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22. Bewertung des Kyoto-Protokolls Trotz seiner offenkundigen Mängel kann das Kyoto-Protokoll als Meilenstein in der Geschichte des Klimaschutzes angesehen werden. Zum ersten Mal ist die übergroße Mehrheit der Länder, darunter alle bedeutenden globalen Ak- teure, zu der Einsicht gelangt, dass wirtschaftlicher und sozialer Wohlstand nicht unbedingt an den unbeschränkten Ausstoß von Treibhausgasen gebun- den sind. Da das Protokoll von allen bei COP 3 vertretenen Vertragsparteien der Konvention angenommen wurde, konnten sich selbst die Öl produzieren- den Staaten dieser Erkenntnis nicht länger verschließen. Von nun an werden deshalb alle weiteren Debatten von Rückzugsgefechten und Lastenvertei- lungskämpfen geprägt sein. Gleichzeitig werden mit dem Kyoto-Protokoll bereits die institutionellen Grundlagen für weiteres Handeln im neuen Jahrhundert gelegt. Die noch anstehenden Aufgaben sind allerdings gewaltig: die genaue Berechnung der THG-Aufnahme durch Senken, die gewissenhafte Ausarbeitung der Regeln für die Kyoto-Mechanismen und die Einrichtung eines wirksamen Nichtein- haltungsverfahrens. Vieles wird von den Beschlüssen der nächsten Vertrags- staatenkonferenzen abhängen. In erster Linie gilt dies für COP 6 im Novem- ber 2000, die von COP 4 mit einem riesigen Aufgabenpensum betraut wurde (vgl. Kap. 24). Angesichts der Ungewissheit, die in Bezug auf die endgültige Ausgestaltung der Kyoto-Vereinbarungen herrscht, gleicht die Bewertung und Einschätzung des Protokolls zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher einem Glücksspiel.' Trotzdem soll im folgenden Abschnitt der Versuch unternom- men werden, bestimmte Merkmale des Protokolls näher zu beleuchten und zu beurteilen. Um internationale Umweltinstitutionen wie das Klimaschutzregime und sein Kyoto-Protokoll bewerten zu können, wurde eine Reihe verschiedener Kriterien erarbeitet.' Grundlage der folgenden Analyse sollen drei zentrale Fragen sein: (1) Wird das Kyoto-Protokoll in Politik, Wirtschaft und Gesell- schaft eine Verhaltensumkehr auslösen und damit zu einem Rückgang der THG-Emissionen führen (Verhaltenswirksamkeit)? (2) Wird es einen für die Bekämpfung klimatischer Veränderungen ausreichenden Rahmen bieten können (Umweltwirksamkeit)? (3) Stellt es die Mittel bereit, die für die Vgl. Ou 1998c; Müller-Kraenner 1998; vgl. auch Jacoby et al. 1998; Schneider 1998; Gmbb et al. 1999. 2 Vgl. allgemein Young 1994; Bemauer 1995; Oberthür 1997; Victor et al. 1998. S. Oberthür et al., Das Kyoto-Protokoll © Leske + Budrich, Opladen 2000

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22. Bewertung des Kyoto-Protokolls

Trotz seiner offenkundigen Mängel kann das Kyoto-Protokoll als Meilenstein in der Geschichte des Klimaschutzes angesehen werden. Zum ersten Mal ist die übergroße Mehrheit der Länder, darunter alle bedeutenden globalen Ak­teure, zu der Einsicht gelangt, dass wirtschaftlicher und sozialer Wohlstand nicht unbedingt an den unbeschränkten Ausstoß von Treibhausgasen gebun­den sind. Da das Protokoll von allen bei COP 3 vertretenen Vertragsparteien der Konvention angenommen wurde, konnten sich selbst die Öl produzieren­den Staaten dieser Erkenntnis nicht länger verschließen. Von nun an werden deshalb alle weiteren Debatten von Rückzugsgefechten und Lastenvertei­lungskämpfen geprägt sein.

Gleichzeitig werden mit dem Kyoto-Protokoll bereits die institutionellen Grundlagen für weiteres Handeln im neuen Jahrhundert gelegt. Die noch anstehenden Aufgaben sind allerdings gewaltig: die genaue Berechnung der THG-Aufnahme durch Senken, die gewissenhafte Ausarbeitung der Regeln für die Kyoto-Mechanismen und die Einrichtung eines wirksamen Nichtein­haltungsverfahrens. Vieles wird von den Beschlüssen der nächsten Vertrags­staatenkonferenzen abhängen. In erster Linie gilt dies für COP 6 im Novem­ber 2000, die von COP 4 mit einem riesigen Aufgabenpensum betraut wurde (vgl. Kap. 24). Angesichts der Ungewissheit, die in Bezug auf die endgültige Ausgestaltung der Kyoto-Vereinbarungen herrscht, gleicht die Bewertung und Einschätzung des Protokolls zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher einem Glücksspiel.' Trotzdem soll im folgenden Abschnitt der Versuch unternom­men werden, bestimmte Merkmale des Protokolls näher zu beleuchten und zu beurteilen.

Um internationale Umweltinstitutionen wie das Klimaschutzregime und sein Kyoto-Protokoll bewerten zu können, wurde eine Reihe verschiedener Kriterien erarbeitet.' Grundlage der folgenden Analyse sollen drei zentrale Fragen sein: (1) Wird das Kyoto-Protokoll in Politik, Wirtschaft und Gesell­schaft eine Verhaltensumkehr auslösen und damit zu einem Rückgang der THG-Emissionen führen (Verhaltenswirksamkeit)? (2) Wird es einen für die Bekämpfung klimatischer Veränderungen ausreichenden Rahmen bieten können (Umweltwirksamkeit)? (3) Stellt es die Mittel bereit, die für die

Vgl. Ou 1998c; Müller-Kraenner 1998; vgl. auch Jacoby et al. 1998; Schneider 1998; Gmbb et al. 1999.

2 Vgl. allgemein Young 1994; Bemauer 1995; Oberthür 1997; Victor et al. 1998.

S. Oberthür et al., Das Kyoto-Protokoll© Leske + Budrich, Opladen 2000

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Schaffung eines umfassenden, ausbaufähigen Regimes erforderlich sind (in­stitutionelle W irksamkeit)?

Die kurzfristige Umweltwirksamkeit des Kyoto-Protokolls ist vermutlich recht begrenzt. Im Vergleich zur Senkung der gesamten THG-Emissionen der Annex-I-Länder von 1990 bis 1995 um 4,6%, die hauptsächlich durch den wirtschaftlichen Niedergang der Länder im Übergang zur Marktwirtschaft (CEIT-Länder) zustande kam, stellt das in Kyoto vereinbarte Reduktionsziel von insgesamt 5,2% nicht mehr als eine Stabilisierung auf dem Niveau von 1995 dar (vgl. Abschnitt 11.4). Selbst wenn die Industrieländer dieses Ziel erreichen und ihre Verpflichtungen aus Artikel 3 des Kyoto-Protokolls voll erfüllen sollten, würde der weltweite Ausstoß wegen des Emissionsanstiegs in den Entwicklungsländern immer noch beträchtlich zunehmen. Die Umset­zung des Kyoto-Protokolls würde jedoch zumindest eine eindeutige Abkehr von den aktuellen Emissionstrends bewirken. Überdies zeigen die mit ande­ren Umweltverträgen gewonnenen Erfahrungen, dass der mit der Annahme der FCCC und des Kyoto-Protokolls in Gang gesetzte Prozess eine eigene Dynamik entfalten und damit mittel- und langfristig doch zu einer stärkeren Treibhausgasminderung führen könnte.3

Anband von Modellszenarios wird ersichtlich, dass weitaus drastischere Änderungen in den Emissionstrends erforderlich wären, um ein Niveau zu erreichen, "auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasy­stems verhindert wird" (Artikel 2 der FCCC).4 Den Szenarios des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung zufolge würde nur eine Senkung der glo­balen Emissionen von CO2, CH4 und N20 um mindestens 1 % jährlich das Klimasystem auch im neuen Jahrhundert innerhalb eines vertretbaren Rah­mens ("tolerable window") halten.' Berücksichtigt man dabei den zu erwar­tenden Emissionsanstieg in den Entwicklungsländern, müssten die Industrie­länder ihre Emissionen bis 2010 jährlich um etwa 3% senken. Daraus ergä­ben sich für diese Länder Reduktionsverpflichtungen bis 2010 im Bereich von minus 23%. Auf ähnliche Weise veranschaulicht auch das "Image"­Szenario den Entwicklungsweg, der einzuschlagen wäre, wollte man bis zum Jahr 2100 die THG-Konzentrationen auf einem Wert von 450 ppm oder we­niger stabilisieren (vgl. Abb. 22.1).

Die Verhaltenswirksamkeit des Kyoto-Protokolls wird demgegenüber vielleicht etwas deutlicher erkennbar sein, denn die angestrebte Emissions­senkung ist weitaus umfangreicher, wenn man sie mit einem Business-as­usual-Szenario vergleicht. Prognosen der Internationalen Energie-Agentur

Ein hervorragendes Beispiel liefert dafür das Montrealer Protokoll (1987), vgl. insbesonde­re Benedick 1998; Olt 1998a; Oberthür 1997.

4 Einen Überblick über verschiedene Szenarios bietet der IPee auf einer Website, die im Rahmen des "offenen Prozesses" des Sonderberichts zu Emissionsszenarien (SRES) der Arbeitsgruppe 111 des IPee erstellt wurde: <http://cres.ciesin.org/index.html>. Petschel-HeldiSchellnhuber 1998; vgl. auch die Einschätzung von Schellnhuber/Fuentes 1997, S. 445ff.

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zufolge' werden die CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brenn­stoffe in den USA und Kanada bis zum Jahr 2010 um 32% gegenüber dem Stand von 1990 steigen, wenn keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen wer­den. Für die OECD-Länder des pazifischen Raumes ergibt sich ein ähnlicher Wert (plus 31%), während er für die OECD-Länder Europas geringfügig niedriger liegt (plus 26%). In Anbetracht dieser Zahlen sind in allen Indust­rieländer bedeutende klimapolitische Maßnahmen erforderlich, damit die Verpflichtungen von Kyoto eingehalten werden können.

Abb.22.1: Modellszenarios zur Stabilisierung des Klimasystems

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Quellen: IS92a: IPCC I 996a; Image: AlcamolKreileman 1998; WBGU: Petschel-Heldl Schellnhuber 1998. Die normativen Szenarios (WBGU, Image) werden dem Sze­nario IS92a des IPCC gegenübergestellt, dessen Annahmen über die zukünftige Entwicklung auf Prognosen zu Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum beruhen.

Das genaue Ausmaß solcher Veränderungen wird jedoch von der weiteren Entwicklung der Senkenbestimmungen und der Ausgestaltung der Kyoto­Mechanismen abhängen. Mit der Einbeziehung von drei senkenrelevanten Tätigkeiten in das Protokoll (begrenzter BruttolNetto-Ansatz) wurde einigen Ländern die Erfüllung ihrer Verpflichtungen bereits erheblich erleichtert (vgl. Abschnitt 11.3). Nach Kyoto gab es verstärkte Bestrebungen, diesen Ansatz durch die Aufnahme zusätzlicher Tätigkeiten und Sektoren im Zusammen-

6 IEA 1998.

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hang mit der Kohlenstoffeinbindung weiter auszubauen. Die wissenschaftli­chen Erkenntnisse zu Senken sind jedoch weitgehend ungesichert. Außerdem ist es schwierig, eine verlässliche zeitliche Ausgangsbasis für entsprechende Projekte festzulegen. Aus diesen Gründen könnte eine starke Erweiterung des Brutto/Netto-Ansatzes das Kyoto-Protokoll in seinen Grundfesten erschüt­tern, denn ohne einigermaßen gesicherte Daten und Verzeichnisse wird das Protokoll nicht mehr glaubwürdig sein.

Der Emissionshandel, die Gemeinsame Umsetzung und der Mechanis­mus fUr umweltverträgliche Entwicklung (vgl. Kap. 13-15) verfUgen zwei­fellos über alle Voraussetzungen, um sich zu den wichtigsten Elementen des Klimaregimes zu entwickeln. Ihre politische Bedeutung kann wohl kaum zu hoch bewertet werden. Mit der Nutzung dieser Instrumente wird sich das Klimaregime von einer in erster Linie auf den Umweltschutz gerichteten Ver­einbarung in einen "harten" Wirtschaftsvertrag verwandeln. Es wäre denkbar, dass der CDM eines Tages in Konkurrenz zur multilateralen Entwicklungs­hilfe tritt. Mit der Schaffung eines Systems fUr den Handel mit Emissionen (und abgeleiteten Produkten wie Termingeschäften) könnte ein riesiger neuer Markt entstehen, auf dem umfangreiche Finanztransaktionen stattfinden.

Während der nächsten Verhandlungsrunden ist jedoch noch eine Vielzahl von Fragen zu klären. Nach Kyoto wurden bereits zahlreiche Workshops und Tagungen abgehalten, bei denen deutlich zutage trat, wie überaus vielschich­tig die mit den Kyoto-Mechanismen verbundenen Probleme sind. Schwierig­keiten bereiten nicht nur die Ausgestaltung der Mechanismen im Einzelnen, sondern auch die zwischen ihnen auftretenden Wechselwirkungen, z.B. in Bezug auf Überwachung, Kontrolle und Zertifizierung. Eine besonders wich­tige Rolle spielen dabei die "Vertretbarkeit" ("fungibility") der aus den je­weiligen Instrumenten entstehenden Gutschriften sowie die Entwicklung eines gemeinsamen Verfahrens zur Durchsetzung der fUr sie geltenden Re­geln. Die Vertragsparteien werden sich auch mit der Frage befassen müssen, ob es sinnvoll ist, fUr die Teilnahme des privaten Sektors an den einzelnen Mechanismen gemeinsame Leitlinien zu entwickeln.'

Darüber hinaus wird die individuelle Ausgestaltung eines der Kyoto­Mechanismen unmittelbare Folgen fUr die jeweils anderen haben. So würden beispielsweise Beschränkungen fUr den Emissionshandel zu einem Wettbe­werbsvorteil fUr 11 und den CDM fUhren. Diese wiederum werden miteinan­der in Bezug auf die Transaktionskosten konkurrieren, die ideal erweise etwa gleich hoch sein sollten. Der CDM gilt dabei als benachteiligt, da ein "Teil der Erlöse" für die Kosten seiner Verwaltung und fUr Anpassungszwecke abgefUhrt werden muss. Aus diesem und anderen Gründen wäre es ratsam, eine Transaktionsgebühr fUr alle drei Mechanismen zu erheben (vgl. Kap. 15 und 25). Damit könnte auch der von der EU geforderten Ergänzungsbedin-

7 Zur Rolle des privaten Sektors vgl. Campbell 1998.

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gung Rechnung getragen werden, denn höhere Transaktionskosten würden einen verstärkten Anreiz rür die Umsetzung von Maßnahmen im eigenen Land bieten.

Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Mechanismen in einen Verdrän­gungswettbewerb geraten, bei dem Umweltkriterien ins Hintertreffen geraten. Sollte für jeden einzelnen Mechanismus eine maximale Nutzung angestrebt werden, könnte dies zu einer Inflation und in der Folge zu einem Wertverlust der Emissionserlaubnisse führen. Damit würden die Mechanismen nicht nur keine zusätzlichen Einkünfte erbringen, sondern das Regime in seiner Exi­stenz bedroht sein, was verheerende Konsequenzen für die Bemühungen zum Schutz des Klimas hätte.'

Zu Beginn des Kyoto-Prozesses sind Transparenz und Vertrauensbildung als Grundlagen für die zu schaffenden Systeme oberstes Gebot. Deshalb muss bei der Erarbeitung der entsprechenden Regeln vor allem dem Bedarf an präzisen, transparenten und nachprüfbaren Informationen über alle im Rahmen der Mechanismen stattfindenden Aktivitäten Rechnung getragen werden. Damit wird der Befürchtung begegnet, im System könnten über die schon einkalkulierte "heiße Luft" (vgl. Kap. 15) hinaus überschüssige Emis­sionserlaubnisse vorhanden sein. Die Kyoto-Mechanismen sollten in erster Linie dazu führen, dass mit ihrer Hilfe mehr Emissionen vermieden werden als ohne sie.

In welchem Umfang die Mechanismen zur Anwendung gelangen, hängt nicht zuletzt auch davon ab, wie erfolgreich die Umsetzung der Kyoto­Verpflichtungen im eigenen Land verläuft. Sollte diese energisch in Angriff genommen werden, könnte der durch die Klimapolitik ausgelöste Technolo­gie-, Verhaltens- und Strukturwandel die Kosteneffizienz nationaler Maßnah­men erhöhen und damit den potenziellen Markt für die Kyoto-Mechanismen erheblich einschränken!

Die Bewertung der institutionellen Wirksamkeit des Kyoto-Protokolls er­bringt sowohl positive als auch negative Ergebnisse. Mit diesem Kriterium soll festgestellt werden, ob die institutionellen Bestimmungen (zu Organen und Beschlussverfahren) im Hinblick auf eine Verschärfung und Ausweitung vertraglicher Verpflichtungen unter Berücksichtigung der Weiterentwicklung des wissenschaftlichen und technischen Kenntnisstandes sowie der sich ver­ändernden politischen Rahmenbedingungen angemessen sind. Außerdem werden dabei die Maßnahmen betrachtet, die für die Durchsetzung vertragli­cher Verpflichtung verfügbar sind. Zunächst ist festzustellen, dass die unter dem Dach der FCCC eingesetzten Institutionen einfach ein zweites Mal er-

8 Vgl. Grubb etal. 1999,S. 193. 9 Die Europäische Kommission geht davon aus, dass die EU selbst unter den gegenwärtig

herrschenden Bedingungen etwa zwei Drittel ihrer Verpflichtung von 8% zu Kosten von weniger als 5 Euro pro Tonne COz-Äquivalent erfüllen könnte, vgl. Europäische Kommis­sion 1999, S. 10.

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schaffen wurden (vgl. Kap. 18). Anderseits haben die COP, das Sekretariat und die Nebenorgane ihre Aufgaben zufriedenstellend erfüllt, und dies lässt sich in Zukunft auch für die Organe des Protokolls erwarten. In Bezug auf die Kyoto-Mechanismen steht das institutionelle Gefüge bis auf die Einrichtung eines weitgehend undefinierten Exekutivrats für den CDM noch nicht ein­deutig fest (vgl. Kap. 14). Diese Institutionen, insbesondere die für die Ver­waltung des CDM und des Emissionshandels zuständigen, könnten eine eige­ne Dynamik entfalten und eine effektive Struktur für das Klimaregime im neuen Jahrhundert bieten.

Ein anderes institutionelles Problem stellt nicht nur die Protokollmitglie­der vor Schwierigkeiten, sondern belastet seit langem auch die Vertragspar­teien der Konvention: das Abstimmungsverfahren. Infolge des erbitterten Widerstands vonseiten der Länder mit Ölinteressen enthalten weder Protokoll noch Konvention entsprechende Regelungen. Einzige Ausnahme sind die Bestimmungen zur Annahme von Änderungen des Vertrages und seiner An­lagen, die eine Dreiviertelmehrheit vorschreiben (Artikel 20.3 und 21.4). Um jedoch die Effektivität des Protokolls zu gewährleisten, ist eine - wie auch immer geartete - Mehrheitsregelung zur Entscheidungsfindung unabdingbar.

Im Hinblick auf den Durchsetzungsmechanismus sieht Artikel 18 aus­drücklich die Erarbeitung eines Nichteinhaltungsverfahrens vor. Außerdem verabschiedeten die Vertragsparteien bei COP 4 ein Programm, mit dem ein solches Verfahren geprüft und schließlich angenommen werden soll.'O All­mählich gelangen scheinbar immer mehr Länder zu der Einsicht, dass das Kyoto-Protokoll mit seinen verbindlichen Verpflichtungen auch die Mög­lichkeit beinhalten muss, diese Verpflichtungen strikt durchzusetzen (vgl. Abschnitt 18.3).

Da es sich bei dem Kyoto-Protokoll um ein "unfertiges Produkt" handelt, wird es nur in abgewandelter Form in Kraft treten, entweder auf grund einer formalen Änderung oder aufgrund umfangreicher Beschlüsse. Formale Ände­rungen wären beispielsweise für die Annahme eines Nichteinhaltungsverfah­rens mit verbindlichen Folgen nötig. Für die Ausgestaltung des HandeIs­systems, der JI und des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung könnten hingegen Beschlüsse der Konferenz der Vertragsparteien ausrei­chend sein.

Trotz dieses überwiegender kritischen Urteils ist durchaus vorstellbar, dass das Protokoll ein Erfolg wird. Sicher lassen sich genügend Gründe nen­nen, mit dem schleppenden Fortgang der internationalen Klimapolitik im Kontext des bestehenden Klimaregimes unzufrieden zu sein." Doch unge­achtet aller Forderungen nach einem völlig neuen Ansatz" gibt es gegenwär-

10 Beschluss 8/CP.4 Annex II in FCCC/CP/l 998/1 6/Add. I. 11 Flavin 1998. 12 V gl. Benedick I 998b; Cooper 1998; vgl. aber die überzeugende Entgegnung des Chefunter­

händlers der USA Eizenstat I 998a.

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tig keine überzeugende Alternative zur FCCC und zum Kyoto-Protokoll, die immerhin das Ergebnis zehnjähriger Klimadiplomatie sind. Darüber hinaus gibt es genügend Möglichkeiten für eine Stärkung des bestehenden Regimes. So könnte in seinem Rahmen Z.B. eine "Leadership"-Initiative ins Leben gerufen werden (vgl. Kap. 25). Eine Abkehr vom Protokoll ohne eine glaub­würdige und politisch durchsetzbare Alternative wäre einzig und allein den Gegnern internationaler Klimapolitik dienlich und würde somit den Klima­schutz schwächen.

Das Kyoto-Protokoll stellt demnach keine endgültige Lösung für die vielfältigen Probleme dar, denen sich die internationale Gemeinschaft bei einer gemeinsamen Bekämpfung des Klimawandels stellen muss. Es bietet jedoch ein stabiles Fundament, auf dessen Grundlage die internationale Kli­mapolitik den dringend erforderlichen Umbau der Industriegesellschaft im neuen Jahrhundert in Angriff nehmen kann. Außerdem - und das ist viel­leicht am wichtigsten - wird damit politischen Entscheidungsträgern, der Industrie und anderen Akteuren im eigenen Land eindeutig signalisiert, dass der Klimawandel nunmehr fest auf der weltpolitischen Tagesordnung veran­kert ist (vgl. Kap. 24). Aufgrund seiner weit reichenden Folgen für unsere Produktions- und Konsumgewohnheiten wird das Kyoto-Protokoll sehr wahr­scheinlich mehr als jedes andere internationale Übereinkommen das Leben jedes einzelnen Menschen auf diesem Planeten nachhaltig beeinflussen.