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DER ERSTE SCHRITT ZUM ATOMAUSSTIEG 25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf BAYERISCHE SCHRIFTEN für soziale Demokratie

25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf

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Der Baustopp der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf (WAA) im Mai 1989 war in mehrerlei Hinsicht eine Zäsur für die Bundesrepublik Deutschland. Acht Jahre lang dauerte der zähe Widerstand von Anwohnern, Atomkraftgegnern, Umweltschützern und Demonstranten aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Lagern. Dem zivilen Ungehorsam der Protestierenden begegnete die Staatsgewalt mit bislang nicht gekannter Brutalität. Es kam erstmals in der Nachkriegszeit zum Einsatz von CS-Gas, mit der „Lex Schuierer“ wurden sogar demokratische Prinzipien außer Kraft gesetzt. Letztlich setzte sich Volkes Wille aber durch, die WAA wurde nicht gebaut. Der Einstieg in den Atomausstieg war geschafft. Diese Schrift der BayernSPD-Landtagsfraktion zeichnet den damaligen Widerstand nach. Heute, 25 Jahre nach dem Ende der WAA, ist das Thema Energiewende so aktuell wie eh und je, der Atomausstieg immer noch nicht vollzogen.

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  • DER ERSTE SCHRITT ZUM ATOMAUSSTIEG25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf

    BAYERISCHE SCHRIFTEN fr soziale Demokratie

  • 12/2014 DER FREISTAAT Bayerische Schriften fr soziale Demokratie

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    Editorial | Markus Rinderspacher, MdL

    Sehr geehrte Damen und Herren,wir wrdigen mit dieser Sonderschrift den erfolgreichen Wider-stand gegen die WAA Wackersdorf von Brgerinnen und Brgern vor allem aus der Oberpfalz, aber auch darber hinaus aus ganz Bayern, aus Deutschland und sogar aus sterreich. Sie kamen aus allen gesellschaftlichen Bereichen und vereinigten sich im Kampf gegen den Atomstaat und fr die Bewahrung unserer Heimat: Mnner und Frauen aus allen Generationen, Mitglieder von Parteien, von Kirchen, von Umwelt- und Naturschutzgruppen sowie von Studenten- und Schlervereinigungen. Die rote Sonne auf gelbem Grund als Symbol des Widerstandes gehrt fest zur Geschichte dieses Landstrichs. Sie soll uns immer Mahnung sein und Ansporn fr die Gestaltung einer atomfreien Zukunft. 25 Jahre nach dem Baustopp an der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf halten wir es fr richtig und notwendig, an die Ereignisse von damals zu erinnern. Und jenen Wiedergutma-chung zuteilwerden zu lassen, die sich damals als Staatsfeinde, Chaoten, Kommunisten, als Anarchisten und Spinner haben dif-famieren lassen mssen, obwohl sie lediglich dafr eingetreten sind, auf friedvollem Wege ihre Heimat zu schtzen. Sie haben Mut und Brgersinn bewiesen und ihren Beitrag geleistet, unser Land vor dem Schlimmsten zu bewahren. Ihnen gilt unser Res-pekt und unsere Hochachtung und unser ausdrcklicher Dank.

    Markus Rinderspacher, MdLVorsitzender der BayernSPD-Landtagsfraktion

    | BayernSPD-Landtagsfrak-tionschef Markus Rinder-spacher betrachtet Protest-banner, die heute im Haus der Bayerischen Geschichte aufbewahrt werden.

    Der Freistaat ist eine Schriftenreihe der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag. Die Serie beleuchtet historische, gegenwrtige und zuknftige gesellschaftspolitische Themenfelder und vermittelt Positionen aus Politik, Kultur und Wissenschaft.

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    25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf Inhalt

    Editorial Markus Rinderspacher, MdLVorsitzender der BayernSPD-Landtagsfraktion

    Wir bleiben dran! Markus Rinderspacher, MdLVorsitzender der BayernSPD-Landtagsfraktion

    Aus der Wut wurde aber nicht Ohnmacht, sondern Kampf Franz Schindler, MdL Verfassungs- und rechtspolitischer Sprecher der BayernSPD-Landtagsfraktion

    Das Lehrstck WAA. Hans Schuierer erinnert an das Aus Hans-Peter KastenhuberArtikel aus den Nrnberger Nachrichten vom 13.06.2009

    Mir san die Chaoten Der Widerstand in Wackersdorf Bernd SieglerArtikel aus der taz vom 31.05.1989

    Acht Jahre WAA Wackersdorf: Eine politische ZsurNatascha Kohnen, MdL Energiepolitische Sprecherin der BayernSPD-Landtagsfraktionund Ingrid Pflug, Politikwissenschaftlerin

    Ein weiter Weg: Vom Desaster Wackersdorf bis zur Energiewende nach FukushimaHarry Scheuenstuhl, MdL Umweltpolitischer Sprecher der BayernSPD-Landtagsfraktion

    NachrufWir gedenken Erna Sielka, Alois Sonnleitner und Johann Hirschinger

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    Wir bleiben dran! | Markus Rinderspacher, MdL

    Stoppt den WAAhnsinn, WAA niemals schallte als Schlachtruf aus den Oberpflzer Wldern, so laut, dass auch in Mnchen jeder hren konnte, was Sache war. Eine strahlen-de Zukunft wurde den Oberpflzern von dort verheien. Doch sehr schnell durch-schauten sie den faulen Zauber. Unter der roten Sonne auf gelbem Grund, Symbol der Anti-AKW-Bewegung, war ganz Ostbayern im Widerstand gegen die Atomfabrik vereint. Wackersdorf, die 5.000-Einwohner-Gemein-de bei Schwandorf wurde zum Synonym fr die Gefahren der Atomtechnik, aber auch zum Symbol des Widerstands gegen den Atomstaat. Die Oberpfalz war damals Schau-platz eines der heftigsten Konflikte zwischen Staatsmacht und Zivilgesellschaft. Ein gan-zer Landstrich glich zeitweise einem Heerla-ger aus Polizei und Bundesgrenzschutz. Heu-te erinnert in Wackersdorf so gut wie nichts mehr an die geplante WAA. Wackersdorf ist

    wieder ein attraktiver Ort, mitten im Grnen, ein Teil der Urlaubsregion Oberpflzer Seen-land im Herzen Ostbayerns.

    Die WAA, das war ein Angriff auf unsere Heimat. Sie spaltete ein ganzes Land.

    Ein Wahnsinnsprojekt mit unvorstellbaren Dimensionen. 5 Milliarden Euro an veran-schlagten Kosten, 800.000 gefllte Bume, 130 Hektar gerodetes Gelnde, was einer Flche von 186 Fuballfeldern entspricht, mitten im Taxldener Forst, einer bis dahin idyllischen Waldlandschaft. Das Baugeln-de geschtzt wie ein Hochsicherheitstrakt mit einem 4 Meter hohen Betonwall, ber 4,8 Kilometer lang, ein Stahlgitterzaun bewehrt mit spanischen Reitern, Stachel-drahtrollen und berwachungskameras. Die gesamte Baustelle eine Festung. So gut gesichert ist nicht einmal Fort Knox.

    WIR BLEIBEN DRAN!Markus Rinderspacher, MdL Vorsitzender der BayernSPD-Landtagsfraktion

    Rede vom 30. Mai 2014 anlsslich der Gedenkveranstaltung 25 Jahre Baustopp WAA in Schwandorf

    Vor einem Vierteljahrhundert verfgten die Behrden den Baustopp fr die WAA. Dies war das offizielle Aus fr eines der umstrittensten und grenwahnsinnigsten Atomprojekte der Bundesrepublik.

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    | Errichtung eines Kreuzes am Platz des Gorlebener Gebets vor der Baustelle des vorgesehenen Endlagers am 27. Mai 1988. Der Kreuzweg von Wackersdorf nach Gorleben fand vom 27. Mrz bis zum 29. Mai 1988 statt.

    881.000 Einwendungen gegen die WAA, 23 Millionen verteilte Flugbltter des Protests. Rund 1,2 Milliarden Euro wurden sinnlos in den Oberpflzer Sand gesetzt. Milliarden-betrge verpulvert fr Rodung, Bauzaun, Baugruben, die Eingangshalle fr die Brenn-stbe, erdbebensicher, als einziges Gebude fertig gebaut. Bereits der Sicherheitszaun, der an ein Straflager erinnerte, verschlang die Summe von 7,5 Millionen Euro. Noch gar nicht einkalkuliert die enormen Kosten der Polizeieinstze rund um das Baugelnde und bei den bayernweiten Demonstrationen. Allein im Jahr 1986 erhhten sich die im bayerischen Staatshaushalt veranschlagten Ausgaben fr berrtliche Polizeieinstze von 1,25 Millionen auf 25,3 Millionen Euro.

    Die Proteste gegen die geplante Atomfabrik zogen sich durch die gesamten 80er-Jahre. Zehn Jahre Widerstand davon dreieinhalb Jahre intensive Auseinandersetzung am Bau-zaun zwischen zwei ungleichen Gegnern.

    David gegen Goliath. Hier die Anti-AKW-Bewegung, dort die geballte Staatsmacht mit der Atomlobby vereint. Der WAAhnsinn sollte ber Jahre andauern und einer ganzen Region den Ausnahmezustand bescheren.

    Die ngste der Menschen vor der Atomfa-brik waren seit Harrisburg 1979 und sp-testens seit Tschernobyl 1986 mehr als real. ber einen riesigen Kamin sollte die kon-taminierte Abluft in die Atmosphre ent-weichen. Es drohten die Verseuchung des Grundwassers, Unflle beim Transport der Brennstbe, wiederaufbereitetes hochgifti-ges und atomwaffenfhiges Plutonium, es drohte ein GAU in der Anlage selbst, und die im Wiederaufarbeitungsprozess anfallenden radioaktiven Abwsser sollten tatschlich einfach ber die Naab entsorgt werden und das im Bereich des grten Trinkwasser-reservoirs der Oberpfalz, der Bodenwh-rer Senke. Radioaktives Jod und Strontium wren in die Nahrungskette gelangt. Erhhte

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    Krebsraten in der einheimischen Bevlke-rung, wie sie auch in der Umgebung von La Hague und Sellafield, den franzsischen und englischen Wiederaufbereitungsanla-gen, festgestellt wurden, wren wohl die Folge gewesen.

    Gewiss, die WAA sollte Wackersdorf und den umliegenden Gemeinden Gewerbesteuer-einnahmen in Millionenhhe bringen. Fr die strukturschwache Region verlocken-de Aussichten. Die mittlere Oberpfalz litt damals nach Schlieung des Braunkohle-tagebaus unter hoher Arbeitslosigkeit, die Quote lag im Arbeitsamtsbezirk Schwandorf bei 19,1 Prozent, auch die Maxhtte durch-lief 1987 ihren ersten Konkurs. Und nun sollten ber 1.000 neue Arbeitspltze durch die Atomfabrik auf einen Schlag entstehen. Doch fr die entlassenen Kohlekumpel und Stahlwerker war das trotzdem keine gute Alternative. Ihr Motto lautete Maxhtte JA, WAA NEIN!. Sie widersetzten sich dem Aus-

    verkauf ihrer Heimat. Auf dem Hhepunkt der Proteste gegen die WAA war eine deut-liche Mehrheit der Oberpflzer gegen die Atomfabrik.

    Fr Franz Josef Strau war die WAA so sicher wie eine Fahrradspeichenfabrik. In einer Regierungserklrung sprach Strau im November 1982 von verantwortungslosen Demagogen, die irrationale ngste gegen die WAA schrten. Das Feindbild von der fnften Kolonne Moskaus wurde bedient. Die Protestler seien von weit her ange-reiste Chaoten aus dem linksextremistischen Lager. Fr Strau waren die Demonstranten von kommunistischen und anarchistischen Gruppen unterwandert. Immer wieder stellte er die WAA-Gegner in eine Reihe mit RAF- Terroristen. Die CSU bte sich in Schwarz-Wei-Malerei, ihr die Bsen, wir die Guten. Doch die Staatsmacht hatte sich mit dem WAA-Standort Wackersdorf vom ersten Tage an verkalkuliert. Sie ging davon aus,

    die Oberpflzer wrden schon stillhalten, niemals aufbegehren. Strau erwartete, die Standortentscheidung fr die Ober-pfalz wrde Originalzitat eine rasche und ungestrte Realisierung des Projekts garantieren. Welch Fehleinschtzung, auch von Leuten wie August Lang, selbst aus der Oberpfalz kommend, damals bayerischer In-nenminister und damit verantwortlich fr die Polizeieinstze. Die kreuzbraven Oberpflzer wagten tatschlich den Aufstand. Smtliche Einschchterungsversuche verfingen nicht.

    Die Ablehnung der WAA, der offene Wider-stand reichte bis tief in sogenannte brger-liche Kreise. Den Menschen ging es um ihre Heimat. Sie frchteten nicht nur um ihr ei-

    genes Wohlergehen, sondern auch um die Gesundheit ihrer Kinder und Kindeskinder. Vom Facharbeiter bis zum Studienrat, von der Hausfrau bis zum Schler, sie alle waren friedlich vereint im Protest gegen dieses Monstrum mit drei Buchstaben: WAA. Der gewaltfreie Widerstand war geprgt von regelmigen Sonntagsspaziergngen am Bauzaun, Menschenketten wurden gebildet, bayernweit etliche Kundgebungen abgehal-ten. Bereits im Oktober 1981 formierte sich die erste Brgerinitiative. Viele weitere sollten folgen. Die erste Grodemonstration fand im Februar 1982 mit 15.000 Teilnehmern statt.

    Mit im Boot der Anti-AKW-Bewegung: groe Naturschutzverbnde wie der Bund

    | Trotz Demonstrationsverbot versammelten sich nach Pfingsten 1986 mehr als 30.000 Menschen am Bauzaun.

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    Naturschutz, viele kirchliche Gruppen, Gewerkschafter, Jugend-verbnde, Schlerinitiativen. Und es gab eine gemeinsame kul-turelle Avantgarde gegen die WAA. Musiker, Knstler, Kabaret-tisten, Literaten machten auf kreative Art mchtig Front gegen den WAAhnsinn. Ein lautstarkes Zeichen setzten bekannte Bands und Interpreten wie die Biermsl Blosn, die Toten Hosen und Haindling beim Anti-WAAhnsinns-Festival in Burglengenfeld im Juni 1986 vor ber 100.000 Besuchern. Die einheimische Bevl-kerung, sie stellte sich gegen die WAA.

    Mutige Mnner und Frauen der Kirche untersttzten ebenso aktiv den Protest. Erinnert sei an den katholischen Pfarrer von Penting, Richard Salzl. Genauso engagiert der Pfarrer von Nitte-nau, Leo Feichtmeier. Als Religionslehrer wurde Herr Feichtmeier wegen seines Engagements gegen die WAA vom Kultusministe-rium mit einem Disziplinarverfahren belegt.

    Am Franzikusmarterl in der Nhe des Bauzauns versammelten sich ab Mitte der 80er-Jahre jeden Sonntag glubige Christen zum kumenischen Gottesdienst. Strau uerte sich ver-chtlich ber diese christliche Form des Widerstands: Die De-monstranten besorgen dort nicht das Werk Gottes, sondern des Teufels. Noch heute ist die Marterlgemeinde dankenswerterweise aktiv. Enorme Untersttzung gab es aus unserem Nachbarland sterreich. Mit dem Bundesland Salzburg schloss sich eine ganze Region dem Widerstand an.

    Beistand erhielten die Demonstranten vom ersten Tag an von-seiten der Opposition im Bayerischen Landtag. Am 13. Oktober 1983 bestimmte die WAA erstmals die Debatte im Landtag. SPD-Landtagsabgeordnete, ab Herbst 1986 auch die Grnen, stellten ber Jahre hinweg eine Vielzahl von Anfragen zur WAA, brachten Dringlichkeitsantrge ein und versuchten auf parlamentarischem Wege den Baustopp oder zumindest ein Moratorium zu erreichen. Nach der Katastrophe von Tschernobyl brachte die SPD die Interpellation Bayerns Ausstieg aus der Kernenergie ein. Der damalige Fraktionsvorsitzende Karl-Heinz Hiersemann lieferte sich einen heftigen Schlagabtausch mit einer am Atomkurs strikt festhaltenden CSU-Fraktion. 1988 konnte die SPD per Verfassungsklage endlich einen Untersuchungsaus-schuss zur WAA durchsetzen.

    | Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht. (Bertolt Brecht)

    Man versuchte

    mich auch psychisch

    fertig-zumachen.

    Das zeigt die Brutalitt

    dieserpolitischen Fhrung.

    - Hans Schuierer

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    In der Region wurden standhaf-te Brgermeister, Gemeinderte, Kreisrte und ein Landrat aktiv, der zum Helden der Oberpfalz aufstieg. Die umliegenden Ge-meinden, bis auf das SPD-regierte Wackersdorf selbst, lehnten die WAA mehrheitlich ab. WAA-Geg-ner mit CSU-Parteibuch befanden sich in einem besonderen Zwie-spalt. Auf sie wurde Druck aus-gebt, bis hin zur Androhung des Parteiausschlusses.

    Es demonstrierte auch ein junger Anwalt und SPD-Kreisrat aus Schwandorf mit am Bauzaun. Mein Fraktionskollege Franz Schindler, Vorsitzender der Ober-pflzer SPD und seit 1990 Mitglied des Landtages. Heute ist er Vorsit-zender des Ausschusses fr Recht und Verfassung im Bayerischen Landtag. Dass ausgerechnet er der einst als Chaot verchtlich gemachte Widerstndler am Bau-zaun eines der herausragenden parlamentarischen mter inne-hat, ber Fraktions- und Parteig-renzen hinweg hoch angesehen ist und gar von politischen Mit-bewerbern als Mr. Rechtsstaat

    respektiert wird, das ist ein durchaus genugtuendes Momen-tum der Geschichte.

    Doch nicht alle Sozialdemokraten fanden sich in den Reihen der Anti-AKW-Bewegung wieder. Der Riss, das Fr-und-Wi-der-WAA ging quer durch die Familien und die Parteien, auch durch die SPD. Der damalige Brgermeister von Wackers-dorf war bis zuletzt ein Untersttzer, andere spielten eine herausragende Rolle im Lager des Widerstands. Die Gegner

    der Kernenergie waren innerhalb der SPD bereits damals in der Mehrheit. 1986 hat die SPD auf ihrem Bundesparteitag in Nrnberg den Atomausstieg beschlossen. Eine der zentralen Figuren des Widerstands, die hier besonders hervorgehoben werden soll, war ohne bertreibung Hans Schuierer, der da-malige Landrat von Schwandorf. Wie ein Lwe stemmte er sich gegen den Bau der WAA. Er versuchte alles, was in seiner Macht stand, um das unheilvolle Projekt doch noch zu stoppen. Dafr boykottierte er den Bau im Rahmen des rechtlich Mglichen.

    Durch seinen unermdlichen Widerstand war der rote Landrat der CSU stets ein Dorn im Auge. Von Strau als Kommunist beschimpft, wurde er mit Dienstaufsichtsbeschwerden durch die Bayerische Staatsregierung belegt, weil er an einer nicht genehmigten Demonstration im Taxldener Forst teilgenom-men hatte. Sein Landratsamt wurde durch die sogenannte Lex Schuierer entmachtet. Sie war fortan als Genehmigungsbehr-de fr die WAA nicht mehr zustndig.

    Die CSU-Mehrheit im Landtag beschloss das sogenannte Selbsteintrittsrecht des Staates. Seitdem knnen Entschei-dungen auch gegen den Willen und die rechtlichen Bedenken des von der Bevlkerung direkt gewhlten Landrates durchge-zogen werden. Per Dekret wurde ein vom Volk direkt gewhlter Landrat entmachtet, weil er sich offen gegen den Kurs der Staatsregierung stellte. Dieses Gesetz ist als Lex Schuierer in die Annalen der bayerischen Verfassungsgeschichte eingegangen. Nach Inkrafttreten der Lex Schuierer im Oktober 1985 erteilte die Regierung der Oberpfalz die wasser- und baurechtliche Ge-nehmigung zum Bau der WAA.

    Meine Fraktion unternahm 2012 im Bayerischen Landtag den Versuch, die Lex Schuierer, brigens seit damals nie wieder

    | Weihnachtsandacht am 24. Dezember 1984 am Franziskusmarterl.

    Ich sage immer, die gesamte Wiederauf- bereitungsanlage Wackersdorf ist ein einziges Lgenpaket vom Anfang bis zum Ende.- Hans Schuierer

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    Wir bleiben dran! | Markus Rinderspacher, MdL25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf

    | Altlandrat Hans Schuierer, SPD-Fraktions-chef Markus Rinderspacher, WAA-Veteran und SPD-Rechtspolitiker Franz Schindler am Franziskusmarterl am 30. Mai 2014.

    umgesetzt, als letztes Relikt der WAA-Zeit abzuschaffen. Doch die schwarz-gelbe Mehrheit lehnte den SPD-Entwurf dazu ab. Hans Schuierer ist auch heute noch die SPD-Symbolfigur des da-maligen Widerstands.

    Das Aus fr die Atomfabrik kam fr viele berraschend. Es war ein Vertreter der Atomlobby, der mit seiner Ankndigung das Ende der WAA einlutete. Der Chef von VEBA, Rudolf von Bennigsen-Foerder erklrte im Frhjahr 1989: Alle Brennstbe, eine Kapazitt von 600 Tonnen pro Jahr, aus den AKWs der VEBA sollen in der Anlage im franzsischen La Hague wiederaufberei-tet werden. Erst als sich das widersinnige Projekt fr die Atom-industrie nicht mehr rechnete, kam das Aus.

    Heute sind wir beim Ausstieg aus der Atomenergie sicher einen deutlichen Schritt weiter, aber immer noch nicht da, wo wir sein wollten. Es ist wertvolle Zeit in Bayern vertan worden, um die Energiewende voranzutreiben. Stattdessen wird sie immer blockiert. Noch im Frhjahr 2011, unmittelbar vor Fukushima, forderte der bayerische Ministerprsident Horst Seehofer, die Laufzeiten der Atommeiler in Deutschland auf unbegrenzte Zeit zu verlngern.

    Die Lnderffnungsklausel fr die sogenannte 10H-Regelung bei der Windkraft ist ein Fehler. Sie soll ausschlielich in Bayern Anwendung finden, die anderen 15 Bundeslnder werden davon keinen Gebrauch machen. In den Anhrungen im Deutschen Bundestag haben alle Experten deutlich gemacht, dass dies ein groer Blockadenonsens ist. Die Seehofersche 10H-Regel nimmt dieser bedeutsamen erneuerbaren Energie regelrecht die Luft zum Atmen. Nur auf 0,05 Prozent der Flche Bayerns knnen neue Windrder gebaut werden, also praktisch keine mehr. Damit verhindert die CSU auch ein Konjunkturprogramm fr den lndlichen Raum, der seine Energie doch zumindest in groen Teilen selbst herstellen knnte, am besten in Brgerge-nossenschaften. Dann bliebe auch das Geld in der Region.

    Auch in anderen Bereichen macht die Staatsregierung hartnckig ihre Hausaufgaben nicht.

    Aber: Wir bleiben dran!

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    Wir bleiben dran! | Markus Rinderspacher, MdL

    Der jetzige Ministerprsident spielt mit dem Instrument der Volksbefragung, um zu demonstrieren, dass er eine permanente Koalition mit dem Volk eingehen mchte. Vor 30 Jahren htte sich der damalige Minister-prsident sicher nicht getraut, eine Volks- befragung zum Thema WAA durchzufhren, weil das Ergebnis eindeutig gegen die WAA gewesen wre.

    Gut, dass der Kampf gegen die WAA schon Geschichte ist und dass es schon eine ganze Generation gibt, die davon nur aus Erzhlun-gen wei. Umso wichtiger ist es, Geschichts-klitterungen gar nicht erst aufkommen zu lassen und den jungen Leuten, die heute Magister-, Diplom- und Doktorarbeiten ber den Widerstand gegen die WAA Wackersdorf schreiben, klarzumachen, dass es ohne den

    jahrelangen Kampf gegen die WAA heute keine 4.000 Arbeitspltze in Wackersdorf und kein Oberpflzer Seenland gbe, sondern ein riesiges Sperrgebiet mitten in der Oberpfalz.

    Schade, dass nach dem Aus fr die Maxhtte und die BBI (Bayerische Braunkohlen Industrie AG) erst der Umweg ber eine WAA gegangen werden musste, bevor Arbeitspltze neu geschaffen worden sind.

    Schade auch, dass viele von den damaligen Mitstreitern heute nicht mehr dabei sein knnen. Aus der groen Zahl fallen mir spon-tan Menschen ein wie Mariele Mller, die die heute gezeigten Transparente geschrieben hat; Michael Meier, dem Grundstcke in unmittelbarer Nhe des WAA-Gelndes gehrt haben und der sich nicht hat kaufen

    AUS DER WUT WURDE ABER NICHT OHNMACHT, SONDERN KAMPF

    Franz Schindler, MdL Verfassungs- und rechtspolitischer Sprecher der BayernSPD-Landtagsfraktion

    Rede vom 30. Mai 2014 anlsslich der Gedenkveranstaltung 25 Jahre Baustopp WAA in Schwandorf

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Chaoten, Franz Josef Strau wrde im Grab rotieren, wenn er wsste, dass wir fr die heutige Veranstaltung vom Haus der Bayerischen Geschichte Original-Trans-parente der Brgerinitiativen gegen die WAA ausgeliehen haben, weil sie dort als Dokumente der bayerischen Geschichte eingelagert sind.

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    lassen, sondern bis zum Schluss als Klger gegen die WAA auf-getreten ist; der Chemieprofessor Dr. Armin Wei, Ute Kirch aus Nabburg, der Solarpapst und Mitglied des Bundestages Hermann Scheer, Dr. Walter Angebrand, Dr. Uwe Dams und Toni Seitz, von denen jede und jeder an ihrer und seiner Stelle wichtig fr den gemeinsamen Erfolg war.

    Die wenigsten der Zigtausenden von Oberpflzern, die von 1981 bis 1989 gegen den Bau einer atomaren WAA ge-kmpft haben, waren Anfang der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts schon berzeugte Atomkraftgegner, und die meisten hatten die Vorgnge um die gescheiterte Errich-tung einer WAA in Gorleben nur aus der Ferne und in der Tagesschau mitverfolgt.

    Es musste also erst einiges passieren, bis aus kreuzbraven Leuten, von denen einige Anhnger der CSU, andere An-hnger der SPD oder der Grnen, die meisten aber partei- politisch ungebunden waren, leidenschaftliche Kmpfer gegen die Errichtung einer atomaren WAA in Wackersdorf geworden sind.

    Die erste Skepsis trat auf, als die Staatsregierung Gerchte, dass nach dem Aus fr eine WAA in Gorleben bei uns in der Boden-whrer Senke ein Standort fr eine WAA gesucht werde, demen-tiert hat (Dezember 1980, Umweltminister Dick: Wiederaufar-beitung im Raum Schwandorf-Wackersdorf ist abwegig).

    Die Skepsis wurde zum Schock, als derselbe Minister im September 1981 auf Anfrage des damaligen Abgeordneten Dietmar Zierer eingerumt hat, dass die Staatsregierung auch Wackersdorf als mglichen Standort fr eine WAA vorschlagen werde.

    Die erste Wut kam auf, als immer deutlicher wurde, dass die Staatsregierung den Landkreis Schwandorf gerade deshalb als Standort fr eine WAA vorgesehen hatte, weil dort die Not der Menschen nach dem Aus fr die BBI und der Stilllegung der Maxhtte am grten schien.

    Aus der Wut wurde aber nicht Ohnmacht, sondern Kampf Es begann der Kampf um die Kpfe: Die Atomindustrie ber-schttete den Landkreis und die gesamte Oberpfalz mit bunt

    | Demonstrant am Maschinencamp an Pfingsten 1986.

    | Der Polizeihubschrauber Edelwei2 lscht ein Feu-er auf dem Gelnde vor dem Bauzaun. Am 07. Sep-tember 1986 verunglckt er bei der Verfolgung von Demonstranten bei einer Kollision mit einem Schie-nenbus der Deutschen Bahn auf der Bahnstrecke Schwandorf-Cham. Ein Mensch stirbt.

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    bebilderten Hochglanzprospekten ber die Vorzge einer WAA, transportierte jeden, der wollte, per Flugzeug nach La Hague und ver-suchte, ganze Zeitungsredaktionen fr sich einzunehmen. Herzlichen Dank deshalb un-seren Lokalzeitungen in Schwandorf und den damaligen Chefredakteuren Hans Kalischek von der Mittelbayerischen Zeitung und Wolf-gang Houschka vom Neuen Tag, dass sie das Ansinnen der DWK (Deutsche Gesellschaft fr Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen) sofort zurckgewiesen und vom ersten bis zum letzten Tag uerst korrekt und damit kri-tisch berichtet haben.

    Parallel dazu formierten sich berall Brger-initiativen gegen die WAA, zuerst in Schwan-dorf, dann im Stdtedreieck. Bei dieser Ge-legenheit ist mir brigens zum ersten Mal ein damals junger Studienrat namens Volker Liedtke aufgefallen, der dann nach dem Aus fr die WAA Brgermeister in Burglengenfeld und dann als Nachfolger von Hans Schuierer Landrat geworden und seit ein paar Tagen auch schon Altlandrat ist.

    Es wurden Informationsveranstaltungen, zunchst sogar zusammen mit Befrwor-tern organisiert, Flugbltter gedruckt, Trans-

    parente gemalt, der juristische Widerstand organisiert und Anwlte beauftragt.

    An dieser Stelle ganz herzlichen Dank auch an Claus Benecker, der als juristischer Staatsbeamter am Landratsamt Schwandorf unheimlich viel geleistet und dafr gesorgt hat, dass die Rechte der Nachbarn und der Gemeinden in den vielen Genehmigungsver-fahren gewahrt und erste Demos organisiert wurden.

    Je mehr sich die Menschen informiert hatten, desto mehr lehnten sie den Bau einer WAA abDie Staatsregierung machte Druck auf die Genehmigungsverfahren und verstrkte die Staatsanwaltschaft in Amberg und erweiter-te vorsorglich das Amtsgericht in Schwandorf.Die CSU im Landtag verabschiedete eine Lex Schuierer und die DWK lie 400 Hektar Wald roden und planieren und mit einem meterhohen Stahlzaun umwehren. Diese Staatsregierung leistete jegliche erdenkliche

    | Publikum beim Anti-WAAhnsinns-festivals am 15. August 1986.

    | Protest gegen das Vermummungsverbot am Zaun des Maschinencamps am 08. Februar 1986.

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    Untersttzung, lie Httendrfer rumen, hat junge Polizei-anwrter missbraucht und vorstzlich gegen die WAA-Gegner aufgehetzt, hat WAA-Gegner denunziert, eingeschchtert und kriminalisiert, lie Tausende von WAA-Gegnern von der Polizei abtransportieren und erkennungsdienstlich behandeln, hat V-Leute in die Kreise der WAA-Gegner eingeschleust (siehe Verfas-sungsschutzbericht 1986) und die Polizei mit Wasserwerfern und CN- und CS-Gas aufgerstet.

    Dennoch, es hat nichts geholfen: An Ostern 1986 beteilig-ten sich 100.000 Menschen an einer Demo gegen die WAA. Erstmals setzte die Polizei hierbei in der BRD CS- und CN-Gas ein. Es war schlimm, kilometerlang unter tieffliegenden Po-lizeihubschraubern zum Kundgebungsort ziehen und mit-erleben zu mssen, dass Wasserwerfer nicht differenzieren knnen und wollen und dass auch die friedlichsten Demons-tranten einem CS-Gas-Nebel ausgesetzt worden sind.

    Und dann passierte Ende April 1986 auch noch die Katas-trophe in Tschernobyl, mitten an einem warmen und son-nigen Wochenende, whrend wir dabei waren, ein kleines Musikfestival am Murner See zu organisieren.

    Die Stimmung in der Bevlkerung und in den Brgerinitia-tiven schwankte zwischen Angst, Resignation und groer Wut. Viele hatten Angst, berhaupt noch aus dem Haus zu gehen, weil ein Gutteil der Radioaktivitt aus Tschernobyl auch bei uns niedergegangen war.

    Es hat sich niemand wundern mssen, dass es dann an Pfings-ten 1986 zur Eskalation gekommen ist. Es herrschte Brgerkrieg mit Toten und Verletzten. Und dann das legendre Anti-WAAhn-

    | Brgerkriegshnliche Zustnde am Pfingstdienstag 1986. In der Luft ein Hubschrauber vom Typ Puma, von dem aus die CS-Gas-Granaten abgesetzt wurden.

    Der Widerstand war es,der damals diese Wiederaufbereitungsanlageverhindert hat, nicht die Finanzen.- Hans Schuierer

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    26 12/2014 DER FREISTAAT Bayerische Schriften fr soziale Demokratie

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    25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf Aus Wut wurde aber nicht Ohnmacht, sondern Kampf | Franz Schindler, MdL

    sinnsfestival im Juli 1986 in Burglengenfeld mit 600 Musikern und 100.000 Teilneh-mern, Einreisesperren fr sterreichische WAA-Gegner, Blockadeaktionen, Verhaftun-gen und Ermittlungsverfahren gegen 4.000 WAA-Gegner, wobei ca. 2.000 WAA-Gegner zum Teil zu drakonischen Strafen wegen pas-siven Widerstands verurteilt worden sind. Gengend Staatsanwlte und Richter waren ja schon vorsorglich bereitgestellt worden.

    Der Widerstand wurde strkerAber es half alles nichts, im Gegenteil: Der Widerstand wurde strker und noch bunter, immer mehr Knstler beteiligten sich mit un-terschiedlichsten Aktionen am Widerstand. Herzlichen Dank an dieser Stelle an Klaus Caspers, der in der Kunstszene viel fr unsere Sache getan hat.

    Der juristische Kampf ging unvermindert weiter: 881.000 Einwendungen sind gegen den Bau der WAA gesammelt worden. So vie-le wie noch in keinem Verfahren vorher und die Hlfte der Einwendungen kamen aus s-terreich. Herzlichen Dank deshalb an dieser Stelle unseren Mitstreitern aus sterreich, insbesondere aus Salzburg.

    Die Staatsregierung und die DWK hin-terlieen bei dem wochenlangen Err-terungstermin in Neunburg vorm Wald einen klglichen Eindruck. Dennoch

    sind Teilgenehmigungen erteilt und riesige Bauten auf dem WAA-Gelnde errich-tet worden, bis Ende Mai 1989 schlielich Schluss war mit dem Spuk: Der Widerstand war erfolgreich.

    Widerstand ist ein groes Wort, es gibt aber kein passenderes, weil die Aktionen gegen die WAA mehr waren als der bliche Protest von Wutbrgern. Es war ein jahre-langer Kampf unter hchstem persnlichem Einsatz, weil die Staatsregierung von Anfang an nicht nur auf Verdummung, Desinformati-on und Einschchterung, sondern auch auf das Mittel der Polizeigewalt gesetzt hatte. Der Wi-derstand war erfolgreich, weil es gelungen ist, unterschiedlichste Menschen mit unterschied-lichsten Motiven fr den Widerstand zusam-menzuschlieen.

    Da gab es die Einheimischen, die sich fr dumm verkauft fhlten und Angst um ihre Heimat hatten: Ich nenne fr alle anderen Irmgard Gietl, die zur Ikone des Wider-stands geworden ist, und Dieter Kersting, den ersten Vorsitzenden der Schwandorfer Brgerinitiative.

    Da gab es die Natur- und Umweltscht-zer, die sich Sorgen um die Umwelt und die Nachwelt machten, die religis Motivierten, die die Atomenergie und die WAA als wi-der die gttliche Schpfung betrachteten.

    Zu nennen sind hier u. a. die Pfarrer Leo Feichtmeier, Richard Salzl und auch Dr. Hans Hubert; die Romantiker, die jegliche Grotechnologie ablehnten und den Wald retten wollten; die politisch Engagierten, die grundstzlich gegen Atomenergie und den Atomstaat kmpften; und die sogenannten Autonomen, die nicht nur die WAA, sondern auch den Staat bekmpfen wollten.

    Ich sage ganz bewusst, dass auch die soge-nannten Autonomen, im brigen ganz nor-male Menschen, zum gemeinsamen Erfolg beigetragen haben.

    Und es gab die eine Symbolfigur, die alles zu-sammengehalten hat, ohne zu kommandie-ren: unseren Landrat Hans Schuierer.

    Der jahrelange Widerstand gegen die WAA war kein Zuckerschlecken und kein Sonntagsspaziergang. Es gab unzhlige Verletzte, ja sogar Tote zu beklagen, er hat zu erbitterten Streitigkeiten zwischen Nach-barn und sogar in Familien gefhrt, lie aus Freundschaften Feindschaften werden, hat nicht wenige zum Verzweifeln an sich und diesem Staat gebracht und die Menschen misstrauisch gemacht.

    Und er hat die Fratze des von Robert Jungk und Klaus Traube schon viel frher beschriebenen Atomstaats vorgefhrt, die Gefahr, dass ein demokratischer Staat we-gen der Notwendigkeit, atomare Anlagen wegen ihrer Gefhrlichkeit und wegen der Ablehnung durch die Bevlkerung bewa-chen und sichern zu mssen, sich in ei-nen autoritren Polizeistaat verwandelt. Dieser Albtraum ist in Wackersdorf Wirklich-keit geworden.

    Der Widerstand war erfolgreich und er war nachhaltigOhne den Widerstand stnde heute in Wa-ckersdorf eine atomare Anlage, kein Indus-triegebiet mit Tausenden von Arbeitspltzen. Es wre unmglich gewesen, zu Zeiten der rot-grnen Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomenergie und den Einstieg in die erneuerbaren Energien zu organisieren.

    Wir haben nicht erst Tschernobyl oder gar Fukushima gebraucht, um zu verstehen, dass Atomenergie fr die Umwelt, fr den Rechts-staat und fr die Demokratie schdlich ist. Dass diese Erkenntnis heute Allgemeingut ist, ist auch das Verdienst der vielen Menschen, die hier gegen die WAA gekmpft haben.

    Darauf knnen Sie, knnt Ihr, knnen wir stolz sein. Wir drfen uns aber nicht aus-ruhen, Vorsicht ist weiterhin angebracht, insbesondere vor den vielen Wendehlsen, die nach Fukushima pltzlich zu uns berge-laufen sind.

    Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!

    - Bertolt Brecht

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    28 12/2014 DER FREISTAAT Bayerische Schriften fr soziale Demokratie

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    25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf Das Lehrstck WAA. Hans Schuierer erinnert an dasAus | Hans-Peter Kastenhuber

    Und ein zufriedenes Lcheln hellt das gebrunte Gesicht des unverschmt jung wirkenden Altlandrats auf. Nichts erinnert in diesem Moment an jenen Schwandorfer Landrat Hans Schuierer, der sich zum Leidwesen der deutschen Atomindustrie und der Staatsregierung in den 1980er-Jahren als einer der hrtesten Knochen in der an solchen Typen ohnehin reichen Oberpfalz erwies. Ihn hatten weder die Bosse der Energie-konzerne noch der damals in Bayern regierende Franz Josef Strau auf der Rechnung, als sie im Taxldener Forst bei Wackersdorf eine riesige Fabrik zur Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennstbe bauen wollten. Acht Jahre dauerte

    die Auseinandersetzung um die WAA, die von beiden Seiten teilweise als Schlacht gefhrt wurde. Dass am Ende Industrie und Politik den Krzeren zogen, dafr sorgte die stetig wachsen-de Zahl friedlicher Gegner des Projekts. Die Ga-lionsfigur des Widerstands hie Hans Schuierer.

    Geheimtreffen im HotelDie Rolle hatte sich dem gelernten Maurer, der als 25-Jhriger nach dem Vorbild des Vaters fr die SPD in die Kommunalpolitik eingestiegen war, nicht aufgedrngt. Ich hatte zunchst keine Ahnung von Atomenergie, gesteht er offen ein. 1979 waren erste vage Gerchte um eine Atomanlage in der Oberpfalz aufgetaucht.

    DAS LEHRSTCK WAA.HANS SCHUIERER ERINNERT AN DAS AUS

    von Hans-Peter Kastenhuber

    Artikel aus den Nrnberger Nachrichten vom 13.06.2009

    SCHWANDORF Hier sitzt jemand, der mit sich im Reinen ist. Vom Kaffeetisch auf der Terrasse aus blickt Hans Schuierer auf ein paar Hundert Quadratmeter gepflegtes Gartengrn. In Reichweite neben seinem Stuhl liegt das Fernglas. Vor allem in den Mor-genstunden kommen aus dem angrenzenden Waldstck alle mglichen Vgel zu Besuch. Manchmal ist sogar ein Pirol dabei, erzhlt Schuierer.

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    30 12/2014 DER FREISTAAT Bayerische Schriften fr soziale Demokratie

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    25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf Das Lehrstck WAA. Hans Schuierer erinnert an dasAus | Hans-Peter Kastenhuber

    | Stehende Ovationen fr Hans Schu-ierer bei der Gedenkveranstaltung 25 Jahre Baustopp WAA am 30. Mai 2014 in Schwandorf.

    | Hans Schuierer, umrahmt von seiner Frau und seiner Tochter, nach der Ein-stellung des Disziplinarverfahrens gegen ihn am 18. April 1989 in Regens-burg. Rechts sein Anwalt Albert Schmid, spter SPD-Landtagsfraktionschef.

    | Hans Schuierer beim Tref-fen mit den sterreichischen Atomkraftgegnern im Juni 1986 in Altenschwand. Rechts Heinz Stockinger, Salzburger Anti-Atom-Aktivist der ersten Stunde.

    | Hans Schuierer beim Tref-fen mit den sterreichischen Atomkraftgegnern im Juni 1986 in Altenschwand.

    Irgendwann 1981 ldt Umweltminister Alfred Dick den Landrat zu einem Treffen in ein Regensburger Hotel. Streng vertraulich wird Schuierer in die WAA-Plne eingeweiht. Er hat mir das in den schnsten Farben dargestellt und von 3.600 sauberen Arbeitsplt-zen gesprochen. Ich war begeistert.

    Lange hlt die Euphorie nicht an. Der Landrat informiert sich. Er liest, spricht mit Wissenschaftlern und teilt bald nicht mehr die Meinung von Franz Josef Strau, wonach so eine WAA nicht gefhrlicher als eine Fahrradspeichenfabrik sei. Misstrauisch wird Schuierer vor allem, als er merkt, dass die uns nicht die Wahrheit erzhlen. Auf Plnen der sauberen Fabrik entdeckt er einen fast 200 Meter hohen Kamin. Als er die Vertreter der Betreiberfirma DWK fragt, wozu der gebraucht werde, sagt man ihm, dass durch den die radioaktiven Schadstoffe gleichmiger verteilt werden sollen.

    Schuierer nimmt den Kampf gegen die WAA auf. Er untersttzt die Brgerinitiative vor Ort, tritt als Redner bei Protestveranstaltungen auf und er stellt sich als Chef der Genehmigungsbehrde quer. Das trgt ihm unter anderem ein Disziplinarverfahren und dem Freistaat eine Lex Schuierer ein. Genervt vom widerspenstigen Schwandorfer Landrat verabschiedet die Landtags-CSU ein Gesetz,

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    32 12/2014 DER FREISTAAT Bayerische Schriften fr soziale Demokratie

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    25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf Das Lehrstck WAA. Hans Schuierer erinnert an dasAus | Hans-Peter Kastenhuber

    Man kann was erreichen.- Hans Schuierer

    | Hans Schuierer und der Vorsitzende des Bund Natur-schutz Hubert Weinzierl am 14. Juni 1986 bei einer gemein-samen Demonstration mit dem Bund Naturschutz Vorarl-berg in Altenschwand.

    | Ansprache anlsslich des 75-jhrigen Bestehens des Bund Naturschutz am Franziskusmarterl 1988. Links der BN-Vorsitzende Hubert Weinzierl.

    auch der Polizeifhrung schwere Vorwrfe. Da wurde das in der Genfer Konvention gechtete CS-Gas gegen Demonstranten eingesetzt, und Beamte eines Sondereinsatzkommandos aus Berlin fhrten sich wie Totschlger auf.

    Je hrter sich die Staatsmacht in Wackersdorf aber zeigte, desto mehr Menschen schlossen sich der Parole an, die in der Oberpfalz bald jeden Heuschober zierte: WAA nie! Als vor 20 Jahren berraschend vermeldet wurde, dass die Atomwirtschaft ihr Milliardenprojekt stoppen wolle, wussten die berglcklichen WAA-Gegner, wo der Triumph zu feiern war. Vor

    dem Bauzaun trafen sie sich, sangen Groer Gott, wir loben dich, und sogar der knorrige Hans Schuierer wagte ein Freudentnzchen.

    Die Geschichte der WAA, sagt der Pensionist heute, ist ein Lehrstck. In den Schulbchern msse sie deshalb erzhlt werden. Junge Leute knnten daraus lernen, dass es nicht stimmt, wenn man immer sagt: Daran kannst eh nix ndern. Am Ende hat in Wackersdorf nmlich der kleine Mann gesiegt.

    das dem Staat ber den Kopf eines Landrats hin-weg bei Genehmigungsverfahren ein Selbst-eintrittsrecht sichert. Es gilt heute noch.

    Eine schwere Zeit, erinnert sich Schuierer. Viel Druck hat er damals auszuhalten. Gerne wrde ihm die Staatsregierung eine Verletzung seiner Amtspflichten nachweisen. Und wenn der WAA-Rebell am Abend quer durch die Republik reist und Vortrge hlt, wei er stets Kripobeamte oder Staatsschtzer im Saal, die jedes Wort von ihm festhalten. Schuierer erlebt am eigenen Leib, was der Zukunftsfor-scher Robert Jungk 1977 in seinem Buch Der

    Atomstaat prophezeit hatte: dass sich Politik und Wirtschaft im Ringen um technischen Fortschritt pltzlich gegen die eigene Bevlke-rung stellen.

    Wie TotschlgerAm martialischen Bauzaun, drauen im Tax-ldener Forst, zeigt sich diese Gegnerschaft von ihrer hsslichsten Seite. Bei Demons-trationen, an denen oft mehrere Zigtausend Menschen teilnehmen, kommt es zu blutigen Szenen. Natrlich, sagt Hans Schuierer, waren da auch Autonome dabei, denen es nur um Krawall ging. Aber der Ex-Landrat macht

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    Wir bleiben dran! | Markus Rinderspacher, MdL

    | Ehemals als Chaoten ge-schmhte Widerstndlerinnen bei der Gedenkveranstaltung 25 Jahre Baustopp WAA am 30. Mai 2014 in Schwandorf.

    Seit dem 04.02.1985 war klar, dass sie sich in Wackersdorf unaufhaltsam vorschieben werden Rodungsarbeiter, Baufahrzeuge und Sondereinsatzkommandos. Zu diesem Zeitpunkt fllte die Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) ihre Standortentscheidung zugunsten von Wackersdorf, dem 3.500 Einwohner zh-lenden Ort am Rande des Taxldener Forsts, drei Kilometer von Schwandorf entfernt. Die Oberpflzer reagierten schon zwei Wo-chen spter mit einer Grodemonstration, an der sich 40.000 Menschen beteiligten. Sie waren auf den Schritt der WAA-Betreiber gut vorbereitet.

    Schon seit Jahren war ihre Region als Stand-ort fr das teuerste Industrieprojekt in der

    Geschichte dieser Republik im Gesprch gewesen. Schon am 9. Oktober 1981 wur-de die Brgerinitiative gegen die WAA in Schwandorf gegrndet. Fast alle umliegen-den Gemeinden entschieden sich bereits 1982 im Rahmen des von der DWK bean-tragten Raumordnungsverfahrens gegen die WAA. Nur das SPD-regierte Wackersdorf nicht. Dort war nach der Schlieung der rtli-chen Braunkohleindustrie die Arbeitslosigkeit auf ber 20 Prozent geklettert. Doch an Wa-ckersdorf als mglichen WAA-Standort dach-te damals noch niemand. Gutachter hielten diesen Standort fr absolut ungeeignet, denn eine Wiederaufarbeitungsanlage sollte nicht gerade auf dem grten Trinkwasserreservoir der Oberpfalz, der sogenannten Bodenwh-rer Senke, errichtet werden.

    MIR SAN DIE CHAOTEN DER WIDERSTAND IN WACKERSDORF

    Eine Chronologie des Widerstandes gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in der Oberpfalz bis zu dem gestern von der DWK verkndeten Baustopp von Bernd Siegler

    Artikel aus der taz vom 31.05.1989

    Warum mua a grad i in der vordersten Reih stehn? Hintn mcht i stehn, ganz weit hintn, so weit hintn, da mi koaner sicht, mittendrin im Wald. Jetzt mua i mir des ois oschaugn aus nchster Nh. Unbeweglich schauns aus und trotzdem schiabn sie sich unaufhaltsam vor mit ihre Schilder und Knppeln ... (Konstantin Wecker)

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    25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf Mir san die Chaoten der Widerstand in Wackersdorf | Bernd Siegler

    Obwohl schon am 27. Mrz 1982 anlsslich des Raumordnungsverfahrens 15.000 Men-schen gegen die WAA demonstriert hatten, argumentiert Bayerns Ministerprsident Franz Josef Strau beim Gerangel um den WAA-Standort mit der vermeintlich greren Akzeptanz einer WAA in der Oberpfalz. Doch die Bayerische Staatsregierung sollte sich mit ihrer Einschtzung von der Oberpfalz als einer ruhigen Provinz grndlich tuschen.Am 07. Februar 1984 beginnt in Neunburg vorm Wald der erste Errterungstermin

    zur Behandlung der 53.017 Einwendungen gegen die erste Teilerrichtungsgenehmigung. Schon nach drei Tagen ziehen die WAA-Geg-nerInnen unter Protest aus dem Saal aus. Daraufhin erteilt das Umweltministerium am 24. September 1985 die erste Teilerrich-tungsgenehmigung (TEG), die schlielich am 02. April 1987 vom Bayerischen Verwaltungs-gerichtshof aufgehoben wird.

    Im Sommer 1984 beginnen die regelmigen Sonntagsspaziergnge gegen die WAA. Um

    die Kompetenzen des Schwandorfer Land-rats Hans Schuierer, eines erklrten WAA-Gegners, zu beschneiden, verabschiedet der Landtag das Gesetz ber das sogenannte Selbsteintrittsrecht, die Lex Schuierer genannt wird. In Zukunft kann die Behrde wichtige Entscheidungen ber den Kopf des Landrats anordnen.Am 12. Oktober 1985 endet die Demonstration von 50.000 WAA-GegnerInnen in Mnchen in blutigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und DemonstrantInnen. Im Stadtteil Haidhausen werden 200 Menschen fest- genommen. Spter sollte es sich herausstellen, dass die Krawalle von Zivilbeamten provoziert

    worden waren. Der Versuch, am Beispiel Haidhausens den Widerstand zu diskreditieren und zu spalten, schlgt jedoch fehl.Der VGH in Mnchen gibt am 10. Dezember 1985 den Weg fr die Rodungsarbeiten frei. Im Eilverfahren schmettert er die von An-liegern des WAA-Baugelndes beantragte einstweilige Anordnung gegen den Bebau-ungsplan ab. Schon einen Tag spter fllt um 10.35 Uhr der erste von einer halben Million Bumen dem WAAhnsinnsprojekt zum Opfer. Vor Ort hatten bereits die ganze Nacht hindurch in eisiger Klte WAA-GegnerInnen auf die Rodungsarbeiter gewartet, die nur unter massivem Polizeischutz ihre Sgen

    bedienen konnten. Zur Grodemonstration zwei Tage spter am 14. Dezember 1985 ziehen 40.000 nach Wackersdorf. Schikanse Kontrollen und lange Fumrsche knnen den Zug zum Baugelnde und die Besetzung des Bauplatzes nicht verhindern. Das erste Httendorf im Taxldener Forst entsteht. Am nchsten Tag knallen die Sektkorken. Die Devise des Bayerischen Innenministeriums, dass kein Platz oder Haus im Freistaat lnger als 24 Stunden besetzt sein sollte, ist damit durchbrochen. Etwa 1.000 WAA-GegnerIn-nen bernachten bei klirrendem Frost im Httendorf, tagsber halten sich 4.000 Men-schen im Wald auf. Am 16. Dezember 1985

    rumt ein Groaufgebot von 3.700 Polizisten und Bundesgrenzschtzern das Httendorf. 869 WAA-GegnerInnen werden vorberge-hend festgenommen. Schon am 21. Dezem-ber 1985 stehen die ersten Htten wieder. Bei Minusgraden in Eis und Schnee feiern die WAA-GegnerInnen im zweiten Httendorf Weihnachten und Silvester. Oberpflzer Brger versorgen die BesetzerInnen mit Lebensmitteln, vermitteln Wasch- und Duschgelegenheiten, richten Pendeldienste ein. Nach einer Anordnung des Innenmi-nisteriums wird das zweite Httendorf am 07. Januar 1986 gerumt und dem Erdboden gleichgemacht.

    | Kinderfest im zweiten Htten-dorf im Januar 1986.

    Wackersdorf muss ein Lehrbeispiel sein, was in einer Demokratie niemals vorkommen darf.

    Und dafr mssen wir auch in Zukunft sorgen.- Hans Schuierer

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    25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf Mir san die Chaoten der Widerstand in Wackersdorf | Bernd Siegler

    | Haupteingang des zweiten Httendorfs, 06. Januar 1986.

    Die eingesetzten BGS-Beamten sind mit Maschinenpistolen ausgerstet, die Anti-Terror-Truppe GSG 9 steht bereit, kommt jedoch nicht zum Einsatz. 762 auswrtige PlatzbesetzerInnen werden vorlufig festgenommen, die einheimischen lsst man laufen, um die Polizeistatistik im Sinne der angereisten Chao-ten manipulieren zu knnen. Mit diesen Polizeiaktionen ist die weitere Eskalation vorprogrammiert.

    Nach einem bunten Faschingstreiben im Wald, an dem sich 6.000 WAA-GegnerInnen am 06. Februar 1986 beteiligen, muss ein Demonstrant mit einer Schdel- und Halswirbelprellung mit dem Helikopter ins Krankenhaus geflogen werden. Am 12. Febru-ar 1986 entscheidet der Atomsenat des VGH in Mnchen erneut gegen einen beantragten Baustopp. Nicht zum letzten Mal res-miert Klgeranwalt Baumann: Die Rechtsordnung wird stndig der WAA angepasst und nicht umgekehrt.

    2.000 WAA-GegnerInnen kehren am 02. Mrz 1986 betroffen und wtend vom Sonntagsspaziergang zurck. Nach einem Gerangel mit Polizisten stirbt die 61-jhrige Erna Sielka aus Wackersdorf noch am WAA-Bauplatz an Herzversagen. Der damalige Oberpflzer Polizeiprsident Friker beklagt dagegen eine unheimliche Solidarisierung der Oberpflzer mit den Auswrtigen. Schon lange bezeichnen sich die Einheimischen selbst voller Stolz als Chaoten.

    Noch rechtzeitig vor Ostern die Friedensbewegung hatte zum Ostermarsch nach Wackersdorf geladen erschrecken Schlagzei-len wie Wackersdorf im Visier der RAF die Oberpflzer. Gerhard Boeden, Vizeprsident des Bundeskriminalamtes, bringt den Widerstand gegen die WAA mit der RAF in Verbindung eine Li-nie, die sich spter vor jeder Groaktion bis heute fortsetzen soll-te. Bundesinnenminister Zimmermann verweist auf Erkenntnis-se, wonach Ostern mit einer Teilnahme von Personen zu rechnen

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    25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf Mir san die Chaoten der Widerstand in Wackersdorf | Bernd Siegler

    wre, die selbst vor einem politischen Mord nicht zurckschre-cken. Noch bevor sich am 31. Mrz 1986 100.000 Menschen zur bisher grten Demonstration gegen die WAA versammelt haben, hat die Polizei ein Zeltlager und mehrere bernachtungs-quartiere abgerumt. ber Ostern sind 10.000 Beamte und 41 Wasserwerfer aus der ganzen Bundesrepublik im Einsatz. Am Ostermontag um 14.51 Uhr findet in Wackersdorf die bundes-deutsche CS-Gas-Premiere statt. Wenige Stunden spter stirbt in unmittelbarer Nhe ein 38-jhriger Ingenieur an einem Asthma-Anfall. Der Mnchener Toxikologe Max Daunderer hlt einen Zu-sammenhang mit dem international von der Genfer Konvention gechteten Kotzgas CS fr wahrscheinlich. Am nchsten Tag appelliert der Bayerische Rundfunk an die WAA-GegnerInnen, ihre verseuchte Kleidung schleunigst zu waschen und nicht zum Trocknen in geschlossenen Rumen aufzuhngen. Im Oktober 1988 hebt der VGH in Mnchen die gegenteilige Entscheidung des Regensburger Verwaltungsgerichts auf, und erklrt den innerstaatlichen CS-Gas-Einsatz fr rechtens.Schon eine Woche nach Ostern betrauern die Einsatzkrfte der Polizei ein Loch in dem endgltigen, als unbezwingbar angekn-digten, millionenschweren Sicherheitszaun aus Spezialstahl. Eine Serie von Anschlgen auf Hochspannungsmasten in und um Wackersdorf lutet die nchste Runde ein. Nach dem GAU im sowjetischen Reaktor Tschernobyl am 26. April 1986 verhrten sich die Fronten in der Oberpfalz. An den darauffolgenden beiden Pfingsttagen demonstrieren 50.000 WAA-GegnerInnen. Bereits am Sonntagabend war der Gesamtbestand des Freistaats an CN- und CS-Gas aufgebraucht. CS-Gas-Kartuschen werden aus Hubschraubern direkt in die Menschenmenge abgeworfen, selbst Rot-Kreuz-Fahrzeuge bleiben davon nicht verschont. ber 600 Menschen werden teilweise schwer verletzt. Die Demons-trantInnen reagieren. Ein Mannschaftswagen der Polizei geht in Flammen auf. Danach herrscht Ausnahmezustand in der Region. Polizeikontrollen und Hausdurchsuchungen sind an der Tages-ordnung. Das Gebiet um die WAA wird zur demonstrations- freien Bannmeile erklrt, die Baustelle zur Festung ausgebaut. Trotz dieses Kesseltreibens stehen bereits eine Woche spter wieder 10.000 am Zaun.

    Am 01. Juni 1986 werden 3.000 sterreicher auf dem Bahn-hof in Schwandorf euphorisch begrt, der WAA-Widerstand

    | Der undurchdringbare Bauzaun.

    Nicht bitten, nicht betteln, nur mutig gestritten, es kmpft sich nicht schlecht fr Heimat und Recht.- Hans Schuierer

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    25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf Mir san die Chaoten der Widerstand in Wackersdorf | Bernd Siegler

    wird grenzberschreitend. Trotz Verbots kommen am 07. Juni 1986 30.000 Menschen zum Bauzaun, 700 sterreichern wird von bayerischen Grenzpolizisten die Einreise in den Freistaat verweigert. Zwei Tage vorher wird der bisherige Polizeichef Friker we-gen halbherzigen Vorgehens geschasst. Von nun an operiert die Polizei auerhalb des Bauzauns mit im Wald versteckten Sondereinsatzkommandos und Greiftrupps.Der neue Polizeichef Wilhelm Fenzl erlebt seine Feuerteufe beim Anti-WAAhnsinnsfes-tival in Burglengenfeld am 26./27. Juli 1986. 100.000 kommen in die Oberpfalz und tanzen gegen den WAAhnsinn, obwohl kurz vor-her der Einsatz von Distanzwaffen in Bayern

    genehmigt worden war. Die Polizei, mit ins-gesamt 6.000 Mann vor Ort, kontrolliert vor, whrend und nach dem Festival 30.000 Autos und durchsucht 74.000 Festivalteilnehmer.Noch bevor Franz-Josef Strau am 29. Sep-tember 1986 bei seinem stark bewachten Wahlkampfauftritt im Schwandorfer Stadion vieldeutig ankndigt Auf uns knnt ihr Ober-pflzer euch verlassen, reiben sich die Ober-pflzer bei ihrem freitagabendlichen Akten-zeichen XY-Vergngen erstaunt die Augen. Mit Belohnungen von jeweils 10.000 DM

    werden am 12. September 1986 fnf vermeintliche Steinewerfer von der Pfingst-demo gesucht.Bei den Landtagswahlen am 12. Oktober 1986 verliert die CSU in der Oberpfalz zwar zwei-stellig, muss bayernweit jedoch nur 2,5 Pro-zent einben. Vier Tage danach starten die ersten Blockadetage in der Oberpfalz. Um die Infrastruktur der WAA zu treffen, werden drei Tage lang Straen und Firmenzufahrten blo-ckiert. Die Polizei reagiert nervs. In Schwan-dorf wird eine Demonstration eingekesselt, in Burglengenfeld fahren Wasserwerfer auf dem Marktplatz auf, in Ponholz wird eine Terroris-tenfahndung inszeniert. Insgesamt werden 505 WAA-GegnerInnen festgenommen.

    Zum ersten Mal seit ihrem Bestehen wird die fr November in Regensburg geplante Bundeskonferenz der Anti-AKW-Initiativen (Buko) verboten. Trotz einer Treibjagd quer durch die Oberpfalz fllt sie den Beschluss, auch die nchste Konferenz in Bayern abhal-ten zu wollen. Whrend der bayerische In-nenstaatssekretr Gauweiler Weihnachten zusammen mit 1.000 Beamten in einem Zelt auf dem Bauplatz verbringt und 2.000 frische Weiwrste spendiert, ziehen trotz Bann-meile etwa 3.000 WAA-GegnerInnen am

    26. Dezember 1986 zum Bauzaun. Polizisten kontern Schneeballwrfe mit Knppelein-satz. Am 02. April 1987 hebt der Bayerische VGH die erste Teilerrichtungsgenehmigung auf. Trotzdem wird weitergebaut. Vereinzelt kommt es bei den Demonstrati-onen an Ostern und Pfingsten mit jeweils mehreren Tausend Teilnehmern zu Ausei-nandersetzungen mit der Polizei. Die Lage bleibt ruhig, die Polizei startet ihre Gewalt Nein danke-Aktion und wird aufgerstet und personell aufgestockt, die Gerichte ersticken in einer Flut von WAA-Verfahren. Einen Tag vor den zweiten Herbstaktionen entdeckt der bayerische LKA-Prsident eine klare Linie von den Zielsetzungen der RAF unmittelbar zum militanten Widerstand gegen die WAA. Trotz-dem ist die Beteiligung an den Aktionstagen

    vom 08. bis 11. Oktober 1987 gro. Die Poli-zei versucht, die Kommunikationsstrukturen des Widerstands lahmzulegen und rumt jeweils die Abendplena zum Teil mit brutaler Gewalt ab. Am 10. Oktober 1987 schlielich ziehen trotz Verbot und Absperrung etwa 35.000 WAA-GegnerInnen nach einer Kund-gebung zum Bauzaun. Dort veranstaltet die Polizei, darunter die Berliner Spezialeinheit EbLT (Einsatzgruppe fr besondere Lagen und einsatzbezogenes Training), eine wahre Pr-gelorgie. Alle Verfahren gegen Polizeibeamte werden spter klammheimlich eingestellt.Am 29. Januar 1988 erklrt der VGH in Mnchen den WAA-Bebauungsplan fr nich-tig. Aufgrund von Einzelbaugenehmigungen wird weitergebaut. Stolz stellt am 04. Fe-bruar 1988 Innenstaatssekretr Gauweiler

    Jeden Tag, wenn ich die Zeitung aufgemacht habe, war von Chaoten, von Rechtsbrechern, von

    Terroristen die Rede. Steigbgelhalter bin ich einmal genannt worden, Steigbgelhalter des

    Kommunismus [...].- Hans Schuierer

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    25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf Mir san die Chaoten der Widerstand in Wackersdorf | Bernd Siegler

    seine neue Polizeitruppe, die sogenannten Untersttzungskom-mandos (USK) der Presse vor. 10 Tage spter erleben 5.000 bunt maskierte WAA-Faschings-DemonstrantInnen den Ersteinsatz der Polizei-Schlgertruppe. Zu dieser Zeit checken Mitarbeiter des Verfassungsschutzes die Meldekartei u. a. der Gemeinde Bruck nach WAA-GegnerInnen durch. Wegen der Herausgabe einer Anti-WAA-Zeitung mssen sich fnf Oberpflzer seit dem 07. Juni 1988 vor dem Obersten Landesgericht in Mnchen wegen des Verdachts der Untersttzung einer terroristischen Vereinigung verantworten. Das Verfahren wird eingestellt.Der Errterungstermin fr die 2. Teilerrichtungsgenehmigung startet am 11. Juli 1988 in Neunburg. 881.000 Einwendungen gegen die WAA liegen vor. An 23 Verhandlungstagen wird 180 Stunden lang errtert. Um den Flurschaden zu begrenzen, bricht das Umweltministerium den Errterungstermin am 12. August 1988 abrupt ab. Nur einer von 60 Punkten ist behandelt worden, nur 150 Einwender sind zu Wort gekommen.

    Im Rahmen der dritten Herbstaktion ziehen 50.000 WAA- GegnerInnen am 15. Oktober 1988 zum Bauzaun. Zum ersten Mal seit Pfingsten 1986 ist wieder eine Demonstration zum Zaun genehmigt worden. Die Latschdemo erhlt Lob von der Polizei, die Veranstalter sind ebenfalls zufrieden. Auch am 26. Dezember 1988 wird die Demo zum Zaun genehmigt.Am Faschingssonntag, dem 05. Februar 1989 gehen USK- Einheiten mit brutaler Hrte gegen die Trger eines 30 Meter langen Transparents vor. Eine Frau erleidet einen Nasenbein-bruch. Im Rahmen der NATO-Stabsrahmenbung WINTEX wird in der Oberpfalz ein Attentat auf Landrat Schuierer und ein Angriff von Wackersdorfer Brgern gegen Anti-WAA-Demons-trantInnen durchgespielt.

    Am 26. Mrz 1989, dem Ostersonntag, spazieren etwa 5.000 zum Bauzaun, die Lage ist entspannt. Im Eilzugtempo peitscht der Wackersdorfer Gemeinderat am 25. Mrz 1989 zehn Ein-zelbaugenehmigungen, darunter fr das Herzstck der WAA, das Hauptprozessgebude, durch. Bisher zum letzten Mal spricht Polizeiprsident Fenzl am 03. April 1989 von einer RAF-Sympathisantenszene in der Oberpfalz.Am 12. April 1989 platzt die Bombe: Verhandlungen der VEBA mit der franzsischen Firma COGEMA ber eine Wiederaufarbeitung in La Hague werden bekannt. Zwei Tage spter signalisiert das Bayerische Innenministerium die Zustimmung zur Einstellung des Disziplinarverfahrens gegen Landrat Schuierer.

    Die Baueinstellung erfolgt am 30. April 1989.

    Wir alle haben die Verpflichtung und stehen in der Verantwortung, dass wir das alles, was in Wackersdorf passiert ist, nicht in Vergessenheit

    geraten lassen.- Hans Schuierer

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    Wir bleiben dran! | Markus Rinderspacher, MdL25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf

    Wackersdorf steht am Ende jedoch fr gelun-genen Brgerwiderstand und als Lehrstck, wie politische Fhrung in einer Demokratie nicht aussehen darf, will sie erfolgreich sein. Strau setzte auf Desinformation und schlie-lich auf Eskalation. Die acht Jahre whren-den Auseinandersetzungen um Wackersdorf bescherten der politischen Kultur in der Nachkriegszeit unseres Landes Superlative: Der als weltweit grten geplanten Wieder-aufbereitungsanlage fr Kernbrennstbe stand der zhe Widerstand von engagier-ten Brgerinnen und Brgern entgegen, mit der grten Anzahl von Einsprchen, die es je in einem rechtsstaatlichen Verfah-ren in Deutschland gegeben hat und einer Solidaritt, die ber die deutschen Grenzen hinausreichte. Die traurige Kulmination: ein brutales Vorgehen vonseiten der Polizei und des Grenzschutzes und der erste Einsatz von CN- und CS-Gas gegen Brgerinnen und Brger in der Geschichte der Bundesrepublik. Auch wenn die Zustnde damit zeitweise als brgerkriegshnlich galten, blieben die sich Widersetzenden beim Nein gegen die WAA. Am Ende siegten alle, die eine nachhaltige Zukunft fr ihre Heimat wollten und im Mai 1989 gab die DWK (Deutsche Gesellschaft fr Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen) das Aus fr den weiteren Bau der Anlage bekannt.

    Divide et impera war von Machiavelli als Ratschlag zur Steigerung der Macht gemeint. Es entstammte einem seiner Hauptwerke,

    Il Principe (Der Frst). Es sollte sich jedoch zeigen, dass in einem demokratischen Freistaat Bayern Strategien der Frstenherr-schaft ausgedient hatten.

    WAA, der Mythos: konomie versus Sicherheit?Legendr wurde der Satz von Strau bei Bekanntgabe der Plne fr die WAA, die Wiederaufbereitung von Kernbrennstben sei nicht gefhrlicher als eine Fahrradspei-chenfabrik. Die Region um Wackersdorf war durch Braunkohlefrderung reich geworden, doch 1982 waren die Gesamtkohlevor- rte erschpft. Die 80er-Jahre wurden eine schwierige Zeit fr den Landkreis: Tausende Arbeitspltze gingen verloren, und die Arbeitslosigkeit in Wackersdorf stieg auf rund 20 Prozent. Befrworter wie Strau verspra-chen sich von der Wiederaufbereitungsanlage einen groen Schub fr die Wirtschaft in der Region. In der Mnchner Staatskanzlei glaubte man deshalb, die industriegewhn-ten Oberpflzer wrden den Bau ohne groes Aufbegehren schlucken. Franz Josef Strau sollte sich gewaltig tu-schen. Bewusst getuscht hatte er wiederum die Oberpflzerinnen und Oberpflzer zu den Risiken der Anlage, denn zu diesem Zeitpunkt war die Wiederaufbereitung als gefhrlichster Schritt im Atomkreislauf bereits bekannt.

    In der britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield ereignete sich 1957 der weltweit erste schwere Atomunfall. Radioaktive Ver-

    ACHT JAHRE WAAWACKERSDORF: EINE POLITISCHE ZSUR

    Natascha Kohnen, MdL Energiepolitische Sprecherin der BayernSPD-Landtagsfraktion

    Ingrid Pflug Politikwissenschaftlerin

    Divide et impera das Strategievorbild Teile und herrsche von Niccol Machiavelli muss wohl Franz Josef Strau in den 80er-Jahren zur Durchsetzung der Wiederaufbereitungsanlage im oberpflzischen Wackersdorf als Inspiration gedient haben.

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    25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf Acht Jahre WAA Wackersdorf: Eine politische Zsur | Natascha Kohnen, MdL, und Ingrid Pflug, Politikwissenschafterlin

    seuchungen waren bis nach Irland nachzuweisen. Seitdem rei-en die Schlagzeilen ber Pannen in Sellafield nicht ab. Entgegen der Bezeichnung haben Wiederaufbereitungsanlagen nichts mit Recycling zu tun. Im Gegenteil: Verglichen mit Kernkraftwerken geben Wiederaufarbeitungsanlagen erheblich grere Mengen radioaktiver Substanzen ab, und die Prozesse finden wegen der erheblich greren Strahlenbelastung teilweise vollautomatisch hinter meterdicken Betonwnden statt. Aus dem hoch radioakti-ven abgebrannten Kernbrennstoff werden in heier Salpetersu-re die wiederverwertbaren Bestandteile Plutonium und Uran he-rausgelst, um sie von Neuem zu Kernbrennstoff zu verarbeiten. brig bleiben 95 Prozent Uran, 4 Prozent Endmll und 1 Prozent waffenfhiges Plutonium. Dieses Detail verleiht den WAAs zu-stzlichen politischen Sprengstoff.Der Endmll ist hochradioaktiv, nicht weiter verwendbar und wird in flssigem Glas eingeschmolzen. Diese Behlter

    werden zwischengelagert, in La Hague geschieht dies in belfteten Schchten, bis geeignete Endlager gefunden werden. Auch das Uran wird zunchst zwischengelagert. Das Plutonium kann mit Uran zu einem neuen Brennstoff gemischt werden: MOX, kurz fr Mischoxid. Wegen des Plutoniumgehaltes sind Gewinnung und Transport von MOX-Brennelementen ein hochbrisantes Kapitel der Atomindustrie.

    Auch fast 30 Jahre nach dem Reaktorunglck von Tschernobyl sind im Oberpflzer Wald Pilze oder auch Wild noch radioaktiv belastet. Wissenschaftler der Gesellschaft fr Strahlenschutz e. V. fhren auch eine Reihe von genetischen Schden auf radio-aktive Strahlung zurck: So wurden in Bayern nach Tschernobyl signifikant mehr Kinder mit Lippen-Gaumenspalten und anderen Fehlbildungen wie Spina bifida (offener Rcken) geboren. Rund um die Wiederaufarbeitungsanlagen im britischen Sellafield und im franzsischen La Hague wurde eine deutlich hhere Leukmie-rate bei Kindern und Jugendlichen nachgewiesen.

    Die WAA wre zudem mitten im grten Trinkwasserreservoir der Oberpfalz, der Bodenwhrer Senke, gestanden. Es wurden also zustzlich Fragen zur Grundwasser-Verseuchung aufgeworfen. Im Gegensatz zu den Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague und Sellafield liegt Wackersdorf nicht am Meer. Die Entsorgung radioaktiver Stoffe ins Meer ist bereits skandals genug in der Oberpfalz wren die Abwsser schlicht in den Fluss Naab geleitet worden und das kontaminierte Wasser wre von dort zur Donau geflossen.

    Dem Sozialdemokraten Hans Schuierer, damals Landrat von Schwandorf, wurden diese gesundheitlichen Gefahren nach eige-nen Angaben erstmals richtig bewusst, als ihn die Verantwortli-chen der DWK ber den Bau eines 200 Meter hohen Abluftkamins informierten. Auf die Frage, wofr man so einen hohen Turm brauche, hie es, dass die radioaktiven Schadstoffe so mglichst breit verteilt werden knnten. Da habe ich gedacht, wenn das schon im Normalfall gefhrlich ist, um wie viel gefhrlicher ist es, wenn ein Ernstfall eintritt. Das war einer der Aspekte, der mich zu einem entschiedenen WAA-Gegner werden lie. (Interview mit der Mittelbayerischen Zeitung vom 20.05.2014)

    | Protestbanner, aufge-hngt bei einer Sonntags-andacht am Franziskus-marterl 1986.

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    25 Jahre Baustopp WAA Wackersdorf Acht Jahre WAA Wackersdorf: Eine politische Zsur | Natascha Kohnen, MdL, und Ingrid Pflug, Politikwissenschafterlin

    Die argumentativen Trmpfe der WAA-Befr-worter lagen im konomischen Gewinn fr die Region. Etwa die Gewerbesteuer, die in der damaligen Berichterstattung auf 20 bis 30 Millionen Mark im Jahr geschtzt wurde. (Die Zeit 1988)

    Aus heutiger Sicht relativieren sich diese Aus-sagen stark, denn nach dem Aus fr die WAA war Wackersdorf durch den Jahre andauern-den medialen Fokus bundesweit bekannt. Das Gelnde hatte bereits eine sehr gute Infrastruktur und viele hofften, sich zu gns-tigen Konditionen niederlassen zu knnen. In heutigen Interviews erinnert sich Rudolf Reger, der Experte fr Wirtschaftsfrde-rung beim Landratsamt Schwandorf: ber 100 Anfragen erreichten den Ansiedelungs-experten bereits in den Tagen nach dem Aus (Mittelbayerische Zeitung vom 20.05.2014). Ausgerechnet fr den Landstrich, fr den sich in den Jahren zuvor kein einziges Unter-nehmen erwrmen konnte, auer der Ato-mindustrie. Allein der Automobilhersteller BMW sicherte sich 50 Hektar Gelnde. Der Innovationspark Wackersdorf entstand heute arbeiten dort ber 2.000 Menschen, die Arbeitslosenquote in der Region betrgt nur wenig ber drei Prozent. Die Gemein-

    de Wackersdorf gehrt jetzt zu den reichen Kommunen in Bayern. Im Haushalt 2013 wurde ein Gewerbesteueraufkommen von 16,8 Millionen Euro verbucht. Der Internetauftritt des Innovationsparks Wackersdorf wirbt explizit mit der hohen

    Lebensqualitt in der Region: Die Oberpfalz ist aber nicht nur ein leistungsfhiger Wirt-schaftsstandort, die Region bietet darber hinaus unzhlige Mglichkeiten zur aktiven Freizeitgestaltung. Das sportive Angebot reicht von spritzigen Wasserskirunden im Oberpflzer Seenland, Tauchen, spannen-den Kanutouren auf Naab und Regen ber Mountainbiking und Trekking, Klettern in den Jurakalkwnden des Laabertales bis hin zum Langlaufen und Skifahren im Bayerischen und Oberpflzer Wald. Auerdem laden zahlreiche romantische Burgen, eine reizvolle Landschaft und viel beachtete Festspiele ein. Der Tourismus als Wirtschaftszweig wre mit einer Wiederaufbereitungsanlage in der Region undenkbar heute boomt er. In den 1980er-Jahren konzentrierten sich die Gstestrme vorwiegend auf die Region Schnsee, heute spricht man vom Touris-musgebiet Seenland. Gemeint ist eine Seenlandschaft zwischen Schwandorf und

    Wackersdorf, die dadurch entstand, dass man nach dem Ende der Braunkohle zu Beginn der 80er-Jahre die ehemaligen Tagebaugruben mit Wasser fllte.

    Doch nicht nur die Touristen wren angesichts der WAA ausgeblieben, auch die Einheimischen wollten weg. 5.000 Menschen waren es schon whrend der Bauphase. Es liegt nahe, dass sich diese Verdung der Region mit der Fertigstellung der Anlage weiter fortgesetzt htte. In der Berichterstat-tung zum Rckblick anlsslich von 25 Jahren seit dem WAA-Aus kommt beispielsweise ein Sternekoch zu Wort: Hubert Obendorfer betreibt das Vier-Sterne-Hotel Birkenhof, das er 1997 hoch ber Hofenstetten erffnet hat. Wer wrde schon in einer Gegend Urlaub machen, in der eine Wiederaufarbeitungsan-lage steht, wird er zitiert. Hchstens ein paar Sensationstouristen, die aber gleich wieder abreisen wrden. Und er beschreibt, wie er seine Plne fr das Hotel bei Bekanntgabe des WAA-Baus verschoben hatte und zunchst ins Ausland ging. Als klar war, was kommt, war das Thema erst mal durch, erzhlt der mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Koch. Der Triumph des Brgerwiderstandes ermg-lichte also heimatverbundenen Oberpflzern berhaupt wieder das Zuhause. (Mittelbaye-rische Zeitung vom 20.5.2014: Drei Buchsta-ben, zwei Lager, ein Wunder)

    Rckblick: Die zivile Nutzung der Atomkraft als Verheiung der ProgressivenIn den 60er-Jahren galt gerade den kritischen Intellektuellen die Kernenergie als fortschrittlich. Auch Ernst Bloch um 1968 ein Mentor von Rudi Dutschke schwrmte von den Segnungen der Kernenergie und attackierte die angebliche sptbrgerliche

    Technikfeindschaft. Wer sich progressiv und links fhlte, kritisierte die Bundesregierung dafr, dass sie die Energie der Zukunft nicht schnell genug vorantreibe. Die Kerntechnik war bis dahin eine charismatische Zukunftsvi-sion und auf den ersten Blick sauber im Ver-gleich zur Kohlegewinnung. Die skeptischen Stimmen fand man damals bei erfahrenen Ingenieuren und bei der Spitze von RWE, des mit Abstand grten Stromproduzenten der BRD. In den 50er- und 60er-Jahren hatte RWE am Niederrhein groe Braunkohlefelder er-schlossen und Kernenergie war somit ein po-tenzieller Vorteil der Konkurrenz. (Joachim Radkau, Die ra der kologie die Anti-Atom-kraftbewegung; Bonn 2011, S. 209ff)

    Deutschland wurde spter die kritische Haltung zur Atomkraft aus Grnden der Romantik und der deutschen ngstlichkeit unterstellt der Begriff German angst wird bis heute mit der deutschen Anti-Atomkraft-bewegung verbunden. Aber die Tradition der Vorsicht findet man genauso bei den Tech-nikern beziehungsweise Ingenieuren selbst, wie auch bei den Technikgegnern. Atom-kraft, das bundesdeutsche Standardwerk der 50er-Jahre ber den Reaktorbau, stammt von Friedrich Mnzinger, einem deutschen Kraft-werksbauer, der auch bei AEG den Kesselbau auf eine wissenschaftliche Grundlage stellte. Sein Werk ist voll von Warnungen vor den Risiken der Kerntechnik. Er bezeichnete die atomare Euphorie der 50er stellenweise sogar als Atomkraft-Psychose und Verheiungen, dass die Atomkraft das Los des kleinen Mannes bald in unerhrter Weise erleichtern werde, wertete er als durch Sachkenntnis nicht getrbte Flunkereien. Als erfahrener Bauleiter von Grokraftwerken war ihm bewusst, dass es dort Risikodimensionen gab,

    Ich glaube, dass damals nicht nur die Gesundheit unserer Menschen und der Natur

    schlechthin gefhrdet waren, sondern es waren auch damals die Demokratie und unser

    Rechtsstaat gefhrdet.- Hans Schuierer

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    | Die Ostseite des Baugeln-des. Der Bauzaun wurde mit einem Trockengraben versehen, damit er nicht untergraben werden konnte.

    Wir haben Jahre geopfert, um gegen diese Anlage zu kmpfen. Zum Schutze unserer Heimat, zum Schutze unserer Natur, aber auch, um unseren Kindern und Enkelkindern eine gute Zukunft zu sichern.- Hans Schuierer

    welche die Physiker in ihren Labors mangels Erfahrung nicht ein-berechneten. Er war der Meinung, dass die Kenntnis des Risikos zur Kompetenz des Ingenieurs gehre und diesen vor dem Laien dadurch auszeichne. (Radkau, Die ra der kologie, S. 223f)

    Nicht von Anfang an war die Anti-AKW-Bewegung Bestandteil oder gar Katalysator einer breiteren Umweltbewegung schon einfach deshalb, weil es zeitaufwendig war, sich in die Details der Kerntechnik einzuarbeiten. Als die Kernkraft jedoch Realitt wurde, wurden auch die Gefhrdungen fr die Menschen konkret.

    Die deutsche Anti-Atomkraftbewegung ist zweifellos internatio-nal die erfolgreichste. Allerdings zhlte sie nicht zur Avantgarde der Brgerbewegungen in dieser Hinsicht. Viel frher dran war

    z. B. die amerikanische Anti-AKW-Bewegung in den 60er-Jahren. In den 70ern waren in den USA die groen Auseinandersetzun-gen bereits abgeebbt. Dies lag allerdings schlicht daran, dass unter der Prsidentschaft von Jimmy Carter de facto keine neuen Kraftwerke mehr gebaut wurden. Hauptgrund waren die hohen Kosten und die Gefahr, dass sich durch die Wiederaufbereitung atomwaffenfhiges Plutonium verbreiten knnte. (Unter der Prsidentschaft von Jimmy Carter wandte sich die US-Regierung gegen schnelle Brter und WAAs, um das Nuklearwaffenmonopol der Atommchte aufrechtzuerhalten).

    Die erste europische Grodemo gegen ein geplantes Kernkraft-werk fand in Frankreich statt, am 12. April 1971 im elsssischen Fessenheim; danach folgte eine groe Demo an der Rhone. Aber

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    im Ergebnis war die Opposition in Frankreich weniger erfolgreich: Frankreich ist einerseits dnner besiedelt, es verfgte ber weitaus geringere Kohlevorrte und sah in der Kern-kraft die groe Chance, den Industrielndern Grobritannien und Deutschland Konkurrenz zu machen. Zum Dritten war Frankreich Atom-macht. Von daher stand der Nukleartechnik ein ganz anderer organisatorischer Apparat zur Verfgung, mit dem sich die Deutsche Atomkommission nicht vergleichen konnte. Und nicht zuletzt war der franzsische Zen-tralismus entscheidend: Das bundesdeutsche Genehmigungsverfahren hatte mit den lokalen Errterungsterminen ein dezentrales Element. Damit gab es ein Forum fr Kritiker, die sich mit Kernkraftwerken in nchster Nhe auseinandersetzen mussten. (Radkau, Die ra der kologie, S. 209ff)

    Mag sein, dass diese Entwicklungen im Ausland die Protagonisten der Staatsregie-rung in Bayern dazu verfhrten, die Lage im Freistaat falsch einzuschtzen.

    Historische Fehleinschtzung in der politischen FhrungAm 05. November 1978 hatte die Mehrheit der sterreicher in einer Volksabstimmung das Aus der Kernenergie in ihrem Land ent-schieden. Kurz darauf erreichte 1979 die bundesdeutsche Anti-AKW-Bewegung mit der Demonstration vom 31. Mrz ihren H-hepunkt, als an die 100.000 Kernkraftgeg-ner nach Hannover zogen. Beim Protest gegen die Kernkraftwerke stand am Anfang die Brgerbewegung, nicht die Politik. Es ging zu Beginn um die technische Sicherheit und die menschliche Gesundheit. Erst spter kam beim Kampf gegen die Kerntechnik die kologie bei den Argumenten ins Spiel.

    Mit den Aussichten auf eine blhende Landschaft dank Atomkraft in der Ober-pfalz wollte Franz Josef Strau jedoch gegen Sicherheitsbedenken immun machen und die wirtschaftlichen Vorteile gegen die Aussicht auf Risiko ausspielen.

    Nachtrglich stellt sich die groe Frage, wie sich jemand mit dem politischen Instinkt eines Franz Josef Strau so gravierend hinsichtlich der Stimmung und der politi-schen berzeugungen der Menschen in der Oberpfalz irren konnte.

    Im Unterschied zu fast allen Umweltproble-men, die damals Schlagzeilen machten, ging es um eine unsichtbare Gefahr das Risiko war fr die meisten noch hypothetisch. Der Umgang mit dieser Art Risiken erfordert einen neuen Politikstil: den Brgerdialog zur Ermittlung dessen, was die Gesellschaft akzeptiert. Dies galt damals fr die Atom-kraft wie heute fr die grne Gentechnik.

    In den vorangehenden Jahrzehnten hatte aber gerade die unsichtbare Dimension der Risiken zur Folge, dass man sie unterschtzte und die Atomkraft als Energietrger ber-hht wurde. Die politischen Lager pro und contra Atomkraft waren nicht in einer Aus-einandersetzung Konservativ gegen Links zu identifizieren. Mglicherweise verleitete diese Gemengelage aus den vorangegangenen Jahrzehnten Strau respektive die CSU dazu, den politischen und sozialen Widerstand in der Oberpfalz falsch einzuschtzen.

    Feldzug gegen die Chaoten: Die bayerische Eskalationstaktik gegen ihre BrgerIn den 70er-Jahren wurde die Umweltpolitik zu einem internationalen Anliegen und die

    Linksintellektuellen strmten in die Umwelt-initiativen hinein. (Der amerikanische Earth Day 1970 oder der Stockholmer Umweltgip-fel von 1972 fhrten zur Umweltpolitik als internationalem Anliegen) Wenn auch die umweltpolitischen Diskurse nicht aus der 68er-Bewegung stammten, der Stil der Aus-einandersetzungen mit groen Demos und Platzbesetzungen, bei denen man es auf Zu-sammenste mit der Polizei ankommen lie, tat es. Als Strau und Co. die Demonstrieren-den in Wackersdorf diffamierten und ver-suchten, ihnen ein Chaoten-Image zu ver-passen, setzten sie wohl auf Ablehnung des 68er-Milieus in der bayerischen Bevlkerung, besonders im lndlichen Bereich. ber Jahre fand die Staatsregierung offenbar auf den

    wachsenden Widerstand der Bevlkerung nur zunehmende Repressalien und eine wachsende Spirale staatlicher Gewalt als Antwort. An vielen Stationen htte sie er-kennen knnen, dass ihr Bild der Chaoten auf der einen Seite und der Befrworter des technischen und wirtschaftlichen Fortschrit-tes auf der anderen Seite von Anfang an nicht stimmte.

    1979 versetzte eine Nachricht aus dem amerikanischen Harrisburg im Bundesstaat Pennsylvania die Welt in Unruhe: Aus dem Kernkraftwerk Three Mile Island wurde ein Unfall im Khlsystem gemeldet. Zum Zeit-punkt des Vorfalls im Mrz 1979 tagte unter Vorsitz von Carl Friedrich von Weizscker das

    | Eine schriftliche Solidarittsbekundung an die Bewohner des zweiten Httendorfs, der Freien Republik Wackerland (26. Dezember 1986 07. Januar 1989).

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    internationale Symposium von Gorleben. Es endete mit dem Rckzieher der niedersch-sischen CDU-Regierung von dem WAA-Projekt in jenem Bundesland. Es galt als politisch nicht durchsetzbar.

    Dafr erklrte der bayerische Ministerprsi-dent Strau am 03. Dezember 1980 vor dem Landtag die Bereitschaft der Bayerischen Staatsregierung, zu prfen, ob ein geeigneter Standort fr eine Wiederaufarbeitungs- anlage in Bayern vorhanden sei. Im Landkreis Schwandorf tauchten erste Gerchte auf,

    wonach in Wackersdorf eine WAA errichtet werden solle. Am 09. Oktober 1981 grndete sich in Schwan-dorf die erste Brgerinitiative gegen das Projekt. Der Widerstand in der Bevlkerung manifestierte sich damit bereits vor Baube-ginn. ber 15.000 Teilnehmer protestieren im Folgejahr gegen das Raumordnungsverfahren fr die WAA. Im Juni 1982 stimmte der Wackersdorfer Gemeinderat unter bestimm-ten Auflagen fr eine Errichtung im Ge-meindegebiet. Man ging jedoch davon aus, dass der Standort ohnehin als ungeeignet

    ausscheiden wrde: Wer errichtet schon eine derartige Anlage auf dem grten Trinkwas-ser-Reservoir der Oberpfalz ?Der zustndige SPD-Landrat Hans Schuie-rer weigerte sich, die Plne fr die Anlage zu unterschreiben. Der Bayerische Landtag verabschiedete daraufhin ein Gesetz, das die Rechte der Landrte beschnitt und als Lex Schuierer in die bayerische Geschichte einging.

    Der erste Errterungstermin mit ber 53.000 Einwendungen fand im Februar 1984

    in Neunburg vorm Wald statt. Nach drei Tagen verlieen die WAA-Gegner unter Protest den Saal. Das Umweltministerium erteilte die erste Teilerrichtungsgenehmi-gung. Im Sommer 1984 begannen die regel-migen Sonntagsspaziergnge gegen die Anlage.

    Am 04. Februar 1985 entschied sich die DWK, ein Zusammenschluss der zwlf grten Ener-gieversorger der Bundesrepublik, endgltig fr den Standort Wackersdorf. Einen Tag nach Freigabe der Rodungsarbeiten

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    durch den Verwaltungsgerichtshof in Mnchen begannen am 11. Dezember 1985 die Bauarbeiten fr die Anlage, in der nach Fertig-stellung 500 Tonnen Atommll pro Jahr bearbeitet werden soll-ten. Wenige Tage spter zogen knapp 40.000 Menschen zur Gro- demonstration nach Wackersdorf.

    Die Schwandorfer reagierten auf die Rodung der ersten Waldstcke mit der Errichtung von Httendrfern. Etwa 1.000 Menschen bernachteten bei klirrender Klte, tagsber hielten sich 4.000 Menschen im Wald auf. Die Devise des Bayerischen Innenministe-riums, wonach kein Platz oder Haus im Freistaat lnger als 24 Stun-den besetzt sein sollte, war durchbrochen. Am 16. Dezember 1985 wurde beim bis dahin grten Polizeieinsatz Bayerns das Gelnde von 3.700 Polizei- und Bundesgrenzschutzbeamten gerumt. Hun-derte Personen wurden vorbergehend festgenommen. Bereits am 21. Dezember stand das zweite Httendorf. Die Bewohner riefen die Freie Republik Wackerland aus. Bei Minusgraden in Eis und Schnee feierten die WAA-Gegner im zweiten Httendorf Weih-nachten und Silvester. Oberpflzer Brgerinnen und Brger sorgten fr Lebensmittel, vermittelten Wasch- und Duschgelegenheiten und richteten Pendeldienste ein. Am 26. April 1986 sorgten dann Meldungen vom Atom-GAU im sowjetischen Reaktor von Tschernobyl fr Angst und Schrecken. Ein breiter Widerstand gegen die WAA entstand. In den Monaten zuvor wurde in Wackersdorf die Eskalationstaktik in brutale Realitt umgesetzt:Die Friedensbewegung hatte zum Ostermarsch nach Wackersdorf geladen prompt brachte der Vizeprsident des Bundeskriminal-amtes den Widerstand gegen die WAA mit der RAF in Verbindung. Bundesinnenminister Zimmermann verwies auf Erkenntnisse, wonach Ostern mit einer Teilnahme von Personen zu rechnen wre, die selbst vor einem politischen Mord nicht zurckschre-cken (siehe Rckblick in der taz vom 31.05.1989: Mir san die Chaoten Der Widerstand in Wackersdorf). Als Ostern 100.000 zumeist friedliche Demonstranten zur Baustelle zogen, die von 5.000 Polizisten gesichert wurde, kam es zur grausamen Premiere: Am Ostermontag um 14.51 Uhr wurde in Wackersdorf CS-Gas ein-gesetzt. Wenige Stunden spter starb in unmittelbarer Nhe ein 38-jhriger Ingenieur an einem Asthma-Anfall. Toxikologen hiel-ten einen Zusammenhang mit dem international von der Genfer Konvention gechteten Kotzgas CS fr wahrscheinlich.

    | Typisches Szenario am Baugelnde: Ein Demonstrant wird festgenommen und zur erken-nungsdienstlichen Behandlung abgefhrt; Februar 1986.

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    Demonstranten stellte sich mit der Zeit der Appell ein Nicht schieen, Herr Hillermeier, der Chaot knnte ihr V-Mann sein!. In einer spteren Ausgabe des SPIEGEL im Jahr 1986 (SPIEGEL Nr. 31, 1986) kommen Mit-glieder der Hamburger Arbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten zu Wort mit konkreten Forderungen und Strategien, um ein Um-denken bei Polizeieinstzen im Rahmen von Demonstrationen zu bewirken. Sie appellieren an Beamte, die Zweifel an der Rechtmigkeit von Einstzen gegen Demonstranten haben, diese klar zu zeigen.Auf der anderen Seite lie sich der Strau-Vertraute Alfred Sauter im Bayernkurier dazu hinreien, gar ein vlliges Demons-trationsverbot rund um die westdeutschen Kernkraftanlagen zu fordern. Eine neue Dimension in der Gewalteskalation boten auf jeden Fall die Einstze gegen die Demonstranten am Ostermontag 1986. Erstmals wurde beim Wasserwerfereinsatz neben dem Reizstoff CN (Chloracetophenon) auch die verwandte Substanz CS (Chlorbenzy-lidenmalodinitril) beigemischt. Damit hatten die Amerikaner im Vietnamkrieg in tdlicher Dosierung Vietcong-Stellungen angegriffen. Das Mittel war dafr bekannt, dass es zu Verkrampfungen der Lungenmuskulatur fhrte und viele Demonstranten trugen neben der konkreten Krperverletzung auch entsprechend psychische Schocks durch die Erfahrung davon. Der Tod des asthmakranken Ingenieurs, der aus Grfelfing zu den Demons-trationen angereist war, entzndete exakt die Diskussionen zum Gefhrdungsgrad von CS, den die Toxikologen schon lnger fhrten, auch in der breiten ffentlichkeit. Ein besonders perfides Kapitel bei jenem Polizeieinsatz: Die Wasserkanister, die ehren-amtliche Helfer und rzte zur Linderung der

    Folgen des Einsatzes von Trnengas besorgt hatten, wurden beschlagnahmt. Hinterlas-sen wurden Benachrichtigungen wie: Ihre Sachen wurden vorbergehend sichergestellt und knnen beim Tor abgeholt werden Ihr Bundesgrenzschutz. ber diesen Einsatz kann man im SPIEGEL nachlesen: Fnf Stunden lang setzten die WAA-Verteidiger 41 Wasserwerfer Reich-weite knapp 70 Meter auch gegen weit entfernte Zuschauer ein, teilweise waren die Wasserste mit chemischen Reizstoffen ver-mischt. Und zustzlich prasselten Trnengas-granaten auf die Demonstranten nieder, die panikartig, weil von Geschossen getroffen, die Flucht ergriffen. [] Dieses Szenarium war nicht das von Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) angekndigte ,neue Schlachtfeld von Chaoten und Linksext-remisten, sondern ein Schauspiel polizeilicher Machtvollkommenheit und berreaktion (Vorzgliches Arrangement, SPIEGEL Nr. 15 von 1986)

    Als politisches Mittel versuchte man auch, mit konkreten Zahlungen die Gemeinden vor Ort zu spalten. Schon whrend der Bau-zeit kassierte Wackersdorf jhrlich 900.000 Mark zinslos, Bodenwhr ber 700.000 Mark. Der Wackersdorfer Brgermeister Josef Eb-ner berwarf sich sogar mit seiner Familie, weil er die Atomfabrik als fr die Region zwingend notwendig hielt und fhlte sich nach dem WAA-Aus brskiert. Der Boden-whrer Brgermeister Josef Wiendl wurde zu einem Sprachrohr der DWK und warb fr die sichere Atomkraft in Bayern. Er starb noch vor dem Baustopp im Jahr 1988. Auch Altlandrat Schuierer erinnert sich wie viele andere bis heute ber die tiefen Grben in der Gesellschaft. Sie gingen durch Familien,

    Am nchsten Tag appellierte der Bayerische Rundfunk an die WAA-Gegner, ihre verseuchte Kleidung rasch zu waschen und nicht zum Trocknen in geschlossenen Rumen aufzuhngen. Im Oktober 1988 hob der Verwaltungsgerichtshof in Mnchen die gegenteilige Entscheidung des Regensburger Verwaltungsgerichts auf und erklrte den in-nerstaatlichen CS-Gas-Einsatz fr rechtens.Pfingsten demonstrierten 50.000 Menschen am Bauzaun. Die Gewalt eskalierte: CS-Gas-Kartuschen wurden aus Hubschraubern direkt in die Menschenmenge abgeworfen, selbst Rot-Kreuz-Fahrzeuge blieben davon nicht verschont. Hunderte Menschen wurden teilweise schwer verletzt. Die Demonstranten reagierten und ein Mannschaftswagen der Polizei ging in Flammen auf. Danach herrschte Ausnahmezustand in der Region. Insgesamt kamen zwei Demonstranten und ein Polizist bei den Protesten ums Leben.

    Polizeikontrollen und Hausdurchsuchungen waren fortan an der Tagesordnung. Das Gebiet um die WAA wurde zur demonstrationsfreien Bannmeile erklrt. Trotzdem standen bereits eine Woche spter wieder 10.000 am Zaun. Und der Protest wurde grenzberschreitend: Am 1. Juni 1986