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Programm der Freien Demokratischen Partei „Wiesbadener Grundsätze. Für die liberale Bürgergesellschaft“ (Beschlossen auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden am 24. Mai 1997) _________________________ Quelle/Zitierweise: ADL, Druckschriftenbestand; Signatur D1-3505 Archiviert als PDF-Dokument; Signatur IN5-14

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Programm der Freien Demokratischen Partei

„Wiesbadener Grundsätze.

Für die liberale Bürgergesellschaft“

(Beschlossen auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden am 24. Mai 1997)

_________________________ Quelle/Zitierweise: ADL, Druckschriftenbestand; Signatur D1-3505 Archiviert als PDF-Dokument; Signatur IN5-14

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Vorwort

Deutschland befindet sich inmitten des Zeitalters der Globali­sierung, inmitten des qualitativen Sprunges von einer Indu­strienation zu einer Informationsgesellschaft. Dieser Zeiten­wechsel ist von ähnlicher Qualität wie der Wechsel von der Agrar- zur Industriegesellschaft, nur erfolgt er im erheblich schnelleren Tempo. Kapital, Arbeit, Information werden im­mer mobiler, nationale Grenzen verlieren an Bedeutung, die Gesellschaft wird immer differenzierter und komplexer, und der Staat verliert an Steuerungskompetenz. Sowohl die Über­forderung des Staates durch eine Gefälligkeitspolitik als auch der Kompetenzverlust des Staates durch die Informationsge­sellschaft weisen Staat und Gesellschaft neue Aufgaben zu. Das spüren und wissen immer mehr Bürgerinnen und Bürger.

Wie organisieren wir die Gesellschaft mit weniger Staat? Wie organisiert ein unfinanzierbar gewordener Staat, der im inter­nationalen Wettbewerb steht, soziale Gerechtigkeit in Zu­kunft? Wie werden die natürlichen wie auch die politischen und strukturellen Grundlagen der künftigen Generationen ge­schützt? Ist die Politik nicht tatsächlich derzeit viel stärker mit der jeweils nächsten Wahl und sehr viel weniger mit den Pro­blemen der jeweils nächsten Generation befaßt? Welche Prioritätensetzungen sind nötig, welche Richtung braucht Po­litik? Und wie werden dann Reformen durchgesetzt gegen die scheinbare Übermacht der Interessengruppen des Status quo und der politisch organisierten Veto-Organisationen ein­schließlich der Besitzstandsparteien?

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Die Wiesbadener Grundsätzen geben keine letzten Antwor­ten auf diese Fragen. Sie benennen aber klar die Richtung, in die sich unsere Gesellschaft bewegen muß: Weniger staatli­che Bevormundung, mehr Freiheit und Verantwortung für die Bürger.

Die verschiedenen Entwürfe zum neuen Grundsatzprogramm der F.D.P. bis hin zu den Wiesbadener Grundsätzen wurden mehr als 130 000 Mal verbreitet. Das ist die höchste Auflage, die seit den Freiburger Thesen von 1971 ein Programm der F.D.P. erlebt hat. Die Wertedebatte mit vielen gesellschaftli­chen Gruppen, mit Universitäten, mit den Kirchen, mit Ge­werkschaften und Arbeitgeberverbänden, nicht zuletzt zahl­reiche Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern - teilweise mit konkreten Änderungen des Programmes - sind in die Dis­kussion miteingegangen. Für das Grundsatzprogramm ist nicht nur das Ergebnis entscheidend, sondern auch der Weg dort hin. Denn eines ist aufgrund der großen Resonanz der Diskussion klar: Die Wertedebatte und die Zukunftsdebatte ist in der Gesellschaft in Deutschland bereits in vollem Gan­ge. Sie wird auch in der FD.P. mit der Verabschiedung der Wiesbadener Grundsätze nicht beendet. Eine Programmpar­tei besteht aus ihrem Programm und der ständigen Diskussi­on über ihr Programm.

Die Wiesbadener Grundsätze beschreiben das liberale Welt­bild, den liberalen Gesellschaftsentwurf und das liberale Le­bensgefühl. Sie sind Richtschnur für das aktuelle politische Handeln der Freien Demokraten. Doch ihre Wirkung wird dar­über hinaus reichen. Die FD.P. zeigt erneut die Richtung auf, in die sich unsere Gesellschaft bewegen muß. Karl Hermann Flach sagte in seiner Einbringungsrede zu den Freiburger Thesen 1971, was heute wieder gilt:

"Ich sage Ihnen voraus: Wenn die freie Gesellschaft in die­sem Land erhalten bleibt, dann wird die Lösung ihrer Proble­me ungefähr in der Richtung unserer Thesen erfolgen. Und dann werden sich eines Tages große politischen Parteien rühmen, diese Politik betrieben zu haben. Und unser Urhe­berrecht wird vergessen sein, weil wir bereits an neuen Pro­blemlösungen arbeiten. Das ist das Risiko, aber auch die Chance einer vorwärts denkenden Partei."

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Inhalt

Seite

Einleitung 2

Teil I

Die F.D.P. trägt Verantwortung für das, was war, was ist und für das, was wird 4

Teil 11

Vier Fundamente des modernen Liberalismus 9

1. Freiheit ist Verantwortung 9 2. Freiheit ist Vielfalt 11 3. Freiheit ist Fortschritt 13 4. Freiheit ist Zukunftsverträglichkeit 14

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I Teil 11I

Die liberale Bürgergesellschaft im demokratischen Bürgerstaat 16

Freiheit durch Teilhabe, Teilhabe durch Freiheit 16

Bürger sind Teilhaber der Gesellschaft: Die liberale Bürgergesellschaft 17

1. Wertefindung in der Bürgergesellschaft 17 2. Im Zweifel für die Eigeninitiative der Bürger 19

3. Im Zweifel für Selbstorganisation und Miteinander 20 4. Im Zweifel für die Gemeinde 21 5. Die offenene Bürgergesellschaft 22

Bürger sind Teilhaber der Wirtschaft: Die Soziale Marktwirtschaft 24

I 6. Arbeitnehmer als Teilhaber des Betriebes 24 7. Bürger in der Informationsgesellschaft 27 8. Forschung in Freiheit und Verantwortung 30I

Bürger sind Teilhaber des Staates: Der demokratische Bürgerstaat 32

9. Der demokratische Bürgerstaat 32 10. Der liberale Rechtsstaat 35 11. Der liberale Sozialstaat 36 12. Der liberale Kulturstaat 39 13. Teilhabe durch Bildung und Ausbildung 41I

Bürger sind Teilhaber der Weltgesellschaft 44I

14. Das Europa der Bürger 44 15. Die Bürgergesellschaft in der Weltverantwortung 46

Teil IV

Das Prinzip Verantwortung für die nächsten Generationen 49

1. Die Ökologische Marktwirtschaft 49 2. Der bescheidene Staat 51 3. Der neue Generationenvertrag 54 4. Die Generationenbilanz 58

..

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Einleitung

Der Liberalismus begann seinen historischen Weg als Phi­losophie der Freiheit und als politische Bewegung für die Rechte des Einzelnen. Die Willkürherrschaft des Absolutis­mus stand im Widerspr~ch zur Idee einer freiheitlichen Ge­sellschaft. Mit dem Verfassungsstaat hat der Liberalismus den Absolutismus überwunden.

Als erste politische Bewegung hat der Liberalismus dem einzelnen Bürger, seiner menschlichen Würde und seinen Menschenrechten der Freiheit und Gleichheit Vorrang vor der Macht des Staates eingeräumt. Schritt für Schritt ver­wirklichten Liberale den modernen Verfassungsstaat mit in­dividuellen Grundrechten, der freien Entfaltung der Persön­lichkeit, dem Schutz von Minderheiten, der Gewaltenteilung und der Rechtsbindung staatlicher Gewalt.

Der Liberalismus hat als Freiheitsbewegung nicht nur für die Gleichheit vor dem Gesetz gekämpft, sondern auch für Chancengleichheit in der Gesellschaft. Mit der Marktwirt­schaft und ihrer sozialen Verpflichtung hat der Liberalismus neue Chancen gegen Existenznot und konservative Erstar­rung der gesellschaftlichen Strukturen eröffnet.

Die liberale Verfassung unserer Bundesrepublik Deutsch­land hat mehr demokratische Stabilität, mehr allgemeinen Wohlstand, mehr soziale Gerechtigkeit und Rechtsstaat­lichkeit hervorgebracht, als dies je zuvor in der Geschichte der Fall gewesen ist. Und dennoch ist die Idee der Freiheit den schleichenden Gefahren der Gewöhnung und Gering­schätzung ausgesetzt. Weniger Teilhabe am demokrati­schen Staat, weniger Chancen für ein selbstbestimmtes Le­ben durch weniger Chancen auf einen sicheren

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Arbeitsplatz, Entmündigungen durch kollektive Zwangssy­steme und bevormundende Bürokratie sind neue Bedro­hungen der Freiheit.

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Teil I

Die F.D.P. trägt Verantwortung für das, was war, was ist und für das, 'was wird

Liberale haben nach 1945 der Idee der Freiheit zum erneu­ten Durchbruch verholfen. Die F.D.P. war stets der Motor für Reformen, wenn es um Richtungsentscheidungen zu­gunsten der Freiheit ging. Nur durch die F.D.P. konnte in den fünfziger Jahren die Soziale Marktwirtschaft gegen die Sozialdemokraten und Teile der Christdemokraten durch­gesetzt werden. Nur durch die F.D.P. konnte sich in den siebziger Jahren mehr Bürgerfreiheit gegen konservative Rechts- und Gesellschaftspolitik durchsetzen. Die Liberalen waren Vorreiter für die Demokratisierung und Liberalisie­rung der Gesellschaft, gegen obrigkeitsstaatliche Bevor­mundung und Engstirnigkeit. Unsere Politik der marktwirt­schaftlichen Erneuerung in den achtziger Jahren brachte neue Arbeitsplätze und mehr Wohlstand für mehr Bürger.

Ein großer Teil des Widerstands gegen das sozialistische Staatswesen erwuchs aus der Attraktivität des freiheitlich­liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Das in den europäischen Integrationsprozeß eingebettete, vereinte Deutschland ist das freiheitlichste unserer Geschichte. Die aus der Wiedervereinigung erwachsen Aufgaben liegen den Liberalen besonders am Herzen.

Nie war unser republikanisches Gemeinwesen insgesamt demokratischer organisiert, unser Wohlstandsniveau höher und unsere Gesellschaft aufgeklärter. Und doch können wir nicht so weitermachen wie bisher. Millionenfache

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Arbeitslosigkeit in Deutschland ist eine Gefahr für die Frei­heit. Deshalb ist die Überwindung der Arbeitslosigkeit die zentrale Frage der Zukunftsfähigkeit einer leistungsfähigen und solidarischen Gemeinschaft. Arbeitslosigkeit ist auch die Folge unterlassener Anpassungsprozesse in der Ver­gangenheit. Eine dauerhafte Überwindung der Arbeitslosig­keit erfordert eine fortlaufende Anpassung an sich ändern­de Bedingungen. Die meisten Menschen spüren, was die Experten längst wissen: Unser Land ist nicht hinreichend für die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte gerü­stet. Deutschland verliert dramatisch an Reformkraft, Wett­bewerbschancen und Zukunftsfähigkeit.

In Deutschland hat sich die Politik immer mehr daran orien­tiert, was bei den Betroffenen gut ankommt, was gefällt. Sie hat sich zur Gefälligkeitspolitik entwickelt. Die Politik hat den Menschen immer mehr Risiken abgenommen und je­des Problem für lösbar erklärt. Die Bürger haben ihrerseits der Politik immer mehr die Lösung der Probleme zugewie­sen. Die Überforderung des Staates ging einher mit der Un­terforderung der Bürger.

Bei der Gefälligkeitspolitik kommt es nicht mehr darauf an, ob eine Entscheidung gut oder schlecht ist, sondern nur noch darauf, ob sie ankommt oder nicht. Die Gefälligkeits­politiker bringen nicht mehr den Mut auf, auch Unpopuläres zu sagen: Unser Wohlstand der Gegenwart wird mit immer neuen Hypotheken auf die Zukunft finanziert. Mehr als 2000 Mrd. DM Staatsverschuldung sind ein Skandal unse­rer Gefälligkeitspolitik, der der nächsten Generation nicht länger zugemutet werden darf. Die gesetzlichen Sozialsy­steme sind derzeit Verträge zu Lasten künftiger Generatio­nen. Sie nehmen den Bürgern den Freiraum für eigenver­antwortliche Zukunftssicherung und sind schon heute kaum

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noch finanzierbar. Immer mehr Leistungsempfänger müs­sen durch immer weniger Beitragszahler mit immer höhe­ren Beitragssätzen finanziert werden. Eine Umweltpolitik, die sich letztendlich in staatlichen Ge- und Verboten er­schöpft, wird dem Schutz der natürlichen Lebensgrundla­gen im Interesse der n~chsten Generationen nicht gerecht.

Bei der Gefälligkeitspolitik geht der Mut zu Reformen verlo­ren. Besitzstände werden heiliggesprochen. Veränderun­gen werden als Bedrohung empfunden und von organisier­ten Interessengruppen bekämpft. Flankierung von Struktur­wandel wird zur Dauersubventionierung. Steuern, Abgaben und Regelungswut treiben Arbeitsplätze aus unserem Land. Gefälligkeitspolitik und Staatsbürokratie mit ihrer Subventions- und Vollkaskomentalität führt zu Strukturkon­servatismus und einem Mangel an bezahlbarer Arbeit, was wir heute dramatisch spüren. Dauerarbeitslosigkeit aber ge­fährdet die Lebenschancen künftiger Generationen. Un­durchschaubare SoziaJgesetze verteilen nach dem Gieß­kannenprinzip an alle etwas, aber immer weniger kommt bei den wirklich Bedürftigen an. Die Sozialstaatsklauseln in den Verfassungen werden als Blankovollmachten miß­braucht, um immer neue Ausgaben zu rechtfertigen. Solida­rität und Mitmenschlichkeit verkommen zur bürokratischen Dienstleistung. Verantwortung wird verstaatlicht, statt beim Einzelnen gestärkt zu werden.

Die Gefälligkeitspolitik trifft keine Vorsorge für Bedürftigkeit, sondern bedient die Bedürfnisse von Interessengruppen. Jede Berufsgruppe erhält eine Sondervergünstigung, jeder Wechselfall des Lebens wird mit einer staatlichen Versiche­rung versehen. Der Staat ist zu einer Agentur für die Bedie­nung von Klientelinteressen und die Versicherung privater Lebensrisiken geworden. Viele haben die von der Politik

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und mächtigen Interessengruppen geschaffene Illusion ei­ner Rundumbetreuung gerne geglaubt. Sie haben den Wettbewerb der Versprechungen mit ihrer Stimmabgabe honoriert. Die Erkenntnis wächst, daß die Gefälligkeitspoli­tik, die allen alles verspricht, unfinanzierbar geworden ist. Die Bürger spüren: Die Gefälligkeitspolitik kann nicht hal­ten, was sie verspricht. Der Bürokratiestaat bevormundet den Bürger. Der Steuerstaat enteignet Leistung und Chan­cen. Der Schuldenstaat vernichtet Zukunft.

Wer dem Staat immer mehr Aufgaben aufbürdet, nimmt Steuererhöhungen 'Und Verschuldung zur Finanzierung die­ser zusätzlichen Aufgaben in Kauf. Wer über steigende Steuern klagt, darf nicht gleichzeitig nach immer neuen Wohltaten rufen. Die Neigung der Politik, jedes Problem mit staatlichen Programmen lösen zu wollen, korrespondiert mit der Neigung vieler Bürger, immer mehr Ansprüche an den Staat zu stellen. Die Trennung zwischen Freiheit und Verantwortung - möglichst viele Rechte und Freiheiten beim Bürger und möglichst viele Pflichten und Verantwor­tung beim Staat - führt nicht nur zur Unfinanzierbarkeit un­seres Gemeinwesens, sondern zum Verlust von Freiheit­Iichkeit und Engagement in unserer Gesellschaft.

Die Gefälligkeitspolitik zeigt sich auch im Umgang mit den Bürgerrechten. Statt die Ursachen von Regelverstößen an­zugehen oder bestehende Gesetze durchzusetzen, werden Regeln symbolisch verschärft. In allen Parteien suchen so­zialdemokratische Konservative und konservative Sozialde­mokraten ihren politischen Erfolg in der Konkurrenz um die bessere Fortsetzung des falschen Weges. Eine politische Kraft ist notwendig, die unbeirrt durch den Zeitgeist die Din­ge beim Namen nennt und für ihren Weg wirbt: Für den Weg in die offene Bürgergesellschaft.

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Die offene Bürgergesellschaft erfordert nicht nur einen Strukturwandel in Ostdeutschland, sondern auch und gera­de in den alten Bundesländern. Die Lebenswege der Men­schen in den neuen Bundesländern sind dabei eine wert­volle Erfahrung.

Zur offenen Gesellschaft in einer pluralen Demokratie ge­hört der Irrtum und die Fähigkeit, Fehlentwicklungen zu kor­rigieren. Parteien mit Anspruch auf Unfehlbarkeit sind un­demokratisch. Auch wir haben zu oft mitgemacht bei der Gefälligkeitspolitik. Auch wir haben zu wenig Widerstand geleistet. Wir Liberalen stehen zu unserer Verantwortung

1II für das, was bisher war. Aber wir lassen uns nicht das Recht nehmen, für die Zukunft das Umdenken zu verlan­

Ili gen, das jetzt gefordert ist.

Wir Liberale setzen der Gefälligkeitspolitik die Verantwor­tungsgesellschaft entgegen.

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Teil 11

Vier Fundamente des modernen Liberalismus

Politik kann und darf nicht alles regeln. Sie muß das We­sentliche schützen: Die Spielregeln der offenen Bürgerge­sellschaft für eine Zukunft in Freiheit. Wo Liberale die Be­drohung der Freiheit sehen, definieren sie ihre politischen Ziele.

1. Freiheit ist Verantwortung

Liberalismus will die größtmögliche Freiheit des Einzel­nen. Die Freiheit des Einzelnen findet ihre Grenze an der Freiheit der anderen. Deshalb sind individuelle Frei­heit und Verantwortung für sich selbst untrennbar. Indi­viduelle Freiheit erfordert ebenso die Bereitschaft, Mit­verantwortung für andere zu übernehmen, durch den einzelnen Bürger, durch die freiwillige Kooperation von Bürgern, durch die Übernahme von Ehrenämtern inner­halb und außerhalb der Politik.

Je größer die Freiheit desto größer die Verantwortung. Verantwortung ist das ethische Fundament der freien Bürgergesellschaft. Das Prinzip "Freiheit durch Verant­wortung" begründet eine Bürgergesellschaft, in der Selbstorganisation und Mitmenschlichkeit das republi­kanische Gemeinwesen prägen. Die liberale Bürgerge­sellschaft fordert und fördert die Übernahme von Ver­antwortung durch den Einzelnen.

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Freiheit durch Verantwortung ersetzt die starre Rege­lungsdichte staatlicher Bürokratien und Großorganisa­tionen. Mehr Eigenverantwortung und Mitverantwor­tung der Bürger heißt weniger Staat. Nur dort, wo Ei­genverantwortung und Mitverantwortung das Lei­stungsvermögen der Bürger übersteigen, übertragen die Bürger Verantwortung auf ihren Staat.

Liberalismus will Freiheit zur Verantwortung anstatt Freiheit von Verantwortung. Freiheit ist nicht Egois­mus. Freiheit ist Verantwortung.

Am Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts ist die Illusion verbreitet, der Einzelne besitze die persönliche Freiheit, und der Staat trage die Verantwortung. Die Politik hat ein Trugbild gezeichnet, wonach der Staat Freiheit und Sicherheit in allen Lebenslagen garantieren könne, ohne daß die Menschen dafür selbst Verantwortung übernehmen müssen. Verantwortung wurde verstaatlicht. Solidarität ist zur staatlichen Dienstleistung verkommen. Die Trennung von Freiheit und Verantwortung macht aus Staatsbürgern Staatskunden. Die Verstaatlichung der Verantwortung ko­stet immer mehr persönliche Freiheit und mitmenschliche Zuwendung.

Mit den Staatsaufgaben wachsen zudem die Staatsausga­ben. Die staatlichen Eingriffe in die Leistungskraft und die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen gehen immer tiefer. Die Absicht, persönliche Verantwortung durch staatliche Agenturen für alle Lebensrisiken zu ersetzen, führt zur Überforderung des Staates. Sie macht ihn unfinanzierbar und verhindert die wirkungsvollere Eigenvorsorge. Gleich­zeitig kann der Staat seine Kernaufgaben immer schlechter erfüllen.

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Liberale treten für mehr Freiheit für mehr Menschen ein und wissen, daß sie damit mehr Verantwortungsbereitschaft verlangen. Liberalismus vertraut auf den Willen und die Fähigkeit des Menschen, in eigener Verantwortung zu ent­scheiden und zu handeln. Für jeden Einzelnen gibt es Si­tuationen, in denen er auf Hilfe angewiesen ist. Die Hilfe zur Selbsthilfe greift in die eigene Freiheit und Verantwor­tung am wenigsten ein. Sie ist daher die menschlichste und menschenwürdigste Form der Hilfe. Liberale setzen auf den mündigen Bürger, nicht auf den Vormundschaftsstaat mit Rundumbetreuung. Liberale muten den Bürgern mehr zu, weil sie ihnen mehr zutrauen.

2. Freiheit ist Vielfalt

Liberalismus will Menschlichkeit durch Vielfalt. Freiheit ist Vielfalt. Vielfalt in der Marktwirtschaft heißt Wettbe­werb. Vielfalt in der Gesellschaft heißt Toleranz. Die Dy­namik der Freiheit entfaltet sich gleichermaßen auf dem Markt der Ideen, Entwürfe und Lösungen, wie auf dem Markt der Interessen und Güter.

Gesellschaftliche und wirtschaftliche Freiheit sind un­teilbar. Gesellschaftliche Freiheit und wirtschaftliche Freiheit bedingen einander und fördern sich gegensei­tig. Marktwirtschaft braucht eine freiheitliche, vielfältige und tolerante Gesellschaft. Eine freiheitliche, vielfältige und tolerante Gesellschaft braucht Marktwirtschaft.

Liberale wollen anstatt einer Staatswirtschaft der be­sten sozialen und ökologischen Absichten die Markt­wirtschaft der besten sozialen und ökologischen Er­gebnisse. Nur mit Marktwirtschaft ist soziale Sicherheit

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auf hohem Niveau zu verwirklichen. Nur mit dem Markt der Ideen und dem Wettbewerb der Lösungen können wir die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten.

Eine freie und offene Gesellschaft ist nur mit Markt und Wettbewerb möglich. Liberale wollen Markt und Wett­bewerb in der Wirtschaft ebenso wie den Markt der Mei­nungen, den Wettbewerb der Ideen und die Vielfalt der Lebensformen in der Gesellschaft. Denn Freiheit ist Vielfalt.

Die F.D.P. als Partei des organisierten Liberalismus unter­scheidet sich durch ihr Bekenntnis zu Vernunft, Vielfalt und Wettbewerb von allen anderen Parteien, die Fortschritt durch Staatsgläubigkeit und Staatsinterventionismus errei­chen wollen. Individuelle Freiheit setzt Kreativität und per­sönliche Leistungsbereitschaft frei. Fortschritt gedeiht am besten in einer freien, offenen und pluralen Gesellschaft. Liberale treten dem Vorurteil entgegen, das wirtschaftliche Freiheit für rechts hält und gesellschaftliche Freiheit für links. Für Liberale verläuft die politische Grenze nicht zwi­schen rechts und links, sondern zwischen freiheitlich und autoritär.

Wettbewerb lebt von persönlicher Leistungsbereitschaft un­ter gleichen Regeln und fairen Chancen. Nur wenn Lei­stung sich für alle lohnt, kann die Gesellschaft chancenge­recht und sozial gestaltet werden. Freiheit ist ohne Lei­stungsbereitschaft nicht denkbar. Liberale wollen Lei­stungsbereitschaft freisetzen und zur Leistung befähigen. Leistungshemmnisse müssen in Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung beseitigt werden.

Die offene Bürgergesellschaft ist mit Minderheitendiskrimi­nierung oder der Ausgrenzung von Ausländern unverein­bar. Intoleranz ist ein Verstoß gegen die Menschlichkeit und erstickt die Vielfalt.

3. Freiheit ist Fortschritt

Das größere Risiko liegt heute nicht darin, das Beste­hende zu verändern, sondern darin, es nicht zu tun. Es gibt keine Zukunft ohne die Bereitschaft zur Verände­rung. Veränderung heißt Risiko. Wer alle Risiken aus­schließen will, zerstört auch alle Chancen. Das ist die größte aller Gefahren. Liberale bejahen den Fortschritt durch Vernunft. Eine Gesellschaft ohne Wagnis verliert die Fähigkeit, sich selbst zu korrigieren und neue Wege zu gehen.

Gegen alle Zukunftsangst setzen Liberale die Zuver­sicht, durch Wandel neue Möglichkeiten zu eröffnen. Gegen die rückwärtsgewandte Nostalgie der Moderni­sierungsverweigerer setzen Liberale auf die Chancen des Fortschritts. Gegen die Sehnsucht nach der einfa­chen, überschaubaren Gesellschaft in einer immer komplexeren Wirklichkeit setzen Liberale auf die Viel­falt der Chancen und Lebensstile. Denn Freiheit ist Fortschritt.

Alles ändert sich, nur nicht der Glaube, wir könnten alles beim alten belassen. Die Dynamik der Freiheit kann sich nur mit der Bereitschaft für Veränderungen entfalten. Nur die Dynamik der Freiheit in allen Bereichen von Gesell­schaft, Wirtschaft und Staat bietet die Chance für

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che Prinzip entgegen: "Was nicht verboten ist, ist erlaubt".

4. Freiheit ist Zukunftsverträglichkeit

Freiheit umfaßt auch die Freiheit jeder Generation, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Jede Generation ist jedoch verpflichtet, die Freiheitschancen der Nachge­borenen zu bewahren und nicht durch Verbindlichkei­ten und Verbrauch zu riskieren. Alle politischen Ent­scheidungen müssen deshalb einer Zukunftsverträg­lichkeitsprüfung unterworfen werden. Denn Freiheit ist Zukunftsverträglichkeit.

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Fortschritt. Veränderung ist kein Selbstzweck. Nur durch Vernunft wird Veränderung zu Fortschritt.~II

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I!I!' dung und Arbeit, Freizei! und Familie, Beruf und Alter, Staat ! 11' und Gesellschaft sind bereits deutlich erkennbar. Die Glo­

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balisierung als der Charakterzug des Wandels läßt durch ,li'l Internationalisierung des Wissens und Wirtschaftens die

i nationalen Grenzen hinter sich. Die Abschottung der Kul­I tur-, Wissens-, Bildungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmärkte

wird national und europäisch unmöglich.

Die Dynamik der Freiheit für den Fortschritt unserer Kultur wird durch einen Konservativismus bedroht, der Ruhe für II die erste Bürgerpflicht hält. Sie wird gleichermaßen durch

'1 ,111 einen Etatismus bedroht, der die Initiative für alle Verände­11;

rungen beim Staat monopolisieren will. Die Initiative für !'! "1' Veränderungen der Gesellschaft muß den Bürgern überlas­,II!!I'

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'I1'1 sen sein. Liberale setzen dem obrigkeitsstaatlichen Grund­' 11 satz "was nicht erlaubt ist, ist verboten" das rechtsstaatli­

Die jetzige Generation lebt auf Kosten der nächsten Gene­rationen. Die Gefälligkeitspolitik nimmt keine Rücksicht auf die Nachgeborenen. Die liberale Verantwortungsgesell­schaft dagegen schützt die Freiheitschancen der nächsten Generationen bei der Bewahrung der natürlichen Lebens­grundlagen ebenso wie bei den Staatsfinanzen oder Gene­rationenverträgen. Die Verantwortung einer Generation im Gebrauch ihrer Freiheit wächst in dem Maße, in dem ihre Entscheidungen die Freiheit der nächsten Generationen beeinträchtigen. Der Schutz der nächsten Generationen muß im Grundgesetz umfassend verankert werden.

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Teil 11I

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I]:' 1',1 Die liberale Bürgergesellschaft im demokratischen "

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'1IIi ,"'[1 Nicht der Staat gewährt den Bürgern Freiheit, sondern die !,II'1l

Bürger gewähren dem Staat Einschränkungen ihrer Freiheit.

Freiheit durch Teilhabe, Teilhabe durch Freiheit

Wer teil hat, hat auch Verantwortung. Kollektive Zwangssy­1111

steme ersticken Teilhabe und Verantwortung, staatliche Bü­1'1';''I I" rokratien schläfern sie ein. 1 1:

I') [1;1 In der liberalen Bürgergesellschaft entscheidet der einzelne Bürger aus eigener Initiative. Die liberale Bürgergesell­schaft ist eine Teilhabergesellschaft, weil sie nicht aus ver­ordneten Gemeinschaften besteht, sondern weil sich die Bürger aus eigener Initiative in freiwilligen Zusammen­schlüssen selbst organisieren. Der liberale Staat ist ein Bürgerstaat, weil die Bürger ihrem Staat bestimmte Aufga­ben übertragen und ihn selbst demokratisch organisieren. Die liberale Wirtschaftsordnung ist eine Wirtschaft von Teil­habern. Marktwirtschaft vermittelt Chancen auf Teilhabe. Wer nicht teilhaben kann, ist nicht frei. Umgekehrt setzt Teilhabe die Freiheit des Einzelnen voraus.

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Bürger sind Teilhaber der Gesellschaft: Die liberale Bürgergesellschaft

Liberale stellen einer Gesellschaft der Funktionäre eine Ge­sellschaft der Bürger entgegen: die liberale Bürgergesell­schaft. Weder die Staatskundengesellschaft noch die Funktionärsherrschaft sind mit dem liberalen Gesellschafts­modell vereinbar. Die liberale Gesellschaft ist eine Teil­habergesellschaft.

1. Wertefindung in der Bürgergesellschaft

Jeder Mensch hat das Recht, seine Lebensziele zu bestim­men, nach seinem Glück zu streben, seine Chancen zu su­chen, um seine Neigungen und Begabungen zu entwickeln - alleine oder in frei gewählten Gemeinschaften. Jeder hat ebenso das Recht, auf die Frage nach dem Sinn und den Werten des Lebens seine eigenen Antworten zu suchen. Er kann sie in den Kirchen, anderen Religionsgemeinschaften oder Weltanschauungsgemeinschaften finden. Grundlage der offenen Bürgergesellschaft ist darum die Freiheit des Gewissens, des Bekenntnisses und der Religion.

Die Liberalen wollen die Freiheit des Entscheidens wieder erlebbar machen. Es geht darum, die wirkliche, die erlebba­re Freiheit der Einzelnen als Verantwortliche für ihr persön­liches Glück zum Maß aller Politik zu machen. Je größer die Freiheit des Einzelnen wird, desto mehr wächst seine Verantwortung für die Gesellschaft. Bei der Findung der Werte und den verantwortungsbewußten Verhaltensweisen des Einzelnen setzen wir auf den mündigen Bürger.

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Eine durchgängige Befreiung der Gesellschaft aus der Zwangsjacke der Vernormung und Verregelung ist die ein­zige Chance, den Menschen die Freiheit wieder zu übereig­nen. Die Vielfalt persönlicher Entscheidungen, ihre tiefgrei­fende Unterschiedlichkeit sind nicht nur geduldet, sie sind gewollt. Nur durch verschiedene Lösungsversuche entsteht der Wettbewerb von Phantasie und Kreativität, den wir an­gesichts unserer komplexen Wirklichkeit überlebensnot­

wendig brauchen.

Die bisherigen Benachteiligungen von Frauen müssen be­seitigt werden. Die Bürgergesellschaft hat für Frauen und Männer gleichberechtigte Chancen zu gewährleisten. Hier­zu muß die Bürgergese1\schaft bessere Entfaltungsmöglich­keiten für Familien schaffen. Familienarbeit und Erwerbsar­beit verdienen die gleiche gesellschaftliche Anerkennung. Die F.D.P. unterstützt alle Maßnahmen, die es Frauen und Männern erleichtern, Familie und Beruf selbstbestimmt und sinnvoll zu verbinden. Die gleichgewichtige Repräsentanz von Frauen und Männern in allen Gremien der Gesellschaft

ist anzustreben.

Die Liberalen setzen zuerst auf freiwilliges Engagement aus Verantwortung für den anderen, auf freiwilligen Ver­zicht, auf Teilen statt Zuteilen. Nur wer über sein Leben selbst bestimmt, kann sich bewußt und frei für andere ein­setzen. Der notwendige Abbau des staatlichen Engage­ments und staatlicher Regulierung muß verbunden sein mit der Solidarität für diejenigen, die des Schutzes und der Hil­fe besonders bedürfen. Die Solidarität mit Schwächeren in der Gesellschaft ist eine Forderung des Liberalismus. Denn Freiheit bedeutet auch die Chance zur Wahrnehmung von Freiheit. Solche Chancen zu eröffnen, ist nicht nur Aufgabe des Staates - jeder Einzelne kann dazu beitragen. Diese

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Solidarität kann jeder im täglichen Leben zeigen. Wir müs­sen den Menschen die Möglichkeit zurückgeben, in diesem Sinne sozial zu handeln und in diesem Handeln auch einen Sinn ihres Lebens zu erfahren.

2. Im Zweifel für die Eigeninitiative der Bürger

Was der Bürger in eigener Verantwortung entscheiden kann, muß er auch entscheiden dürfen. In der liberalen Bürgergesellschaft ist es nicht die Aufgabe des Staates, die Bürger ihrer Probleme zu "enteignen". Die Bürger regeln ihre Angelegenheiten in Freiheit und Verantwortung selbst. Wo der Bürger staatliche Entscheidungen braucht, müssen diese so nah am Bürger wie möglich getroffen werden: Vorrang hat die Gemeinde, erst dann folgen das Land, der Bund und die Europäische Union. Die jeweils höhere Ent­scheidungsebene darf nur regeln, was die untere Ebene nicht besser regeln kann. Subsidiarität heißt für Liberale: Vorrang für die kleinere Einheit.

Ein freiheitliches Gemeinwesen lebt davon, daß die Bürger bereit sind, in freier Entscheidung Verantwortung für sich und für andere zu übernehmen. Freiwillige Übernahme von Verantwortung und Bürgersinn sind Zwang und dem bevor­mundenden Fürsorgestaat überlegen. Der Bürger kommt für Liberale vor der Institution.

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3. Im Zweifel für Selbstorganisation und Miteinander

Freiheit bedeutet nicht gesellschaftliche Vereinzelung, Ego­ismus und Bindungslosigkeit. Liberale treten dafür ein, daß Bindungen freiwillig und selbstbestimmt eingegangen werden.

Ehe und Familie sind tragende Verantwortungsgemein­schaften in der Bürgergesellschaft. Die Familie bedarf der besonderen Förderung, um die bisherigen Benachteili­gungen auszuräumen. Familienpolitische Leistungen sind keine sozialen Wohltaten, sondern eine Investition in unse­re Zukunft. Neben die traditionelle Ehe treten heute andere Formen des Zusammenlebens in neuen Verantwortungsge­meinschaften. Für Liberale sind alle Lebensgemeinschaften wertvoll, in denen Menschen Verantwortung füreinander übernehmen. Verantwortungsgemeinschaften dürfen nicht diskriminiert werden; rechtliche Benachteiligungen für neue Verantwortungsgemeinschaften müssen abgeschafft wer­den. Dazu gehört auch, daß Kinder in all diesen Verantwor­tungsgemeinschaften geschützt und besser gefördert wer­den. Der heutige Umgang mit Kindern bestimmt den Cha­rakter der Gesellschaft von morgen.

Liberale sind im Zweifel für die freiwillige Selbstorganisation der Bürger. Vereine, Genossenschaften, Stiftungen, Bür­gerinitiativen, Selbsthilfeorganisationen und andere freiwilli­ge Kooperationen haben bei der Wahrnehmung gemeinnüt­ziger Aufgaben in der Bürgergesellschaft Vorrang vor dem Staat. Private Initiativen, beispielsweise in der Kinderbe­treuung oder Altenpflege, müssen von Bürokratie und über­zogenen Regulierungen befreit werden.

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4. Im Zweifel für die Gemeinde

Wo die Handlungsfähigkeit freiwilliger Zusammenschlüsse von Bürgern nicht ausreicht, entscheiden sich Liberale für die Gemeinde. In der Gemeinde hat der Bürger die größte Nähe zum Problem und der Staat die größte Nähe zum Bürger.

In den Gemeinden können am besten Lösungen für die Probleme vor Ort gefunden werden. Der Bürger kann sich in der Gemeinde am wirkungsvollsten für Gemeinschafts­aufgaben engagieren. Die Bürger werden vom Bürgerbe­gehren bis zum Bürgerentscheid an politischen Entschei­dungen auf kommunaler Ebene beteiligt. Diese Kommunali­sierung der Politik führt zur "fußläufigen Demokratie" mit mehr Bürgerbeteiligung. Die ehrenamtliche Beteiligung der Bürger braucht öffentliche Anerkennung.

Gegen die Normierung der Lebensverhältnisse setzen libe­rale auf Vielfalt durch den Wettbewerb der Gemeinden in regionaler Verantwortung. Nur bei Vielfalt der kommunalen Angebote haben Bürger die Möglichkeit, nach ihren indivi­duellen Vorstellungen von Lebensqualität ihren Lebensmit­telpunkt zu wählen. Kommunale Selbstverwaltung bedeutet Freiraum für Entscheidungen der Kommunen. Deshalb ist mehr kommunale Autonomie erforderlich.

Eine Reform der Finanzverfassung ist zwingend notwendig, um aufgabengerechte Finanzstrukturen zu schaffen. Bund und Länder haben den Kommunen bei der Übertragung von Ausgaben und der Ausführung von Leistungsgesetzen die Mehrbelastungen der Aufwendungen auszugleichen. Dies führt auch zur gebotenen Selbstbeschränkung

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staatlicher und kommunaler Ebenen, zum Aufgabenabbau sowie zur Rückführung von Normen und Standards.

Dem demokratischen Grundsatz "von unten nach oben" muß das Prinzip der Finanzierung der eigenen Aufgaben folgen, z. B. durch eigene Hebesatzrechte.

5. Die offene Bürgergesellschaft

Die offene Bürgergesellschaft lebt von der Mitwirkung aller ­unabhängig von ihrer Abstammung und Herkunft. Gesell­schaftliche Abschottung gegen Menschen anderer Abstam­mung und Herkunft widerspricht der offenen Gesellschaft. Mitwirkungsrechte und Mitwirkungspflichten sind in der Bür­gergesellschaft nicht zuerst an die Staatsangehörigkeit ge­bunden. So soll z. B. das kommunale Wahlrecht nicht mehr von der Staatsangehörigkeit, sondern von der Gemeinde­zugehörigkeit abhängen: Nach fünf Jahren rechtmäßigem Aufenthalt in Deutschland sollen Ausländer das aktive und passive Wahlrecht in der Gemeinde erhalten.

Die Internationalisierung und Europäisierung der Gesell­schaft schreiten voran. Die Liberalen treten für eine Gesell­schaft ein, die offen ist für Zuwanderung und kulturelle Ein­flüsse von außen, die aber das Maß ihrer Offenheit selbst bestimmt und festen Regeln unterwirft. Wer als Zuwanderer in unser Land kommt, muß wissen, welche Perspektive ihn hier bis zu einer möglichen Einbürgerung erwartet.

In Deutschland leben zur Zeit mehr als 7 Mio. Ausländer. In Deutschland leben Menschen unterschiedlicher Herkunft und Abstammung. Wie Deutsche und Nicht-Deutsche mit­einander auskommen, wie Ausländer hier leben, welchen

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Rechtsstatus sie haben und wie Deutsche und Zuwanderer miteinander auskommen, ist von maßgeblicher Bedeutung für den Zusammenhalt, den inneren Frieden und die Tole­ranz in unserer Gesellschaft. Deutschland hat Zuwande­rung und braucht Zuwanderung. Ziel muß es sein, Zuwan­derer in unsere Gesellschaft zu integrieren, d. h. ein gleich­berechtigtes Zusammenleben von Deutschen und Zuwan­derern zu erreichen. Die liberale Bürgergesellschaft lädt zur Integration ein. Sie verlangt Bereitschaft zur Eingliederung, ohne jedoch eine gleichmachende Anpassung einzufor­dern. Liberale stehen für die Vielfalt der Lebensentwürfe, für den Dialog und für das Miteinander der Kulturen und Religionen in unserem Land, für die Möglichkeit individuel­ler Selbstverwirklichung innerhalb eines gemeinsamen Rahmens von Normen und Werten.

Systematische Einwanderungs- und Eingliederungspolitik brauchen eine gesetzliche Grundlage. Wir brauchen ein Zu­wanderungskontrollgesetz. Eine gesetzliche Grundlage schafft gesellschaftliche Akzeptanz und Verträglichkeit - für Einwanderungswillige und für die aufnehmende Gesell­schaft. Unser geltendes Staatsangehörigkeitsrecht wird der Internationalisierung der Gesellschaft nicht gerecht. Aus­ländern, deren Lebensmittelpunkt auf Dauer Deutschland ist, muß der Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft er­leichtert werden. Eine erfolgreiche Integration der Zuwan­derung setzt Integrationswillen, den Abbau diskriminieren­der Hürden und Eingliederungshilfen voraus. In Deutsch­land geborene Kinder von Zuwanderern erwerben ab der zweiten Generation mit der Geburt die deutsche Staatsan­gehörigkeit. Im übrigen wird nach einer fünfjährigen "Probe­zeit" ein unbefristetes Recht auf Aufenthalt, sofern dieser rechtmäßig ist, verliehen und die Einbürgerung angeboten.

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Am Ende einer zweiten, dreijährigen Zeitspanne steht der Rechtsanspruch auf Einbürgerung.

Bürger sind Teilhaber der Wirtschaft: Die Soziale Marktwirtschaft

Die Soziale Marktwirtschaft verbindet die Interessen der Einzelnen mit den Interessen aller. Die Soziale Marktwirt­schaft ist die Wirtschaftsordnung, in der sich Leistungs­bereitschaft am besten entfalten kann und die Grundlagen sozialer Gerechtigkeit erwirtschaftet werden. Die soziale Leistungsfähigkeit eines Landes folgt der ökonomischen Leistungsfähigkeit eines Landes.

Der bürokratischen Staatswirtschaft setzen Liberale die Soziale Marktwirtschaft entgegen. Bürokratische Ver­krustungen in Staat und Verbänden sowie die Globalisie­rung der Wirtschaft erfordern eine Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft. Nur mit mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Innovation und mehr Flexibilität erreichen wir mehr Chan­cen für eine deutliche Steigerung der Wirtschaftsleistung und für mehr Arbeitsplätze.

6. Arbeitnehmer als Teilhaber des Betriebes

Arbeit macht einen wesentlichen Teil des Lebens und un­serer Identität aus. Wer Teilhabe der Arbeitnehmer aus­schließlich als Mitbestimmung durch Funktionäre versteht, wird der Zukunft nicht gerecht. Mitarbeiter sollen zu Mitun­ternehmern werden. Dem Recht auf Privateigentum unse­rer marktwirtschaftlichen Grundordnung wird durch die ge­ringe Eigentumsquote in der Realität in vielen Bereichen

nicht entsprochen. Insbesondere bei der Beteiligung am Produktivvermögen liegen Zukunftschancen brach.

Die große Schere zwischen Brutto- und Nett%hn verhin­dert Eigentumserwerb und private Eigenvorsorge. Geringes Eigenkapital gefährdet Betriebe, und flächendeckende Tarifverträge nehmen den Spielraum für eine betriebsnahe Lohnfindung.

Mitarbeiterbeteiligungen am Produktivvermögen können dagegen Bündnisse für Arbeit in den Betrieben sein. Sie überwinden die Trennung von Arbeit und Kapital und ma­chen aus Arbeitnehmern Mitunternehmer, aus Lohnabhän­gigen Teilhaber. Mitarbeiter als Miteigentümer des Unter­nehmens haben mehr Einflußmöglichkeiten im Betrieb. Mitarbeiterbeteiligungen schaffen motivierte Beschäftigte und mehr Arbeitszeitsouveränität, die sich am Erfolg des Unternehmens ausrichtet. Sie unterstützen die private Altersvorsorge und lenken Kapital in die Betriebe, in denen Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen werden können.

Voraussetzung für eine wirksame Beteiligung am Produk­tivvermögen sind die Freiwilligkeit der Vereinbarung in den Betrieben und die Wahlfreiheit der Anlageform. Gesetzli­cher Zwang oder Zwang durch Flächentarifvereinbarungen für Mitarbeiterbeteiligungen werden den unterschiedlichen Möglichkeiten der einzelnen Betriebe nicht gerecht. Darum sind in den Flächentarifverträgen grundsätzlich Öffnungs­klausein für Mitarbeiterbeteiligungen, die Teile des Tarif­lohns ersetzen können, vorzusehen. Ob "Sparlohn statt Barlohn", Gewinnbeteiligung oder Investivlöhne - die jewei­ligen Formen der Mitarbeiterbeteiligungen sollen Vereinba­rungen zwischen Geschäftsführung und Belegschaft über­lassen bleiben.

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Die Übertragung von Unternehmensanteilen an die Arbeit­nehmer bei Nachlässen oder Schenkungen müssen völlig steuerfrei sein. Die Erbschaftsteuer entfällt, wenn das Un­ternehmen oder Teile davon an die Beschäftigten Mitarbei­ter übertragen wird. Denn diese gemeinnützige Beteiligung an Produktivvermögen i~t die private Alternative zu einer steuerlichen Nachlaßabgabe.

Der Staat muß den Spielraum von Arbeitnehmern und Unternehmern für Mitarbeiterbeteifigungen vergrößern. Zu hohe Steuern und Abgaben verzehren die Chancen der pri­vaten Vermögensbildung. Gerade angesichts schwindender Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Altersversicherung kommmt der privaten Vermögensbildung wachsende Be­deutung zu. Deswegen ist eine Netto-Entlastung bei Steu­ern und Abgaben Voraussetzung für eine breitere Streuung des Produktivvermögens.

Bestehende, erfolgreiche Modelle der Mitarbeiterbeteiligung bei Betrieben unterschiedlicher Größe weisen den Weg in eine liberale Wirtschaftsordnung von Teilhabern. Im Inter­esse von mehr Eigenverantwortung und mehr sozialer Sicherheit, im Interesse gesunder Betriebe und sicherer Ar­beitsplätze müssen Tarifpartner und Politik den Weg frei­machen für eine breitere Beteiligung der Bürger am Produktivvermögen.

Statt Volkseigentum wollen Liberale ein Volk von Eigentü­mern. Die Chance auf Eigentum motiviert zur Leistung, schafft soziale Sicherheit, fördert Verantwortungsbereit­schaft. Sie ist Voraussetzung für eine neue Wagniskultur und eine neue Kultur der Selbständigkeit. Weder Staats­wirtschaft noch Machtwirtschaft sind mit dem liberalen

Wirtschaftmodell vereinbar. Die liberale Wirtschaftsordnung ist eine Wirtschaft von Teilhabern.

7. Bürger in der Informationsgesellschaft

Die Informationsgesellschaft verändert die Art und Weise, wie wir leben, lernen und arbeiten. Die traditionelle Indu­striegesellschaft war gekennzeichnet durch Zentralität, Nor­mierung und Hierarchien. Die Informationsgesellschaft aber fordert Kreativität, Dezentralität, Partizipation, kleine Einhei­ten und persönliche, eigenverantwortliche Leistung. Damit entspricht die Informationsgesellschaft einerseits liberalen Vorstellungen, fordert aber andererseits gerade die Bürger heraus, sie liberal zu gestalten.

Die Informationsgesellschaft und die mit ihr verbundenen Technologien bieten neue Chancen, bergen aber auch neue Gefahren. So kann z. B. die Informationstechnologie die Menschen miteinander verbinden, sie aber auch von­einander trennen und vereinsamen. Multimedia kann infor­mieren, aber auch manipulieren. Die neue Mobilität birgt einerseits die Gefahr der Abwanderung von Arbeitsplätzen. Auf der anderen Seite wird Arbeit räumlich und zeitlich flexibler, eröffnen sich neue Beschäftigungsmöglichkeiten.

Von Tag zu Tag werden mehr Menschen als neue Teilneh­mer der Datennetze und Nutzer von Multimedia neue Be­wohner des "globalen Dorfes". Trotzdem haben viele Men­schen Angst vor den bevorstehenden Veränderungen. Nicht die Entwicklung neuer Technologien ist das größte Risiko, sondern der Verzicht darauf. Eine Gegenbewegung Fortschrittsunwilliger greift Ängste auf und verstärkt sie, um das Rad zurückzudrehen und Mauern gegen die

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I, munikationsinfrastruktur muß breit gefächert sein. Liberale wollen Vielfalt durch die Konkurrenz des offenen Marktes auch in der Informationsgesellschaft. Programmvielfalt und

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Veränderungen durch die Informationsgesellschaft zu bau­en. Egoistische Interessengruppen verteidigen ihre Macht­positionen gegen die sie bedrohende Transparenz in der Informationsgesellschaft. Der Wissensvorsprung der Funktionäre ist durch die freie und unbegrenzte Verfügbar­keit von Informationen gefährdet. Konservative aller politi­scher Richtungen verbreiten gleichzeitig eine neue Ent­fremdungstheorie über die mediale Gesellschaft von morgen.

Liberale sehen in der Informationsgesellschaft zu allererst Chancen für die einzelnen Bürger, das eigene Leben zu gestalten. Liberale vertrauen auch in der Informationsge­sellschaft auf die Fähigkeit des Menschen, sich der neuen Instrumente und Möglichkeiten in eigener Entscheidung und Verantwortung zu bedienen. Nicht die Nutzung der modernen Kommunikationsmittel ist das Risiko, sondern Beschränkungen des Zugangs mit einer ihr folgenden Ge­seIlschaftsspaltung in Wissende und Unwissende.

Ein Markt unbegrenzter Möglichkeiten für den Austausch über Wissen, Dienstleistungen und Meinungen ohne zeitli­che, räumliche und soziale Barrieren eröffnet den Bürgern neue Perspektiven bei Arbeit und Freizeit. Das Steuerungs­monopol des Staates dagegen nimmt in der Informations­gesellschaft mit der ihr eigenen Überwindung nationaler Grenzen ab. Persönliches und wirtschaftliches Handeln wird durch mehr Eigenverantwortung und Selbstkontrolle geprägt.

Der Zugang zu Informationen, Netzen und sonstiger Kom­

Meinungsvielfalt in den Medien sind nur durch Wettbewerb erreichbar, frei von Staatsmonopolen, privater Machtkon­zentration und undurchsichtigen Beteiligungsverhältnissen. Liberale wollen offene Systeme für Betreiber, Anbieter und Nutzer. Liberale wollen Multimedia, aber nicht die Herr­schaft von Medienmultis.

Die Verfügbarkeit von Informationen über alle räumlichen und zeitlichen Grenzen hinweg findet jedoch ihre Schran­ken im Schutz der persönlichen Daten. Der rechtliche Rah­men muß den Datenschutz gewährleisten, Urheberrechte, geistiges Eigentum und das Recht auf freien Informations­zugang schützen. Galt es in der Vergangenheit in erster Linie, die Privatsphäre des Bürgers vor Eingriffen des Staa­tes zu schützen, wird die Informationsgesellschaft eine neue Herausforderung bringen: Immer mehr persönliche Daten werden auch für nichtstaatliche Organisationen und Unternehmen sowie für Privatpersonen zugänglich. libera­le lehnen den gläsernen Bürger ab. Das gilt für den privaten wie staatlichen Zugriff auf persönliche Daten.

Für das Hochlohnland Deutschland sind die hochqualifizier­ten Arbeitsplätze in der Informationsindustrie eine Zukunfts­chance für mehr produktive Arbeitsplätze. Je schneller neue Technologien eingeführt werden, desto mehr Arbeits­\ plätze werden geschaffen.

r Telearbeit und wohnortnahe Telearbeitszentren verringern die räumliche Distanz zwischen Wohnen und Arbeiten oder heben sie auf. Telearbeit reduziert das Verkehrsaufkom­men und entlastet damit die Umwelt. Gleichzeitig erlaubt sie eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung. Beides verbessert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auch für

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Alleinerziehende. Ebenso eröffnen sich für Körperbehinder­te neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Die Anwendung neuer Technologien durchzieht alle wirt­schaftlichen Sektoren. Die Zukunft der Arbeit ist im industri­

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1 ellen Sektor genauso vom Einsatz neuer Technologien be­

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stimmt wie die neuen Dienstleistungen. I,

I In unserem Zeitalter ist die notwendige und prompt mögli­che Verarbeitung großer Informationsmengen kennzeich­I nend für die neue Qualität menschlicher Tätigkeit. Informa­tionsverarbeitung ist dabei nicht Selbstzweck, sondern Mit­tel zum Zweck.

Die Informationsgesellschaft wird nicht durch die Technolo­I, gie der Informationsverarbeitung und Kommunikation allein 1 geprägt, sondern durch ihre Bürger geformt. I

8. Forschung in Freiheit und Verantwortung

Technisches Wissen und seine Anwendung waren und sind die Grundlage der Industrialisierung der Welt. Technik wird die Grundlage nachhaltiger Entwicklung in die ökologische Marktwirtschaft sein. Gegen Technikfeindlichkeit setzen

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Liberale auf die Chancen des technologischen Fortschritts 11

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und den Einsatz moderner Technik. Die Verantwortung gegenüber künftigen Generationen erfordert unabhängige Forschung und Entwicklung und die Anwendung neuer Technologien. Sie sind unabdingbare Voraussetzung für die Sicherung des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandor­tes Deutschland.

Liberale Politik tritt für die Einhaltung der nach dem Grund­gesetz garantierten Freiheit von Wissenschaft und For­schung ein, unterstützt Grundlagenforschung auf breiter Basis. Die Grenzen von Forschung und Technologie wer­den durch die Würde des Menschen gesetzt.

Die politischen und administrativen Rahmenbedingungen sind so zu gestalten, daß die Ergebnisse von Forschung zügig in wirtschaftliche Produkte und Verfahren umgesetzt werden. Wichtiger als der Einsatz staatlicher Subventionen für Forschung und Entwicklung ist die Eröffnung besserer Chancen zur Anwendung und Nutzung der Forschungs­ergebnisse.

Entwicklungen, die im eigenen Land nachgefragt und ein­gesetzt werden, eröffnen und verbessern Exportchancen.

Die Sorge um die Umwelt bedeutet für uns nicht die Absa­ge an neue Technologien und eine entsprechende Infra­struktur. Eine moderne Infrastruktur bei Verkehr, Energie und Telekommunikation kann zur Verbesserung der ökolo­gischen Gesamtbilanz beitragen. Frühe und konsequente Anwendung neuer Technologien fördert den Rückgang des Ressourcenverbrauchs, schafft zukunftsfähige Arbeitsplät­ze und bereitet nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung den Boden. Nicht die Entwicklung neuer Technologien ist das größere Risiko, sondern der Verzicht darauf.

Nur auf dem Fundament zukunftsweisender technischer Entwicklungen können weitere Generationen in unserem Land die wirtschaftlichen Grundlagen ihres Lebens sichern.

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Bürger sind Teilhaber des Staates: Der demokratische Bürgerstaat

Weder der Obrigkeitsstaat noch die Zuschauerdemokratie sind mit dem liberalen Verständnis von Staat und Gesell­schaft vereinbar. Der liberale Staat ist ein Teilhaberstaat. Ein Staat ohne Bürgeroeteiligung ist kein liberaler Staat.

9. Der demokratische Bürgerstaat

Die Demokratie lebt von der Beteiligung der Bürger am Ge­schehen in Gesellschaft und Staat. Es ist gefährlich, wenn viele Bürger nicht mehr die Notwendigkeit sehen, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen.

Das Verhältnis von Bürger und Staat ist für Liberale ein Kernthema. Liberale wollen die persönliche Freiheit der ein­zelnen Bürger, ihren Chancen und ihrer Eigeninitiative ge­genüber der Macht des Staates stärken. Liberale wollen weniger Staat und weniger Bürokratie durch Dezentralisie­rung, Privatisierung und Abbau von Reglementierungen. Li­berale wollen die wachsende Macht von Parteien, Organi­sationen und Verbänden zurückdrängen, damit auch die In­teressen von nichtorganisierten Bürgern berücksichtigt wer­den. Der Staat darf nicht zu einem Instrument von über­mächtigen Interessenkartellen werden. Die Frage lautet deshalb nicht nur: "Wie schützen wir den Bürger vor dem Staat?", sondern auch: "Wie schützen wir den Bürger vor der Übermacht von Interessengruppen?"

Die Parteien haben in Staat und Gesellschaft eine Macht­position erreicht, die weit über das hinausreicht, was das Grundgesetz ihnen zuweist. Nach dem Grundgesetz sollen

die Parteien an der politischen Willensbildung der Bürger mitwirken, diese aber nicht ersetzen, Die Parteien sollen zwischen Gesellschaft und Staat vermitteln. Ihnen ist keine herrschende, sondern eine dienende Rolle zugedacht und zugewiesen. Aus der Mitwirkung der Parteien ist aber die Inbesitznahme von Staatsgewalt geworden.

Die F.D.P. will die Parteienmacht zugunsten von mehr Bür­germacht zurückdrängen. Nur so wird der Staat von einer Repräsentation der Parteien zu einer Repräsentation der Bürger.

Weniger Parteienwirtschaft bedeutet weniger Staatswirt­schaft. Weniger Staatswirtschaft bedeutet weniger Partei­enwirtschaft. Durch Entstaatlichung wird der Einfluß der Parteien zurückgedrängt. Damit verlieren auch zahlreiche Interessenorganisationen die Möglichkeit, den Staat zu in­strumentalisieren. Weniger Parteienwirtschaft bedeutet deshalb auch weniger Lobbyismus.

Unser republikanisches Gemeinwesen braucht die Aktivie­rung seiner Bürger. Die Aktivbürger wollen mehr Mitwir­kungsrechte. Die Frage des Stellenwertes unmittelbarer Bürgerbeteiligung stellt sich heute anders dar als zur Zeit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Die aus Furcht vor den Fehlentwicklungen der Weimarer Republik in unsere Demokratie eingebauten Sicherungen können reduziert werden. Ein solcher Lockerungsprozeß ist not­wendig, um dem wachsenden Wunsch der Bürger nach Mitentscheidung in einer individueller werdenden Gesell­schaft Rechnung zu tragen. Unserer individuellen Gesell­schaft muß ein bürgernaher Staat entsprechen.

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Liberale wollen die Bürgermitwirkung mit dem doppelten Ziel stärken: einerseits mehr Chancen für politische Mitwir­kung der Bürger, andererseits mehr Verantwortung in der aktiven Bürgergesellschaft. Wir wollen mehr Demokratie und Transparenz bei der Aufstellung von Kandidaten und eine Verbesserung de~ Auswahlverfahrens von Kandida­ten. Die Einflußmöglichkeit der Wähler auf die Reihenfolge der Listen muß ausgebaut werden. Im Wahlrecht muß auf allen Ebenen das Kumulieren (Anhäufung von Stimmen für einen Wahlvorschlag) und das Panaschieren (Abgabe der Stimme für Kandidaten verschiedener Parteien) eingeführt werden.

Der Bürger soll sich vor allem in seinem unmittelbaren Um­feld stärker an Entscheidungen beteiligen können. Dazu gehören die Direktwahl der Bürgermeister und Landräte in allen Bundesländern. Bürgerentscheid, Bürgerbegehren und Bürgerbefragung sind auf kommunaler und Länderebe­ne auszubauen. Die F.D.P. fordert die Volksinitiative auf Bundesebene, um dem Bürger mehr Einfluß auf die Be­handlung von wichtigen Themen im Bundestag zu geben.

Mehr Bürgerbeteiligung heißt für die F.D.P. auch mehr Mit­glieder- und Wählerbeteiligung in der Arbeit der politischen Parteien. Durch eine umfassende Erneuerung der Parteior­ganisation und der Gremienstruktur, des Kommunikations­systems und des Dienstleistungsangebots wollen Liberale vorangehen, damit Politik in Deutschland endlich stärker zur Sache der Bürger werden kann. Wir wollen aus der

.'1 Binnenorientierung mehr Bürgerorientierung machen, die Rechte der Mitglieder und Delegierten stärken, die Struktu­ren modernisieren. Wir wollen uns fit machen für effizien­tere politische Entscheidungen, organisatorisch frei

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machen für die eigentlich inhaltliche politische Arbeit und offener werden für Bürgermitwirkung.

10. Der liberale Rechtsstaat

Alle Menschen sind verschieden. In ihrer Menschenwürde und vor dem Gesetz hingegen sind alle Menschen gleich. Darum kommt es nicht nur auf die formale Rechtsgleich­heit, sondern auf die Chance zur gleichberechtigten Teil­nahme an der Gesellschaft an. Um die Freiheit der Wahl unterschiedlichster Lebensentwürfe zu schützen, bedarf es des Rechts als objektiver und gerechter Instanz. Die Frei­heit zu garantieren, heißt die Rechte von Minderheiten zu schützen. Denn erst mit der Setzung und Durchsetzung des Rechts, ohne Ansehen der Person, wird die Wahrung der Chancengleichheit möglich. Ausdruck dieses Staatsbildes ist der Rechtsstaat.

Der Staat ist nicht der Vormund der Bürger, sondern deren Instrument zur Sicherung der offenen Bürgergesellschaft. Deshalb gewährt nicht der Staat den Bürgern Freiheit, sondern die Bürger gewähren dem Staat Einschränkungen ihrer Freiheit zur Wahrung der gleichen Rechte aller. Gleichwohl bedarf der Staat für die Aufrechterhaltung und Ausweitung seiner Tätigkeit, deren Zeichen die Überregu­lierung ist, der steten Legitimation seitens der Bürger. Des­halb sind die liberalen Grundrechte als Ausdruck des Rechtsstaatsgedankens Abwehrrechte der Bürger gegen­über dem Staat, sowie der Minderheit gegenüber der Mehrheit.

Ausdruck des Rechtsstaates ist das demokratisch legiti­mierte, staatliche Gewaltmonopol. Es sichert den Anspruch

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der offenen Bürgergesellschaft auf ein gewaltloses Mitein­ander. Kriminalität ist ein Verstoß gegen Zivilisation. Die offene Bürgergesellschaft zeichnet sich durch Freiheit in Sicherheit und Freiheit durch Sicherheit aus. Die Grenze der Freiheitssicherung ist überschritten, wo die Ordnung zum Selbstzweck wird. Letzter Maßstab hierfür ist deswe­gen nicht Effizienz, sondern Rechtsstaatlichkeit.

Eine Gefahr für den Rechtsstaat stellen die Vollzugsdefizite dar. Vollzugsdefizite höhlen den Respekt vor dem Recht ebenso aus, wie sie das Rechtsbewußtsein untergraben. Recht muß deshalb durchgesetzt werden und durchgesetzt werden können.

11. Der liberale Sozialstaat

Jeder Mensch hat das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Freiheit braucht eine materielle Grundlage. Die li­beralen wissen, daß auch bei wachsendem Bürgersinn und wachsender Verantwortung für den nächsten eine staatli­che Absicherung des Existenzminimums notwendig ist. Dem dienen derzeit für die große Mehrheit der Bevölkerung die gesetzlichen Pflichtsysteme der beitragsfinanzierten Sozialversicherung, nachrangig die steuerfinanzierte Sozialhilfe.

Die Leistungen der Sozialversicherung sind heute grund­sätzlich lohnbezogen. Damit ist sie in besonderer Weise von der Entwicklung der Beschäftigung und der Löhne ab­hängig. Wegen der Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt und der demographischen Entwicklung muß gerade auch die Rentenversicherung ihre Leistungen den veränderten Ge­gebenheiten anpassen. Eine vollständige Absicherung des

Lebensstandards kann die Sozialversicherung künftig nicht mehr leisten; hier bedarf es ergänzender Vorsorge in Ei­genverantwortung. Bürgern, die sich nicht aus eigener Kraft absichern können, gewährleistet Steuerfinanzierung auch künftig das Existenzminimum.

Der liberale Sozialstaat konzentriert seine Hilfe wirksam auf die wirklich Bedürftigen. Der sozialdemokratische Wohl­fahrtsstaat verteilt an alle ein wenig.

Der Arbeit kommt für ein menschenwürdiges Leben nach wie vor eine zentrale Bedeutung zu. Mehr Freiheit für mehr Menschen heißt heute vor allem Arbeitsplätze für mehr Menschen. Nicht Umverteilung ist die Maxime liberaler Poli­tik, sondern Einschluß derer, die ausgeschlossen sind. Arbeitsplätze zu schaffen ist deshalb die wichtigste soziale Leistung.

Arbeit ist unverzichtbare Grundlage für eigenverantwortli­che Vorsorge und Kapitalbildung. Dauerarbeitslosigkeit ge­fährdet ähnlich wie unzureichende Umweltvorsorge die Le­benschancen künftiger Generationen und den sozialen Frieden heute.

Für die Überwindung der hohen Arbeitslosigkeit im Niedrig­lohnbereich und für ein durchschaubares soziales Netz leistet das von den Liberalen geforderte Bürgergeldsystem einen entscheidenden Beitrag. Das Bürgergeldsystem führt Einkommensbesteuerung und steuerfinanzierte Soziallei­stungen zu einer einfachen Gesamtordnung zusammen. Wo heute nach unterschiedlichen Kriterien insgesamt 153 Sozialleistungen von 37 verschiedenen Sozialbürokratien gewährt werden, verrechnet im Bürgergeldsystem das

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Das heutige Transfersystem wird den Anforderungen an Gerechtigkeit, Leistungsförderung und Effizienz nicht mehr gerecht. Es orientiert sich vorrangig an den Wünschen ein­flußreicher Interessensgruppen, während für die wirklich Bedürftigen immer weniger übrigbleibt. Die Perfektionierung

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Finanzamt die steuerfinanzierten Sozialleistungen auf nachvollziehbare Weise mit der Einkommensbesteuerung. Nur eine Behörde - das Finanzamt - zahlt zielgenauer an die sozial Schwachen ein Bürgergeld ("Negativsteuer") oder zieht die Steuer nach der Leistungsfähigkeit des Bür­gers ein.

Als Anreiz für die Aufnahme regulärer Erwerbsarbeit wird vom Arbeitseinkommen nur ein Teil für den Bürgergeldan­spruch angerechnet. So lohnt sich Arbeit dann auch im Niedriglohnbereich, wo produktivitätsorientierte Entlohnung nicht einmal das Existenzminimum sichern würde.

Auf dem Weg in die Informations- und Dienstleistungsge­sellschaft gibt es neue Chancen für mehr Arbeit. Im Niedriglohnbereich wird es aber immer wichtiger, daß die Lücke geschlossen wird zwischen Löhnen, die für Betriebe ohne Gefährdung von Arbeitsplätzen bezahlbar sind, und ausreichenden Löhnen für ein eigenverantwortliches Le­ben. Ohne eine solche Brücke durch das Bürgergeldsystem würde weiter steigende Niedriglohnarbeitslosigkeit unser Gesellschaftssystem insgesamt erschüttern.

Die solidarische Hilfe der Gesellschaft soll - wo immer mög­lich - die Rückkehr in die Arbeitswelt zum Ziel haben. Nicht Daueralimentation ist das Ziel, sondern die Befähigung zu einem ausreichenden Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit.

der Sozialbürokratie mit ihrer Regelungsdichte im Detail, die vielfach mit dem guten Willen geschaffen wurde, Ge­rechtigkeit für möglichst viele Einzelfälle zu schaffen, erzeugt wegen ihrer zunehmenden Undurchschaubarkeit neue Ungerechtigkeiten.

Das reformierte System führt durch größere Transparenz und Chancen für eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu mehr sozialer Gerechtigkeit, sichert die menschwürdige Existenz finanziell, schafft Anreize für Erwerbsarbeit, baut Bürokratie ab und sorgt für Effizienz beim Sozialtransfer. Das Bürgergeld ist deshalb das Kernstück des liberalen Sozialstaats.

Die besondere Qualität des liberalen Sozialstaates zeigt sich in seinem Umgang mit behinderten Menschen. Diese sollen soweit wie möglich in die Gesellschaft integriert wer­den; das gilt gerade auch beim Besuch von Kindergärten, Schulen und Einrichtungen der beruflichen Bildung. Die In­tegration muß mit einer Förderung verbunden werden, die behinderten Menschen die Chance gibt, ihre Talente frei zu entfalten, damit sie gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können und sie so in die Lage versetzt, ihren ganz speziellen Beitrag für die offene Bürgergesell­schaft zu leisten.

12. Der liberale Kulturstaat

Kultur hat für die Liberalen eine besondere Bedeutung, weil die kulturellen Grundlagen einer Gemeinschaft auch die Basis für alle Verständigungen sind. Kultur bedarf zu ihrer Erhaltung der Pflege und zu ihrer Weiterentwicklung der Förderung. Zusätzliches politisches Gewicht erhält

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Kulturarbeit durch die Tatsache, daß in einer modernen De­mokratie wie der unseren die traditionellen Werte immer weniger für alle Bürger die gleiche Verbindlichkeit besitzen. Liberale Kulturpolitik hat daher das Ziel, ein geistiges Klima zu schaffen, in dem kulturelle Vielfalt vom Bürger als Berei­cherung erfahren wird, die er produktiv nutzen kann.

"Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei" (Grundgesetz, Art. 5). Zur Sicherung dieser Freiheit gehört nach liberaler Auffassung auch die Verpflichtung des Staa­tes, seinen Bürgern den Zugang zu kulturellen Einrichtun­gen zu ermöglichen. Museen und Bibliotheken, Universitä­ten, Akademien und andere Bildungseinrichtungen, kultu­relle Veranstaltungen, Ausstellungen und Aufführungen sol­len den Menschen nicht nur zur Unterhaltung oder Beleh­rung dienen, sondern ihnen bei der Orientierung in einer oft

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schung von seiten des Staates, Bevorzugung oder Benach­teiligung, verstanden. Offenheit und Toleranz sollen an die Stelle von Gängelung und Reglementierung treten.

Im Zentrum kultureller Entwicklung und Erneuerung stehen die Künste. Kunst schuf seit jeher die Voraussetzung dafür, daß Zeiterscheinungen durch Formgebung überhaupt faß­bar und damit auch bürgerlich diskutierbar und politisch entscheidbar wurden. Wir Liberale zählen auch gesell­schaftspolitisch auf die vitale, formsuchende Dynamik der Kunst, weil wir in ihr eine zu Kommunikation quer durch alle Gruppen und Lager anregende Wirkung erkennen - gerade auch dort, wo sie im Einzelfall noch umstritten sein mag. Kunst vertritt das humane Element der Kultur, damit die Zi­vilisation sich nicht in Technokratie und organisatorischen

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Optimierungen erschöpft. Die Künste fördern heißt deshalb politisch auch, langfristig in die Konsensfähigkeit einer plu­ralistischen Gesellschaft investieren.

Liberale Kulturpolitik fördert daher freie Zusammenschlüs­se, Selbstverwaltungsfonds und unabhängige Stiftungen im Kulturbereich. Die steuerliche Anerkennung von Hinterlas­senschaften und Schenkungen zugunsten der gemeinnützi­gen Förderung kultureller Initiativen wird einen kreativen Schub bewirken. Ein neues Stiftungsrecht soll zudem kulturelle Freiheit mit kultureller Förderung verbinden und beide sichern.

Die Liberalen wissen, daß die Frage, was Kunst sei, immer umstritten war, am meisten unter den Künstlern selbst. Wir wissen aber auch, daß dieser Streit zu den besten Traditio­nen unserer Kultur gehört. Wir wollen den verschiedenen kreativen Kräften Raum zu ihrer Entfaltung geben, denn es entspricht unserer liberalen Überzeugung, daß nur so die besten Möglichkeiten des Menschen entdeckt werden und zum Zuge kommen können.

13. Teilhabe durch Bildung und Ausbildung

Die liberale Bürgergesellschaft braucht Bildung und Ausbil­dung als elementare Voraussetzung für Freiheit, Toleranz und Leistungsfähigkeit. Bildung schafft das ethische Gerüst für die Bürgergesellschaft. Bildung und Ausbildung sollen zu Unabhängigkeit und Selbstbewußtsein erziehen und die Bereitschaft fördern, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Bildung ist Voraussetzung für eine stabile Demokratie. Orientierungsfähigkeit in einer komplexen Welt, soziale Tugenden, Kenntnisse und Fertigkeiten sind

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die Grundlage für die Bürger, ihre Lebensentwürfe eigen­verantwortlich zu gestalten. Das Bürgerrecht auf Bildung eröffnet jedem die gleiche Chance der Bildung und Ausbil­dung. Diese Chancengleichheit am Start bedeutet nicht Gleichheit der Ergebnisse am Ziel. Freiheit braucht Bildung.

Deshalb haben Liberale das Bürgerrecht auf Bildung ge­prägt. Bildung und Ausbildungen beginnen ebenso wie Erziehung in der Familie. Für eine Angleichung der Start­chancen brauchen wir ein öffentliches Bildungswesen. Schulen sollen Wissen vermitteln, Kreativität fördern und Persönlichkeit bilden. Schulische Bildungseinrichtungen müssen auch auf die Anforderungen der Informations­gesellschaft vorbereiten. Dazu gehört der Erwerb von Me­dienkompetenz und die Fähigkeit zur Informationsauswahl. Wer den Umgang mit den neuen Technologien nicht früh­zeitig erlernt, kann schnell zum Verlierer der Informations­gesellschaft werden. Bildungs- und Ausbildungsniveau wer­den immer mehr Bedeutung für den Erfolg auf dem Arbeits­markt gewinnen.

Offenheit und Wettbewerb der Ideen und Leistungen ver­langen die Vielfalt der Angebote vorschulischer, schuli­scher, ausbildender und akademischer Institutionen. Das staatliche Bildungswesen braucht dafür eine Befreiung von Verkrustungen und Reglementierungen und mehr Wettbe­werb auch durch private Bildungsangebote. Schulen und Hochschulen sollen durch weitgehende eigene finanzielle, personelle und inhaltliche Entscheidungskompetenzen mehr Gestaltungsfreiräume erhalten.

Bildungseinrichtungen beanspruchen derzeit einen großen Teil der öffentlichen Haushalte. Dennoch ist unser Bil­dungssystem nicht in der Lage, den Anforderungen der

Zukunft an Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und For­schung im internationalen Wettbewerb gerecht zu werden. Wir brauchen eine bildungspolitische Offensive.

Im beruflichen Bildungssystem wird auch in Zukunft die Mehrheit der Schulabgänger ausgebildet. Es muß in seiner Attraktivität gestärkt und zu einer Alternative zum Hoch­schulstudium ausgebaut werden. Aus- und Weiterbildung eröffnen Chancen für Erfolge auf dem Arbeitsmarkt. Not­wendig ist eine flexible Anpassung und Weiterentwicklung beruflicher Qualifikation in allen Bereichen.

Gezielte Angebote für besonders Begabte sowie Lern­schwache sind in der allgemeinen wie der beruflichen Bil­dung zu verstärken.

Die Zugangsbeschränkungen in Deutschland durch formale Bildungsabschlüsse bei Einstieg und Aufstieg im Berufsle­ben widersprechen der offenen Bürgergesellschaft. Im Öf­fentlichen Dienst, aber auch in der privaten Wirtschaft ist eine Neuorientierung hin zu durchlässigen Einstiegs- und leistungsabhängigen Aufstiegschancen nötig.

Bildung und Ausbildung sind eine entscheidende Zukunfts­voraussetzung für Deutschland. Die Investition in die Köpfe der Menschen ist sozial, kulturell und wirtschaftlich eine großartige Chance. Deshalb werden Liberale die Bildungs­politik zum politischen Schwerpunkt machen.

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Bürger sind Teilhaber der Weltgesellschaft

14. Das Europa der Bürger

Die europäische Einigung ist Priorität liberaler Außenpolitik. Die Idee der Europäischen Integration war die historische Antwort auf die Katastrophe zweier Weltkriege. Sie ist gleichzeitig ein entscheidender Schritt hin zur Bürgergesell­schaft in der Weltverantwortung. Unser Ziel ist ein vereintes Europa liberaler Bürgergesellschaften, die gemeinsam Ver­antwortung für Frieden und Freiheit tragen.

Die liberale Bürgergesellschaft denkt kosmopolitisch, han­I!

delt europäisch, wurzelt in nationaler und regionaler Identi­tät. Die gemeinsame europäische Kultur ist ein festes Fun­dament für ein vereintes Europa. Kulturelle Unterschiede sind Gewähr für Vielfalt in Europa. Wir wollen Einheit in Vielfalt, denn Vielfalt ist Freiheit.

Die Europäische Union erweitert die Wertegemeinschaft von Bürgergesellschaften über die Grenzen hinweg. Euro­pa bündelt die Stärken der europäischen Bürgergesell­schaften. Die weitere Europäische Integration ist der ent­scheidende Schritt zur Bürgergesellschaft in der Weltverantwortung.

Wir wollen ein Europa der Bürger. Dazu brauchen wir mehr Demokratie in der Europäischen Union: eine Europäische Verfassung mit einem Kompetenz- und Grundrechtekata­log, ein nach einheitlichem Wahlrecht gewähltes Europäi­sches Parlament mit vollen Rechten und Pflichten, eine Union mit demokratischen Entscheidungen und bürgerna­hen Institutionen.

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Die Herausforderung der Globalisierung kann die Europäi­sche Union nur bewältigen, wenn sie ihre Integration vorantreibt.

Nach dem Fall der Mauer steht Europa vor seiner zweiten historischen Herausforderung: der Überwindung der Tei­lung unseres Kontinents. Die neuen mittel- und osteuropäi­schen Demokratien gehören zu Europa. Erweiterung und Vertiefung der Union müssen konsequent und parallel vor­angetrieben werden.

Eine stabile gemeinsame europäische Währung ist en'or­derlich, damit die deutsche und europäische Wirtschaft in­ternational wettbewerbsfähiger wird. Die Währungsunion vollendet den Binnenmarkt und setzt Wachstumskräfte für neue Arbeitsplätze frei. Nach vier Jahrzehnten europäi­schen Zusammenwachsens ist die Zeit reif für eine sichere und von einer unabhängigen Zentralbank organisierte gemeinsame Währung.

Die Nordatlantische Allianz ist Ausdruck der Werte und Verantwortungsgemeinschaft zwischen Europa und Nord­amerika und als System kollektiver Verteidigung der Si­cherheitsanker für Europa.

Im Auftrag der Systeme kooperativer Sicherheit (UNO, OSZE) stellt sie sich darüber hinaus in den Dienst der Völ­kergemeinschaft bei der Friedensbewahrung und Friedens­herstellung sowie bei der Durchsetzung des Völkerrechts.

Die Europäische Union muß zur umfassenden politischen Union fortentwickelt werden. Sie darf deshalb das Prinzip der Solidarität nicht nur in der wirtschaftlichen und sozialen Sphäre zur Geltung bringen, sondern muß es auch auf den

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geboren. Auch unterschiedliche Traditionen, Religionen und Kulturen setzen die Universalität der Menschenrechte nicht außer Kraft. Wer selbst in Freiheit lebt, hat die

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von Menschen als vital empfundenen Gebieten innerer und äußerer Sicherheit erfahrbar machen. Deshalb ist auch eine gemeinsame Außen und Sicherheitspolitik (GASP) in der Europäischen Union erforderlich und sollte die West­europäische Union (WEU) so bald wie möglich integraler Bestandteil der Europäischen Union werden. Die OSZE ist der umfassende Rahmen für Sicherheit und Kooperation im neuen Europa. Dieser umfaßt alle Staaten Europas ein­schließlich Rußland.

Die größte Gefahr für die Bürgergesellschaft in der Welt­verantwortung ist die Renationalisierung. Was mit Schutz­zäunen nach außen beginnt, endet mit dem Freibrief für Intoleranz im Inneren. Nationalismus bedroht Frieden, Frei­heit und Menschenrechte, behindert Mobilität von Wissen, Kapital und Arbeit. Liberale wollen den aufgeklärten Bürger­staat, der an der Schwelle zum 21. Jahrhundert seine Legi­timation und Kompetenz auch aus dem Willen zur umfas­senden europäischen und internationalen Zusammenarbeit schöpft.

15. Die Bürgergesellschaft in der Weltverantwortung

Die Bürger in der liberalen Bürgergesellschaft sind Staats­bürger und Weltbürger. Sie tragen weltweit Verantwortung für Freiheit und Würde der Menschen. Sie achten andere Menschen unabhängig von Herkunft oder Kultur, Nationali­tät oder Konfession, Hautfarbe oder Geschlecht.

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten

Verantwortung, für die Freiheitsrechte derer einzutreten, die sie entbehren. Freiheitsrechte und Menschenwürde sind unteilbar.

Liberalismus will die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren. Diese Idee des liberalen Rechtsstaa­tes gilt auch für die Staatengemeinschaft. Eine liberale Weltbürgergesellschaft braucht eine globale Rechtsord­nung. Die Vereinten Nationen müssen reformiert und zum zentralen Friedenshüter der Völkergemeinschaft weiterent­wickelt werden. Das Völkerrecht kann sich nicht selbst schützen. Es muß von der Gemeinschaft freier Rechtsstaa­ten geschützt werden. Wer es ablehnt, Frieden und Freiheit zu sichern notfalls auch mit militärischen Mitteln - läßt die Menschen im Stich. Wer mordet, foltert und vergewaltigt, darf sich nirgendwo sicher fühlen. Kriegsverbrecher gehö­ren vor einen internationalen Strafgerichtshof.

Zum dauerhaften Frieden gehört der Friede der Kulturen. Friede verträgt keine Feindbilder. Freiheit verträgt keine Intoleranz. Das vereinte Deutschland ist eine weltoffene Kulturnation. Wir Liberale bekennen uns zum Dialog der Kulturen.

Die Gefahren für Sicherheit und Stabilität in der Welt sind heute Hunger und Unterentwicklung, Umweltbedrohung, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Migrations­und Flüchtlingswellen. Sie sind der Nährboden für ethni­sche Konflikte, Gewalt, Machtmißbrauch, totalitäre Ideologi­en sowie religiösen und politischen Fundamentalismus. Die politische Verantwortung der Bürgergesellschaft beginnt deshalb bei der Bekämpfung der Ursachen von Konflikten. Liberale fordern eine globale Entwicklungs- und Umwelt­partnerschaft, die auf freiem Welthandel, umfassender

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wirtschaftlicher Zusammenarbeit und dem Schutz der na­türlichen Lebensgrundlagen beruht.

Unterentwicklung und Bevölkerungswachstum sind die Hauptursachen für Massenarmut in großen Teilen der Welt. Es ist die gemeinsame Verantwortung aller Staaten, auf diese Herausforderung Antworten zu finden. Wir bekennen uns zu der Verpflichtung, gemeinsam den Armutsgraben zwischen Nord und Süd zu überwinden. Entwicklungspart­nerschaft bedeutet für Liberale Verpflichtung zur Hilfe für Menschen in Not. Wir setzen auf Eigenverantwortung und Eigeninitiative in den Partnerländern. Bildung und Ausbil­dung sind der Schlüssel zu Wachstum und Wohlstand.

Liberale setzen auf den freien Welthandel, auf die Öffnung der Märkte; sie sind auch im Interesse der Entwicklungslän­der gegen Protektionismus und Handelsblöcke. Wer sich wirtschaftlich öffnet, wer Marktwirtschaft zuläßt, muß Frei­heit und Menschenrechte ins Land lassen. Kein Staat kann seinen Bürgern auf Dauer das eine geben und das andere verweigern. Wir schützen Freiheit am besten, wenn wir überall in der Welt freiheitlichen Gesellschaftsentwürfen zum Durchbruch verhelfen.

Verantwortung für die Zukunft verlangt Beendigung des Raubbaus an der Natur. Wer die natürlichen Lebensgrund­lagen zerstört, kann sich nicht auf nationale Souveränität berufen. Wer die eigenen Ressourcen plündert, macht alle zu Verlierern. Umweltpolitik ist heute Weltinnenpolitik. Wirk­samer Umweltschutz braucht eine internationale Umwelt­ordnung. Der internationale Schutz der Umwelt gehört in die Obhut des internationalen Gerichtshofs in Den Haag.

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Teil IV

Das Prinzip Verantwortung für die nächsten Generationen

Jede Generation ist verpflichtet, die Freiheitschancen Nachgeborener zu bewahren und nicht durch Verbindlich­keiten und Verbrauch zu riskieren.

1. Die Ökologische Marktwirtschaft

Die Verantwortungsgesellschaft schützt die natürlichen Lebensgrundlagen. Zu den Lebensgrundlagen gehört biolo­gische Vielfalt. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung für die Anpassungsfähigkeit der Natur an neue Umweltbedin­gungen. Die Liberalen setzen der ökologischen Staatswirt­schaft die ökologische Marktwirtschaft entgegen. Das Verursacherprinzip führt zu effizienterem und effektiverem Umweltschutz. Wer Umwelt schont, muß sich auch ökono­misch besser stehen als der, der Umwelt schädigt. Die Liberalen treten für die Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft zu einer Sozialen und Ökologischen Markt­wirtschaft ein.

Ziel ist ein Strukturwandel hin zu nachhaltigen Formen des Wirtschaftens. Die Nutzung erneuerbarer Ressourcen findet ihre Grenze in der Regenerationsrate dieser Res­sourcen, die Nutzung nicht-erneuerbarer Ressourcen muß den Bedarf künftiger Generationen berücksichtigen. Die Ressourcenproduktivität muß erhöht werden. Dafür brau­chen wir technische und organisatorische Innovationen. Das verlangt ein Umdenken bei Produzenten und

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Konsumenten. Dazu gehört die Erforschung und Anwen­dung neuer technischer Verfahren zu höchsteffizienter Stoff- und Energiewandlung sowie der Umbau der staatli­chen Rahmenbedingungen, die Umweltschutz und Res­sourcenschonung zum wirtschaftlichen Eigeninteresse von Unternehmen und Bürgern machen. Dazu bedarf es des Einsatzes marktwirtschaftlicher Instrumente, insbesondere auch der Einführung von Umweltzertifikaten und einer Reform des Steuersystems, in der die Belastung von Arbeitsplätzen und Kapitalbildung abgebaut und dafür die steuerliche Belastung umweltschädigenden Verbrauchs er­höht wird.

Der ökologische Umbau durch marktwirtschaftliehe Ökolo­gie führt nicht zu einem Verzicht auf staatliche Auflagen. Er kann jedoch viele Gebote und Verbote überflüssig und die Umweltpolitik klarer und verständlicher machen. Umwelt­schutz läßt sich nicht allein vom Staat verordnen. Er ist nur wirkungsvoll, wenn er auf der Einsicht der Bürger beruht. Wir wollen einen Wertewandel durch Einsicht.

Die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz beruht auf dem gesellschaftlichen Konsens, daß die Politik heute eine Verantwortung für die künftigen Generationen und ihre natürlichen Lebensgrundlagen trägt. Der neue Artikel 20 a des Grundgesetzes lautet entspre­chend: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und Rechtsprechung."

Ebenso wie die natürlichen muß der Staat auch die struktu­rellen und politischen Lebensgrundlagen der künftigen Ge­nerationen schützen.

2. Der bescheidene Staat

Die Staatsverschuldung nimmt den künftigen Generationen ihre Freiheit und Chancen. Wer die Staatsverschuldung dauerhaft abbauen will, muß die Neuverschuldung im Grundgesetz verbieten. Innerhalb von zehn Jahren müssen in einem verbindlichen Stufenplan auf allen staatlichen Ebenen ausgeglichene Haushalte erreicht werden. Danach dürfen die Ausgaben die Einnahmen nicht mehr überstei­gen. Kredite dürfen nicht als Einnahmen gezählt werden. Artikel 115 des Grundgesetzes ist entsprechend zu ändern.

Artikel 115 des Grundgesetzes, wonach die Kreditauf­nahme des Bundes durch die Ausgaben für Investitionen begrenzt ist, hat sich nicht bewährt. Auch weil die erhöhte Kredit aufnahme zur Abwehr einer Störung des gesamtwirt­schaftlichen Gleichgewichts zulässig ist, hat es keine wirk­same Begrenzung gegeben. Die Unterscheidung von kon­sumtiven und investiven Ausgaben blieb zweifelhaft.

Derzeit wird der Wohlstand der Gegenwart auch mit Hypo­theken auf die Zukunft finanziert. Die Staatsverschuldung führt dazu, daß bald Zins und Tilgung die größten Etat­posten sein werden. Das darf den nächsten Generationen nicht zugemutet werden. Die Privatperson kann die über­schuldete Erbschaft ausschlagen. Diese Möglichkeit hat die nächste Generation nicht.

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Durch ein Verfassungsgebot ist eine Obergrenze für die Gesamtbelastung der Bürger durch Steuern und Abgaben zu verankern. Die Gesamtbelastung der Bürger darf ein Drittel nicht übersteigen. Zweidrittel dessen, was der Bürger erwirtschaftet, muß im Durchschnitt auch beim Bürger verbleiben.

Im Grundgesetz ist außerdem eine Obergrenze für die indi­viduelle Höchstbesteuerung zu verankern. Der Staat muß den Bürgern mehr lassen, als er ihnen nimmt. Durch ein Verfassungsgebot darf deshalb die individuelle Gesamtbe­lastung der Bürger durch Steuern die Hälfte nicht übersteigen.

Die Staatsquote muß auf ein Drittel gesenkt werden. Wenn wie derzeit jede zweite Mark durch die Hände des Staates gehen, dann ist das nicht mehr Marktwirtschaft, sondern Staatswi rtschaft.

Wer eine neue Steuer einführen will, braucht hierfür künftig eine Zweidrittel-Mehrheit im jeweiligen Parlament. Neue Steuern einzuführen muß so schwierig wie eine Verfas­sungsänderung werden. Derzeit nicht mehr erhobene Steu­ern müssen in Artikel 106 des Grundgesetzes gestrichen werden. Damit kann die Wiedereinführung überholter Abga­ben verhindert werden. Auch die Ergänzungsabgabe ist zu streichen. Damit soll verhindert werden, daß über den Um­weg fortlaufender Ergänzungsabgaben eine dauerhafte Er­höhung der Abgabenlast erfolgt.

Staatliche Programme, die mit Ausgaben verbunden sind, bedürfen künftig der genauen Bestimmung eines End­datums. Alle eingegangenen Verpflichtungen dürfen nicht weiter als bis zu diesem Zeitpunkt laufen. Danach ist eine

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vollständig neue Beschlußfassung erforderlich, wenn das Programm weiterlaufen soll. Ohne Begrenzung der Laufzeit wird aus vorübergehenden Hilfen regelmäßig eine Dauersubvention.

In das Grundgesetz ist ein Privatisierungsgebot aufzuneh­men. Bund, Länder und Gemeinden haben bei der Erledi­gung von Aufgaben Privaten den Vorrang zu geben, wenn dadurch die angestrebten Zwecke nicht beeinträchtigt und ebenso wirtschaftlich wie bei der öffentlichen Wahrneh­mung erreicht werden. Im Interesse der kommenden Gene­rationen müssen die staatlichen Ausgaben tendenziell von konsumtiven auf investive Ausgaben umgeschichtet wer­den. Im Bereich der konsumtiven Ausgaben müssen Bil­dung und Wissenschaft wegen ihrer Bedeutung für gesell­schaftliche und wirtschaftliche Zukunftschancen eine höhe­re Bedeutung erhalten.

Zwischen den Verfassungsschranken für Abgabenbela­stung, dem Verfassungsgebot für materiell ausgeglichene Haushalte und dem Privatisierungsgebot besteht ein zwingender Zusammenhang, wenn das Ziel der Reduzie­rung der Staatsquote erreicht werden soll. Würde die Ver­fassung nur die Abgabenbelastung beschränken, könnte ein zu hoher Staatsanteil durch höhere Staatsverschuldung finanziert werden. Umgekehrt könnte beim Verfassungs­gebot für die materiell ausgeglichenen Haushalte eine zu hohe Staatsquote durch höhere Steuern und Abgaben finanziert werden. Das Privatisierungsgebot nimmt zudem die ohnehin unwahrscheinliche Möglichkeit der Finanzie­rung von Staatsaufgaben bzw. Staatsausgaben durch die Gewinne von Staatsunternehmen.

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Damit werden dem "maßlosen Staat" die Hauptnahrungs­quellen verschlossen. Die freie Verfügung der Bürger über sich und ihr Eigentum entscheidet über den Grad von Frei­heit und Verantwortung einer Gesellschaft. Deshalb garan­tieren freiheitliche Verfassungen das Bürgerrecht auf Ei­gentum. Dieses Bürgerrecht muß auch gegen die indirekte Enteignung durch Steuern und Abgaben geschützt werden. Die Staatsverschuldung führt sonst zu den Steuer­erhöhungen von morgen.

Grundrechte sind Abwehr- und Schutzrechte des Bürgers gegenüber dem Staat. Der Staat ist nicht alles. Der Staat darf nicht alles. Dies gilt auch beim Schutz des Bürgers vor dem Steuer- und Schuldenstaat, in dem Demokratie zur Bürokratie verkommt. Freiheit wird auch von einem unfinan­zierbaren Staat bedroht, der mit immer mehr Steuern und Abgaben, immer mehr Bürokratie und Verwaltung die Frei­heit und Verantwortungsbereitschaft einschränkt. Hierzu ist das Berufsbeamtentum für alle nicht hoheitlichen Aufgaben des Staates abzuschaffen. Liberale wollen den geordneten Rückzug aus dem überschuldeten Staat. Deswegen muß der "bescheidene Staat" konstitutionell verankert werden.

3. Der neue Generationenvertrag

Für einen verläßlichen Generationenvertrag brauchen wir ein generelles Umdenken. Die gesetzlichen Sozialversiche­rungen allein werden in Zukunft soziale Sicherheit nicht mehr gewährleisten. Gefordert sind deshalb mehr Freiräu­me für Eigenverantwortung innerhalb und außerhalb der gesetzlichen Sozialversicherung.

In der zentralen Frage der Alterssicherung brauchen wir für einen verläßlichen Generationenvertrag mehr Kapitalbil­dung und mehr Elemente des Kapitaldeckungsverfahrens. Die Alterssicherung heute stützt sich zu einseitig auf die Zwangsversicherung im Rahmen der Gesetzlichen Renten­versicherung nach dem Umlageverfahren. Selbst bei Er­gänzung der Gesetzlichen Rentenversicherung durch Be­triebsrenten können die Bürger nicht mehr darauf vertrau­en, daß ihr eigener Beitrag zum Sozialsystem den für das Alter angestrebten Lebensstandard sichert. Frühverrentun­gen als Verträge zu Lasten Dritter haben das Problem ver­schärft. Wir brauchen eine grundsätzliche Reform des Ge­samtsystems der Alterssicherung. Sie muß die Lebenslei­stung der Älteren anerkennen und ein menschenwürdiges Leben im Alter ermöglichen. Ziel einer liberalen Reform ist Rentensicherheit, Generationengerechtigkeit und Beitragsstabilität.

In dem Bereich, in dem Politik gestalten kann und muß, hängen die Chancen der heute Jungen auf eine gesicherte Altersversorgung vor allem davon ab, welchen Beitrag wir heute durch Sparen für eine gute Kapitalausstattung lei­sten. Denn die Kapitalausstattung entscheidet zusammen mit der Qualität von Bildung, Ausbildung und der Wirt­schaftsordnung, wie hoch morgen das Sozialprodukt sein wird, aus dem Renten und Pensionen zu leisten sind.

Trotz steigender Beiträge für die Gesetzliche Rentenversi­cherung nimmt ihre Leistungsfähigkeit beständig ab. Immer höhere Beitragslasten entziehen der Kapitalbildung im Dienst der eigenverantwortlichen Altersfürsorge die finan­zielle Grundlage.

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Verläßliche Alterssicherung der jungen Generation erfordert deshalb heute ein höheres Durchschnittsalter und Arbeits­zeitflexibilität beim Eintritt in das Renten- bzw. Pensions­alter. Wir brauchen eine konsequente Abkehr von der falschen Arbeitsmarktpolitik der Frühverrentung. Die bishe­rigen Rentenreformen erweisen sich als unzulänglich, weil sie den Anstieg der BeItragssätze gegenüber einem unein­geschränkten "Weiter so!" lediglich gebremst haben. Diese Reformen haben aber weder einen ausreichenden Beitrag für verläßliche Alterssicherung geleistet, noch den Anstieg der Sozialabgabenquote verhindert.

Verläßliche Alterssicherung braucht mehr Freiraum für mehr Eigenverantwortung. Sie braucht bessere gesamtwirt­schaftliche Rahmenbedingungen für Sparen im Dienst ei­genverantwortlicher Altersvorsorge und für volkswirtschaft­liche Kapitalbildung als Grundlage für die Freiheitschancen der jungen Generation.

Eigenverantwortliche Vorsorge in der Alterssicherung kann durch ein großes Maß an Vielfalt der Vorsorgeformen, vom Wohneigentum bis zu Kapitalanlagen mit unterschiedlichen Renditen und Risiken erreicht werden.

Das Pflichtsystem der Gesetzlichen Rentenversicherung muß reformiert werden. Es darf durch hohe Zwangsbeiträ­ge die Anlagemöglichkeiten der jungen Generation in freie Kapitalanlagen zur Alterssicherung nicht zu stark beschrän­ken. Bei Freiraum für eigenverantwortliche Altersvorsorge bliebe es Entscheidung des einzelnen Bürgers, auf wei­chem Niveau und mit welcher Gewichtung zwischen ge­setzlicher Sicherung, betrieblicher Zusatzsicherung und rein privater Aufstockung nach dem

Kapitaldeckungsverfahren die junge Generation insgesamt für ihre Alterssicherung und für ihre Kinder vorsorgen will.

Die Politik muß hierzu durch eine radikale Reform des Steuersystems in Richtung auf Steuerentlastung und Steu­ervereinfachung ihren Beitrag leisten. Kapitalbildung und der Wechsel von Anlageformen müssen steuerlich freige­stellt werden.

Die bisherige steuerliche Diskriminierung der Altersvorsor­ge über den Kapitalmarkt gegenüber der Zwangsanlage in der Gesetzlichen Rentenversicherung muß aufgehoben werden. Steuerliche Gleichbehandlung der Anlageformen schafft zusätzlichen Spielraum für private, kapitalgedeckte Alterssicherung. Durch ein liberales Steuersystem wird auch die heute systematische Kapitalvergeudung durch Fehllenkung von Ersparnis verhindert. Eine solche Reform wird wirkungsvoll zu einem verläßlichen Generationenver­trag beitragen - auf der Grundlage besserer Kapitalausstat­tung der jungen Generation und ohne Verträge zu Lasten Dritter.

Die wachsenden Staatsaufgaben haben einen wachsenden Staatsapparat hervorgebracht. Jede neue Einstellung eines Beamten ist mit unabänderlichen Pensionslasten für die Zukunft verbunden. Schon die heute vom Staat eingegan­genen Verpflichtungen für Pensionen drohen zu den Schul­den und Steuern von morgen zu werden. Deswegen muß der Staat für die Pensionslasten von morgen heute Vorsor­ge treffen. Bei jeder Verbeamtung auf Lebenszeit muß der Staat aus dem laufenden Haushalt Rückstellungen für die Pensionen vornehmen. Pensionsfonds bei Bund, Ländern und Gemeinden verhindern, daß die heutige Generation die

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Finanzierung ihres Fürsorgestaats der nächsten Generation zumutet.

4. Die Generationenbilanz

Solidarität ist für Liberale auch die Solidarität zwischen den Generationen. Einmal im Jahr muß die Bundesregierung eine Generationenbilanz vorlegen, in der über die Belastun­gen der Generationen von heute und morgen umfassend berichtet wird. In ihr müssen Haben und Soll ausgewiesen sein: Auf der einen Seite die Leistungen beispielsweise für Bildung und Ausbildung, Infrastruktur und soziale Sicher­I heit. Auf der anderen Seite die Belastungen beispielsweise

1'11·'1'1:1 durch Staatsverschuldungen, Pensionslasten und Genera­

tionenverträge. Die Generationenbilanz fördert das Bewußt­IIIII[ sein für das Prinzip Verantwortung für die nächste Genera­

1II tion und stärkt den Zusammenhalt der Generationen unter­einander. Generationengerechtigkeit ist Zukunftssicherung

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stung der älteren Generation. I

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Beschluß des außerordentlichen Bundesparteitages der F.D.P. in Gera, 11.112. Dezember 1994

Einsetzung einer Programmkommission

Es wird eine Programmkommission unter Leitung des Ge­neralsekretärs eingesetzt. Aufgabe dieser Programmkom­mission ist es, bis zum ordentlichen Bundesparteitag 1996 den Entwurf einer programmatischen Kursbestimmung der Freien Demokratischen Partei unter Einbeziehung des im Frühjahr 1994 vorgelegten Zwischenberichtes "Anstöße zur Freiheit" der Perspektivkommission und unter breiter Betei­ligung der Gliederungen der F.D.P. und der Öffentlichkeit zu erarbeiten. Dabei wird es darauf ankommen, die Grund­haltung und die Werteorientierung des modernen liberalis­mus aufzuzeigen, die großen gesellschaftlichen Herausfor­derungen der kommenden Jahre in den verschiedenen Po­Iitikbereichen zu identifizieren und liberale Antworten auf diese Herausforderungen zu entwickeln.

Der Bundesvorstand hat in seiner Sitzung am 20. Februar 1995 folgende Mitglieder der Programm­kommission berufen:

Hans-Jürgen Beerfeltz, Arnd Brummer, Dr. Werner Bruns, Dr. Walter Döring, Dr. Fritz Fliszar, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Wolfgang KnolI, Prof. Dr. Werner Maihofer, Prof. Dr. Rainer Ortleb, Ruth Wagner, Dr. Guido Westerwelle (Vorsitz)

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Impressum

Verantwortlich: F. D. P. Bundesgeschäftsstelle, Adenauerallee 266, 53113 Bann http://www.fdp.de

Vertrieb: liberal-Verlag, Eifelstraße 14, 53757 Sankt Augustin

Druck: altmann-druck GmbH, Mahlsdorfer Straße 13 - 14 12555 Berlin