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Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 13 3 Die Entwicklung der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen (HuDl) In diesem Kapitel wird die gestiegene Bedeutung der HuDl aus dem sozio-ökonomischen Strukturwandel abgeleitet und - daran anknüpfend - deren quantitative und qualitative Entwicklung behandelt. Daher steht zunächst der Strukturwandel unter theoretischer Per- spektive im Mittelpunkt, um dann in einem zweiten Schritt besonders die HuDl betreffenden Gesichtspunkte zu betrachten. Es ist nicht das Ziel dieses Abschnitts, die behandelten Entwicklungen in ihrer ganzen Tiefe zu erfassen, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Vielmehr sollen die für den Bereich der HuDl relevanten Prozesse im Überblick dargestellt werden, um so den Hinter- grund und den Interpretationsrahmen für die empirische Analyse der Auswirkungen der HuDl auf das Städtesystem in Nordrhein-Westfalen zu bilden. 3.1 Der sozio-ökonomische Strukturwandel in theoretischer Perspektive Eine Grundtendenz in der Geschichte wirtschaftlicher Tätigkeit ist die zunehmende funktionsräumliche Arbeitsteilung mit wachsender Spezialisierung. Um spezielle Tätigkeiten in einen Sinnzusammenhang zu bringen, ist Koordination und Verständigung notwendig. Die Wurzeln der Tertiärisierung reichen weit zurück. GAD (1985/68) veranschlagt den Beginn dieses Jahrhunderts als Ausgangspunkt dieser Entwicklung. Im großen Stil wird die Expansion des Dienstleistungssektors jedoch erst seit den 50er Jah- ren in den USA bzw. in den 60er Jahren in West-Europa zunehmend sichtbar (DANIELS/MOULAERT 1991). Damit eng verflochten ist ein beschleunigter gesellschaftlich- wirtschaftlicher Strukturwandel, der zur Erklärung der wirtschaftlichen, sozialen und politi- schen Krise der hochentwickelten westlichen Industriestaaten herangezogen wird; dieser ge- sellschaftlich-wirtschaftliche Strukturwandel ist also ein relativ junges Phänomen. In den folgenden Abschnitten wird zunächst der theoretische Analyserahmen gespannt, um dann davon ausgehend die Wirkungen dieses Strukturwandels auf die HuDl bzw. die Rückkopp- lungseffekte der HuDl auf diesen Wandel deutlich zu machen. Das zentrale Charakteristikum der HuDl ist die Information bzw. das Wissen. Als Inputfak- toren für ökonomische Prozesse gewinnen diese beiden Aspekte immer weiter an Bedeu- tung. Nicht Arbeit, Boden oder Kapital sind heute die vorrangig bestimmenden Produkti- onsfaktoren, sondern entscheidend ist zunehmend der Faktor Wissen (COFFEY/SHEARMUR

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Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 13

3 Die Entwicklung der höherwertigen unternehmensorientiertenDienstleistungen (HuDl)

In diesem Kapitel wird die gestiegene Bedeutung der HuDl aus dem sozio-ökonomischen

Strukturwandel abgeleitet und - daran anknüpfend - deren quantitative und qualitative

Entwicklung behandelt. Daher steht zunächst der Strukturwandel unter theoretischer Per-

spektive im Mittelpunkt, um dann in einem zweiten Schritt besonders die HuDl betreffenden

Gesichtspunkte zu betrachten.

Es ist nicht das Ziel dieses Abschnitts, die behandelten Entwicklungen in ihrer ganzen Tiefe

zu erfassen, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Vielmehr sollen die für den

Bereich der HuDl relevanten Prozesse im Überblick dargestellt werden, um so den Hinter-

grund und den Interpretationsrahmen für die empirische Analyse der Auswirkungen der

HuDl auf das Städtesystem in Nordrhein-Westfalen zu bilden.

3.1 Der sozio-ökonomische Strukturwandel in theoretischer Perspektive

Eine Grundtendenz in der Geschichte wirtschaftlicher Tätigkeit ist die zunehmende

funktionsräumliche Arbeitsteilung mit wachsender Spezialisierung. Um spezielle Tätigkeiten

in einen Sinnzusammenhang zu bringen, ist Koordination und Verständigung notwendig.

Die Wurzeln der Tertiärisierung reichen weit zurück. GAD (1985/68) veranschlagt den

Beginn dieses Jahrhunderts als Ausgangspunkt dieser Entwicklung.

Im großen Stil wird die Expansion des Dienstleistungssektors jedoch erst seit den 50er Jah-

ren in den USA bzw. in den 60er Jahren in West-Europa zunehmend sichtbar

(DANIELS/MOULAERT 1991). Damit eng verflochten ist ein beschleunigter gesellschaftlich-

wirtschaftlicher Strukturwandel, der zur Erklärung der wirtschaftlichen, sozialen und politi-

schen Krise der hochentwickelten westlichen Industriestaaten herangezogen wird; dieser ge-

sellschaftlich-wirtschaftliche Strukturwandel ist also ein relativ junges Phänomen. In den

folgenden Abschnitten wird zunächst der theoretische Analyserahmen gespannt, um dann

davon ausgehend die Wirkungen dieses Strukturwandels auf die HuDl bzw. die Rückkopp-

lungseffekte der HuDl auf diesen Wandel deutlich zu machen.

Das zentrale Charakteristikum der HuDl ist die Information bzw. das Wissen. Als Inputfak-

toren für ökonomische Prozesse gewinnen diese beiden Aspekte immer weiter an Bedeu-

tung. Nicht Arbeit, Boden oder Kapital sind heute die vorrangig bestimmenden Produkti-

onsfaktoren, sondern entscheidend ist zunehmend der Faktor Wissen (COFFEY/SHEARMUR

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Die Entwicklung der Dienstleistungen 14

1997: 405). Diese These verdeutlicht die Abkehr von der neoklassischen Annahme der

vollständigen Information aller auf dem Markt operierenden Akteure (ELLGER 1996: 89).

Die Nachfrage nach HuDl drückt das Streben der einzelnen Unternehmen nach Informati-

onsvorsprung aus, das nur mit einer Hilfskonstruktion (technisches und organisatorisches

Wissen als Produktionsfaktor) in das neoklassische Modell zu integrieren ist. Es werden da-

her im folgenden nicht-neoklassische Ansätze zur Erklärung der HuDl-Expansion vorge-

stellt, die - im Gegensatz zu neoklassischen Theorien - das Wissen und die Information als

zentrale Faktoren begreifen und sie nicht als randliche Störgrößen ausblenden.

3.1.1 Erklärungsansätze für den Strukturwandel

In der Diskussion um die theoretische Erfassung des sozioökonomischen Strukturwandels

werden im wesentlichen drei nicht-neoklassische Ansätze diskutiert4 (die neoklassische

Sektorentheorie FOURASTIÉS wurde bereits in Kap. 2.2.1 behandelt):

1) Theorie der langen Wellen,

2) Theorie der flexiblen Spezialisierung sowie die

3) Regulationstheorie.

3.1.1.1 Theorie der langen Wellen

Die auf KONDRATIEV zurückgehende Theorie der langen Wellen geht von einer quasi na-

türlichen, vorgegebenen Entwicklung der Wirtschaft in Zyklen mit einer Dauer von je etwa

50 Jahren und jeweils charakteristischen, zugrundeliegenden Basisinnovationen bzw. Indu-

strien aus. Diese Basisinnovationen müssen zueinander komplementär sein und sich ergän-

zen, wobei der Innovationsbegriff hier nicht auf Produkte beschränkt ist, sondern auch Pro-

zesse und Organisationsformen umfassen kann. Das sozio-politische Umfeld sollte hierzu

komplementär sein, hat aber eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung (AMIN 1994,

DICKEN 1992).

Läuft eine Welle aus, so geraten Regionen mit einer von den führenden Industrien der alten

Welle dominierten Wirtschaftsstruktur unter erheblichen Anpassungsdruck mit deutlichen

Krisensymptomen. Nach der Wellentheorie befinden wir uns gegenwärtig am Ende der

4 Zum folgenden vgl. AMIN (1994).

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Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 15

vierten Welle mit den Basisindustrien im Bereich der Petro-Chemie, der Elektrotechnik und

der Kunststoffe (vgl. Abb. 2).

Die Theorie der langen Wellen betrachtet zwar nicht explizit die HuDl; es ist aber offen-

sichtlich, daß es ohne Forschung und Entwicklung (FuE), ohne technische Beratung und

verbesserte Managementmethoden nicht zu Basisinnovationen kommen kann.

Aufgrund des häufig kritisierten Technik-Determinismus’ der Wellentheorie, der eine un-

ausweichliche und vorgegebene Entwicklung suggeriert, sowie der isolierten Betrachtung

der Ökonomie unter weitgehendem Ausschluß des sozio-politischen Umfeldes erweisen sich

die langen Wellen als unzureichend, den gegenwärtigen Strukturwandel in seiner Komplexi-

tät zu erfassen.

Abb. 2: Lange Wellen ökonomischer Aktivität und zugrundeliegende Basis-Technologien. Quelle: nach

DICKEN (1992: 99)

Besonders die Fokussierung auf die Mikroelektronik und neue Technologien als Basisinno-

vationen der fünften Welle unterschätzt systematisch die Produktivitätsfortschritte, die

durch neue Produktionskonzepte und Managementstrategien (world-wide-sourcing, Flexi-

bilisierung der Arbeitszeiten, just-in-time), erreicht wurden (KRÄTKE 1991: 253). Eine

strikte Qualitätskontrolle sowie Arbeitsüberwachung auf der Basis einfacher Technologien

Dampfmaschine Baumwoll- Textilien Eisen

Eisenbahn Eisen und Stahl

Elektrotechnik Chemie Automobile

Elektronik Kunststoffe Petrochemie

1800 1900 1850 1950

erste Kontratiev zweite Kontratiev dritte Kontratiev vierte Kontratiev

?

Neue Basis-Technologien

IndexökonomischerAktivität

2000

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Die Entwicklung der Dienstleistungen 16

hat bereits vor dem Zeitalter der Mikroelektronik eine weitreichende Fehlerfreiheit und

damit gestiegene Produktivität ermöglicht. Durch Mechatronik konnte lediglich die ohnehin

bereits hohe Redundanz in der Qualitätskontrolle weiter gesteigert werden (ELAM 1994:

48).

Zieht man die Theorie der langen Wellen zur Erklärung des HuDl-Wachstums heran, so

müßte sich zudem eine zyklische Entwicklung der Dienstleistungen mit enger Kopplung an

die Wellen ergeben. Es ist jedoch eine wellenübergreifende, sowohl quantitative als auch

qualitative Expansion der HuDl zu beobachten, so daß die Theorie insgesamt nur wenig zur

Durchdringung des Problemfeldes beitragen kann.

3.1.1.2 Die flexible Spezialisierung

Die Theorie der flexiblen Spezialisierung (PIORE/SABEL 1984) lehnt, im Gegensatz zu den

langen Wellen, generelle strukturelle Tendenzen ab und basiert auf der Unterscheidung von

Massenproduktion und flexibler Spezialisierung. Die Massenproduktion ist durch Einsatz

spezialisierter Maschinen und gering qualifizierter Arbeitskräfte charakterisiert, während die

flexible Spezialisierung hochqualifizierte Beschäftigte erfordert, die an Kundenwünsche an-

gepaßte Spezialprodukte in Kleinserien herstellen. Beide Paradigmen existieren nach

PIORE/SABEL parallel. An bestimmten Zeitpunkten, den sog. industrial divides, kann es in

Abhängigkeit von bestimmten Entscheidungen bzw. historischen Rahmenbedingungen zur

Dominanz entweder der Massenproduktion oder der flexiblen Spezialisierung kommen. Es

wird jedoch nicht klar, welche Bedingungen zu einem Paradigmenwechsel führen können

(AMIN 1994: 14).

PIORE/SABEL identifizieren im gegenwärtigen Strukturwandel eine industrial divide, die den

Übergang von der Massenproduktion zur flexiblen Spezialisierung markiert. Anhand der

Beispiele Baden-Württembergs und des Dritten Italien wird gezeigt, daß sich Regionen mit

einem die Massenproduktion überlebenden, handwerklichen Kern in den 80er Jahren im

wirtschaftlichen Aufwind befanden.

Zwar ergibt sich durch die antizipierte flexible Spezialisierung eine wachsende Bedeutung

der HuDl (ohne die neue Produktions- und Vertriebstechniken nicht entwickelt und einge-

setzt werden können), die Theorie der flexiblen Spezialisierung muß dennoch, vor allem

wegen des konstruierten Dualismus zwischen Massenproduktion und spezialisierter Klein-

serienfertigung, der die reale Vielschichtigkeit wirtschaftlicher Tätigkeit nicht wiedergibt,

kritisiert werden.

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Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 17

Die Protagonisten fordistischer Massenproduktion bleiben nach wie vor mächtig, indem sie

zur Aufrechterhaltung der Massenproduktion Flexibilisierungs- und Spezialisierungsstrate-

gien entwickeln, um die Engstellen des Fordismus zu überwinden. Auch wird die Zukunft

der flexiblen Spezialisierung mit ihrer Fixierung auf kleine und mittlere Unternehmen zu op-

timistisch gesehen, da in der globalisierten Wirtschaft große Unternehmen durch hohen

Kapitaleinsatz wesentlich leichter bestehen können als kleine, die eher von Marktzutritts-

barrieren betroffen sind.

3.1.1.3 Die Regulationstheorie5

Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Krise mit stagnierendem Wirtschaftswachstum, sin-

kenden Reallöhnen, Kürzungen der staatlichen Sozialleistungen, Massenarbeitslosigkeit und

Deindustrialisierung6, ergänzt durch Probleme der Umweltzerstörung, Staatsverschuldung

und sozialer Konflikte, die vor allem in alten Industrieregionen zutage treten, haben sich

traditionelle Theorieansätze (z.B. lange Wellen) zur Erklärung dieser Probleme als un-

brauchbar erwiesen. BATHELT (1994: 64) gibt als Grund den ungerechtfertigten Technik-

Determinismus sowie die Vernachlässigung des wirtschaftlichen, politischen und gesell-

schaftlichen Handlungsrahmens an.

Die Regulationstheorie betrachtet nicht die Selbstorganisation kapitalistischer Gesellschaf-

ten im Sinne einer allgemeinen, neoklassischen Gleichgewichtstheorie, sondern versucht,

unter besonderer Berücksichtigung der institutionellen Vorgaben, zum tieferen Verständnis

sozio-ökonomischer Prozesse beizutragen:

„In seinem ökonomietheoretischen Kern - unabhängig von der pragmatischen Ausgestaltung durcheinzelne seiner Vertreter - beansprucht der Regulationsansatz den Status einer Alternative zur neo-klassischen Gleichgewichtstheorie. Werden dort Entwicklungsprobleme des Kapitalismus als durch‘externe Störvariablen’ verursachtes Scheitern von Akkumulations- und Verteilungsprozessen er-klärt, so will die Regulationstheorie (a) über den Nachweis des endogenen Charakters von Akkumu-lationsblockaden den funktionalen Stellenwert ökonomischer Krisen für Systemanpassungsprozessezeigen (‘kleine’, zyklische Krisen) und (b) zugleich demonstrieren, daß die Adaptionsfähigkeit einesgegebenen politisch-ökonomischen Systems Grenzen aufweist (‘große’ Krisen eines

5 Einen einheitlichen regulationstheoretischen Ansatz gibt es strenggenommen nicht (BATHELT 1994, GÖRG

1994(a)). Nachfolgend werden daher gemeinsame Grundannahmen der verschiedenen regulationstheore-tischen Ansätze dargestellt.

6 In der Diskussion um Ursachen, Ausmaß und Folgen dieser Krise wird immer von Deindustrialisierunggesprochen. Dieser Begriff ist jedoch irreführend, da der sekundäre Sektor nicht verschwindet, sondern sichlediglich umstrukturiert. Man spricht besser von einer „Tertiärisierung der Produktion“ (MARTINELLI

1991(a)). Deindustrialisierung hat sich aber bereits im festen Begriffsinstrumentarium etabliert.

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Die Entwicklung der Dienstleistungen 18

‘Akkumulationsregimes’), die nur durch neue Gesellschaftsprojekte - seien sie kapitalistischen odernicht-kapitalistischen Typs - überwunden werden können.“ (HÜBNER/MAHNKOPF 1988: 12)

Darüber hinaus wird versucht, den Dualismus zwischen struktur- und akteurszentrierter

Perspektive aufzuheben (GÖRG 1994(a): 17), d.h. Individuen und System stehen sich nicht

mehr gegenüber, wie etwa in der Theorie der langen Wellen, sondern bedingen sich gegen-

seitig.

Die Entwicklung wird durch eine Abfolge stabiler Phasen (Formationen) und Entwicklungs-

krisen (Formationskrisen) gekennzeichnet. Eine stabile Formation zeichnet sich über einen

längeren Zeitraum durch Konsistenz zwischen Gesellschaft und Wirtschaft aus: Vorherr-

schende Technologien, Produktionsstrukturen, Konsummuster und Koordinationsmecha-

nismen sind aufeinander abgestimmt und angewiesen; Akkumulationsregime (vgl. Kap.

3.1.1.3.1) und Regulationsweise (vgl. Kap. 3.1.1.3.2) sind komplementär.

Gerät diese Abstimmung aus bestimmten Gründen, seien es gesellschaftliche Umbrüche und

Wertewandel, technologische Innovationen, Mißverhältnis von Angebot und Nachfrage

oder politische Veränderungen, aus dem Gleichgewicht, kommt es zu einer Krise (AMIN

1994, BENKO/DUNFORD 1991, DUNFORD 1990, HIRSCH 1990, HÜBNER/MAHNKOPF 1988,

HÜBNER 1990, OSSENBRÜGGE 1992, WOOD 1994).

Nach der Regulationstheorie ist gegenwärtig die Fordistische Formation in die Krise gera-

ten. Der Fordismus als dominante Entwicklungsrichtung westlicher Staaten nach dem

zweiten Weltkrieg läßt sich durch folgende Merkmale beschreiben (WOOD 1994: 10):

- Massenproduktion am Fließband (fordistisches Prinzip) mit stark segmentiertem Ar-

beitsablauf (tayloristisches Prinzip),

- Massenkonsum,

- gesellschaftlicher Strukturwandel und

- zentral-korporatistische, keynesianische Politik, die durch Umverteilung den Massen-

konsum ermöglicht und damit gleichzeitig das ökonomische System stützt.

Diese Merkmale sind stark generalisierend, da der Fordismus in diesem Archetypus nie in

dem Maße Realität, sondern eher Zielvorstellung und Leitbild war (JESSOP 1992: 27). Gro-

ße Firmen wie General Motors differenzierten bereits sehr früh ihre Produktion (ELAM

1994) und begegneten so den Grenzen der fordistischen Massenproduktion.

Trotz der zentralen Rolle, die der Krisenbegriff in der Regulationstheorie einnimmt, bleibt er

schemenhaft und defizitär (GÖRG 1994(c)). Es lassen sich jedoch vier die Krise des Fordis-

mus verursachende Tendenzen feststellen (ELAM 1994: 64):

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Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 19

1) Die wachsende Arbeitsteilung (Taylorisierung) innerhalb der Unternehmen wurde

zunehmend kontraproduktiv. Die gestiegene Kapitalintensität konnte nicht mehr durch

eine wachsende Produktivität aufgefangen werden (productivity slow-down).

2) Die unter Ausnutzung immer größerer Skaleneffekte ständig ausgeweitete und

globalisierte Produktion bzw. Marktdurchdringung intensivierte den Wettbewerb und

erschwerte das Management.

3) Durch die im Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Leistung stark gestiegenen So-

zialausgaben wurde die Inflation angeheizt (stagflation).

4) Die Konsummuster verschoben sich in Richtung einer differenzierteren Nachfrage.

Es ist umstritten, ob die Krise nur durch eine neue Formation, den Post-Fordismus, über-

wunden werden kann (AGLIETTA 1979) oder ob sich die fordistische Formation durch

Transformation stabilisiert (FUCHS 1993: 146).

KRÄTKE (1990) unterscheidet hier den Post-Fordismus (a) vom Neo-Fordismus (b):

(a) Der Post-Fordismus zeichnet sich durch eine verstärkte Partizipation der Arbeit-

nehmer am Produktionsprozeß sowie einer Aufwertung komplexer Qualifikation und

flexibler Spezialfertigung aus.

(b) Im Neo-Fordismus werden die Arbeitsverhältnisse flexibilisiert sowie der Produk-

tionsapparat weiter vertikal aufgespalten und in Billiglohngebiete verlagert.

Der Post-Fordismus zeichnet sich lediglich in Konturen ab, allgemeine Prognosen lassen

sich nicht abgeben, da die Regulationstheorie durch ihren historisch-empirisch selektiven

Zugang eine Übertragung von Fallstudien auf andere Staaten nicht erlaubt. JESSOP (1992:

28) sieht den Post-Fordismus gegenwärtig auf den Arbeitsprozeß und die Regulationsweise

beschränkt und erkennt nur wenige Hinweise auf grundlegende Änderungen im Akkumula-

tionsregime.

Die Übertragung des Fordismus-Konzepts auf die Bundesrepublik kann nicht ohne weiteres

erfolgen, da hier die hohen Löhne (mit tariflichem Schutz vor Lohnsenkungen) und die rela-

tiv hohe Beschäftigungssicherheit den Weg zur klassischen fordistischen Rationalisierung

versperren und der Zwang, trotz der teuren, fixen Belegschaft ökonomisch erfolgreich zu

sein, zu einem Flexi-Fordismus geführt haben (MAHNKOPF 1988: 104f). Dennoch sind eini-

ge grundsätzliche, für den Wandel vom Fordismus zum Post-Fordismus typische Verände-

rungen auch in Deutschland zu erwarten:

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Die Entwicklung der Dienstleistungen 20

1) die Ausbreitung post-tayloristischer Produktions- und Organisationsformen auf der

Basis neuer Informations- und Kommunikationstechnologien und somit eine neue Di-

mension der Massenproduktion,

2) die Industrialisierung des Dienstleistungssektors, der mit der Polarisierung zwischen

stagnierenden Städten und einigen großen Metropolen verbunden ist,

3) einen hierauf aufbauenden neuen Schub der Kapitalisierung,

4) die Abkopplung von Produktivität und Masseneinkommen,

5) die Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile (ESSER/HIRSCH (1994: 77).

Die zentralen Begriffe der Regulationstheorie werden in den folgenden Abschnitten näher

beleuchtet.

3.1.1.3.1 Die Regulationsweise

Da die Regulationstheorie die Entwicklung des Kapitalismus nicht im Sinne der neoklassi-

schen Gleichgewichtstheorie betrachtet, die von einer kybernetischen Selbststeuerung (oder

Selbstregulierung) über den Markt ausgeht und durch die Annahme einer logischen Zeit die

Probleme und Strukturen der Realität (historische Zeit) ausklammert, ist ein exaktes Ver-

ständnis von Regulation und der sich daraus ergebenden Regulationsweise unerläßlich.

Die einfache Übersetzung des französischen Begriffes régulation kann zu Mißverständnis-

sen führen, da durch das englische regulation und das deutsche Regulation die begriffliche

Trennschärfe abnimmt (HÜBNER 1990). LIPIETZ definiert Regulationsweise folgenderma-

ßen:

Die Regulationsweise umfaßt „... die Gesamtheit institutioneller Formen, Netze und expliziter oderimpliziter Normen, die die Vereinbarkeit von Verhaltensweisen im Rahmen eines Akkumulations-regimes sichern, und zwar sowohl entsprechend dem Zustand der gesellschaftlichen Verhältnisse alsauch über deren konfliktuelle Eigenschaften hinaus.“ (LIPIETZ 1985, zitiert aus: HÜBNER 1988: 34,siehe hierzu auch: LIPIETZ 1986, 1992)

Regulation bezeichnet damit weder die bereits angesprochene neoklassische Selbststeue-

rung noch eine intentionale Intervention ausschließlich von oben. Gemeint sind vielmehr die

von historisch einmaligen Formen der institutionellen Gegebenheiten abhängenden Normen,

Gewohnheiten, Gesetze und regulierenden Netze, die gewährleisten, daß die individuellen

Handlungen das Akkumulationsregime stützen und reproduzieren (HÜBNER 1988: 54,

OSSENBRÜGGE 1992).

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Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 21

3.1.1.3.2 Das Akkumulationsregime

Die zweite Hauptkategorie der Regulationstheorie bildet das Akkumulationsregime, das

nach LIPIETZ definiert wird als

„... ein Modus systematischer Verteilung und Reallokation des gesellschaftlichen Produkts, der übereine längere Periode hinweg ein bestimmtes Entsprechungsverhältnis zwischen den Veränderungender Produktionsbedingungen (dem Volumen des eingesetzten Kapitals, der Distribution zwischenden Branchen und den Produktionsnormen) und den Veränderungen in den Bedingungen des End-verbrauchs (Konsumnormen der Lohnabhängigen und anderer sozialen Klassen, Kollektivausgabenusw.) herstellt.“ (LIPIETZ 1985, zitiert aus HÜBNER 1988: 33f, siehe hierzu auch LIPIETZ 1986, 1992)

Anders ausgedrückt, umfaßt das Akkumulationsregime somit makroökonomische Normen,

die die Organisation der Produktion und des Arbeitsprozesses aufrechterhalten, die Art der

Austauschvorgänge innerhalb der Unternehmen und der allgemeinen Managementprinzipien

und Konsummuster steuern und somit einen kohärenten Prozeß der Kapitalakkumulation

ermöglichen.

3.1.2 Zusammenfassende Bewertung: Die Tragfähigkeit der verschiedenen An-sätze

Obwohl die Theorien der langen Wellen und der flexiblen Spezialisierung zunächst schein-

bar zur Erklärung des HuDl-Wachstums beitragen können (Bedeutung der HuDl in Innova-

tionsprozessen), so sind beide Ansätze doch insgesamt nicht ausreichend tragfähig. Die

Theorie der langen Wellen erweist sich vor allem wegen ihres Technik-Determinismus und

der daraus resultierenden weitgehenden Ausklammerung des sozialen und politischen Um-

feldes als wenig fruchtbar, während die flexible Spezialisierung vor allem wegen des kon-

struierten Dualismus zwischen großindustrieller Massenproduktion und kleinbetrieblicher

Spezialisierung kritisiert werden muß.

Gerade große Unternehmen verfügen über ausreichend Kapital und Information, um moder-

ne und flexible Technologien im Produktionsprozeß einzusetzen, sie haben darüber hinaus

ein hochqualifiziertes und spezialisiertes Management. Kleine und mittlere Unternehmen

sind dagegen i. d. R. durch eine begrenzte Kapital- und Informationsverfügbarkeit gekenn-

zeichnet, die sich hemmend auf Investitions- und Innovationstätigkeiten auswirken können

und so eher zur Benachteiligung gegenüber großen Unternehmen führen.

Nach der kritischen Bewertung der drei Ansätze erweist sich die Regulationstheorie als der

tragfähigste Ansatz, den sozio-ökonomischen Strukturwandel, und hier besonders die zu-

nehmende Bedeutung der HuDl, zu erklären. Die nichtlineare Perspektive der Regulation-

stheorie bietet einen Zugang, der breit genug angelegt ist, den sozio-ökonomischen Struk-

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Die Entwicklung der Dienstleistungen 22

turwandel in ganzheitlicher, nicht-deterministischer Weise zu erklären. Die Dominanz der

Mikroelektronik (lange Wellen) oder der flexiblen Spezialisierung können so vermieden

werden.

Im Konzept des Formationswechsels vom Fordismus zum Post-Fordismus werden über den

gestiegenen HuDl-Bedarf durch den technischen Innovationsdruck hinaus weitere, für die

Zielsetzung dieser Arbeit relevante Phänomene berücksichtigt. Gestiegener HuDl-Bedarf

wird über die technische Dimension hinaus in gleichem Maße auch durch veränderte Ma-

nagement-, Absatz- und Vertriebsprinzipien erklärbar.

In räumlicher Perspektive ist der Formationswechsel der Regulationstheorie zufolge durch

Polarisierungstendenzen zwischen und innerhalb der Städte und Regionen charakterisiert. In

der Überwindung der Krise des Formationswechsels sind nur einige privilegierte Räume

erfolgreich, während andere, besonders die altindustrialisierten Regionen, erstarren und nur

geringe Entwicklungsperspektiven haben.

Trotz ihrer theoretischen Defizite, wie eines wenig ausgearbeiteten Institutionenbegriffes

(siehe hierzu GÖRG 1994 (b)) und eines defizitären Verständnisses von Krisen (siehe hierzu

GÖRG 1994(c)), trägt die Regulationstheorie besonders im Hinblick auf die Zielsetzung die-

ser Arbeit wesentlich zur Erklärung der

- Expansion der HuDl,

- Umstrukturierungen innerhalb der HuDl sowie

- den Veränderungen im Städtesystem bei.

Die Regulationstheorie kann jedoch nicht zur Ableitung konkreter Fragestellungen genutzt

werden, sondern steht als sinnstiftender Interpretationsrahmen im Hintergrund der empiri-

schen Untersuchung.

Trotz der offensichtlichen Bedeutung haben sich nur wenige Autoren (hier vor allem

COFFEY/BAILLY (1992)) speziell mit der Rolle der HuDl in ökonomischen Anpassungspro-

zessen unter regulationstheoretischer Perspektive befaßt. Die Mehrzahl der Arbeiten be-

schäftigt sich mit den Auswirkungen des Formationswechsels auf das produzierende Ge-

werbe. Es wird hier eine gewisse Industrie-Lastigkeit in der Theoriebildung deutlich, die

sich aus der Persistenz marxistischen Denkens und der daraus resultierenden Überbewer-

tung der Produktion ableiten läßt.

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Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 23

3.2 Ökonomische Anpassungsprozesse im Formationswechsel

3.2.1 Allgemeine Gesichtspunkte

In der Umbruchphase vom Fordismus zum noch nicht eindeutig zu charakterisierenden

Post-Fordismus7 nehmen die HuDl-Unternehmen in ihrer Funktion als Anbieter von FuE,

Beratungsdienstleistungen, Management usw. eine Schlüsselstellung (allerdings nur für den

wirtschaftlichen Strukturwandel8) ein. In einer unsicheren und sich wandelnden Umwelt

steigt der Bedarf nach HuDl infolge des Innovationsdrucks an (BATHELT 1994, SJÖHOLT

1994). Dienstleistungen werden zu einem wesentlichen Merkmal der Leistungserstellung

(OCHEL 1987) und sind zunehmend mit der Sachgüterproduktion vernetzt (BAILLY 1990:

200). WALKER (1985) bezeichnet diesen ganzen Bereich auch als indirect production la-

bour, der die Wertschöpfung eines Unternehmens erheblich erhöht.

Vier Ebenen charakterisieren diesen Strukturwandel (CUADRADO ROURA 1990: 197ff):

1) Die Art der Produkte ändert sich: Was wird produziert?

2) Der Markt ändert sich: Für wen wird produziert?

3) Die Standorte ändern sich: Wo wird produziert?

4) Der Produktionsprozeß ändert sich: Wie wird produziert?

Hierin sind nur die Unternehmen in der Anpassung und Überwindung der Wirtschaftskrise

erfolgreich, die die fordistische Dequalifizierung der Arbeiter überwunden haben und durch

verstärkten Einsatz von HuDl ihre Wettbewerbsposition verbessern konnten.

Für Frankreich stellt BOYER (1992: 56) hierzu fest:

„Erstens fanden kleine und mittelgroße Betriebe mit großem technischen Wissen und ausreichendqualifizierten Arbeitern erfolgreich Zugang zu neuen ausländischen Märkten, die die inländischenersetzten. Zweitens konnten unter den großen Firmen nur diejenigen den Abbau von Arbeitsplätzenbegrenzen, welche die mit dem Fordismus verbundene Dequalifizierung von Arbeitern gemildertoder aufgegeben haben. Demgegenüber hat sich eine große Mehrheit von Betrieben, die ihrenbisherigen tayloristischen Strategien weiterhin gefolgt sind, ernste Schwierigkeiten zugezogen.“

7 BOYER (1992) spricht deshalb auch nur von einem „neuen Modell“ und vermeidet den Ausdruck „Post-Fordismus“.8 Das gesellschaftlich-soziale System und die politischen Steuerungsmechanismen werden dagegen nur in-direkt von dem wirtschaftlichen Strukturwandel, so z.B. durch soziale Spaltungsprozesse, Massen- undLangzeitarbeitslosigkeit und die sich hieraus ergebenden neuen politischen Aktions- und Reaktionsformenbeeinflußt.

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Die Entwicklung der Dienstleistungen 24

BOYER (57ff) diagnostiziert in diesem ökonomischen Anpassungsprozeß zwölf neue Ma-

nagementprinzipien, von denen die für die HuDl relevanten im folgenden aufgeführt und

kommentiert werden.

- Die umfassende Optimierung der Produktionsabläufe erfolgt durch Abbau von Un-

terauslastung der Anlagen unter Anwendung von Konzepten wie der just-in-time Pro-

duktion und Flexibilisierung. Es sollen so die für den Fordismus typischen großen Lager

und die starke Standardisierung abgebaut werden, die beide Störungen des Produktions-

prozesses ausgleichen sollten. Heute dagegen werden die Arbeit, die Halbprodukte und

die Anlagen als jeweils individuell zu optimieren angesehen.

- Forschung, Entwicklung und Produktionsorganisation werden vollständig integriert.

Die fordistische Reihenfolge: Entwicklung - Produktion - Marketing wird aufgebrochen,

um zu lange und unflexible Entwicklungszeiten abzukürzen, die zudem möglicherweise

zu nicht marktgerechten Entwicklungen führen. Kürzere Entwicklungszeiten durch Inte-

gration der drei Schritte führen zu schnellerer Kostendeckung und Flexibilität und somit

zu einer gegenüber der alten Methode wesentlich gesteigerten Produktivität.

- Die Marktnachfrage wird in den Produktionskomplex einbezogen. Nicht länger werden

starre Großserien für die Lager produziert. Die Internationalisierung der Märkte führte

zu größerem Angebot, auf das sich das Volumen der Nachfrage aufteilt. Die Produktion

wird auf die Nachfrage hin ausgebaut und flexibilisiert.

- Größere Dezentralisierung der Produktionsentscheidungen und kleinere Werksanlagen

begegnen der unsicheren und schwankenden Nachfrage.

- Vernetzung und Joint-ventures reduzieren die durch die starke vertikale Integration

anfallenden hohen Fixkosten. Unternehmensfunktionen werden zunehmend externalisiert

und zugekauft (outsourcing).

- Die Arbeitsteilung innerhalb einer Firma wird durch Abbau von Hierarchien und der

Verkleinerung der mittleren Führungsebene reduziert. Der Wert der allgemeinen Bildung

und Ausbildung steigt, die Arbeit wird durch Computerisierung anspruchsvoller, der

Anteil gering qualifizierter Arbeit geht ständig zurück.

Mit diesen neuen Managementprinzipien läßt sich das Wachstum der HuDl auf mehreren

Ebenen erklären. Durch die technische Flexibilisierung der Produktion steigt der Bedarf an

FuE, technischen Beratungs- und Wartungsdienstleistungen an. Die Integration von Ent-

wicklung, Produktion und Absatz erhöht die Bedeutung von Beratung und Planung, die

gestiegenen Qualifikationen die Bedeutung der betrieblichen Aus- und Weiterbildung.

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Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 25

Schließlich wird durch outsourcing im Zuge einer organisatorischen Flexibilisierung, d.h.

vor allem durch den Zukauf von HuDl, ein Wachstum angeregt.

Eine einheitliche Umsetzung dieser neuen Strategien ist jedoch nicht zu erwarten:

„Ein gegebenes Set von Institutionen, von unterschiedlichen Strategieentscheidungen in bedeut-samen historischen Phasen (beispielsweise der Zwischenkriegszeit) und die lange Trägheit von kul-turellen und sozialen Werten befördern gewöhnlich eine ganz unterschiedliche Umsetzung dergleichen allgemeinen Prinzipien. Dies war im Fordismus der Fall. Es gibt keinen Grund, warum einesolch starke nationale Vorliebe mit den neuen Managementstilen verschwinden sollte.“ (BOYER

1992: 94)

Auch PERRY (1992: 14) und KLOOSTERMAN (1996: 468) weisen darauf hin, daß nationale

Kontexte von entscheidender Bedeutung sind und die Übertragung sowie die Generalisie-

rung von Prozessen im Formationswechsel von einem Staat auf einen anderen daher nicht

möglich ist.

Die sich hieraus ergebende Rolle der HuDl im Formationswechsel wird im folgenden einge-

hender dargestellt.

3.2.2 Flexibilisierungstendenzen

Obwohl es bisher kaum empirisch abgesicherte Erkenntnisse über den Wandel der

Produktionsstruktur gibt, wird trotzdem vermutet, daß flexible Strukturen in Zukunft eine

wichtige Rolle spielen werden (BATHELT 1995, STERNBERG 1995). Bevor es zu

umwälzenden Umstrukturierungen kommt, werden die festgefügten fordistischen Strukturen

zunächst mit einer neuen Logik (KEIL 1992: 273) überdeckt, so daß die Entwicklung noch

stark von der alten Maske geprägt wird.

Die erwartete Flexibilisierung der gesamten Ökonomie betrifft die HuDl in einem doppelten

Sinne. Zum einen steigt deren Bedeutung in einer flexibilisierten ökonomischen Umwelt an,

zum anderen unterliegen sie selbst der Flexibilisierung. Beide Aspekte werden im folgenden

eingehender beleuchtet, zunächst sind jedoch die verschiedenen Ebenen der Flexibilisierung

aufzuzeigen.

Flexibilisierungsansätze lassen sich auf vier Ebenen feststellen:

- Es findet durch den Einsatz computergesteuerter Maschinen eine technische Flexibili-

sierung statt,

- die Arbeit wird flexibilisiert,

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Die Entwicklung der Dienstleistungen 26

- Unternehmen flexibilisieren sich durch vertikale Desintegration und

- die Internationalisierung nimmt zu.

Die Flexibilisierungstendenzen verursachen das Wachstum der HuDl, gleichzeitig ermöglicht

deren Ausdifferenzierung und Innovationskraft erst das rasche Vordringen der flexiblen

Produktion (COFFEY/BAILLY 1992). Räumlich führt die Flexibilisierung zur Herausbildung

neuer industrial spaces sowie zur Restrukturierung bestehender Industrieagglomerationen.

3.2.2.1 Technische Flexibilisierung

Die technische Flexibilisierung durch den Einsatz computergesteuerter Maschinen ermög-

licht die wirtschaftliche Produktion auch kleinerer Serien sowie die Anpassung an die sich

immer schneller ändernden Marktbedingungen (JESSOP 1992). Durch die Abkopplung des

Lebenszyklus der Maschinen vom Lebenszyklus der Produkte (DUNFORD 1990) wird eine

höhere Wertschöpfung angestrebt.

Der Einsatz flexibler Technologien ist jedoch nicht risikolos. Aus der langen, von bestimm-

ten Produktlinien unabhängigen Lebensdauer der flexiblen Maschinen ergibt sich ein hohes

Investitionsrisiko, da man sich bei der Erstanschaffung auf eine bestimmte Konfiguration

und somit eine bestimmte Entwicklungslinie festlegt. Weil die Kosten für software-updates

etc. sehr hoch sind, ist nicht sichergestellt, ob diese Maschinen insgesamt günstiger sind als

fordistische Ein-Zweck-Anlagen, die nach Ende eines Produktionszyklus einfach ausge-

tauscht werden (BATHELT 1995: 197f).

Gerade der hohe Kapitaleinsatz und die sich dadurch ergebenden Marktzutrittsbarrieren füh-

ren nicht nur zur Flexibilisierung kleiner und mittlerer Unternehmen, sondern vor allem zur

Flexibilisierung von Großkonzernen, die sich damit den geänderten Rahmenbedingungen

anpassen.

HuDl nehmen in der Umsetzung der technischen Flexibilisierung eine zentrale Stellung ein.

Technisch hochwertige Anlagen können nur durch intensive FuE-Arbeit entwickelt und im-

plementiert werden. Wenn auch die Bedienung solcher Anlagen durch lernfähige Maschinen

und einfache Programmierung immer leichter wird, so ist doch zur Instandhaltung nach wie

vor eine hohe Qualifikation der Beschäftigten erforderlich, so daß der Wert betrieblicher

und außerbetrieblicher Ausbildung steigt.

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Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 27

3.2.2.2 Flexibilisierung der Arbeit

Die Arbeit unterliegt einer doppelten Anpassung: sie wird sowohl numerisch als auch funk-

tional flexibilisiert (PERRY 1992).

Die numerische Flexibilisierung umfaßt die Lockerung der tarif- und arbeitsrechtlichen Be-

stimmungen, den Ausbau der Teilzeit-, Heim- und freien Mitarbeit mit befristeten Verträgen

und variabler Gestaltung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit bis hin zur Lebensar-

beitszeit.

Als wesentliches Kennzeichen der numerischen Flexibilisierung der Arbeit ist daher die Re-

duzierung der Kernbelegschaft bei gleichzeitigem Aufbau einer flexibel verfügbaren Ar-

beitskraftreserve zu sehen. Es bildet sich ein dualer Arbeitsmarkt von Kern- und Peripherbe-

schäftigten heraus (PERRY 1992: 4).

Die Koordinierung und Kontrolle der flexiblen Arbeitsverhältnisse und die sich hieraus er-

gebende quantitative Anpassung der Belegschaft an Konjunkturzyklen hebt die Bedeutung

des Managements und somit auch der HuDl.

Die funktionale Flexibilisierung versucht, durch Aufhebung der strikten tayloristischen Ar-

beitsorganisation mit den bekannten Schwächen (stark zergliederter Arbeitsablauf, Motiva-

tionsverluste, Anpassung an maschinenbestimmte Arbeitsintervalle) die Überwindung der

sozialen Grenzen (Demotivation, Streiks, Absentismus und sinkende Arbeitsleistung) der

fordistischen Wachstumsstruktur und eine größere Produktivität zu ermöglichen (BATHELT

1995: 181f, ILLERIS 1991).

Es wird angenommen, daß so dem zu verzeichnenden fordistischen productivity slow-down

durch die Reduzierung der tayloristischen Zersplitterung des Arbeitsablaufs begegnet wer-

den kann. Die Mechanisierung stößt nämlich dann an ihre Grenzen, wenn die Kapitalintensi-

tät der Produktion nicht mehr durch steigende Produktivität aufgefangen werden kann

(LÄPPLE 1986: 913). Die Aufhebung der strikten tayloristischen Arbeitsteilung und die sich

hierdurch ergebende vielseitigere Qualifikation der Beschäftigten läßt den Bedarf an be-

trieblicher und außerbetrieblicher Aus- und Weiterbildung, und damit nach Dienstleistungen,

steigen.

3.2.2.3 Die Externalisierung von Unternehmensfunktionen

3.2.2.3.1 Allgemeine Überlegungen zur Externalisierung

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Die Entwicklung der Dienstleistungen 28

Bei der Erklärung der Externalisierung von Unternehmensfunktionen nimmt der transakti-

onskostentheoretische Ansatz (WILLIAMSON 1975, 1985) eine zentrale Stellung ein.

Ökonomische Organisationen sind danach Ausdruck der Bemühungen um minimale Trans-

aktionskosten, die bei der Koordination ökonomischer Handlungen, ob innerhalb eines Un-

ternehmens oder zwischen mehreren Unternehmen, anfallen (STAUDACHER 1991: 72ff). Die

Höhe der Transaktionskosten bestimmt sich aus der

(1) Ressourcenspezifität: spezifische Ressourcen haben nur einen beschränkten Ein-

satzbereich; mit sinkender Ressourcenspezifität steigt die Flexibilität des Einsatzes.

(2) Unsicherheit: bei unspezifischen Ressourcen ist die Unsicherheit nur gering, da sie

vielseitig einsetzbar sind. Die hohe Unsicherheit bei spezifischen Ressourcen läßt das In-

teresse an Kontinuität wachsen.

(3) Tauschfrequenz: eine hohe Tauschfrequenz verursacht aufgrund der starken Ka-

pazitätsausschöpfung nur geringe Kosten, mit abnehmender Tauschfrequenz dagegen

steigen die Kosten (GRABHER 1988).

Der sozio-ökonomische Strukturwandel verursacht Informationsdefizite, die hohe externe

Transaktionskosten, aber auch hohe interne Kosten verursachen. Sind die internen Transak-

tionskosten höher als die externen, kommt es zur Externalisierung von Unternehmensfunk-

tionen. Externalisiert werden i. d. R. Funktionen, die abgrenzbar und definierbar sind und

deren Tauschfrequenz in Grenzen absehbar ist (STRAMBACH 1993: 44).

WIELAND (1995: 20ff) entwickelt zur Konkretisierung der Schwelle zur Externalisierung

von Unternehmensfunktionen das SMITH-STIGLER-COASE-Paradigma. Die drei auf SMITH,

STIGLER und COASE zurückgehenden Grundaussagen dieses Paradigmas sind:

SMITH: Die Größe des Marktes bestimmt das Ausmaß der Arbeitsteilung. Ein kleiner

Markt erlaubt keine Spezialisierung.

STIGLER: STIGLER überträgt SMITH'S Aussagen auf unternehmensinterne Entwicklungen.

Mit der Unternehmensgröße wächst die Wahrscheinlichkeit der Abspaltung von Un-

ternehmensteilen, da die internen Managementkosten zur Verwaltung dieser Spezialbe-

triebe ab einer bestimmten Größe zu sehr steigen.

COASE: Auch Marktbeziehungen haben ihre Kosten, eine Externalisierung wird erst

rentabel, wenn die internen Managementkosten höher sind als die externen Transaktions-

kosten.

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Der Grundgedanke des SMITH-STIGLER-COASE-Paradigmas ist demnach, daß Größenvortei-

le bei einer Unternehmensfunktion dazu führen, daß ein Teil des Outputs für den Markt

produziert wird. Das Verhältnis von internen zu externen Transaktionskosten entscheidet

dann darüber, ob die Produktion in einem selbständigen Unternehmen erfolgt bzw. zuge-

kauft wird. Ein Unternehmen ist dann optimal integriert, wenn beide Kostenarten sich die

Waage halten. (WIELAND 1995: 22f).

Die Externalisierung von Unternehmensfunktionen wird intensiv unter der Netzwerkhypo-

these diskutiert (GRABHER 1988, HELLGREN/STJERNBERG 1987, JOHANNISSON 1987,

JOHANSON/MATTSON 1987, DE JONG/MACHIELSE/DE RUIJTER 1992, STRAMBACH 1993,

WINCKLER ANDERSEN ET AL. 1990).

Netzwerke haben zwar eine starke metaphorische Kraft, sind aber schwierig zu erfassen und

zu bearbeiten. Es ist schwer zu trennen, ob in der Netzwerkdiskussion beobachtbare Phä-

nomene oder empfohlene Entwicklungslinien behandelt oder gemeint sind (MAYÈRE/VINOT

1993: 77). Die inhaltliche Bedeutung von Netzwerk ist daher ständig zu hinterfragen.

Netzwerke9 können das Ergebnis von Bemühungen um minimale Transaktionskosten sein,

indem sie eine Zwischenstellung zwischen hierarchischen (unternehmensinternen) und preis-

determinierten (marktgesteuerten) Beziehungen einnehmen. Sie sind diesen beiden Reinfor-

men überlegen, da sie (a) stabil und dauerhaft sind und (b) gegenüber hierarchischen Bezie-

hungen eine weitaus größere Redundanz aufweisen und insgesamt eher kooperativ als kom-

petitiv sind (STRAMBACH 1993). Netzwerke ermöglichen kleinen Unternehmen, in Branchen

mit hohen Marktzutrittsbarrieren (Skalenertrags-Zutrittsbarrieren, Absolutkosten-

Zutrittsbarrieren, Produktdifferenzierungs-Zutrittsbarrieren) Fuß zu fassen. Nicht mehr das

Modell des autarken Großunternehmens wird angestrebt, sondern die Nutzung der Vorteile

vieler kleiner Unternehmen auf dem sich weiter differenzierenden Markt steht im Vorder-

grund (GRABHER 1988).

Eine besondere Ausprägung von Netzwerken sind die kreativen Milieus. Beim kreativen

Milieu tritt die Art der Beziehung zwischen regionalen Institutionen in den Vordergrund.

Nicht die bloße Koexistenz von Unternehmen und Forschungseinrichtungen, sondern erst

eine Vernetzung und damit verbundene Synergieeffekte schaffen das entscheidende innova-

tionsfördernde Umfeld. Die Erfassung eines kreativen Milieus ist allerdings mit gewissen

Problemen behaftet (siehe hierzu FROMHOLD-EISEBITH 1995).

9 Je nach Definition darf man nur bei Beziehungen zwischen gleichberechtigten und unabhängigen Partnernvon Netzwerk sprechen (vgl. hierzu POWELL 1990). Da der Begriff sich aber auch zur Bezeichnung vondurch bestimmte Abhängigkeitsverhältnisse charakterisierte Beziehungen durchgesetzt hat, wird er auchhier verwendet.

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Ob Netzwerke tatsächlich ein zukünftiger Schlüsselfaktor für die Beschäftigung, Wert-

schöpfung und Wettbewerbsfähigkeit sind (WINCKLER ANDERSEN ET AL. 1990), muß be-

zweifelt werden, denn die postulierte Redundanz in Netzwerkbeziehungen wird durch die

zunehmende Dominierung der Zulieferer durch ihre Abnehmer ersetzt (BREMM/DANIELZYK

1993: 25).

Zudem können die langen, dezentralen Kommunikationswege in Netzwerken in Zeiten ra-

schen Wandels ungünstiger und teurer sein als kurze, hierarchische. Die Flexibilität kann in

Hierarchien trotz der möglicherweise sub-optimalen Entscheidungen aufgrund der kurzen

Informationswege größer sein, da schneller auf Veränderungen reagiert werden kann. Der

Befehl ersetzt die Diskussion.

Gegen das Eingehen von Netzwerkbeziehungen spricht zudem, daß strategisch bedeutsame

Informationen vertraulich behandelt werden müssen. Dies kann intern besser gewährleistet

werden als in Vertragsbeziehungen. Hinzu kommen Überzeugungsprobleme: Die Markt-

partner müssen von neuen Produkten, Verfahren oder Technologien erst überzeugt werden,

die internen Barrieren sind hier bedeutend niedriger, und es kann somit schneller und flexi-

bler gehandelt werden (WIELAND 1995).

Netzwerke sind gegenüber hierarchischen Beziehungen also nicht grundsätzlich im Vorteil.

Es muß zudem angemerkt werden, daß Netzwerkbeziehungen unabhängig von räumlicher

Nähe oder Ballung bestimmter Firmen sind. Es hat sich in einer Reihe von Untersuchungen

herausgestellt (u.a. HAUFF 1995), daß räumliche Nähe verschiedener Firmen eines Produk-

tionssektors weder zu horizontalen noch zu vertikalen Netzwerkbeziehungen in nennens-

wertem Umfang geführt hat.

Auf der anderen Seite vertritt GRABHER (1994) die These, daß gerade die verschwenderi-

sche Vielfalt redundanter Entwicklungslinien durch ihre Offenheit zum Erreichen der ange-

strebten Ziele beitragen kann:

„Durch die Tolerierung unterschiedlicher (nicht-optimaler) Entwicklungspfade erhöht der Verzicht[auf Maximaleffizienz und Optimalität] die Varianz von Entwicklungsoptionen und erweitert damitsozusagen den genetischen Pool für die Entwicklung neuer Lösungen. In diesem Sinne wirdEntwicklung nicht durch einen von Knappheit oktroyierten (geradlinigen) >one best way<vorangetrieben als vielmehr durch eine >verschwenderische< Produktion von (kurvenreichen)Entwicklungspfaden, die Optionen offenhalten.“ (GRABHER 1994: 13)

GRABHER geht von endogenen Blockierungen aus, die durch eine einseitige Anpassung von

Regionen an bestimmte Entwicklungspfade, beispielsweise im Ruhrgebiet, bedingt sind und

dadurch die regionale Anpassungsfähigkeit wesentlich einschränkten.

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„Regionale Anpassungsfähigkeit hängt ganz entscheidend von der Verfügbarkeit von überschüssigenund ungebundenen Ressourcen ab, die für eine Vielzahl vorher nicht bestimmbarer Zwecke ein-setzbar sind.“ (GRABHER 1994: 16)

Zwar bezieht sich GRABHER auf die regionale Anpassungsfähigkeit, doch sind Regionen

keine unabhängigen, festgefügten Gebilde, sondern bestimmen sich aus inhaltlichen Größen

wie Wirtschafts- und Sozialstruktur, Bevölkerungsdichte etc. Demnach ist mit der hier an-

gesprochenen regionalen Anpassungsfähigkeit im Kern die Anpassungsfähigkeit der Unter-

nehmen zu verstehen, die durch redundante unternehmerische Entwicklungslinien, wie sie

etwa für Netzwerkbeziehungen typisch sind, erhöht wird. Im Zuge immer kürzer werdender

Lebensspannen von Produktlinien, Herstellungs- und Vertriebsverfahren erlangt eben diese

Vielfalt optionaler Entwicklungspfade steigende Bedeutung und ist gerade unter dieser Per-

spektive hierarchischen, eindimensionalen Strukturen überlegen.

Aufgrund der vorangegangenen Überlegungen kann die Effizienz von Netzwerken also nicht

abschließend beurteilt werden. Dennoch kann der Netzwerkansatz grundsätzlich zum Ver-

ständnis der steigenden Bedeutung der HuDl in modernen Ökonomien beitragen.

3.2.2.3.2 Die Externalisierung von HuDl

Zwei Prozesse im Umstrukturierungsprozeß der Wirtschaft bestimmen die Expansion der

HuDl: Funktionales und sektorales Wachstum. Dabei werden die Externalisierung von

Diensten im Zuge einer vertikalen Desintegration (unbundling), also einer reinen Verschie-

bung von innen nach außen, und die Externalisierung von Diensten infolge eines steigenden

Bedarfs an Dienstleistungen (contracting out) unterschieden (O'FARRELL/

MOFFAT/HITCHENS 1993). Untersuchungen in Südost-England haben gezeigt, daß für den

jeweiligen Betrieb wesentliche Dienstleistungsfunktionen eher intern verrichtet werden,

während hochspezialisierte und selten nachgefragte bzw. auf einem schwankenden Bedarf

basierende Dienste aus Kostengründen externalisiert werden.

Auch OCHEL/WEGENER (1987) identifizieren potentielle Kostenersparnisse, eine bessere

Qualität, eine größere Flexibilität und die zunehmende Komplexität und Spezialisierung von

HuDl als Motive für die Externalisierung. Beispielsweise werden Werbung, Graphik-Design

und Marktforschung eher vergeben, während FuE, Produkt-Design, Produkt-Planung und

Qualitätskontrolle eher intern verrichtet werden. Wesentlich ist auch die Qualität des con-

tracting-out, die bedeutsamer ist als die reine Anzahl der vergebenen Funktionen. Zudem

variiert der Grad an Externalisierung mit dem Standort. STANBACK ET AL. (1981) vermuten,

daß sub-contracting in starkem Maße an hochzentrale, urbane Standorte gebunden ist.

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Die Entwicklung der Dienstleistungen 32

Der Prozeß der internen Diensterstellung wird in diesem Zusammenhang häufig übersehen,

da er statistisch nicht so einfach zu beobachten ist wie das contracting-out. TORDOIR (1994)

stellt hierzu fest, daß nur ein geringer Teil dieser Dienste in einer Arzt-Patient-Beziehung,

d.h. ein Laie sucht professionelle Hilfe, erbracht wird. Die Nachfrage nach extern angebote-

nen HuDl geht normalerweise von intern erbrachten Dienstleistungen aus, die zur Bewälti-

gung bestimmter Probleme externe Dienste in Anspruch nehmen. Eine scharfe Trennung

zwischen internen und externen Diensten ist somit nicht möglich, da die externen von den

internen geführt oder überwacht werden.

„In most cases, an inside professional acts as the manager of an outside professional, temporarilyworking on the client's premises. Thus, the use of external services follows from the development ofinternal professional functions: without internal professional capacity, no rational governance ofservice inputs can take place.“ (TORDOIR 1994: 325)

Auch HANSEN (1990) bemerkt, daß nicht nur die Externalisierung (wie noch von RAJAN

(1986) postuliert) von Dienstleistungen zum Wachstum des Sektors beigetragen hat, son-

dern daß eine allgemeine Expansion der HuDl hier von Bedeutung ist. Diese Expansion ist

der Schlüssel zur Beurteilung der zunehmenden Arbeitsteilung, in der es nicht mehr um die

Frage große vs. kleine Unternehmen geht, sondern in der sich wirtschaftliche Aktivitäten

zunehmend und sektorübergreifend vernetzen.

Die Nutzung von externen HuDl hängt wesentlich von der Firmengröße und dem Firmensta-

tus ab: Große Unternehmen nutzen externe HuDl eher als kleine. Zweigbetriebe10 verrichten

HuDl eher intern als extern, selbständige Firmen nutzen eher lokal angebotene HuDl als

große Unternehmen. Die meisten HuDl werden regional erbracht und gekauft, es sind aber

auch hiervon abweichende Strömungen zu erkennen (ILLERIS 1991).

Externalisierung und Internalisierung bilden somit keine Dichotomie, sondern stellen zwei

voneinander abhängige, sich in steter Veränderung befindende Elemente der Entwicklung

von der Industriegesellschaft zur Netzwerk-Wirtschaft (VAN DINTEREN ET AL. 1994) dar. In

dieser Netzwerk-Wirtschaft werden immer weniger Unternehmen dem Typ Ein Produkt, Ein

Produktionsstandort entsprechen, und immer mehr werden sowohl in ihrer Produktions- als

auch Standortstruktur differenziert sein. Sie bilden kleine Marktsysteme, haben einen varia-

blen Input-Mix und können so ihre Transaktionskosten minimieren (COFFEY/BAILLY 1992).

Insbesondere diese Entwicklung steigert den Bedarf an Dienstleistungen (MARTINELLI

1991(a)).

10 POTTER (1995) vermutet, daß durch die Spezialisierung der Unternehmen auch die Nutzung von HuDleine gestiegene Bedeutung für Zweigbetriebe erlangt und diese eine größere strategische Bedeutungbekommen.

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Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 33

Gleichzeitig zur äußeren Flexibilisierung halten fordistische Produktionsprinzipien

(Taylorisierung des Produktionsprozesses) in Dienstleistungsunternehmen Einzug. Neben

einer Expansion der HuDl infolge des wachsenden Bedarfs nach Dienstleistungs-Input in der

flexiblen Produktion unterliegen sie auch selbst Externalisierungs- und Flexibilisierungspro-

zessen, da die Nachfrage immer spezifischer und enger wird.

Ein Merkmal dieser Anpassung innerhalb der HuDl ist die Auslagerung von bestimmten

Funktionen in back offices. Zunächst waren nur standardisierte Routinefunktionen hiervon

betroffen, gegenwärtig werden jedoch bereits auch schon hochqualifizierte Tätigkeiten,

z. B. Software-Programmierung, externalisiert und in Billiglohnländer verlagert.

3.2.2.4 Die Internationalisierung der Ökonomie

Ein Hauptmerkmal der ökonomischen Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg ist die In-

ternationalisierung der Wirtschaft. Sie kann zunächst als Antwort auf die Krise der Produk-

tion gesehen werden, wirkt aber inzwischen selbst als eigenständiger Faktor gestaltend auf

den Kapitalismus ein (STORPER/SCOTT 1986). Sachgüterproduktion und Dienstleistungen,

insbesondere HuDl, unterliegen in zwei Bereichen der Internationalisierung: Sowohl der

Handel mit Sachgütern und Dienstleistungen, als auch Direktinvestitionen auf ausländischen

Märkten bilden die zentralen Komponenten des Globalisierungsprozesses. Märkte sind nicht

länger geschlossene, nationalstaatliche Systeme, sondern werden zusehends offener und

damit auch sensibler für global ablaufende Prozesse.

Von besonderem Interesse für diese Arbeit ist die Internationalisierung im HuDl-Bereich,

die sich auf zwei Ebenen ausdrückt. Erstens werden HuDl, wie auch Sachgüter, zunehmend

weltweit gehandelt, und zweitens werden in Form von Auslandsdirektinvestitionen neue

Märkte auch im HuDl-Bereich erschlossen.

Der internationale Handel mit Dienstleistungen ist allerdings sehr schwer zu quantifizieren,

da zum einen der firmen- bzw. konzern-interne Handel nicht erfaßt wird und zum anderen

die statistische Gliederung sehr grob ist und im wesentlichen nur Transportdienstleistungen

vom ganzen Rest unterscheidet (DANIELS 1993).

Der andere Bereich der Internationalisierung sind die Auslandsdirektinvestitionen. Häufig

reicht der Handel von HuDl nicht aus, da Bedarf an direkter Präsenz besteht (DANIELS

1993: 89ff). So hat sich z.B. die Struktur des Bestandes an ausländischen Direktinvestitio-

nen zugunsten des Anteils des Dienstleistungssektors zwischen 1970 und 1990 von 31% auf

50% erhöht (vgl. UNCTAD 1995: 10). Geprägt wurde diese Entwicklung besonders durch

den Bereich der Finanzdienstleistungen und der Handelsniederlassungen (DANIELS 1993:

90f)

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Die Entwicklung der Dienstleistungen 34

Der Transfer von Kapital und Know-how ermöglicht die flexible Nutzung von Standortvor-

teilen in der Produktion und die Neuerschließung von Märkten im globalen Maßstab. Die

Globalisierung darf jedoch nicht überbewertet werden. Die terms-of-trade der führenden

Nationen (Japan, USA und die westeuropäischen Staaten) haben sich seit den 60er Jahren

(bis auf einen leichten Anstieg von Im- und Exporten) kaum geändert (BUDD 1995: 345).

Im Rahmen der Internationalisierung ist für diese Arbeit die zunehmende Verselbständigung

des HuDl-Sektors, insbesondere des FIRE-Sektors (Finance, Insurance, Real Estate), zu

einem von den der Produktion direkt vor- bzw. nachgelagerten Dienstleistungen

abgekoppelten, eigenständigen Wachstumsmotor von grundlegender Bedeutung. Die

Bevorzugung bzw. Gefährdung bestimmter Standorte durch diesen Sektor mit seinen

Internationalisierungstendenzen und den sich daraus ergebenden Verschiebungen im

Städtesystem bilden eine wesentliche Determinante in der Entstehung räumlicher

Disparitäten.

Begünstigt wird die Internationalisierung vor allem durch die Verbesserungen im Bereich

der Telekommunikation, der Beschleunigung des Personentransports sowie der Deregulie-

rung nationaler Dienstleistungsmärkte (DANIELS 1993: 26ff).

Der These von der Globalisierung der Märkte stellt JOHNSON (1991) die der Regionalisie-

rung entgegen. Geht man von einer allgemeinen Globalisierung aus, müßten sich auf der

ganzen Welt ähnliche Entwicklungen abspielen, in der Tat profitieren aber nur bestimmte

Regionen von diesen (insbesondere in Asien und Europa), während andere (Afrika, Latein-

amerika) nur sehr begrenzte Wachstumstendenzen zeigen.

3.2.3 Die Netzwerk-Wirtschaft

Als ein Grundpfeiler des Strukturwandels wird von vielen Autoren die wachsende Arbeits-

teilung innerhalb der Wirtschaft, d.h. in der Sachgüterproduktion, aber auch zwischen Sach-

güterproduktion und HuDl, gesehen (BÖRDLEIN 1992, BRAKE/BREMM 1993, BRITTON

1990, DICKEN 1992, ILLERIS 1991, HANSEN 1990, MARTINELLI 1991(a), QUINN 1988, VAN

DINTEREN ET AL. 1994).

Abgelöst von diesem Ansatz wird die überkommene Annahme, daß eine reine Verschiebung

wirtschaftlicher Aktivitäten vom sekundären zum tertiären bzw. quartären Sektor erfolge

und damit die Dienstleistungs- an die Stelle der Industriegesellschaft trete (BELL 1973).

Beziehungen zwischen Unternehmen bedürfen jedoch nicht in jedem Fall der räumlichen

Nähe; funktionale Bindungen sind auch über größere Distanzen möglich.

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Der Begriff Deindustrialisierung ist demzufolge irreführend, da ein genereller Schrump-

fungsprozeß der Industrie unterstellt wird. Hiervon betroffen sind jedoch vor allem unflexi-

ble, alte und reife Industrien. Es findet eine Umstrukturierung statt, bei der diese Industrien

aufgrund ihrer Strukturprobleme von flexiblen Unternehmen mit entsprechenden Wettbe-

werbsvorteilen abgelöst werden. Die enge Verbindung und gegenseitige Abhängigkeit von

HuDl und Industrie lassen ein Verschwinden der Industrie ohne gleichzeitige negative

Auswirkungen auf die HuDl gar nicht zu. Deindustrialisierung ist also nur als Abbau alter

Industrien zu verstehen.

Unternehmen tauschen ständig Informationen mit der Umwelt aus. Wenn sich die Umwelt

ändert, muß sich das Unternehmen anpassen. Je schneller die Veränderungen ablaufen, um

so komplexer ist dieser Anpassungsprozeß. Erbracht wird diese Anpassung von den

Dienstleistungen und hier vor allem von den HuDl (u.a. Unternehmensführung, Marketing,

Controlling, Rechtsberatung, EDV-Einsatz, FuE), die somit für die Innovations- und An-

passungsfähigkeit eines Unternehmens von zentraler Bedeutung sind (NOLL 1988,

O'FARRELL/HITCHENS/MOFFAT 1995). Im Zuge der Flexibilisierung und der damit verbun-

denen angepaßten Produktion im Post-Fordismus ist als übergeordnete Funktion der HuDl

zusätzlich zu den Genannten das customizing, d.h. die Anpassung der Produkte an die je-

weiligen Wünsche und Anforderungen der Kunden, zu betrachten (MARTINELLI 1991(b)).

Die sich hieraus ergebende Vernetzung von Produktion und HuDl, die, abhängig von den

anfallenden Transaktionskosten, sowohl unternehmensintern als auch unter Einbeziehung

externer Dienstleistungsanbieter erfolgen kann, ermöglicht starke Produktivitätszuwächse

sowie steigende Einkommen (HANSEN 1990). ILLERIS (1991) schreibt so auch das wirt-

schaftliche Scheitern der Staaten Ost-Europas dem fehlenden Dienstleistungssektor zu.

Unter den besonderen Bedingungen sozialistischer Wirtschaftsweise in der industriellen

Phase wirkte der nur schwach ausgebildete Dienstleistungssektor wenig limitierend, doch in

der Phase der Umstrukturierung und den damit verbundenen gestiegenen Anforderungen an

Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit tritt das Fehlen der HuDl deutlich zutage.

In diesem Prozeß der wachsenden Arbeitsteilung haben sich bestimmte Teile der HuDl, vor

allem in großen Unternehmen und Konzernen im Bereich der Finanzdienstleistungen, ver-

selbständigt und sich zu einem eigenen Investitionsbereich entwickelt (BRITTON 1990: 543).

Ein großer Teil des HuDl-Wachstums ist heute hierauf zurückzuführen.

Die überkommene Basic-Nonbasic Argumentation, nach der Dienstleistungen im wesentli-

chen der abgeleiteten Nachfrage zugeordnet sind, wird somit abgelöst (BUCK 1988). GUILE

(1988: 1) stellt hier fest:

„Service Industries are core economic functions in any economy and are the dominant economic ac-tivity in industrialized nations, accounting for the majority of both jobs and national output.“

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Die Entwicklung der Dienstleistungen 36

Den HuDl, die eine strategische Position für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen

einnehmen, kommt somit eine zentrale Rolle zu. Ein reiner Input-Output-Vergleich

(Sachgüterproduktion-HuDl) ist allerdings nicht möglich, da hier die für die Wettbewerbs-

fähigkeit und Produktivität der Unternehmen angesprochenen strategischen Funktionen der

Dienste unberücksichtigt bleiben. Stattdessen betrachtet man heute beide Bereiche als ver-

netzt und komplementär, beide bedingen sich gegenseitig und können nicht voneinander

losgelöst betrachtet werden. Ähnlich beurteilen BADE (1986), COFFEY (1992), SCHAMP

(1995), STRAMBACH (1993, 1994) und WOOD (1986) die Bedeutung von wissensintensiven

Firmen, deren direkter Einfluß auf den Arbeitsmarkt, vor allem wegen der geringen Größe

vieler dieser Firmen, als niedrig angesehen wird. Viel wichtiger seien die indirekten Einflüs-

se, die durch die Stärkung der Marktposition von Unternehmen im produzierenden Bereich

ausgingen:

„...many service activities play a strategic role in facilitating the operationalisation of the flexiblemanufacturing concept, which places heavy demands on the firm's ability to co-ordinate and to man-age the flow of production.“ (COFFEY 1992: 139)

„Manufacturing inputs include more than raw materials, parts and components and labour: as wehave seen, services play an important and expanding role in the production of goods. The forwardand backward linkages of a manufacturing enterprise involve not just the transport of physical ob-jects, but also the communication of information, expertise and technical ability.“ (COFFEY/BAILLY

1992: 862)

Somit erweist sich die Unterscheidung Sachgüter vs. Dienstleistungen als nicht länger halt-

bar, da beide Bereiche eng miteinander verknüpft sind (sog. packages). Der Dienstlei-

stungsanteil in Sachgütern steigt ständig weiter an, die Trennung der beiden Bereiche kann

nicht mehr aufrechterhalten werden (BAILLY 1990, BRITTON 1990, COFFEY/BAILLY 1990,

CORIAT/PETIT 1991, DANIELS 1991, O'FARRELL/HITCHENS 1990, SCHAMP 1995). Die Pro-

duktion von Sachgütern benötigt zum Funktionieren Dienstleistungen und umgekehrt (siehe

hierzu auch DICKEN 1992: 352ff). Die Beziehung des produzierenden Gewerbes zu den

Dienstleistungen muß daher als ein symbiotisches Verhältnis angesehen werden, in dem kein

Bereich als entweder dominierend oder unproduktiv betrachtet werden darf.

Es muß jedoch angemerkt werden, daß die Nutzer von HuDl heute allenfalls einen geringen

Überblick darüber haben, inwieweit die Inanspruchnahme von HuDl ihr Geschäftsergebnis

tatsächlich beeinflußt. In der Regel sind die Effekte der HuDl nahezu unbekannt. Die Zeit-

spanne zwischen Entwicklung und Markteinführung eines Produktes erschwert die Ab-

schätzung der Bedeutung von HuDl, so daß deren Effizienz bei der Produktentwicklung nur

schwer zu ermitteln ist (O'FARRELL/MOFFAT 1995).

Die traditionelle Neoklassik mit ihrem Marktmodell erweist sich daher bei näherer Betrach-

tung für die Erklärung der Expansion des Dienstleistungssektors, und hier vor allem der

HuDl, als ungeeignet. Die Annahme einfacher Input-Output Beziehungen wird der komple-

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Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 37

xen Realität der HuDl nicht gerecht. Die Produktion von Wissen und Information erfolgt

über eine Vielzahl von Ein- und Ausgängen, bei denen der Kunde zum Co-Produzenten und

der Produzent von Dienstleistungen zum Co-Kunden wird (DANIELS/MOULAERT 1991,

MOULAERT/MARTINELLI /DJELLAL 1991).

Je höherwertiger die Funktion der Dienstleistungen ist, um so mehr verwischen die Grenzen

zwischen Anbietern und Abnehmern. Die Rollen sind nicht mehr einfach zu bestimmen und

festzulegen. Ein reines Verhalten als Kunde oder Anbieter, wie in der Neoklassik üblicher-

weise unterstellt, existiert nicht mehr. Die HuDl bilden ein hochkomplexes, vernetztes Ge-

füge untereinander und mit anderen Wirtschaftszweigen.

3.2.4 Zusammenfassung

Wie gezeigt, erfolgt im Strukturwandel nicht eine reine Verschiebung wirtschaftlicher Ak-

tivitäten vom sekundären zum tertiären Sektor, sondern den Formationswechsel charakteri-

siert besonders eine qualitative Änderung und zunehmende Vernetzung in der Wirtschaft:

Zusammenfassend läßt sich vor allem folgender Ursachenkomplex für die gestiegene Bedeu-

tung und das explosionsartige Wachstum der HuDl ausmachen:

1) Globalisierung von Sachgüterproduktion und HuDl,

2) Ausdifferenzierung der Märkte,

3) verschärfter Wettbewerb,

4) technologischer Wandel,

5) organisatorischer Wandel.

6) Selbstverstärkungseffekte: Zur Bewältigung des zunehmenden Informationsflusses

werden selbst wieder HuDl benötigt. (ILLERIS 1989: 55f)

3.3 Die Bedeutung der HuDl für die Regionalentwicklung und -politik

Die in den vorangegangenen Abschnitten skizzierte grundlegende Bedeutung der HuDl im

wirtschaftlichen Strukturwandel läßt sie als einen entscheidenden Faktor in der Regional-

entwicklung erscheinen. Regionalentwicklung ist hier in einem doppelten Sinne zu verste-

hen. Das empirische Verständnis umfaßt die beobachtbaren Auswirkungen, die HuDl auf die

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Die Entwicklung der Dienstleistungen 38

- vor allem ökonomische - Regionalentwicklung haben. Das normative Verständnis bezieht

sich dagegen auf die regionalpolitische Bedeutung der HuDl.

Im folgenden wird, aufbauend auf dem im Verhältnis zur Entwicklung der haushaltsorien-

tierten Dienstleistungen überdurchschnittlichen Anstieg der HuDl und deren strategischer

Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen die ökonomische Bedeutung der

HuDl abgeleitet. Daraus ergeben sich dann regionalpolitische Schlußfolgerungen.

Nach dem Wachstumseinbruch Mitte der 1970er Jahre und dem daraus resultierenden so-

zio-ökonomischen Strukturwandel läßt sich eine zunehmende Fokussierung des öffentlichen

Bewußtseins auf den Dienstleistungssektor als Hoffnungsträger für die zukünftige Siche-

rung und Stabilisierung der Beschäftigung erkennen: Produktivitätsfortschritte schaffen

Einkommenssteigerungen, die den Konsum einkommenselastischer Produkte, wie z. B. der

Dienstleistungen, ermöglichen.

Der Dienstleistungsbedarf der privaten Haushalte wird jedoch zunehmend durch do-it your-

self einerseits und menschliche Arbeitskraft ersetzende Konsumgüter (z. B. Küchenmaschi-

nen) andererseits gedeckt. Impulse für den Dienstleistungssektor blieben als Folge dieser

Substitutionseffekte durch Bedarfsdeckungsalternativen daher hinter den Erwartungen zu-

rück. Obendrein waren die Produktivitätsfortschritte im Dienstleistungssektor größer als

erwartet, während FOURASTIÉ noch von nur geringen Fortschritten ausging (HEINZE 1987),

so daß auch aus diesem Grund die Beschäftigungsentwicklung hinter den Erwartungen zu-

rückblieb.

Im Gegensatz zu den in Kap. 2.2 referierten klassischen Ansätzen ist inzwischen herrschen-

de Meinung, daß das Wachstum des Dienstleistungssektors nicht ausschließlich mit dem

steigenden Konsum der Haushalte zu begründen ist. Vielmehr überwiegt die Auffassung,

daß es wesentlich von den unternehmensorientierten Dienstleistungen, und hier besonders

von den höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen (HuDl), getragen wird

(ALBACH 1989, HANSEN 1990, MARTINELLI 1991(a), VAN DINTEREN ET AL. 1994).

Dieses Wachstum ergibt sich aus zwei unterschiedlichen Prozessen:

(1) Erstens wachsen HuDl und Sachgüterproduktion in symbiotischer Beziehung immer

näher zusammen, d.h. der Dienstleistungsanteil in der Produktion von Sachgütern nimmt

zu.

(2) Zweitens ist die zunehmende Verselbständigung bestimmter Teile der HuDl, vor al-

lem des sog. FIRE-Sektors (Finance, Insurance, Real-Estate) festzustellen.

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Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 39

(1) Aus der strategischen Bedeutung, die den HuDl für die Wettbewerbsfähigkeit von Un-

ternehmen zugewiesen wird, läßt sich die verlockende regionalpolitische Schlußfolgerung

ziehen, daß die HuDl ein geeignetes und wirksames Instrument politischer Steuerung zur

Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur sein könnten. Vor allem eine positive Be-

schäftigungsentwicklung wird von einer verstärkten Ansiedlung von HuDl erwartet, die sich

nicht nur quantitativ, sondern vor allem auch qualitativ auswirkt. HuDl-Berufe sind typi-

scherweise höherwertig und gut bezahlt, während haushaltsorientierte Dienstleistungsberufe

häufig sozial wenig abgesichert und schlecht bezahlt sind (sog. mac-jobs).

In einer Reihe von Arbeiten hat BADE (1986, 1987) zeigen können, daß nicht die sektorale

Struktur der Industrie Aussagen über die zukünftige Entwicklung der regionalen Wirtschaft

erlaubt, sondern daß überwiegend die HuDl hier von Bedeutung sind. Mit Hilfe von Shift-

Analysen konnte kein Zusammenhang zwischen sektoraler Wirtschaftsstruktur und zukünf-

tiger Entwicklung festgestellt werden.

Regionen, bei denen aufgrund ihrer Struktur eher mit unterdurchschnittlichen Zuwachsraten

zu rechnen war (z.B. Rhein-Main), zeichneten sich durch eine überdurchschnittlich positive

Entwicklung aus, während auf der anderen Seite Regionen (z.B. Ruhrgebiet) noch weiter

hinter den Erwartungen zurückblieben, als ihre ohnehin schon ungünstige Wirtschaftsstruk-

tur dies erwarten ließ. Das gleiche Bild ergab sich bei einer funktionalen Betrachtung der

regionalen Wirtschaftsstruktur. Erst unter besonderer Einbeziehung von HuDl, auf deren

strategische Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen bereits hingewiesen

wurde, konnten die jeweiligen Entwicklungen erklärt werden (BADE 1986: 710).

HuDl haben somit eine wesentliche Bedeutung für die regionale Beschäftigungsentwicklung

und sind überproportional an die Gesamtentwicklung gekoppelt: Ein starkes, allgemeines

Wachstum korreliert mit einem noch stärkeren HuDl-Wachstum, während auf der anderen

Seite Schrumpfungsprozesse sich verstärkt auf die HuDl auswirken

(BADE/MIDDELMANN /SCHÜLER 1990: 37).

Wenn die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen von ihrem Einsatz an HuDl abhängt und

durch die damit gestiegene Nachfrage gleichzeitig auch die Expansion der HuDl erklärt

wird, kann die regionalpolitische Schlußfolgerung nur sein, nicht allein HuDl anzusiedeln,

sondern ein komplexes Wirtschaftsgefüge zu stimulieren, das einen fruchtbaren Boden für

die nachhaltige Entwicklung einer aktiven HuDl-Szene ermöglicht (HATZFELD/SCHRÖER

1993, MARTINELLI 1991(a)).

(2) Für die Regionalentwicklung in breiter Perspektive, sowohl in heuristischem als auch in

normativ-planerischem Verständnis, erweist sich die Abkopplung bestimmter HuDl-

Bereiche vom regionalen bzw. nationalen Wirtschaftsgeschehen als sehr problematisch. Die

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Die Entwicklung der Dienstleistungen 40

Standorte dieser HuDl-Unternehmen konzentrieren sich deutlich auf die Knoten im globalen

Städtenetz (Global Cities) und führen dadurch zu einer Polarisierung zwischen den hiervon

profitierenden Standorten, im Gegensatz zu den von dieser Entwicklung abgehängten Städ-

ten.

Neben dieser zwischenstädtischen Polarisierung werden innerhalb der Global Cities zuneh-

mende innerstädtische soziale und baulich-räumliche Spaltungstendenzen deutlich. Die so-

ziale Kluft zwischen HuDl-Standorten und übrigem Stadtgebiet wird immer tiefer, da nur

ein kleiner Teil der Bevölkerung von der positiven Entwicklung profitiert. Parallel zu den

sozialen Prozessen findet die Gentrifizierung bevorzugter Stadtviertel, insbesondere der Ci-

ty, bei gleichzeitigem Verfall der von der Entwicklung abgekoppelten Gebiete statt.

Besondere Bedeutung erlangen die HuDl für die Regionalentwicklung unter regulations-

theoretischer Perspektive. Die bisher vorherrschenden Unterschiede zwischen Kern und Pe-

ripherie basieren auf den bekannten Standortanforderungen der Großunternehmen im for-

distischen Produktionsablauf. Nach dem Ende dieser Formation entstehen neue regionale

Disparitäten, bei deren Überwindung zwei Faktoren von zentraler Bedeutung sind:

(1) Erstens können der notwendige Informationsaustausch, die firmenübergreifende Zu-

sammenarbeit und die gestiegenen Qualifikationsanforderungen an die Arbeitnehmer nur

durch den Einsatz von HuDl bewältigt werden,

(2) zweitens sind nur Regionen bei der Überwindung der Krise erfolgreich, in denen die

Kosten der ökonomischen Anpassungsprozesse nicht allein dem Markt aufgebürdet, son-

dern vom Staat aufgefangen werden (STORPER/SCOTT 1992: 12ff). Ein ungeregelter Markt

kann die notwendigen Anpassungen nicht erreichen, da die kurz- und mittelfristigen Aus-

wirkungen der Anpassungen vor allem auf dem Arbeitsmarkt zu erheblichen sozialen Pro-

blemen führen, die öffentlichen Handlungsbedarf verursachen.