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20 Jahre Verein Liberdade ESCOLA UNIÃO COMUNITÁRIA Bericht Brasilien 2014 Frau Marlene Grieder unterrichtet seit vielen Jahren an den Schulen Wangen, vorallem das Fach Technisches Gestalten. Neben ihrer Unterrichtstätigkeit engagiert sie sich mit viel Herzblut für Projekte in Brasilien, weshalb wir Ihnen einen Einblick in ihre vergangene Reise nach Recife gewähren möchten. Entstehung der Schule Schon im Jahr 1988 war es ein Bedürfnis der Familien, im Armenviertel des Stadtteils sitio dos macacas, Recife, eine Primarschule einzurichten. Der erste Unterricht fand in Lehmhäusern der Mütter statt, bis immer mehr Kinder den Unterricht besuchten. Deshalb besetzten diese Frauen den alten Bahnhof, um die angewachsene Schar dort zu betreuen. Dies ohne jegliche Unterrichtshilfen wie Hefte oder Bücher. Gerechnet wurde mit Steinchen oder Bohnen und geschrieben auf den weissen Rändern alter Zeitungen. Schon damals war es wichtig, den Kindern eine kleine Speise abzugeben. Bis heute kommen die Schülerinnen und Schüler aus sehr bedürftigen Familien. Im 1990/91 konnte durch die Hilfe der deutschen Lehrerin Christiane Rothvoss und einer Gruppe deutscher Spenderinnen und Spender ein kleines Schulhaus gebaut werden. 1993, zwei Jahre später, waren keine Gelder mehr vorhanden, um die Schule weiterzuführen. Ich war damals vor Ort und konnte danach in der Schweiz bei Lehrerinnen und Lehrern im Kanton Solothurn innert drei Monaten 24'000 Franken sammeln, die ich im Sommer 1993 der Schule persönlich überbrachte der Weiterbestand der Schule war gesichert! Ich bemühte mich mit Vorträgen über das Projekt, weiterhin Spenden zu generieren und es gab eine Art SchneeballEffekt. In verschiedenen Schulen und Institutionen wurden bei Bazars, Adventsmärkten und anderen Anlässen Geld gesammelt. Der Spendenfluss in der Schweiz nahm ein Ausmass an, dass wir im Jahr 1994 den Verein Liberdade Schweiz gründeten. Bereits 20 Jahre stehen wir im Dienste der benachteiligten Kinder in Brasilien. Auch an der Schule wird Kontinuität gross geschrieben: Drei Pionierfrauen, die Lehrerinnen Eliane, Betania und Marieluce, unterrichten nach 25 Jahren noch heute an der Schule. Und dies mit Erfolg – unzählige Kinder lernten durch sie Rechnen, Schreiben und Lesen – wichtige Voraussetzungen für eine bessere Zukunft. Über 40 Kinder unserer Schule schafften bis heute den Übertritt an die Universität!

20 Jahre Verein Liberdade ESCOLA UNIÃO COMUNITÁRIARhythmus mit selbstgemachten Instrumenten lernen die Kinder freiwillig am Nachmittag in der Schule ‐ was wäre doch ein Fussballspiel

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Page 1: 20 Jahre Verein Liberdade ESCOLA UNIÃO COMUNITÁRIARhythmus mit selbstgemachten Instrumenten lernen die Kinder freiwillig am Nachmittag in der Schule ‐ was wäre doch ein Fussballspiel

20 Jahre Verein Liberdade ESCOLA UNIÃO COMUNITÁRIA   Bericht Brasilien 2014  Frau Marlene Grieder unterrichtet seit vielen Jahren an den Schulen Wangen, vorallem das Fach Technisches Gestalten. Neben ihrer Unterrichtstätigkeit engagiert sie sich mit viel Herzblut für Projekte in Brasilien, weshalb wir Ihnen einen Einblick in ihre vergangene Reise nach Recife gewähren möchten.  Entstehung  der Schule Schon im Jahr 1988 war es ein Bedürfnis der Familien, im Armenviertel des Stadtteils sitio dos macacas, Recife, eine Primarschule einzurichten. 

Der erste Unterricht fand in Lehmhäusern der Mütter statt, bis immer mehr Kinder den Unterricht besuchten. Deshalb besetzten diese Frauen den alten Bahnhof, um die angewachsene Schar dort zu betreuen. Dies ohne jegliche Unterrichtshilfen wie Hefte oder Bücher. Gerechnet wurde mit Steinchen oder Bohnen und geschrieben auf den 

weissen Rändern alter Zeitungen. Schon damals war es wichtig, den Kindern eine kleine Speise abzugeben. Bis heute kommen die Schülerinnen und Schüler aus sehr bedürftigen Familien.  Im 1990/91 konnte durch die Hilfe der deutschen Lehrerin Christiane Rothvoss und einer Gruppe deutscher Spenderinnen und Spender ein kleines Schulhaus gebaut werden. 1993, zwei Jahre später, waren keine Gelder mehr vorhanden, um die Schule weiterzuführen.  Ich war damals vor Ort und konnte danach in der Schweiz bei Lehrerinnen und Lehrern im Kanton Solothurn innert drei Monaten 24'000 Franken sammeln, die ich im Sommer 1993 der Schule persönlich überbrachte ‐ der Weiterbestand der Schule war gesichert!  Ich bemühte mich mit Vorträgen über das Projekt, weiterhin Spenden zu generieren und es gab eine Art Schneeball‐Effekt. In verschiedenen Schulen und Institutionen wurden bei Bazars, Adventsmärkten und anderen Anlässen Geld gesammelt. Der Spendenfluss in der Schweiz nahm ein Ausmass an, dass wir im Jahr 1994 den Verein Liberdade Schweiz gründeten. Bereits 20 Jahre stehen wir im Dienste der benachteiligten Kinder in Brasilien.  Auch an der Schule wird Kontinuität gross geschrieben: Drei Pionierfrauen, die Lehrerinnen Eliane, Betania und Marieluce, unterrichten nach 25 Jahren noch heute an der Schule. Und dies mit Erfolg – unzählige Kinder lernten durch sie Rechnen, Schreiben und Lesen – wichtige Voraussetzungen für eine bessere Zukunft. Über 40 Kinder unserer Schule schafften bis heute den Übertritt an die Universität! 

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Die Schule heute Seit 1993 reise ich jedes Jahr, teils für längere Zeit, nach Brasilien in die Schule im Armenviertel vom Stadtteil sitio dos macacas in Recife, wo über 4000 Menschen leben. Auch diesen Frühling habe ich meine zwei letzten Urlaubswochen in der Schule verbracht. Mit klopfendem Herzen bin ich in Brasilien angekommen und eine fröhliche Lehrerinnenschar hat mich empfangen. Am ersten Tag musste ich mich ausruhen, aber schon am nächsten Morgen stand ich in der Schule. Die Kinder freuten sich, mich wiederzusehen.  

Von der Schulleiterin Etiene erfuhr ich, dass der Schulbetrieb gut funktioniert. Die Kinder bekommen vor oder nach dem Unterricht täglich eine warme Mahlzeit und werden auch regelmässig gegen Würmer und andere Krankheiten geimpft. Im Jahresprogramm steht die Zahnuntersuchung und auch die Augen werden kontrolliert. Hier wäre anzumerken, dass wir dringend Brillengestelle für Kinder und Erwachsenen gebrauchen  können. (Meldung an Marlene Grieder)  Im Moment besuchen 177 Kinder im Alter von 5 bis 13 Jahren die Schule. Trotz kleineren Klassen ist es für die Lehrerinnen schwieriger geworden zu unterrichten. Es gibt viele Kinder im Unterricht, die ohne Vater oder Mutter leben. Die Bereitschaft zu streiten, hat sich 

erhöht. Noch mehr Menschen im Viertel nehmen Drogen, Alkohol und sind arbeitslos. Vergewaltigungen, Gewalt und Korruption im Land hätten zugenommen, erzählen mir die Lehrerinnen. Das grösste Problem sei die Bildung. Im Nord‐Osten Brasiliens gäbe es noch eine grosse Anzahl Analphabeten und qualifizierte Arbeitskräfte würden fehlen.  Schulgebäude ‐ Unterhaltskosten Durch die hohe Feuchtigkeit und Regenzeit bedingte Schäden am Schulgebäude machen uns zu schaffen. Verschiedene Reparaturen sind dringend zu erledigen: Das Eternitdach muss neu gedeckt werden. Es ist nicht mehr dicht und gefährlich. Kosten ca. 5000. — Die WC‐Anlagen müssen erneuert werden.               Kosten ca. 3000. — 4 Wasserspender müssen unbedingt gekauft und installiert werden.         Kosten ca.   800. — Die Schule sollte gestrichen werden.                 Kosten ca.   300. — Es gäbe noch allerlei aufzuzählen, was fehlt oder angeschafft werden müsste. Wir arbeiten nach Prioritäten, denn das Budget musste gestrafft werden, da die Gelder aus Deutschland seit diesem Jahr nicht mehr einfliessen. Der Schulbetrieb kostet im Jahr ca. 100`000 Franken. In diesem Betrag sind die Gehälter, Kranken‐und Rentenversicherungen, Kosten für Lebensmittel, Unterrichtsmaterial sowie kleinere Reparaturen und Renovierungen enthalten. Die Lehrerinnen erhalten den Lohn, welcher an staatlichen Schulen in Brasilien bezahlt wird.

Gegensätze Recife ist eine Stadt voller Gegensätze: An der boa viagem wachsen die Hochhäuser in den Himmel und die Armenviertel hinter den Hochhäusern wirken wie eine andere Welt. 

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Der Abfall ist ein Dauerthema in Recife. Der Abfallwagen kommt zwei Mal pro Woche am Hauptweg vorbei, jedoch bleiben viele Säcke liegen und werden danach angezündet. Über 4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählt Recife und davon leben immer noch 60% in Armut,  30% zählen zur Mittelschicht und 10% leben im Reichtum. Das Mindesteinkommen ist im Moment 724 Reals/289 Franken monatlich, das deckt die Grundbedürfnisse von vier Personen. 

 Fussball WM 2014 – auch hier Gegensätze Das neue Stadion „ITAIPAVA“ liegt nur ca. 8 Kilometer Luftlinie von unserer Schule entfernt! In der zweiten Woche besuchten wir das Fussballstadion 

„ITAIPAVA ARENA“! Ein architektonisch sehr schönes, neues Gebäude. Recife hat bereits drei Stadien und doch baute man für 5 WM‐Spiele diesen riesigen Neubau, der über 500 Millionen Reals gekostet hat.  

Auf dem Weg zum Stadion leben Menschen in Armut und Elend. Fussball spielen auf einem solch schönen Rasen wie im Stadion, bleibt für diese Menschen nur ein Traum!  Auf dem Lehmboden ohne Turnschuhe lässt es sich auch spielen.  Rhythmus mit selbstgemachten Instrumenten lernen die Kinder freiwillig 

am Nachmittag in der Schule ‐ was wäre doch ein Fussballspiel in Brasilien ohne Rhythmus!  Im Armenviertel haben die meisten Häuser nicht ausreichende, sanitäre Anlagen! Es gibt immer noch keine Kanalisation! Das Abwasser fliesst auf die Strassen oder läuft hinter den Häusern in offene Gräben ab. Die Menschen sind gezwungen, sich im verseuchten Wasser mit Abfall, Kot und Urin zu bewegen. Die Ratten freuen sich an Regentagen und haben Hochbetrieb. Die Behälter mit den Wasservorräten sind meistens nicht verschlossen, deshalb fürchten sich die Menschen vor dem Denguefieber, eine Infektionskrankheit, die von einer Mücke übertragen wird.  Im neuen Fussballstadion gibt es Sprudelbäder, Duschen, WC mit einer Kanalisation, Massagebetten und mehr.  

       

Die meisten Kinder im Viertel haben nicht einmal ein Kissen zum Liegen. So war die Freude auch dieses Jahr riesig, als ich mit 15 Kindern kleine Kissen nähen konnte.  Im Stadion warten Sitzplätze für 46000 Menschen.   

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Auch musste ich beim Besuch einiger Familien auf allen Vieren gehen, damit ich nicht rutschte; beim Stadion wartet ein blitzblanker Parkplatz auf die Fussballfans.   

Viele Menschen sind unterernährt. In der Schule bekommen die Kinder täglich eine Frucht, Suppe oder Brei und ein Mittagessen.  Im Stadion sind verschiedene schöne Restaurants eingebaut.  

Nainha 28J.: Sie ist geschieden, spielt freiwillig zwei Nachmittage in der Schule mit den Kindern Fussball auf unserem neuen gespendeten Sportplatz. Sie selber hat ein Haus oben auf dem Hügel am Hang. Wenn es regnet, hat sie immer 

Angst, das Haus könnte rutschen, und deshalb schläft sie mit den 3 Kindern in einem Bett. Die Wege hier, meint Nainha, sind nicht gut und gefährlich, die haben uns halt vergessen.  Auf dem Weg zum Stadion sind die Strassen saniert.  

Es hat geregnet. Ich bin einen Moment vor dem Haus von Nainha und die Sonne scheint schon wieder. Durch die Kokospalme am Hang wird die Schönheit der Natur sichtbar.  Nainha schenkt mir eine Avocado.   Die WM‐Tore 2014 im Stadion werden gespielt, es wird Gewinner und Verlierer geben.  

Meine Hoffnung ist, dass auch nicht begüterte Menschen beim „ Tor‐Schiessen“ mit von der Partie sind und nicht abseits stehen müssen.  

Liebe Leserinnen und Leser, Spenderinnen und Spender! Wir brauchen dringend eure Unterstützung, damit die einzige, gut funktionierende Schule im Armenviertel weiter bestehen kann. Auch in diesen 20 Jahren war es immer wieder erfreulich, dass sich neben den vielen Einzelspenden auch Schulen, Kirchgemeinden, Gemeinden, kleinere und grössere Gruppen und Vereine etc. einsetzten für das Schulprojekt.   

Für die Kinder der Schule konnte ich jedes Jahr hunderte von gespendeten Zahnbürsten der Wangner‐Schulkinder bringen. Auch dieses Jahr waren es wieder über 500 Bürsten, nach dem Motto: Jedes  Schulkind von Wangen bei Olten schenkt einem Kind in der Basisschule eine Zahnbürste.  Herzlichen Dank für diese Unterstützung.

 Im Namen der Kinder, der Lehrkräfte und unseres Vereinsvorstandes danke ich allen, die dieses Projekt 20 Jahre mitgetragen haben und weiterhin unterstützen.   

Herzliche Grüsse  Marlene Grieder