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2-Iminoimidazoline starke Stickstoffbasen als Koordinationspartner in der Anorganischen Chemie Norbert Kuhn* ,a , Martin Göhner a , Martin Grathwohl a , Jörg Wiethoff a , Gernot Frenking* ,b und Yu Chen b a Tübingen, Institut für Anorganische Chemie der Universität b Marburg, Fachbereich Chemie der Universität Bei der Redaktion eingegangen am 5. Dezember 2002. Inhaltsübersicht. 2-Iminoimidazoline weisen, bedingt durch die Tendenz des Fünfringfragments zur Übernahme einer positiven Formalladung und die hieraus resultierende Ylid-artige Bindungs- situation, eine hohe Stickstoff-Basizität auf; sie können als Neutral- liganden, als 22-Elektronendonatoren fungieren. Durch Deproto- nierung sind hieraus die zugehörigen Anionen als potentielle 24- Elektronendonatoren zugänglich. Wir beschreiben zunächst die Synthese und Charakterisierung der Titelverbindung 2-Imino-1,3-dimethylimidazolin (ImNH, 8) und ihres Anions 9. Nachfolgend werden deren Ligandeigenschaften an 2-Iminoimidazolines Strong Nitrogen Bases als Ligands in Inorganic Chemistry Abstract. Due to the tendency of the 5-membered cyclic fragment to accept a positive charge which yields an ylide type bonding situ- ation, 2-iminoimidazolines are strong nitrogen bases. They can serve as neutral ligands being 22 electron donors. Deprotonation leads to the anions which are potential 24 electron donors. We describe first the synthesis and characterization of the title com- pound 2-imino-1,3-dimethylimidazoline (ImNH, 8) and its anion 9. Next we demonstrate their properties as ligands in complexes of Einleitung Die Chemie der vom Imidazolsystem abgeleiteten Basen hat in den zurückliegenden Jahren eine beträchtliche Auswei- tung erfahren. So bilden beispielsweise 2,3-Dihydroimida- zol-2-ylidene (1) stabile Carbene, offensichtlich als Folge der Neigung des heterozyklischen Rings zur Stabilisierung einer positiven Ladung [1]. Hierzu analog können 2-Chal- kogenoimidazoline (2,X Se [2], Te [3]) als elektroneutrale Analoga der Selenolate und Tellurolate in der Koordina- tionschemie [4] angesehen werden; dies zeigt sich auch in ihrem Verhalten gegenüber elektrophilen Verbindungen der Hauptgruppen-Elemente [5, 6]. * Prof. Dr. N. Kuhn Inst. f. Anorg. Chemie der Universität Auf der Morgenstelle 18 D-72076 Tübingen Fax: 49-7071-295306 E-mail: [email protected] * Prof. Dr. G. Frenking Fachbereich Chemie d. Universität D-35032 Marburg E-mail: [email protected] Z. Anorg. Allg. Chem. 2003, 629, 793802 2003 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 69451 Weinheim 00442313/03/629/793802 $ 20.00.50/0 793 ausgewählten Beispielen der Koordinationsverbindungen der Haupt- und Nebengruppenelemente demonstriert. In einem dritten Abschnitt stellen wir Versuche zur Funktionalisierung der Imino- imidazoline vor in der Absicht, durch die Konstruktion hemilabil koordinierender Neutralliganden einen Beitrag zur katalyseorien- tierten Komplexchemie zu leisten. Die Ergebnisse von MO-Berechnungen zur Interpretation der Bin- dungssituation werden experimentellen Befunden gegenüberge- stellt. main group elements and transition metals. In a third chapter we describe attempts to functionalize iminoimidazolines with the goal to create neutral ligands that coordinate in a semistable fashion. On this way we want to make a contribution to the chemistry of complex compounds directed towards catalysis. Keywords: Imidazoles; Coordination chemistry; Imines; DFT calculations Durch Austausch der Chalkogenatome in 2 durch Imino- Fragmente gelangt man zu den 2-Iminoimidazolinen (3), in denen der exozyklische Substituent an C2 gleichfalls eine negative Ladungsdichte aufweisen sollte. Nachfolgend ge- ben wir einen Überblick über die von uns untersuchte Koordinationschemie dieser interessanten Liganden. In Er- gänzung der experimentellen Resultate haben wir DFT-Be- rechnungen unter Verwendung der Basissätze B3LYP und 6-31G (d,p) zur Untersuchung der geometrischen und elek- tronischen Strukturen der Moleküle durchgeführt [7, 8]. Die Analyse der Bindungsverhältnisse wurde unter Verwen- dung der NBO-Methode vorgenommen [9]. Über die Chemie der 2-Iminoimidazoline (3) und der hiermit verwandten 2-Methylenimidazoline (4) wurde zu- sammenfassend bereits an anderer Stelle berichtet [10]. Synthese und Kristallstruktur von 1,3-Dimethyl-2- iminoimidazolin Entsprechend der Ylid-artigen Resonanzstruktur 3b sollten sich 2-Methylenimidazoline wie elektroneutrale Amide R 2 N verhalten. In ähnlicher Weise können die hiervon ab- geleiteten Anionen 5 mit den Imid-Dianionen RN 2 vergli-

2-Iminoimidazoline — starke Stickstoffbasen als Koordinationspartner in der Anorganischen Chemie

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Page 1: 2-Iminoimidazoline — starke Stickstoffbasen als Koordinationspartner in der Anorganischen Chemie

2-Iminoimidazoline � starke Stickstoffbasen als Koordinationspartner in derAnorganischen Chemie

Norbert Kuhn*,a, Martin Göhnera, Martin Grathwohla, Jörg Wiethoffa, Gernot Frenking*,b und Yu Chenb

a Tübingen, Institut für Anorganische Chemie der Universitätb Marburg, Fachbereich Chemie der Universität

Bei der Redaktion eingegangen am 5. Dezember 2002.

Inhaltsübersicht. 2-Iminoimidazoline weisen, bedingt durch dieTendenz des Fünfringfragments zur Übernahme einer positivenFormalladung und die hieraus resultierende Ylid-artige Bindungs-situation, eine hohe Stickstoff-Basizität auf; sie können als Neutral-liganden, als 2�2-Elektronendonatoren fungieren. Durch Deproto-nierung sind hieraus die zugehörigen Anionen als potentielle 2�4-Elektronendonatoren zugänglich.Wir beschreiben zunächst die Synthese und Charakterisierung derTitelverbindung 2-Imino-1,3-dimethylimidazolin (ImNH, 8) undihres Anions 9. Nachfolgend werden deren Ligandeigenschaften an

2-Iminoimidazolines � Strong Nitrogen Bases als Ligands in Inorganic Chemistry

Abstract. Due to the tendency of the 5-membered cyclic fragmentto accept a positive charge which yields an ylide type bonding situ-ation, 2-iminoimidazolines are strong nitrogen bases. They canserve as neutral ligands being 2�2 electron donors. Deprotonationleads to the anions which are potential 2�4 electron donors.We describe first the synthesis and characterization of the title com-pound 2-imino-1,3-dimethylimidazoline (ImNH, 8) and its anion9. Next we demonstrate their properties as ligands in complexes of

Einleitung

Die Chemie der vom Imidazolsystem abgeleiteten Basen hatin den zurückliegenden Jahren eine beträchtliche Auswei-tung erfahren. So bilden beispielsweise 2,3-Dihydroimida-zol-2-ylidene (1) stabile Carbene, offensichtlich als Folgeder Neigung des heterozyklischen Rings zur Stabilisierungeiner positiven Ladung [1]. Hierzu analog können 2-Chal-kogenoimidazoline (2, X � Se [2], Te [3]) als elektroneutraleAnaloga der Selenolate und Tellurolate in der Koordina-tionschemie [4] angesehen werden; dies zeigt sich auch inihrem Verhalten gegenüber elektrophilen Verbindungen derHauptgruppen-Elemente [5, 6].

* Prof. Dr. N. KuhnInst. f. Anorg. Chemie der UniversitätAuf der Morgenstelle 18D-72076 TübingenFax: �49-7071-295306E-mail: [email protected]

* Prof. Dr. G. FrenkingFachbereich Chemie d. UniversitätD-35032 MarburgE-mail: [email protected]

Z. Anorg. Allg. Chem. 2003, 629, 793�802 2003 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 69451 Weinheim 0044�2313/03/629/793�802 $ 20.00�.50/0 793

ausgewählten Beispielen der Koordinationsverbindungen derHaupt- und Nebengruppenelemente demonstriert. In einem drittenAbschnitt stellen wir Versuche zur Funktionalisierung der Imino-imidazoline vor in der Absicht, durch die Konstruktion hemilabilkoordinierender Neutralliganden einen Beitrag zur katalyseorien-tierten Komplexchemie zu leisten.Die Ergebnisse von MO-Berechnungen zur Interpretation der Bin-dungssituation werden experimentellen Befunden gegenüberge-stellt.

main group elements and transition metals. In a third chapter wedescribe attempts to functionalize iminoimidazolines with the goalto create neutral ligands that coordinate in a semistable fashion.On this way we want to make a contribution to the chemistry ofcomplex compounds directed towards catalysis.

Keywords: Imidazoles; Coordination chemistry; Imines; DFTcalculations

Durch Austausch der Chalkogenatome in 2 durch Imino-Fragmente gelangt man zu den 2-Iminoimidazolinen (3), indenen der exozyklische Substituent an C2 gleichfalls einenegative Ladungsdichte aufweisen sollte. Nachfolgend ge-ben wir einen Überblick über die von uns untersuchteKoordinationschemie dieser interessanten Liganden. In Er-gänzung der experimentellen Resultate haben wir DFT-Be-rechnungen unter Verwendung der Basissätze B3LYP und6-31G (d,p) zur Untersuchung der geometrischen und elek-tronischen Strukturen der Moleküle durchgeführt [7, 8].Die Analyse der Bindungsverhältnisse wurde unter Verwen-dung der NBO-Methode vorgenommen [9].

Über die Chemie der 2-Iminoimidazoline (3) und derhiermit verwandten 2-Methylenimidazoline (4) wurde zu-sammenfassend bereits an anderer Stelle berichtet [10].

Synthese und Kristallstruktur von 1,3-Dimethyl-2-iminoimidazolin

Entsprechend der Ylid-artigen Resonanzstruktur 3b solltensich 2-Methylenimidazoline wie elektroneutrale AmideR2N� verhalten. In ähnlicher Weise können die hiervon ab-geleiteten Anionen 5 mit den Imid-Dianionen RN2� vergli-

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Schema 1

chen werden. Überraschenderweise lagen vor Beginn unse-rer Untersuchungen nur wenige Ergebnisse zur Chemie der2-Iminoimidazoline vor [11]. Der deutliche Gegensatz zurgut untersuchten Chemie des Tetramethylguanidins [12]mag auf präparativen Problemen beruhen.

Tatsächlich sind bislang alle Versuche zum Aufbau von2-Methylenimidazolinen aus 2-Chloroimidazolium-Salzenund Metallamiden fehlgeschlagen [13]. Die Reaktion derCarbene 1 mit HN3 führt, anstelle der Abspaltung von N2,ausschließlich zur Bildung von Imidazoliumaziden [14]. Eineinfacher und ergiebiger Weg zu 1,3-Dimethyl-2-iminoimi-dazolin (8) beinhaltet die Umsetzung von 1-Methylimida-zolamin (6) mit Methyliodid gefolgt von der Deprotonie-rung des resultierenden Imidazolium-Salzes 7 mit Kalium-hydrid [15]. Infolge von Nebenreaktionen bei der Verwen-dung längerkettiger Alkyliodide ist dieses Verfahren leiderauf N-Methylderivate beschränkt. Eine erfolgverspre-chende, derzeit von uns untersuchte Route besteht in derZyklisierung von β-Diketodiimiden mit Trimethylsilylthio-cyanat.

Die Kristallstruktur von 8 weist eine kurze exozyklischeCN-Bindung [1.296(2) A] auf [15]. Zusammen mit der zum

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Schema 2

Abb. 1 Berechnete Strukturen von 6, 7, 8. Bindungslängen in A,Winkel in Grad.

Fünfring koplanaren Orientierung des CNH-Fragmentsweist dies auf eine Dominanz der Ylen-Resonanzstruktur(3a) zur Beschreibung der Bindungssituation hin; jedochsind die Probleme dieser Argumentation aus der Struktur-chemie der Wittig-Ylide hinreichend bekannt [16]. DerRinginnenwinkel an C2 [104.6(4)°] liegt im Bereich entspre-chender Imidazoline, die an C2 doppelt gebundene Substi-tuenten tragen [2, 3, 17]. Ein Vergleich mit der Struktur desKations 7 (Chlorid-Salz) zeigt dort die erwartete Aufwei-tung der exozyklischen CN-Bindung [1.332(5) A] [15].

Die Chemische Bindung in 2-Iminoimidazolinen

Um einen Einblick in die Bindungsverhältnisse in 2-Imino-imidazolinen zu erhalten, haben wir DFT-Berechnungenauf B3LYP/6-31G(d,p)-Niveau [7, 8] von den Verbindungen

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2-Iminoimidazoline � starke Stickstoffbasen als Koordinationspartner in der Anorganischen Chemie

Tabelle 1 NBO-Ergebnisse der Verbindungen 6, 7, 8, 9�, 9Li, 10�, 18M auf B3LYP/6-31G(d,p)a) Niveau.

q p(π) PAB %C1

No. C1 N2 N3 N4 C1 N2 N3 N4 C1-N2 C1-N3 C1-N4 σ(C1-N2) σ(C1-N3) σ(C1-N4) π(C1-N3) π(C1-N2)

6 0.562 �0.902 �0.548 �0.413 0.998 � 1.278 1.582 1.08 1.51 1.16 59.72 41.62 36.25 40.21 �7 0.664 �0.842 �0.383 �0.383 0.936 1.757b) 1.568 1.568 1.22 1.24 1.24 40.93 38.29 38.29 25.48 �

8 0.606 �0.845 �0.451 �0.433 0.947 1.464 1.657 1.646 1.66 1.07 1.08 43.25 37.00 37.17 � 33.459� 0.435 �0.805 �0.531 �0.531 1.016 1.149 1.665 1.665 2.27 0.82 0.82 43.59 35.08 35.08 � 46.729Li 0.591 �1.234 �0.450 �0.450 0.939 1.425 1.648 1.648 1.77 1.02 1.02 42.68 36.43 36.43 � 34.5710� 0.658 �1.073 �0.431 �0.421 0.919 1.515 1.427 1.427 1.55 1.09 1.10 41.31 37.02 37.16 � 29.5518M 0.640 �0.743 �0.381 �0.381 0.929 1.397 1.560 1.561 1.36 1.17 1.16 42.23 37.35 37.33 24.56 �

a) Für Ti wurde ein Pseudopotential mit einer (/441/2111/41) Valenzbase benutztb) Die Berechnung erfolgte mit einer erzwungenen planaren Struktur der C1-NH2 Gruppe.

6, 7 und 8 durchgeführt. Die Abbildung 1 zeigt die berech-neten Strukturen der Moleküle die in sehr guter Überein-stimmung mit experimentellen Werten sind [15]. In der Ta-belle 1 sind die wichtigsten Ergebnisse der NBO-Analyse[9] aufgeführt.

Aus den NBO-Daten von 1,3-Dimethyl-2-Iminoimidazo-lin (8)wird ersichtlich, dass die im Schema 1 gezeigte Lewis-struktur 3a ein wesentlich höheres Gewicht als 3b hat. DieBindungsordnungen PAB weisen auf einen partiellen Dop-pelbindungscharakter der exozyklischen C1-N2 Bindung hin(1.66), während die endozyklischen C1-N3-und C1-N4-Bin-dungen als Einfachbindungen (1.08) aufzufassen sind. DieC1-N2-π-Bindung ist in Richtung zum elektronegativerenN-Atom hin polarisiert (33.5 % sind am C-Atom). Auchdie C1-N2-σ-Bindung ist zum N-Atom hin polarisiert. Dieatomaren Partialladungen betragen �0.606 (C1) und�0.845 (N2). Die NBO-Werte für das durch Protonierungvon 8 zugängliche Y-konjugierte Kation 7 (Table 1) ergebendass die endozyklischen C1-N3-und C1-N4-Bindungen in 7in etwa den gleichen π-Bindungsanteil wie die exozyklischeC1-N2-Bindung haben. Die berechneten Bindungsordnun-gen haben für alle Bindungen fast gleiche Werte von 1.22 �1.24. Wir möchten auf die ausserordentlich hohe berechneteProtonenaffinität (PA) von 8 aufmerksam machen. Dertheoretische Wert auf B3LYP/6-31G(d,p)-Niveau beträgt253.4 kcal/mol. Dies ist ein noch höherer Wert als für Gua-nidin! Der theoretische B3LYP/6-31G(d,p)-Wert für dieProtonenaffinität von Guanidin beträgt nur 244.2 kcal/mol.

Methylierung und Silylierung von 1,3-Dimethyl-2-iminoimidazolin

Amine und Imine werden durch Metallierung in eine reakti-vere Form überführt. Im Falle von 8 (ImHN) werden dieAlkalimetall-Derivate ImNM (9, M � Li, Na, K) durchUmsetzung mit LiMe, NaH, KH oder KMe als farblose,luftempfindliche Feststoffe vermutlich polymeren Aufbauserhalten [13, 18, 19]. Lösliche Verbindungen sind durch Zu-gabe von Kronenethern zugänglich; die Kristallstrukturun-tersuchung von [K(18-Krone-6)][ImN] ist derzeit in Arbeit[20].

Die Struktur des aus 8 und Bu2Mg erhältlichen(ImN)2Mg ist, obwohl mäßig löslich in Acetonitril, bislang

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Schema 3

unbekannt [21]. Ein in organischen Lösungsmitteln sehr gutlösliches Reagens zum Iminoimidazolin-Transfer ist durchUmsetzung von 8 mit Chlortrimethylsilan bequem zugäng-lich [15]; die Silylverbindung 10 kann durch Vakuumdestil-lation gereinigt werden und reagiert rasch mit polaren Mo-lekülverbindungen.

Die Chemische Bindung in 2-Imidoimidazolinen

Wir haben auch die Strukturen und die Bindungsverhält-nisse des 2-Imidoimidazolin- Anions 9� und des Lithium-derivates 9Li mit B3LYP/6-31G(d) berechnet. Die berechne-ten Geometrien der Moleküle sind in der Abbildung 2 ge-zeigt, während die NBO-Ergebnisse in der Tabelle 1 zu fin-den sind.

Die Berechnungen ergeben einen recht kurzen C1-N2-Ab-stand (1.224 A) für das freie Anion 9�, während die C1-N3-und C1-N4-Abstände (1.518 A) im Bereich von Einfach-bin-dungen sind. Die berechneten Bindungsordnungen korrelie-ren recht gut mit den Bindungslängen. Der PAB-Wert fürdie C1-N2-Bindung (2.27) deutet auf eine partielle Dreifach-bindung hin, die auf Beiträge des in der Ebene liegenden π-Orbitals zurückzuführen ist. Wir möchten darauf hinwei-sen, dass die nicht in der Ebene liegende π-Bindung nurgeringfügig zum N-Atom hin polarisiert ist (46.7 % am C1).Die Bindungsordnungen der endozyklischen C1-N3- undC1-N4-Bindungen (0.82) deuten auf Einfachbindungen hin.Nach den Berechnungen ist der fünfgliedrige Ring von 9�

nicht ganz planar, was mit der sterischen Abstoßung zwi-schen den Wasserstoffatomen der Methylgruppen und demN2-Atom erklärt werden kann. Von Beachtung ist die be-rechnete Besetzung des p(π)-Orbitals von N2 in 9� (1.149),die deutlich geringer ist als in 8 (1.464, Tabelle 1). Demnachhat die C1-N2-Bindung von 9� einen wesentlich schwäche-ren Ylid-Charakter als 8.

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Abb. 2 Berechnete Strukturen von 9�, 9Li, 10�. Bindungslängen inA, Winkel in Grad.

Die berechnete Struktur und die Ergebnisse der NBO-Analyse von 9Li zeigen, dass die Bindungsverhältnisse derzyklischen Einheit des Lithiumderivats des 2-Imidoimida-zolins sehr ähnlich sind wie im Molekül 8. Der größte Un-terschied besteht in der Partialladung am StickstoffatomN2, das in 9Li eine wesentlich höhere negative Ladung hat(�1.234 e) als in 8 (�0.845 e). Die C1-N2-Li-Gruppe in 9Liist linear, während die C1-N2-H-Gruppe in 8 gewinkelt ist.In 9Li ist die C1-N2-Bindung kürzer und die C1-N3/4-Bin-dungen sind länger als in 8. Wir möchten darauf hinweisen,dass 9Li eine Modellverbindung ist, die nicht direkt mit derexperimentellen Struktur des echten Lithiumderivats vergli-

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Schema 4

chen werden kann, da letztere eine polymere Struktur auf-weist.

Wir haben auch das Silylderivat 10� berechnet, das alsModellverbindung für 10 angesehen werden kann. Die Er-gebnisse sind in der Abbildung 2 und in Tabelle 1 gezeigt.Die Silylgruppe hat nur einen geringen Einfluss auf dieRingstruktur der Stammverbindung 8. Die exozyklische C1-N2-Bindung von 10� ist etwas kürzer als in 8 und das N-Atom der ersteren Verbindung trägt eine höhere negativeLadung als im letzteren Molekül.

Die Struktur von [Li12O2Cl2(ImN)8]

Die ungewöhnlichen Koordinationseigenschaften des An-ions ImN� (9�) hinsichtlich seiner Befähigung zur Verbrü-ckung von Metallzentren werden in der Struktur der Käfig-verbindung [Li12O2Cl2(ImN)8 (THF)4] (11) sichtbar. 11wurde durch Umsetzung von 8 mit MeLi in Tetrahydrofu-ran in Gegenwart von Luft erhalten [18]. Organolithium-Verbindungen lassen sich in ein System von Ring-, Käfig-und Leiterstrukturen einordnen [22]. Die zentrosymmetri-sche Struktur von 11 enthält ein Li4N2O2-Leiterfragment,in dem das zentrale O2

2�-Ion an zwei Lithium-Zentren ge-bunden ist. Die zwei benachbarten Li4ClN3-Schichten sindmit der zentralen Li4N2O2-Einheit über LiO- und LiN-Kontakte verbunden. Der Käfig enthält Imidoimidazolin-Liganden, die mit 3 und 4 Li-Zentren verknüpft sind. DieLiN-Abstände [1.953(6) � 2.183(6) A] weisen eine hoheSchwankungsbreite auf. Die exozyklischen CN-Bindungen[1.260(4) � 1.263(4)] sind gegenüber 8 deutlich verkürzt.Beispiele für Metallamid- und Metallimid-Strukturen desStickstoffs höherer Koordinationszahl als vier sind selten[23]; dies unterstreicht die zuvor diskutierte hohe Ladungs-dichte am Imid-Stickstoffatom in 9�.

Iminoimidazolyl-Phosphane

Die grundsätzliche Befähigung des Iminoimidazolyl-Substi-tuenten zur Übertragung von π-Elektronendichte auf andas Imin-Stickstoffatom gebundene elektrophile Zentrenmacht diese funktionelle Gruppe zu einem interessantenBindungspartner in der Chemie des Phosphors. Die Umset-zung der Silylverbindung 10 mit PCl3 führt zum Dichlor-phosphan 12, für das zunächst eine PN-π-Wechselwirkung

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Schema 5

auf Grund der ungewöhnlich kurzen PN-Bindung [1.579(2)A] wie auch der relativen Orientierung der Fragmente CNPund N2CN (Interplanarwinkel 85.5°) diskutiert wurde [24].Die PCl-Bindungen sind gegenüber dem Erwartungsbereichmerklich aufgeweitet [2.207(1) bzw. 2.151(1) A], und diePNCl-Winkel [106.85(7) bzw. 104.16(8)°] zu Lasten desClPCl-Winkels [93.49(3)°] vergrößert (vgl. [25]). Tatsächlichbelegen jedoch MO-Berechnungen (s.u.) den dominierendenEinfluß der Partialladungen auf die relative Verkürzung desPN-Abstandes. Die exozyklische CN-Bindung [1.341(3) A]ist gegenüber 8 gleichfalls deutlich aufgeweitet.

Durch Reaktion von 12 mit AlCl3 wird eine ionische Ver-bindung offensichtlich dimeren Aufbaus gebildet. Derschrittweise Austausch der Chlorosubstituenten in 12 er-folgt am besten durch Umsetzung mit den zuvor erwähnenAlkalimetall-Imidazoliden [26]. Offensichtlich liegt 13 inpolymerer Form vor. Als Folge der hohen Ladungsdichtean den exozyklischen Stickstoffatomen weist 14 stark nu-kleophile Eigenschaften auf, die Gegenstand laufender Un-tersuchungen sind [27].

Struktur und Chemische Bindung in Iminoimidazolyl-Phosphanen

In der Abbildung 3 sind zwei Konformationen 12i und 12iides Iminoimidazolin-phosphans 12 gezeigt, die sich bei derGeometrieoptimierung als zwei energetisch nahezu entar-tete Minima ergaben. Das Isomer 12i ist <0.1 kcal/molniedriger in der Energie als 12ii. Der geringe Energieunter-schied ist ein starkes Argument gegen einen signifikantenAnteil der π-Bindung an der N-P Bindung von 12, da in12i die C1-N2-π-Bindung orthogonal zum einsamen Elek-tronenpaar am Phosphor steht. Auch die berechneten Bin-dungsordnungen sind ein Indiz gegen eine N-P π-Bindung.Die PN-P Werte für 12i (1.10) und 12ii (1.11) entsprecheneiner Einfachbindung. In diesem Zusammenhang ist derWert PN-P � 0.95 für die Referenzverbindung H2N-PCl2von Bedeutung. Die etwas größeren Bindungsordnungen in12i und 12ii sind eher auf die kürzeren P-N2 Bindungslän-gen als auf π-Bindungsbeiträge zurückzuführen. Die rechtkurze P-N-Bindung in 12 kann mit der starken Ladungsan-

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ziehung zwischen dem negativ geladenen Stickstoffatomund dem positiv geladenen Phosphor erklärt werden (Ta-belle 2). Die Bindungssituation im Molekül 12 wird also ambesten durch die Lewisstruktur 12a wiedergegeben (Schema5). Dieser Befund wird auch durch die in der Tabelle 2 ge-zeigten NBO-Werte unterstützt. Die NBO-Analyse ergibteine partielle C1-N2-Doppelbindung in 12i (PAB � 1.34)und 12ii (PAB � 1.30) sowie einsame Elektronenpaare anden Stickstoffatomen N3 und N4. Die C1-N2-π-Bindung istjedoch eindeutig zum Stickstoffatom hin polarisiert(24.6 %C1 in 12i und 20.6 %C1 in 12ii).

Die Abbildung 3 zeigt auch die berechneten Strukturenvon (ImN)2PCl (13Cl) und (ImN)2P� (13�). Die Strukturdieser Moleküle konnte nur mit theoretischen Methodenuntersucht werden, da sie in kondensierter Phase nur in po-lymerer Form existieren. Die berechneten Bindungslängenzeigen, dass in 13Cl die P-N2 Bindung wesentlich längerund die C1-N2-Bindung deutlich kürzer ist als in 12i und12ii. Das Kation 13� hat etwas längere P-N2- und C1-N2-Bindungen als in 12i und 12ii. Die N2-P-N2�-Gruppe in 13�

bleibt deutlich gewinkelt. Der Bindungswinkel in 13�

(131.3°) ist etwas größer als in 13Cl (120.5°).

Iminoimidazolyl-Derivate des Aluminiums und Titans

Oligomere Aluminiumamide und -imide mit Ring- und Kä-figstruktur sind in großer Zahl bekannt geworden [28]. Ele-ment-Zentren mit Elektronenmangel sollten eine π-Bin-dungsverstärkung der EN-Bindung begünstigen und des-halb hier die Stabilisierung einer AlN-Mehrfachbindung er-möglichen. 10 reagiert bereits bei 0 °C mit AlCl3 unter fastquantitativer Bildung des Addukts 15. Dessen Stabilitätüberrascht angesichts der geringen Basizität silylierterAmine und Imine. Erst oberhalb 180 °C eliminiert 15Chlortrimethylsilan. Der trimere Charakter des hierbei ge-bildeten Alans 16 bestätigt wiederum die Dominanz vonOligomeren gegenüber einkernigen Einheiten in der Chemieder Amidoalane. Die Struktur von [(ImN)AlCl2]3 beruhtauf einem gewellten Sechsring in Boot-Form [21]. ImVergleich mit der Struktur des dimeren Ketimids[Al(NCPh2)3]2 [29] sind die endozyklischen AlN-Abständein 16 [1.829(3)-1.849(2) A] deutlich verkürzt. Die hinsicht-lich des Imidazolin-Ringes exozyklischen CN-Abstände[1.354(4) � 1.362(4) A] entsprechen Einfachbindungen.

In ähnlicher Weise reagiert 10 mit TiCl4 zum zweikerni-gen Titankomplex 17. Die Kristallstrukturanalyse ergibt fürdie Ti2N2-Einheit einen planaren Vierring, dessen Ebenenahezu senkrecht zu den Ebenen der Fünfringe angeordnetist. Die hierdurch erzwungene Reduktion der Bindungsord-nung für die bezüglich des Imidazolin-Fragments exozykli-schen CN-Bindungen entspricht einer deutlichen Aufwei-tung [1.318(4) A]. Die TiN-Abstände [1.958(2), 1.962(2) A]sind gegenüber dem Erwartungswert der Einfachbindungverkürzt, liegen jedoch deutlich außerhalb des Bereichs derTiN-Doppelbindung [30].

Mit Acetonitril erfolgt Ringspaltung zum einkernigenKomplex 18, in dem das nahezu lineare Fragment CImNTi

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Abb. 3 Berechnete Strukturen von 12i, 12ii, 13Cl, 13�, H2NPCl2.Bindungslängen in A, Winkel in Grad.

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[175.0(3)°] eine starke TiN-Wechselwirkung [1.741(2) A],offensichtlich in Richtung einer Doppelbindung [1.741(2)A], andeutet [31]. Angesichts der linearen Koordination desImin-Stickstoffatoms überrascht die im Bereich gewinkeltgebauter Imine (vgl. 8) gefundene exozyklische CN-Bin-dungslänge [1.318(4) A] [30].

Die Chemische Bindung in Iminoimidazolyl-Derivatendes Titans

Wir haben die Bindungssituation in dem TiCl3-Komplex18M mit theoretischen Methoden untersucht mit der Frage-stellung, ob der Acetonitril-Ligand einen signifikanten Ein-fluss auf die Struktur der Stammverbindung hat. Außerdemwollten wir das Ausmaß der Ti-N-π-Bindung in dem Mole-kül studieren. Die Abbildung 4 zeigt die berechnete Struk-tur von 18M. Die NBO-Daten sind in der Tabelle 1 gezeigt.

Die quantenchemischen Berechnungen ergeben für 18Meine lineare C1-N2-Ti-Anordnung wie in 18. Ein Vergleichder berechneten Bindungslängen und -winkel von 18M mitden experimentellen Werten von 18 zeigt eine sehr guteÜbereinstimmung. Das bedeutet, dass die oktaedrischeKoordination in 18 keinen signifikanten Einfluss aufdie ImN-Ti-Bindungssituation von 18M hat. Interessanter-weise ist die C1-N2-Bindung in 18M (1.307 A) länger alsin der Stammverbindung 8 (1.291 A), während die SiH3-substituierte Verbindung 10� (1.281 A) und die Lithiumver-bindung 9Li (1.266 A) kürzere Bindungen haben als in 8.Nach den berechneten Strukturen könnte die Ti-N2-Bin-dung einen merklichen Anteil von π-Bindung besitzen. Dieswird durch die berechnete Ti-N-Bindungsordnung bestä-tigt. Der berechnete Wert PTi-N � 1.27 zeigt eindeutig, dassdie Titan-Stickstoff-Bindung in 18M einen signifikantenAnteil einer d(Ti)-p(N)-π-Bindung besitzt. Allerdings istder Wert noch deutlich von einer echten Doppelbindungentfernt. Wir möchten erwähnen, dass die Bindungsord-nung für die C1-N2-Bindung von 18M (1.36) deutlich klei-ner ist als in 8 (1.66), obwohl erstere Verbindung eine li-neare C1-N2-X-Gruppierung (X � Ti) hat, während die C1-N2-X-Einheit (X � H) deutlich gewinkelt ist.

Alkylierung und Acylierung

Als Folge der hohen Nucleophilie von 8 sind N-Alkylimi-noimidazoline durch direkte Alkylierung nicht zugänglich;statt dessen werden die Dialkylaminoimidazolium-Katio-nen 19 erhalten. Auch die Umsetzung der Iodaddukte 20mit primären Aminen schlägt fehl, und 21 ist durch Reak-tion von 1 mit Methylazid nur in schlechten Ausbeuten er-hältlich.

Ein eher zufriedenstellendes Resultat wurde bei der Reak-tion von 8 mit Ethan-1,2-ditosylat beobachtet. Die isolier-bare Zwischenstufe 22 lässt sich mit Kaliumhydrid in gutenAusbeuten in das Bis(imino)ethan 23 überführen [32]. Inähnlicher Weise wird das Methoxy(imino)ethan 25 durchReaktion von 8 mit 2-Methoxyethyltosylat und nachfol-gende Deprotonierung von 24 erhalten [33].

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2-Iminoimidazoline � starke Stickstoffbasen als Koordinationspartner in der Anorganischen Chemie

Tabelle 2 NBO�Ergebnisse der Verbindungen 12i, 12ii, 13Cl, 13�, H2NPCl2 auf B3LYP/6�31G(d) Niveau.

q p(π) PAB %C1

No. C1 N2 N3 N4 P C1 N2 N3 N4 C1-N2 C1-N3 C1-N4 N2-P σ(C1-N2) σ(C1-N3) σ(C1-N4) π(C1-N3) π(C1-N2)

12i 0.663 �1.031 �0.391 �0.387 1.070 0.920 1.559 1.567 1.574 1.34 1.18 1.17 1.10 41.10 37.55 37.29 � 24.5712ii 0.665 �1.043 �0.384 �0.384 1.064 � � � � 1.30 1.19 1.19 1.11 41.49 37.22 37.22 � 20.5813Cl 0.648 �0.974 �0.417 �0.404 1.170 0.922 1.499 1.591 1.590 1.47 1.13 1.12 0.97 41.90 37.25 37.11 � 29.1613� 0.637 �0.952 �0.389 �0.371 1.163 0.911 1.464 1.497 1.489 1.33 1.17 1.19 1.18 41.60 37.34 37.44 25.86a) �H2NPCl2 �1.209 1.020 0.95

a) C1-N4

Schema 6

Schema 7

Abb. 4 Berechnete Strukturen von 18. Bindungslängen in A, Winkelin Grad.

Mit Acetylchlorid läßt sich 8 zur Acetylimino-Verbin-dung 26 umsetzen. Erwartungsgemäß belegen spektrosko-pische Daten die Verschiebung der π-Elektronendichte indas Acetylimino-Fragment gemäß der Grenzstruktur 27[34].

10 reagiert mit CSCl2 zum stabilen Thiocarbonylchlorid28, dessen Chemie wir derzeit untersuchen. Die π-Donorei-

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Schema 8

Schema 9

Schema 10

genschaften des Iminofragments werden durch die Bildungdes stabilen kationischen Thiocyanats 29 unterstrichen. Inähnlicher Weise reagiert das lithiierte Imidazolin 8 mitEt2NC(S)Cl zum Thioharnstoff-Derivat 30, dessen Kristall-strukturanalyse die π-Elektronendelokalisation durch ange-nähert äquidistante CN-Bindungen [1.340(7) � 1.358(7) A]

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Schema 11

sowie den Interplanarwinkel von 70.4° zwischen den Ebe-nen des Fünfrings und des C(S)N2-Fragments belegt [35].

Mit CS2 bildet 8 das stabile Addukt 31, das die bekannteBildung von Thioketonen bei der Umsetzung von Ketimi-nen mit CS2 modelliert. Offensichtlich erlaubt die herausge-hobene Basizität von 8 die Durchführung der Reaktion beischonenden Bedingungen und gestattet so die Isolierungder Zwischenstufe. 31 lässt sich durch 8 zum Imidazolium-Salz 32 deprotonieren [36]. Dessen Kaliumsalz 33 wird di-rekt durch die Umsetzung des Kaliumimidazolids (9) mitCS2 erhalten. Die interessante Struktur enthält doppeltdurch Dithioformimidat-Liganden verbrückte K2-Hantelnmit ungewöhnlich kurzen intermetallischen Abständen[3.607(3) � 3.623(6) A]. Ihre Iminstickstoff-Atome ver-knüpfen hierbei die K2S4-Käfige mit den Nachbareinheitendurch KN-Wechselwirkung [2.765(9) � 2.772(11) A] undunterstreichen somit deren hohe Ladungsdichte. Ein Ver-gleich der exozyklischen CN-Abstände zeigt den des Guani-din-Fragments [1.369(16) A] gegenüber dem des Dithiocar-biminat-Teils [1.289(10) A] deutlich aufgeweitet [37].

Koordination von 2-Iminoimidazolinen anMetallzentren

2-Iminoimidazoline weisen, wie zuvor diskutiert, starkbasische Eigenschaften auf und sind deshalb auch als Neu-tralliganden zur Koordination an Metallzentren befähigt.Im Gegensatz zu tertiären Phosphanen sind sie nicht oxida-tionsempfindlich; deshalb wecken ihre Metallkomplexe imHinblick auf Fragestellungen der Katalyse Interesse.

Als einzigen strukturanalytisch charakterisierten Kom-pex des Neutralliganden ImNH (8) können wir die Magne-sium-Verbindung 34 vorstellen [21]. Die NC-Abstände derIminofunktion [2.051(2) � 2.063(2) A] sind gegenüber 8 nurgeringfügig aufgeweitet und zeigen ersichtlich keine Ein-flußnahme einer π-Bindungsverstärkung der MgN-Bindun-gen [2.051(2) � 2.063(2) A]. Offensichtlich sind die koordi-nierenden Stickstoffatome über Wasserstoffbindungen ver-knüpft.

Der bifunktionelle Iminligand 23 bildet den Palladium-komplex 35, in dem die relative Orientierung der Imidazol-und CNPd-Fragmente eine π-Bindungsverstärkung derCN-Bindung ausschließt. Hinweise auf eine entsprechendeBeeinflussung der PdN-Bindung liegen erwartungsgemäßnicht vor [2.017(3), 2.028(3) A], jedoch ist auch hier gegen-über 8 eine deutliche Aufweitung der exozyklischen Imin-Bindung zu beobachten [1.330(5), 1.347(5) A]. Eines der ko-

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Schema 12

Schema 13

Schema 14

ordinierenden Stickstoffatome zeigt, vermutlich als Folgehoher Ladungsdichte, mit einer Winkelsumme von 344°deutlich pyramidalen Charakter [32].

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Schema 15

Schema 16

Im Hinblick auf die katalytischen Eigenschaften vonMetallkomplexen hemilabil koordinierender Liganden ha-ben wir uns für die Koordinationseigenschaften des bifunk-tionellen Imin-Liganden 25 interessiert. Dessen Reaktionmit (PhCN)2PdCl2 ergibt den Imin-Komplex 36, in dem dieLiganden jedoch ausschließlich monofunktionell, d.h. überdie Imin-Stickstoffatome, gebunden sind. In ähnlicherWeise wird der Rhodiumkomplex 37 aus 23 und[(COD)RhCl]2 erhalten, der gleichfalls monofunktionell ko-ordinierte Imin-Liganden enthält. 37 kann mittels NaSbF6

in den Chelatkomplex 38 überführt werden. In beidenKomplexen entsprechen die exozyklischen CN-Abstände[1.3323(18) bzw. 1.328(11) A] sowie die Bindungslängen derMetall-Stickstoff-Bindungen [2.0617(13) bzw. 2.130(9) A]den Werten des zuvor genannten Chelatkomplexes 35 [33].

Der Acetylimino-Ligand 26 bildet mit CuI den überra-schend stabilen tetranuklearen Komplex 39. Hierin bestätigtder kurze CN-Abstand des exozyklischen NCO-Fragments[1.346(14) A] in Verbindung mit der einer Einfachbindungentsprechenden CO-Bindungslänge [1.31(2) A] den Azaeno-lat-Charakter des Liganden als Folge seiner ausgeprägtenElektronendelokalisation. Der CuN-Abstand ist mit

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2.019(10) A gegenüber den entsprechenden Werten der zu-vor genannten Komplexe deutlich verkürzt [34].

Schlußbemerkung

Unsere Ergebnisse bestätigen die erwartet hohe negativePartialladung am exozyklischen Stickstoffatom in 8 und sei-nen N-alkylierten Derivaten durch Polarisierung der σ- undπ-Bindung. Allerdings bestätigen MO-Berechnungen einennennenswerten Doppelbindungsanteil der Imin-Bindung.Durch Koordination an Metallzentren (34�39) wird derenBindungsordnung deutlich herabgesetzt, wie sich auch ausder Aufhebung der Koplanarität der Fünfring- und CNE-Fragmente ergibt.

Das durch Deprotonierung von 8 zugängliche Anion 9weist bei vergleichbarer Partialladung am exozyklischenStickstoffatom Merkmale einer CN-Dreifachbindung auf.Die Anbindung an elektrophile Zentren (10, 12) führt unterHerabsetzung der Bindungsordnung zu einer weiteren Er-höhung der Ladungsdichte am Imin-Stickstoffatom, welchedie NE-Bindung durch elektrostatische Interaktion ver-stärkt. Nur im Falle energetisch günstiger leerer Orbitale(18 sowie 19�33) vermag E im Sinne einer π-Bindungsver-stärkung hiervon zu profitieren.

Als weitere Möglichkeit des Ladungsabbaus an N beob-achten wir die Ausbildung von Stickstoff-Brücken in mehr-kernigen Komplexen (16, 17), die sehr effizient zur Aufrich-tung der exozyklischen CN-Doppelbindung führt. Die sel-tene µ3-Verbrückung konnten wir jedoch bislang nur in ei-ner durch elektrostatische Wechselwirkungen dominiertenKäfigverbindung (11) beobachten.

Offenkundig ist der π-Elektronendruck von 8 und 9 zurStabilisierung einkerniger Komplexverbindungen niedrigerKoordinationszahl nicht ausreichend. Zur Vermeidung derunerwünschten Oligomerisierung arbeiten wir derzeit ander Synthese sterisch überfrachteter 2-Iminoimidazolineund ihrer Koordination. Über unsere Ergebnisse wollen wirdemnächst berichten.

Wir danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die imRahmen des Schwerpunktprogramms „Nitridobrücken zwischenÜbergangsmetallen und Hauptgruppen-Elementen“ erfolgte För-derung dieser Arbeit.

Literatur

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[3] N. Kuhn, G. Henkel, Th. Kratz, Chem. Ber. 1993, 126, 2047.[4] N. Kuhn, R. Fawzi, Th. Kratz, M. Steimann, G. Henkel, Pho-

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[8] Gaussian 98: Frisch, M. J.; Trucks, G. W.; Schlegel, H. B.;Scuseria, G. E.; Robb, M. A.; Cheeseman, J. R.; Zakrzewski,V. G.; Montgomery, J. A.; Stratmann, R. E.; Burant, J. C.;Dapprich, S.; Milliam, J. M.; Daniels, A. D.; Kudin, K. N.;Strain, M. C.; Farkas, O.; Tomasi, J.; Barone, V.; Cossi, M.;Cammi, R.; Mennucci, B.; Pomelli, C.; Adamo, C.; Clifford,S.; Ochterski, J.; Petersson, G. A.; Ayala, P. Y.; Cui, Q.; Moro-kuma, K.; Malick, D. K.; Rabuck, A. D.; Raghavachari, K.;Foresman, J. B.; Cioslowski, J.; Ortiz, J. V.; Stefanov, B. B.;Liu, G.; Liashenko, A.; Piskorz, P.; Komaromi, I.; Gomberts,R.; Martin, R. L.; Fox, D. J.; Keith, T. A.; Al-Laham, M. A.;Peng, C. Y.; Nanayakkara, A.; Gonzalez, C.; Challacombe,M.; Gill, P. M. W.; Johnson, B. G.; Chen, W.; Wong, M. W.;Andres, J. L.; Head-Gordon, M.; Replogle, E. S.; Pople, J. A.Gaussian Inc., Pittsburgh, PA 1998.

[9] A. E. Reed, L. A. Curtiss, F. Weinhold, Chem. Rev. 1988, 88,899.

[10] N. Kuhn, M. Göhner, G. Frenking, Yu Chen, Physical Organo-metallic Chemistry Volume 3, Unusual Structures and PhysicalProperties in Organometallic Chemistry (M. Gielen, R. Willem,B. Wrackmeyer, Hrsg.), S. 336, John Wiley & Sons, TheAtrium West Sussex (UK), 2002.

[11] Vgl. z. B. H. Quast, S. Hünig, Chem. Ber. 1968, 101, 435.[12] Vgl. z. B. J. Münchenberg, O. Böge, A. K. Fischer, P. G. Jones,

R. Schmutzler, Phosphorus, Sulfur and Silicon 1994, 86, 103; J.Münchenberg, A. K. Fischer, J. Thönnessen, P. G. Jones, R.Schmutzler, J. Organomet. Chem. 1997, 529, 361; J. V. Plack,Münchenberg, H. Thönnessen, P. G. Jones, R. Schmutzler,Eur. J. Inorg. Chem. 1998, 865 und dort zitierte Literatur.

[13] N. Kuhn, J. Wiethoff, unveröffentlichte Ergebnisse.[14] N. Kuhn, Th. Kratz, unveröffentlichte Ergebnisse.[15] N. Kuhn, R. Fawzi, M. Steimann, J. Wiethoff, D. Bläser, R.

Boese, Z. Naturforsch. 1995, 50b, 1779.[16] A. W. Johnson, Ylides and Imines of Phosphorus, John Wiley &

Sons, New York, 1993; O. I. Kolodiazhnyi, Phosphorus Ylides,Wiley-VCH, Weinheim, 1999.

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[17] N. Kuhn, J. Fahl, R. Fawzi, M. Steimann, Z. Kristallogr. NCS1998, 213, 434.

[18] N. Kuhn, U. Abram, C. Maichle-Mößmer, J. Wiethoff, Z. An-org. Allg. Chem. 1997, 623, 1121.

[19] N. Kuhn, R. Fawzi, M. Steimann, J. Wiethoff, G. Henkel, Z.Anorg. Allg. Chem. 1997, 623, 1577.

[20] Zur Strukturchemie von Alkalimetall-Phosphaniminaten vgl.S. Chitsaz, B. Neumüller, K. Dehnicke, Z. Anorg. Allg. Chem.1999, 625, 9.

[21] N. Kuhn, R. Fawzi, M. Steimann, J. Wiethoff, Z. Anorg. Allg.Chem. 1997, 623, 554.

[22] Übersicht: R. E. Mulvey, Chem. Soc. Rev. 1991, 20, 167; A.M. Sapse, P. von R. Schleyer, Lithium Chemistry, John WileySons, New York 1994; M. A. Beswick, D. S. Wright, Compre-hensive Organometallic Chemistry II (G. Wilkinson, Ed.), Vol.1, p. 1, Elsevier, Oxford 1995.

[23] Vgl. hierzu. H. Nöth, H. Sachdev, M. Schmidt, H. Schwenk,Chem. Ber. 1995, 128, 105.

[24] N. Kuhn, R. Fawzi, M. Steimann, J. Wiethoff, Chem. Ber.1996, 129, 479.

[25] A. E. Reed, P. von R. Schleyer, J. Am. Chem. Soc. 1990, 112,1434.

[26] N. Kuhn, H. Kotowski, J. Wiethoff, Phosphorus, Sulfur Silicon1998, 133, 237.

[27] Zur Chemie der Ketiminatophosphane vgl. Lit. 12 sowie A.Schmidpeter, W. Zeiß, Chem. Ber. 1971, 104, 1199; R. F. Swin-dell, D. P. Babb, T. J. Quellette, J. M. Shreeve, Inorg. Chem.1972, 11, 242; B. Hall, J. Keable, R. Snaith, K. Wade, J. Chem.Soc., Dalton Trans. 1978, 986.

[28] Vgl. G. H. Robinson (Hrsg.), Coordination Chemistry of Alu-minum, VCH, New York 1993.

[29] S. J. Bryan, W. Clegg, R. Snaith, K. Wade, E. H. Wong, J.Chem. Soc., Chem. Commun. 1987, 1223.

[30] N. Kuhn, R. Fawzi, M. Steimann, J. Wiethoff, Z. Anorg. Allg.Chem. 1997, 623, 769.

[31] Vgl. hierzu D. E. Wigley, Progress in Inorganic Chemistry1994, 42, 239.

[32] N. Kuhn, M. Grathwohl, M. Steimann, G. Henkel, Z. Natur-forsch. 1998, 53b, 997.

[33] N. Kuhn, M. Grathwohl, Ch. Nachtigal, Z. Naturforsch. 2001,56b, 704.

[34] N. Kuhn, R. Fawzi, M. Grathwohl, H. Kotowski, M. Stei-mann, Z. Anorg. Allg. Chem. 1998, 624, 1937.

[35] N. Kuhn, R. Fawzi, C. Maichle-Mößmer, M. Steimann, J.Wiethoff, Z. Naturforsch. 1997, 52b, 1055.

[36] N. Kuhn, R. Fawzi, M. Steimann, J. Wiethoff, Z. Naturforsch.1997, 52b, 609.

[37] N. Kuhn, R. Fawzi, M. Steimann, J. Wiethoff, G. Henkel, Z.Anorg. Allg. Chem. 1997, 623, 1577.