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45. Jg. (2), 355-367, 2013 355 SCHWERPUNKT Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis, The Mindful Team – Achtsamkeit als identitätsbildender Faktor im Behandlungsteam einer Psychotherapiestation Christoph Fuhrhans Zusammenfassung: Mit der Verbreitung der achtsamkeitsorientierten Psychotherapien gewinnt die Vermittlung von Achtsamkeit an PatientInnen auch in der stationären Psychotherapie zunehmend an Bedeutung. In vielen Untersuchungen ist belegt, dass MitarbeiterInnen in psychosozialen Berufen von eigener Achtsamkeitspraxis für sich selbst wie auch im Umgang mit PatientInnen profitieren. Der vorliegende Erfahrungsbericht beschreibt erstmals, wie das gesamte Behandlungsteam einer Psychotherapiestation beschließt und umsetzt, die Prinzipien eines achtsamen Zusam- menlebens und Umgangs auch auf sich selbst anzuwenden, um eigenen Stress zu reduzieren und mit krisenhaften Situationen im Team und in der Einrichtung besser umgehen zu können. Es wird dargestellt, wie eine fortlaufende Schulung und Übung in Achtsamkeit im Team im Laufe der Zeit eine übergreifende „Achtsamkeits-Identität“ entstehen lässt, unter deren Dach kontroverse Ansichten konstruktiv genutzt werden und die Teamatmosphäre sich deutlich verbessert. Zwei unterschiedliche Therapieprogramme, die stationäre DBT nach M. M. Linehan und die stationäre Schematherapie nach J. E. Young, können erfolgreich auf der gleichen Station angeboten werden, ohne das Behandlungsteam damit zu überfordern. Schlüsselwörter: Achtsamkeit, stationäre Psychotherapie, Behandlungsteam The Mindful Team – Mindfulness as an Identity-building Factor for a Psychotherapy Unit Treatment Team Abstract: Due to the expansion of the use of mindfulness based therapies, the teaching of mindfulness to clients is increasingly becoming important in inpatient psychotherapy units. There is good evidence in existing literature that individual mindfulness practice has many positive effects for members of different psychosocial professions – for both mental health professionals as well as for their clients. For the first time, this article describes the decision of an inpatient psychotherapy unit treat- ment team to implement the principles of mindfulness into their daily work in order to red- uce stress and to deal better with critical situations within the team or within the clinic. The report further describes how the ongoing process of continuous mindfulness education and training leads to a „team mindfulness identity”. Under the umbrella of this mindfulness identity, the team can better deal with controversial viewpoints and the team atmosphere improves considerably. Two different and entire inpatient psychotherapy programs – a dialec- tical behavioral therapy program and a schema therapy program – can be offered to the clients and within the team structure without overstressing the team. Keywords: Mindfulness, psychotherapy unit, treatment team Einleitung Die stationäre Psychotherapie hat es gegenwärtig nicht leicht. Von allen Seiten erfährt sie Einschrän- kungen. Die Behandlungsfälle werden komplexer, die Krankheitsbilder multimorbider, oft stehen so- zialpsychotherapeutische Belange im Vordergrund. Im Gegenzug wird an der personellen Ausstattung gespart, die Verweildauer wird gekürzt, der „turno- ver“ erhöht. Immer wieder einmal wird ihre Berech- tigung gänzlich in Frage gestellt. Um dem wachsen-

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mindfullness, psychiatric hospital

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45. Jg. (2), 355-367, 2013 355

Schwerpunktthe Mindful teaM SchwerpunktSchwerpunkt

Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis,

The Mindful Team – Achtsamkeit als identitätsbildender Faktor im Behandlungsteam

einer PsychotherapiestationChristoph Fuhrhans

Zusammenfassung: Mit der Verbreitung der achtsamkeitsorientierten Psychotherapien gewinnt die Vermittlung von Achtsamkeit an PatientInnen auch in der stationären Psychotherapie zunehmend an Bedeutung. In vielen Untersuchungen ist belegt, dass MitarbeiterInnen in psychosozialen Berufen von eigener Achtsamkeitspraxis für sich selbst wie auch im Umgang mit PatientInnen profitieren.

Der vorliegende Erfahrungsbericht beschreibt erstmals, wie das gesamte Behandlungsteam einer Psychotherapiestation beschließt und umsetzt, die Prinzipien eines achtsamen Zusam-menlebens und Umgangs auch auf sich selbst anzuwenden, um eigenen Stress zu reduzieren und mit krisenhaften Situationen im Team und in der Einrichtung besser umgehen zu können. Es wird dargestellt, wie eine fortlaufende Schulung und Übung in Achtsamkeit im Team im Laufe der Zeit eine übergreifende „Achtsamkeits-Identität“ entstehen lässt, unter deren Dach kontroverse Ansichten konstruktiv genutzt werden und die Teamatmosphäre sich deutlich verbessert. Zwei unterschiedliche Therapieprogramme, die stationäre DBT nach M. M. Linehan und die stationäre Schematherapie nach J. E. Young, können erfolgreich auf der gleichen Station angeboten werden, ohne das Behandlungsteam damit zu überfordern.

Schlüsselwörter: Achtsamkeit, stationäre Psychotherapie, Behandlungsteam

The Mindful Team – Mindfulness as an Identity-building Factor for a Psychotherapy Unit Treatment TeamAbstract: Due to the expansion of the use of mindfulness based therapies, the teaching of mindfulness to clients is increasingly becoming important in inpatient psychotherapy units. There is good evidence in existing literature that individual mindfulness practice has many positive effects for members of different psychosocial professions – for both mental health professionals as well as for their clients.

For the first time, this article describes the decision of an inpatient psychotherapy unit treat-ment team to implement the principles of mindfulness into their daily work in order to red-uce stress and to deal better with critical situations within the team or within the clinic. The report further describes how the ongoing process of continuous mindfulness education and training leads to a „team mindfulness identity”. Under the umbrella of this mindfulness identity, the team can better deal with controversial viewpoints and the team atmosphere improves considerably. Two different and entire inpatient psychotherapy programs – a dialec-tical behavioral therapy program and a schema therapy program – can be offered to the clients and within the team structure without overstressing the team.

Keywords: Mindfulness, psychotherapy unit, treatment team

EinleitungDie stationäre Psychotherapie hat es gegenwärtig nicht leicht. Von allen Seiten erfährt sie Einschrän-kungen. Die Behandlungsfälle werden komplexer, die Krankheitsbilder multimorbider, oft stehen so-

zialpsychotherapeutische Belange im Vordergrund. Im Gegenzug wird an der personellen Ausstattung gespart, die Verweildauer wird gekürzt, der „turno-ver“ erhöht. Immer wieder einmal wird ihre Berech-tigung gänzlich in Frage gestellt. Um dem wachsen-

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Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis356

Schwerpunkt chriStoph FuhrhanS

den Druck etwas entgegensetzen zu können, müssen sich die Behandlungsteams etwas einfallen lassen.

Das Behandlungsteam der Psychotherapiesta-tion für junge Erwachsene an der Clienia Littenheid AG, Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, in Littenheid/Schweiz arbeitet sehr spezialisiert. Zwei stationäre Therapieprogramme, eines in Dia-lektisch-Behavioraler Therapie (DBT; nach M. M. Linehan) und eines in Schematherapie (nach J. E. Young) werden für insgesamt 20 PatientInnen an-geboten und ständig weiterentwickelt. Um einem Auseinanderfallen oder einer Überhitzung des Be-handlungsteams entgegenzutreten, bildete sich eine gemeinsame Achtsamkeitspraxis für das gesamte Behandlungsteam heraus und wird inzwischen als methodenübergreifende Teamidentität erlebt.

Stand der LiteraturUngeachtet der Tatsache, dass der Achtsamkeitsbegriff teilweise uneinheitlich definiert und verwendet wird (siehe den Beitrag von Tatschner & Auckenthaler, in diesem Heft), ist die positive Auswirkung eines ei-genen Achtsamkeitstrainings auf die Arbeitstätigkeit bei MitarbeiterInnen psychosozialer Berufe mittler-weile vielfältig belegt. Achtsamkeit verbessert bei PsychotherapeutInnen die Empathie und die Selbst-wirksamkeit (Alvarez de Lorenzana, 2008; Wang, 2006; Greason & Cashwell, 2009; Hortynska, 2011) und die Qualität der therapeutischen Beziehung (Wex-ler, 2006; Hick & Bien, 2010). Zum Zusammenhang zwischen eigener Achtsamkeitspraxis des Thera-peuten und Therapie-Outcome liegen ebenfalls po-sitive Ergebnisse (Grepmair et al., 2007; Bruce, 2008; Bruce, Manber, Shapiro & Constantino, 2010) vor, teils wird kein eindeutiger Zusammenhang gefunden (Stratton, 2005). In eine Metaanalyse (Escurieux & Labbé, 2011) wurden elf Studien aufgenommen, die einen positiven Zusammenhang zwischen Thera-peutenachtsamkeit und Therapie-Outcome belegen und neun Studien, bei denen das für bestimmte Variablen nicht der Fall war. Bei berufsgruppenge-mischten KlinikmitarbeiterInnen fand sich eine Reduktion an Stress- und Burnout-Erleben sowie eine Zunahme an Lebenszufriedenheit und Selbst-zuwendung (Shapiro, Astin, Bishop & Cordova, 2005). Ein Achtsamkeitstraining für Pflegepersonal verbessert die subjektive Lebensqualität und mindert wahrgenommenen Stress (Mackenzie, Poulin & Seidman-Carlson, 2006; Cohen-Katz et al., 2005; Schenström, Rönnberg & Bodlund, 2007; Kang, Choi & Ryu, 2009), ein Achtsamkeitstraining für leitendes Pflegepersonal verbesserte die eigene Be-

findlichkeit signifikant stärker als ein Management-Kurs in der Kontrollgruppe (Pipe et al., 2009).

Zum Einfluss eines Achtsamkeitstrainings auf Behandlungsteams im stationär psychiatrisch-psycho-therapeutischen Bereich liegen bislang wenige Unter-suchungen vor, die ausschließlich Teams auf psychia-trischen Stationen betreffen. Singh, Singh, Sabaawi, Myers und Wahler (2006) fanden bei drei Behand-lungsteams psychiatrischer Langzeitstationen, die elf, acht oder sechs Sitzungen eines Achtsamkeitstrainings erhielten, deutliche Steigerungen der Arbeitseffizienz, der Patiententeilnahme an Gruppen- und Einzelthe-rapieterminen, der Zufriedenheit bei Teammitgliedern und PatientInnen mit der Arbeit des Teams. Die Effekte waren bei Follow-up-Untersuchungen nach drei, sechs, neun und zwölf Monaten stabil. Ähnlich fanden Bra-dy, O’Connor, Burgermeister und Hanson (2012) durch einen MBSR-Kurs bei den Mitgliedern eines akutpsy-chiatrischen Behandlungsteams insgesamt eine Stress-reduktion, eine Verbesserung der Selbstfürsorge und der Fürsorge für PatientInnen.

Für Behandlungsteams auf Psychotherapiesta-tionen liegen bislang keine Untersuchungen oder Erfahrungsberichte vor.

Die Entstehung der gemeinsamen Achtsamkeitspraxis im Team der Psychotherapiestation für junge Erwachsene in LittenheidDie Privatklinik Clienia Littenheid AG liegt, be-schaulich und etwas abgeschieden, eine halbe Auto-stunde südlich von Konstanz. Auf der Psychothe-rapiestation für junge Erwachsene werden überwie-gend PatientInnen mit Persönlichkeitsstörungen, großenteils Borderline-Störungen, behandelt, die oft eine Komorbidität mit Ess-, Angst-, Zwangs- oder Traumastörungen aufweisen. Es besteht ein eigenes Programm für Essstörungen.

Im Jahr 2002 wurde – zunächst auf Initiative der Pflegenden – begonnen, auf der traditionell psycho-dynamisch ausgerichteten Station mit Elementen der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT; Linehan, 1993) zu arbeiten. Durch die DBT-Skillsgruppe, die „Diary Card“ und andere DBT-Elemente, alle damals noch ausschließlich im Bereich der Pflege realisiert, hielten auch der Begriff und der Gedanke der Acht-samkeit Einzug. Die EinzeltherapeutInnen standen der Praxis gemeinsamer Achtsamkeitsübungen im Team, oder gar gemeinsam mit den PatientInnen in den Stationsversammlungen, zwar zunächst teilwei-se skeptisch gegenüber, gleichwohl begannen diese Rituale sich zu etablieren.

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Schwerpunktthe Mindful teaM

Als 2003 ein DBT-erfahrener Oberarzt die the-rapeutische Leitung der Station übernahm, der die DBT auch als Haltung der TherapeutInnen favori-sierte, begann eine längere Auseinandersetzungs- und Klärungsphase um Therapiekonzepte und therapeu-tische Ausrichtung der Station unter TherapeutInnen, Pflegenden und Bereichsleitung. In dieser Übergangs-phase, die von wechselnden Konzepten und gleich-zeitig der Suche nach einer neuen Teamidentität geprägt war, war es nicht zufällig die Achtsamkeit, die sich als verbindendes Konzept, als therapieschu-len- und berufsgruppenübergreifender Nenner he-rausbildete. Einerseits sollte die Achtsamkeit in der Therapie selbst eine wichtige Rolle spielen und den PatientInnen unabhängig von der schulischen Her-kunft ihrer TherapeutInnen vermittelt werden, vor allem aber auch den Umgang der Teammitglieder untereinander bestimmen. Diese Achtsamkeitsiden-tität, die das Team sich künftig zu geben beschloss und die auch von der Bereichsleitung getragen wur-de, sollte dabei das landläufige gewordene DBT-Diktum: „Erstens: Mache DBT mit dir selbst, zwei-tens: Mache DBT mit deinem Team, drittens: Mache DBT mit deinen Patienten“, das auf eine Formulie-rung von Swenson, Torrey und Koerner (2002) zu-rückgeht, auf die gemeinsame künftige Achtsamkeits-praxis anwenden: „1. mache Achtsamkeit mit dir selbst, 2. mache Achtsamkeit mit deinem Team, 3. mache Achtsamkeit mit deinen Patienten“. Bei dieser Entscheidung spielten sicher die bisherigen DBT-Aktivitäten des Teams eine Rolle – verändert doch die Anwendung der DBT die Haltung der DBT-Aktiven zunehmend in Richtung eigener Achtsam-keitspraxis, die wiederum als stressreduzierend erlebt wird (Gunia, 2008).

Nach dem offiziellen Team-Beschluss stellte sich bald heraus, dass auch innerhalb des Teams unter-schiedliche Auffassungen darüber bestanden, worin denn Achtsamkeit nun genau bestehe, so dass ein professionelles, regelmäßiges Achtsamkeitstraining für das Gesamtteam durch eine externe Achtsam-keitslehrerin sinnvoll erschien und gewünscht wurde. Von ihr angeleitete „Achtsamkeitstage“, u. a. im „Haus Tao“, einem buddhistischen Meditationszen-trum am Bodensee, wurden eingeführt und zeigten sowohl auf eine individuelle Achtsamkeitspraxis jedes Einzelnen als auch auf einen achtsameren, gelasseneren und respektvollen Umgang im Team Wirkung. Im Team entwickelte sich ein Bewusstsein dafür, dass Achtsamkeit zwar in der DBT eine große Rolle spielt, aber als eigene Haltung und Praxis von der DBT unabhängig ist und über die DBT hinaus-geht. Diese mittlerweile grundsätzlich im Team

verankerte Einstellung war später oft hilfreich, wenn methodische Neuerungen oder Krisen allgemeiner Art drohten.

Die gemeinsame Achtsamkeitspraxis wirkte interessanterweise wieder auf die Konzeptbildung zurück: Das Behandlungsteam beschloss nunmehr, die Vollversion der stationären DBT für zehn Pati-entInnen einzuführen und die Zertifizierung als DBT-Station durch den deutschsprachigen DBT-Dachverband (DDBT e. V.) anzustreben. Das wie-derum brachte die weitreichende, aber letztlich als erleichternd und vereinfachend erlebte Umstellung von der psychodynamischen bzw. „methodeninte-grativen Behandlungsstation“ zur „Verhaltensthe-rapiestation“ mit sich – ein Prozess, der natürlich von Bereichs- und Klinikleitung mit entschieden und getragen werden wusste und es auch wurde. Auf frei werdende Therapeuten-Stellen wurden verhaltenstherapieerfahrene TherapeutInnen ein-gestellt, das Pflegeteam wurde umfassend in Grund-lagen der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) ge-schult.

Zunehmend entwickelte sich eine „Achtsamkeits-Kultur“ im Team: Den Achtsamkeitsübungen zu Be-ginn der Teamsitzungen kam eine wichtige Bedeutung zu, der aus DBT-Teamsitzungen bekannte „Hüter der Dialektik“ erhielt die besondere Funktion eines „Hü-ters der Achtsamkeit“, der auf einen achtsamen Um-gang miteinander, ein nicht-wertendes Sprechen über PatientInnen und abwesende MitarbeiterInnen achten sollte. Neue Achtsamkeitsübungen, die von Team-mitgliedern eingebracht wurden, flossen in eine stetig wachsende stationsinterne „Achtsamkeitssammlung“ ein, die strikt vor dem begehrlichen Zugriff anderer Stationen gehütet wurde und für die ein eigener „Hüter der Achtsamkeitssammlung“ bestellt wurde. Auch auf die Vermittlung von Achtsamkeit an die PatientInnen wirkte sich das regelmäßige Achtsam-keitstraining aus: Auf Vorschlag eines Pflegenden wurde einmal wöchentlich ein im Schweigen zu verbringendes „achtsames Abendessen“ eingeführt, dass nach einigen Modifikationen bis heute zum festen Wochenplan der Station gehört. Die Jahre 2006 bis 2008, in denen auf die DBT-Zertifizierung hingearbeitet wurde, erzeugten ein Kohärenzgefühl und ein Avantgarde-Bewusstsein im Behandlungs-team, und die gemeinsame Praxis der Achtsamkeit bildete ihr Zentrum.

2008 erhielt die Station, als dritte Station in der Schweiz, die begehrte Zertifizierung zur DBT-Stati-on und bekam von der Klinikleitung eine überdimen-sionale Klangschale zum Geschenk, die künftig ein eigenes Regal im Stationszimmer zierte.

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Auf stationskonzeptueller Ebene hatten sich mittlerweile neue Herausforderungen ergeben: Auf der 20-Betten-Station waren nun zwar durchgehend circa zehn PatientInnen im 12-wöchigen DBT-Pro-gramm, doch für die andere Hälfte der PatientInnen – bei denen es sich im Wesentlichen um PatientInnen mit Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen, Borderline-Persönlichkeitsstörung ohne chaotisches Verhalten bzw. nach erfolgreichem Absolvieren der DBT und um PatientInnen mit mehr oder weniger chronisch depressiven Zustandsbildern handelte – existierte, noch als Relikt aus der Vor-DBT-Ära, ein prozess-gruppenorientiertes Programm, das den Ansprüchen einer modernen VT-orientierten Station eigentlich nicht mehr genügte. Als für diese gemischte Patien-tInnengruppe besonders gut geeignet bot sich ein weiteres Verfahren der so genannten „Dritten Welle“ der VT an: Die störungsübergreifende Schemathe-rapie nach Young, Klosko und Weishaar (2003). Sie ist ursprünglich für die Behandlung schwerer Per-sönlichkeitsstörungen entwickelt worden, die sich mit einer reinen KVT nur unzureichend behandeln ließen. Ihre zunehmende Verbreitung im deutsch-sprachigen Raum hatte in dieser Zeit bereits begon-nen, allerdings vornehmlich im ambulanten Bereich. Für die Anwendung der Schematherapie in einem 12-wöchigen stationären Rahmen gab es, anders als für die DBT, bislang keine etablierten Modelle. Nachdem die Klinikleitung dem Projekt – auch fi-nanziell – zugestimmt hatte, wurden wiederum Konzepte entwickelt und verworfen, Inhouse-Trai-nings durch externe TrainerInnen durchgeführt, die TherapeutInnen besuchten Fortbildungen. Der Ober-arzt der Station, mittlerweile selbst auch Schema-therapie-Trainer und -Supervisor, engagierte sich sehr für die Implementierung und den Aufbau des stationären Programms – und wiederum entstanden ein Avantgarde-Bewusstsein und eine Aufbruchs-stimmung. Über all dem geriet allerdings die gemein-same Achtsamkeitspraxis ins Hintertreffen – sowohl formal als auch inhaltlich. Die gemeinsamen Acht-samkeitstage wurden schon seit längerer Zeit nicht mehr durchgeführt. Die von der Pflege ins Leben gerufene Achtsamkeitsgruppe für PatientInnen war ebenfalls bereits seit einiger Zeit wieder eingestellt worden, weil die PatientInnen die Übungen zu den „Was- und Wie-Fertigkeiten“ der DBT inzwischen langweilig fanden und nicht mehr gekommen waren. In der Folge entwickelten sich im Behandlungsteam Spannungen zwischen den „Schematherapie-Ver-treterInnen“ und den „DBT-VertreterInnen“: Diese hielten jenen vor, den Spirit der DBT auf der Stati-on zu vernachlässigen und mit ihrem Reparenting

einen viel zu toleranten Umgang mit Problemverhal-ten und kein konsequentes Kontingenzmanagement mehr zu pflegen. Bei TherapeutInnen und Pflegenden entstand Unsicherheit, inwieweit eine „DBT-Haltung“ mit einer „Schematherapie-Haltung“ vereinbar sei. Die Stimmung war ratlos, manchmal verärgert.

In dieser Situation war es die Besinnung auf die Leitidee und die – einmal gefundene – gemeinsame Identität in der Achtsamkeit, die dem gesamten Team einen Handlungs- und Reflexionsspielraum zurück-brachte. Von einer Position der Achtsamkeit aus betrachtet zeigte sich, dass die therapeutischen Tech-niken zwar mehr oder weniger (meist weniger) un-terschiedlich sein mögen, dass aber unterschiedliche Haltungen zur Pluralität gehören, vielleicht sogar wünschenswert sind und dass ein respektvolles Mit-einander, das vom achtsamen Umgang geprägt ist, die Differenzen und Unterschiede aushalten kann, ohne sie um jeden Preis vereinheitlichen zu müssen.

Inzwischen war in der Literatur auf den thera-peutischen Nutzen und den wichtigen Stellenwert des Prinzips Achtsamkeit auch für die Schemathe-rapie hingewiesen worden (Roediger, 2011; Bujosa, 2010; van Vreeswijk, Broersen & Schurink, 2012), die sich sehr gut in das schematherapeutische Be-handlungsmodell integrieren lasse. So konstatierte das Team gewissermaßen aufatmend ein Ende der Spannungen und fand zu seiner Position zurück, die gemeinsame Haltung der Achtsamkeit als Angelpunkt für zwei auf der gleichen Station praktizierte, unter-schiedliche Therapieformen einzunehmen. Die ge-meinsamen Achtsamkeitstage wurden wieder aufge-nommen und für jedes der beiden Behandlungspro-gramme eine mit großem Engagement pflegerisch geleitete Achtsamkeitsgruppe eingeführt.

Eine neuerliche, eher durch äußere Verände-rungen bewirkte Bedrohung der Teamkohäsion und der Arbeitsfähigkeit entstand in jüngster Zeit durch Veränderungen innerhalb der Organisation und der Gesundheitspolitik. Stellenkürzungen im Therapeu-tInnen- und im Pflegebereich, immer mehr Zeit, die in allen Berufsgruppen zu Dokumentationszwecken am Computer verbracht werden muss und neuerdings die geforderte drastische Verkürzung der Liegedau-ern führen zu immer mehr Belastung, Komplexitäts-zunahme und immer weniger Zeit für die PatientInnen und für gemeinsamen Austausch. Neu und zusätzlich eingeführte Sicherungssysteme, wie etwa das Clini-cal Incident Reporting System (CIRS) greifen da nur begrenzt, so dass die Unsicherheit im Behandlungs-team, etwa in Bezug auf suizidgefährdete Patien-tInnen, steigt. Und wieder war es die Achtsamkeit, die den Weg wies: Unter der Devise „Managing the

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Unexpected“ (Weick & Sutcliffe, 2001, 2007) bildet sich die Notwendigkeit, in überkomplexen und po-tentiell gefährlichen Situationen den Überblick zu behalten und die richtigen Entscheidungen zu treffen, auch in aktuellen Managementtheorien ab. In der Stations- und Bereichsleitung wird daher gegenwär-tig diskutiert, inwiefern Elemente des Konzepts der „High Reliability Organizations (HRO)“ (Weick, Sutcliffe & Obstfeld, 1999; Weick & Sutcliffe, 2001, 2007) auch für eine psychotherapeutische Station nutzbar gemacht werden können. In diesem Modell, das für Teams in Hochsicherheitsorganisationen, in denen marginale Unaufmerksamkeiten katastrophale Folgen haben können, entwickelt wurde (Atomkraft-werke, Flugzeugträger, Intensivstationen), spielt nämlich eine Haltung der Achtsamkeit, die am ehesten einer „weiten Achtsamkeit“ aller Teammitglieder vergleichbar ist, die zentrale Rolle. Explizit wird dabei auch die Pluralität und nicht-wertende Kon-troversität unterschiedlicher Meinungen angestrebt sowie ein rasches Handeln-Können, das nicht an starren Hierarchien, sondern an realen Kompetenzen orientiert ist.

Definition, Dimensionen und Kontexte der AchtsamkeitEine sehr praxisorientierte Darstellung von Acht-samkeit findet sich bei Huppertz (2009). Aus meh-reren Gründen eignet sie sich für die oben erwähnte Trias – Achtsamkeit mit sich selbst, Achtsamkeit im Team und mit den PatientInnen – besonders gut:

1. In seiner Definition von Achtsamkeit – „Acht-samkeit ist eine möglichst bewusste, absichts-lose, nicht bewertende Haltung zum gegenwär-tigen Geschehen“ – legt Huppertz gegenüber der Definition von Kabat-Zinn (2004) noch einen besonderen Akzent auf die „Absichtslosigkeit“ – im Sinne des Nicht-Handelns, des Nicht-Ver-ändern-Wollens und des Geschehen-Lassens. Im Unterschied zum Nicht-Bewerten, das eine kognitive Enthaltung meint, hat die „Absichts-losigkeit“ direktere Auswirkungen auf Handeln und Verhalten. Die Devise „Handle nicht (sofort) nach deinem Gefühl, auch wenn das Gefühl dich dazu drängt“ hat einen pragmatischeren und verhaltensbezogeneren Gehalt als die De-vise „Bewerte nicht, auch wenn du es so gewohnt bist, damit nicht aus der Bewertung Gefühle mit Handlungsdruck entstehen“, die eine kognitive Vorstufe des Handelns betrifft. Auch Sprech-handlungen sind ja Handlungen, und das acht-

same Innehalten vor impulsivem oder emotio-nalem Sprechen ist z. B. in Teamsitzungen, in denen die Wogen leicht hochzuschlagen drohen, eine wertvolle und verhältnismäßig leicht ein-prägsame Maxime.

2. Huppertz ordnet die angewandte Achtsamkeit auf drei bipolaren Dimensionen an, die jeweils ein Kontinuum darstellen. So formuliert er zu-nächst die Dimension „fokussierte vs. weite Achtsamkeit“, wobei er unter „fokussierter Acht-samkeit“ die auf einen bestimmten Fokus ge-richtete Aufmerksamkeit versteht, etwa das Heben und Senken der Bauchdecke beim Atmen. Unter „Weiter Achtsamkeit“ ist demgegenüber die offene, ungerichtete Achtsamkeit zu verste-hen. Auf der Achse „außengerichtete vs. innen-gerichtete Achtsamkeit“ meint „außengerichtete Achtsamkeit“ die Achtsamkeit der fünf Sinne, wohingegen „innengerichtete Achtsamkeit“ sich auf die Wahrnehmung körperlicher Phänomene, auf Gedanken, Bilder, Gefühle richtet. Auf der dritten Achse, der „beobachtenden vs. begleiten-den Achtsamkeit“ steht der Pol der „beobachten-den Achtsamkeit“ für die eher distanzierende Satellitenposition beziehungsweise die Haltung des „inneren Zeugen“, während der Pol der „be-gleitenden Achtsamkeit“ sich auf die Haltung der ungeschmälerten Akzeptanz bezieht. Hilf-reich ist der Hinweis, das für Anfänger/Patien-tInnen die Pole der fokussierte/außengerichte-ten/beobachtenden Achtsamkeit einen guten Einstieg in die Achtsamkeitserfahrung darstel-len, während „Fortgeschrittene“ sich bei ihren Achtsamkeitsübungen eher auf die gegenüber-liegenden Pole der Dimensionen zubewegen können.

3. Die dritte Dimension, „beobachtende vs. beglei-tende Achtsamkeit“, löst die Schwierigkeit, die Diskrepanz zwischen der „Satellitenposition“ (ich bin nicht mein Gefühl), die eine innere Distanz zum Wahrgenommenen herstellen möchte, und annehmender Akzeptanz (ich werde mein Gefühl nicht aktiv verändern) erklären zu müssen. Au-ßerdem löst sie eine Schwierigkeit, die der häufig anzutreffenden Formulierung von „Achtsamkeit und Akzeptanz …“ enthalten ist – als sei nämlich Akzeptanz in irgendeiner Weise von Achtsamkeit zu unterscheiden, was nicht der Fall ist (Huppertz, 2009).

4. Ebenfalls hilfreich für eine Arbeit mit Achtsam-keit im Team ist die von Huppertz vorgenom-mene Differenzierung in drei „Kontexte“, in denen Achtsamkeit praktiziert werden kann.

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Obwohl Überschneidungen zwischen den Kon-texten bestehen (siehe Abbildung 1), ist es sinn-voll, sie voneinander unterscheiden zu können.

In der Psychotherapie, also beispielsweise in der DBT oder anderen achtsamkeitsorientierten Ver-fahren, kommt Achtsamkeit als Technik zur An-wendung, mit deren Hilfe PatientInnen primär einen verbesserten Umgang mit emotionaler Instabilität, dysfunktionalem Verhalten, depressiven Gedanken und anderen Erkrankungssymptomen erlernen kön-nen. Sie dient der Herstellung von Gesundheit, wo-bei mit Gesundheit nicht Wohlbefinden oder gar Glück gemeint ist, sondern die Fähigkeit, mit Miss-befinden oder Krisen besser umgehen zu können als bisher (Huppertz, 2009). Anders verhält es sich mit der Anwendung von Achtsamkeit in der Lebenskunst oder Ethik. Hier ist das Ziel Wohlbefinden, rechtes Zusammenleben in der Gemeinschaft, Weisheit oder Glück. Wer Achtsamkeit im spirituellen Kontext praktiziert, verfolgt wieder andere Ziele: Oft nimmt er sogar Entbehrung und Leid in Kauf, um eine Trans-zendierung und Entgrenzung seiner endlichen Exis-tenz zu erfahren (ebd.).

Auf einer Psychotherapiestation, die mit Acht-samkeit im Team arbeitet, wird also in unterschied-lichen Kontexten gelebt und geübt. Für PatientInnen steht im Vordergrund, Strategien zur Krisenbewälti-gung, zu denen auch Techniken der Achtsamkeit ge-hören, zu erlernen. Vielleicht wird sich auch der eine

oder andere für die Bereiche der Lebenskunst oder der Spiritualität interessieren, das ist aber optional. Das Behandlungsteam, das nach den Regeln der Achtsamkeit miteinander leben, arbeiten und um-gehen möchte, operiert in diesem Fall im Bereich der Lebenskunst/Ethik. Auch hier ist es nicht erfor-derlich, spirituelle Erfahrungen mit Hilfe der Acht-samkeit machen zu wollen, wenn auch einige Mit-arbeiter vielleicht beginnen, sich für diesen Weg zu interessieren. Der Achtsamkeitstrainer, der dem Team Achtsamkeit vermittelt, wird oft auch im spirituellen Bereich verwurzelt sein, wenn Acht-samkeit für ihn einen wesentlichen Lebensinhalt darstellt, den er „lehren“ möchte. Der Kontext acht-samer Lebensführung wird ihm natürlich vertraut sein, und Erfahrungen mit der Anwendung von Achtsamkeitstechniken in der Psychotherapie sind ebenfalls von Vorteil. Die Verteilung der einzelnen Kontexte illustriert Tabelle 1.

Elemente der Achtsamkeitspraxis im Team der PsychotherapiestationImplementierung des Achtsamkeitstrainings im TeamWenn ein Team beschließt, Achtsamkeit als zentrales Element seines Selbstverständnisses und seiner Arbeit einzuführen oder auf einer bereits gewach-senen Grundlage weiterzuentwickeln, ist es – rück-blickend – wichtig, bestimmte Punkte bedacht und überprüft zu haben:

1. Besteht ein Commitment aller Teammitglieder, d. h. haben alle, die im Team direkt zusammen-arbeiten, ihre Zustimmung zur künftigen gemein-samen Achtsamkeitspraxis gegeben? Manchmal bestehen religiöse oder weltanschauliche Vorbe-halte Einzelner – hier ist es wichtig, in der Vor-bereitungsphase Missverständnisse zu klären. Es kann z. B. hilfreich sein, auf die unterschiedlichen Kontexte der Achtsamkeit hinzuweisen und da-rauf, dass Achtsamkeit in einem psychothera-peutischen Team zwar den ethischen, nicht aber den spirituellen Kontext berührt und auch keine Weltanschauung ist, sondern eine Methode, in diesem Fall für einen stressfreieren Umgang miteinander und mit den Anforderungen der täglichen Arbeit.

2. Besteht auch ein Commitment dafür, dass jedes Teammitglied mindestens ansatzweise für sich selbst Achtsamkeit übt und anwendet? Hier kann es sinnvoll sein, als Analogie auf das gemein-same Erlernen einer Sprache oder gemeinsames

Abbildung 1: Kontexte von Achtsamkeit (Huppertz, 2009)

Abbildung 1

Lebenskunst

Therapie Spiritualität

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Schwerpunktthe Mindful teaM

Musizieren in einem Orchester hinzuweisen: Jeder sollte auch für sich selbst Vokabeln lernen oder üben …

3. Die Achtsamkeitspraxis soll vom Team auf kei-nen Fall als ein „Mehr“ empfunden werden – in dem Sinne, dass zu den bisherigen hohen Anfor-derungen jetzt auch noch der ganze Stress mit den Achtsamkeitstagen, gemeinsamen Achtsam-keitsübungen, sich in der Teamsitzung auf die Zunge beißen müssen etc. hinzukommt! Dem Team sollte klar sein und deutlich gemacht wer-den können, dass Achtsamkeit eine paradoxe Wirkung hat – je mehr man in sie investiert, desto weniger bedrohlich erscheinen die Impe-rative der täglichen Arbeit und desto mehr ver-ringert sich die tatsächliche Belastung.

4 Commitment der Bereichs- und Klinikleitung: Achtsamkeitstage und Achtsamkeitslehrer kos-ten Geld. Nicht nur aus diesem Grund sollten die Zustimmung und die Unterstützung der Vorgesetzten vorliegen. Bei der Entscheidung, künftig miteinander so oft wie möglich nach den Regeln der Achtsamkeit umzugehen, handelt es sich um eine weitreichende Entscheidung, die ja immerhin die Gruppenidentität betrifft. Auch deshalb sollte die Unterstützung die Kli-nikleitung gewährleistet sein.

5. Wahl des/der Achtsamkeitslehrers/-lehrerin: Der Achtsamkeitslehrer soll nicht selbst Mitglied des Teams sein. Ob er aus dem gleichen Haus oder von außerhalb kommt, spielt nicht unbedingt eine erhebliche Rolle. Wichtig ist hingegen seine Qua-lifikation: Er sollte idealerweise in allen drei Kon-texten zu Hause sein, d. h. eine glaubwürdige spirituelle Verwurzelung aufweisen, diese aber von den ethischen Anforderungen an ein Zusam-menleben im Team unterscheiden können – und möglichst auch etwas von achtsamkeitsorientierter Psychotherapie verstehen, vielleicht sogar eine Ausbildung in diesem Bereich absolviert haben.

6. Achtsamkeitsworkshops und Achtsamkeitstage: Das angeleitete Achtsamkeitstraining kann sich

über einen halben oder einen ganzen Tag erstre-cken. Bewährt hat sich, in der Implementations-phase zunächst ein bis drei halbtägige Workshops durchzuführen, um im Team Interesse und Be-reitschaft dafür zu entwickeln, auch einmal einen ganzen Achtsamkeits-Tag zu verbringen. Die halben Tage können auch innerhalb der Einrich-tung an einem ungestörten Ort verbracht werden, für die Ganztage ist es in jedem Fall vorteilhafter, sie gemeinsam an einem achtsamkeitsorientierten Ort außerhalb der Klinik zu verbringen, dort auch auf die gewohnten Ablenkungsstrategien wie Rauchen, mit dem Handy spielen etc. nach Mög-lichkeit zu verzichten.

Im Verlauf ist es dann sinnvoll, eine gewisse Anzahl an halben oder ganzen Achtsamkeitstagen für das Jahr festzulegen, an denen die Teilnahme verbindlich ist und die auch supervisorischen Charakter haben in dem Sinne, dass auch Fragen und schwierige Situationen aus der letzten Zeit eingebracht werden können. Wie bei anderen Trainings auch verblasst das Gelernte sonst schnell und es ist für das Team wichtig, sich regelmäßig in seiner Achtsamkeitsidentität zu erfahren.

7. Wie steht es mit der eigenen Achtsamkeitspraxis? Für die individuelle Achtsamkeitsanwendung existiert eine Fülle an Möglichkeiten. Angefan-gen bei eigenen Achtsamkeitsübungen im Alltag, Achtsamkeits-CDs oder Achtsamkeits-Apps, Teil-nahme an einem MBSR-Kurs oder einer (auch klinikinternen) Meditationsgruppe bis hin zu län-geren Schweige-Retreats in Meditationszentren.

TeamsitzungenEin- bis mehrmalig in der Woche stattfindende Team-sitzungen dienen dazu, den Behandlungsverlauf der PatientInnen zu besprechen und gegebenenfalls die Behandlungsstrategie anzupassen. In der Regel ist das Behandlungsteam möglichst vollzählig anwe-send. Für DBT-Teams haben sich die Regeln des „DBT-Consultation Teams“ (Linehan, 1993; Swales, 2010) bewährt, die eine dialektische Ausgewogen-

Tabelle 1: Verteilung der Achtsamkeitskontexte (aus Fuhrhans, 2013)

1

Tabelle 1

Psychotherapie Ethik/Lebenskunst Spiritualität

Betroffene/Patienten X optional optional

Teammitglieder X X optional

Achtsamkeitstrainer optional X X

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heit von Akzeptanz- und Veränderungsorientiertheit unter den Sitzungsteilnehmern sicherstellen sollen und damit nichts Geringeres, als dass das Team dialektische Behandlungsstrategien auch auf sich selbst anwendet. Die Consultation-Team-Regeln sind sehr achtsamkeitsorientiert und können in leicht angepasster Form in jedem Team verwendet werden, dass untereinander eine achtsame Haltung pflegen möchte:

Die Sitzung kann abwechselnd von Angehörigen verschiedener Berufsgruppen geleitet werden.

Die Sitzung beginnt mit einer gemeinsamen Achtsamkeitsübung (s. u.).

Der Leiter bestimmt einen Hüter/Hüterin der Achtsamkeit (und Dialektik, nach Bedarf), ge-gebenenfalls einen Hüter/Hüterin der Zeit.

Der Hüter der Achtsamkeit gibt ein leises Signal mit der Klangschale, wenn Teammitglieder oder er selbst die Achtsamkeit verlieren – zwei Dinge gleichzeitig tun, wertend über PatientInnen oder Angehörige sprechen usw. Das ist erfahrungs-gemäß ein heikler Moment, weil das „unacht-same“ Teammitglied sich u. U. zu Unrecht kriti-siert fühlen kann und zur Verteidigung ansetzt. So kann man z. B. vereinbaren, dass der Hüter der Achtsamkeit nicht sofort reagiert, sondern erst einmal selbst in der achtsamen Wahrnehmung bleibt und dann nach circa 30 Sek. die Klang-schale betätigt, wenn er es noch für erforderlich hält, um sich und alle Anwesenden daran zu erinnern, achtsam zu sein.

Achtsamkeitsübungen im TeamAchtsamkeitsübungen im Team sind unter Anleitung einer Person durchgeführte kürzere oder längere Übungen, in denen vom alltäglichen Autopilot- in den achtsamen Modus umgestellt und Achtsamkeit „geübt“ wird. Sie können am Beginn und am Ende jeder gemeinsamen Sitzung (wie auch jeder Sitzung oder Gruppe mit PatientInnen) durchgeführt werden und haben den Charakter eines Rituals. Zum Beispiel wird zu Beginn jeder Achtsamkeitsübung noch einmal die Definition von Achtsamkeit wiederholt, eine achtsame Sitzhaltung eingenommen und die Klangschale betätigt – am Ende jeder Achtsamkeits-übung ertönt wieder die Klangschale und ein Sharing der gemachten Erfahrung schließt sich an. Es gibt käufliche Sammlungen mit Achtsamkeitsübungen, man kann sich aber auch selbst Achtsamkeitsübungen ausdenken. Hilfreich ist, wenn derjenige, der eine Achtsamkeitsübung einbringt, zu Beginn kurz erläu-tert, wie er darauf gekommen ist. Es sind unendlich

viele möglich, weil es ja letztlich immer darauf an-kommt, das achtsame Bewusstsein zu trainieren und die Achtsamkeit in den Alltag zu generalisieren. Zwei „Pitfalls“ sind allerdings zu bedenken:

Geschicklichkeitsübungen, Sudoku und unter-haltsame Spiele sind nicht per se schon Acht-samkeitsübungen, sondern dienen, auch wenn sie eine gute Stimmung hinterlassen, eher der Ablenkung. In der Achtsamkeit kommt es darauf an, bewusst und genau wahrzunehmen, was ist – im „Außen“ und, wenn möglich, auch im „Innen“, ohne davon abzulenken oder es verän-dern zu wollen.

Besonders in der DBT hat sich die Praxis he-rausgebildet, Achtsamkeitsübungen mit Patien-tInnen nicht länger als drei Minuten dauern zu lassen – das ist in etwa die Zeitspanne, in der PatientInnen, die in der Regel auch mit der Anwendung von Achtsamkeit noch unvertraut sind, ihre Aufmerksamkeit auf einen definierten Gegenstand richten können, besonders wenn sie z. B. ein komorbides ADHS aufweisen. Je ge-übter man in der Anwendung von Achtsamkeit ist, umso eher kann man sich von den Polen äußere/fokussierte/beobachtende Achtsamkeit in Richtung der Pole innere/weite/begleitende Achtsamkeit bewegen. Achtsamkeitsübungen im Team können und sollten durchaus einmal länger als drei Minuten dauern – das ist nämlich in der Regel auch die Zeitspanne, nach der die Acht-samkeitsübung nicht mehr als „break“ gesehen werden kann und sich Anflüge von Unbehagen und Spannung bemerkbar machen, jetzt doch möglichst bald mit der „eigentlichen“ Arbeit beginnen zu können – schließlich hat man ein volles Programm. Diesen Impuls bewusst wahr-zunehmen, sein Ansteigen und Abklingen zu begleiten, ist ein wichtiger Schritt dabei, Acht-samkeit stresspräventiv einzusetzen.

Eigene Sammlung von AchtsamkeitsübungenDie stationseigene Sammlung von Achtsamkeitsübun-gen sollte fortlaufend durch neue, von den Teammit-gliedern eingebrachte Achtsamkeitsübungen ergänzt werden. Man kann sehr gut, wie oben erwähnt, einen „Hüter der Achtsamkeitssammlung“ bestellen, der die Sammlung stets auf dem aktuellen Stand hält.

„Achtsamkeitsberater/Achtsamkeitsberaterin“Von Huppertz (2009) stammt ein schöner Vorschlag, der bislang vermutlich auf keiner Psychotherapie-station noch wirklich umgesetzt wurde, der aber

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sehr konsequent illustriert, was Achtsamkeit im Team bedeuten soll. Er schlägt vor, in jeder Arbeitsschicht eines Teams ein Teammitglied als „Achtsamkeits-berater/in“ auszuwählen, das keine andere Aufgabe hätte, als selbst achtsam zu sein und andere, Team-mitglieder wie PatientInnen, in Fragen der Achtsam-keit zu beraten, wenn er/sie darauf angesprochen wird. Er/sie darf keine anderen Tätigkeiten ausführen als eben diese. Natürlich sollten sich alle Mitarbei-terInnen des Behandlungsteams, einschließlich Ober-arzt, TherapeutInnen, pflegerische Stationsleitung, KunsttherapeutIn etc. reihum daran beteiligen. Die-ser Vorschlag, führt Huppertz aus, möge für „chro-nisch überlastete Teams zynisch“ klingen, aber er führt wirklich mitten ins Herz der Team-Achtsamkeit: Je größer der Stress wird, desto eher halte inne, nimm (deine eigene Inkonsistenzspannung) wahr und tue: Nichts. Oder tue nicht sofort etwas. Wenn du krank würdest, würde es auch ohne dich gehen. Und daher nimm dir den Wahrnehmungs- und Reflexionsraum eher hier, auf deiner Arbeitsstelle, als dass dein Körper tatsächlich erst krank werden muss, um ihn dir zu verschaffen.

Gelebter Achtsamkeits-Geist im TeamGelebte Achtsamkeit im Team geht über gemeinsame Achtsamkeitstage und Achtsamkeitsübungen im Team hinaus und muss sich langsam entwickeln. Es verlangt von jedem Einzelnen ein fortwährendes Üben und Anwenden von: Bewusstheit auf den gegenwärtigen Moment, Wahrnehmen, ohne sofort zu handeln, Mut und Mitgefühl.

Bewusstheit auf den gegenwärtigen Moment: Es klingt banal, aber es verlangt tatsächlich Training, auch außerhalb der Achtsamkeitsübungen im Verlauf eines langen Arbeitstages – und möglichst auch darüber hinaus – achtsam zu sein. Es braucht Übung, möglichst oft das Abschweifen wahrzu-nehmen und zum gegenwärtigen Moment zu-rückzukehren, Handlungsimpulse und emoti-onsinduzierten Handlungsdrang bewusst zur Kenntnis zu nehmen, ohne sie zu bewerten. Die Gefahr des Abschweifens und des Sich-Verlie-rens ist ja umso größer, je mehr ich im Kontakt oder Austausch mit anderen bin, und das ist auf einer Psychotherapiestation meistens der Fall – sei es mit TeamkollegInnen, sei es mit Patien-tInnen. Immer wieder und gerade während sol-cher Austauschphasen die eigene Befindlichkeit zu registrieren und zu sich selbst zurückzukehren, beispielsweise auf den eigenen Atem zu achten und gleichzeitig bewertungsfrei dem Gegenüber

zuzuhören, ist ein hohes Ziel, dass auch immer wieder über längere Zeit nicht gelingen wird. Sich selbst und andere auch in Phasen der „Un-achtsamkeit“ nicht zu bewerten, bewahrt vor einem rechthaberischen Achtsamkeitsdogma-tismus, der dem Stationsklima natürlich auch nicht zuträglich wäre.

Wahrnehmen, ohne (sofort) zu handeln: Hierin liegt das Herzstück der Achtsamkeit: Seine Um-welt und sich selbst, die eigenen Gedanken, Bilder, Gefühle und den daraus entstehenden Handlungsdruck und die Handlungsimpulse wahrzunehmen, ohne ihnen sogleich zu folgen. Es geht immer wieder darum, die Inkonsistenz-spannung zwischen den Forderungen an sich oder andere und der Wirklichkeit, wie sie ist, wahrzunehmen und auszuhalten, ohne sogleich etwas ändern zu wollen, das heißt: Ohne ande-re zu belehren und zurechtzuweisen, es besser zu wissen, alles selbst machen zu wollen oder sich resigniert zurückzuziehen, weil es sowieso keinen Zweck hat. Auch das wäre ja eine Art der Handlung.

Mut: Es gehört viel Mut dazu, in der „beglei-tenden Achtsamkeit“ wirklich bei seinen Ge-fühlen zu bleiben, besonders wenn es unange-nehme Gefühle sind – sie auszuhalten, ihnen nachzuspüren und ihnen auf den Grund zu ge-hen. Wird das Gefühl, das die Äußerung des Gegenübers in mir auslöst, wirklich objektiv durch die andere Person bewirkt oder hat sie vielleicht mit mir und meiner Lebensgeschich-te zu tun? Wie würde es aus der Distanz der beobachtenden Achtsamkeit aussehen, muss ich tatsächlich sofort darauf reagieren?

Mitgefühl: natürlich ist es nicht so, dass man durch eine achtsame Haltung zum Stillhalten und zum anhaltenden Nicht-Handeln verdammt ist. Aber das Handeln sollte idealer Weise aus der Haltung des „tätigen Mitgefühls“ oder des „liebenden Mitgefühls“ heraus erfolgen. Wenn die abgrenzenden Bewertungen dessen, was andere sagen oder tun, verblassen, dann öffnet sich ein Raum, in dem die Gemeinsamkeiten und das Verbindende mit dem Gegenüber deut-licher wahrnehmbar wird als das Trennende. Wenn mir dann bewusst wird, dass mich viel mehr mit dem anderen verbindet als mich von ihm trennt, dann kann ich ihn entweder in sei-ner Andersartigkeit und mit seiner anderen Ein-stellung bestehen lassen, oder ihn aus der Hal-tung des tätigen Mitgefühls heraus unterstützen – wozu natürlich auch das Setzen von Grenzen

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gehören kann, wenn es das ist, was ihm helfen würde.

Wie wird die Praxis der Achtsamkeit im Team erlebt? Eine TeambefragungUm die subjektiven Erfahrungen, die die Mitglieder des Behandlungsteams mit der gemeinsamen Acht-samkeitspraxis machen, zu erheben, fand Anfang 2008 eine Teambefragung mit Hilfe eines vom Autor konzipierten Fragebogens statt. Da in dieser Zeit parallel die Schulung des Teams in Achtsamkeit und, veranlasst durch die Neuausrichtung der Station als VT-Station, in Grundlagen der KVT stattfand, konn-ten die Erfahrungen zur Einführung der Achtsamkeit mit den Erfahrungen zur Einführung der KVT mit-einander verglichen werden.

Auf einer sechsstufigen Likert-Skala konnte zu insgesamt 18 Aussagen eine niedrige bis hohe Zu-stimmung (0–5) angegeben werden. Die Aussagen waren in 2 x 9 gleichlautende Fragen unter den Überschriften „Die gemeinsame Achtsamkeitspraxis im Team …“ und „Die gemeinsame kognitiv-verhal-tenstherapeutische Praxis im Team …“ aufgeteilt.

Die Antworten bezogen sich jeweils auf den zurückliegenden Zeitraum eines Jahres. Es nahmen alle 15 Mitglieder des Behandlungsteams (außer dem Autor) an der Befragung teil.

Im Ergebnis fiel auf, dass in den Fragen zur Ergebnis- und Arbeitsqualität kein Unterschied zwischen den beiden Untersuchungsgegenständen feststellbar war, in subjektiver Sicht also die Vorteile durch die Arbeit mit der Achtsamkeit und mit den Techniken der KVT von den Befragten gleich ge-wichtet wurden (siehe Abbildung 2). Deutliche Un-terschiede zeigten sich allerdings in den Bereichen „Zusammenarbeit im Team, Arbeitsatmosphäre“ und „Persönliche Entwicklung“. Hier wurde von den Befragten eine Überlegenheit der Achtsamkeit-spraxis gegenüber der KVT-Praxis angegeben (sie-he Abbildungen 2–4).

Das Ergebnis zeigt, dass – bei allen Einschrän-kungen, die mit der Anwendung eines nicht-standar-tisierten Fragebogens verbunden sind – der subjektive Gewinn durch die gemeinsame Achtsamkeitspraxis sowohl für Teamatmosphäre und -zusammenarbeit als auch für die individuelle Entwicklung von den Teammitgliedern deutlich empfunden wird.

Abbildung 2: „Die gemeinsame Achtsamkeitspraxis/Praxis der KVT im Team … verbessert das Ergebnis meiner Arbeit“

Abbildung 2

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niedrige Zustimmung mittlere Zustimmung hohe Zustimmung

Achtsamkeit KVT

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Abbildung 3: „Die gemeinsame Achtsamkeitspraxis/Praxis der KVT im Team … verbessert die Team-Atmosphäre insgesamt“

Abbildung 4: „Die gemeinsame Achtsamkeitspraxis/Praxis der KVT im Team … bringt mich persönlich weiter“

Abbildung 3

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Achtsamkeit KVT

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ResümeeÜber Achtsamkeit als gemeinsame Teampraxis auf psychiatrischen Stationen gibt es bislang wenig Untersuchungen oder Erfahrungsberichte. Der vor-liegende Erfahrungsbericht beschreibt, wie das Behandlungsteam einer sehr spezialisiert arbeiten-den Psychotherapiestation sich dadurch immer wie-der aus lähmenden oder krisenhaften Situationen befreien konnte, dass die einmal getroffene Ent-scheidung, einen achtsamen Umgang mit sich selbst und miteinander zu pflegen und sich fortlaufend darin unterweisen zu lassen, zu einer methodenüber-greifenden „Achtsamkeitsidentität“ des Teams he-ranreifen konnte. In einer Zeit, in der auf Psychothe-rapiestationen die Komplexität, die Anforderungen und damit der potentielle Stress zunehmen, kann der achtsame Umgang miteinander dazu beitragen, die Arbeitszeit als erfüllte und befreite Lebenszeit wahr-zunehmen und zu erleben.

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Zum AutorChristoph Fuhrhans, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Leitender Arzt für Bildung und Therapieentwicklung an der Clienia Littenheid AG in der Schweiz. Studium der Medizin, Kunst- und Literaturwissenschaft in Kiel, Wien und Berlin, nach Tätigkeit in der Pharmaforschung und Fach-arztausbildung fach- und oberärztlicher Tätigkeit in Berlin. Ausbildung zum DBT-Therapeuten in Freiburg und den USA, Schematherapie-Ausbil-dung in Basel (ausgebildeter Trainer und Supervi-sor). 2003 bis 2012 oberärztliche Leitung einer Borderline-Psychotherapiestation in der Klinik Littenheid in der Schweiz. 2010 Gründung und seitdem Leitung des Instituts für Schematherapie Ostschweiz (ISTOS).

KorrespondenzadresseDr. med. Christoph Fuhrhans Facharzt für Psychiatrie u. PsychotherapieClienia Littenheid AG, Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie9573 LittenheidSchweizE-Mail: [email protected]

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