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53 2.4 Gefäßerkrankungen 2.4.1 Periphere arterielle Verschlusskrankheit Synonym: pAVK, Schaufensterkrankheit Definition Bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) handelt es sich um eine Störung der arteriellen Durchblutung, die bei mehr als 90 % der Patienten die Gefäße der Becken-Beinregion betrifft. Die pAVK ist weltweit die am häufigsten vorkommende periphere arterielle Gefäßerkrankung. In Deutschland leiden aktuell mindestens 4,5 Millionen Menschen an einer pAVK; die Gesamtprävalenz wird mit 3 – 10 % ange- geben. Ab dem 70. Lebensjahr steigt die Prävalenz auf 15 – 20 % an; etwa ab dem 75. Lebensjahr ist die Prävalenz bei Frauen höher als bei Männern. Das Verhältnis von asymptomatischen zu symptomatischen Patienten liegt altersunabhängig bei etwa vier zu eins. Ätiologie Die pAVK entsteht durch Einengung (Stenose) oder Verschluss (Okklusion) von Arte- rien. Die häufigste Ursache der pAVK in den westlichen Industrienationen ist mit etwa 95 % die Arteriosklerose. Daneben sind es zu einem geringen Anteil entzündliche genetische und traumatische Ursachen, die zu einer pAVK führen. Der wesentlichste Risikofaktor für die Entstehung einer pAVK ist das Rauchen. Weitere unabhängige Risikofaktoren sind ein insuffizient eingestellter Diabetes mellitus, ein arterieller Hypertonus, eine erhöhte Gesamtcholesterinkonzentrationen, erhöhte LDL-Choleste- rinspiegel sowie eine Erhöhung der Triglyzeride und des Lipoproteins (a). Spezifische Diagnostik Bei jedem Patienten mit Verdacht auf pAVK sollte an beiden Beinen mindestens die Arteria dorsalis pedis an den Fußrücken und die Arteria tibialis posterior hinter den Innenknöcheln palpiert und der Knöchel-Arm-Index (engl. Ankle-Brachial-Index, ABI) bestimmt werden. Die bei pathologischen Befunden durchzuführende Duplex-Sono- graphie ermöglicht eine exakte Lokalisation und morphologische Charakterisierung von Strombahnhindernissen, die auch mit abgeleiteten Doppler-Frequenzspektren quantifiziert werden können. Als nachgeschaltete Untersuchungen stehen insbeson- dere vor invasiven Eingriffen die intraarterielle digitale Subtraktionsangiographie (DSA), die computertomographische Angiographie (CTA) oder die Magnetresonanz-Angio- graphie (MRA) zur Verfügung. Diese verschiedenen Methoden haben sehr unterschied- liche Vor- und Nachteile und sollten somit individuell für den jeweiligen Patienten gezielt ausgewählt werden.

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2.4 Gefäßerkrankungen

2.4.1 Periphere arterielle Verschlusskrankheit

Synonym: pAVK, Schaufensterkrankheit

Definition

Bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) handelt es sich um eine Störung der arteriellen Durchblutung, die bei mehr als 90 % der Patienten die Gefäße der Becken-Beinregion betrifft. Die pAVK ist weltweit die am häufigsten vorkommende periphere arterielle Gefäßerkrankung. In Deutschland leiden aktuell mindestens 4,5 Millionen Menschen an einer pAVK; die Gesamtprävalenz wird mit 3 – 10 % ange-geben. Ab dem 70. Lebensjahr steigt die Prävalenz auf 15 – 20 % an; etwa ab dem 75. Lebensjahr ist die Prävalenz bei Frauen höher als bei Männern. Das Verhältnis von asymptomatischen zu symptomatischen Patienten liegt altersunabhängig bei etwa vier zu eins.

Ätiologie

Die pAVK entsteht durch Einengung (Stenose) oder Verschluss (Okklusion) von Arte-rien. Die häufigste Ursache der pAVK in den westlichen Industrienationen ist mit etwa 95 % die Arteriosklerose. Daneben sind es zu einem geringen Anteil entzündliche genetische und traumatische Ursachen, die zu einer pAVK führen. Der wesentlichste Risikofaktor für die Entstehung einer pAVK ist das Rauchen. Weitere unabhängige Risikofaktoren sind ein insuffizient eingestellter Diabetes mellitus, ein arterieller Hypertonus, eine erhöhte Gesamtcholesterinkonzentrationen, erhöhte LDL-Choleste-rinspiegel sowie eine Erhöhung der Triglyzeride und des Lipoproteins (a).

Spezifische Diagnostik

Bei jedem Patienten mit Verdacht auf pAVK sollte an beiden Beinen mindestens die Arteria dorsalis pedis an den Fußrücken und die Arteria tibialis posterior hinter den Innenknöcheln palpiert und der Knöchel-Arm-Index (engl. Ankle-Brachial-Index, ABI) bestimmt werden. Die bei pathologischen Befunden durchzuführende Duplex-Sono-graphie ermöglicht eine exakte Lokalisation und morphologische Charakterisierung von Strombahnhindernissen, die auch mit abgeleiteten Doppler-Frequenzspektren quantifiziert werden können. Als nachgeschaltete Untersuchungen stehen insbeson-dere vor invasiven Eingriffen die intraarterielle digitale Subtraktionsangiographie (DSA), die computertomographische Angiographie (CTA) oder die Magnetresonanz-Angio-graphie (MRA) zur Verfügung. Diese verschiedenen Methoden haben sehr unterschied-liche Vor- und Nachteile und sollten somit individuell für den jeweiligen Patienten gezielt ausgewählt werden.

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2 Chronische und komplizierte Wunden

Klinischer Befund

Entsprechend der Einteilung nach Fontaine können vier verschiedene Stadien der pAVK differenziert werden (Tab. 2.4.1-1). Das erste klinische Symptom, das vielen Patienten mit pAVK auffällt, ist die eingeschränkte Gehstrecke. Diese belastungsab-hängigen Schmerzen im Bein werden auch als Claudicatio intermittens („Schaufenster-Krankheit“) bezeichnet. Die Hochlagerung der Beine verursacht bei den Patienten meist eine Zunahme der subjektiven Beschwerden.

Hautdefekte treten durch die pAVK überwiegend an den unteren Extremitäten in Form von akralen Nekrosen, Gangränen und Ulzerationen auf, die von kühler Haut umgeben sind (Abb. 2.4.1-1 bis 2.4.1-7). Selten sind diese Veränderungen auch an den oberen Extremitäten lokalisiert (Abb. 2.4.1-8). Bei Manifestation an den Unter-schenkeln als Ulcus cruris arteriosum ist häufiger die Region um den Malleolus late-ralis oder die Tibiakante nach Minimaltrauma betroffen (Abb. 2.4.1-9, 2.4.1-10).

Abb. 2.4.1-1Die kritische Ischämie führt bei diesem Patienten mit pAVK zu lividen Erythemen. Bei Zustand nach Zehenamputation besteht weiterhin eine nicht heilende Wunde.

2 Chronische und komplizierte Wunden

Stadium

I keine Beschwerden

II Claudicatio intermittens IIa Gehstrecke ≥200 m IIb Gehstrecke <200 m

III Ruheschmerz

IV Nekrose, Gangrän, Ulkus

Tab. 2.4.1-1Einteilung der klinischen Symptome der pAVK nach Fontaine.

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Abb. 2.4.1-4 Durch den direkten Kontakt der Ulzeration an der Großzehe tritt in der Folge auch an der zweiten Zehen eine Ulzeration auf (sog. Kissing ulcer).

Abb. 2.4.1-3Ulzeration (Pfeil 1), Nekrose (Pfeil 2), Hyperkeratosen (Pfeil 3) und Schuppen (Pfeil 4) an einem Fuß bei pAVK.

Abb. 2.4.1-2Erytheme und Krusten auf oberflächlichen Ulzerationen bei pAVK.

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2 Chronische und komplizierte Wunden

Abb. 2.4.1-5Nekrose bei einem akuten Gefäßverschluss bei einem Patienten mit pAVK.

Abb. 2.4.1.-6 Fortschreitende Nekrose der Zehen bei pAVK.

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Abb. 2.4.1-8Seltener kann eine pAVK auch zu Ulzerationen der Finger führen.

Abb. 2.4.1-7Nekrose und plantare Ulzeration bei fortgeschrittener pAVK.

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Abb. 2.4.1-10 Nekroseplatten auf einem Ulcus cruris arteriosum.

2 Chronische und komplizierte Wunden

Abb. 2.4.1-9Ulcus cruris arteriosum.

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Spezifische Therapie

Die Therapie der Patienten mit pAVK sollte immer mit der Beseitigung relevanter Risi-kofaktoren beginnen. Die Basisbehandlung umfasst unter anderem Gewichtsredukti-on bei Adipositas, Nikotinkarenz sowie die Optimierung der Therapie der arteriellen Hypertonie, der Hypercholesterinämie und des Diabetes mellitus.

Bei symptomatischen Patienten mit Claudicatio intermittens ist das strukturierte Gehtraining in Ergänzung zu der konsequenten Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren die wichtigste nicht-medikamentöse Behandlung. Wenn diese Maß-nahmen keinen Erfolg bringen oder die klinische Symptomatik bereits weiter fortge-schritten ist, kann eine Therapie mit vasoaktiven Pharmaka, wie beispielsweise Pro-stanoiden oder Pentoxyfillin, eingeleitet werden. Sollten sich die Patienten auch unter der pharmakologischen Therapie behandlungsrefraktär zeigen, so kann eine Revas-kularisation durch interventionelle Vorgehensweisen mittels perkutaner transluminaler Angioplastie (PTA) oder Bypass-Chirurgie angestrebt werden.

Literatur

Bradbury AW, Adam DJ. Diagnosis of peripheral arterial disease of the lower limb. BMJ 2007;334(7606):1229-1230.

Dissemond J. Periphere arterielle Verschlusskrankheiten, In: Landthaler M, Plewig G, Burg-dorf W et al. (eds.). Braun Falco’s Dermatologie, 6. Ausgabe. Springer-Verlag, Heidelberg 2012;1086-1095.

Hankey GJ, Norman PE, Eikelboom JW. Medical treatment of peripheral arterial disease. JAMA 2006;295:547-553.

Hirsch AT. Treatment of peripheral arterial disease – extending "intervention" to "therapeu-tic choice". N Engl J Med 2006;354:1944-1947.

Kinlay S. Management of critical limb ischemia. Circ Cardiovasc Interv 2016;9:001946.

Nelson EA, Bradley MD. Dressings and topical agents for arterial leg ulcers. Cochrane Database Syst Rev 2015;6:CD001836.

Norgren L, Hiatt WR, Dormandy JA et al.; TASC II Working Group. Inter-society consensus for the management of peripheral arterial disease. J Vasc Surg 2007;45 (Suppl.):5-67.

2.4.2 Arteriovenöse Fistel

Synonym: AV-Malformation, AV-Shunt

Definition

Eine arteriovenöse (AV) Fistel ist eine Gefäßanomalie, bei der unter Umgehung der Kapillaren eine Verbindung zwischen Arterien und Venen besteht. Somit kommt es zu einem Kurzschluss zwischen der zuführenden Arterie und der abführende Vene.