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ACCADEMIA BIZANTINA 24.10.2011 SAISON 2011/2012 ABONNEMENTKONZERT 2 OTTAVIO DANTONE ORGEL UND LEITUNG

24.10.2011 ACCADEMIA BIZANTINA - Radio - Fernsehen · demia Bizantina für die Spielzeit 2010/2011 ge-hörten „Giulio Cesare von Händel und „Il Giustino“ von Vivaldi. Dantones

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ACCADEMIA BIZANTINA24.10.2011

SAISON 2011/2012 ABONNEMENTKONZERT 2

OTTAVIO DANTONE ORGEL UND LEITUNG

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PROGRAMMABFOLGE | 03

JOHANN SEBASTIAN BACH (1685 –1750)

ARCANGELO CORELLI (1653 –1713)

JOHANN SEBASTIAN BACH

ARCANGELO CORELLI

Montag, 24. Oktober 2011, 20 UhrHamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

ACCADEMIA BIZANTINA

OTTAVIO DANTONE ORGEL UND LEITUNG

Sinfonien aus den Kantaten:„Geist und Seele wird verwirret“ BWV 35Prima parte„Ich steh’ mit einem Fuß im Grabe“ BWV 156„Geist und Seele wird verwirret“ BWV 35Seconda parte„Am Abend aber desselbigen Sabbats“ BWV 42

Concerto grosso F-Dur op. 6 Nr. 2 (bearbeitet von Ottavio Dantone)Vivace – Allegro – Adagio – Vivace – Allegro – Largo andanteAllegroGrave – Andante largoAllegro

Pause

Sinfonien aus den Kantaten:„Ich hatte viel Bekümmernis“ BWV 21„Wir müssen durch viel Trübsal“ BWV 146„Der Herr denket an uns“ BWV 196„Gott soll allein mein Herze haben“ BWV 169

Concerto grosso D-Dur op. 6 Nr. 4 (bearbeitet von Ottavio Dantone)Adagio – AllegroAdagioVivace Allegro

Das Konzert wird aufgezeichnet und zu einem späteren Zeitpunkt auf NDR Kultur gesendet.

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ACCADEMIA BIZANTINA

ORGEL UND LEITUNGOttavio Dantone

VIOLINE IAlessandro TampieriPaolo ZinzaniLisa FergusonUlrike Fischer

VIOLINE IIStefano RossiLaura MirriAna Liz Ojeda

VIOLADiego MeccaRenato Burchese

VIOLONCELLO Marco FrezzatoAlessandro Andriani

KONTRABASS Nicola dal Maso

OBOEN Paolo GrazziElisabeth Baumer

TAILLE (TENOR-OBOE)Emiliano Rodolfi

FAGOTT Alberto Guerra

CEMBALO Stefano Demicheli

BESETZUNGACCADEMIA BIZANTINA

Das Ensemble Accademia Bizantina ist auf das

Repertoire des 17. und 18. Jahrhunderts speziali-

siert und spielt auf historischen Instrumenten.

Seit 1996 wird die Accademia Bizantina von dem

Cembalisten Ottavio Dantone sowie für Program me

des Violinrepertoires von Stefano Montanari, dem

Sologeiger des Ensembles, geleitet. Das Orches ter

trat auf zahlreichen Konzertbühnen und bei Festi-

vals in ganz Europa sowie in Israel, Japan, Mexiko,

den Vereinigten Staaten und Südamerika auf. Die

Accademia Bizantina war zu Gast bei den Festivals

in Ravenna, Beaune und Jesi, beim Musikfest

Bremen, bei den Händelfestspielen in Halle sowie

in Potsdam, Ludwigsburg, Schwetzingen und bei

den Salzburger Pfingstfestpielen. Sie konzertier te

in der Kölner Philharmonie, in der Alten Oper Frank-

furt, im Prinzregententheater in München, im

Arsenal in Metz, im Théâtre des Champs-Elysées

sowie in der Eremitage in St. Petersburg anlässlich

des 300-jährigen Gründungsjubiläums der Stadt.

Viele Einspielungen der Accademia Bizantina sind

dem italienischen Repertoire gewidmet: Corelli,

Frescobaldi, Galuppi, Marcello, Sarti, Alessandro

Scarlatti und Vivaldi. Im Jahr 2005 begann mit der

Aufnahme der Oper „Tito Manlio“ die Zusammen-

arbeit mit dem Label Naïve für eine Einspielung

des Gesamtwerks von Vivaldi. Das Orchester

hat sich einen Namen als einer der besten Inter-

preten der italienischen Barockoper gemacht.

Seine konzertante Interpretation von Pergolesis

„L’Olimpiade“ 2003, in Zusammenarbeit mit der

Stiftung Pergolesi in Jesi, wurde von der Kritik

enthusiastisch aufgenommen, ebenso die szeni-

schen Aufführungen von Händels „Orlando“ in

Ravenna und Reggio Emilia im März 2004. Im Jahr

2009 führte das Ensemble die szenische Fassung

von Händels „Partenope“ an den Theatern von

Ferrara und Modena auf und gastierte mit „Rinaldo“

in Beaune, in Paris (Théâtre des Champs Elysées)

Köln (Philharmonie) und Krakau.

ACCADEMIA BIZANTINA | 0504 | BESETZUNG

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06 | ORGEL UND LEITUNG PROGRAMM | 07

OTTAVIO DANTONEORGEL UND LEITUNG

Ottavio Dantone absolvierte ein Orgel- und

Cembalostudium am Konservatorium Guiseppe

Verdi in Mailand und begann seine Konzert-

karriere in sehr jungen Jahren. Von Anfang an

legte er den Schwerpunkt auf ein intensives

Studium der Alten Musik und zog gleichermaßen

das Interesse des Publikums und der Kritik auf

sich: 1985 wurde er mit einem Preis für Basso

continuo beim internationalen Wettbewerb in

Paris und 1986 beim internationalen Wettbewerb

in Brügge ausgezeichnet. Seit 1996 ist Dantone

musikalischer Direktor der Accademia Bizantina

in Ravenna. 1999 debütierte er als Opern-Dirigent

mit der ersten Wiederaufführung von Giuseppe

Sartis „Giulio Sabino“. Seither ist er neben seiner

Tätigkeit als Solist und musikalischer Direktor

von Kammerensembles intensiv als Dirigent tätig.

Im Frühjahr 2005 erntete Dantone großen Beifall

als Dirigent bei Pier Luigi Pizzis Inszenierung

von Händels „Rinaldo“ an der Mailänder Scala,

eine Produktion, die er im Frühjahr 2009 mit der

Accademia Bizantina wieder aufnahm. Unter den

Opernwerken, die er 2010 dirigierte, waren vier

Opern von Pergolesi, die in szenischer Version im

Juni und September 2010 im Rahmen des Festival

Pergolesi de Jesi anlässlich des 300. Geburtsta ges

des Komponisten gegeben wurden: „Il Flaminio“,

„Adriano in Siria“, „Le Frate n’ammorato“ und

„L’Olimpiade“. Zu Dantones Projekten mit Acca-

demia Bizantina für die Spielzeit 2010/2011 ge-

hörten „Giulio Cesare von Händel und „Il Giustino“

von Vivaldi.

Dantones reguläre Konzertverpflichtungen führ-

ten ihn zu den berühmtesten Opernhäusern und

internationalen Festivals. Man findet ihn regel-

mäßig an der Spitze des Orchesters der Mailänder

Scala, aber er dirigiert ebenso andere renom-

mierte Orchester, wie im November 2008 an der

Staatsoper unter den Linden in Berlin, an der

Opéra du Rhin, am Teatro Real in Madrid oder

beim Festival in Glyndebourne.

Wenn Johann Sebastian Bach heute als bedeu-

tendster Barockkomponist, als Künstler von uni-

versellem Rang gilt, dann hat das vermutlich nur

wenig mit bahnbrechenden Neuerungen und

rundum originellen Leistungen zu tun. Solche

Leistungen gab es durchaus, doch noch wichtiger

war Bachs ausgeprägte Fähigkeit, sich die Errun-

genschaften anderer Komponisten kreativ anzu-

eignen. Er kannte die Musik der nord- wie auch der

süddeutschen Orgelschule, studierte französische

Tänze und italienische Concerti, jahrhundertealte

Polyphonie und die neuesten Moden des galanten

Zeitalters. Allerdings begnügte er sich nicht damit,

all diese Stile und Gattungen, Satztechniken und

Formen nur zu beherrschen und nachzuahmen;

er verband sie mit seinen eigenen Ideen, drückte

ihnen seinen persönlichen Stempel auf.

Der heute wohl bekannteste Einfluss auf Bach

aus dem Bereich der italienischen Musik ging von

Antonio Vivaldi aus. 1713/14 bearbeitete der

damalige Weimarer Hoforganist und Kammermu-

siker eine ganze Reihe von Violinkonzerten des

Venezianers für Cembalo oder Orgel, und wie sein

früher Biograph Forkel berichtet, lernte Bach

dabei „musikalisch zu denken“: „Er studierte die

Führung der Gedanken, das Verhältnis derselben

untereinander, die Abwechslungen der Modulation

und mancherlei andere Dinge mehr.“ Neben dem

damals modernen Solokonzert, das durch Vivaldi

seine klassische Ausprägung erhielt, schätzte

Bach auch eine ältere Konzertform: das Concerto

grosso. Die Unterschiede lassen sich so zusam-

menfassen: Im Concerto grosso stehen sich zwei

Gruppen gegenüber – auf der einen Seite das

sogenannte Concertino mit zwei Violinen und

Violoncello, auf der anderen ein vierstimmiger

Streichersatz, der meist chorisch ausgeführt wird,

das Concerto grosso im engeren Sinn. Die Stimmen

von Solo- und Tuttiviolinen unterscheiden sich

in der Schwierigkeit oft nur wenig voneinander,

zumindest soweit die Noten darüber Auskunft

geben. Improvisierte Verzierungen durch die So -

listen waren allerdings üblich. Die Satzfolge ent-

spricht oft der „Kirchensonate“ mit zwei Satz-

paaren (langsam-schnell-langsam-schnell). Das

Solokonzert ist dagegen von vornherein auf die

außerordentlichen Fähigkeiten eines Spielers

ausgerichtet. Virtuose, frei modulierende Solo-

Episoden wechseln in Vivaldis Konzertsätzen mit

Tutti-Ritornellen, die auf den harmonischen

Hauptstufen wiederkehren. Die Dreisätzigkeit

(schnell-langsam-schnell) ist Standard.

DAUERHAFT UND ALLGEMEINGÜLTIG: CORELLIS CONCERTI GROSSISo wie Vivaldi das Solokonzert prägte, galt

Arcangelo Corelli als der Großmeister des Concerto

grosso. Seine Erfindung war die Gattung zwar

nicht – sie entwickelte sich bereits ab Mitte des

17. Jahrhunderts aus der Triosonate. Allerdings

wurden seine Konzerte op. 6 für Generationen

von Musikern in ganz Europa zum verbindlichen

Modell. Noch 1776 schrieb John Hawkins in seiner

„General History of the Science and Practice of

Music“, Corellis Kompositionen seien „nicht nur

gleichermaßen verständlich für die Gebildeten wie

für die Ungebildeten, sondern die Eindrücke, die

sie verursachen, haben sich als ebenso dauerhaft

wie allgemeingültig erwiesen. Seine Musik ist die

Sprache der Natur ...“ Während von Vivaldi rund

500 Konzerte in allen erdenklichen Besetzungen

bekannt sind, hat Corelli nur die zwölf gleichartig

instrumentierten Werke des op. 6 hinterlassen.

ORIGINALITÄT DURCH NACHAHMUNGCORELLIS CONCERTI GROSSI UND BACHS KANTATEN-SINFONIEN

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Überhaupt beruht sein ganzer Ruhm auf einem

ungewöhnlich schmalen Œuvre: Es umfasst außer

den Konzerten lediglich vier gedruckte Sammlun-

gen von je zwölf Triosonaten (op. 1 bis 4) und

eine ebenfalls zwölfteilige Reihe von Violinsonaten

(op. 5); daneben existieren einige wenige hand-

schriftlich überlieferte Kompositionen; die Echtheit

der meisten wird allerdings angezweifelt. Opern

oder andere Vokalwerke – für die meisten seiner

Kollegen die wichtigste Einkommensquelle –

in teressierten Corelli offenbar überhaupt nicht.

Natürlich dürfte er, der als Geiger und Orchester-

leiter den in Rom residierenden Kardinälen

Benedetto Pamphili und Pietro Ottoboni diente,

wesentlich mehr komponiert haben als die heute

erhaltenen Werke. Doch er konnte es sich leisten,

nur das Beste in Druck zu geben – schließlich

stammte er aus einer begüterten Familie und er -

freute sich zeitlebens der Unterstützung seiner

reichen Gönner. Corellis Veröffentlichungen waren

das Ergebnis einer strengen Auswahl und sorg-

fältigen Überarbeitung: „Ich kenne mein eigenes

Unvermögen und habe bis jetzt experimentiert,

bis ich nach häufigen und langwierigen Verbesse-

rungen gerade die Sicherheit erlangt habe, die

wenigen von mir in den Druck gegebenen Werke

dem Publikum vorzustellen“, schrieb er an Kurfürst

Johann Wilhelm von der Pfalz, den Widmungsträger

des Opus 6. Die Sammlung erschien erst 1714,

ein Jahr nach Corellis Tod, in Amsterdam, doch

vieles daraus kursierte wohl schon lange vorher,

womöglich seit den frühen 1680er-Jahren, in

handschriftlichen Kopien.

Ein sehr systematisches Denken verrät der Inhalt

von Corellis Drucksammlungen: Op. 1 und op. 3

enthalten Sonaten „da chiesa“ – also Kirchensona-

ten, Abfolgen pathetischer oder ausdrucksvoller

langsamer und fugierter schneller Sätze. Dagegen

sind op. 2 und op. 4 der „Sonata da camera“ ge -

widmet, einer Folge von Tanzsätzen, eingeleitet

durch ein Präludium. Op. 5 enthält je sechs Kirchen-

und Kammersonaten, und op. 6 ist ebenfalls in zwei

Gruppen unterteilt: Nr. 1 bis 8 könnte man als

„Concerti da chiesa“ bezeichnen, Nr. 9 bis 12 als

„Concerti da camera“. Allerdings behandelt Corelli

die beiden Genres freier als zuvor, denn Tanzsätze –

wenngleich sie nicht als solche be titelt sind –

tauchen nun auch in den „Kirchenkonzerten“ auf.

VARIATIONEN ÜBER EIN MODELLDer Eröffnungssatz des Konzerts op. 6 Nr. 2 in

F-Dur ist recht originell gestaltet: Statt wie üblich

ein Adagio- oder Largo-Tempo zu wählen, lässt

Corelli die Bewegungsart abschnittsweise wech-

seln. Einige signalartige Vivace-Takte führen zu

einem Allegro, dieses wiederum zu einem Adagio,

das in Moll steht und auf Solopartien verzichtet.

Vivace und Allegro kehren dann wieder, und ein

„Largo andante“ bildet eine Art Coda: Sie wird von

den Solisten eröffnet, und wenn das Tutti über-

nimmt, tauschen Ober- und Unterstimme ihre

Plätze. Nach diesem überraschenden Beginn ent-

spricht der zweite Satz mit seinem schnellen

Tempo und der imitierenden Stimmführung wieder

den Erwartungen. Gleiches gilt für den folgenden

langsamen Satz in d-Moll; er kommt ohne Solisten

aus. Am Schluss steht ein Allegro, das nicht nur

durch seinen kräftigen Rhythmus und homopho nen

Satz Tanz-Assoziationen weckt, sondern auch die

typische Form eines barocken Tanzes aufweist:

Es besteht aus zwei Teilen, die jeweils wiederholt

werden.

Auch im vierten Konzert in D-Dur wandelt Corelli

die Form der Kirchensonate fantasievoll ab. Einige

feierliche Akkorde bilden den einleitenden Adagio-

Abschnitt; es folgt ein zweiteiliges brillantes Alle-

gro, in dem die beiden Soloviolinen sich taktweise

die Motive zuwerfen; das Solocello erhält hier

keine eigene Stimme. Ein zweites, ebenfalls akkor-

disches Adagio ist viel breiter ausgeführt als das

erste; es beginnt mit dem barocken Klagemotiv

der chromatisch ausgefüllten fallenden Quarte.

Einen ausgesprochen weltlichen, tänzerischen Ton

schlägt das unmittelbar anschließende Vivace an.

Auch der letzte Satz, wieder ein Allegro, hat mit

seinem Gigue-ähnlichen Dreierrhythmus und der

zweiteiligen Form Tanzcharakter; ein noch be weg-

terer Abschnitt (Sechzehntel statt Achteltriolen bei

gleichem Tempo) bildet den krönenden Abschluss.

VERBORGENER SCHATZ: BACHS KANTATEN-SINFONIENJohann Sebastian Bachs Orchesterwerk setzt sich

zusammen aus den sechs Brandenburgischen

Konzerten, den vier Orchestersuiten und einer

Reihe von Violin- und Cembalokonzerten – so

kann man es in Konzertführern und Lexika lesen.

Vergessen wird dabei nur, dass einige der schöns-

ten und aufwändigsten Instrumentalsätze Bachs

in seinen Kantaten „versteckt“ sind. Dort fristen

sie heute ein Schattendasein, denn nur selten

erklingt eine der etwa 200 erhaltenen Kirchen-

kantaten im Konzertsaal. Dass die Sinfonien (also

Einleitungen) der Kantaten den selbstständigen

Instrumentalstücken in nichts nachstehen, darauf

deuten schon die zahlreichen Überschneidungen

zwischen beiden Gruppen hin: So hat Bach zum

Beispiel den Eingangssatz des ersten Brandenbur-

gischen Konzerts als Eröffnung seiner Kantate

BWV 52 wiederverwertet, den der vierten Orches-

tersuite in der Kantate BWV 110.

Etwas komplizierter liegen die Dinge bei einigen

Stücken aus dem heutigen Programm. Die Sinfonia

zur Kantate „Wir müssen durch viel Trübsal“

BWV 146 deckt sich mit dem Kopfsatz des Cem-

balokonzerts BWV 1052, dessen weitere Sätze

Johann Wilhelm, Kurfürst von der Pfalz, als Mäzen der

Künste, Gemälde von Adriaen van der Werff, 1716

Arcangelo Corelli, Gemälde von Jan Frans

van Douven, um 1700

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übrigens ebenfalls in Kantaten-Fassungen existie-

ren: der langsame Mittelsatz als erster Chor von

BWV 146, der Schlusssatz als Sinfonia der Kantate

BWV 188. Ähnlich nutzte Bach auch das Material

seines Cembalokonzerts BWV 1053: Der erste Satz

entspricht der Sinfonia zur Kantate „Gott soll allein

mein Herze haben“ BWV 169, der zweite der Arie

„Stirb in mir Welt“ aus dem gleichen Werk und der

dritte der Sinfonia zur Kantate BWV 49. Die Sinfonia

der Kantate „Ich steh’ mit einem Fuß im Grabe“

BWV 156 finden wir schließlich im langsamen Satz

des Cembalokonzerts BWV 1056 wieder. Hat Bach

also die Cembalokonzerte für sein Kantatenschaffen

ausgeschlachtet? Dagegen scheint zunächst die

Chronologie zu sprechen: Die heute bekannten

Fassungen seiner Konzerte mit Solo-Cembalo

schrieb Bach um 1738; er führte sie mit dem

Leipziger „Collegium musicum“ auf, einer Studen-

ten- und Liebhabervereinigung, die regelmäßig

Konzerte in den Kaffeehäusern und -gärten der

Stadt gab. Dagegen entstanden die Kantaten

zumeist während der früheren Leipziger Jahre:

BWV 146 entweder 1726 oder 1728, BWV 169

1726 und BWV 156 1729.

Allerdings trifft auch die umgekehrte Annahme,

dass Bach aus Kantaten-Einleitungen Konzertsätze

gemacht habe, nicht zu. Die Ursprünge beider

Fassungen liegen vielmehr in älteren, nicht erhalte-

nen Konzerten Bachs für ein Melodieinstrument –

etwa Violine oder Oboe – und Orchester. Diese

Werke arbeitete er zunächst zu den Kantaten-Sin-

fonien um und später zu den Cembalokonzerten,

mit denen er übrigens eine ganz neue Gattung

schuf: Vor ihm dachte offenbar niemand daran,

das gebräuchliche Continuo-Instrument einmal

umgekehrt von Streichern begleiten zu lassen.

Ähnliche Wurzeln wie die bereits genannten Stücke

haben auch die beiden Sinfonien der zweiteiligen

Kantate „Geist und Seele wird verwirret“ BWV 35:

Die erste stimmt überein mit dem Cembalokonzert-

Fragment BWV 1059, einem nach neun Takten

abgebrochenen Versuch Bachs, ein älteres Konzert

(vermutlich für Oboe) neu zu instrumentieren. Die

zweite Sinfonia aus BWV 35 im Presto-Tempo dürfte

das Finale des gleichen Konzerts gewesen sein.

NEUDEUTUNGEN DES ÜBERKOMMENENWährend sich bei all diesen Stücken die vermutli-

che Entstehungsgeschichte durch Indizien belegen

lässt, ist man bei anderen auf bloße Vermutungen

angewiesen: Die Sinfonia der 1713 oder 1714

komponierten Kantate „Ich hatte viel Bekümmernis“

BWV 21 klingt wie der langsame Satz eines Doppel-

konzerts für Oboe und Violine. Dagegen lässt die

Einleitung der Kantate „Der Herr denket an uns“

BWV 196 (um 1709?) ein wenig an einen langsa men

Concerto-grosso-Satz denken. Zwar fehlt die ty pi-

sche Gegenüberstellung von Concertino und Tutti-

Streichern, doch sie ist ja auch bei den Corelli-

Werken des heutigen Programms vor allem in den

schnellen Sätzen anzutreffen. Bemerkenswert an

BWV 196 ist die separat notierte und teilweise

unabhängig vom Continuo geführte Cellostimme –

vielleicht wurde sie ja inspiriert durch das Concerto

grosso, in dem jede der beiden Gruppen ihren

eigenen Bass hat. Klarer ist der Bezug in der Sin-

fonia zur Kantate „Am Abend aber desselbigen

Sabbats“ BWV 42: Die beiden Oboen und das Fagott

bilden hier ein perfektes Concertino, das sich

durch den Bläserklang sogar noch deutlicher vom

Tutti absetzt als die Solostimmen Corellis, die ja

stets Streichern anvertraut sind. Diese bessere

klangliche Unterscheidbarkeit ist allerdings auch

notwendig – schließlich sind bei Bach die Gruppen

satztechnisch enger miteinander verzahnt als bei

Corelli. Beide tragen zunächst je ein eigenes,

jedoch dem andern verwandtes Thema vor. Dann

lösen sich Bläser und Streicher ab, vertauschen

die Themen oder konzertieren gemeinsam.

Neben der Oboe, die auch in den Sinfonien zu

BWV 21 und BWV 156 zum Einsatz kommt, nutzt

Bach vor allem die Orgel als Soloinstrument –

so in BWV 35, 146, 169 und noch in weiteren, im

heutigen Programm nicht enthaltenen Stücken.

Diese Besetzung war nicht weniger originell als

die des Cembalokonzerts – zwar gilt gemeinhin

Georg Friedrich Händel als „Erfinder“ des Orgel-

konzerts (mit seinen zwischen 1735 und 1751

entstandenen Sammlungen op. 4 und op. 7), doch

Bach nahm diese Errungenschaft in seinen Kanta-

ten-Sinfonien vorweg. Besonders ausgedehnte

und virtuose Solopassagen für Orgel enthält die

Sinfonia aus BWV 146. Einige von ihnen sind

un überhörbar aus der sogenannten „Bariolage-

Technik“ der Violine abgeleitet: Dieses Wort be -

zeichnet den schnellen Wechsel zwischen einer

gleichbleibenden Note, üblicherweise einer leeren

Saite, und sich ändernden Noten (im Falle der

Orgel-Sinfonia sogar Doppelgriffen). Letztlich be -

antworten solche eindrucksvollen Stellen die Frage,

warum Bach immer wieder eigene Kompositionen

und auch fremdes Gedankengut aufgriff. Nicht

weil es ihm an Ideen mangelte, sondern um auf der

Grundlage des Vorhandenen neue, differenzier te re

und komplexere Werke zu schaffen. Werke, die

ihrerseits wieder spätere Musiker-Generationen

zu Neuerungen anregten.

Jürgen Ostmann

Bach dirigiert in der Schlosskapelle von Weimar,

Gemälde von H. W. Schmidt

Johann Sebastian Bach, Gemälde von

Johann Jakob Ihle, um 1720

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NDR CHOR

SONDERKONZERTHOMMAGE À SOFIA GUBAIDULINASonntag, 30. Oktober 2011, 18 UHR

Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio

Philipp Ahmann Dirigent

Ivan Monighetti* Cello

ElbtonalPercussion Schlagzeug

Elsbeth Moser Bajan

Kathrin Rabus Violine

Volker Jakobsen Viola

Christoph Marks Cello

SOFIA GUBAIDULINA

Silenzio

Streichtrio

Sonnengesang*

Am 24. Oktober 2011 wird Sofi a Gubaidulina 80 Jahre alt. Zu Ehren und in Anwesenheit der in Hamburg lebenden Komponistin widmet ihr der NDR Chor einen Abend mit bedeutenden Werken aus ihrem Schaffen.

In Kooperation mit NDR das neue werk

NDR SINFONIEORCHESTER

ABONNEMENTKONZERT

B3 Donnerstag, 17. November 2011, 20 Uhr

A3 Sonntag, 20. November 2011, 11 Uhr

Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

Manfred Honeck Dirigent

Rudolf Buchbinder Klavier

ARVO PÄRT

Cantus in memoriam

Benjamin Britten

WOLFGANG AMADEUS MOZART

Klavierkonzert C-Dur KV 467

PETER TSCHAIKOWSKY

Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74

„Pathétique“

17.11.2011 | 19 Uhr: Einführungsveranstaltung im Kleinen Saal der Laeiszhalle

NDR DAS ALTE WERK

ABONNEMENTKONZERT

Abo-Konzert 3

Mittwoch, 30. November 2011, 20 Uhr

Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

CONCERTI DI FLAUTI Dorothee Oberlinger Blockfl öte

Maurice Steger Blockfl öte

Andrea Ritter Blockfl öte

Daniel Koschitzki Blockfl öte

Ricardo Magnus Cembalo

Michael Spengler Viola da gamba

Werke von

JOHANN CHRISTIAN SCHICKHARDT

PIETRO ANTONIO LOCATELLI

JOHANN PACHELBEL

ANTONIO VIVALDI

HENRY PURCELL

TOMASO ALBINONI

WILHELM FRIEDEMANN BACH

19 Uhr: Einführungsveranstaltung mit Habakuk Traber im Kleinen Saal der Laeiszhalle

SONDERKONZERT

Mittwoch, 16. November 2011, 20 Uhr

Hamburg, Bucerius Kunst Forum

Rathausmarkt 2

TASTO SOLO Guillermo Pérez Organetto und Leitung

Viva Biancaluna Biffi Fidel, Gesang

David Catalunya Clavisimbalum, Orgel

Reinhild Waldek Gotische Harfe

Werke von

FRANCESCO LANDINI, JACOPO DA BOLOGNA,

JOHANNES CICONIA, MARCO CARA,

FRANCESCO VAROTER

NDR DAS NEUE WERK

Mittwoch, 16. November 2011, 20 Uhr

Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio

Reinhold Friedrich

Trompete & Leitung

Stockholm Chamber Brass

mit Musikern von

NDR Brass

ANDERS HILLBORG

Brass Quintet

SOFIA GUBAIDULINA

Trio

für 3 Trompeten

EINO TAMBERG

Music for Five op. 86

BENJAMIN STAERN

Confrontation

für Solotrompete und Bläserquintett

WITOLD LUTOSŁAWSKI

Mini Overture for Brass Quintet

PER MÅRTENSSON

Neues Werk (UA)

ASKELL MASSON

Shadows

Konzert für Solotrompete und

Bläserquintett

EINOJUHANI RAUTAVAARA

Playgrounds for Angels

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14 | IMPRESSUM

IMPRESSUM

Herausgegeben vom

NORDDEUTSCHEN RUNDFUNKPROGRAMMDIREKTION HÖRFUNKBEREICH ORCHESTER UND CHORRothenbaumchaussee 132

20149 Hamburg

[email protected]

NDR Das Alte Werk im Internet:

www.ndr.de/dasaltewerk

Leitung: Rolf Beck

Redaktion NDR Das Alte Werk:

Angela Piront

Redaktionsassistenz:

Annette Martiny

Redaktion des Programmheftes:

Dr. Ilja Stephan

Der Text von Jürgen Ostmann

ist ein Originalbeitrag für den NDR.

Fotos:

[M] plainpicture (Titel)

Ribalta Luce (S. 5, S. 6)

akg-images (S. 8, S. 9, S. 10)

culture-images | Lebrecht (S. 11)

NDR | Markendesign

Gestaltung: Klasse 3b, Hamburg

Litho: Otterbach Medien

Druck: Nehr & Co. GmbH

Nachdruck, auch auszugsweise,

nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

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