7
88 VI. Sprachen und Sprachgebiete: Französisch Motsch, Wolfgang (ed.), Text, Satz, sprachliche Hand- lung, Berlin, Akademie-Verlag, 1986. Nef, Frederic/N01ke, Henning, A propos des modalisa- teurs d'enonciation, RRo 17:2 (1982), 34-54. Orr, John, «Mein!» Essai dune etymologic, RLiR 29 (1965), 275-288. Robert, Pierre, Le Grand Robert de la langue francaise, Paris, Le Robert, 1985. Roulet, Eddy, Strategies d'interaction, modes d'implici- tation et marqueurs illocutoires, CLF l (1980), 80-103(= 1980a). Roulet, Eddy, Interactional Markers in Discourse, ApplLing 1:3 (1980), 224-233 (= 1980b). Roulet, Eddy, Speech Acts, Discourse Structure, and Pragmatics, JoP 8 (1984), 31-47. Roulet, Eddy, et al., L'articulation du discours enfran- cais conlemporain, Bern, Lang, 1985. Rubattel, Christian, De la syntaxe des connecteurs prag- matiques, CLF 4 (1982), 37-61, Schecker, Michael (ed.), Theorie der Argumentation, Tübingen, Narr, 1977. Schemann, Hans, Die Modalpartikel und ihre funktiona- len Äquivalente, Untersuchung anhand des Deutschen, Französischen und Portugiesischen, ASNS 219 (1982), 2-18. Searle, John R., Sprechakte, Frankfurt a. M., Suhr- kamp, 1971 (engl. Originalausgabe: Speech Acts, Cambridge, CUP, 1969). Searle, John R., Indirect Speech Acts, in: Cole/Morgan 1975,59-82. Sebeok, Thomas A. (ed.), Style in Language, Cam- bridge (Mass.), MIT Press, 1960. Settekorn, Wolfgang, Minimale Argumentationsformen - Untersuchungen zu Abtönungen im Deutschen und Französischen, in: Schecker 1977,391-415. Sirdar-Iskandar, Christine, Description semantique des interjections, Diss., Kairo, 1979. Soll, Ludwig, Gesprochenes und geschriebenes Franzö- sisch, bearbeitet von Hausmann, Franz Josef, Berlin, Schmidt, M985. de Spengler, Nina, Premiere approche des marqueurs d'interactivite, CLF l (1980), 128-148. Weydt, Harald, Abtönungspartikel, Bad Homburg, Gehlen, 1969. Weydt, Harald (ed.), Aspekte der Modalpartikeln, Tü- bingen, Niemeyer, 1977. Weydt, Harald (ed.), Die Partikeln der deutschen Spra- che, Berlin, de Gruyter, 1979. Weydt, Harald (ed.), Partikeln und Interaktion, Tübin- gen, Niemeyer, 1983 (= 1983a). Weydt, Harald, Aber, mais und but, in: id. 1983a, 148-159 (= 1983b). Klaus Hölker, Konstanz 299. Französisch: Phraseologie Phrasoologie 1. Definition, Objektbereich, Terminologie 2. Grammatikalität und Idiomatik 3. Versuch einer Typologisierung 4. Verhältnis von Idiomatik und Lexikon 5. Modalitäten und Kausalitäten der Herausbil- dung 6. Forschungsstand und -lücken 7. Bibliographie (in Auswahl) /. Definition, Objektbereich, Terminologie Als Gegenstand der Phraseologie (Phr) gelten jene besonderen sprachlichen Einheiten (E), die als mehr oder weniger feste syntaktische Wort- verbindungen (WV) nach den gleichen Struktur- modellen wie freie syntaktische WV gebildet sind und zusammen mit den Einzellexemen zum Wortschatz einer Sprache gehören: (1) unegrosse legume, a la va-vite, coiffer sainte Catherine, la belle affaire!. Diese sprachlichen Fixierungen subsumieren wir unter dem Terminus Phraseolo- gismus (PHR). Sie liegen zwischen Wort und Satz. Ein PHR besteht seinem Umfang nach aus nicht weniger als zwei formal selbständigen Wör- tern: (2) faire bloc, par surcrott. In seiner Funk- tion ist er eine selbständige, unzerlegbare sprach- liche E mit eigener, fester Struktur. Somit ist er dem Sprachsystem zugeordnet und wird in der Rede reproduziert. Man kann PHR gewissermaßen als vorgefer- tigte Bausteine der Sprache ansehen, von denen viele als Synonyme für Einzelwörter gebraucht werden können: (3) les mineurs reclamaient ä cor et a cri (= 'bruyamment') une augmentation des salaires. Diese Eigenschaft stellt sie in die Nähe der Wörter. Von Wörtern unterscheidet sie, daß sie in ihrer Struktur aus mehr als einem Wort be- stehen. Als strukturelle Ganzheiten tragen sie eine Gesamtbedeutung, die sich zwar aus Ele- menten zusammensetzt, deren Bündelung hinge- gen sich nicht auf die lexikalischen Komponen- ten additiv verteilt: (4) U n'a pas invente leßl a couper le beurre. Die Bedeutung 'il est peu intelli- gent' ist nicht aus den Komponenten zu schlie- ßen. Die wesentlichen Eigenschaften der PHR sind also Idiomatizität ( ), lexikalisch-semanti- sche Stabilität (ST) und Lexikalisierung (L). Die Kategorie WV bildet ein Scharnier zwischen den Ebenen der Langue und der Parole. Sie existiert einmal als freie WV auf der syntagmatischen Ebene und ein andermal als feste Wendung, die als fertige sprachliche E vom Sprecher aus dem paradigmatischen Gefüge der Langue gewählt wird. Zwischen diesen beiden dialektischen Er- Bereitgestellt von | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Angemeldet Heruntergeladen am | 10.11.14 16:14

299. Französisch: Phraseologie

  • Upload
    others

  • View
    5

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 299. Französisch: Phraseologie

88 VI. Sprachen und Sprachgebiete: Französisch

Motsch, Wolfgang (ed.), Text, Satz, sprachliche Hand-lung, Berlin, Akademie-Verlag, 1986.

Nef, Frederic/N01ke, Henning, A propos des modalisa-teurs d'enonciation, RRo 17:2 (1982), 34-54.

Orr, John, «Mein!» Essai dune etymologic, RLiR 29(1965), 275-288.

Robert, Pierre, Le Grand Robert de la langue francaise,Paris, Le Robert, 1985.

Roulet, Eddy, Strategies d'interaction, modes d'implici-tation et marqueurs illocutoires, CLF l (1980),80-103(= 1980a).

Roulet, Eddy, Interactional Markers in Discourse,ApplLing 1:3 (1980), 224-233 (= 1980b).

Roulet, Eddy, Speech Acts, Discourse Structure, andPragmatics, JoP 8 (1984), 31-47.

Roulet, Eddy, et al., L'articulation du discours enfran-cais conlemporain, Bern, Lang, 1985.

Rubattel, Christian, De la syntaxe des connecteurs prag-matiques, CLF 4 (1982), 37-61,

Schecker, Michael (ed.), Theorie der Argumentation,Tübingen, Narr, 1977.

Schemann, Hans, Die Modalpartikel und ihre funktiona-len Äquivalente, Untersuchung anhand des Deutschen,Französischen und Portugiesischen, ASNS 219 (1982),2-18.

Searle, John R., Sprechakte, Frankfurt a. M., Suhr-kamp, 1971 (engl. Originalausgabe: Speech Acts,Cambridge, CUP, 1969).

Searle, John R., Indirect Speech Acts, in: Cole/Morgan1975,59-82.

Sebeok, Thomas A. (ed.), Style in Language, Cam-bridge (Mass.), MIT Press, 1960.

Settekorn, Wolfgang, Minimale Argumentationsformen- Untersuchungen zu Abtönungen im Deutschen undFranzösischen, in: Schecker 1977,391-415.

Sirdar-Iskandar, Christine, Description semantique desinterjections, Diss., Kairo, 1979.

Soll, Ludwig, Gesprochenes und geschriebenes Franzö-sisch, bearbeitet von Hausmann, Franz Josef, Berlin,Schmidt, M985.

de Spengler, Nina, Premiere approche des marqueursd'interactivite, CLF l (1980), 128-148.

Weydt, Harald, Abtönungspartikel, Bad Homburg,Gehlen, 1969.

Weydt, Harald (ed.), Aspekte der Modalpartikeln, Tü-bingen, Niemeyer, 1977.

Weydt, Harald (ed.), Die Partikeln der deutschen Spra-che, Berlin, de Gruyter, 1979.

Weydt, Harald (ed.), Partikeln und Interaktion, Tübin-gen, Niemeyer, 1983 (= 1983a).

Weydt, Harald, Aber, mais und but, in: id. 1983a,148-159 (= 1983b).

Klaus Hölker, Konstanz

299. Französisch: PhraseologiePhrasoologie

1. Definition, Objektbereich, Terminologie2. Grammatikalität und Idiomatik3. Versuch einer Typologisierung4. Verhältnis von Idiomatik und Lexikon5. Modalitäten und Kausalitäten der Herausbil-

dung6. Forschungsstand und -lücken7. Bibliographie (in Auswahl)

/. Definition, Objektbereich, Terminologie

Als Gegenstand der Phraseologie (Phr) geltenjene besonderen sprachlichen Einheiten (E), dieals mehr oder weniger feste syntaktische Wort-verbindungen (WV) nach den gleichen Struktur-modellen wie freie syntaktische WV gebildet sindund zusammen mit den Einzellexemen zumWortschatz einer Sprache gehören: (1) unegrosselegume, a la va-vite, coiffer sainte Catherine, labelle affaire!. Diese sprachlichen Fixierungensubsumieren wir unter dem Terminus Phraseolo-gismus (PHR). Sie liegen zwischen Wort undSatz. Ein PHR besteht seinem Umfang nach ausnicht weniger als zwei formal selbständigen Wör-tern: (2) faire bloc, par surcrott. In seiner Funk-

tion ist er eine selbständige, unzerlegbare sprach-liche E mit eigener, fester Struktur. Somit ist erdem Sprachsystem zugeordnet und wird in derRede reproduziert.

Man kann PHR gewissermaßen als vorgefer-tigte Bausteine der Sprache ansehen, von denenviele als Synonyme für Einzelwörter gebrauchtwerden können: (3) les mineurs reclamaient ä coret a cri (= 'bruyamment') une augmentation dessalaires. Diese Eigenschaft stellt sie in die Näheder Wörter. Von Wörtern unterscheidet sie, daßsie in ihrer Struktur aus mehr als einem Wort be-stehen. Als strukturelle Ganzheiten tragen sieeine Gesamtbedeutung, die sich zwar aus Ele-menten zusammensetzt, deren Bündelung hinge-gen sich nicht auf die lexikalischen Komponen-ten additiv verteilt: (4) U n'a pas invente leßl acouper le beurre. Die Bedeutung 'il est peu intelli-gent' ist nicht aus den Komponenten zu schlie-ßen. Die wesentlichen Eigenschaften der PHRsind also Idiomatizität ( ), lexikalisch-semanti-sche Stabilität (ST) und Lexikalisierung (L). DieKategorie WV bildet ein Scharnier zwischen denEbenen der Langue und der Parole. Sie existierteinmal als freie WV auf der syntagmatischenEbene und ein andermal als feste Wendung, dieals fertige sprachliche E vom Sprecher aus demparadigmatischen Gefüge der Langue gewähltwird. Zwischen diesen beiden dialektischen Er-

Bereitgestellt von | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAngemeldet

Heruntergeladen am | 10.11.14 16:14

Page 2: 299. Französisch: Phraseologie

299. Französisch: Phraseologie 89

scheinungen der Sprache gibt es eine breiteÜbergangszone, die dem dynamischen Charak-ter der Sprache angemessen ist und den fortlau-fenden Übergang von losen WV'vci die Kategorieder lexie complexe (Pettier) bzw. synapse (Benve-niste) bzw. syntheme (bei Martinet incl. Derivat)bzw. unite syntagmatique (Guilbert) ermöglicht,d. h. mit anderen Worten, in die Kategorie PH Rbzw. Kompositum i.w.S. (cf. Thiele 1981, 67). Infranzösischen Nachschlagewerken begegnet maneiner Reihe von in ihrer Bedeutung unscharfen,oft undifferenziert verwendeten Ausdrücken, diein der Regel Unterklassen des PHR kennzeich-nen, so z.B. locution, facon de parier,idiom(atism)e, gallicisme, tournure,formule tautefaite, expression idiomatique, groupement demots, tour (de phrase) u. a. In der linguistischenLiteratur überwiegen Termini wie Wortgruppen-lexem (Wissemann), analytisches Lexem (Levit),lexie complexe (Pettier), Paralexem (Viehweger),fixiertes Wortgefüge (Thun) als Äquivalent fürden von uns gebrauchten Oberbegriff PHR bzw.für Teilklassen. Aus der Forschungsgeschichtewird deutlich, daß die Phr im Vergleich z. B. zurWortbildung anscheinend noch keinen klar um-rissenen Gegenstandsbereich besitzt, was auch inder verwirrenden Vielfalt der Termini zutagetritt. Unsere weite Definition geht von derGrundposition aus, daß sprachliche kommuni-kative Tätigkeit und Sprachsystem eine dialekti-sche Einheit bilden. Unter diesem Blickwinkelkann neben dem statischen somit auch der pro-zessuale Aspekt der PHR erfaßt werden. Derscheinbar heterogenen Zusammensetzung desphraseologischen Wortschatzes kann u.E. mitden Begriffen Zentrum und Peripherie der PragerSchule besser beigekommen werden, indem Ab-stufungen und Übergangsbereiche beachtet wer-den. Entsprechend unserer weiten Auffassungunterscheiden wir zwischen PHR mit nominati-ver Funktion (nPHR), vertreten durch die Wort-arten S, Adj etc., und kommunikativen PHR(kPHR) mit Satzcharakter: (5) c'est lafin des ha-ricots!, gare ä vous!. Im Zentrum stehen diejeni-gen festen WV, die die Haupteigenschaften /, STund L vereint aufweisen. Fehlt eines oder fehlenzwei der gesamten Charakteristika, rückt derPHR an die Peripherie. Als Teildisziplin der Le-xikologie beschreibt die Phr systemhaft die se-mantischen, syntaktischen und funktionalen Ei-genschaften der PHR. Das setzt voraus, daß die-se - ähnlich den E der Wortbildung - nachModellen und Typen geordnet werden können.Als „vorgefertigte" Muster sind sie wie die einfa-chen Lexeme und Derivate aus dem Gedächtnisabrufbare, gebrauchsfertige E, und ihre Einglie-derung in den Satz vollzieht sich nach grammati-schen und paradigmatischen Gesetzmäßigkei-ten.

2. Grammatikalität und Idiomatik

2.1. (Semantische) Idiomatizität (1)

Während in (6) mettre lepiedä l'etrier ein regulä-res Verhältnis zwischen Ausdrucks- und Inhalts-struktur besteht, ist die wendungsinterne Bedeu-tung „eveiller l'attention, la mefiance" von (7)mettre la puce ä l'oreille nicht durch die wen-dungsexternen Bedeutungen vonpuce und oreilleerklärbar. Bei (7) liegt ein hohes Maß von / vor.Die Graduierung der / kann unterschiedlichsein. In (8) jeter/meltre qn a la rue, recevoir unefrottee, lever lepied, c'est une pierre dans mon jar-din wird die idiomatische Bedeutung durch eine,wenn auch nicht zwingende Metapher vermitteltund zusätzlich gestützt durch die wörtliche Be-deutung der auch frei existierenden WV, die alshomonymische Pendants angesehen werdenkönnen. „Durchsichtig" sind die Bilder auch in(9) etre bien en seile, avoirjdonner lefeu vert. Jenach Möglichkeit oder Unmöglichkeit der se-mantischen Aufgliederung von PHR sprichtman auch von „analytischer" und „syntheti-scher" Bedeutung (Serebrennikov 1975, vol. 2,377).

2.2. Lexikalisch-semantische Stabilität (ST)Abhängig von der / ist die ST der o. g. phraseo-logischen Konstruktionen. Anders gesagt ist dieGesamtbedeutung der PHR an die fixierte Kom-bination der einzelnen Elemente geknüpft. DieST ist nicht als absolute Größe anzusehen. Ent-sprechend der Vielfalt der Typen ist der Aus-tausch von Komponenten in gewissen Grenzenje nach Typ möglich (zur phraseologischen Ge-bundenheit cf. 3.2.1. und 4.3.). Im äußerstenGrenzbereich stehen die nichtidiomatisiertenNominationsstereotype, die infolge hoher Ge-brauchsfrequenz „stabil" sind. Ihre ST beruhtweniger auf lexikalisch-semantischen Aus-tauschbeschränkungen, sondern vielmehr aufder „ST" ihrer Reihenfolge. Hierzu zählennichtidiomatisierte Wortpaare (10) freres etsceurs, Ballys «series d'intensite» (11) chaleur suf-focante, diametralement oppose, onymischeWortgruppen (12) mer Baltique, President duConseil mondial de la paix und Terminologisie-rungen (13) circonstances attenuantes, coexisten-ce pacißque. Ihre Zuordnung zu den PHR ist je-doch umstritten. Keine phraseologische Gebun-denheit liegt hingegen bei Wörtern mit„minimaler Valenz" vor: hocher ist auf die Kom-bination mit tete (lit. auch epaule) fixiert (Thun1978, 52).

Bereitgestellt von | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAngemeldet

Heruntergeladen am | 10.11.14 16:14

Page 3: 299. Französisch: Phraseologie

90 VI. Sprachen und Sprachgebiete: Französisch

3. Versuch einer Typologisieritng

3.1. Semantisch-strukturelle Klassifikation

Da die genannten Haupteigenschaften 7 und STfür eine Identifizierung der PHR maßgebendsind, wollen wir sie als übergeordnete Klassifika-tionskriterien zugrunde legen. Diese Einteilungbietet ferner den Vorteil, daß sie die zentralenvon den peripheren Phänomenen abheben kann,Übergänge zur Syntax sichtbar macht und somitdie Mannigfaltigkeit dessen, was zur Phr gerech-net werden darf, aufzeigt. Die Scheidung inWortgruppen- und Satzstruktur ergänzt alsstrukturelles Kriterium unsere Klassifikations-basis. Einschränkend muß gesagt werden, daßaufgrund des Reichtums der PHR fließendeÜbergänge zwischen den einzelnen Typen exi-stieren und eine Einordnung nicht immer freivon Subjektivität sein kann. Der Phraseologis-menbestand des Französischen läßt sich dem-nach wie folgt aufgliedern: A) Phraseolexeme(den Ausdruck verwenden wir in Anlehnung anPilz und Fleischer). Sie bilden das Zentrum derPhr und sind mit den Merkmalen / und ST aus-gestattet: Im Falle von verbalen Wendungen sindes im Vergleich zu D) WV ohne feste prädikativeBeziehung, die daher kommunikativ-gramma-tisch mehr oder weniger veränderlich sind (nachPerson, Tempus etc.). 1) Vollidiomatisch (Idio-me): 14) etre sur son trente-et-un, faire chou blanc,faire un four, avoir une araignee dans le plafond,prendre des vessiespour des lanternes, entre chienet hup, a la bonne franquette, ajeun, tout (de) go,d'ores et dejä, bete a bon Dieu, casque bleu. 2)Teilidiomatisch: (15) promettre monts et merveil-les, n entendre goutte, l'echapper belle, faire unegaffejune boulette, (chaussettes) en tire-bouchon,de fond en comble, une chienne de vie, menteurcomme un soutien-gorge, secret de Polichinelle,peur bleue. B) Phraseoschablonen. Es sind verfe-stigte syntaktische Strukturen, deren lexikalischeFüllung nicht stabil ist. Ihr besonderes Kennzei-chen ist die mangelnde ST und /. Sie sind auchein Untersuchungsobjekt der Syntax. 1) Wort-gruppenschablonen: (16) Modell de + Adv. + en+ Adv. (Wiederholung) (de moins/part/plus/pro-pos, etc. en moinsj etc.), gleiches Modell (Anti-these) (defond/ßl, etc. en comble I aiguille etc.), Spour S (trait pour trait), S sur S (coup sur coup),drole de (corps, coco etc.), espece a" (imbecile,abruti etc.), a la (diable, chien etc.), nom d' (unepipe, un chien etc.), (Marcel, un tel etc.) et con-sorts, mettre en (doute, place etc.). 2) Satzscha-blonen: (17) des balivernes oder ... que tout cela,c'est le/la (mer ä boire,...), qu'on mepende si...,je veux bien pendre si..., autant dire ..., aussitöt..., aussitöt ... C) Nominationsstereotype. Ähn-lich B) rücken auch diese PHR an die Peripherie.Hierzu zählen Benennungseinheiten, die nicht-

idiomatisierte Wortgruppen darstellen. Sie sinddurch häufigen Gebrauch stereotyp: (18) sujet duscandale, mot de Cambronne, sens commun, entie-re verite, l'embarras du choix; terminologisiert:vote secret; onymisch: prix Nobel, Roi soleil,l'Homme du 2 Decembre. D) SprechaktbezogenePHR (kommunikative Formeln). Hier handelt essich um PHR mit (z. T. reduzierter) Satzstruktur,die stabil und kommunikativ-grammatisch un-veränderlich ist. Hierzu rechnen Gruß-, Ab-schieds-, Glückwunsch-, Fluch- und Scheit-,Kommentar-, Verbots-, Stimulierungsformelnu.a.: (19) bonjour!, au revoir!, a la bonne heure!,mes compliments'., plüt au del!, menteur que vousetes!, (quel) menteur!, je vous demande un peul,oh, pas de ca, Lisette!, ca y est, j'y suis, tope la!,voilä le hie!, c'est entendu, par exemple!, tout debon?, ah, dites done!, tiens!,penses-tu!, ä d'autres!,pas si bete!, des nefles!, motus!, allons, du calme!.Auch hier kann Voll- oder Teilidiomatisches vonNichtidiomatischem geschieden werden: (20) etvogue la galerei, touchez du bois!, c 'est une autrepaire de manches; (21) mes compliments!

3.2. Syntaktisch-strukturelle Klassifikation

Wenn man nur die wendungsinterne syntakti-sche Struktur als Kriterium zugrunde legt, lassensich PHR mit a) Satzstruktur und b) solche mitWortgruppenstruktur unterscheiden. Zu a): Die-se PHR zeichnen sich gegenüber b) dadurch aus,daß sie nicht nur Satzstruktur besitzen, sondernfunktional auch Sätzen entsprechen. Zur Um-schreibung ihrer Bedeutung sind Satzäquivalenteerforderlich (Nazarjan 1976, 145). Hierzu zählenzunächst die satzwertigen „kommunikativenFormeln" (Pilz 1978, 633): (22)j'en passe et desmeilleures!, c'est bonnet blanc et blanc bonnet,comme vous y allezl, grand bien vous fasse! (cf.3.1. D). Will man aber der gesamten Breite vonfestgeprägten Komplexen gerecht werden, somüssen hier auch proverbe, dicton, adage, apoph-tegme, aphorisme, precepte, sentence, maximeu. ä. angeführt werden. Sie sind Mikrotexte mitabgeschlossenem Gedanken: (23) ilfaut battre lefer pendant qu'il est chaud; annee neigeuse, anneefructueuse; apres nous, le deluge!; la propriete,c'est le vol; de la discussion jaillit la lumiere; quiveut noyer son chien l'accuse de la rage. DerStand der Parömiologie, die solche Komplexe zuuntersuchen hat, ist hier nicht weiter im einzel-nen zu verfolgen. Sprichwörtliche Redensarten,die aus Sprichwörtern hervorgehen, gehören zurPhr i. e. S. Zu b): PHR mit Wortgruppenstruktursind entweder verblose oder verbale Wendungen:(24) au pied de la lettre, ä condition que, de nosjours, rire jaune, avoir beaujeu, mettre ä nu, l'em-pörter sur, prendre son parti. Von den PHR derGruppe a) sind Wendungen zu trennen, die zwar

Bereitgestellt von | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAngemeldet

Heruntergeladen am | 10.11.14 16:14

Page 4: 299. Französisch: Phraseologie

299. Französisch: Phraseologie 91

formal Satzstruktur aufweisen, aber im Satz dieFunktion von Satzgliedern haben: (25) (il veutreussir) coüte que coüte.

3.2,1. Komponentenbestand

In den verbalen PUR ist ein K obligatorischesElement mit freier prädikativer Beziehung: (26)iljmon ami ajete son devolu sur eile. Basiselementesind die Wortarten 5, Adj, Adv, K; aber auch syn-semantische Elemente, wie Pron, Prop etc., kön-nen zum festen Bestand gehören: (27) Use la cou-le douce, il m 'en a voulu. Obligatorisch könnenferner sein: Negation (28) ne pas y aller de mainmorte, sans bourse delier; analytische Tempus-form (29) ne pas avoir invente la poudre. Häufigsind syntaktische Anomalien im Verband be-wahrt: Wortstellung (30) de guerre lasse, a pierrefendre, Anschluß ohne Artikel (31) rendre comp-te, ilresta bauche cousue, il pleuvait comme vachequi pisse; Ellipse (32) joindre les deux bouts (zuergänzen de l'annee), piquer des deux (zu ergän-zen eperons); ohne Determinativum ce (33) vailleque vaille. Die valenzabhängige Präp bei K (pro-tester de son innocence) ist u. E. nicht als phra-seologisch gebundenes Element, sondern als syn-taktisch-morphologisches Merkmal des K zubetrachten. Noch wenig untersucht ist die trans-formationelle Defektivität, d. h. inwieweit Expan-sionen oder Reduktionen innerhalb des Wortge-füges erlaubt sind: (34) il a pris ses cliques et sesclaques/+il a pris ses cliques et a laisse ses claques;Fragesatztransformation (35) je lui ai rabattu lecaquet/+quel caquet ...?; Passivtransformationbei passivfähigem V (36) eile a coiffe sainte Ca-therine j^sainte Catherine a ete coiffee par eile,aber trier qn sur le voletjetre trie sur le volet.

3.2.2. Phraseologische Wortarten

PHR sind funktional gesehen identisch mit Ein-zellexemen. In der Eigenschaft der freien Kom-mutierbarkeit im Satz können sie in verschiede-nen Satzgliedstellungen auftreten und entspre-chend diesem Verhalten klassifiziert werden. A)PHR als S: (37) (n'apercevoir) äme qui vive, motpour rire, (un) m'as-tu-vu. B) PHR als K: (38) s'ensoucier/moquer/ßcher comme de l'an quarante, enconter de belles. C) PHR als Adj: (39) comme ilfaul, tire a quatre epingles, (mot) dans le vent,(conte) a dormir debout. D) PHR als Adv: (40) ala va-comme-je-te-pousse, a pas de loup, quandlespoules auront des dents. E) PHR als Präp: (41) äcote de. F) PHR als Konj: (42) au für et a mesureque. G) PHR als Pron: (43) n Importe qui. Eineweitere Einteilung in expressive und nichtexpres-sive PHR, die also das Vorhandensein oder Feh-len von Merkmalen, wie sie unter 3.4. beschrie-ben werden, zugrunde legen, nehmen Stepano-

va-Cerniseva (1975,216) vor; sie charakterisierensie als funktionale Klassifikation.

3.3. Lexikalische AspekteViele PHR sind durch besondere Merkmale derlexikalischen Verknüpfung geprägt. Im folgen-den soll auf die auffälligsten und häufigsten ver-wiesen werden. Die angeführten WV gehörenunterschiedlichen Typen an: a) Wortpaare mitsemantisch verwandten Wörtern: (44) etre (tou-jours) par voies et par chemins; mit Stabreim: etretout feu tout flamme pour; b) Wortpaare ohnediese Merkmale (Antonyme u.a.): (45) n'etre nichair ni poisson, avoir bee et angles, suer sang eteau; mit Stabreim: bei et bien, sain et sauf; mitEndreim: sage comme une image. Die PHR kön-nen ferner enthalten: c) Wiederholung: (46) per-cer de part en part; d) Namensscherze: (47) allera Cachan (< SE CACHER), envoyer ä Vatan (<VA-T-EN), aller/battre a Niort (< NIER), allerchez Briffe (< BRIFFER); e) Vergleich: (48)/?comme Artabanjunpou, trempe comme une soupe,dormir comme une marmotte, geler ä pierre fen-dre, il s'est comme qui dirait effandre, bete commesespieds/äpleurer(cf. Nazarjan 1965).

3.4. Kommunikativ-pragmatische Aspekte

Erst im Text zeigt sich, auf welche Weise dasPhraseologiepotential in verschiedenen kommu-nikativen Situationen genutzt wird (Gläser 1981,179). PHR zeichnen sich in der Mehrzahl derFälle durch ihre Bildhaftigkeit aus. Sie unterlie-gen daher häufig bestimmten Verwendungsbe-schränkungen. In sachlichen Texten wird mansie weniger finden. Ausnahmen bilden jedochPHR als Adv, Präp oder Konj, deren Bild ver-blaßt ist: (49) defacon ä, grace ä etc. Zu nennensind aber auch V mit beziehungsweitem K: (50)prendre garde, faire attention. Die Untersuchungund Beschreibung der französischen PHR hin-sichtlich ihrer funktional-stilistischen und ex-pressiv-emotionalen Wertung wie auch ihrer ter-ritorialen oder chronologischen Kennzeichnungsind bis heute in noch unzureichendem Maße er-folgt. Die diesbezüglichen Angaben in Lexikasind ungenau oder widersprüchlich. Wir be-schränken uns in diesem Rahmen auf wenige Be-merkungen. Als konnotierte Zeichen könnenPHR Indikatoren des sozialen Verhältnisses zwi-schen Kommunikationspartnern sein, cf. denUnterschied zwischen den beiden Äußerungen:(51) (ferme) lagueule.'(PHR) und tais-toü. PHRkönnen die emotional betonte Einstellung desSenders zu den mitgeteilten Sachverhalten indi-zieren: (52) le cafe du pauvre Tacte sexuel'. Diestrifft für viele Euphemismen zu: (53) filer un mau-vais colon, etre dans de beaux drops (Ironie). Die

Bereitgestellt von | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAngemeldet

Heruntergeladen am | 10.11.14 16:14

Page 5: 299. Französisch: Phraseologie

92 VI. Sprachen und Sprachgebiete: Französisch

Stilschicht kann durch ein lexikalisches Elementdeterminiert sein: (54) avoir lefeu au cul,foutre lecamp. Den Grad der Expressivität können Stil-elemente wie Antithese, Hyperbel u.a. bestim-men: (55) s'entendre comme chien et chat, U ton-drait un ceuf.

4. Verhältnis von Idiomatik und Lexikon

4.1. Polysemie

Eine große Zahl von PHR fixieren Konnotatio-nen und Bilder, die je nach Situation begrifflichsehr unterschiedlich präzisiert werden können.Ihre Sememe sind „unscharf, aber treffend imjeweiligen Kontext (Koller 1977, 70). Die Kli-scheehaftigkeit und Bedeutungsweite machen siegeradezu zu „bequemen" Ausdrucksformen:(56) il devra payer les pots casses 'reparer lesdommages'; cen'estpas nous quipaierons les potscasses '... qui en souffrirons'; faites peau neuve!Oubliez vos soucis de tous les jours'; il a fait peauneuve 'il est devenu un autre homme'; cf. fernerfaire etat de, etre ä la page, mettre au point, sansmot dire, faire face a, mettre de l'eau dans son vin,qui n 'etait pas pique des vers; lefin mot de ... ('derwahre Grund'; 'des Pudels Kern'; 'der Ernst derLage').

4.2. SynonymicNeben einer lexikalisch-phraseologischen Syn-onymie, die auf einer angenäherten semanti-schen Äquivalenz zwischen einem Wort undeinem PHR beruht (pousser un cri/crier), gibt esdas Phänomen synonymischer Beziehungen zwi-schen zwei oder mehreren PHR. PhraseologischeSynonymic inkludiert verständlicherweiseNichtübereinstimmung der bildlichen Motiva-tion, mögliche semantische Nuancen und diffe-rierende stilistische Markierung. Der Ausdruckfür Dummheit kann sich synonymisch sehr un-terschiedlich manifestieren: (57) // est bete com-me un änejune oiejune cruchejses piedslä pleurer/amanger du foin, il n 'a pas invente la poudre. Daphraseologische ST relativ ist, kann der Aus-tausch eines lexikalischen Elements zu Synony-men führen: (58) montrer/tourner les talons. Beibloßer morphologischer oder syntaktischer Ab-wandlung oder geringfügiger Expansion solltewohl besser von phraseologischen Varianten ge-sprochen werden: (59) porter la culotte/les culot-tes, se faire une montagne/des montagnes de, faire(la politique de) l'autruche, passer un (sacre) sa-von a qn, toucher un (seul) cheveu de sä tete. Erstrecht gilt dies für graphische Veränderungen:(60) bayer (bailler) aux corneilles, avoir affairea/avoir ä faire .

5. Modalitäten und Kausalitäten derHerausbildung

Die Genese der PHR kann sprach- und kulturge-schichtlich sehr aufschlußreich sein. Starken An-teil an der Entstehung von PHR hat z.B. derAberglaube: (61) loger au diable vert (eigtl.Schloß Vauvert). Auch die Bibel hat auf die Prä-gung solcher Wendungen eingewirkt: (62) s'en la-ver les mains (Anspielung auf Pontius Pilatus).Weiterhin sind es das mittelalterliche Kriegswe-sen (63a) entrer en lice (Turnierspiel), die Recht-sprechung (63b) clouer au pilori (Pranger), dieJagd (64) etre aux abois (Wild in äußerster Be-drängnis), das Leben der mittelalterlichen Bür-ger, denen so manche Ausdrucksweise entspros-sen ist. Oft bildet ein Wort den Kern des PHR,das auf die Herkunft hinweist: (65) Fleischer-handwerk trouver le joint (joint), Landwirtschaftmettre la charrue avant les bceufs (charrue,boeufs), Spiel mettre cartes sur table (cartes), See-fahrt etre a la derive (derive), Christentum portersä croix (croix), Alltag rire au nez, tirer la couver-ture ä soi, etre entre deux vins.

Manche PHR enthalten im „freien" Gebrauchnicht mehr vorkommende Elemente: (66) avoirmaille a partir, ä la queue leu leu, ä huis dos,clouer au pilori, entrer en lice, chercher noise a.Der Archaismus kann auch in der Syntax beru-hen: (67) rendre campte, center fleurette, sansbourse delier. Unikai kann eine Komponenteauch sein, wenn sie als freies Lexem an fach-sprachlichen Gebrauch gebunden ist: (68) debon/mauvais aloi, etre aux abois. Dadurch kön-nen PHR schnell dem verändernden Einfluß derVolksetymologie unterliegen. Der Archaismuswird unverständlich und mißdeutet: (69) il y abelle lurette (< HEURETTE), tomber dans lespommes (< afr. PASMES), sens dessus dessous(< C'EN...), etre en nage (< afr. EN AGE), fer-ner ne pas etre dans son assiette, raisonner commeun tambour. Solche Remotivierungen oder Ab-wandlungen können auch spielerischer Natursein: (70) jusqu'a la Saint-Saucisson, jusqu'ä laSaint-trou-du-cul nach jusqu'a Saint-Glinglin.Neologische PHR sind ein Spiegelbild des gesell-schaftlichen Fortschritts in unserer Zeit: (71) fai-re machine arriere, passer en rase-mottes, refairesurface, lancer un ballon d'essai, prendre contact,faire salle comble, telephone arabe.

6. Forschungsstand und-lacken

Insgesamt gesehen ist die französische Linguistik wiedie Romanistik überhaupt den Problemen der Phr ge-genüber bis heute noch recht enthaltsam geblieben.Phraseologische Themenstellungen sind bislang eherals Randprobleme betrachtet worden. Dabei verdanktdie heutige Forschung die wichtigsten Anregungen den

Bereitgestellt von | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAngemeldet

Heruntergeladen am | 10.11.14 16:14

Page 6: 299. Französisch: Phraseologie

299. Französisch: Phraseologie 93

Erkenntnissen Ballys in seinem Traue de stylistiquefranfaise. Seine Einteilung in drei phraseologischeHaupttypen ist lange Zeit als grundlegend akzeptiertworden. In der Romanistik sind diese Überlegungenwenig beachtet worden. Guirauds Arbeit (1962) ist eineprägnante Zusammenfassung des damaligen For-schungsstandes, führt aber kaum - mit Ausnahme deretymologischen Erörterungen - über Bally hinaus. Ineinzelnen Artikeln der 60er Jahre wurde in Frankreichder grundsätzliche Charakter der WV im Vergleich zumEinzelwort näher untersucht. Greimas (1960, 50) be-merkt in diesem Zusammenhang, daß die historischePraxis der Sprache weit über den morphosyntaktischenRahmen des Wortes hinausgreife, indem sie lexikalischeE verschiedenen Typs präge. In seiner Dimension stehtder PUR zwischen Wort und Satz und wird in Frank-reich vorrangig als lexie complexe bezeichnet. Phal(1964,45) unterstreicht, daß die Referenz auf einen ein-zigen Begriff nicht für alle Sprecher Gültigkeit besitzenmuß. Eine WV wie bacille de Koch wird von einem Wis-senschaftler als unzerlegbar angesehen, für den einfa-chen Sprecher trifft dies jedoch nicht zu. Er erblicktdarin nur eine Spezifizierung des Wortes bacille. Guil-bert (1975) führt den Begriff der derivation syntagmati-que ein, um zu zeigen, wie namentlich in den Fachspra-chen Stämme mit sehr allgemeinem Inhalt und in Ver-bindung mit einer Determination zur Bezeichnungneuer Realitäten benutzt werden, cf. sein Beispiel char-rue pour labour a plat a traction animate sans avant-train(1975, 254). Aufbauend auf Ballys Konzept hat Vino-gradov in der Sowjetunion die Phr als Teildisziplin eta-bliert. In seiner Nachfolge hat die Forschung, zunächstanhand des Russischen, später auch am Beispiel ande-rer Sprachen, einen starken Aufschwung erlebt undeine Breitenentwicklung in bezug auf die Problemfülleerfahren, von der zahlreiche Impulse ausgehen dürften.Schon bei der Bestimmung des Objektbereiches zeigtensich Schwierigkeiten, die unterschiedliche Ergebnisseund Auffassungen zutage förderten. Daher plädiertOzegov (1974, 194) für eine Phr im engeren und eine imweiteren Sinne. Das Kriterium der ST wird von Ar-changeFskij 1964 tiefer analysiert. Darauf gestützt siehtKunin (1967) die Nichtmodellierbarkeit der PHR alsihr differentielles Merkmal an. Trotzdem ist u. E. diesesMerkmal nicht so absolut zu sehen, wenn wir an die„offenen" phraseologischen Muster mit mettre denken,wie sie Schmid 1984 herausarbeitet. Amosova 1963 be-dient sich bei der Kriterienerörterung für die Identifi-zierung von PHR der sogenannten kontextologischenMethode. Dabei wird der minimale stabile Kontextzum maßgeblichen Kriterium gemacht. Anregungengehen in jüngerer Zeit von germanistischer Seite aus. Indiesem Rahmen verweisen wir vor allem auf folgendeNamen: Agricola, Burger, Cerniseva, Fix, Fleischer,Häusermann, Klappenbach, Koller, Pilz und Rothke-gel. Aus anglistischer Sicht gibt Gläser 1981, 1986 einenguten Überblick. Die Arbeiten anderer Anglisten sindeingebettet in die Bemühungen, die Analyseverfahreneiner semantischen Theorie innerhalb der Transforma-tionsgrammatik zu verfeinern, und können nicht mitder Vielfalt der Aspekte und der Weite der Forschung inder Sowjetunion bzw. in der Germanistik verglichenwerden. Die jüngste Entwicklung der französischenund romanistischen Forschung ist mit den Namen Na-zarjan 1976 und Thun 1978 verbunden. Letzterer gibtauch einen wertvollen wissenschaftsgeschichtlichen

Überblick. Thun fußt in seiner Arbeit zu verschiedenenromanischen Sprachen auf dem Konzept der „wieder-holten Rede" von Coseriu. Bislang wenig beachtet inder internationalen Forschung wurden Fragen der Mo-dellierbarkeit, der Möglichkeit der Serienbildung, derTextsortenspezifik und der Restriktionsmechanismen.Noch ganz am Anfang stehen die historische For-schung sowie die Analyse der Faktoren, die zur Heraus-bildung von PHR führen.

7. Bibliographie (in Auswahl)

7.1. Quellen und Nachschlagewerke

Calier, Robert, et al., Larousse des citations francaises etetrangeres, Paris, Larousse, 1976.

Cellard, Jacques, fa ne mange pas de pain!, Paris, Ha-chette, 1982.

Cellard, Jacques/Rey, Alain, Dictionnaire du francaisnon conventionnel, Paris, Masson/Hachette, 1980.

Coulon, Bettina, Deutsche und französische idiomatischeRedewendungen, Leipzig, Verlag Enzyklopädie, 1983.

Duneton, Claude, La puce a Voreilig, Paris, Stock, 1978.Fromaigeat, E., Deutsch-französisches Satzwörterbuch,

3 vol., Zürich, Verlag des Schweizerischen Kaufmän-nischen Vereins, 1951.

Gspann, Lucien, Gallicismes et germanismes, vol. l, Pa-ris, Publications «Memento USEL», 1954.

Humbert, J., Le francais idiomatique, Paris, 1954.Klein, Hans-Wilhelm, 1000 idiomatische französische

Redensarten, Berlin, Langenscheidt, 1952.Maloux, Maurice, Dictionnaire desproverbes, sentences

et maximes, Paris, Larousse, 1960.Mülhause, Reinhart, Redensarten. Facons de parier,

München, Hueber, 1967.Müller, Walter, Französische Idiomatik nach Sinngrup-

pen, Heidelberg, Winter, 1961.Nazarjan, Armand, Obraznye sravnenija francuzskogo

jazyka, Moskva, Nauka, 1965.Olivier, Rene/Militz, Hans-Manfred, Französische idio-

matische Redewendungen, Leipzig, Verlag Enzyklo-pädie, 1970.

Pradez, El., Dictionnaire des gallicismes, Paris, Payot,1951.

Rat, Maurice, Dictionnaire des locutions francaises, Pa-ris, Larousse, 1962.

Rey, Alain/Chantreau, Sophie, Dictionnaire des expres-sions et locutions, Paris, Le Robert, 1956.

Therond, Maurice, Du tac au tac, Paris, Didier, 1956.Werny, Paul/Snyckers, Alexandre, Dictionnaire des lo-

cutions francais-allemand, Paris, Larousse, 1976.Wiznitzer, Manuel, Etes-vous ä la page?, München,

Hueber, 1973.

7.2. Sekundärliteratur

Amosova, N. N., Osnovy anglijskoj frazeologii, Lenin-grad, Nauka, 1963.

Archangel'skij, V., Ustojcivye frazy v sovremennom rus-skomjazyke, Rostov, 1964.

Bally, Charles, Tratte de stylistique franfaise, 2 vol., Pa-ris, Klincksieck, 31951.

Benveniste, Emile, Les niveaux de ['analyse linguistique,in: id. (ed.), Problemes de linguistique generate, vol. l,Paris, Gallimard, 1966, 119-131.

Bereitgestellt von | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAngemeldet

Heruntergeladen am | 10.11.14 16:14

Page 7: 299. Französisch: Phraseologie

94 VI. Sprachen und Sprachgebiete: Französisch

Blochwitz, Werner, Zur Frage der semanüschen Relatio-nen zwischen Verb und verbaler Periphrase im Franzö-sischen, LSt Reihe A: Arbeitsberichte 69:2 (1980),1-111.

Coseriu, Eugenio, Das romanische Verbalsystem, ed.Bertsch, H., Tübingen, Narr, 1963.

Fleischer, Wolfgang, Phraseologie der deutschen Gegen-wartssprache, Leipzig, Bibliographisches Institut,1982.

Fleischer, Wolfgang, Phraseologie, in: id. et al. (edd.),Deutsche Sprache. Kleine Enzyklopädie, Leipzig, Bi-bliographisches Institut, 1983, 307-322.

Gläser, Rosemarie, Phraseologie der englischen Sprache,Potsdam, WTZ, 1981; Leipzig, Verlag Enzyklopädie,1986.

Greimas, Algirdas J., Idiotismes, proverbes et dictons,CLex(1960),41-61.

Guilbert, Louis, La creativite lexicale, Paris, Larousse,1975.

Guiraud, Pierre, Les locutions francaises, Paris, PUF,1962.

Heller, Dorothea, Idiomatik, in: Althaus, Hans Peter/Henne, Helmut/Wiegand, Herbert Ernst (edd.), Le-xikon der Germanistischen Linguistik, vol. l, Tübin-gen, Niemeyer, 21980, 180-184.

Koller, Werner, Redensarten. Linguistische Aspekte.Vorkommensanalyse. Sprachspiel, Tübingen, Nie-meyer, 1977.

Kunin, Aleksandr, Anglijskaja frazeologija, Moskva,Vyssaja Skola, 1970.

Levit, Sigfrid Natanovic, Kprobleme analiticeskogo slo-va v sovremennomfrancuzskomjazyke, Minsk, 1968.

Militz, Hans-Manfred, Zu Semantik und Syntax desVerbs in phraseologischen Wendungen, LSt Reihe A:Arbeitsberichte 69:2 (1980), 122-181.

Nazarjan, Armand Grantovic, Frazeologija sovremen-nogo francuzskogo jazyka, Moskva, Vyssaja Skola,1976.

Ozegov, Sergej Ivanovic, Leksikologija - leksikogrqßja- kul'tura reci, Moskva, Vyssaja Skola, 1974.

Pilz, Klaus Dieter, Phraseologie, 1 vol., Göppingen,Kümmerle, 1978.

Phal, Andre, Lesgroupes de mots,CLe\ l (1964),45-50.Rothkegel, Annely, Feste Syntagmen, Tübingen, Nie-

meyer, 1973.Schmid, Annemarie, Ein Beitrag zur Phraseologie des

Französischen, Innsbruck, Institut für Sprachwissen-schaft, 1984.

Serebrennikov, Boris Aleksandrovic (ed.), AllgemeineSprachwissenschaft, vol. 2, Berlin, Akademie-Verlag,1975,374-429.

Stepanova, Marija Dmitrievna/Cerniseva, Irina Iva-novna, Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache,Moskau, Vyssaja Skola, 1975.

Thiele, Johannes, Wortbildung der französischen Gegen-wartssprache, Leipzig, Verlag Enzyklopädie, 1981(21985).

Thiele, Johannes, Versuch einer Klassifizierung des fran-zösischen nominativen Phraseologismus, WZHUB 3(1983), 311-313.

Thiele, Johannes, La formation des mots enfrancais mo-derne, Montreal, Les Presses de l'Universite, 1987.

Thun, Harald, Probleme der Phraseologie. Untersuchun-gen zur wiederholten Rede, Tübingen, Niemeyer, 1978.

Viehweger, Dieter (ed.), Probleme der semantischenAnalyse, Berlin, Akademie-Verlag, 1977.

Vinogradov, Viktor, Ob osnovnych tipach frazeologice-skich edinic v russkom jazyke, Moskva/Leningrad,1947.

Wissemann, Heinz, Das Wortgruppenlexem und seine le-xikographische Erfassung, IF 66 (1961), 225-258.

Johannes Thiele, Greifswald

300. Französisch: Lexikologie undSemantik

Lexicologie et somantique

1. Themenbereich und Definitionen2. Historische Schichtung3. Entlehnung4. Wortbildung5. Translationen6. Semantik7. Konnotation8. Auswahlbibliographie

1. Themenbereich und Definitionen

Die im Titel dieses Beitrags genannten Bereiche lingui-stischer Forschung haben schon auf den ersten Blickmiteinander zu tun, gleichwohl sind sie keineswegsidentisch: sie überlappen, wobei sich bei aller Eigen-ständigkeit eine relativ große Schnittmenge ergibt.

/./. Die Lexikologie kann im weitesten Sinne (cf.auch Ricken 1983, 6) als „Wissenschaft vom Le-xikon einer Sprache" definiert werden. Sie be-faßt sich dabei sowohl mit der Inhalts- als auchmit der Ausdrucksseite lexikalischer Einheiten.Die Untersuchung der Inhaltsseite kann man der(lexikalischen) Semantik, die Diskussion derAusdrucksseite der (lexikalischen) Morphologiezuweisen (Schifko 1977, 50-51).Die Lexikologie darf nicht mit der Lexikographie ver-wechselt werden (so z. B. Hilty 1982), die sich als Theo-rie und Praxis des Erstellens von Lexika, Wörterbü-chern, Glossaren etc. definieren läßt (Berruto 1976,10/11); gleichwohl überlappen auch diese beiden Berei-che.

/././. Ich habe bisher den Ausdruck Wort geflis-sentlich vermieden und immer von „lexikali-schen Einheiten" o. ä. gesprochen, und dies ausgutem Grunde: die Definition des Wortes ist ein

Bereitgestellt von | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAngemeldet

Heruntergeladen am | 10.11.14 16:14