25 Abs 1 IO in Verbindung mit § 25 Abs 1c IO muss der Arbeitnehmerin innerhalb einesMonats nach der öffentlichen Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses zugehen. DieLösungserklärung muss Bezug auf das begünstigte Lösungsrecht und die Zustimmung derSanierungsverwalterin nehmen, weil diese Lösung in die Rechtsposition der Arbeitneh-merin eingreift.Die begünstigte Kündigung bedarf der Zustimmung der Sanierungsverwalterin. Diesedarf die Zustimmung nur erteilen, wenn die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnissesdas Zustandekommen oder die Erfüllbarkeit des Sanierungsplans oder die Fortführungdes Unternehmens gefährden könnte.Neben der Kündigung nach § 25 Abs 1c IO steht der Schuldnerin auch die Möglichkeitder Schließung von verlustbringenden Unternehmensteilen zu, sofern die eindeutige Ab-grenzung vom verbleibenden Unternehmen durchführbar ist.Vor Ausspruch der Kündigung muss die Schuldnerin – bei Zutreffen der Vorausset-zungen – über die Ausnahmegenehmigung nach § 45a AMFG verfügen bzw muss die

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einmonatige Wartefrist, die mit der Anzeige beim Arbeitsmarktservice beginnt, abgelau-fen sein. Die Anzeige nach § 45a AMFG ist wegen § 25 Abs 1c letzter Satz IO nicht frist-erstreckend!Neben dieser besonderen Lösungsmöglichkeit stehen in diesem Verfahrensabschnitt derSchuldnerin auch die Lösungsmöglichkeiten des § 25 Abs 1 IO nach einer Teilbereichs-schließung und § 25 Abs 1b IO nach der Berichtstagsatzung zur Verfügung (ebensoKonecny, Das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2010, ZIK 3/2010, S 85). Den Antrag aufTeilbereichsschließung muss die Sanierungsverwalterin genehmigen, da es sich dabeium keine Maßnahme des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes handelt. Hat das Gericht dieTeilbereichsschließung angeordnet oder bewilligt, braucht die Schuldnerin trotzdem dieZustimmung der Sanierungsverwalterin für die Lösungserklärung nach § 25 Abs 1 IO.Gleiches gilt für die Rationalisierungskündigung nach § 25 Abs 1b IO. Im Gegensatz zurRationalisierungskündigung nach § 1c IO ist bei diesen beiden Lösungsmöglichkeitendie Antragstellung beim AMS nach § 45a AMFG fristwahrend!

2.3.1.5. Lösungsrecht der Arbeitnehmerin

Das besondere Lösungsrecht der Arbeitnehmerin ist der berechtigte Austritt wegen derInsolvenzeröffnung (§ 25 IO). Durch den Austritt wird das Arbeitsverhältnis ohne Ein-haltung einer Kündigungsfrist „vorzeitig und fristlos“ aufgelöst. Hat bereits die Insol-venzverwalterin, zB auf Grund eines Schließungsbeschlusses nach § 25 IO, das Arbeits-verhältnis gekündigt, verliert die Arbeitnehmerin nicht ihr Recht für den Austritt. Sie kanntrotzdem noch innerhalb der einmonatigen Lösungsfrist austreten. Gleiches gilt, wenn dieArbeitnehmerin bereits vorher die normale Kündigung ausgesprochen hat und die Kün-digungsfrist noch nicht abgelaufen ist.Macht die Arbeitnehmerin von ihrem Lösungsrecht Gebrauch, so erhält sie die Kündi-gungsentschädigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ohne Beachtung des Termins,sowie die Beendigungsansprüche wie bei einer Arbeitgeberkündigung. Darüber hinausgebührt der Arbeitnehmerin der Schadenersatz nach § 25 Abs 2 IO für die Zeit zwischendem Ende der fiktiven Kündigungsfrist und dem nächstmöglichen gesetzlichen oder ver-traglichen Kündigungstermin unter Berücksichtigung der vertraglichen Fristen. DieserSchadenersatz ist eine Insolvenzforderung. Erfolgte bereits vor dem Austritt eine Lö-sungserklärung, so ist diese für das Ende der Kündigungsentschädigung bzw den Scha-denersatz maßgeblich.Kündigungsentschädigung und Schadenersatz unterliegen gemeinsam dem Anrech-nungsausschluss des neuen Einkommens nach § 1162b letzter Satz ABGB bzw § 29Abs 2 AngG. Die Arbeitnehmerin wird ihre Kündigungsentschädigung und den Scha-denersatz nach § 25 Abs 2 IO gemeinsam bei Gericht anmelden. Beträgt der gesamteZeitraum mehr als drei Monate, wird erst ab dem Beginn des vierten Monats das Er-werbseinkommen aus einer neuen Beschäftigung (Lohn gegen Lohn, SZ-Art gegengleichwertige SZ-Art) angerechnet. Die Kündigungsentschädigung (KÜE) bzw derSchadenersatz teilt sich somit in einen Forderungsteil ohne Bedingung (unbedingteKÜE) für die ersten drei Monate ab Austritt und in einen Forderungsteil mit Bedingung(bedingte KÜE) ab dem Beginn des vierten Monates nach dem Austritt. Diese Trennungin der Anmeldung verhindert die Bestreitung des bedingten Forderungsteiles durch die

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Insolvenzverwalterin. In der Folge kann das Schicksal dieses bedingten Forderungsteilesauch besser überprüft werden.

2.3.1.5.1. Fortführungsbeschluss (§ 25 Abs 1b IO)

Fasst das Gericht in der Berichtstagsatzung den Beschluss über die Fortführung, hat dieArbeitnehmerin kein eigenständiges besonderes Lösungsrecht. Ihr Recht ist abhängig da-von, ob die Insolvenzverwalterin die Rationalisierungskündigung nach § 25 Abs 1b zwei-ter Satz IO ausspricht. Hat die Insolvenzverwalterin diese Kündigung ausgesprochen, stehtder Arbeitnehmerin ein Austrittsrecht nach § 25 Abs 1b letzter Satz IO zu!Das Austrittsrecht nach dieser Bestimmung beginnt mit dem Zugang der Kündigung.Über das Ende dieser Austrittsfrist gibt das Gesetz keine Auskunft, sondern verweist ge-nerell auf § 25 Abs 1 IO. Auslöser für die Frist des § 25 Abs 1 IO ist der Schließungsbe-schluss bzw die Bekanntmachung des Schuldenregulierungsverfahrens. Wird der Ver-weis wortwörtlich verstanden, könnte es sein, dass das Austrittsrecht der Arbeitnehmerinausschließlich von der „Willkür“ der Insolvenzverwalterin abhängt. Geht die Kündigungam letzten Tag der Monatsfrist nach Bekanntmachung der Eröffnung zu, hätte die Ar-beitnehmerin keine Überlegungsfrist und vielfach auch keine Möglichkeit mehr, recht-zeitig ihre Austrittserklärung der Insolvenzverwalterin zu übergeben.Der Wille des Gesetzgebers ist eindeutig (vgl RV zu IRÄG 2010, 612 der BeilagenXXIV. GP, Vorblatt und Erläuterungen, Ziffer 13). Er will einerseits die belastendenMasseforderungen für die Zeit der Kündigungsfrist bei einer nicht mehr benötigten Ar-beitnehmerin verhindern. Andererseits ist durch die Kündigung klargestellt, dass für dieArbeitnehmerin keine Zukunft in diesem Unternehmen besteht. Eine raschere Beendi-gung der Arbeitsverhältnisse ist daher im Interesse beider Vertragsparteien gelegen.Es verbleiben somit zwei Möglichkeiten: Austrittsrecht innerhalb eines Monats nach Zu-gang der Kündigung oder Austrittsrecht während der gesamten Kündigungsfrist (Weber-Wilfert in Konecny, IRÄG 2010, 66; Ristic, Insolvenznovelle – IRÄG 2010, DRdA 2010,S 269). Für beide Varianten gibt es gute Gründe, einerseits rasche Auflösung und Entlas-tung der Masse, andererseits wird nicht jede gekündigte Arbeitnehmerin sofort für dasUnternehmen wertlos.Das Austrittsrecht nach § 25 Abs 1 IO ist zeitlich mit einem Monat beschränkt. Legt mandiese Wertung auf § 25 Abs 1b letzter Satz IO um, muss das Austrittsrecht der Arbeit-nehmerin meines Erachtens nach innerhalb der Monatsfrist nach Zugang der Kündigungausgeübt werden. Dafür spricht, dass die gleichen Werthaltungen auch für die „normale“Lösung nach § 25 Abs 1 IO gelten. Auch hier muss die Arbeitnehmerin ihr Lösungsrechtinnerhalb eines Monates nach dem Schließungsbeschluss ausüben, obwohl auch dieseArbeitnehmerin durch die Kündigung der Insolvenzverwalterin keine Zukunft mehr iminsolventen Unternehmen hat. Versäumt sie jedoch diese Lösungsmöglichkeit, steht ihreArbeitsleistung der Insolvenzverwalterin zur Verfügung.

2.3.1.5.2. Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung (§ 25 Abs 1c IO)

Hat die Schuldnerin im Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung die Kündigung (§ 25Abs 1c IO) mit Zustimmung der Sanierungsverwalterin ausgesprochen, erhält die gekün-digte Arbeitnehmerin ihrerseits ein Austrittsrecht.

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Die Wertungen des Gesetzgebers sind sowohl bei § 25 Abs 1b letzter Satz und Abs 1cvorletzter Satz IO die gleichen. Daher gilt auch für diesen Fall der gleiche Lösungsan-satz. Das Austrittsrecht muss innerhalb der Monatsfrist nach Zugang der Kündigung aus-geübt werden.

2.3.2. Lösungsrecht im Schuldenregulierungsverfahren

Im Schuldenregulierungsverfahren gilt das besondere Lösungsrecht nach § 25 Abs 1 IOfür die Insolvenzverwalterin und für die Arbeitnehmerin innerhalb eines Monats nach In-solvenzeröffnung. Ein Schließungsbeschluss ist nicht notwendig, weil dieses Verfahrennur eröffnet werden kann, wenn das Unternehmen bereits geschlossen ist. Trotzdem kön-nen noch immer Arbeitsverhältnisse aus dem Unternehmen oder „persönliche“ Arbeits-verhältnisse (zB Butler, Pflegepersonal) aufrecht sein.

2.3.3. Die Auflösung außerhalb § 25 IO

Im Insolvenzverfahren stehen der Arbeitnehmerin und der Insolvenzverwalterin weiterhinalle arbeitsrechtlichen Lösungsmöglichkeiten offen. Im Folgenden werden nur die häu-figsten und wichtigsten Auflösungsarten behandelt.Einer einvernehmlichen Lösung (Aufhebungsvertrag) wird von der Insolvenzverwalterinin der Regel nur zugestimmt, wenn dadurch keine Abfertigung alt oder hohe Urlaubser-satzleistungen anfallen, weil diese Beendigungsansprüche als Masseforderungen sofortzu bezahlen wären.

2.3.3.1. Auswirkung auf den Insolvenzrang der Beendigungsansprüche

Die Auswirkungen der Lösung auf den Rang der Abfertigung alt, Urlaubsersatzleistungund Kündigungsentschädigung sind in § 46 Abs 3a IO (Masseforderungen) und § 51 Abs 2Z 2 IO (Insolvenzforderungen) geregelt.Die Beendigungsansprüche sind Insolvenzforderungen,

wenn das Arbeitsverhältnis (bei Beginn vor der Eröffnung) durch Zeitablauf geendethat,wenn die Auflösung durch die Arbeitnehmerin nicht auf eine Rechtshandlung odersonstiges Verhalten der Insolvenzverwalterin zurückzuführen ist,wenn die Lösungserklärung vor der Eröffnung abgeben worden ist.

Die Beendigungsansprüche sind Masseforderungen,wenn die Kündigung durch die Insolvenzverwalterin (nicht nach § 25 IO) ausgespro-chen worden ist,bei einer einvernehmlichen Lösung (zweiseitiger Aufhebungsvertrag!) nach Eröffnung,wenn die Lösung durch die Arbeitnehmerin auf eine Rechtshandlung oder ein sonsti-ges Verhalten der Insolvenzverwalterin zurückzuführen ist.

Die Vorenthaltung von Entgelt für Zeiträume nach der Eröffnung stellt immer eine Rechts-handlung der Insolvenzverwalterin dar und ist ausdrücklich in § 46 Abs 3a IO angeführt!Davon ausgenommen ist nur der Austritt nach vorheriger Kündigung der Insolvenzver-walterin nach § 25 IO (§ 51 Abs 2 Z 2 lit a IO).

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